Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

geprest zu haben, so fiel mein Blick auf neue, bisher übersehene Concurrenten, welche mir würdiger als manche der verpackten erschienen. Da stritt sich Plato mit Moosheim, Sophokles und Homer mit dem würdigen Klopstock, das Heidenthum mit dem Christenthum, Römer mit Griechen und Franzosen; alle Sprachen und Nationen kämpften um den engen Raum.

Da kam zum Glück als Deus ex machina zur Auflösung dieses tragischen Conflicts der Postknecht, um meinen Koffer abzuholen mit der Mahnung: ich möge mich beeilen, die Pferde würden schon angespannt. Nun packt' ich rasch, ohne Wahl, in halber Verzweiflung Alles, was zunächst lag, in diesen literarischen Noahkasten; die profane Hand des Postmercurs half mit verwünschter Dienstfertigkeit, den Proces zu beschleunigen. Klapp! flog der Deckel in das Schloß des Koffers und dieser auf den Schultern des Kerls zum Hause hinaus. Ich prüfte möglichst schnell meine Toilette, stopfte meine Pfeife, revidirte meine Taschen, in deren Lücken ich noch einige Bände klemmte, warf einen letzten wehmüthigen Abschiedsblick in die so langbewohnten, theuren -- nun schon halb verödeten Räume und eilte seufzend hinaus.

Vor dem Postgebäude fand ich einen von außen nicht sehr einladenden Beiwagen bereits meiner harrend und neben demselben den Professor H., meinen würdigen Lehrer und Gönner, dessen gütiger Empfehlung ich die Hauslehrerstelle verdankte, der ich entgegen fuhr. Ein letzter Händedruck, einige gerührte Dankes- und Abschiedsworte von meiner, einige mehr geflüsterte als gesprochene Warnungen vor freisinnigen Reden, französischen Spionen u. s. w. von seiner Seite, das war Alles, was der Augenblick gestattete; ich stieg -- stürzte vielmehr in den Wagen; das Posthorn tönte, und fort rollten wir.

Ich will Sie, andächtige Zuhörer, mit den Rührungen verschonen, mit welchen ein armer Candidat auf immer

geprest zu haben, so fiel mein Blick auf neue, bisher übersehene Concurrenten, welche mir würdiger als manche der verpackten erschienen. Da stritt sich Plato mit Moosheim, Sophokles und Homer mit dem würdigen Klopstock, das Heidenthum mit dem Christenthum, Römer mit Griechen und Franzosen; alle Sprachen und Nationen kämpften um den engen Raum.

Da kam zum Glück als Deus ex machina zur Auflösung dieses tragischen Conflicts der Postknecht, um meinen Koffer abzuholen mit der Mahnung: ich möge mich beeilen, die Pferde würden schon angespannt. Nun packt' ich rasch, ohne Wahl, in halber Verzweiflung Alles, was zunächst lag, in diesen literarischen Noahkasten; die profane Hand des Postmercurs half mit verwünschter Dienstfertigkeit, den Proces zu beschleunigen. Klapp! flog der Deckel in das Schloß des Koffers und dieser auf den Schultern des Kerls zum Hause hinaus. Ich prüfte möglichst schnell meine Toilette, stopfte meine Pfeife, revidirte meine Taschen, in deren Lücken ich noch einige Bände klemmte, warf einen letzten wehmüthigen Abschiedsblick in die so langbewohnten, theuren — nun schon halb verödeten Räume und eilte seufzend hinaus.

Vor dem Postgebäude fand ich einen von außen nicht sehr einladenden Beiwagen bereits meiner harrend und neben demselben den Professor H., meinen würdigen Lehrer und Gönner, dessen gütiger Empfehlung ich die Hauslehrerstelle verdankte, der ich entgegen fuhr. Ein letzter Händedruck, einige gerührte Dankes- und Abschiedsworte von meiner, einige mehr geflüsterte als gesprochene Warnungen vor freisinnigen Reden, französischen Spionen u. s. w. von seiner Seite, das war Alles, was der Augenblick gestattete; ich stieg — stürzte vielmehr in den Wagen; das Posthorn tönte, und fort rollten wir.

