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Schöttgen, Christian: Leben und letzte Stunden HERRN Christoph Theodosii Walthers. Halle, 1742.

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Thränen: Aber endlich bringt das Jahr, wornach sie sich
sehnen. Denn es kommt die Erndte-Zeit, da sie Garben
machen. Denn wird all ihr Gram und Leid lauter Freud
und Lachen.
Er antwortete: Da haben Sie es ja. Er sagte
auch: Es ist eine grosse Gnade GOttes, daß mein Weib nicht da
stehet und weinet, und meine Kinder heulen.

§. 39.

Man hat mich gefraget: Ob ich nicht an dem Sterbenden
einige Zeichen der durch die Hitze der Kranckheit verdorbenen
oder etwas in Unordnung gebrachten Phantasie wahrgenom-
men? Jch kan aber nebst allen Anwesenden mit Grund der
Wahrheit sagen, daß ich dergleichen im geringsten nicht ange-
mercket. Denn man erwege, wo die Gedancken so ordentlich
sind, daß sie bey einer Materie in dem Zusammenhang bleiben,
wo der Grundtext vorgebracht wird, wo eine so schöne Ap-
plication auf sich selbst gemacht wird, ob da auch das geringste
Kennzeichen einer verderbten Phantasie anzutreffen? Hier fället
mir noch dieses bey. Es ließ sich der selige Mann zuweilen einen
Löffel frisch Wasser geben, um sich ein wenig zu erquicken. Jch
nahm Gelegenheit ihn der Worte CHristi zu erinnern: Wer von
diesem Wasser trincket, den wird wieder dürsten. Wer aber
des Wassers trincket, das ich ihm geben werde, den wird
in Ewigkeit nicht dürsten: sondern das Wasser, das ich ihm
geben werde, wird in ihm werden ein Brunn, der ins
ewige Leben
(hier versprach ich mich, und sagte) quillet. Er
aber corrigirte mich und sagte: springet, springet. Wer nun
seine Gedancken so beysammen hat, daß er einem Gesunden noch
einhelfen und verbessern kan, bey dem ist wahrhaftig von keiner
Phantasie zu gedencken.

§. 40.

Der Sterbende war hiernächst beschäfftiget mit der Sorge
für die Kirche CHristi, und fing an: HErr, segne die Mißion in
Ost-Jndien und das löbliche Collegium. Jch begleitete dieses mit

einem

Thraͤnen: Aber endlich bringt das Jahr, wornach ſie ſich
ſehnen. Denn es kommt die Erndte-Zeit, da ſie Garben
machen. Denn wird all ihr Gram und Leid lauter Freud
und Lachen.
Er antwortete: Da haben Sie es ja. Er ſagte
auch: Es iſt eine groſſe Gnade GOttes, daß mein Weib nicht da
ſtehet und weinet, und meine Kinder heulen.

§. 39.

Man hat mich gefraget: Ob ich nicht an dem Sterbenden
einige Zeichen der durch die Hitze der Kranckheit verdorbenen
oder etwas in Unordnung gebrachten Phantaſie wahrgenom-
men? Jch kan aber nebſt allen Anweſenden mit Grund der
Wahrheit ſagen, daß ich dergleichen im geringſten nicht ange-
mercket. Denn man erwege, wo die Gedancken ſo ordentlich
ſind, daß ſie bey einer Materie in dem Zuſammenhang bleiben,
wo der Grundtext vorgebracht wird, wo eine ſo ſchoͤne Ap-
plication auf ſich ſelbſt gemacht wird, ob da auch das geringſte
Kennzeichen einer verderbten Phantaſie anzutreffen? Hier faͤllet
mir noch dieſes bey. Es ließ ſich der ſelige Mann zuweilen einen
Loͤffel friſch Waſſer geben, um ſich ein wenig zu erquicken. Jch
nahm Gelegenheit ihn der Worte CHriſti zu erinnern: Wer von
dieſem Waſſer trincket, den wird wieder duͤrſten. Wer aber
des Waſſers trincket, das ich ihm geben werde, den wird
in Ewigkeit nicht duͤrſten: ſondern das Waſſer, das ich ihm
geben werde, wird in ihm werden ein Brunn, der ins
ewige Leben
(hier verſprach ich mich, und ſagte) quillet. Er
aber corrigirte mich und ſagte: ſpringet, ſpringet. Wer nun
ſeine Gedancken ſo beyſammen hat, daß er einem Geſunden noch
einhelfen und verbeſſern kan, bey dem iſt wahrhaftig von keiner
Phantaſie zu gedencken.

§. 40.

Der Sterbende war hiernaͤchſt beſchaͤfftiget mit der Sorge
fuͤr die Kirche CHriſti, und fing an: HErr, ſegne die Mißion in
Oſt-Jndien und das loͤbliche Collegium. Jch begleitete dieſes mit

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[31/0031] Thraͤnen: Aber endlich bringt das Jahr, wornach ſie ſich ſehnen. Denn es kommt die Erndte-Zeit, da ſie Garben machen. Denn wird all ihr Gram und Leid lauter Freud und Lachen. Er antwortete: Da haben Sie es ja. Er ſagte auch: Es iſt eine groſſe Gnade GOttes, daß mein Weib nicht da ſtehet und weinet, und meine Kinder heulen. §. 39. Man hat mich gefraget: Ob ich nicht an dem Sterbenden einige Zeichen der durch die Hitze der Kranckheit verdorbenen oder etwas in Unordnung gebrachten Phantaſie wahrgenom- men? Jch kan aber nebſt allen Anweſenden mit Grund der Wahrheit ſagen, daß ich dergleichen im geringſten nicht ange- mercket. Denn man erwege, wo die Gedancken ſo ordentlich ſind, daß ſie bey einer Materie in dem Zuſammenhang bleiben, wo der Grundtext vorgebracht wird, wo eine ſo ſchoͤne Ap- plication auf ſich ſelbſt gemacht wird, ob da auch das geringſte Kennzeichen einer verderbten Phantaſie anzutreffen? Hier faͤllet mir noch dieſes bey. Es ließ ſich der ſelige Mann zuweilen einen Loͤffel friſch Waſſer geben, um ſich ein wenig zu erquicken. Jch nahm Gelegenheit ihn der Worte CHriſti zu erinnern: Wer von dieſem Waſſer trincket, den wird wieder duͤrſten. Wer aber des Waſſers trincket, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht duͤrſten: ſondern das Waſſer, das ich ihm geben werde, wird in ihm werden ein Brunn, der ins ewige Leben (hier verſprach ich mich, und ſagte) quillet. Er aber corrigirte mich und ſagte: ſpringet, ſpringet. Wer nun ſeine Gedancken ſo beyſammen hat, daß er einem Geſunden noch einhelfen und verbeſſern kan, bey dem iſt wahrhaftig von keiner Phantaſie zu gedencken. §. 40. Der Sterbende war hiernaͤchſt beſchaͤfftiget mit der Sorge fuͤr die Kirche CHriſti, und fing an: HErr, ſegne die Mißion in Oſt-Jndien und das loͤbliche Collegium. Jch begleitete dieſes mit einem

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Zitationshilfe: Schöttgen, Christian: Leben und letzte Stunden HERRN Christoph Theodosii Walthers. Halle, 1742, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/386596/31>, abgerufen am 23.04.2024.