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Schöttgen, Christian: Leben und letzte Stunden HERRN Christoph Theodosii Walthers. Halle, 1742.

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CXIX, 16. 24. Jch habe Lust zu deinen Rechten. Jch habe
Vergnügen an deinen Zeugnissen.
Dieses bestehet theils dar-
in, wenn man die weise Ordnung GOttes in dem Wege zur Selig-
keit betrachtet. Denn da findet sich allerdings viel Vergnügen,
theils wenn man eines nach dem andern entdecket, wie sich GOtt den
Menschen geoffenbaret: theils auch, wenn unser Gemüth der Hoff-
nung des ewigen Lebens versichert ist. Es giebt aber auch ein Ver-
gnügen über die Worte selbst, dergleichen die Gelehrten bey sich em-
pfinden, wenn sie die Grund-Sprachen des Heiligen Geistes unter-
suchen. Denn das ist freylich etwas angenehmes, wenn man wei-
ter sehen kan, als die Ubersetzung in der Mutter-Sprache gehet.
Zwar giebts einige, welche meinen, man müsse sich bey der Scha-
le nicht allzulang aufhalten, sondern gleich auf den Kern selbst ge-
hen. Allein sie solten doch bedencken, daß die Schale nicht umsonst
geschaffen. Jsts nicht wahr, daß man ein schön Obst auch der
Schale wegen liebet, und erst die Augen, hernach den Geschmack
damit vergnüget? Die Worte der heiligen Schrift sind gleichsam
die Windeln, in welchen das Kind JEsus eingewickelt und verwah-
ret wird. Und GOtt hat uns darin eine schöne Bemühung vorge-
legt, daß wir nach gnugsamer Untersuchung der Worte alsdenn
erst zur gründlichen Erkenntniß der Sachen selbst gelangen.

§. 5.

Dieses nennen die Gelehrten Philologiam sacram, ein heiliges
Liebhaben der Worte, oder, ein Liebhaben der heiligen, von GOtt
selbst eingegebenen Worte. Wer sich darin mehr, als andere, übet,
der wird ein grösserer Gottes-Gelehrter, wenn ihm auch gleich ein
paar Schock von Scholastischen Distinctiöngen nicht so gleich bey-
fielen oder gar abgingen. Denn GOttes Wort redet gewißlich
auch mit grossem Unterschied: und wer drauf Acht hat, der wird
solche Distinctionen gar bald zu machen wissen, wenn auch derglei-
chen nimmermehr auf der Welt gewesen wären. Diese schöne Be-
mühung und Wissenschaft hat ihren grossen Nutzen hier auf der
Welt zur Erbauung der Christlichen Kirche, sie hat aber auch ihren
Nutzen, wenns zum Sterben gehet. Das Exempel unsers seligen
Herrn Walthers, und das grosse Vergnügen, welches wir bey-
derseits gehabt, indem der Sterbende sich damit sehr aufgerichtet,

und
A 3

CXIX, 16. 24. Jch habe Luſt zu deinen Rechten. Jch habe
Vergnuͤgen an deinen Zeugniſſen.
Dieſes beſtehet theils dar-
in, wenn man die weiſe Ordnung GOttes in dem Wege zur Selig-
keit betrachtet. Denn da findet ſich allerdings viel Vergnuͤgen,
theils wenn man eines nach dem andern entdecket, wie ſich GOtt den
Menſchen geoffenbaret: theils auch, wenn unſer Gemuͤth der Hoff-
nung des ewigen Lebens verſichert iſt. Es giebt aber auch ein Ver-
gnuͤgen uͤber die Worte ſelbſt, dergleichen die Gelehrten bey ſich em-
pfinden, wenn ſie die Grund-Sprachen des Heiligen Geiſtes unter-
ſuchen. Denn das iſt freylich etwas angenehmes, wenn man wei-
ter ſehen kan, als die Uberſetzung in der Mutter-Sprache gehet.
Zwar giebts einige, welche meinen, man muͤſſe ſich bey der Scha-
le nicht allzulang aufhalten, ſondern gleich auf den Kern ſelbſt ge-
hen. Allein ſie ſolten doch bedencken, daß die Schale nicht umſonſt
geſchaffen. Jſts nicht wahr, daß man ein ſchoͤn Obſt auch der
Schale wegen liebet, und erſt die Augen, hernach den Geſchmack
damit vergnuͤget? Die Worte der heiligen Schrift ſind gleichſam
die Windeln, in welchen das Kind JEſus eingewickelt und verwah-
ret wird. Und GOtt hat uns darin eine ſchoͤne Bemuͤhung vorge-
legt, daß wir nach gnugſamer Unterſuchung der Worte alsdenn
erſt zur gruͤndlichen Erkenntniß der Sachen ſelbſt gelangen.

§. 5.

Dieſes nennen die Gelehrten Philologiam ſacram, ein heiliges
Liebhaben der Worte, oder, ein Liebhaben der heiligen, von GOtt
ſelbſt eingegebenen Worte. Wer ſich darin mehr, als andere, uͤbet,
der wird ein groͤſſerer Gottes-Gelehrter, wenn ihm auch gleich ein
paar Schock von Scholaſtiſchen Diſtinctioͤngen nicht ſo gleich bey-
fielen oder gar abgingen. Denn GOttes Wort redet gewißlich
auch mit groſſem Unterſchied: und wer drauf Acht hat, der wird
ſolche Diſtinctionen gar bald zu machen wiſſen, wenn auch derglei-
chen nimmermehr auf der Welt geweſen waͤren. Dieſe ſchoͤne Be-
muͤhung und Wiſſenſchaft hat ihren groſſen Nutzen hier auf der
Welt zur Erbauung der Chriſtlichen Kirche, ſie hat aber auch ihren
Nutzen, wenns zum Sterben gehet. Das Exempel unſers ſeligen
Herrn Walthers, und das groſſe Vergnuͤgen, welches wir bey-
derſeits gehabt, indem der Sterbende ſich damit ſehr aufgerichtet,

und
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Zitationshilfe: Schöttgen, Christian: Leben und letzte Stunden HERRN Christoph Theodosii Walthers. Halle, 1742, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/386596/5>, abgerufen am 29.03.2024.