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Allgemeine Zeitung. Nr. 34. Augsburg, 3. Februar 1840.

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machte. Er überstand die Erschütterungen in der westphälischen Zeit und sah die Hochschule noch einmal aufblühen. Als der jüngste Sturm über sie hereinbrach, verhüllte die glückliche Ruhe des Greisenalters Gegenwart und Zukunft. Unter der Last der Jahre hatten die Kräfte der Sinne und des Geistes abgenommen, und selbst das letzte Wissen, an das die jüngsten Ereignisse sonst am Abend des Lebens erinnern mußten, blieb ihm dunkel - das Wissen: "daß Alles eitel sey und voll Mühe und die Kunst gut zu sterben." Blumenbach entschlief sanft und ruhig im fast vollendeten 88sten Jahre seines Alters.

Sendschreiben eines Rheinpreußen an Hrn. Mauguin.

(Beschluß.)

"Die zweite Epoche beginnt mit dem Wiener Friedensschlusse vom Jahr 1815, der den größten Theil der am linken Rheinufer gelegenen Länderstriche mit Preußen vereinigte. Sehr groß war allerdings der Unterschied zwischen dem System, das die preußische Regierung für diese neuen Besitzungen annahm, und demjenigen, auf welches die Sympathie sich gründen sollte, deren Täuschungen Sie in Ihren Vergrößerungsplanen für baare Münze hinnehmen.

"Welche Hauptveränderung, glauben Sie wohl, sey in den ersten Jahren der preußischen Besitznahme vorgenommen worden? Gar keine, mit Ausnahme der Abschaffung der Droits reunis und des französischen Zollsystems. Sie denken ohne Zweifel, man habe diesen bedeutenden Ausfall in dem Staatseinkommen durch andere Abgaben zu decken gesucht? Sie sind im Irrthum. Die preußische Regierung hat keine neue Abgabe eingeführt, als in Folge der verschiedenen Gesetze von 1818 bis 1820, durch welche das System der indirecten Steuern für die gesammten Staaten festgestellt wurde. Bis dahin gab es in diesen Provinzen keine indirecten Abgaben, als die Einschreib- und die Stempelgebühr. Der Handel mit allen Ländern, Frankreich nicht ausgenommen, blieb vollkommen frei und unterlag keiner Abgabe. Unmöglich konnte irgend ein Land einer minder beschränkten Freiheit in seiner commerciellen und industriellen Thätigkeit genießen und einer geringern Steuerlast sich rühmen; es war in dieser Beziehung ein wahrhaft goldenes Zeitalter, das nimmer wiederkehren wird. Es bedarf kaum einer oberflächlichen Vergleichung der fünf ersten Verwaltungsjahre der beiden Regierungen, die in den Rheinprovinzen auf einander gefolgt sind, um ein Gemälde darzustellen, vor dem alle Jene erröthen müssen, die es für möglich halten, daß man sich dort nach der französischen Herrschaft zurücksehne.

"Gewiß, unser erstes Auftreten war von dem Ihrigen völlig verschieden. Wir haben nicht damit begonnen, das ganze Land in eine nackte Tafel zu gestalten, um in dieselbe alle unsere Gesetze und Einrichtungen einzugraben! Auch wir haben in Preußen eine Gesetzgebung, die wir in unserer Meinung höher als jene vieler anderer Länder stellen, aber nichtsdestoweniger spricht man jetzt, nach 25jähriger preußischer Herrschaft, noch immer am Rhein nach den französischen Gesetzbüchern Recht, nicht weil wir sie für vollkommen halten, sondern weil die Bevölkerung daran gewöhnt ist und das, was sie kennt, dem Unbekannten vorzieht. Die Sympathie, mit der Sie sich schmeicheln, wird von unserer Regierung so wenig gefürchtet, daß man diesen Theil des politischen Volkslebens, der doch am meisten dazu geeignet wäre, ihr Nahrung zu geben, auf keine Weise beschränkt hat. Die einzige wesentliche Veränderung, welche stattfand, besteht in der Form der Provincialverwaltung. Jenes Präfectursystem, das darauf berechnet ist, die gesammte politische Lebenskraft in der Hauptstadt zu centralisiren, hat einem Localsystem Platz gemacht, wo die Interessen des Landes an Ort und Stelle erörtert und geregelt werden, und zwar von Behörden, die aus Provincialräthen bestehen, welche mitten unter diesen Interessen leben und nicht eher angestellt werden, als bis sie Beweise von hinlänglichen Kenntnissen in der Gesetzgebungskunde und dem politischen Staatshaushalt abgelegt haben. Auch wurde diese Veränderung erst dann vorgenommen, nachdem man drei Jahre lang sich auf das Studium alles dessen verlegt hatte, was auf die Bedingungen der wahren Wohlfahrt des Landes sich bezieht. Erkundigen Sie sich nach der Verwaltungsweise dieser Behörden, und Sie werden erfahren, ob es möglich ist, daß man sich in den preußischen Rheinprovinzen nach dem Präfecturensystem zurücksehne!

