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Allgemeine Zeitung. Nr. 35. Augsburg, 4. Februar 1840.

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ist ebensowenig ja noch weniger natürlich, als die verfeinerte Sprache moderner Geziertheit. Das Kindliche, wo es nicht an seinem Platze ist, wird kindisch. Diese Bemerkung mag sich namentlich dem Leser des Buches "die Völker und Könige von Charles Saint-Foi" leicht aufdrängen. Wie bei Lamennais wird hier ein Bündniß der Freiheit und Religion versucht; nur das Ansehen der Kirche bleibt unverletzt, jeder Gedanke religiöser Emancipirung wird ferngehalten, und die Idee theils auf geschichtliche Daten, theils auf Momente der heiligen Schriften selbst sinnreich zurückgeführt. Auch über andere Verhältnisse des Lebens gibt er eine Anzahl zartgedachter und glücklich verkörperter Aphorismen. Neben einigem Neuen übrigens fallen gar zu viele Gemeinplätze, in der Behandlung socialer Fragen eine abschreckende Sittenstrenge, und jener Mißbrauch patriarchalischer Einfalt unangenehm auf. Ein vor Allem gelungenes Capitel ist wohl die Musterung der verschiedenen Nationen Europa's, und die Beurtheilung der Deutschen sey als eine in Frankreich neue Ansicht hier mit der Bitte mitgetheilt, die Uebertragung nur als einen blassen Widerschein von der sanften Schönheit der Urschrift zu betrachten." In die Mitte der Nationen Europa's, sagt der Verfasser, hat Gott die gestellt, die vermöge ihrer elastischen Natur, ohne die andern zu behindern, sich ausdehnen oder verkürzen, und sich am leichtesten mit allen Völkern, die er ihm zu Nachbarn gegeben, in Einklang setzen konnte. Allem dem, wovon es angezogen wird, sich ähnlich oder gleich machen, sich überall einführen, ohne Unterlaß auseinander streben, auseinander fließen, und, wie das Wasser jedem Gefälle, dem es begegnet, folgen, jede Leere und jeden Abgrund füllen - das ist der Charakter des germanischen Elements. Einheit des Stammes, Einheit der Sprache, Einheit des Klima's, Einheit der Sitten und Gewohnheiten, nichts hat den germanischen Völkern gefehlt, um ein starkes, festgefügtes Ganze zu bilden; aber ihr Charakter hat sich immer der Sammlung ihrer Kräfte widersetzt; der Protestantismus, diese religiöse Form, die ihrem Wesen und ihrem Ursprung nach so germanisch ist, hat dem Volkscharakter die letzte Weihe gegeben, und die sociale wie politische Einheit in Deutschland für immer unmöglich gemacht. Die Sendung der germanischen Völker ging dahin, den Geist des Einzeln- und des häuslichen Lebens in ihrer Geschichte vorzugsweise geltend zu machen, und sie gingen so weit auf der Bahn, die ihnen Gott eröffnet hatte, daß sie das Ziel überschritten, und Alles zerstückt und zerstreut haben, selbst den Glauben, den sie auf die engen Verhältnisse einer persönlichen Meinung herabgebracht. Geschickt und überlegen in allen Dingen, welche die Seele entfalten und erweitern, ist der Germane ohnmächtig in Allem, was ihre Strahlen in einen Brennpunkt, ihre Fäden in einen Knäuel sammelt. Was er berührt, sey's im Bereiche des Geistes, sey's im Bereiche des Lebens, dehnt sich maaßlos unter seinen Fingern aus. Auf die Geschichte, die Wissenschaft, auf alle Einrichtungen und Gewohnheiten der germanischen Völker ist dieser Charakter eingeprägt. Kein Volk hatte eine größere Anzahl hervorragender Männer, keins hat eine größere Masse Stoff bearbeitet: ihr Gedanke hat Alles gesehen, ihr Herz Alles geliebt, ihre Phantasie Alles vorgefühlt, aber niemals konnten sie die unzähligen Aehren, die sie auf den weiten Feldern der Geschichte und Wissenschaft gelassen, in eine Garbe fassen."

Die Sprachenakademie der Propaganda.

