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Allgemeine Zeitung. Nr. 4. Augsburg, 4. Januar 1840.

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Indifferentismus zu stürzen, der Niemand günstiger seyn würde, als den französischen Einflüssen, sobald irgend eine europäische Krise einträte....

"Frankreichs Interesse ist nur, Deutschland zu schwächen, und dieses Interesse ändert sich nie, und bleibt das nämliche bei allen Wechseln des Princips. Als Königreich, als Republik, als Kaiserthum wollte es nie etwas Anderes, als in Deutschland erobern. So ist denn auch jetzt die republicanische Partei in Frankreich weniger hitzig auf den Sieg ihres politischen Princips, als auf Krieg und Eroberung. Sie träumt weniger von Brutus als von Cäsar....

"Wenn auswärtige Mächte bisher die mittlern und kleinern deutschen Staaten für ihr Interesse gegen Oesterreich oder Preußen gewinnen wollten, adressirten sie sich immer zuerst an Bayern, und wenn man sich an diese Thatsache erinnert, ist es gewiß bedeutungsvoll und des nationalen Dankes würdig, daß der gegenwärtig regierende König von Bayern so oft und so entschieden seinen deutschen Patriotismus und seinen Haß gegen fremde Einmischung in die Angelegenheiten Deutschlands ausgesprochen hat.

"Die Unabhängigkeit der kleinen Staaten ist unzertrennlich vom Bestand der deutschen Föderation. Wird in diese eine Breche gelegt, so wanken die Throne, so gehen die Verfassungen unter, fremde Tyrannei kommt über uns, fremde Herrscher und Beamte, fremde Soldaten rauben uns Freiheit und Eigenthum, und unsere Nationalität selbst ist bedroht. Mache sich jeder West- und Süddeutsche klar, was ihm bevorstände, wenn Oesterreich und Preußen nicht mehr die deutsche Nationalität stützten. Unter Napoleon griff das französische Reich schon quer durch Deutschland über Weser und Elbe hinüber bis an die Ostsee, und staunend sahen die alten Ostfriesen französische Präfecten, Douaniers und Polizeispione. Auf der andern Seite wollte Rußland bereits im siebenjährigen Kriege Preußen wegnehmen, und schon war Königsberg in seiner Gewalt. Später handelte es, wie uns Bignon erzählt, mit Napoleon um Böhmen, ohne daß Oesterreich etwas davon wußte. Wie, wenn Deutschland noch einmal überrascht würde, bevor es sich die Nothwendigkeit des Zusammenhaltens klar gemacht hätte? Wie, wenn es abermal den Folgen der Uneinigkeit und der fremden Gewalt erläge? Wie, wenn die östlichen Stützen der deutschen Nationalität zusammenbrächen und hier Rußland, dort Frankreich herübergriffe? Man scheint sich noch nicht häufig und tief genug überlegt zu haben, welchen Dank man Oesterreich dafür schuldig ist, daß es die südwestliche Gränze Deutschlands so mächtig schützt und hütet. Hier herrschen noch Deutsche über Fremde, wie es in alter Zeit an allen Gränzen der deutschen Nationalität der Fall war. Hier besorgt man keinen fremden Einfluß. Hier liegt kein Straßburg. Hier ist kein deutsches Dorf in fremder Gewalt. Wie anders aber, wenn dieses Bollwerk der deutschen Nationalität fiele, wenn es durch Theilnahmlosigkeit und bösen Willen der übrigen Deutschen fiele? wenn Rußland auf dieser Seite je einmal einbräche und Terrain an der Donau gewänne? und wenn zugleich die Franzosen am Po herrschten und durch Kärnthen heraufkämen, wie 1797? und wenn andrerseits Preußen, etwa von den katholischen Rheinländern und Westphalen verlassen, in innere Unruhen gestürzt, vom übrigen Deutschland nicht hinlänglich gehalten und unterstützt, einer russisch-französischen Coalition unterläge? Würden wir im Süden Deutschlands wohl Ursache haben, uns über diese Demüthigung Oesterreichs und Preußens zu freuen? Würde es nicht auch um unsere Selbstständigkeit, ja um unsere nationale Existenz geschehen seyn?...

