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Allgemeine Zeitung. Nr. 34. Augsburg, 3. Februar 1840.

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- Im Juragebiet regt sich's hier und da unheimlich, doch ohne Anzeichen ernster Zerwürfnisse.

Der im Laufe des abgewichenen Herbstes sehr aufgeregte schöne Kanton Aargau hat sich auf verfassungsmäßigem Wege in den Hafen einer geregelten Verfassungsrevision hineingeschifft, die den Landsturm von 1830 sühnen soll. Die Hauptpersonen aller Parteien stehen in der ernannten Revisionscommission friedlich beisammen. Die reichen Klöster sind durch Concessionen zu Gunsten eigener Verwaltung zufrieden gestellt.

Luzern arbeitet etwas unfriedlich vor auf eine Verfassungsrevision im Jahr 1841; das Volk ist indessen so jovialer Art, daß es den Zeitungskrieg kaum im größern Maaßstab aufführen wird.

Am 17 Febr. beginnen in Zürich friedliche Verhandlungen über Vertheilung und Verwendung der für die verheerten Kantone Uri, Tessin und Wallis geflossenen milden Steuern. Aus amtlichen Rapporten weiß man, daß weise Verwaltung in Forst- und Straßensachen in jenen Kantonen noch nothwendiger wäre als Geld.

Häufiger als den guten Schweizern lieb ist, müssen wir in unsern Bergen vernehmen, daß die mancherlei Wirren, besonders jene der letzten Monate, den Credit unserer Heimath bei dem beobachtenden Auslande sehr geschwächt haben sollen. Ich will manches Geschehene nicht entschuldigen, glaube aber auch nicht ohne Erfolg auf billige Beurtheilung unserer innern Zustände Anspruch machen zu können. Beurtheilt man die Schweiz bloß aus dem Standpunkt irgend eines vereinzelten Parteistreites, beurtheilt man sie vollends aus dem Standpunkte von Referenten, die bei einzelnen Streiten wieder nur im Interesse der einen betheiligten Partei schreiben, so ist eine unrichtige und der Schweiz als Gesammtheit Unrecht thuende Schlußfolgerung kaum zu vermeiden. Es ist aber glücklicher Weise im Laufe der Jahre nicht nur des Tadelnswerthen und Bösen Allerlei, sondern auch außerordentlich viel Großes, Ausgezeichnetes und vorzugsweise Nützliches geschehen, das den Charakter und die politische Betriebsamkeit des Volkes ehrt. Wenn ich auch dieser Wahrnehmungen gedenke, so geschieht es nicht, um einzig der Reformperiode seit 1830 Lob zu spenden, sondern um überhaupt die Leistungen der Kantone in den letzten Decennien in einfacher Darstellung der Vergessenheit zu entrücken. Die mancherlei Verbesserungen begannen oder wurden angeregt schon im zweiten Decennium des Jahrhunderts, als die Nachwehen der Umwälzungen von 1813 bis 1815 verschwunden waren. Zum Durchbruch und zur Ausführung kam das Meiste erst in der regeren Zeit des vierten Decenniums. Die Schweiz hat in dieser kurzen Frist für ein halbes Jahrhundert geleistet, und könnte mit Recht von löblichen Anstrengungen nun ausruhen, wenn träge Ruhe überhaupt mit der Natur der Menschen und Staaten vereinbarlich wäre.