Gestern, am ersten Sonntage nach Epiphanias, fand wie gewöhnlich im Palaste der Propaganda die sogenannte Akademie der Sprachen statt. Zwischen Posten der Schweizer Garde hindurch gelangt man über die untere Flur, die Treppe, und durch eine mit Landkarten aller Weltgegenden sehr bezeichnend decorirte Halle in den einfachen Saal, in welchem ebenfalls bis vorn zur Rednerbühne die Schweizer Wachen nicht fehlen. Eine roth ausgeschlagene Estrade mit doppelten Sitzreihen, im Halbrund an die hintere Wand gelehnt, ist für die Zöglinge der Propaganda bestimmt. In der Mitte befindet sich ein Katheder mit derselben rothen Bekleidung. Dieser Einrichtung gegenüber sind die Stühle für die Zuhörer dergestalt in Reihen aufgestellt, daß in der Mitte und längs der Seitenwände der Durchgang frei bleibt. Ein kleines Bildniß des Papstes auf einer weißen Draperie mit rothen goldbefranzten Ueberhängen an der hintern Wand, darüber am Plafond das Sinnbild des heiligen Geistes, die Traube in einer Sonne, und Armleuchter an den Wänden machen allein die Verzierung des Saales aus. Die Sessel der vordersten Reihe wurden von den bewürdeten Personen eingenommen. Vom heiligen Collegium glaubte ich die Cardinäle Falzacappa, Brignole, Angelo Mai, so wie Mezzofanti, den Sprachenkundigen, zu bemerken; außer diesen den griechischen Erzbischof und den armenischen Bischof, auch Dom Miguel. Unter der übrigen Versammlung, welche aus vielen Nationen gemischt war und in vielerlei Sprachen sich unterhielt, zeichneten einige Griechen durch ihre Nationaltracht sich aus. Nach der lateinischen Eröffnungsrede zu Ehren der heiligen drei Magierkönige, welche ein junger Mann aus New-York über den leitenden Stern hielt, wurde das Programm des Esercizio ac cademico ausgetheilt und die Declamationen begonnen. Jeder derselben ging die Ankündigung der Sprache, in welcher sie abgefaßt war, voran. Es wurden im Ganzen 42, zum Theil sehr kurze Gedichte vorgetragen. Davon abgesehen, daß in allen diesen Sprachen hier geredet wird, zum Zeugnisse dessen, daß die Weisung: "Gehet hin in alle Welt und lehret!" unvergessen ist, gewährt die Zusammenstellung von Proben der verschiedensten Sprachstämme, deren charakteristischer Ton lebendig hier ins Ohr fällt, ein Vergnügen, welches die Versammlung durch desto lauteres Beifallklatschen, je wunderlicher oder lächerlicher ihr die Rede dünkte, freilich weder verständig noch anständig genug an den Tag legte. Die Folge der Vorträge war recht geschickt geordnet, sowohl in Rücksicht auf die Verwandtschaft als in Rücksicht auf die Contraste der Sprachen. Den semitischen Sprachen waren italienische Terzinen eingeflochten. Diese schied die griechische und eine lateinische Ekloge von dem keltischen Stamme. Ein italienisches Sonett eröffnete eine neue Reihe, in welcher dem slawischen das deutsche Sprachelement folgte, dem sich das englische anschloß, und von diesem machte die rhätische Sprache zu der romanischen Gruppe den Uebergang, in deren Mitte ein lateinisches Epigramm seine schickliche Stelle fand. Nach den walachischen und albanesischen ließen die afrikanischen Töne sich vernehmen, Amharisch, Angolasisch, Koptisch, Aethiopisch. Zuletzt contrastirte mit einem kurzen Gedicht in klangvollem Kalifornisch ein chinesischer Dialog in der krausen Sprache des Reiches der Mitte. Das Dankgebet, welches die Feierlichkeit beschloß, war lateinisch. Die hebräische, die armenische, die chaldäische und die griechische Sprache waren zwiefach vertreten, einmal in den Formen der Schriftsprache, das anderemal als Volksdialekt. Das heilige Hebräisch trug ein junger Mann von den Carolinen mit sehr singendem Tone vor; das Vulgarhebräisch aber, ebenfalls in sogenannter portugiesischer Aussprache, ein Maronit. Das Türkische klang überaus weich und schmelzend; das Persische floß sanft, doch in rhythmischem Tacte, wie eine angenehme Erzählung hin. Dagegen schmetterten die arabischen Verse kühn,