"Die französische Regierung ist in diesem Lande zuerst damit aufgetreten, daß sie ihm einen großen Theil ihrer 45 Milliarden Assignaten, welche die Revolution geboren hatte, zukommen ließ. Wissen Sie, was die preußische Regierung gethan hat? Sie hat ihre Verwaltung nicht nur damit begonnen, daß sie für die Befestigungswerke von Coblenz, Köln u. a. Städten einige 100 Millionen in Umlauf setzte, sondern sie hat auch ihren Einwohnern zu der Wiedererstattung von 50 Mill. verholfen, die Frankreich ihnen schuldete, und die ohne den politischen Wechsel ihres Schicksals für das Land verloren waren. Die französische Regierung hatte das gesammte öffentliche Vermögen der Rheinprovinzen ausgebeutet; sie hatte die Domänen und die liegenden Güter der Körperschaften verkauft, ohne auf die Schulden Rücksicht zu nehmen, welche hypothekarisch auf denselben lasteten. In der Geldklemme einer dem Untergange nahen Macht wurden sogar die Gemeindegüter nicht verschont. Die preußische Verwaltung zog die alten Schulden des Landes und seiner Gemeinden wieder ans Licht, und stellte die Zahlung der Zinsen wieder her; sie bestimmte die übrig bleibenden Domänen zur Tilgung der erstern, und ordnete die allmähliche Abtragung aller Gemeindeschulden mit einem Erfolg an, der gegenwärtig sein Ziel beinahe erreicht hat. Niemals ist in diesen Provinzen eine so bedeutende Summe baaren Geldes im Umlauf gewesen, als unter der preußischen Regierung. Es gibt aber auch dort keine Stadt und kein Dorf, das seit 1814 nicht völlig umgestaltet wäre und einen Anstrich von Frische und Wohlhabenheit gewonnen hätte, wie man ihn vorher nie gekannt hat. Ueberall zeigen sich die auffallendsten Fortschritte des politischen Wohlstandes, und der Werth des Grundeigenthums ist um das Doppelte gestiegen. Das sittliche Interesse der Bevölkerung hält gleichen Schritt mit dem materiellen. Der öffentliche Unterricht hat in jeder Abstufung an Umfang und Tiefe gewonnen, und die geringe Zahl von Lyceen und Rechtsschulen, welche bestand, ist durch polytechnische Institute und Collegien ersetzt worden, die dem neuen Aufschwung unentbehrlich sind, den der menschliche Geist dort genommen hat, als Folge der Thätigkeit einer Landesuniversität, welche nur mit einigen 1000 Franken weniger fundirt ist, als jene von Paris.

"Ich komme zur dritten Epoche dieses Landes, die mit der Entfernung des Erzbischofs von Köln beginnt. Die Presse hat dieses Ereigniß und seine Folgen dermaßen entstellt, daß man glauben könnte, eine der preußischen Regierung durchaus feindselige Aufregung der Gemüther habe sich seiner Einwohner bemächtigt. Der Nachbarschaft Belgiens ungeachtet, möchte ich doch bezweifeln, daß Sie an eine geistige Unterjochung der Bewohner dieser Provinzen glauben können. Jedenfalls ist es mir erfreulich, Sie versichern zu dürfen, daß der Theil unserer Geistlichkeit, der durch die Uebertreibung seiner Meinung compromittirt

