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Alapin, Simon: Zum Kapitel Frauen-Wahlrecht. Heidelberg, 1917.

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zwingen. Da kann auf die so künstlich zugerichtete Presse
als auf eine angeblich wahrheitsgetreue Abspiegelung der
Wandlungen der wirklichen öffentlichen Meinung natür-
lich schon gar kein Verlass mehr sein. Denn in solchen
Fällen hören die jeweiligen Machthaber in den Pressestim-
men im wesentlichen eigentlich nur das Echo der von
ihnen selbst ausgegebenen Direktiven. Wie täuschend
dieses Echo sein kann, hat man ganz unlängst bei den
Machthabern des früheren Regimes in Russland gesehen,
wo man auf Grund des geschilderten selbsttäuschenden
Echos von der unbedingten Treue der Beamten, der Gene-
räle, der Offiziere, der Armee, der Geistlichkeit, der Leh-
rer, Professoren, Journalisten etc. überzeugt war, und wo,
als es zum Klappen kam, ein ganz anderes Bild der wirk-
lichen
öffentlichen Meinung sich plötzlich heraussstellte,
so dass die Zauberwandlung der politischen Dekorationen
sich sogar fast unblutig vollzog und das alte Regime so
gut wie widerstandslos in die Versenkung der politischen
Bühne verschwand. Nie könnte es so weit und so uner-
wartet überraschend für die russischen Machthaber kom-
men, wenn das russische Parlament, so wenig Machtbefug-
nisse es auch hatte, wenigstens ohne Druck und Fälschung
der Wahlen auf Grund eines Wahlrechtes zusammenge-
stellt sein würde, welches die tatsächlich vorhanden gewe-
senen politischen Strömungen der russischen Volksseele in
wahrheitsgetreuen und zur zahlenmässigen Messung ge-
eigneten Proportionen zum offenen Ausdruck brin-
gen könnte. Denn dann hätten ja die Goremykins, Goiit-
zyns, Protopopows et tutti quanti doch gewusst, dass
alle ihre Rechnungen auf die angebliche Treue der Bajo-
nette längst hinfällig geworden waren. Sie hätten also we-
nigstens Gelegenheit gehabt, die üblichen siebenmeter-
hohen Schlagworte der Vorschriftenmoral, deren Nimbus
in der Volksseele verschwunden war, durch rechtzei-

zwingen. Da kann auf die so künstlich zugerichtete Presse
als auf eine angeblich wahrheitsgetreue Abspiegelung der
Wandlungen der wirklichen öffentlichen Meinung natür-
lich schon gar kein Verlass mehr sein. Denn in solchen
Fällen hören die jeweiligen Machthaber in den Pressestim-
men im wesentlichen eigentlich nur das Echo der von
ihnen selbst ausgegebenen Direktiven. Wie täuschend
dieses Echo sein kann, hat man ganz unlängst bei den
Machthabern des früheren Regimes in Russland gesehen,
wo man auf Grund des geschilderten selbsttäuschenden
Echos von der unbedingten Treue der Beamten, der Gene-
räle, der Offiziere, der Armee, der Geistlichkeit, der Leh-
rer, Professoren, Journalisten etc. überzeugt war, und wo,
als es zum Klappen kam, ein ganz anderes Bild der wirk-
lichen
öffentlichen Meinung sich plötzlich heraussstellte,
so dass die Zauberwandlung der politischen Dekorationen
sich sogar fast unblutig vollzog und das alte Regime so
gut wie widerstandslos in die Versenkung der politischen
Bühne verschwand. Nie könnte es so weit und so uner-
wartet überraschend für die russischen Machthaber kom-
men, wenn das russische Parlament, so wenig Machtbefug-
nisse es auch hatte, wenigstens ohne Druck und Fälschung
der Wahlen auf Grund eines Wahlrechtes zusammenge-
stellt sein würde, welches die tatsächlich vorhanden gewe-
senen politischen Strömungen der russischen Volksseele in
wahrheitsgetreuen und zur zahlenmässigen Messung ge-
eigneten Proportionen zum offenen Ausdruck brin-
gen könnte. Denn dann hätten ja die Goremykins, Goiit-
zyns, Protopopows et tutti quanti doch gewusst, dass
alle ihre Rechnungen auf die angebliche Treue der Bajo-
nette längst hinfällig geworden waren. Sie hätten also we-
nigstens Gelegenheit gehabt, die üblichen siebenmeter-
hohen Schlagworte der Vorschriftenmoral, deren Nimbus
in der Volksseele verschwunden war, durch rechtzei-

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[6/0008] zwingen. Da kann auf die so künstlich zugerichtete Presse als auf eine angeblich wahrheitsgetreue Abspiegelung der Wandlungen der wirklichen öffentlichen Meinung natür- lich schon gar kein Verlass mehr sein. Denn in solchen Fällen hören die jeweiligen Machthaber in den Pressestim- men im wesentlichen eigentlich nur das Echo der von ihnen selbst ausgegebenen Direktiven. Wie täuschend dieses Echo sein kann, hat man ganz unlängst bei den Machthabern des früheren Regimes in Russland gesehen, wo man auf Grund des geschilderten selbsttäuschenden Echos von der unbedingten Treue der Beamten, der Gene- räle, der Offiziere, der Armee, der Geistlichkeit, der Leh- rer, Professoren, Journalisten etc. überzeugt war, und wo, als es zum Klappen kam, ein ganz anderes Bild der wirk- lichen öffentlichen Meinung sich plötzlich heraussstellte, so dass die Zauberwandlung der politischen Dekorationen sich sogar fast unblutig vollzog und das alte Regime so gut wie widerstandslos in die Versenkung der politischen Bühne verschwand. Nie könnte es so weit und so uner- wartet überraschend für die russischen Machthaber kom- men, wenn das russische Parlament, so wenig Machtbefug- nisse es auch hatte, wenigstens ohne Druck und Fälschung der Wahlen auf Grund eines Wahlrechtes zusammenge- stellt sein würde, welches die tatsächlich vorhanden gewe- senen politischen Strömungen der russischen Volksseele in wahrheitsgetreuen und zur zahlenmässigen Messung ge- eigneten Proportionen zum offenen Ausdruck brin- gen könnte. Denn dann hätten ja die Goremykins, Goiit- zyns, Protopopows et tutti quanti doch gewusst, dass alle ihre Rechnungen auf die angebliche Treue der Bajo- nette längst hinfällig geworden waren. Sie hätten also we- nigstens Gelegenheit gehabt, die üblichen siebenmeter- hohen Schlagworte der Vorschriftenmoral, deren Nimbus in der Volksseele verschwunden war, durch rechtzei-

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Zitationshilfe: Alapin, Simon: Zum Kapitel Frauen-Wahlrecht. Heidelberg, 1917, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alapin_kapitel_1917/8>, abgerufen am 29.03.2024.