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Allgemeine Zeitung. Nr. 70. Augsburg, 10. März 1840.

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gleichem Sinne sagt der Standard: "Es ist nichts weniger als gewiß, daß Hr. Thiers über eine Majorität in der Kammer wird gebieten können. Freilich werden, wie bei uns, Whigs und Radicale sich gegen den Conservatismus verbünden; aber auch ihre vereinigte Heeresmacht wird nicht hinreichen, ihm das ersehnte Uebergewicht zu geben."

(Courier.) Vor drei Wochen kam Graf Leon (angeblich ein natürlicher Sohn Napoleons) in London an, und sprach beim Grafen v. Survilliers (Joseph Napoleon), dem Prinzen von Montfort (Jerome N.) und dem Prinzen Louis Napoleon vor, wurde jedoch, aus uns unbekannten Gründen, von keinem derselben angenommen. Vor ein paar Tagen schrieb Graf Leon an Louis Napoleon einen Brief, worin er über diese Weigerung der Familie des seligen Kaisers, ihn zu empfangen, sich beschwerte. Dieser Brief war in einem so beleidigenden Tone geschrieben, daß der Prinz keine Antwort darauf gab, sondern den Obristen Parquin an den Grafen Leon abschickte, um ihm die Gründe auseinander zu setzen, welche die Familie zu dieser Handlungsweise bestimmten. Diese Erörterung genügte dem Grafen Leon nicht, und er schickte durch Obristlieutenant Ratcliff, einen brittischen Dragonerofficier, dem Prinzen eine Ausforderung zu. In Folge derselben verfügte Prinz Louis, von Graf d'Orsay und Obrist Parquin begleitet, sich heute Morgens 7 Uhr nach Wimbledon-Common, um mit dem Grafen, welcher Degen zurückgewiesen hatte, sich auf Pistolen zu schlagen; ehe jedoch das Duell vor sich gehen konnte, trat die Polizei ins Mittel und verhinderte Weiteres.

Die "Innung der russischen Handelscompagnie," deren glänzende Feste im vorigen Jahr mit der Anwesenheit des russischen Großfürsten-Thronfolgers in London zusammentrafen, gab am 29 Febr. ihr jährliches Diner in der London Tavern. Der Director der Gesellschaft führte den Vorsitz. Außer siebenzig der angesehensten nach Rußland handelnden Kaufleute waren der Baron v. Brunnow, Graf Alexis Strogonoff, Ritter v. Benkhausen und mehrere andere russische Herren, deßgleichen der große Russenfreund Marquis v. Londonderry, Lord Strangford, Sir J. Rae Reid, der Gouverneur der Bank von England, Sir R. Jenkins, der Präsident der ostindischen Compagnie, u. s. w. dabei anwesend. Im Saale prangte das lebensgroße Porträt des Kaisers von Rußland, das derselbe der Compagnie verehrt hat. Der Vorsitzer brachte die Gesundheit des Czars aus. Hr. v. Brunnow, der sehr geläufig englisch spricht, übernahm es zu danken, und drückte, so wie der Ausbringer des Toasts, die Ueberzeugung aus, daß zwischen der englischen und der russischen Regierung die freundlichsten und aufrichtigsten Gesinnungen bestehen, und es im Interesse beider liege, diese Freundschaft zu cultiviren. Lord Londonderry erinnerte daran, daß er unter dem Ministerium Peel die Ehre gehabt habe, zum Gesandten nach St. Petersburg ernannt zu werden. Zwar habe er damals, eingetretener Umstände halber, die Botschafterstelle nicht angetreten, aber er habe als Privatmann eine Reise in die russische Hauptstadt unternommen. Der edle Marquis verbreitete sich nun, im optimistischen Geschmack seines bekannten Buchs, über seine Erlebnisse am russischen Hof, und betheuerte bei seiner Erfahrung, daß die Stimmung Rußlands gegen England die allerfreundlichste sey, von dieser Freundschaft aber hänge die Erhaltung des Weltfriedens ab. Schließlich wurde die Gesundheit des Herzogs v. Wellington mit Enthusiasmus getrunken.