machte. Er überstand die Erschütterungen in der westphälischen Zeit und sah die Hochschule noch einmal aufblühen. Als der jüngste Sturm über sie hereinbrach, verhüllte die glückliche Ruhe des Greisenalters Gegenwart und Zukunft. Unter der Last der Jahre hatten die Kräfte der Sinne und des Geistes abgenommen, und selbst das letzte Wissen, an das die jüngsten Ereignisse sonst am Abend des Lebens erinnern mußten, blieb ihm dunkel – das Wissen: „daß Alles eitel sey und voll Mühe und die Kunst gut zu sterben.“ Blumenbach entschlief sanft und ruhig im fast vollendeten 88sten Jahre seines Alters.

Sendschreiben eines Rheinpreußen an Hrn. Mauguin.

(Beschluß.)

„Die zweite Epoche beginnt mit dem Wiener Friedensschlusse vom Jahr 1815, der den größten Theil der am linken Rheinufer gelegenen Länderstriche mit Preußen vereinigte. Sehr groß war allerdings der Unterschied zwischen dem System, das die preußische Regierung für diese neuen Besitzungen annahm, und demjenigen, auf welches die Sympathie sich gründen sollte, deren Täuschungen Sie in Ihren Vergrößerungsplanen für baare Münze hinnehmen.

„Welche Hauptveränderung, glauben Sie wohl, sey in den ersten Jahren der preußischen Besitznahme vorgenommen worden? Gar keine, mit Ausnahme der Abschaffung der Droits réunis und des französischen Zollsystems. Sie denken ohne Zweifel, man habe diesen bedeutenden Ausfall in dem Staatseinkommen durch andere Abgaben zu decken gesucht? Sie sind im Irrthum. Die preußische Regierung hat keine neue Abgabe eingeführt, als in Folge der verschiedenen Gesetze von 1818 bis 1820, durch welche das System der indirecten Steuern für die gesammten Staaten festgestellt wurde. Bis dahin gab es in diesen Provinzen keine indirecten Abgaben, als die Einschreib- und die Stempelgebühr. Der Handel mit allen Ländern, Frankreich nicht ausgenommen, blieb vollkommen frei und unterlag keiner Abgabe. Unmöglich konnte irgend ein Land einer minder beschränkten Freiheit in seiner commerciellen und industriellen Thätigkeit genießen und einer geringern Steuerlast sich rühmen; es war in dieser Beziehung ein wahrhaft goldenes Zeitalter, das nimmer wiederkehren wird. Es bedarf kaum einer oberflächlichen Vergleichung der fünf ersten Verwaltungsjahre der beiden Regierungen, die in den Rheinprovinzen auf einander gefolgt sind, um ein Gemälde darzustellen, vor dem alle Jene erröthen müssen, die es für möglich halten, daß man sich dort nach der französischen Herrschaft zurücksehne.

„Gewiß, unser erstes Auftreten war von dem Ihrigen völlig verschieden. Wir haben nicht damit begonnen, das ganze Land in eine nackte Tafel zu gestalten, um in dieselbe alle unsere Gesetze und Einrichtungen einzugraben! Auch wir haben in Preußen eine Gesetzgebung, die wir in unserer Meinung höher als jene vieler anderer Länder stellen, aber nichtsdestoweniger spricht man jetzt, nach 25jähriger preußischer Herrschaft, noch immer am Rhein nach den französischen Gesetzbüchern Recht, nicht weil wir sie für vollkommen halten, sondern weil die Bevölkerung daran gewöhnt ist und das, was sie kennt, dem Unbekannten vorzieht. Die Sympathie, mit der Sie sich schmeicheln, wird von unserer Regierung so wenig gefürchtet, daß man diesen Theil des politischen Volkslebens, der doch am meisten dazu geeignet wäre, ihr Nahrung zu geben, auf keine Weise beschränkt hat. Die einzige wesentliche Veränderung, welche stattfand, besteht in der Form der Provincialverwaltung. Jenes Präfectursystem, das darauf berechnet ist, die gesammte politische Lebenskraft in der Hauptstadt zu centralisiren, hat einem Localsystem Platz gemacht, wo die Interessen des Landes an Ort und Stelle erörtert und geregelt werden, und zwar von Behörden, die aus Provincialräthen bestehen, welche mitten unter diesen Interessen leben und nicht eher angestellt werden, als bis sie Beweise von hinlänglichen Kenntnissen in der Gesetzgebungskunde und dem politischen Staatshaushalt abgelegt haben. Auch wurde diese Veränderung erst dann vorgenommen, nachdem man drei Jahre lang sich auf das Studium alles dessen verlegt hatte, was auf die Bedingungen der wahren Wohlfahrt des Landes sich bezieht. Erkundigen Sie sich nach der Verwaltungsweise dieser Behörden, und Sie werden erfahren, ob es möglich ist, daß man sich in den preußischen Rheinprovinzen nach dem Präfecturensystem zurücksehne!

