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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Pah, wenn sie 1806 der preußische Corporalstock nicht unbesiegbar machen konnte, so werden es Hirngespinnste erst recht nicht. -- Nun, hier in der Gegend hat es, Gottlob! nichts zu sagen; wir sehen hier täglich französische und andere Truppen durchmarschiren, nach der Elbe zu, um die kaiserliche Armee zu verstärken. Dieser Anblick hat für die Ideologen und Hitzkopfe etwas ungemein Abkühlendes. Aber jenseit der Elbe -- in Preußen sollen die Menschen wie toll sein -- besonders die Studenten und Turner. Wenn sie noch wüßten, wofür sie sich schlügen!

Das wissen sie sehr wohl.

Wirklich? -- Ich meines Theils weiß es nicht. Wenn Sie mich darüber belehren können, werd' ich Ihnen sehr obligirt sein.

Wie? leugnen Sie etwa, daß wir unter dem schmählichsten Joch schmachten? daß unsre nationalen Heiligthumer bedroht sind, wie damals, als Varus mit seinen Legionen in unsern Gauen stand? daß es gilt, den blutgierigsten Tyrannen -- --

Halten Sie ein, junger Mann! unterbrach mich der Amtmann ängstlich; wenn ich Ihnen rathen soll, hüten Sie Ihre Zunge. Solche Reden können Ihnen den Kopf kosten und mich, wenn ich sie anhöre, compromittiren.

Sie können unsre Tyrannei nicht beredter schildern, als mit dieser Bemerkung, sagte ich lächelnd.

Wie so? versetzte er; nennen Sie es Tyrannei, daß hochverrätherische Reden verboten sind? Das war immer so, das war vor der westphälischen Regierung noch weit schlimmer. Tyrannen -- wenn Sie die, welche uns regieren, so tituliren wollen -- hat es von jeher gegeben und wird es immer geben. Das ist einmal so geordnet. Ich für mein Theil will nun lieber en gros, als im Kleinen tyrannisirt werden. Wenn auf viele Millionen ein Tyrann kommt, so ist das leichter zu tragen, als wenn auf eine Million viele Tyrannen

Pah, wenn sie 1806 der preußische Corporalstock nicht unbesiegbar machen konnte, so werden es Hirngespinnste erst recht nicht. — Nun, hier in der Gegend hat es, Gottlob! nichts zu sagen; wir sehen hier täglich französische und andere Truppen durchmarschiren, nach der Elbe zu, um die kaiserliche Armee zu verstärken. Dieser Anblick hat für die Ideologen und Hitzkopfe etwas ungemein Abkühlendes. Aber jenseit der Elbe — in Preußen sollen die Menschen wie toll sein — besonders die Studenten und Turner. Wenn sie noch wüßten, wofür sie sich schlügen!

Das wissen sie sehr wohl.

Wirklich? — Ich meines Theils weiß es nicht. Wenn Sie mich darüber belehren können, werd' ich Ihnen sehr obligirt sein.

Wie? leugnen Sie etwa, daß wir unter dem schmählichsten Joch schmachten? daß unsre nationalen Heiligthumer bedroht sind, wie damals, als Varus mit seinen Legionen in unsern Gauen stand? daß es gilt, den blutgierigsten Tyrannen — —

Halten Sie ein, junger Mann! unterbrach mich der Amtmann ängstlich; wenn ich Ihnen rathen soll, hüten Sie Ihre Zunge. Solche Reden können Ihnen den Kopf kosten und mich, wenn ich sie anhöre, compromittiren.

Sie können unsre Tyrannei nicht beredter schildern, als mit dieser Bemerkung, sagte ich lächelnd.

Wie so? versetzte er; nennen Sie es Tyrannei, daß hochverrätherische Reden verboten sind? Das war immer so, das war vor der westphälischen Regierung noch weit schlimmer. Tyrannen — wenn Sie die, welche uns regieren, so tituliren wollen — hat es von jeher gegeben und wird es immer geben. Das ist einmal so geordnet. Ich für mein Theil will nun lieber en gros, als im Kleinen tyrannisirt werden. Wenn auf viele Millionen ein Tyrann kommt, so ist das leichter zu tragen, als wenn auf eine Million viele Tyrannen

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[0042] Pah, wenn sie 1806 der preußische Corporalstock nicht unbesiegbar machen konnte, so werden es Hirngespinnste erst recht nicht. — Nun, hier in der Gegend hat es, Gottlob! nichts zu sagen; wir sehen hier täglich französische und andere Truppen durchmarschiren, nach der Elbe zu, um die kaiserliche Armee zu verstärken. Dieser Anblick hat für die Ideologen und Hitzkopfe etwas ungemein Abkühlendes. Aber jenseit der Elbe — in Preußen sollen die Menschen wie toll sein — besonders die Studenten und Turner. Wenn sie noch wüßten, wofür sie sich schlügen! Das wissen sie sehr wohl. Wirklich? — Ich meines Theils weiß es nicht. Wenn Sie mich darüber belehren können, werd' ich Ihnen sehr obligirt sein. Wie? leugnen Sie etwa, daß wir unter dem schmählichsten Joch schmachten? daß unsre nationalen Heiligthumer bedroht sind, wie damals, als Varus mit seinen Legionen in unsern Gauen stand? daß es gilt, den blutgierigsten Tyrannen — — Halten Sie ein, junger Mann! unterbrach mich der Amtmann ängstlich; wenn ich Ihnen rathen soll, hüten Sie Ihre Zunge. Solche Reden können Ihnen den Kopf kosten und mich, wenn ich sie anhöre, compromittiren. Sie können unsre Tyrannei nicht beredter schildern, als mit dieser Bemerkung, sagte ich lächelnd. Wie so? versetzte er; nennen Sie es Tyrannei, daß hochverrätherische Reden verboten sind? Das war immer so, das war vor der westphälischen Regierung noch weit schlimmer. Tyrannen — wenn Sie die, welche uns regieren, so tituliren wollen — hat es von jeher gegeben und wird es immer geben. Das ist einmal so geordnet. Ich für mein Theil will nun lieber en gros, als im Kleinen tyrannisirt werden. Wenn auf viele Millionen ein Tyrann kommt, so ist das leichter zu tragen, als wenn auf eine Million viele Tyrannen

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/42>, abgerufen am 19.04.2024.