"Ueberhaupt läßt sich nicht verkennen, daß gegen den Germanismus, der mehr als tausend Jahre lang in Europa vorherrschte, in den letzten Jahrhunderten eine welthistorisch wichtige Reaction, einerseits des Romanismus in Frankreich, andrerseits des Slavismus in Rußland begonnen hat. Beide letztere sind noch fortwährend im Vordringen begriffen. Beide haben, eine Zeit lang ruhend, doch immer wieder die Gelegenheit ergriffen oder gefunden, auf Kosten des in ihrer Mitte liegenden Germanismus Erwerbungen zu machen. Hier sind Elsaß und Deutsch-Lothringen, dort sind die deutschen Ostseeprovinzen uns entzogen worden....

"Wenn heute einer der besten politischen Köpfe der alten Welt, z. B. Demosthenes, aus seinem Grabe aufstehen und in die Gegenwart hineinblicken könnte, wie würde er wohl über die Lage Deutschlands urtheilen? Er würde sagen: Oesterreich und Preußen, die sich so oft bekämpft und so lange eifersüchtig auf einander waren, in einem Interesse innig und dauernd zu vereinigen, ist schwer. Die kleineren Staaten, die schon zweimal einen Rheinbund unter französischem Protectorat gebildet haben, unter allen Umständen von einer dritten Verführung oder Ueberraschung dieser Art frei zu halten, ist schwer. Holland, Belgien und die Schweiz wieder ausschließlich für das deutsche Interesse zu gewinnen, ist schwer. Zu verhüten, daß die religiösen Wirren nicht einst von auswärtigen Mächten zur Zerrüttung und Schmälerung des deutschen Bundes benutzt werden, ist schwer. Die politischen Hoffnungen und Erwartungen der Völker zu befriedigen, die nicht befriedigten zum Schweigen zu bringen, die Antipathien gegen einheimische Systeme zu versöhnen und die Sympathien mit fremden zu verbannen, ist schwer. Die verschiedenen Stämme, die seit Jahrhunderten einander entfremdet sind, einander verspotten und hassen, mit wechselseitigem Vertrauen zu erfüllen und zur Aufopferung ihres kleinen Provincialinteresses zu Gunsten des Gesammtinteresses zu gewöhnen, ist schwer. Und dennoch müßten alle diese Schwierigkeiten überwunden werden, wenn Deutschland nicht in großen Verfall gerathen soll....

"Die Griechen, wird er sagen, waren eine große, mächtige, hochgebildete Nation. Aber sie gingen unter, weil sie uneinig waren. Auch ihr seyd eine große, mächtige, hochgebildete Nation, aber auch ihr werdet untergehen, wenn ihr uneinig bleibt."

Fassen wir noch kurz zusammen, was der Verfasser über die übrigen Länder sagt.

Holland, Belgien und die Schweiz gehörten zum deutschen Reiche, und gehören national und mercantilisch zum großen Vaterland. Allen würde ein engeres Anschließen an einen wahrhaft deutschen Bund nicht nur nützlich, sondern sogar nöthig seyn. Sie sind die zwei Bollwerke am Ende unserer Vertheidigungslinie gegen den nimmer müden Feind. Sie würden durch Aufhebung der Handelssperre und vermehrten litterarischen Verkehr dem deutschen Gesammtvolke wieder schnell sich anschließen.

In ähnlichem Falle sind die skandinavischen Reiche. Ihre Uneinigkeit hat Rußland im Norden groß gemacht. Als Seemächte von England, als Landmächte von Rußland überragt, können sie nur durch Einigkeit und Aufsparen der noch nicht erloschenen Kraft bedeutendes Gewicht in die Wagschale legen, wenn die lange hinausgeschobene Frage endlich zur Lösung kommen wird.

Eine Wiedergeburt Spaniens könnte nur im Interesse Rußlands liegen, um gegen England, oder Deutschlands, um gegen Frankreich einen Bundesgenossen zu erhalten. Hier aber hat die furchtbarste Nemesis einen Zustand herbeigeführt, welcher


Indifferentismus zu stürzen, der Niemand günstiger seyn würde, als den französischen Einflüssen, sobald irgend eine europäische Krise einträte....