ist ebensowenig ja noch weniger natürlich, als die verfeinerte Sprache moderner Geziertheit. Das Kindliche, wo es nicht an seinem Platze ist, wird kindisch. Diese Bemerkung mag sich namentlich dem Leser des Buches „die Völker und Könige von Charles Saint-Foi“ leicht aufdrängen. Wie bei Lamennais wird hier ein Bündniß der Freiheit und Religion versucht; nur das Ansehen der Kirche bleibt unverletzt, jeder Gedanke religiöser Emancipirung wird ferngehalten, und die Idee theils auf geschichtliche Daten, theils auf Momente der heiligen Schriften selbst sinnreich zurückgeführt. Auch über andere Verhältnisse des Lebens gibt er eine Anzahl zartgedachter und glücklich verkörperter Aphorismen. Neben einigem Neuen übrigens fallen gar zu viele Gemeinplätze, in der Behandlung socialer Fragen eine abschreckende Sittenstrenge, und jener Mißbrauch patriarchalischer Einfalt unangenehm auf. Ein vor Allem gelungenes Capitel ist wohl die Musterung der verschiedenen Nationen Europa's, und die Beurtheilung der Deutschen sey als eine in Frankreich neue Ansicht hier mit der Bitte mitgetheilt, die Uebertragung nur als einen blassen Widerschein von der sanften Schönheit der Urschrift zu betrachten.“ In die Mitte der Nationen Europa's, sagt der Verfasser, hat Gott die gestellt, die vermöge ihrer elastischen Natur, ohne die andern zu behindern, sich ausdehnen oder verkürzen, und sich am leichtesten mit allen Völkern, die er ihm zu Nachbarn gegeben, in Einklang setzen konnte. Allem dem, wovon es angezogen wird, sich ähnlich oder gleich machen, sich überall einführen, ohne Unterlaß auseinander streben, auseinander fließen, und, wie das Wasser jedem Gefälle, dem es begegnet, folgen, jede Leere und jeden Abgrund füllen – das ist der Charakter des germanischen Elements. Einheit des Stammes, Einheit der Sprache, Einheit des Klima's, Einheit der Sitten und Gewohnheiten, nichts hat den germanischen Völkern gefehlt, um ein starkes, festgefügtes Ganze zu bilden; aber ihr Charakter hat sich immer der Sammlung ihrer Kräfte widersetzt; der Protestantismus, diese religiöse Form, die ihrem Wesen und ihrem Ursprung nach so germanisch ist, hat dem Volkscharakter die letzte Weihe gegeben, und die sociale wie politische Einheit in Deutschland für immer unmöglich gemacht. Die Sendung der germanischen Völker ging dahin, den Geist des Einzeln- und des häuslichen Lebens in ihrer Geschichte vorzugsweise geltend zu machen, und sie gingen so weit auf der Bahn, die ihnen Gott eröffnet hatte, daß sie das Ziel überschritten, und Alles zerstückt und zerstreut haben, selbst den Glauben, den sie auf die engen Verhältnisse einer persönlichen Meinung herabgebracht. Geschickt und überlegen in allen Dingen, welche die Seele entfalten und erweitern, ist der Germane ohnmächtig in Allem, was ihre Strahlen in einen Brennpunkt, ihre Fäden in einen Knäuel sammelt. Was er berührt, sey's im Bereiche des Geistes, sey's im Bereiche des Lebens, dehnt sich maaßlos unter seinen Fingern aus. Auf die Geschichte, die Wissenschaft, auf alle Einrichtungen und Gewohnheiten der germanischen Völker ist dieser Charakter eingeprägt. Kein Volk hatte eine größere Anzahl hervorragender Männer, keins hat eine größere Masse Stoff bearbeitet: ihr Gedanke hat Alles gesehen, ihr Herz Alles geliebt, ihre Phantasie Alles vorgefühlt, aber niemals konnten sie die unzähligen Aehren, die sie auf den weiten Feldern der Geschichte und Wissenschaft gelassen, in eine Garbe fassen.“

Die Sprachenakademie der Propaganda.

