Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht gestatten, ihn auf einer so gefahrvollen Bahn zu begleiten. Er veranlaßte sie zu einem Besuch bei dem Gatten seiner verstorbenen Schwester, dem Amtmann O., mit dem Versprechen, sie vor seiner Abreise dort noch zu sehen, da er selbst mit dem Amtmann Geldangelegenheiten zu ordnen habe. Möchte sein Versprechen auch ernstlich-gemeint sein, bei der Trennung übermannte ihn eine seinem strengen Wesen ungewohnte Rührung, und als er sein Kind in den Wagen hob und sie noch eimnal an seine Brust drückte, waren seine Augen von Thränen umflossen. Vielleicht, daß ihm eine Ahnung sagte, daß es für das letzte Mal sei. In einem kurzen Briefe sagte er dem Fräulein Lebewohl und befahl ihr, bis zu weitern Nachrichten bei dem Amtmann zu bleiben und sich möglichst in seine Launen und Eigenheiten zu fügen, da er ihr kein anderes Asyl zu bieten wisse. Es waren die letzten Zeilen, die sie von seiner Hand empfing. Der schicksalsreiche Winter verfloß in ängstlicher Erwartung; gegen Ende desselben erhielt das Fräulein durch Mittheilung gefangener Officiere die Trauerkunde, daß der Major in der Schlacht bei Borodino den Heldentod gefunden.

Erzählte Leiden bilden zwischen den sich mittheilenden Personen ein stilles, starkes Band. Der träuliche Verkehr mit dem schwergeprüften jungen Mädchen, obwohl auf seltene, karg zugemessene Augenblicke beschränkt, versöhnte mich mit den vielen Unannehmlichkeiten meiner Stellung, welche mir besonders durch den Despotismus und das mürrische Wesen des Amtmanns erschwert wurde. Die ganze Natur dieses Mannes ruhte auf einem naiven Egoismus. Alle Dinge der Welt beurtheilte er nach den Einflüssen, welche dieselben auf seine Person äußerten, oder möglicher Weise äußern konnten. Er gefiel sich in seinem einträglichen Besitz und dem ruhigen Wachsthum seiner irdischen Güter, welche er auf seine Weise genoß, und haßte Alles, was ihn darin zu beunruhigen oder zu schmälern drohte.

nicht gestatten, ihn auf einer so gefahrvollen Bahn zu begleiten. Er veranlaßte sie zu einem Besuch bei dem Gatten seiner verstorbenen Schwester, dem Amtmann O., mit dem Versprechen, sie vor seiner Abreise dort noch zu sehen, da er selbst mit dem Amtmann Geldangelegenheiten zu ordnen habe. Möchte sein Versprechen auch ernstlich-gemeint sein, bei der Trennung übermannte ihn eine seinem strengen Wesen ungewohnte Rührung, und als er sein Kind in den Wagen hob und sie noch eimnal an seine Brust drückte, waren seine Augen von Thränen umflossen. Vielleicht, daß ihm eine Ahnung sagte, daß es für das letzte Mal sei. In einem kurzen Briefe sagte er dem Fräulein Lebewohl und befahl ihr, bis zu weitern Nachrichten bei dem Amtmann zu bleiben und sich möglichst in seine Launen und Eigenheiten zu fügen, da er ihr kein anderes Asyl zu bieten wisse. Es waren die letzten Zeilen, die sie von seiner Hand empfing. Der schicksalsreiche Winter verfloß in ängstlicher Erwartung; gegen Ende desselben erhielt das Fräulein durch Mittheilung gefangener Officiere die Trauerkunde, daß der Major in der Schlacht bei Borodino den Heldentod gefunden.

