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Allgemeine Zeitung. Nr. 18. Augsburg, 18. Januar 1840.

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der Verbindungsmittel und der Absatzwege thätig zu zeigen. Die Lebendigkeit, womit hier seit einiger Zeit allen commerciellen Vibrationen der Puls gefühlt wird, spiegelt erfreulich das vielfache und mächtige Eingreifen unseres großen Vereins ins gesammte deutsche Leben und Weben. Auch die langgehemmte Eisenbahnfrage zeigt nach allen Seiten ihre riesigen Expansionskräfte, sowohl auf den transversalen Linien zwischen Leipzig und Frankfurt und über Magdeburg, Braunschweig und Hannover auf Preußisch-Minden - als über Stettin aus dem gewerbreichen Schlesien nach der Ostsee und von Berlin nach Hamburg. - Der unabsehbare Weltmarkt Hamburgs verspricht vor Allem einen wohlthätigen Balsam auf die schweren Wunden, die Rußlands Sperren den Ostprovinzen Preußens zu Wasser und zu Lande zugefügt haben und immer noch zufügen. Während die Belgisch-Kölnische Bahn zu den schönsten Hoffnungen berechtigt, kann leider (in der fabrikreichsten Gegend) die Rhein-Weser-Bahn weder leben noch sterben. Selbst in dem trübe bewegten Hannover wird jetzt von Eisenbahnen viel gesprochen, zwar noch nicht von jener (für überseeische Ausfuhr und Einfuhr wichtigsten) verticalen durch das ganze Königreich von Hamburg und Harburg und Bremen bis zur Werra, sondern von jener auf Preußisch-Minden. Hoffentlich ist es nicht eine bloße Demonstration, um von den traurigen Verfassungswirren abzulenken; hoffentlich wird es eine ersprießlichere, etwas grandiosere Demonstration als die große Messe von Lüneburg und als der Welthafen von Harburg! - Selbst die nächste Zukunft trägt wichtige Keime in sich. Der hannoverisch-braunschweigisch-oldenburgische Vertrag ist nicht mehr ferne von seinem Ablauf, der holländische Vertrag von der Erneuerung. - Die holländischen Unterhandlungen in Paris, die uns in Aussicht stellten, auch noch mit französischem Colonialzucker den Rhein herauf und auf der neuen projectirten Route von Zwoll und Enschede auf Münster, Paderborn und Kassel überschwemmt zu werden und die holdselige Erwartung begründeten, die seit Jahr und Tag agonisirenden französischen Zuckerfabriken auf Kosten der deutschen gerettet und dieselben die Rollen tauschen zu sehen - diese mit gewohnter sachkundiger Schlauheit geführten Unterhandlungen haben jüngst (zumal seit der Verwerfung des Budgets) bedeutende Hindernisse gefunden. Vielleicht hört man aus Paris noch früher etwas von einem Handel- und Schifffahrtsvertrage mit Preußen und mit dem großen Verein, als mit Holland! - Wir dürfen ja nie vergessen, wie das bloß durch deutsche Waffen wiederhergestellte und vergrößerte Holland über zwanzig Jahre mit dem "bis ans Meer und bis ins Meer" der deutschen Gutmüthigkeit und Geduld gespottet, auch wohl großmüthigst einen durch Monate ganz unpraktikabeln Arm zum freien Welthandel angeboten hat! - Es lag etwas von dem alten vox populi, vox dei in der allgemeinen Freude über die Annäherung an Hamburg und im Contraste damit in der vielfachen Bestürzung über den sogenannten "bittern Zuckervertrag" vom 21 Januar. - Wo würden wir jetzt seyn, wenn wir 1815 Ostfriesland behalten und Lauenburg erworben und letzteres nicht obendrein in eine undeutsche, oft feindselige, 1813 für Lübeck und Hamburg wahrlich nicht wohlthätige Hand gelegt hätten! - Mehrere Zeitungen gaben jüngst einen Artikel von unbekannter Hand (ein Kopf scheint nicht dabei gewesen zu seyn), der in Hauptmann Rummelpuffs Manier von einer Aufregung in Bremen spricht über die vermeintliche Unthätigkeit des Senats, während ihm Hamburg zuvorkommen sey. Da in diesen speciellsten und überall verschiedenen Localverhältnissen stets unser Grundsatz war, immer so viel möglich mit jedem einzeln und successiv zu unterhandeln, haben wir ihn natürlich auch hier festgehalten. Nächstens ein Mehreres über den hiesigen Aufenthalt des trefflichen Bremer Archivars Dr. Heinrich Smidt, aber doch heute schon einen höchst interessanten Beitrag zur deutschen Handelsstatistik in einem Memorandum, welches von Bremischer Seite schon vor drei Vierteljahren in Berlin und an den Vereinshöfen übergeben worden ist, gleichzeitig mit der Anwesenheit des Hamburger Senators Lutheroth.