Durch die in Paris eingetretene Ministerialkrisis sind auch die Unterhandlungen ins Stocken gerathen, welche hier wegen des Orients geführt werden. Hr. Guizot muß neues Leben darein bringen, sonst könnten sie leicht an Ermattung sterben. Hrn. v. Brunnow sind neue Verhaltungsvorschriften zugekommen; sie sollen darauf abzielen, ihm mehr die Rolle eines Beobachters als eines Acteurs zu verleihen. Man glaubt demnach, daß das St. Petersburger Cabinet sich nach Umständen ganz zurückziehen, und sich dann mit der orientalischen Frage nur so weit befassen werde, als sie es direct angeht. Bisher hatte man sie zu St. Petersburg unter dem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet, und insofern mit England gleichen Schritt gehen wollen. Man hatte sich daher mit Lord Palmerston einverstanden erklärt, und wollte seine Plane theilen. Diese bildeten aber die Kehrseite der französischen Pacificationsvorschläge und mußten England von Frankreich trennen, wenn es durch Rußland verstärkt ernstlich daran halten wollte. Hiezu gebrach es aber an Muth, und so trat Ungewißheit ein, die auf der Gegenwart lastet und die Zukunft in Wolken hüllt. Hr. v. Brunnow, der nach seinem ersten Erscheinen von London in der Ueberzeugung abgereist war, daß wenn man in St. Petersburg in das willigte, um was Lord Palmerston gebeten hatte, er dessen Dank bei seiner Rückkehr ernten würde, fand denselben über die Realisirung seiner Wünsche erschrocken, was den gewandten russischen Diplomaten überzeugen mußte, daß man hier wenig Selbstständigkeit hat - ein Wankelmuth, der am schmerzlichsten sich rächt, wenn man nichts dagegen thut. Er zeigte auch keine Empfindlichkeit, fragte nur in St. Petersburg an, ob er gehen oder ob er nicht hier abwarten solle, bis Lord Palmerston sich von seiner Inconsequenz gehörig Rechenschaft gegeben habe, das heißt, bis er sie aufs Aeußerste getrieben, und entweder sich völlig den Ansichten Frankreichs unterworfen, oder sich von denselben wieder zu befreien gesucht habe, weil in einem oder dem andern Fall viel daran gelegen seyn müsse, dieß zu constatiren. Hr. v. Brunnow soll nun autorisirt worden seyn, nach Gutdünken seinen hiesigen Aufenthalt zu verlängern oder abzukürzen; doch soll, wie bereits erwähnt, ihm auch vorgeschrieben worden seyn, lediglich zu beobachten, nicht zu agiren, und sich nur dann wieder thätig zu zeigen, wenn er sehe, daß Lord Palmerston, auf seinen eigenen Plan zurückkomme, den man als den geeignetsten für die Erhaltung der Integrität der Pforte anerkannt habe. Sollte aber Lord Palmerston dieß weder wollen noch können, so bliebe es ihm überlassen, die Zeit zu wählen, wieder nach dem Continent zu gehen, weil dann jeder wieder auf dem Punkt und Fuße stehe, welche bis zur Zeit der hiesigen Besprechungen stattgehabt.

Frankreich.

Dem Nouvelliste zufolge wird der Herzog von Orleans am 28 März nach Algier abreisen.

Eine k. Ordonnanz vom 3 März ernennt den Deputirten, Hrn. Billault, zum Unterstaatssecretär bei dem Departement des Ackerbaues und des Handels. Hr. v. Lavergne, Maeitre des requetes bei dem Staatsrath, ist zum Cabinetschef des Ministers des Innern ernannt.

Ein Blatt enthält die Notiz, Hr. Guizot habe nach seiner Ernennung zum Gesandten bei dem berühmten Goldschmied Odiot ein Tafelservice von 60,000 Fr. im Werth bestellt. Auf die einzelnen Stücke soll ein Labell kommen mit der Inschrift: "Linia recta brevissima."