„Die französische Regierung ist in diesem Lande zuerst damit aufgetreten, daß sie ihm einen großen Theil ihrer 45 Milliarden Assignaten, welche die Revolution geboren hatte, zukommen ließ. Wissen Sie, was die preußische Regierung gethan hat? Sie hat ihre Verwaltung nicht nur damit begonnen, daß sie für die Befestigungswerke von Coblenz, Köln u. a. Städten einige 100 Millionen in Umlauf setzte, sondern sie hat auch ihren Einwohnern zu der Wiedererstattung von 50 Mill. verholfen, die Frankreich ihnen schuldete, und die ohne den politischen Wechsel ihres Schicksals für das Land verloren waren. Die französische Regierung hatte das gesammte öffentliche Vermögen der Rheinprovinzen ausgebeutet; sie hatte die Domänen und die liegenden Güter der Körperschaften verkauft, ohne auf die Schulden Rücksicht zu nehmen, welche hypothekarisch auf denselben lasteten. In der Geldklemme einer dem Untergange nahen Macht wurden sogar die Gemeindegüter nicht verschont. Die preußische Verwaltung zog die alten Schulden des Landes und seiner Gemeinden wieder ans Licht, und stellte die Zahlung der Zinsen wieder her; sie bestimmte die übrig bleibenden Domänen zur Tilgung der erstern, und ordnete die allmähliche Abtragung aller Gemeindeschulden mit einem Erfolg an, der gegenwärtig sein Ziel beinahe erreicht hat. Niemals ist in diesen Provinzen eine so bedeutende Summe baaren Geldes im Umlauf gewesen, als unter der preußischen Regierung. Es gibt aber auch dort keine Stadt und kein Dorf, das seit 1814 nicht völlig umgestaltet wäre und einen Anstrich von Frische und Wohlhabenheit gewonnen hätte, wie man ihn vorher nie gekannt hat. Ueberall zeigen sich die auffallendsten Fortschritte des politischen Wohlstandes, und der Werth des Grundeigenthums ist um das Doppelte gestiegen. Das sittliche Interesse der Bevölkerung hält gleichen Schritt mit dem materiellen. Der öffentliche Unterricht hat in jeder Abstufung an Umfang und Tiefe gewonnen, und die geringe Zahl von Lyceen und Rechtsschulen, welche bestand, ist durch polytechnische Institute und Collegien ersetzt worden, die dem neuen Aufschwung unentbehrlich sind, den der menschliche Geist dort genommen hat, als Folge der Thätigkeit einer Landesuniversität, welche nur mit einigen 1000 Franken weniger fundirt ist, als jene von Paris.

„Ich komme zur dritten Epoche dieses Landes, die mit der Entfernung des Erzbischofs von Köln beginnt. Die Presse hat dieses Ereigniß und seine Folgen dermaßen entstellt, daß man glauben könnte, eine der preußischen Regierung durchaus feindselige Aufregung der Gemüther habe sich seiner Einwohner bemächtigt. Der Nachbarschaft Belgiens ungeachtet, möchte ich doch bezweifeln, daß Sie an eine geistige Unterjochung der Bewohner dieser Provinzen glauben können. Jedenfalls ist es mir erfreulich, Sie versichern zu dürfen, daß der Theil unserer Geistlichkeit, der durch die Uebertreibung seiner Meinung compromittirt

