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Zeller, Carl August: Grundlinien der Turnkunst. Königsberg, 1817.

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freye Seele? kann sie dankbar des Erziehers
sich erinnern, wenn der ungeübte Körper nach
einem Nachtlager draußen auf der nackten, feuch-
ten Erde sich aufmachen soll, aber nicht kann,
sondern im Krankenhause siecht? wenn ein ra-
scher Sprung, ein sicherer Gang über den Ab-
grund, das Erklettern eines Baumes, ein an-
haltender, schneller Lauf, die dienstbare Welle
retten sollte, aber nicht rettet, weil Uebung und
Kraft und deren Wirkungen, Muth und Gei-
stesgegenwart, fehlen?

"Keineswegs," unterbrach den Verfasser ein
Freund, dem er diese Vorrede vorlas, "wenig-
stens der Wehrmann nicht, dem ich monatlich
einen Gnadenthaler auszahle, weil er bey Groß-
beeren, einen Franzosen verfolgend, über einen
Graben sprang und -- das Bein brach."

Eine Thatsache, die, als solche, ganze Ab-
handlungen über die Nothwendigkeit der Turn-
übungen für das Landvolk aufwiegt und zu
der Frage berechtigt, was kostspieliger sey, die
Errichtung oder Nichterrichtung der Turnanstal-
ten? Allerdings ist die Gewohnheit, bey jedem
Wechsel der Witterung im Freyen auszudauern,
ein Gewinn für den Dorfbewohner, um wel-

freye Seele? kann ſie dankbar des Erziehers
ſich erinnern, wenn der ungeuͤbte Koͤrper nach
einem Nachtlager draußen auf der nackten, feuch-
ten Erde ſich aufmachen ſoll, aber nicht kann,
ſondern im Krankenhauſe ſiecht? wenn ein ra-
ſcher Sprung, ein ſicherer Gang uͤber den Ab-
grund, das Erklettern eines Baumes, ein an-
haltender, ſchneller Lauf, die dienſtbare Welle
retten ſollte, aber nicht rettet, weil Uebung und
Kraft und deren Wirkungen, Muth und Gei-
ſtesgegenwart, fehlen?

„Keineswegs,‟ unterbrach den Verfaſſer ein
Freund, dem er dieſe Vorrede vorlas, „wenig-
ſtens der Wehrmann nicht, dem ich monatlich
einen Gnadenthaler auszahle, weil er bey Groß-
beeren, einen Franzoſen verfolgend, uͤber einen
Graben ſprang und — das Bein brach.‟

Eine Thatſache, die, als ſolche, ganze Ab-
handlungen uͤber die Nothwendigkeit der Turn-
uͤbungen fuͤr das Landvolk aufwiegt und zu
der Frage berechtigt, was koſtſpieliger ſey, die
Errichtung oder Nichterrichtung der Turnanſtal-
ten? Allerdings iſt die Gewohnheit, bey jedem
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[5/0009] freye Seele? kann ſie dankbar des Erziehers ſich erinnern, wenn der ungeuͤbte Koͤrper nach einem Nachtlager draußen auf der nackten, feuch- ten Erde ſich aufmachen ſoll, aber nicht kann, ſondern im Krankenhauſe ſiecht? wenn ein ra- ſcher Sprung, ein ſicherer Gang uͤber den Ab- grund, das Erklettern eines Baumes, ein an- haltender, ſchneller Lauf, die dienſtbare Welle retten ſollte, aber nicht rettet, weil Uebung und Kraft und deren Wirkungen, Muth und Gei- ſtesgegenwart, fehlen? „Keineswegs,‟ unterbrach den Verfaſſer ein Freund, dem er dieſe Vorrede vorlas, „wenig- ſtens der Wehrmann nicht, dem ich monatlich einen Gnadenthaler auszahle, weil er bey Groß- beeren, einen Franzoſen verfolgend, uͤber einen Graben ſprang und — das Bein brach.‟ Eine Thatſache, die, als ſolche, ganze Ab- handlungen uͤber die Nothwendigkeit der Turn- uͤbungen fuͤr das Landvolk aufwiegt und zu der Frage berechtigt, was koſtſpieliger ſey, die Errichtung oder Nichterrichtung der Turnanſtal- ten? Allerdings iſt die Gewohnheit, bey jedem Wechſel der Witterung im Freyen auszudauern, ein Gewinn fuͤr den Dorfbewohner, um wel-

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Zitationshilfe: Zeller, Carl August: Grundlinien der Turnkunst. Königsberg, 1817, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zeller_turnkunst_1817/9>, abgerufen am 23.04.2024.