Erzählte Leiden bilden zwischen den sich mittheilenden Personen ein stilles, starkes Band. Der träuliche Verkehr mit dem schwergeprüften jungen Mädchen, obwohl auf seltene, karg zugemessene Augenblicke beschränkt, versöhnte mich mit den vielen Unannehmlichkeiten meiner Stellung, welche mir besonders durch den Despotismus und das mürrische Wesen des Amtmanns erschwert wurde. Die ganze Natur dieses Mannes ruhte auf einem naiven Egoismus. Alle Dinge der Welt beurtheilte er nach den Einflüssen, welche dieselben auf seine Person äußerten, oder möglicher Weise äußern konnten. Er gefiel sich in seinem einträglichen Besitz und dem ruhigen Wachsthum seiner irdischen Güter, welche er auf seine Weise genoß, und haßte Alles, was ihn darin zu beunruhigen oder zu schmälern drohte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049"/>
nicht gestatten, ihn auf einer so gefahrvollen Bahn zu begleiten. Er veranlaßte sie zu      einem Besuch bei dem Gatten seiner verstorbenen Schwester, dem Amtmann O., mit dem Versprechen,      sie vor seiner Abreise dort noch zu sehen, da er selbst mit dem Amtmann Geldangelegenheiten zu      ordnen habe. Möchte sein Versprechen auch ernstlich-gemeint sein, bei der Trennung übermannte      ihn eine seinem strengen Wesen ungewohnte Rührung, und als er sein Kind in den Wagen hob und      sie noch eimnal an seine Brust drückte, waren seine Augen von Thränen umflossen. Vielleicht,      daß ihm eine Ahnung sagte, daß es für das letzte Mal sei. In einem kurzen Briefe sagte er dem      Fräulein Lebewohl und befahl ihr, bis zu weitern Nachrichten bei dem Amtmann zu bleiben und      sich möglichst in seine Launen und Eigenheiten zu fügen, da er ihr kein anderes Asyl zu bieten      wisse. Es waren die letzten Zeilen, die sie von seiner Hand empfing. Der schicksalsreiche      Winter verfloß in ängstlicher Erwartung; gegen Ende desselben erhielt das Fräulein durch      Mittheilung gefangener Officiere die Trauerkunde, daß der Major in der Schlacht bei Borodino      den Heldentod gefunden. </p><lb/>
        <p>Erzählte Leiden bilden zwischen den sich mittheilenden Personen ein stilles, starkes Band.      Der träuliche Verkehr mit dem schwergeprüften jungen Mädchen, obwohl auf seltene, karg      zugemessene Augenblicke beschränkt, versöhnte mich mit den vielen Unannehmlichkeiten meiner      Stellung, welche mir besonders durch den Despotismus und das mürrische Wesen des Amtmanns      erschwert wurde. Die ganze Natur dieses Mannes ruhte auf einem naiven Egoismus. Alle Dinge der      Welt beurtheilte er nach den Einflüssen, welche dieselben auf seine Person äußerten, oder      möglicher Weise äußern konnten. Er gefiel sich in seinem einträglichen Besitz und dem ruhigen      Wachsthum seiner irdischen Güter, welche er auf seine Weise genoß, und haßte Alles, was ihn      darin zu beunruhigen oder zu schmälern drohte.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] nicht gestatten, ihn auf einer so gefahrvollen Bahn zu begleiten. Er veranlaßte sie zu einem Besuch bei dem Gatten seiner verstorbenen Schwester, dem Amtmann O., mit dem Versprechen, sie vor seiner Abreise dort noch zu sehen, da er selbst mit dem Amtmann Geldangelegenheiten zu ordnen habe. Möchte sein Versprechen auch ernstlich-gemeint sein, bei der Trennung übermannte ihn eine seinem strengen Wesen ungewohnte Rührung, und als er sein Kind in den Wagen hob und sie noch eimnal an seine Brust drückte, waren seine Augen von Thränen umflossen. Vielleicht, daß ihm eine Ahnung sagte, daß es für das letzte Mal sei. In einem kurzen Briefe sagte er dem Fräulein Lebewohl und befahl ihr, bis zu weitern Nachrichten bei dem Amtmann zu bleiben und sich möglichst in seine Launen und Eigenheiten zu fügen, da er ihr kein anderes Asyl zu bieten wisse. Es waren die letzten Zeilen, die sie von seiner Hand empfing. Der schicksalsreiche Winter verfloß in ängstlicher Erwartung; gegen Ende desselben erhielt das Fräulein durch Mittheilung gefangener Officiere die Trauerkunde, daß der Major in der Schlacht bei Borodino den Heldentod gefunden. Erzählte Leiden bilden zwischen den sich mittheilenden Personen ein stilles, starkes Band. Der träuliche Verkehr mit dem schwergeprüften jungen Mädchen, obwohl auf seltene, karg zugemessene Augenblicke beschränkt, versöhnte mich mit den vielen Unannehmlichkeiten meiner Stellung, welche mir besonders durch den Despotismus und das mürrische Wesen des Amtmanns erschwert wurde. Die ganze Natur dieses Mannes ruhte auf einem naiven Egoismus. Alle Dinge der Welt beurtheilte er nach den Einflüssen, welche dieselben auf seine Person äußerten, oder möglicher Weise äußern konnten. Er gefiel sich in seinem einträglichen Besitz und dem ruhigen Wachsthum seiner irdischen Güter, welche er auf seine Weise genoß, und haßte Alles, was ihn darin zu beunruhigen oder zu schmälern drohte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/49
Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/49>, abgerufen am 19.04.2024.