„Frankreichs Interesse ist nur, Deutschland zu schwächen, und dieses Interesse ändert sich nie, und bleibt das nämliche bei allen Wechseln des Princips. Als Königreich, als Republik, als Kaiserthum wollte es nie etwas Anderes, als in Deutschland erobern. So ist denn auch jetzt die republicanische Partei in Frankreich weniger hitzig auf den Sieg ihres politischen Princips, als auf Krieg und Eroberung. Sie träumt weniger von Brutus als von Cäsar....

„Wenn auswärtige Mächte bisher die mittlern und kleinern deutschen Staaten für ihr Interesse gegen Oesterreich oder Preußen gewinnen wollten, adressirten sie sich immer zuerst an Bayern, und wenn man sich an diese Thatsache erinnert, ist es gewiß bedeutungsvoll und des nationalen Dankes würdig, daß der gegenwärtig regierende König von Bayern so oft und so entschieden seinen deutschen Patriotismus und seinen Haß gegen fremde Einmischung in die Angelegenheiten Deutschlands ausgesprochen hat.

„Die Unabhängigkeit der kleinen Staaten ist unzertrennlich vom Bestand der deutschen Föderation. Wird in diese eine Breche gelegt, so wanken die Throne, so gehen die Verfassungen unter, fremde Tyrannei kommt über uns, fremde Herrscher und Beamte, fremde Soldaten rauben uns Freiheit und Eigenthum, und unsere Nationalität selbst ist bedroht. Mache sich jeder West- und Süddeutsche klar, was ihm bevorstände, wenn Oesterreich und Preußen nicht mehr die deutsche Nationalität stützten. Unter Napoleon griff das französische Reich schon quer durch Deutschland über Weser und Elbe hinüber bis an die Ostsee, und staunend sahen die alten Ostfriesen französische Präfecten, Douaniers und Polizeispione. Auf der andern Seite wollte Rußland bereits im siebenjährigen Kriege Preußen wegnehmen, und schon war Königsberg in seiner Gewalt. Später handelte es, wie uns Bignon erzählt, mit Napoleon um Böhmen, ohne daß Oesterreich etwas davon wußte. Wie, wenn Deutschland noch einmal überrascht würde, bevor es sich die Nothwendigkeit des Zusammenhaltens klar gemacht hätte? Wie, wenn es abermal den Folgen der Uneinigkeit und der fremden Gewalt erläge? Wie, wenn die östlichen Stützen der deutschen Nationalität zusammenbrächen und hier Rußland, dort Frankreich herübergriffe? Man scheint sich noch nicht häufig und tief genug überlegt zu haben, welchen Dank man Oesterreich dafür schuldig ist, daß es die südwestliche Gränze Deutschlands so mächtig schützt und hütet. Hier herrschen noch Deutsche über Fremde, wie es in alter Zeit an allen Gränzen der deutschen Nationalität der Fall war. Hier besorgt man keinen fremden Einfluß. Hier liegt kein Straßburg. Hier ist kein deutsches Dorf in fremder Gewalt. Wie anders aber, wenn dieses Bollwerk der deutschen Nationalität fiele, wenn es durch Theilnahmlosigkeit und bösen Willen der übrigen Deutschen fiele? wenn Rußland auf dieser Seite je einmal einbräche und Terrain an der Donau gewänne? und wenn zugleich die Franzosen am Po herrschten und durch Kärnthen heraufkämen, wie 1797? und wenn andrerseits Preußen, etwa von den katholischen Rheinländern und Westphalen verlassen, in innere Unruhen gestürzt, vom übrigen Deutschland nicht hinlänglich gehalten und unterstützt, einer russisch-französischen Coalition unterläge? Würden wir im Süden Deutschlands wohl Ursache haben, uns über diese Demüthigung Oesterreichs und Preußens zu freuen? Würde es nicht auch um unsere Selbstständigkeit, ja um unsere nationale Existenz geschehen seyn?...