Es wird mir nicht schwer fallen, durch einige Nachweisungen, wie sie mir das Gedächtniß eben in die Feder führt, das Behauptete zu bewahrheiten. Oben an steht das Bauwesen. Was man anfänglich nur dem Genie und den Kräften eines Napoleon zutraute (Simplonstraße), das haben später mehrere von financiellen Mitteln fast entblößte Kantone unter etwelcher Beihülfe geleistet. Uri und Tessin bauten die neue Gotthardsstraße, und Tessin, das früher verwahrlosete, stellte überhin ein vollendetes Straßensystem her. Graubündten that ein Gleiches, öffnete die Pässe über den Splügen und den Bernhardin, und baut dermal eine zweite, das ganze weite Gebirgsland durchziehende Hauptstraße, letztere allein vielleicht mit einer Ausgabe von einer halben Million. Basel und Nachbarschaft bauten Kunststraßen über den obern und untern Hauenstein, welche die nördlichen Verkehrszüge mit der Gotthardsstraße und Italien in Verbindung setzen. Zürich, Neuenburg, St. Gallen und Luzern, auch Waadt und Glarus haben theils ihr ganzes Gebiet mit ausgezeichneten Straßen versehen, theils einzelne große und nützliche Bauten ausgeführt. Wallis endlich will mit dem Bau über den großen St. Bernhard schließen. So sind bereits mehrere Millionen zum Segen und zur Ehre des Landes verwendet worden, und die Schweiz, wie sie jetzt ist, dürfte neben jener von 1818 kaum mehr zu kennen seyn. - Im Laufe zweier Decennien sind vier neue, im Ganzen vorzügliche Pönitentiarstrafanstalten erstanden: zu Genf, Lausanne, St. Gallen und Bern. Das alte Gefängnißregime traurigen Andenkens verschwand in diesen Kantonen, und wird nun allmählich auch in den übrigen verdrängt. Zürich und Luzern haben ihre Anstalten wenigstens wesentlich verbessert, wenn sie auch die Vorzüge der erstgenannten nicht ansprechen können. Neuenburg baute sein stattliches Gymnasialgebäude, Zürich seine neue Blinden- und Taubstummenanstalt, sein Krankenhaus von seltener Dimension (es soll kommendes Jahr vollendet werden), endlich sein Posthaus, Aargau und Glarus ihre Regierungsgebäude, St. Gallen sein Zeughaus; der vielen städtischen und localen Unternehmungen nicht zu gedenken. - Drei Hängebrücken im Kanton Freiburg, darunter die größte in Europa, und ein paar kleinere in Genf und Aargau, beurkunden den Sinn auch für das Außerordentliche.

(Beschluß folgt.)

Deutschland.

Als vor drei Tagen der Geheimrath v. Utzschneider von seinem Landgute in die Stadt fuhr, um einer Sitzung der zweiten Kammer beizuwohnen, zu deren Mitglied er in allen Ständeversammlungen gewählt war, wurden am Giesinger Berge die Pferde scheu, der Wagen schlug um, und - an den Folgen schwerer Kopfverletzung endete der Tiefbetrauerte in dieser Nacht sein Daseyn. Wiewohl 77 Jahre alt, hatte sein kräftiger Geist und der rüstige Körper dem Manne noch langes Leben verheißen. Utzschneiders Benehmen bei seinem Eintritt ins Geschäftsleben, die Pflichttreue und Charakterstärke des kaum 20jährigen Jünglings gehört bereits der Geschichte Bayerns an, und ist bei Zschokke nachzulesen. Was der Verstorbene, so lang er an der Spitze der wichtigsten Zweige der Finanzverwaltung stand, als Staatsmann Erfolgreiches geleistet, wie er als Privatmann durch großartige Unternehmungen belebend und fördernd auf die Industrie des Landes eingewirkt, wie er öde Strecken bebaut, Gebäude und Fabriken errichtet, Institute gegründet ect. (worunter das optische seinen und Fraunhofers Namen ins fernste Ausland trug), dieß und Anderes zu melden bleibe seinem Biographen vorbehalten. Utzschneider ward bei seinen Unternehmungen nicht durch Eigennutz geleitet: er hatte das Wohl seiner Mitbürger im Auge, er fühlte unwiderstehlich den Drang in sich, zu wirken, zu schaffen, zu versuchen, und Leben und Thätigseyn war ihm gleichbedeutend. Als er seine Staatsämter niederlegte, verzichtete er auf seinen Ruhegehalt von 5000 fl., eine Thatsache, die ich anführe, weil sie den Charakter des Mannes bezeichnet, und weil sie in unsern Tagen sehr selten vorkommt; er, der Hunderten Brod und Nahrung gab, und ohne Aufwand lebte, hinterläßt nach glaubwürdiger Versicherung keineswegs ein bedeutendes Vermögen. So sind sie nun beide von uns geschieden, Utzschneider und Fraunhofer, aber ihre Namen werden fortleben, wie ihre Verdienste um Staat und Wissenschaft.