Gestern, am ersten Sonntage nach Epiphanias, fand wie gewöhnlich im Palaste der Propaganda die sogenannte Akademie der Sprachen statt. Zwischen Posten der Schweizer Garde hindurch gelangt man über die untere Flur, die Treppe, und durch eine mit Landkarten aller Weltgegenden sehr bezeichnend decorirte Halle in den einfachen Saal, in welchem ebenfalls bis vorn zur Rednerbühne die Schweizer Wachen nicht fehlen. Eine roth ausgeschlagene Estrade mit doppelten Sitzreihen, im Halbrund an die hintere Wand gelehnt, ist für die Zöglinge der Propaganda bestimmt. In der Mitte befindet sich ein Katheder mit derselben rothen Bekleidung. Dieser Einrichtung gegenüber sind die Stühle für die Zuhörer dergestalt in Reihen aufgestellt, daß in der Mitte und längs der Seitenwände der Durchgang frei bleibt. Ein kleines Bildniß des Papstes auf einer weißen Draperie mit rothen goldbefranzten Ueberhängen an der hintern Wand, darüber am Plafond das Sinnbild des heiligen Geistes, die Traube in einer Sonne, und Armleuchter an den Wänden machen allein die Verzierung des Saales aus. Die Sessel der vordersten Reihe wurden von den bewürdeten Personen eingenommen. Vom heiligen Collegium glaubte ich die Cardinäle Falzacappa, Brignole, Angelo Mai, so wie Mezzofanti, den Sprachenkundigen, zu bemerken; außer diesen den griechischen Erzbischof und den armenischen Bischof, auch Dom Miguel. Unter der übrigen Versammlung, welche aus vielen Nationen gemischt war und in vielerlei Sprachen sich unterhielt, zeichneten einige Griechen durch ihre Nationaltracht sich aus. Nach der lateinischen Eröffnungsrede zu Ehren der heiligen drei Magierkönige, welche ein junger Mann aus New-York über den leitenden Stern hielt, wurde das Programm des Esercizio ac cademico ausgetheilt und die Declamationen begonnen. Jeder derselben ging die Ankündigung der Sprache, in welcher sie abgefaßt war, voran. Es wurden im Ganzen 42, zum Theil sehr kurze Gedichte vorgetragen. Davon abgesehen, daß in allen diesen Sprachen hier geredet wird, zum Zeugnisse dessen, daß die Weisung: „Gehet hin in alle Welt und lehret!“ unvergessen ist, gewährt die Zusammenstellung von Proben der verschiedensten Sprachstämme, deren charakteristischer Ton lebendig hier ins Ohr fällt, ein Vergnügen, welches die Versammlung durch desto lauteres Beifallklatschen, je wunderlicher oder lächerlicher ihr die Rede dünkte, freilich weder verständig noch anständig genug an den Tag legte. Die Folge der Vorträge war recht geschickt geordnet, sowohl in Rücksicht auf die Verwandtschaft als in Rücksicht auf die Contraste der Sprachen. Den semitischen Sprachen waren italienische Terzinen eingeflochten. Diese schied die griechische und eine lateinische Ekloge von dem keltischen Stamme. Ein italienisches Sonett eröffnete eine neue Reihe, in welcher dem slawischen das deutsche Sprachelement folgte, dem sich das englische anschloß, und von diesem machte die rhätische Sprache zu der romanischen Gruppe den Uebergang, in deren Mitte ein lateinisches Epigramm seine schickliche Stelle fand. Nach den walachischen und albanesischen ließen die afrikanischen Töne sich vernehmen, Amharisch, Angolasisch, Koptisch, Aethiopisch. Zuletzt contrastirte mit einem kurzen Gedicht in klangvollem Kalifornisch ein chinesischer Dialog in der krausen Sprache des Reiches der Mitte. Das Dankgebet, welches die Feierlichkeit beschloß, war lateinisch. Die hebräische, die armenische, die chaldäische und die griechische Sprache waren zwiefach vertreten, einmal in den Formen der Schriftsprache, das anderemal als Volksdialekt. Das heilige Hebräisch trug ein junger Mann von den Carolinen mit sehr singendem Tone vor; das Vulgarhebräisch aber, ebenfalls in sogenannter portugiesischer Aussprache, ein Maronit. Das Türkische klang überaus weich und schmelzend; das Persische floß sanft, doch in rhythmischem Tacte, wie eine angenehme Erzählung hin. Dagegen schmetterten die arabischen Verse kühn,