"Memorandum. Die nächste Aufgabe des Zollvereins, wenn man die nationale Seite desselben ins Auge faßt - die Richtung, welche ihm den Namen des "deutschen" erworben und gesichert, bestand in der Wegräumung hemmender Schranken des innern Verkehrs der theilnehmenden Staaten, in dem Schutze der einheimischen Industrie durch Festsetzung gemeinsamer Eingangsabgaben von Producten und Fabricaten des Auslandes, nach Maaßgabe des jedesmaligen Bedürfnisses eines solchen Schutzes; - somit in Herstellung einer Gemeinschaftlichkeit der Handels- und Gewerbsinteressen im Umfang eines von der Natur auf gleiches Bestreben und gegenseitige Unterstützung hingewiesenen, den Kern von Deutschland in sich begreifenden Gebiets.

"Dieses Ziel ist im Wesentlichen erreicht. Deutsche Bodencultur und Fabrikindustrie, neben den altbewährten Elementen ihres Wohlstandes auch neue Erwerbszweige sich aneignend, wie das Bedürfniß des Jahrhunderts sie fordert, haben staunenswerthe Fortschritte gemacht. Sie haben die Höhe erstiegen, wo die Gefahr eines ungehinderten Wetteifers fremder Betriebsamkeit in einem heilsamen Antrieb zum gleichen Schritthalten sich zu wandeln beginnt, wo an die Stelle der Schutz bringenden Eigenschaft die financielle Seite der Eingangsabgaben in den Vordergrund tritt. Mit dem wachsenden Begehr nach den Lebensbedürfnissen und Luxusartikeln, welche das fernere Ausland bietet, steht jetzt die Fülle und Mannichfaltigkeit des zum Austausch geeigneten Ueberflusses der Heimath in glücklichem Gleichgewichte. So ist also die Grundlage gewonnen, auf welcher auch der Handel zur wohlthätigen Nothwendigkeit wird, treu seiner eigentlichen Bestimmung, Geber und Nehmer gleichzeitig zu bereichern.

"Die Tendenz des Vereins muß sich daher erweitern; - er hat die Interessen seiner Gesammtheit als Eines großen Handelsgebietes auswärtigen Handelsstaaten gegenüber geltend zu machen. Er muß sich um so dringender dazu auffordern, als seit der kurzen Dauer seiner Existenz die Annäherungen der Völker durch den Welthandel in früher ungewohnten Progressionen fortgeschritten, und wer sich nicht den Reihen der Suchenden und Strebenden mit anschließt, Gefahr läuft, hintenaus zu bleiben, bald selbst nicht mehr vermißt und aufgesucht zu werden.

