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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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das Gericht; danach kamen die gallischen Räuberschaaren mit Mann und Roß; und es half uns nichts, daß wir ihre Büchlein so fleißig studirt und ihre Sprache so manierlich parlirten. Sie schlugen uns mit der eisernen Zuchtruthe, machten die Pfalzen unserer Fürsten zu Casernen und unsere Gotteshäuser zu Pferdeställen. Ha! wenn ich denke -- --

Um Gotteswillen, junger Mann, unterbrach ich ihn mit flehender Stimme, mäßigen Sie Ihre Hitze!

Er sah mich verächtlich an: Mäßige sich, wer da mag; ich kann nicht schweigen, wo die Steine schreien möchten. Ja, Mäßigung! das ist immer die Lösung der Philister in Zeiten der Schmach! -- Verbindet euch das Maul, daß ihm keine Klage entschlüpfe, kein Stoßgebet für das entweihte Vaterland! -- Macht euren Henkern ein freundliches Gesicht, küßt ihnen die Hände, mit denen sie euch geißeln! -- Baut ihrem Oberhaupt Ehrensäulen und macht Hymnen auf eure Niederlagen! Glaubt mir, Freund, wenn Alle so dächten und redeten, wie diese klugen Leute, so käme nie ein Tag der Erlösung.

Ich war in der peinlichsten Verlegenheit; ich hätte den kühnen Sprecher umarmen mögen; ich fühlte mich beschämt über die Meinung, welche ich bei ihm erweckt hatte; mehr als einmal öffnete ich den Mund, um ihn vom Gegentheil zu überzeugen. Aber nein! die Ueberlegung siegte. Lieber eine Weile verkannt werden, dacht' ich, als zwei Menschenleben für nichts und wieder nichts gefährden! Ich durfte ihn nicht noch tiefer in so gefährliche Reden verstricken. Ich warf mich daher, ohne zu antworten, in meine Wagenecke zurück und machte Miene, zu schlafen. Er schwieg nun ebenfalls, und ich athmete freier.

Inzwischen hielt unsere Kutsche; wir waren bei der ersten Station angelangt. Ein mit der Laterne vorleuchtender Hausknecht führte uns in ein Wirthszimmer, in welchem eine behagliche Wärme meine fröstelnden

das Gericht; danach kamen die gallischen Räuberschaaren mit Mann und Roß; und es half uns nichts, daß wir ihre Büchlein so fleißig studirt und ihre Sprache so manierlich parlirten. Sie schlugen uns mit der eisernen Zuchtruthe, machten die Pfalzen unserer Fürsten zu Casernen und unsere Gotteshäuser zu Pferdeställen. Ha! wenn ich denke — —

Um Gotteswillen, junger Mann, unterbrach ich ihn mit flehender Stimme, mäßigen Sie Ihre Hitze!

Er sah mich verächtlich an: Mäßige sich, wer da mag; ich kann nicht schweigen, wo die Steine schreien möchten. Ja, Mäßigung! das ist immer die Lösung der Philister in Zeiten der Schmach! — Verbindet euch das Maul, daß ihm keine Klage entschlüpfe, kein Stoßgebet für das entweihte Vaterland! — Macht euren Henkern ein freundliches Gesicht, küßt ihnen die Hände, mit denen sie euch geißeln! — Baut ihrem Oberhaupt Ehrensäulen und macht Hymnen auf eure Niederlagen! Glaubt mir, Freund, wenn Alle so dächten und redeten, wie diese klugen Leute, so käme nie ein Tag der Erlösung.

Ich war in der peinlichsten Verlegenheit; ich hätte den kühnen Sprecher umarmen mögen; ich fühlte mich beschämt über die Meinung, welche ich bei ihm erweckt hatte; mehr als einmal öffnete ich den Mund, um ihn vom Gegentheil zu überzeugen. Aber nein! die Ueberlegung siegte. Lieber eine Weile verkannt werden, dacht' ich, als zwei Menschenleben für nichts und wieder nichts gefährden! Ich durfte ihn nicht noch tiefer in so gefährliche Reden verstricken. Ich warf mich daher, ohne zu antworten, in meine Wagenecke zurück und machte Miene, zu schlafen. Er schwieg nun ebenfalls, und ich athmete freier.

Inzwischen hielt unsere Kutsche; wir waren bei der ersten Station angelangt. Ein mit der Laterne vorleuchtender Hausknecht führte uns in ein Wirthszimmer, in welchem eine behagliche Wärme meine fröstelnden

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/14>, abgerufen am 29.03.2024.