„Ueberhaupt läßt sich nicht verkennen, daß gegen den Germanismus, der mehr als tausend Jahre lang in Europa vorherrschte, in den letzten Jahrhunderten eine welthistorisch wichtige Reaction, einerseits des Romanismus in Frankreich, andrerseits des Slavismus in Rußland begonnen hat. Beide letztere sind noch fortwährend im Vordringen begriffen. Beide haben, eine Zeit lang ruhend, doch immer wieder die Gelegenheit ergriffen oder gefunden, auf Kosten des in ihrer Mitte liegenden Germanismus Erwerbungen zu machen. Hier sind Elsaß und Deutsch-Lothringen, dort sind die deutschen Ostseeprovinzen uns entzogen worden....

„Wenn heute einer der besten politischen Köpfe der alten Welt, z. B. Demosthenes, aus seinem Grabe aufstehen und in die Gegenwart hineinblicken könnte, wie würde er wohl über die Lage Deutschlands urtheilen? Er würde sagen: Oesterreich und Preußen, die sich so oft bekämpft und so lange eifersüchtig auf einander waren, in einem Interesse innig und dauernd zu vereinigen, ist schwer. Die kleineren Staaten, die schon zweimal einen Rheinbund unter französischem Protectorat gebildet haben, unter allen Umständen von einer dritten Verführung oder Ueberraschung dieser Art frei zu halten, ist schwer. Holland, Belgien und die Schweiz wieder ausschließlich für das deutsche Interesse zu gewinnen, ist schwer. Zu verhüten, daß die religiösen Wirren nicht einst von auswärtigen Mächten zur Zerrüttung und Schmälerung des deutschen Bundes benutzt werden, ist schwer. Die politischen Hoffnungen und Erwartungen der Völker zu befriedigen, die nicht befriedigten zum Schweigen zu bringen, die Antipathien gegen einheimische Systeme zu versöhnen und die Sympathien mit fremden zu verbannen, ist schwer. Die verschiedenen Stämme, die seit Jahrhunderten einander entfremdet sind, einander verspotten und hassen, mit wechselseitigem Vertrauen zu erfüllen und zur Aufopferung ihres kleinen Provincialinteresses zu Gunsten des Gesammtinteresses zu gewöhnen, ist schwer. Und dennoch müßten alle diese Schwierigkeiten überwunden werden, wenn Deutschland nicht in großen Verfall gerathen soll....

„Die Griechen, wird er sagen, waren eine große, mächtige, hochgebildete Nation. Aber sie gingen unter, weil sie uneinig waren. Auch ihr seyd eine große, mächtige, hochgebildete Nation, aber auch ihr werdet untergehen, wenn ihr uneinig bleibt.“

Fassen wir noch kurz zusammen, was der Verfasser über die übrigen Länder sagt.

Holland, Belgien und die Schweiz gehörten zum deutschen Reiche, und gehören national und mercantilisch zum großen Vaterland. Allen würde ein engeres Anschließen an einen wahrhaft deutschen Bund nicht nur nützlich, sondern sogar nöthig seyn. Sie sind die zwei Bollwerke am Ende unserer Vertheidigungslinie gegen den nimmer müden Feind. Sie würden durch Aufhebung der Handelssperre und vermehrten litterarischen Verkehr dem deutschen Gesammtvolke wieder schnell sich anschließen.

In ähnlichem Falle sind die skandinavischen Reiche. Ihre Uneinigkeit hat Rußland im Norden groß gemacht. Als Seemächte von England, als Landmächte von Rußland überragt, können sie nur durch Einigkeit und Aufsparen der noch nicht erloschenen Kraft bedeutendes Gewicht in die Wagschale legen, wenn die lange hinausgeschobene Frage endlich zur Lösung kommen wird.