Die Rede des Hrn. Thiers in den beiden Kammern am 4 März, die wir gestern nach einer stenographischen Mittheilung gegeben, hatte dem Moniteur zufolge folgenden Schluß: "Die Gemüther zu vereinigen ist jetzt die der Regierung aufgelegte Mission. Wir werden, um die Ansichten einander zu nähern, nicht suchen, die Schwierigkeiten zu umgehen, sondern

gleichem Sinne sagt der Standard: „Es ist nichts weniger als gewiß, daß Hr. Thiers über eine Majorität in der Kammer wird gebieten können. Freilich werden, wie bei uns, Whigs und Radicale sich gegen den Conservatismus verbünden; aber auch ihre vereinigte Heeresmacht wird nicht hinreichen, ihm das ersehnte Uebergewicht zu geben.“

(Courier.) Vor drei Wochen kam Graf Leon (angeblich ein natürlicher Sohn Napoleons) in London an, und sprach beim Grafen v. Survilliers (Joseph Napoleon), dem Prinzen von Montfort (Jerome N.) und dem Prinzen Louis Napoleon vor, wurde jedoch, aus uns unbekannten Gründen, von keinem derselben angenommen. Vor ein paar Tagen schrieb Graf Leon an Louis Napoleon einen Brief, worin er über diese Weigerung der Familie des seligen Kaisers, ihn zu empfangen, sich beschwerte. Dieser Brief war in einem so beleidigenden Tone geschrieben, daß der Prinz keine Antwort darauf gab, sondern den Obristen Parquin an den Grafen Leon abschickte, um ihm die Gründe auseinander zu setzen, welche die Familie zu dieser Handlungsweise bestimmten. Diese Erörterung genügte dem Grafen Leon nicht, und er schickte durch Obristlieutenant Ratcliff, einen brittischen Dragonerofficier, dem Prinzen eine Ausforderung zu. In Folge derselben verfügte Prinz Louis, von Graf d'Orsay und Obrist Parquin begleitet, sich heute Morgens 7 Uhr nach Wimbledon-Common, um mit dem Grafen, welcher Degen zurückgewiesen hatte, sich auf Pistolen zu schlagen; ehe jedoch das Duell vor sich gehen konnte, trat die Polizei ins Mittel und verhinderte Weiteres.

Die „Innung der russischen Handelscompagnie,“ deren glänzende Feste im vorigen Jahr mit der Anwesenheit des russischen Großfürsten-Thronfolgers in London zusammentrafen, gab am 29 Febr. ihr jährliches Diner in der London Tavern. Der Director der Gesellschaft führte den Vorsitz. Außer siebenzig der angesehensten nach Rußland handelnden Kaufleute waren der Baron v. Brunnow, Graf Alexis Strogonoff, Ritter v. Benkhausen und mehrere andere russische Herren, deßgleichen der große Russenfreund Marquis v. Londonderry, Lord Strangford, Sir J. Rae Reid, der Gouverneur der Bank von England, Sir R. Jenkins, der Präsident der ostindischen Compagnie, u. s. w. dabei anwesend. Im Saale prangte das lebensgroße Porträt des Kaisers von Rußland, das derselbe der Compagnie verehrt hat. Der Vorsitzer brachte die Gesundheit des Czars aus. Hr. v. Brunnow, der sehr geläufig englisch spricht, übernahm es zu danken, und drückte, so wie der Ausbringer des Toasts, die Ueberzeugung aus, daß zwischen der englischen und der russischen Regierung die freundlichsten und aufrichtigsten Gesinnungen bestehen, und es im Interesse beider liege, diese Freundschaft zu cultiviren. Lord Londonderry erinnerte daran, daß er unter dem Ministerium Peel die Ehre gehabt habe, zum Gesandten nach St. Petersburg ernannt zu werden. Zwar habe er damals, eingetretener Umstände halber, die Botschafterstelle nicht angetreten, aber er habe als Privatmann eine Reise in die russische Hauptstadt unternommen. Der edle Marquis verbreitete sich nun, im optimistischen Geschmack seines bekannten Buchs, über seine Erlebnisse am russischen Hof, und betheuerte bei seiner Erfahrung, daß die Stimmung Rußlands gegen England die allerfreundlichste sey, von dieser Freundschaft aber hänge die Erhaltung des Weltfriedens ab. Schließlich wurde die Gesundheit des Herzogs v. Wellington mit Enthusiasmus getrunken.

