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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

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VIII.

Es gesellte sich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich
bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde geschrit-
ten war, da wir doch denselben Weg hielten, einen Man-
tel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu dürfen;
ich ließ es stillschweigend geschehen. Er dankte mir mit
leichtem Anstand für den leichten Dienst, lobte mein Pferd,
nahm daraus Gelegenheit, das Glück und die Macht der
Reichen hoch zu preisen, und ließ sich, ich weiß nicht wie,
in eine Art von Selbstgespräch ein, bei dem er mich blos
zum Zuhörer hatte.

Er entfaltete seine Ansichten von dem Leben und der
Welt, und kam sehr bald auf die Metaphysik, an die die
Forderung erging, das Wort aufzufinden, das aller Räth-
sel Lösung sei. Er setzte die Aufgabe mit vieler Klarheit
aus einander und schritt fürder zu deren Beantwortung.

Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt
habe, seitdem ich den Philosophen durch die Schule gelaufen,
daß ich zur philosophischen Spekulation keineswegs berufen
bin, und daß ich mir dieses Feld völlig abgesprochen habe;
ich habe seither Vieles auf sich beruhen lassen, Vieles zu
wissen und zu begreifen Verzicht geleistet, und bin, wie

VIII.

Es geſellte ſich bald ein Fußgaͤnger zu mir, welcher mich
bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde geſchrit-
ten war, da wir doch denſelben Weg hielten, einen Man-
tel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu duͤrfen;
ich ließ es ſtillſchweigend geſchehen. Er dankte mir mit
leichtem Anſtand fuͤr den leichten Dienſt, lobte mein Pferd,
nahm daraus Gelegenheit, das Gluͤck und die Macht der
Reichen hoch zu preiſen, und ließ ſich, ich weiß nicht wie,
in eine Art von Selbſtgeſpraͤch ein, bei dem er mich blos
zum Zuhoͤrer hatte.

Er entfaltete ſeine Anſichten von dem Leben und der
Welt, und kam ſehr bald auf die Metaphyſik, an die die
Forderung erging, das Wort aufzufinden, das aller Raͤth-
ſel Loͤſung ſei. Er ſetzte die Aufgabe mit vieler Klarheit
aus einander und ſchritt fuͤrder zu deren Beantwortung.

Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt
habe, ſeitdem ich den Philoſophen durch die Schule gelaufen,
daß ich zur philoſophiſchen Spekulation keineswegs berufen
bin, und daß ich mir dieſes Feld voͤllig abgeſprochen habe;
ich habe ſeither Vieles auf ſich beruhen laſſen, Vieles zu
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[0089] VIII. Es geſellte ſich bald ein Fußgaͤnger zu mir, welcher mich bat, nachdem er eine Weile neben meinem Pferde geſchrit- ten war, da wir doch denſelben Weg hielten, einen Man- tel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu duͤrfen; ich ließ es ſtillſchweigend geſchehen. Er dankte mir mit leichtem Anſtand fuͤr den leichten Dienſt, lobte mein Pferd, nahm daraus Gelegenheit, das Gluͤck und die Macht der Reichen hoch zu preiſen, und ließ ſich, ich weiß nicht wie, in eine Art von Selbſtgeſpraͤch ein, bei dem er mich blos zum Zuhoͤrer hatte. Er entfaltete ſeine Anſichten von dem Leben und der Welt, und kam ſehr bald auf die Metaphyſik, an die die Forderung erging, das Wort aufzufinden, das aller Raͤth- ſel Loͤſung ſei. Er ſetzte die Aufgabe mit vieler Klarheit aus einander und ſchritt fuͤrder zu deren Beantwortung. Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe, ſeitdem ich den Philoſophen durch die Schule gelaufen, daß ich zur philoſophiſchen Spekulation keineswegs berufen bin, und daß ich mir dieſes Feld voͤllig abgeſprochen habe; ich habe ſeither Vieles auf ſich beruhen laſſen, Vieles zu wiſſen und zu begreifen Verzicht geleiſtet, und bin, wie

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/89>, abgerufen am 25.04.2024.