"Zu solcher Mitbewerbung in der Sphäre des activen Welthandels bedarf ein Continentalstaat aber mancher, dem Binnen- und Gränzverkehr oder auch dem großartigen Austausch auf den Centralpunkten der Waarenzüge eines weitgestreckten Landsgebiets fremder Hülfsmittel und Einrichtungen - vor Allem leichter Verbindungen mit dem Weltmeere durch schiffbare Flüsse, oder künstliche Communicationswege, welche sie zu ersetzen im Stande; geeigneter Seehäfen an den Mündungen und großer Handelsplätze in den Gegenden, wo See- und Flußschifffahrt sich scheiden; Märkte, auf denen Gegenstände der Ein- und Ausfuhr zusammen kommen - mit den dazu erforderlichen mannichfachen Instituten, aber auch mit einer


der Verbindungsmittel und der Absatzwege thätig zu zeigen. Die Lebendigkeit, womit hier seit einiger Zeit allen commerciellen Vibrationen der Puls gefühlt wird, spiegelt erfreulich das vielfache und mächtige Eingreifen unseres großen Vereins ins gesammte deutsche Leben und Weben. Auch die langgehemmte Eisenbahnfrage zeigt nach allen Seiten ihre riesigen Expansionskräfte, sowohl auf den transversalen Linien zwischen Leipzig und Frankfurt und über Magdeburg, Braunschweig und Hannover auf Preußisch-Minden – als über Stettin aus dem gewerbreichen Schlesien nach der Ostsee und von Berlin nach Hamburg. – Der unabsehbare Weltmarkt Hamburgs verspricht vor Allem einen wohlthätigen Balsam auf die schweren Wunden, die Rußlands Sperren den Ostprovinzen Preußens zu Wasser und zu Lande zugefügt haben und immer noch zufügen. Während die Belgisch-Kölnische Bahn zu den schönsten Hoffnungen berechtigt, kann leider (in der fabrikreichsten Gegend) die Rhein-Weser-Bahn weder leben noch sterben. Selbst in dem trübe bewegten Hannover wird jetzt von Eisenbahnen viel gesprochen, zwar noch nicht von jener (für überseeische Ausfuhr und Einfuhr wichtigsten) verticalen durch das ganze Königreich von Hamburg und Harburg und Bremen bis zur Werra, sondern von jener auf Preußisch-Minden. Hoffentlich ist es nicht eine bloße Demonstration, um von den traurigen Verfassungswirren abzulenken; hoffentlich wird es eine ersprießlichere, etwas grandiosere Demonstration als die große Messe von Lüneburg und als der Welthafen von Harburg! – Selbst die nächste Zukunft trägt wichtige Keime in sich. Der hannoverisch-braunschweigisch-oldenburgische Vertrag ist nicht mehr ferne von seinem Ablauf, der holländische Vertrag von der Erneuerung. – Die holländischen Unterhandlungen in Paris, die uns in Aussicht stellten, auch noch mit französischem Colonialzucker den Rhein herauf und auf der neuen projectirten Route von Zwoll und Enschede auf Münster, Paderborn und Kassel überschwemmt zu werden und die holdselige Erwartung begründeten, die seit Jahr und Tag agonisirenden französischen Zuckerfabriken auf Kosten der deutschen gerettet und dieselben die Rollen tauschen zu sehen – diese mit gewohnter sachkundiger Schlauheit geführten Unterhandlungen haben jüngst (zumal seit der Verwerfung des Budgets) bedeutende Hindernisse gefunden. Vielleicht hört man aus Paris noch früher etwas von einem Handel- und Schifffahrtsvertrage mit Preußen und mit dem großen Verein, als mit Holland! – Wir dürfen ja nie vergessen, wie das bloß durch deutsche Waffen wiederhergestellte und vergrößerte Holland über zwanzig Jahre mit dem „bis ans Meer und bis ins Meer“ der deutschen Gutmüthigkeit und Geduld gespottet, auch wohl großmüthigst einen durch Monate ganz unpraktikabeln Arm zum freien Welthandel angeboten hat! – Es lag etwas von dem alten vox populi, vox dei in der allgemeinen Freude über die Annäherung an Hamburg und im Contraste damit in der vielfachen Bestürzung über den sogenannten „bittern Zuckervertrag“ vom 21 Januar. – Wo würden wir jetzt seyn, wenn wir 1815 Ostfriesland behalten und Lauenburg erworben und letzteres nicht obendrein in eine undeutsche, oft feindselige, 1813 für Lübeck und Hamburg wahrlich nicht wohlthätige Hand gelegt hätten! – Mehrere Zeitungen gaben jüngst einen Artikel von unbekannter Hand (ein Kopf scheint nicht dabei gewesen zu seyn), der in Hauptmann Rummelpuffs Manier von einer Aufregung in Bremen spricht über die vermeintliche Unthätigkeit des Senats, während ihm Hamburg zuvorkommen sey. Da in diesen speciellsten und überall verschiedenen Localverhältnissen stets unser Grundsatz war, immer so viel möglich mit jedem einzeln und successiv zu unterhandeln, haben wir ihn natürlich auch hier festgehalten. Nächstens ein Mehreres über den hiesigen Aufenthalt des trefflichen Bremer Archivars Dr. Heinrich Smidt, aber doch heute schon einen höchst interessanten Beitrag zur deutschen Handelsstatistik in einem Memorandum, welches von Bremischer Seite schon vor drei Vierteljahren in Berlin und an den Vereinshöfen übergeben worden ist, gleichzeitig mit der Anwesenheit des Hamburger Senators Lutheroth.