Durch die in Paris eingetretene Ministerialkrisis sind auch die Unterhandlungen ins Stocken gerathen, welche hier wegen des Orients geführt werden. Hr. Guizot muß neues Leben darein bringen, sonst könnten sie leicht an Ermattung sterben. Hrn. v. Brunnow sind neue Verhaltungsvorschriften zugekommen; sie sollen darauf abzielen, ihm mehr die Rolle eines Beobachters als eines Acteurs zu verleihen. Man glaubt demnach, daß das St. Petersburger Cabinet sich nach Umständen ganz zurückziehen, und sich dann mit der orientalischen Frage nur so weit befassen werde, als sie es direct angeht. Bisher hatte man sie zu St. Petersburg unter dem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet, und insofern mit England gleichen Schritt gehen wollen. Man hatte sich daher mit Lord Palmerston einverstanden erklärt, und wollte seine Plane theilen. Diese bildeten aber die Kehrseite der französischen Pacificationsvorschläge und mußten England von Frankreich trennen, wenn es durch Rußland verstärkt ernstlich daran halten wollte. Hiezu gebrach es aber an Muth, und so trat Ungewißheit ein, die auf der Gegenwart lastet und die Zukunft in Wolken hüllt. Hr. v. Brunnow, der nach seinem ersten Erscheinen von London in der Ueberzeugung abgereist war, daß wenn man in St. Petersburg in das willigte, um was Lord Palmerston gebeten hatte, er dessen Dank bei seiner Rückkehr ernten würde, fand denselben über die Realisirung seiner Wünsche erschrocken, was den gewandten russischen Diplomaten überzeugen mußte, daß man hier wenig Selbstständigkeit hat – ein Wankelmuth, der am schmerzlichsten sich rächt, wenn man nichts dagegen thut. Er zeigte auch keine Empfindlichkeit, fragte nur in St. Petersburg an, ob er gehen oder ob er nicht hier abwarten solle, bis Lord Palmerston sich von seiner Inconsequenz gehörig Rechenschaft gegeben habe, das heißt, bis er sie aufs Aeußerste getrieben, und entweder sich völlig den Ansichten Frankreichs unterworfen, oder sich von denselben wieder zu befreien gesucht habe, weil in einem oder dem andern Fall viel daran gelegen seyn müsse, dieß zu constatiren. Hr. v. Brunnow soll nun autorisirt worden seyn, nach Gutdünken seinen hiesigen Aufenthalt zu verlängern oder abzukürzen; doch soll, wie bereits erwähnt, ihm auch vorgeschrieben worden seyn, lediglich zu beobachten, nicht zu agiren, und sich nur dann wieder thätig zu zeigen, wenn er sehe, daß Lord Palmerston, auf seinen eigenen Plan zurückkomme, den man als den geeignetsten für die Erhaltung der Integrität der Pforte anerkannt habe. Sollte aber Lord Palmerston dieß weder wollen noch können, so bliebe es ihm überlassen, die Zeit zu wählen, wieder nach dem Continent zu gehen, weil dann jeder wieder auf dem Punkt und Fuße stehe, welche bis zur Zeit der hiesigen Besprechungen stattgehabt.

Frankreich.

Dem Nouvelliste zufolge wird der Herzog von Orleans am 28 März nach Algier abreisen.