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[0275/0010] ist ebensowenig ja noch weniger natürlich, als die verfeinerte Sprache moderner Geziertheit. Das Kindliche, wo es nicht an seinem Platze ist, wird kindisch. Diese Bemerkung mag sich namentlich dem Leser des Buches „die Völker und Könige von Charles Saint-Foi“ leicht aufdrängen. Wie bei Lamennais wird hier ein Bündniß der Freiheit und Religion versucht; nur das Ansehen der Kirche bleibt unverletzt, jeder Gedanke religiöser Emancipirung wird ferngehalten, und die Idee theils auf geschichtliche Daten, theils auf Momente der heiligen Schriften selbst sinnreich zurückgeführt. Auch über andere Verhältnisse des Lebens gibt er eine Anzahl zartgedachter und glücklich verkörperter Aphorismen. Neben einigem Neuen übrigens fallen gar zu viele Gemeinplätze, in der Behandlung socialer Fragen eine abschreckende Sittenstrenge, und jener Mißbrauch patriarchalischer Einfalt unangenehm auf. Ein vor Allem gelungenes Capitel ist wohl die Musterung der verschiedenen Nationen Europa's, und die Beurtheilung der Deutschen sey als eine in Frankreich neue Ansicht hier mit der Bitte mitgetheilt, die Uebertragung nur als einen blassen Widerschein von der sanften Schönheit der Urschrift zu betrachten.“ In die Mitte der Nationen Europa's, sagt der Verfasser, hat Gott die gestellt, die vermöge ihrer elastischen Natur, ohne die andern zu behindern, sich ausdehnen oder verkürzen, und sich am leichtesten mit allen Völkern, die er ihm zu Nachbarn gegeben, in Einklang setzen konnte. Allem dem, wovon es angezogen wird, sich ähnlich oder gleich machen, sich überall einführen, ohne Unterlaß auseinander streben, auseinander fließen, und, wie das Wasser jedem Gefälle, dem es begegnet, folgen, jede Leere und jeden Abgrund füllen – das ist der Charakter des germanischen Elements. Einheit des Stammes, Einheit der Sprache, Einheit des Klima's, Einheit der Sitten und Gewohnheiten, nichts hat den germanischen Völkern gefehlt, um ein starkes, festgefügtes Ganze zu bilden; aber ihr Charakter hat sich immer der Sammlung ihrer Kräfte widersetzt; der Protestantismus, diese religiöse Form, die ihrem Wesen und ihrem Ursprung nach so germanisch ist, hat dem Volkscharakter die letzte Weihe gegeben, und die sociale wie politische Einheit in Deutschland für immer unmöglich gemacht. Die Sendung der germanischen Völker ging dahin, den Geist des Einzeln- und des häuslichen Lebens in ihrer Geschichte vorzugsweise geltend zu machen, und sie gingen so weit auf der Bahn, die ihnen Gott eröffnet hatte, daß sie das Ziel überschritten, und Alles zerstückt und zerstreut haben, selbst den Glauben, den sie auf die engen Verhältnisse einer persönlichen Meinung herabgebracht. Geschickt und überlegen in allen Dingen, welche die Seele entfalten und erweitern, ist der Germane ohnmächtig in Allem, was ihre Strahlen in einen Brennpunkt, ihre Fäden in einen Knäuel sammelt. Was er berührt, sey's im Bereiche des Geistes, sey's im Bereiche des Lebens, dehnt sich maaßlos unter seinen Fingern aus. Auf die Geschichte, die Wissenschaft, auf alle Einrichtungen und Gewohnheiten der germanischen Völker ist dieser Charakter eingeprägt. Kein Volk hatte eine größere Anzahl hervorragender Männer, keins hat eine größere Masse Stoff bearbeitet: ihr Gedanke hat Alles gesehen, ihr Herz Alles geliebt, ihre Phantasie Alles vorgefühlt, aber niemals konnten sie die unzähligen Aehren, die sie auf den weiten Feldern der Geschichte und Wissenschaft gelassen, in eine Garbe fassen.