Memorandum. Die nächste Aufgabe des Zollvereins, wenn man die nationale Seite desselben ins Auge faßt – die Richtung, welche ihm den Namen des „deutschen“ erworben und gesichert, bestand in der Wegräumung hemmender Schranken des innern Verkehrs der theilnehmenden Staaten, in dem Schutze der einheimischen Industrie durch Festsetzung gemeinsamer Eingangsabgaben von Producten und Fabricaten des Auslandes, nach Maaßgabe des jedesmaligen Bedürfnisses eines solchen Schutzes; – somit in Herstellung einer Gemeinschaftlichkeit der Handels- und Gewerbsinteressen im Umfang eines von der Natur auf gleiches Bestreben und gegenseitige Unterstützung hingewiesenen, den Kern von Deutschland in sich begreifenden Gebiets.

„Dieses Ziel ist im Wesentlichen erreicht. Deutsche Bodencultur und Fabrikindustrie, neben den altbewährten Elementen ihres Wohlstandes auch neue Erwerbszweige sich aneignend, wie das Bedürfniß des Jahrhunderts sie fordert, haben staunenswerthe Fortschritte gemacht. Sie haben die Höhe erstiegen, wo die Gefahr eines ungehinderten Wetteifers fremder Betriebsamkeit in einem heilsamen Antrieb zum gleichen Schritthalten sich zu wandeln beginnt, wo an die Stelle der Schutz bringenden Eigenschaft die financielle Seite der Eingangsabgaben in den Vordergrund tritt. Mit dem wachsenden Begehr nach den Lebensbedürfnissen und Luxusartikeln, welche das fernere Ausland bietet, steht jetzt die Fülle und Mannichfaltigkeit des zum Austausch geeigneten Ueberflusses der Heimath in glücklichem Gleichgewichte. So ist also die Grundlage gewonnen, auf welcher auch der Handel zur wohlthätigen Nothwendigkeit wird, treu seiner eigentlichen Bestimmung, Geber und Nehmer gleichzeitig zu bereichern.

„Die Tendenz des Vereins muß sich daher erweitern; – er hat die Interessen seiner Gesammtheit als Eines großen Handelsgebietes auswärtigen Handelsstaaten gegenüber geltend zu machen. Er muß sich um so dringender dazu auffordern, als seit der kurzen Dauer seiner Existenz die Annäherungen der Völker durch den Welthandel in früher ungewohnten Progressionen fortgeschritten, und wer sich nicht den Reihen der Suchenden und Strebenden mit anschließt, Gefahr läuft, hintenaus zu bleiben, bald selbst nicht mehr vermißt und aufgesucht zu werden.