Eine Wiedergeburt Spaniens könnte nur im Interesse Rußlands liegen, um gegen England, oder Deutschlands, um gegen Frankreich einen Bundesgenossen zu erhalten. Hier aber hat die furchtbarste Nemesis einen Zustand herbeigeführt, welcher

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[0026/0009] Indifferentismus zu stürzen, der Niemand günstiger seyn würde, als den französischen Einflüssen, sobald irgend eine europäische Krise einträte.... „Frankreichs Interesse ist nur, Deutschland zu schwächen, und dieses Interesse ändert sich nie, und bleibt das nämliche bei allen Wechseln des Princips. Als Königreich, als Republik, als Kaiserthum wollte es nie etwas Anderes, als in Deutschland erobern. So ist denn auch jetzt die republicanische Partei in Frankreich weniger hitzig auf den Sieg ihres politischen Princips, als auf Krieg und Eroberung. Sie träumt weniger von Brutus als von Cäsar.... „Wenn auswärtige Mächte bisher die mittlern und kleinern deutschen Staaten für ihr Interesse gegen Oesterreich oder Preußen gewinnen wollten, adressirten sie sich immer zuerst an Bayern, und wenn man sich an diese Thatsache erinnert, ist es gewiß bedeutungsvoll und des nationalen Dankes würdig, daß der gegenwärtig regierende König von Bayern so oft und so entschieden seinen deutschen Patriotismus und seinen Haß gegen fremde Einmischung in die Angelegenheiten Deutschlands ausgesprochen hat. „Die Unabhängigkeit der kleinen Staaten ist unzertrennlich vom Bestand der deutschen Föderation. Wird in diese eine Breche gelegt, so wanken die Throne, so gehen die Verfassungen unter, fremde Tyrannei kommt über uns, fremde Herrscher und Beamte, fremde Soldaten rauben uns Freiheit und Eigenthum, und unsere Nationalität selbst ist bedroht. Mache sich jeder West- und Süddeutsche klar, was ihm bevorstände, wenn Oesterreich und Preußen nicht mehr die deutsche Nationalität stützten. Unter Napoleon griff das französische Reich schon quer durch Deutschland über Weser und Elbe hinüber bis an die Ostsee, und staunend sahen die alten Ostfriesen französische Präfecten, Douaniers und Polizeispione. Auf der andern Seite wollte Rußland bereits im siebenjährigen Kriege Preußen wegnehmen, und schon war Königsberg in seiner Gewalt. Später handelte es, wie uns Bignon erzählt, mit Napoleon um Böhmen, ohne daß Oesterreich etwas davon wußte. Wie, wenn Deutschland noch einmal überrascht würde, bevor es sich die Nothwendigkeit des Zusammenhaltens klar gemacht hätte? Wie, wenn es abermal den Folgen der Uneinigkeit und der fremden Gewalt erläge? Wie, wenn die östlichen Stützen der deutschen Nationalität zusammenbrächen und hier Rußland, dort Frankreich herübergriffe? Man scheint sich noch nicht häufig und tief genug überlegt zu haben, welchen Dank man Oesterreich dafür schuldig ist, daß es die südwestliche Gränze Deutschlands so mächtig schützt und hütet. Hier herrschen noch Deutsche über Fremde, wie es in alter Zeit an allen Gränzen der deutschen Nationalität der Fall war. Hier besorgt man keinen fremden Einfluß. Hier liegt kein Straßburg. Hier ist kein deutsches Dorf in fremder Gewalt. Wie anders aber, wenn dieses Bollwerk der deutschen Nationalität fiele, wenn es durch Theilnahmlosigkeit und bösen Willen der übrigen Deutschen fiele? wenn Rußland auf dieser Seite je einmal einbräche und Terrain an der Donau gewänne? und wenn zugleich die Franzosen am Po herrschten und durch Kärnthen heraufkämen, wie 1797? und wenn andrerseits Preußen, etwa von den katholischen Rheinländern und Westphalen verlassen, in innere Unruhen gestürzt, vom übrigen Deutschland nicht hinlänglich gehalten und unterstützt, einer russisch-französischen Coalition unterläge? Würden wir im Süden Deutschlands wohl Ursache haben, uns über diese Demüthigung Oesterreichs und Preußens zu freuen? Würde