Eine k. Ordonnanz vom 3 März ernennt den Deputirten, Hrn. Billault, zum Unterstaatssecretär bei dem Departement des Ackerbaues und des Handels. Hr. v. Lavergne, Maître des requêtes bei dem Staatsrath, ist zum Cabinetschef des Ministers des Innern ernannt.

Ein Blatt enthält die Notiz, Hr. Guizot habe nach seiner Ernennung zum Gesandten bei dem berühmten Goldschmied Odiot ein Tafelservice von 60,000 Fr. im Werth bestellt. Auf die einzelnen Stücke soll ein Labell kommen mit der Inschrift: „Linia recta brevissima.“

Die Rede des Hrn. Thiers in den beiden Kammern am 4 März, die wir gestern nach einer stenographischen Mittheilung gegeben, hatte dem Moniteur zufolge folgenden Schluß: „Die Gemüther zu vereinigen ist jetzt die der Regierung aufgelegte Mission. Wir werden, um die Ansichten einander zu nähern, nicht suchen, die Schwierigkeiten zu umgehen, sondern

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[0555/0003] gleichem Sinne sagt der Standard: „Es ist nichts weniger als gewiß, daß Hr. Thiers über eine Majorität in der Kammer wird gebieten können. Freilich werden, wie bei uns, Whigs und Radicale sich gegen den Conservatismus verbünden; aber auch ihre vereinigte Heeresmacht wird nicht hinreichen, ihm das ersehnte Uebergewicht zu geben.“ (Courier.) Vor drei Wochen kam Graf Leon (angeblich ein natürlicher Sohn Napoleons) in London an, und sprach beim Grafen v. Survilliers (Joseph Napoleon), dem Prinzen von Montfort (Jerome N.) und dem Prinzen Louis Napoleon vor, wurde jedoch, aus uns unbekannten Gründen, von keinem derselben angenommen. Vor ein paar Tagen schrieb Graf Leon an Louis Napoleon einen Brief, worin er über diese Weigerung der Familie des seligen Kaisers, ihn zu empfangen, sich beschwerte. Dieser Brief war in einem so beleidigenden Tone geschrieben, daß der Prinz keine Antwort darauf gab, sondern den Obristen Parquin an den Grafen Leon abschickte, um ihm die Gründe auseinander zu setzen, welche die Familie zu dieser Handlungsweise bestimmten. Diese Erörterung genügte dem Grafen Leon nicht, und er schickte durch Obristlieutenant Ratcliff, einen brittischen Dragonerofficier, dem Prinzen eine Ausforderung zu. In Folge derselben verfügte Prinz Louis, von Graf d'Orsay und Obrist Parquin begleitet, sich heute Morgens 7 Uhr nach Wimbledon-Common, um mit dem Grafen, welcher Degen zurückgewiesen hatte, sich auf Pistolen zu schlagen; ehe jedoch das Duell vor sich gehen konnte, trat die Polizei ins Mittel und verhinderte Weiteres. Die „Innung der russischen Handelscompagnie,“ deren glänzende Feste im vorigen Jahr mit der Anwesenheit des russischen Großfürsten-Thronfolgers in London zusammentrafen, gab am 29 Febr. ihr jährliches Diner in der London Tavern. Der Director der Gesellschaft führte den Vorsitz. Außer siebenzig der angesehensten nach Rußland handelnden Kaufleute waren der Baron v. Brunnow, Graf Alexis Strogonoff, Ritter v. Benkhausen und mehrere andere russische Herren, deßgleichen der große Russenfreund Marquis v. Londonderry, Lord Strangford, Sir J. Rae Reid, der Gouverneur der Bank von England, Sir R. Jenkins, der Präsident der ostindischen Compagnie, u. s. w. dabei anwesend. Im Saale prangte das lebensgroße Porträt des Kaisers von Rußland, das derselbe der Compagnie verehrt hat. Der Vorsitzer brachte die Gesundheit des Czars aus. Hr. v. Brunnow, der sehr geläufig englisch spricht, übernahm es zu danken, und drückte, so wie der