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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827.

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VI.

Allein zurückgeblieben auf der öden Haide,
ließ ich unendlichen Thränen freien Lauf, mein
armes Herz von namenloser banger Last erleich-
ternd. Aber ich sah meinem unüberschwänglichen
Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel,
und ich sog besonders mit grimmigem Durst an
dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine
Wunden gegossen. Als ich Minas Bild vor
meine Seele rief, und die geliebte, süße Gestalt
bleich und in Thränen mir erschien, wie ich sie
zuletzt in meiner Schmach gesehen, da trat frech
und höhnend Rascal's Schemen zwischen sie
und mich, ich verhülte mein Gesicht, und floh
durch die Einöde, aber die scheußliche Erschei-
nung gab mich nicht frei, sondern verfolgte mich
im Laufe, bis ich athemlos an den Boden sank,
und die Erde mit erneuertem Thränenquell be-
feuchtete.



VI.

Allein zurückgeblieben auf der öden Haide,
ließ ich unendlichen Thränen freien Lauf, mein
armes Herz von namenloſer banger Laſt erleich-
ternd. Aber ich ſah meinem unüberſchwänglichen
Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel,
und ich ſog beſonders mit grimmigem Durſt an
dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine
Wunden gegoſſen. Als ich Minas Bild vor
meine Seele rief, und die geliebte, ſüße Geſtalt
bleich und in Thränen mir erſchien, wie ich ſie
zuletzt in meiner Schmach geſehen, da trat frech
und höhnend Rascal’s Schemen zwiſchen ſie
und mich, ich verhülte mein Geſicht, und floh
durch die Einöde, aber die ſcheußliche Erſchei-
nung gab mich nicht frei, ſondern verfolgte mich
im Laufe, bis ich athemlos an den Boden ſank,
und die Erde mit erneuertem Thränenquell be-
feuchtete.

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[[70]/0096] VI. Allein zurückgeblieben auf der öden Haide, ließ ich unendlichen Thränen freien Lauf, mein armes Herz von namenloſer banger Laſt erleich- ternd. Aber ich ſah meinem unüberſchwänglichen Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel, und ich ſog beſonders mit grimmigem Durſt an dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine Wunden gegoſſen. Als ich Minas Bild vor meine Seele rief, und die geliebte, ſüße Geſtalt bleich und in Thränen mir erſchien, wie ich ſie zuletzt in meiner Schmach geſehen, da trat frech und höhnend Rascal’s Schemen zwiſchen ſie und mich, ich verhülte mein Geſicht, und floh durch die Einöde, aber die ſcheußliche Erſchei- nung gab mich nicht frei, ſondern verfolgte mich im Laufe, bis ich athemlos an den Boden ſank, und die Erde mit erneuertem Thränenquell be- feuchtete.

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827, S. [70]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2754/96>, abgerufen am 19.04.2024.