„Zu solcher Mitbewerbung in der Sphäre des activen Welthandels bedarf ein Continentalstaat aber mancher, dem Binnen- und Gränzverkehr oder auch dem großartigen Austausch auf den Centralpunkten der Waarenzüge eines weitgestreckten Landsgebiets fremder Hülfsmittel und Einrichtungen – vor Allem leichter Verbindungen mit dem Weltmeere durch schiffbare Flüsse, oder künstliche Communicationswege, welche sie zu ersetzen im Stande; geeigneter Seehäfen an den Mündungen und großer Handelsplätze in den Gegenden, wo See- und Flußschifffahrt sich scheiden; Märkte, auf denen Gegenstände der Ein- und Ausfuhr zusammen kommen – mit den dazu erforderlichen mannichfachen Instituten, aber auch mit einer

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Während die Belgisch-Kölnische Bahn zu den schönsten Hoffnungen berechtigt, kann leider (in der fabrikreichsten Gegend) die Rhein-Weser-Bahn weder leben noch sterben. Selbst in dem trübe bewegten Hannover wird jetzt von Eisenbahnen viel gesprochen, zwar noch nicht von jener (für überseeische Ausfuhr und Einfuhr wichtigsten) verticalen durch das ganze Königreich von Hamburg und Harburg und Bremen bis zur Werra, sondern von jener auf Preußisch-Minden. Hoffentlich ist es nicht eine bloße Demonstration, um von den traurigen Verfassungswirren abzulenken; hoffentlich wird es eine ersprießlichere, etwas grandiosere Demonstration als die große Messe von Lüneburg und als der Welthafen von Harburg! – Selbst die nächste Zukunft trägt wichtige Keime in sich. Der hannoverisch-braunschweigisch-oldenburgische Vertrag ist nicht mehr ferne von seinem Ablauf, der holländische Vertrag von der Erneuerung. – Die holländischen Unterhandlungen in Paris, die uns in Aussicht stellten, auch noch mit französischem Colonialzucker den Rhein herauf und auf der neuen projectirten Route von Zwoll und Enschede auf Münster, Paderborn und Kassel überschwemmt zu werden und die holdselige Erwartung begründeten, die seit Jahr und Tag agonisirenden französischen Zuckerfabriken auf Kosten der deutschen gerettet und dieselben die Rollen tauschen zu sehen – diese mit gewohnter sachkundiger Schlauheit geführten Unterhandlungen haben jüngst (zumal seit der Verwerfung des Budgets) bedeutende Hindernisse gefunden. Vielleicht hört man aus Paris noch früher etwas von einem Handel- und Schifffahrtsvertrage mit Preußen und mit dem großen Verein, als mit Holland! – Wir dürfen ja nie vergessen, wie das bloß durch deutsche Waffen wiederhergestellte und vergrößerte Holland über zwanzig Jahre mit dem „bis ans Meer und bis ins Meer“ der deutschen Gutmüthigkeit und Geduld gespottet, auch wohl großmüthigst einen durch Monate ganz unpraktikabeln Arm zum freien Welthandel angeboten hat! – Es lag etwas von dem alten vox populi, vox dei in der allgemeinen Freude über die Annäherung an Hamburg und im Contraste damit in der vielfachen Bestürzung über den sogenannten „bittern Zuckervertrag“ vom 21 Januar. – Wo würden wir jetzt seyn, wenn wir 1815 Ostfriesland behalten und Lauenburg erworben und letzteres nicht obendrein in eine undeutsche, oft feindselige, 1813 für Lübeck und Hamburg wahrlich nicht wohlthätige Hand gelegt hätten! – Mehrere Zeitungen gaben jüngst einen Artikel von unbekannter Hand (ein Kopf scheint nicht dabei gewesen zu seyn), der in Hauptmann Rummelpuffs Manier von einer Aufregung in Bremen spricht über die vermeintliche Unthätigkeit des Senats, während ihm Hamburg zuvorkommen sey. Da in diesen speciellsten und überall verschiedenen Localverhältnissen stets unser Grundsatz war, immer so viel möglich mit jedem einzeln und successiv