es nicht auch um unsere Selbstständigkeit, ja um unsere nationale Existenz geschehen seyn?... „Ueberhaupt läßt sich nicht verkennen, daß gegen den Germanismus, der mehr als tausend Jahre lang in Europa vorherrschte, in den letzten Jahrhunderten eine welthistorisch wichtige Reaction, einerseits des Romanismus in Frankreich, andrerseits des Slavismus in Rußland begonnen hat. Beide letztere sind noch fortwährend im Vordringen begriffen. Beide haben, eine Zeit lang ruhend, doch immer wieder die Gelegenheit ergriffen oder gefunden, auf Kosten des in ihrer Mitte liegenden Germanismus Erwerbungen zu machen. Hier sind Elsaß und Deutsch-Lothringen, dort sind die deutschen Ostseeprovinzen uns entzogen worden.... „Wenn heute einer der besten politischen Köpfe der alten Welt, z. B. Demosthenes, aus seinem Grabe aufstehen und in die Gegenwart hineinblicken könnte, wie würde er wohl über die Lage Deutschlands urtheilen? Er würde sagen: Oesterreich und Preußen, die sich so oft bekämpft und so lange eifersüchtig auf einander waren, in einem Interesse innig und dauernd zu vereinigen, ist schwer. Die kleineren Staaten, die schon zweimal einen Rheinbund unter französischem Protectorat gebildet haben, unter allen Umständen von einer dritten Verführung oder Ueberraschung dieser Art frei zu halten, ist schwer. Holland, Belgien und die Schweiz wieder ausschließlich für das deutsche Interesse zu gewinnen, ist schwer. Zu verhüten, daß die religiösen Wirren nicht einst von auswärtigen Mächten zur Zerrüttung und Schmälerung des deutschen Bundes benutzt werden, ist schwer. Die politischen Hoffnungen und Erwartungen der Völker zu befriedigen, die nicht befriedigten zum Schweigen zu bringen, die Antipathien gegen einheimische Systeme zu versöhnen und die Sympathien mit fremden zu verbannen, ist schwer. Die verschiedenen Stämme, die seit Jahrhunderten einander entfremdet sind, einander verspotten und hassen, mit wechselseitigem Vertrauen zu erfüllen und zur Aufopferung ihres kleinen Provincialinteresses zu Gunsten des Gesammtinteresses zu gewöhnen, ist schwer. Und dennoch müßten alle diese Schwierigkeiten überwunden werden, wenn Deutschland nicht in großen Verfall gerathen soll.... „Die Griechen, wird er sagen, waren eine große, mächtige, hochgebildete Nation. Aber sie gingen unter, weil sie uneinig waren. Auch ihr seyd eine große, mächtige, hochgebildete Nation, aber auch ihr werdet untergehen, wenn ihr uneinig bleibt.“ Fassen wir noch kurz zusammen, was der Verfasser über die übrigen Länder sagt. Holland, Belgien und die Schweiz gehörten zum deutschen Reiche, und gehören national und mercantilisch zum großen Vaterland. Allen würde ein engeres Anschließen an einen wahrhaft deutschen Bund nicht nur nützlich, sondern sogar nöthig seyn. Sie sind die zwei Bollwerke am Ende unserer Vertheidigungslinie gegen den nimmer müden Feind. Sie würden durch Aufhebung der Handelssperre und vermehrten litterarischen Verkehr dem deutschen Gesammtvolke wieder schnell sich anschließen. In ähnlichem Falle sind die skandinavischen Reiche. Ihre Uneinigkeit hat Rußland im Norden groß gemacht. Als Seemächte von England, als Landmächte von Rußland überragt, können sie nur durch Einigkeit und Aufsparen der noch nicht erloschenen Kraft bedeutendes Gewicht in die Wagschale legen, wenn die lange hinausgeschobene Frage endlich zur Lösung kommen wird. Eine Wiedergeburt Spaniens könnte nur im Interesse Rußlands liegen, um gegen England, oder Deutschlands, um gegen Frankreich einen Bundesgenossen zu erhalten. Hier aber hat die furchtbarste Nemesis einen Zustand herbeigeführt, welcher

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 4. Augsburg, 4. Januar 1840, S. 0026. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_004_18400104/9>, abgerufen am 28.03.2024.