– Im Juragebiet regt sich's hier und da unheimlich, doch ohne Anzeichen ernster Zerwürfnisse.

Der im Laufe des abgewichenen Herbstes sehr aufgeregte schöne Kanton Aargau hat sich auf verfassungsmäßigem Wege in den Hafen einer geregelten Verfassungsrevision hineingeschifft, die den Landsturm von 1830 sühnen soll. Die Hauptpersonen aller Parteien stehen in der ernannten Revisionscommission friedlich beisammen. Die reichen Klöster sind durch Concessionen zu Gunsten eigener Verwaltung zufrieden gestellt.

Luzern arbeitet etwas unfriedlich vor auf eine Verfassungsrevision im Jahr 1841; das Volk ist indessen so jovialer Art, daß es den Zeitungskrieg kaum im größern Maaßstab aufführen wird.

Am 17 Febr. beginnen in Zürich friedliche Verhandlungen über Vertheilung und Verwendung der für die verheerten Kantone Uri, Tessin und Wallis geflossenen milden Steuern. Aus amtlichen Rapporten weiß man, daß weise Verwaltung in Forst- und Straßensachen in jenen Kantonen noch nothwendiger wäre als Geld.

Häufiger als den guten Schweizern lieb ist, müssen wir in unsern Bergen vernehmen, daß die mancherlei Wirren, besonders jene der letzten Monate, den Credit unserer Heimath bei dem beobachtenden Auslande sehr geschwächt haben sollen. Ich will manches Geschehene nicht entschuldigen, glaube aber auch nicht ohne Erfolg auf billige Beurtheilung unserer innern Zustände Anspruch machen zu können. Beurtheilt man die Schweiz bloß aus dem Standpunkt irgend eines vereinzelten Parteistreites, beurtheilt man sie vollends aus dem Standpunkte von Referenten, die bei einzelnen Streiten wieder nur im Interesse der einen betheiligten Partei schreiben, so ist eine unrichtige und der Schweiz als Gesammtheit Unrecht thuende Schlußfolgerung kaum zu vermeiden. Es ist aber glücklicher Weise im Laufe der Jahre nicht nur des Tadelnswerthen und Bösen Allerlei, sondern auch außerordentlich viel Großes, Ausgezeichnetes und vorzugsweise Nützliches geschehen, das den Charakter und die politische Betriebsamkeit des Volkes ehrt. Wenn ich auch dieser Wahrnehmungen gedenke, so geschieht es nicht, um einzig der Reformperiode seit 1830 Lob zu spenden, sondern um überhaupt die Leistungen der Kantone in den letzten Decennien in einfacher Darstellung der Vergessenheit zu entrücken. Die mancherlei Verbesserungen begannen oder wurden angeregt schon im zweiten Decennium des Jahrhunderts, als die Nachwehen der Umwälzungen von 1813 bis 1815 verschwunden waren. Zum Durchbruch und zur Ausführung kam das Meiste erst in der regeren Zeit des vierten Decenniums. Die Schweiz hat in dieser kurzen Frist für ein halbes Jahrhundert geleistet, und könnte mit Recht von löblichen Anstrengungen nun ausruhen, wenn träge Ruhe überhaupt mit der Natur der Menschen und Staaten vereinbarlich wäre.