zu unterhandeln, haben wir ihn natürlich auch hier festgehalten. Nächstens ein Mehreres über den hiesigen Aufenthalt des trefflichen Bremer Archivars Dr. Heinrich Smidt, aber doch heute schon einen höchst interessanten Beitrag zur deutschen Handelsstatistik in einem Memorandum, welches von Bremischer Seite schon vor drei Vierteljahren in Berlin und an den Vereinshöfen übergeben worden ist, gleichzeitig mit der Anwesenheit des Hamburger Senators Lutheroth. „Memorandum. Die nächste Aufgabe des Zollvereins, wenn man die nationale Seite desselben ins Auge faßt – die Richtung, welche ihm den Namen des „deutschen“ erworben und gesichert, bestand in der Wegräumung hemmender Schranken des innern Verkehrs der theilnehmenden Staaten, in dem Schutze der einheimischen Industrie durch Festsetzung gemeinsamer Eingangsabgaben von Producten und Fabricaten des Auslandes, nach Maaßgabe des jedesmaligen Bedürfnisses eines solchen Schutzes; – somit in Herstellung einer Gemeinschaftlichkeit der Handels- und Gewerbsinteressen im Umfang eines von der Natur auf gleiches Bestreben und gegenseitige Unterstützung hingewiesenen, den Kern von Deutschland in sich begreifenden Gebiets. „Dieses Ziel ist im Wesentlichen erreicht. Deutsche Bodencultur und Fabrikindustrie, neben den altbewährten Elementen ihres Wohlstandes auch neue Erwerbszweige sich aneignend, wie das Bedürfniß des Jahrhunderts sie fordert, haben staunenswerthe Fortschritte gemacht. Sie haben die Höhe erstiegen, wo die Gefahr eines ungehinderten Wetteifers fremder Betriebsamkeit in einem heilsamen Antrieb zum gleichen Schritthalten sich zu wandeln beginnt, wo an die Stelle der Schutz bringenden Eigenschaft die financielle Seite der Eingangsabgaben in den Vordergrund tritt. Mit dem wachsenden Begehr nach den Lebensbedürfnissen und Luxusartikeln, welche das fernere Ausland bietet, steht jetzt die Fülle und Mannichfaltigkeit des zum Austausch geeigneten Ueberflusses der Heimath in glücklichem Gleichgewichte. So ist also die Grundlage gewonnen, auf welcher auch der Handel zur wohlthätigen Nothwendigkeit wird, treu seiner eigentlichen Bestimmung, Geber und Nehmer gleichzeitig zu bereichern. „Die Tendenz des Vereins muß sich daher erweitern; – er hat die Interessen seiner Gesammtheit als Eines großen Handelsgebietes auswärtigen Handelsstaaten gegenüber geltend zu machen. Er muß sich um so dringender dazu auffordern, als seit der kurzen Dauer seiner Existenz die Annäherungen der Völker durch den Welthandel in früher ungewohnten Progressionen fortgeschritten, und wer sich nicht den Reihen der Suchenden und Strebenden mit anschließt, Gefahr läuft, hintenaus zu bleiben, bald selbst nicht mehr vermißt und aufgesucht zu werden. „Zu solcher Mitbewerbung in der Sphäre des activen Welthandels bedarf ein Continentalstaat aber mancher, dem Binnen- und Gränzverkehr oder auch dem großartigen Austausch auf den Centralpunkten der Waarenzüge eines weitgestreckten Landsgebiets fremder Hülfsmittel und Einrichtungen – vor Allem leichter Verbindungen mit dem Weltmeere durch schiffbare Flüsse, oder künstliche Communicationswege, welche sie zu ersetzen im Stande; geeigneter Seehäfen an den Mündungen und großer Handelsplätze in den Gegenden, wo See- und Flußschifffahrt sich scheiden; Märkte, auf denen Gegenstände der Ein- und Ausfuhr zusammen kommen – mit den dazu erforderlichen mannichfachen Instituten, aber auch mit einer

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 18. Augsburg, 18. Januar 1840, S. 0138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_018_18400118/10>, abgerufen am 29.03.2024.