Ich will Sie, andächtige Zuhörer, mit den Rührungen verschonen, mit welchen ein armer Candidat auf immer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0009"/>
geprest zu haben, so fiel mein Blick auf neue,      bisher übersehene Concurrenten, welche mir würdiger als manche der verpackten erschienen. Da      stritt sich Plato mit Moosheim, Sophokles und Homer mit dem würdigen Klopstock, das Heidenthum      mit dem Christenthum, Römer mit Griechen und Franzosen; alle Sprachen und Nationen kämpften um      den engen Raum.</p><lb/>
        <p>Da kam zum Glück als <hi rendition="#aq">Deus ex machina</hi> zur Auflösung dieses tragischen Conflicts der      Postknecht, um meinen Koffer abzuholen mit der Mahnung: ich möge mich beeilen, die Pferde      würden schon angespannt. Nun packt' ich rasch, ohne Wahl, in halber Verzweiflung Alles, was      zunächst lag, in diesen literarischen Noahkasten; die profane Hand des Postmercurs half mit      verwünschter Dienstfertigkeit, den Proces zu beschleunigen. Klapp! flog der Deckel in das Schloß des Koffers und dieser auf den Schultern des Kerls zum      Hause hinaus. Ich prüfte möglichst schnell meine Toilette, stopfte meine Pfeife, revidirte      meine Taschen, in deren Lücken ich noch einige Bände klemmte, warf einen letzten wehmüthigen      Abschiedsblick in die so langbewohnten, theuren &#x2014; nun schon halb verödeten Räume und eilte      seufzend hinaus.</p><lb/>
        <p>Vor dem Postgebäude fand ich einen von außen nicht sehr einladenden Beiwagen bereits meiner      harrend und neben demselben den Professor H., meinen würdigen Lehrer und Gönner, dessen gütiger      Empfehlung ich die Hauslehrerstelle verdankte, der ich entgegen fuhr. Ein letzter Händedruck,      einige gerührte Dankes- und Abschiedsworte von meiner, einige mehr geflüsterte als gesprochene      Warnungen vor freisinnigen Reden, französischen Spionen u. s. w. von seiner Seite, das war Alles,      was der Augenblick gestattete; ich stieg &#x2014; stürzte vielmehr in den Wagen; das Posthorn tönte,      und fort rollten wir.</p><lb/>
        <p>Ich will Sie, andächtige Zuhörer, mit den Rührungen verschonen, mit welchen ein armer      Candidat auf immer<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0009] geprest zu haben, so fiel mein Blick auf neue, bisher übersehene Concurrenten, welche mir würdiger als manche der verpackten erschienen. Da stritt sich Plato mit Moosheim, Sophokles und Homer mit dem würdigen Klopstock, das Heidenthum mit dem Christenthum, Römer mit Griechen und Franzosen; alle Sprachen und Nationen kämpften um den engen Raum. Da kam zum Glück als Deus ex machina zur Auflösung dieses tragischen Conflicts der Postknecht, um meinen Koffer abzuholen mit der Mahnung: ich möge mich beeilen, die Pferde würden schon angespannt. Nun packt' ich rasch, ohne Wahl, in halber Verzweiflung Alles, was zunächst lag, in diesen literarischen Noahkasten; die profane Hand des Postmercurs half mit verwünschter Dienstfertigkeit, den Proces zu beschleunigen. Klapp! flog der Deckel in das Schloß des Koffers und dieser auf den Schultern des Kerls zum Hause hinaus. Ich prüfte möglichst schnell meine Toilette, stopfte meine Pfeife, revidirte meine Taschen, in deren Lücken ich noch einige Bände klemmte, warf einen letzten wehmüthigen Abschiedsblick in die so langbewohnten, theuren — nun schon halb verödeten Räume und eilte seufzend hinaus. Vor dem Postgebäude fand ich einen von außen nicht sehr einladenden Beiwagen bereits meiner harrend und neben demselben den Professor H., meinen würdigen Lehrer und Gönner, dessen gütiger Empfehlung ich die Hauslehrerstelle verdankte, der ich entgegen fuhr. Ein letzter Händedruck, einige gerührte Dankes- und Abschiedsworte von meiner, einige mehr geflüsterte als gesprochene Warnungen vor freisinnigen Reden, französischen Spionen u. s. w. von seiner Seite, das war Alles, was der Augenblick gestattete; ich stieg — stürzte vielmehr in den Wagen; das Posthorn tönte, und fort rollten wir. Ich will Sie, andächtige Zuhörer, mit den Rührungen verschonen, mit welchen ein armer Candidat auf immer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/9
Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/9>, abgerufen am 23.04.2024.