Es wird mir nicht schwer fallen, durch einige Nachweisungen, wie sie mir das Gedächtniß eben in die Feder führt, das Behauptete zu bewahrheiten. Oben an steht das Bauwesen. Was man anfänglich nur dem Genie und den Kräften eines Napoleon zutraute (Simplonstraße), das haben später mehrere von financiellen Mitteln fast entblößte Kantone unter etwelcher Beihülfe geleistet. Uri und Tessin bauten die neue Gotthardsstraße, und Tessin, das früher verwahrlosete, stellte überhin ein vollendetes Straßensystem her. Graubündten that ein Gleiches, öffnete die Pässe über den Splügen und den Bernhardin, und baut dermal eine zweite, das ganze weite Gebirgsland durchziehende Hauptstraße, letztere allein vielleicht mit einer Ausgabe von einer halben Million. Basel und Nachbarschaft bauten Kunststraßen über den obern und untern Hauenstein, welche die nördlichen Verkehrszüge mit der Gotthardsstraße und Italien in Verbindung setzen. Zürich, Neuenburg, St. Gallen und Luzern, auch Waadt und Glarus haben theils ihr ganzes Gebiet mit ausgezeichneten Straßen versehen, theils einzelne große und nützliche Bauten ausgeführt. Wallis endlich will mit dem Bau über den großen St. Bernhard schließen. So sind bereits mehrere Millionen zum Segen und zur Ehre des Landes verwendet worden, und die Schweiz, wie sie jetzt ist, dürfte neben jener von 1818 kaum mehr zu kennen seyn. – Im Laufe zweier Decennien sind vier neue, im Ganzen vorzügliche Pönitentiarstrafanstalten erstanden: zu Genf, Lausanne, St. Gallen und Bern. Das alte Gefängnißregime traurigen Andenkens verschwand in diesen Kantonen, und wird nun allmählich auch in den übrigen verdrängt. Zürich und Luzern haben ihre Anstalten wenigstens wesentlich verbessert, wenn sie auch die Vorzüge der erstgenannten nicht ansprechen können. Neuenburg baute sein stattliches Gymnasialgebäude, Zürich seine neue Blinden- und Taubstummenanstalt, sein Krankenhaus von seltener Dimension (es soll kommendes Jahr vollendet werden), endlich sein Posthaus, Aargau und Glarus ihre Regierungsgebäude, St. Gallen sein Zeughaus; der vielen städtischen und localen Unternehmungen nicht zu gedenken. – Drei Hängebrücken im Kanton Freiburg, darunter die größte in Europa, und ein paar kleinere in Genf und Aargau, beurkunden den Sinn auch für das Außerordentliche.

(Beschluß folgt.)

Deutschland.

Als vor drei Tagen der Geheimrath v. Utzschneider von seinem Landgute in die Stadt fuhr, um einer Sitzung der zweiten Kammer beizuwohnen, zu deren Mitglied er in allen Ständeversammlungen gewählt war, wurden am Giesinger Berge die Pferde scheu, der Wagen schlug um, und – an den Folgen schwerer Kopfverletzung endete der Tiefbetrauerte in dieser Nacht sein Daseyn. Wiewohl 77 Jahre alt, hatte sein kräftiger Geist und der rüstige Körper dem Manne noch langes Leben verheißen. Utzschneiders Benehmen bei seinem Eintritt ins Geschäftsleben, die Pflichttreue und Charakterstärke des kaum 20jährigen Jünglings gehört bereits der Geschichte Bayerns an, und ist bei Zschokke nachzulesen. Was der Verstorbene, so lang er an der Spitze der wichtigsten Zweige der Finanzverwaltung stand, als Staatsmann Erfolgreiches geleistet, wie er als Privatmann durch großartige Unternehmungen belebend und fördernd auf die Industrie des Landes eingewirkt, wie er öde Strecken bebaut, Gebäude und Fabriken errichtet, Institute gegründet ect. (worunter das optische seinen und Fraunhofers Namen ins fernste Ausland trug), dieß und Anderes zu melden bleibe seinem Biographen vorbehalten. Utzschneider ward bei seinen Unternehmungen nicht durch Eigennutz geleitet: er hatte das Wohl seiner Mitbürger im Auge, er fühlte unwiderstehlich den Drang in sich, zu wirken, zu schaffen, zu versuchen, und Leben und Thätigseyn war ihm gleichbedeutend. Als er seine Staatsämter niederlegte, verzichtete er auf seinen Ruhegehalt von 5000 fl., eine Thatsache, die ich anführe, weil sie den Charakter des Mannes bezeichnet, und weil sie in unsern Tagen sehr selten vorkommt; er, der Hunderten Brod und Nahrung gab, und ohne Aufwand lebte, hinterläßt nach glaubwürdiger Versicherung keineswegs ein bedeutendes Vermögen. So sind sie nun beide von uns geschieden, Utzschneider und Fraunhofer, aber ihre Namen werden fortleben, wie ihre Verdienste um Staat und Wissenschaft.