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[0266/0010] machte. Er überstand die Erschütterungen in der westphälischen Zeit und sah die Hochschule noch einmal aufblühen. Als der jüngste Sturm über sie hereinbrach, verhüllte die glückliche Ruhe des Greisenalters Gegenwart und Zukunft. Unter der Last der Jahre hatten die Kräfte der Sinne und des Geistes abgenommen, und selbst das letzte Wissen, an das die jüngsten Ereignisse sonst am Abend des Lebens erinnern mußten, blieb ihm dunkel – das Wissen: „daß Alles eitel sey und voll Mühe und die Kunst gut zu sterben.“ Blumenbach entschlief sanft und ruhig im fast vollendeten 88sten Jahre seines Alters. Sendschreiben eines Rheinpreußen an Hrn. Mauguin. (Beschluß.) „Die zweite Epoche beginnt mit dem Wiener Friedensschlusse vom Jahr 1815, der den größten Theil der am linken Rheinufer gelegenen Länderstriche mit Preußen vereinigte. Sehr groß war allerdings der Unterschied zwischen dem System, das die preußische Regierung für diese neuen Besitzungen annahm, und demjenigen, auf welches die Sympathie sich gründen sollte, deren Täuschungen Sie in Ihren Vergrößerungsplanen für baare Münze hinnehmen. „Welche Hauptveränderung, glauben Sie wohl, sey in den ersten Jahren der preußischen Besitznahme vorgenommen worden? Gar keine, mit Ausnahme der Abschaffung der Droits réunis und des französischen Zollsystems. Sie denken ohne Zweifel, man habe diesen bedeutenden Ausfall in dem Staatseinkommen durch andere Abgaben zu decken gesucht? Sie sind im Irrthum. Die preußische Regierung hat keine neue Abgabe eingeführt, als in Folge der verschiedenen Gesetze von 1818 bis 1820, durch welche das System der indirecten Steuern für die gesammten Staaten festgestellt wurde. Bis dahin gab es in diesen Provinzen keine indirecten Abgaben, als die Einschreib- und die Stempelgebühr. Der Handel mit allen Ländern, Frankreich nicht ausgenommen, blieb vollkommen frei und unterlag keiner Abgabe. Unmöglich konnte irgend ein Land einer minder beschränkten Freiheit in seiner commerciellen und industriellen Thätigkeit genießen und einer geringern Steuerlast sich rühmen; es war in dieser Beziehung ein wahrhaft goldenes Zeitalter, das nimmer wiederkehren wird. Es bedarf kaum einer oberflächlichen Vergleichung der fünf ersten Verwaltungsjahre der beiden Regierungen, die in den Rheinprovinzen auf einander gefolgt sind, um ein Gemälde darzustellen, vor dem alle Jene erröthen müssen, die es für möglich halten, daß man sich dort nach der französischen Herrschaft zurücksehne. „Gewiß, unser erstes Auftreten war von dem Ihrigen völlig verschieden. Wir haben nicht damit begonnen, das ganze Land in eine nackte Tafel zu gestalten, um in dieselbe alle unsere Gesetze und Einrichtungen einzugraben! Auch wir haben in Preußen eine Gesetzgebung, die wir in unserer Meinung höher als jene vieler anderer Länder stellen, aber nichtsdestoweniger spricht man jetzt, nach 25jähriger preußischer Herrschaft, noch immer am Rhein nach den französischen Gesetzbüchern Recht, nicht weil wir sie für vollkommen halten, sondern weil die Bevölkerung daran gewöhnt ist und das, was sie kennt, dem Unbekannten vorzieht. Die Sympathie, mit der Sie sich schmeicheln, wird von unserer Regierung so wenig gefürchtet, daß man diesen Theil des politischen Volkslebens, der doch am meisten dazu geeignet wäre, ihr Nahrung zu geben, auf keine Weise beschränkt hat. Die einzige wesentliche Veränderung, welche stattfand, besteht in der Form der Provincialverwaltung. Jenes Präfectursystem, das darauf berechnet ist, die gesammte politische Lebenskraft in der Hauptstadt zu centralisiren, hat einem Localsystem Platz gemacht, wo die Interessen des Landes an Ort und Stelle erörtert und geregelt werden, und zwar von