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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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Staatsangelegenheiten vertraut man mir nicht, aber
Herzensangelegenheiten, -- gestern Abend noch kam der
liebe katholische Priester, das Gespräch war ein träume-
risch Gelispel früherer Zeiten; ein feines Geweb, das ein
sanfter Hauch wiegt in stiller Luft. Das Herz erlebt
auch einen Sommer, sagte er, wir können es dieser hei-
ßen Jahreszeit nicht vorenthalten, und Gott weiß daß
der Geist reifen muß wie der goldne Waizen, ehe die
Sichel ihn schneidet.


Ich bin begierig über Liebe sprechen zu hören, die
ganze Welt spricht zwar drüber, und in Romanen ist
genug ausgebrütet, aber nichts was ich gern hören will.
Als Beweis meiner Aufrichtigkeit bekenne ich Dir: auch
im Wilhelm Meister geht mir's so, die meisten Men-
schen ängstigen mich drinn, wie wenn ich ein bös Ge-
wissen hätte, da ist es einem nicht geheuer innerlich und
äußerlich, -- ich möchte zum Wilhelm Meister sagen:
komm, flüchte dich mit mir jenseits der Alpen zu den
Tyrolern, dort wollen wir unser Schwert wetzen, und
das Lumpenpack von Comödianten vergessen, und alle
deine Liebsten müssen denn mit ihren Prätensionen und
höheren Gefühlen eine Weile darben; wenn wir wieder-


Staatsangelegenheiten vertraut man mir nicht, aber
Herzensangelegenheiten, — geſtern Abend noch kam der
liebe katholiſche Prieſter, das Geſpräch war ein träume-
riſch Geliſpel früherer Zeiten; ein feines Geweb, das ein
ſanfter Hauch wiegt in ſtiller Luft. Das Herz erlebt
auch einen Sommer, ſagte er, wir können es dieſer hei-
ßen Jahreszeit nicht vorenthalten, und Gott weiß daß
der Geiſt reifen muß wie der goldne Waizen, ehe die
Sichel ihn ſchneidet.


Ich bin begierig über Liebe ſprechen zu hören, die
ganze Welt ſpricht zwar drüber, und in Romanen iſt
genug ausgebrütet, aber nichts was ich gern hören will.
Als Beweis meiner Aufrichtigkeit bekenne ich Dir: auch
im Wilhelm Meiſter geht mir's ſo, die meiſten Men-
ſchen ängſtigen mich drinn, wie wenn ich ein bös Ge-
wiſſen hätte, da iſt es einem nicht geheuer innerlich und
äußerlich, — ich möchte zum Wilhelm Meiſter ſagen:
komm, flüchte dich mit mir jenſeits der Alpen zu den
Tyrolern, dort wollen wir unſer Schwert wetzen, und
das Lumpenpack von Comödianten vergeſſen, und alle
deine Liebſten müſſen denn mit ihren Prätenſionen und
höheren Gefühlen eine Weile darben; wenn wir wieder-

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[34/0044] 15. März. Staatsangelegenheiten vertraut man mir nicht, aber Herzensangelegenheiten, — geſtern Abend noch kam der liebe katholiſche Prieſter, das Geſpräch war ein träume- riſch Geliſpel früherer Zeiten; ein feines Geweb, das ein ſanfter Hauch wiegt in ſtiller Luft. Das Herz erlebt auch einen Sommer, ſagte er, wir können es dieſer hei- ßen Jahreszeit nicht vorenthalten, und Gott weiß daß der Geiſt reifen muß wie der goldne Waizen, ehe die Sichel ihn ſchneidet. 20. März. Ich bin begierig über Liebe ſprechen zu hören, die ganze Welt ſpricht zwar drüber, und in Romanen iſt genug ausgebrütet, aber nichts was ich gern hören will. Als Beweis meiner Aufrichtigkeit bekenne ich Dir: auch im Wilhelm Meiſter geht mir's ſo, die meiſten Men- ſchen ängſtigen mich drinn, wie wenn ich ein bös Ge- wiſſen hätte, da iſt es einem nicht geheuer innerlich und äußerlich, — ich möchte zum Wilhelm Meiſter ſagen: komm, flüchte dich mit mir jenſeits der Alpen zu den Tyrolern, dort wollen wir unſer Schwert wetzen, und das Lumpenpack von Comödianten vergeſſen, und alle deine Liebſten müſſen denn mit ihren Prätenſionen und höheren Gefühlen eine Weile darben; wenn wir wieder-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/44>, abgerufen am 29.03.2024.