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[0270/0006] – Im Juragebiet regt sich's hier und da unheimlich, doch ohne Anzeichen ernster Zerwürfnisse. Der im Laufe des abgewichenen Herbstes sehr aufgeregte schöne Kanton Aargau hat sich auf verfassungsmäßigem Wege in den Hafen einer geregelten Verfassungsrevision hineingeschifft, die den Landsturm von 1830 sühnen soll. Die Hauptpersonen aller Parteien stehen in der ernannten Revisionscommission friedlich beisammen. Die reichen Klöster sind durch Concessionen zu Gunsten eigener Verwaltung zufrieden gestellt. Luzern arbeitet etwas unfriedlich vor auf eine Verfassungsrevision im Jahr 1841; das Volk ist indessen so jovialer Art, daß es den Zeitungskrieg kaum im größern Maaßstab aufführen wird. Am 17 Febr. beginnen in Zürich friedliche Verhandlungen über Vertheilung und Verwendung der für die verheerten Kantone Uri, Tessin und Wallis geflossenen milden Steuern. Aus amtlichen Rapporten weiß man, daß weise Verwaltung in Forst- und Straßensachen in jenen Kantonen noch nothwendiger wäre als Geld. Häufiger als den guten Schweizern lieb ist, müssen wir in unsern Bergen vernehmen, daß die mancherlei Wirren, besonders jene der letzten Monate, den Credit unserer Heimath bei dem beobachtenden Auslande sehr geschwächt haben sollen. Ich will manches Geschehene nicht entschuldigen, glaube aber auch nicht ohne Erfolg auf billige Beurtheilung unserer innern Zustände Anspruch machen zu können. Beurtheilt man die Schweiz bloß aus dem Standpunkt irgend eines vereinzelten Parteistreites, beurtheilt man sie vollends aus dem Standpunkte von Referenten, die bei einzelnen Streiten wieder nur im Interesse der einen betheiligten Partei schreiben, so ist eine unrichtige und der Schweiz als Gesammtheit Unrecht thuende Schlußfolgerung kaum zu vermeiden. Es ist aber glücklicher Weise im Laufe der Jahre nicht nur des Tadelnswerthen und Bösen Allerlei, sondern auch außerordentlich viel Großes, Ausgezeichnetes und vorzugsweise Nützliches geschehen, das den Charakter und die politische Betriebsamkeit des Volkes ehrt. Wenn ich auch dieser Wahrnehmungen gedenke, so geschieht es nicht, um einzig der Reformperiode seit 1830 Lob zu spenden, sondern um überhaupt die Leistungen der Kantone in den letzten Decennien in einfacher Darstellung der Vergessenheit zu entrücken. Die mancherlei Verbesserungen begannen oder wurden angeregt schon im zweiten Decennium des Jahrhunderts, als die Nachwehen der Umwälzungen von 1813 bis 1815 verschwunden waren. Zum Durchbruch und zur Ausführung kam das Meiste erst in der regeren Zeit des vierten Decenniums. Die Schweiz hat in dieser kurzen Frist für ein halbes Jahrhundert geleistet, und könnte mit Recht von löblichen Anstrengungen nun ausruhen, wenn träge Ruhe überhaupt mit der Natur der Menschen und Staaten vereinbarlich wäre. Es wird mir nicht schwer fallen, durch einige Nachweisungen, wie sie mir das Gedächtniß eben in die Feder führt, das Behauptete zu bewahrheiten. Oben an steht das Bauwesen. Was man anfänglich nur dem Genie und den Kräften eines Napoleon zutraute (Simplonstraße), das haben später mehrere von financiellen Mitteln fast entblößte Kantone unter etwelcher Beihülfe geleistet. Uri und Tessin bauten die neue Gotthardsstraße, und Tessin, das früher verwahrlosete, stellte überhin ein vollendetes Straßensystem her. Graubündten that ein Gleiches, öffnete die Pässe über den Splügen und den Bernhardin, und baut dermal eine zweite, das ganze weite Gebirgsland durchziehende Hauptstraße, letztere allein vielleicht mit einer Ausgabe von einer halben Million. Basel und Nachbarschaft bauten Kunststraßen über den obern und