Behörden, die aus Provincialräthen bestehen, welche mitten unter diesen Interessen leben und nicht eher angestellt werden, als bis sie Beweise von hinlänglichen Kenntnissen in der Gesetzgebungskunde und dem politischen Staatshaushalt abgelegt haben. Auch wurde diese Veränderung erst dann vorgenommen, nachdem man drei Jahre lang sich auf das Studium alles dessen verlegt hatte, was auf die Bedingungen der wahren Wohlfahrt des Landes sich bezieht. Erkundigen Sie sich nach der Verwaltungsweise dieser Behörden, und Sie werden erfahren, ob es möglich ist, daß man sich in den preußischen Rheinprovinzen nach dem Präfecturensystem zurücksehne! „Die französische Regierung ist in diesem Lande zuerst damit aufgetreten, daß sie ihm einen großen Theil ihrer 45 Milliarden Assignaten, welche die Revolution geboren hatte, zukommen ließ. Wissen Sie, was die preußische Regierung gethan hat? Sie hat ihre Verwaltung nicht nur damit begonnen, daß sie für die Befestigungswerke von Coblenz, Köln u. a. Städten einige 100 Millionen in Umlauf setzte, sondern sie hat auch ihren Einwohnern zu der Wiedererstattung von 50 Mill. verholfen, die Frankreich ihnen schuldete, und die ohne den politischen Wechsel ihres Schicksals für das Land verloren waren. Die französische Regierung hatte das gesammte öffentliche Vermögen der Rheinprovinzen ausgebeutet; sie hatte die Domänen und die liegenden Güter der Körperschaften verkauft, ohne auf die Schulden Rücksicht zu nehmen, welche hypothekarisch auf denselben lasteten. In der Geldklemme einer dem Untergange nahen Macht wurden sogar die Gemeindegüter nicht verschont. Die preußische Verwaltung zog die alten Schulden des Landes und seiner Gemeinden wieder ans Licht, und stellte die Zahlung der Zinsen wieder her; sie bestimmte die übrig bleibenden Domänen zur Tilgung der erstern, und ordnete die allmähliche Abtragung aller Gemeindeschulden mit einem Erfolg an, der gegenwärtig sein Ziel beinahe erreicht hat. Niemals ist in diesen Provinzen eine so bedeutende Summe baaren Geldes im Umlauf gewesen, als unter der preußischen Regierung. Es gibt aber auch dort keine Stadt und kein Dorf, das seit 1814 nicht völlig umgestaltet wäre und einen Anstrich von Frische und Wohlhabenheit gewonnen hätte, wie man ihn vorher nie gekannt hat. Ueberall zeigen sich die auffallendsten Fortschritte des politischen Wohlstandes, und der Werth des Grundeigenthums ist um das Doppelte gestiegen. Das sittliche Interesse der Bevölkerung hält gleichen Schritt mit dem materiellen. Der öffentliche Unterricht hat in jeder Abstufung an Umfang und Tiefe gewonnen, und die geringe Zahl von Lyceen und Rechtsschulen, welche bestand, ist durch polytechnische Institute und Collegien ersetzt worden, die dem neuen Aufschwung unentbehrlich sind, den der menschliche Geist dort genommen hat, als Folge der Thätigkeit einer Landesuniversität, welche nur mit einigen 1000 Franken weniger fundirt ist, als jene von Paris. „Ich komme zur dritten Epoche dieses Landes, die mit der Entfernung des Erzbischofs von Köln beginnt. Die Presse hat dieses Ereigniß und seine Folgen dermaßen entstellt, daß man glauben könnte, eine der preußischen Regierung durchaus feindselige Aufregung der Gemüther habe sich seiner Einwohner bemächtigt. Der Nachbarschaft Belgiens ungeachtet, möchte ich doch bezweifeln, daß Sie an eine geistige Unterjochung der Bewohner dieser Provinzen glauben können. Jedenfalls ist es mir erfreulich, Sie versichern zu dürfen, daß der Theil unserer Geistlichkeit, der durch die Uebertreibung seiner Meinung compromittirt

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 34. Augsburg, 3. Februar 1840, S. 0266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_034_18400203/10>, abgerufen am 28.03.2024.