“ Die Sprachenakademie der Propaganda. Rom, 13 Jan. Gestern, am ersten Sonntage nach Epiphanias, fand wie gewöhnlich im Palaste der Propaganda die sogenannte Akademie der Sprachen statt. Zwischen Posten der Schweizer Garde hindurch gelangt man über die untere Flur, die Treppe, und durch eine mit Landkarten aller Weltgegenden sehr bezeichnend decorirte Halle in den einfachen Saal, in welchem ebenfalls bis vorn zur Rednerbühne die Schweizer Wachen nicht fehlen. Eine roth ausgeschlagene Estrade mit doppelten Sitzreihen, im Halbrund an die hintere Wand gelehnt, ist für die Zöglinge der Propaganda bestimmt. In der Mitte befindet sich ein Katheder mit derselben rothen Bekleidung. Dieser Einrichtung gegenüber sind die Stühle für die Zuhörer dergestalt in Reihen aufgestellt, daß in der Mitte und längs der Seitenwände der Durchgang frei bleibt. Ein kleines Bildniß des Papstes auf einer weißen Draperie mit rothen goldbefranzten Ueberhängen an der hintern Wand, darüber am Plafond das Sinnbild des heiligen Geistes, die Traube in einer Sonne, und Armleuchter an den Wänden machen allein die Verzierung des Saales aus. Die Sessel der vordersten Reihe wurden von den bewürdeten Personen eingenommen. Vom heiligen Collegium glaubte ich die Cardinäle Falzacappa, Brignole, Angelo Mai, so wie Mezzofanti, den Sprachenkundigen, zu bemerken; außer diesen den griechischen Erzbischof und den armenischen Bischof, auch Dom Miguel. Unter der übrigen Versammlung, welche aus vielen Nationen gemischt war und in vielerlei Sprachen sich unterhielt, zeichneten einige Griechen durch ihre Nationaltracht sich aus. Nach der lateinischen Eröffnungsrede zu Ehren der heiligen drei Magierkönige, welche ein junger Mann aus New-York über den leitenden Stern hielt, wurde das Programm des Esercizio ac cademico ausgetheilt und die Declamationen begonnen. Jeder derselben ging die Ankündigung der Sprache, in welcher sie abgefaßt war, voran. Es wurden im Ganzen 42, zum Theil sehr kurze Gedichte vorgetragen. Davon abgesehen, daß in allen diesen Sprachen hier geredet wird, zum Zeugnisse dessen, daß die Weisung: „Gehet hin in alle Welt und lehret!“ unvergessen ist, gewährt die Zusammenstellung von Proben der verschiedensten Sprachstämme, deren charakteristischer Ton lebendig hier ins Ohr fällt, ein Vergnügen, welches die Versammlung durch desto lauteres Beifallklatschen, je wunderlicher oder lächerlicher ihr die Rede dünkte, freilich weder verständig noch anständig genug an den Tag legte. Die Folge der Vorträge war recht geschickt geordnet, sowohl in Rücksicht auf die Verwandtschaft als in Rücksicht auf die Contraste der Sprachen. Den semitischen Sprachen waren italienische Terzinen eingeflochten. Diese schied die griechische und eine lateinische Ekloge von dem keltischen Stamme. Ein italienisches Sonett eröffnete eine neue Reihe, in welcher dem slawischen das deutsche Sprachelement folgte, dem sich das englische anschloß, und von diesem machte die rhätische Sprache zu der romanischen Gruppe den Uebergang, in deren Mitte ein lateinisches Epigramm seine schickliche Stelle fand. Nach den walachischen und albanesischen ließen die afrikanischen Töne sich vernehmen, Amharisch, Angolasisch, Koptisch, Aethiopisch. Zuletzt contrastirte mit einem kurzen Gedicht in klangvollem Kalifornisch ein chinesischer Dialog in der krausen Sprache des Reiches der Mitte. Das Dankgebet, welches die Feierlichkeit beschloß, war lateinisch. Die hebräische, die armenische, die chaldäische und die griechische Sprache waren zwiefach vertreten, einmal in den Formen der Schriftsprache, das anderemal als Volksdialekt. Das heilige Hebräisch trug ein junger Mann von den Carolinen mit sehr singendem Tone vor; das Vulgarhebräisch aber, ebenfalls in sogenannter portugiesischer Aussprache, ein Maronit. Das Türkische klang überaus weich und schmelzend; das Persische floß sanft, doch in rhythmischem Tacte, wie eine angenehme Erzählung hin. Dagegen schmetterten die arabischen Verse kühn,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 35. Augsburg, 4. Februar 1840, S. 0275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_035_18400204/10>, abgerufen am 28.03.2024.