untern Hauenstein, welche die nördlichen Verkehrszüge mit der Gotthardsstraße und Italien in Verbindung setzen. Zürich, Neuenburg, St. Gallen und Luzern, auch Waadt und Glarus haben theils ihr ganzes Gebiet mit ausgezeichneten Straßen versehen, theils einzelne große und nützliche Bauten ausgeführt. Wallis endlich will mit dem Bau über den großen St. Bernhard schließen. So sind bereits mehrere Millionen zum Segen und zur Ehre des Landes verwendet worden, und die Schweiz, wie sie jetzt ist, dürfte neben jener von 1818 kaum mehr zu kennen seyn. – Im Laufe zweier Decennien sind vier neue, im Ganzen vorzügliche Pönitentiarstrafanstalten erstanden: zu Genf, Lausanne, St. Gallen und Bern. Das alte Gefängnißregime traurigen Andenkens verschwand in diesen Kantonen, und wird nun allmählich auch in den übrigen verdrängt. Zürich und Luzern haben ihre Anstalten wenigstens wesentlich verbessert, wenn sie auch die Vorzüge der erstgenannten nicht ansprechen können. Neuenburg baute sein stattliches Gymnasialgebäude, Zürich seine neue Blinden- und Taubstummenanstalt, sein Krankenhaus von seltener Dimension (es soll kommendes Jahr vollendet werden), endlich sein Posthaus, Aargau und Glarus ihre Regierungsgebäude, St. Gallen sein Zeughaus; der vielen städtischen und localen Unternehmungen nicht zu gedenken. – Drei Hängebrücken im Kanton Freiburg, darunter die größte in Europa, und ein paar kleinere in Genf und Aargau, beurkunden den Sinn auch für das Außerordentliche. (Beschluß folgt.) Deutschland. _ München, 1 Febr. Als vor drei Tagen der Geheimrath v. Utzschneider von seinem Landgute in die Stadt fuhr, um einer Sitzung der zweiten Kammer beizuwohnen, zu deren Mitglied er in allen Ständeversammlungen gewählt war, wurden am Giesinger Berge die Pferde scheu, der Wagen schlug um, und – an den Folgen schwerer Kopfverletzung endete der Tiefbetrauerte in dieser Nacht sein Daseyn. Wiewohl 77 Jahre alt, hatte sein kräftiger Geist und der rüstige Körper dem Manne noch langes Leben verheißen. Utzschneiders Benehmen bei seinem Eintritt ins Geschäftsleben, die Pflichttreue und Charakterstärke des kaum 20jährigen Jünglings gehört bereits der Geschichte Bayerns an, und ist bei Zschokke nachzulesen. Was der Verstorbene, so lang er an der Spitze der wichtigsten Zweige der Finanzverwaltung stand, als Staatsmann Erfolgreiches geleistet, wie er als Privatmann durch großartige Unternehmungen belebend und fördernd auf die Industrie des Landes eingewirkt, wie er öde Strecken bebaut, Gebäude und Fabriken errichtet, Institute gegründet ect. (worunter das optische seinen und Fraunhofers Namen ins fernste Ausland trug), dieß und Anderes zu melden bleibe seinem Biographen vorbehalten. Utzschneider ward bei seinen Unternehmungen nicht durch Eigennutz geleitet: er hatte das Wohl seiner Mitbürger im Auge, er fühlte unwiderstehlich den Drang in sich, zu wirken, zu schaffen, zu versuchen, und Leben und Thätigseyn war ihm gleichbedeutend. Als er seine Staatsämter niederlegte, verzichtete er auf seinen Ruhegehalt von 5000 fl., eine Thatsache, die ich anführe, weil sie den Charakter des Mannes bezeichnet, und weil sie in unsern Tagen sehr selten vorkommt; er, der Hunderten Brod und Nahrung gab, und ohne Aufwand lebte, hinterläßt nach glaubwürdiger Versicherung keineswegs ein bedeutendes Vermögen. So sind sie nun beide von uns geschieden, Utzschneider und Fraunhofer, aber ihre Namen werden fortleben, wie ihre Verdienste um Staat und Wissenschaft.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 34. Augsburg, 3. Februar 1840, S. 0270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_034_18400203/6>, abgerufen am 16.04.2024.