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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

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finstrer. So trat auch bei uns mit dem Herbste ein
gewisser Trübsinn ein, indem wir umsonst unsre Kräfte
und Zeit verschwendet sahen. Die Jüngsten, nunmehr
ungeduldig, verzweifelten fast an eine jemalige Heim-
kehr. Das feste Givet trotzte an der Maas schon Mo-
nate lang den Belagerern, und der Vorpostendienst, zu
welchem die Jäger vorzüglich gebraucht wurden, schien
von Woche zu Woche beschwerlicher. Wir hörten, daß
unsere Kameraden zum Theil in Paris sich des schnellen
Sieges freuten, zum Theil schon in ihre Heimath ent-
lassen wären. Es war daher nicht zu verdenken, wenn
die ganze Unterhaltung der Freiwilligen im Lager und
auf dem Posten sich um unsre endliche Erlösung be-
wegte.

So stand ich am Abende eines trüben September-
tages, auf meine Büchse gestützt, allein auf einem äußer-
sten Vorposten. Die Sonne war untergegangen, und
ich sah, von meinem Versteck aus, von ihren letzten
Strahlen matt beschienen die Felsen und Mauern der
hohen Citadelle Charlemont, während ein Herbstnebel
die tiefere Stadt Givet und die zu meiner Rechten vor-
überfließende Maas verhüllte. Der Wind wehte mir
welke Blätter entgegen, und auch meine Gedanken wa-
ren auf den Hinfall aller Dinge gerichtet. Es giebt
in der Jugend, wenn sie zuerst zum Bewußtsein er-
wacht, Perioden, wo man gern in einer melancholischen

finſtrer. So trat auch bei uns mit dem Herbſte ein
gewiſſer Trübſinn ein, indem wir umſonſt unſre Kräfte
und Zeit verſchwendet ſahen. Die Jüngſten, nunmehr
ungeduldig, verzweifelten faſt an eine jemalige Heim-
kehr. Das feſte Givet trotzte an der Maas ſchon Mo-
nate lang den Belagerern, und der Vorpoſtendienſt, zu
welchem die Jäger vorzüglich gebraucht wurden, ſchien
von Woche zu Woche beſchwerlicher. Wir hörten, daß
unſere Kameraden zum Theil in Paris ſich des ſchnellen
Sieges freuten, zum Theil ſchon in ihre Heimath ent-
laſſen wären. Es war daher nicht zu verdenken, wenn
die ganze Unterhaltung der Freiwilligen im Lager und
auf dem Poſten ſich um unſre endliche Erlöſung be-
wegte.

So ſtand ich am Abende eines trüben September-
tages, auf meine Büchſe geſtützt, allein auf einem äußer-
ſten Vorpoſten. Die Sonne war untergegangen, und
ich ſah, von meinem Verſteck aus, von ihren letzten
Strahlen matt beſchienen die Felſen und Mauern der
hohen Citadelle Charlemont, während ein Herbſtnebel
die tiefere Stadt Givet und die zu meiner Rechten vor-
überfließende Maas verhüllte. Der Wind wehte mir
welke Blätter entgegen, und auch meine Gedanken wa-
ren auf den Hinfall aller Dinge gerichtet. Es giebt
in der Jugend, wenn ſie zuerſt zum Bewußtſein er-
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[0009] finſtrer. So trat auch bei uns mit dem Herbſte ein gewiſſer Trübſinn ein, indem wir umſonſt unſre Kräfte und Zeit verſchwendet ſahen. Die Jüngſten, nunmehr ungeduldig, verzweifelten faſt an eine jemalige Heim- kehr. Das feſte Givet trotzte an der Maas ſchon Mo- nate lang den Belagerern, und der Vorpoſtendienſt, zu welchem die Jäger vorzüglich gebraucht wurden, ſchien von Woche zu Woche beſchwerlicher. Wir hörten, daß unſere Kameraden zum Theil in Paris ſich des ſchnellen Sieges freuten, zum Theil ſchon in ihre Heimath ent- laſſen wären. Es war daher nicht zu verdenken, wenn die ganze Unterhaltung der Freiwilligen im Lager und auf dem Poſten ſich um unſre endliche Erlöſung be- wegte. So ſtand ich am Abende eines trüben September- tages, auf meine Büchſe geſtützt, allein auf einem äußer- ſten Vorpoſten. Die Sonne war untergegangen, und ich ſah, von meinem Verſteck aus, von ihren letzten Strahlen matt beſchienen die Felſen und Mauern der hohen Citadelle Charlemont, während ein Herbſtnebel die tiefere Stadt Givet und die zu meiner Rechten vor- überfließende Maas verhüllte. Der Wind wehte mir welke Blätter entgegen, und auch meine Gedanken wa- ren auf den Hinfall aller Dinge gerichtet. Es giebt in der Jugend, wenn ſie zuerſt zum Bewußtſein er- wacht, Perioden, wo man gern in einer melancholiſchen

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/9>, abgerufen am 28.03.2024.