Ausbringer des Toasts, die Ueberzeugung aus, daß zwischen der englischen und der russischen Regierung die freundlichsten und aufrichtigsten Gesinnungen bestehen, und es im Interesse beider liege, diese Freundschaft zu cultiviren. Lord Londonderry erinnerte daran, daß er unter dem Ministerium Peel die Ehre gehabt habe, zum Gesandten nach St. Petersburg ernannt zu werden. Zwar habe er damals, eingetretener Umstände halber, die Botschafterstelle nicht angetreten, aber er habe als Privatmann eine Reise in die russische Hauptstadt unternommen. Der edle Marquis verbreitete sich nun, im optimistischen Geschmack seines bekannten Buchs, über seine Erlebnisse am russischen Hof, und betheuerte bei seiner Erfahrung, daß die Stimmung Rußlands gegen England die allerfreundlichste sey, von dieser Freundschaft aber hänge die Erhaltung des Weltfriedens ab. Schließlich wurde die Gesundheit des Herzogs v. Wellington mit Enthusiasmus getrunken. _ London, 26 Febr. Durch die in Paris eingetretene Ministerialkrisis sind auch die Unterhandlungen ins Stocken gerathen, welche hier wegen des Orients geführt werden. Hr. Guizot muß neues Leben darein bringen, sonst könnten sie leicht an Ermattung sterben. Hrn. v. Brunnow sind neue Verhaltungsvorschriften zugekommen; sie sollen darauf abzielen, ihm mehr die Rolle eines Beobachters als eines Acteurs zu verleihen. Man glaubt demnach, daß das St. Petersburger Cabinet sich nach Umständen ganz zurückziehen, und sich dann mit der orientalischen Frage nur so weit befassen werde, als sie es direct angeht. Bisher hatte man sie zu St. Petersburg unter dem allgemeinen Gesichtspunkt betrachtet, und insofern mit England gleichen Schritt gehen wollen. Man hatte sich daher mit Lord Palmerston einverstanden erklärt, und wollte seine Plane theilen. Diese bildeten aber die Kehrseite der französischen Pacificationsvorschläge und mußten England von Frankreich trennen, wenn es durch Rußland verstärkt ernstlich daran halten wollte. Hiezu gebrach es aber an Muth, und so trat Ungewißheit ein, die auf der Gegenwart lastet und die Zukunft in Wolken hüllt. Hr. v. Brunnow, der nach seinem ersten Erscheinen von London in der Ueberzeugung abgereist war, daß wenn man in St. Petersburg in das willigte, um was Lord Palmerston gebeten hatte, er dessen Dank bei seiner Rückkehr ernten würde, fand denselben über die Realisirung seiner Wünsche erschrocken, was den gewandten russischen Diplomaten überzeugen mußte, daß man hier wenig Selbstständigkeit hat – ein Wankelmuth, der am schmerzlichsten sich rächt, wenn man nichts dagegen thut. Er zeigte auch keine Empfindlichkeit, fragte nur in St. Petersburg an, ob er gehen oder ob er nicht hier abwarten solle, bis Lord Palmerston sich von seiner Inconsequenz gehörig Rechenschaft gegeben habe, das heißt, bis er sie aufs Aeußerste getrieben, und entweder sich völlig den Ansichten Frankreichs unterworfen, oder sich von denselben wieder zu befreien gesucht habe, weil in einem oder dem andern Fall viel daran gelegen seyn müsse, dieß zu constatiren. Hr. v. Brunnow soll nun autorisirt worden seyn, nach Gutdünken seinen hiesigen Aufenthalt zu verlängern oder abzukürzen; doch soll, wie bereits erwähnt, ihm auch vorgeschrieben worden seyn, lediglich zu beobachten, nicht zu agiren, und sich nur dann wieder thätig zu zeigen, wenn er sehe, daß Lord Palmerston, auf seinen eigenen Plan zurückkomme, den man als den geeignetsten für die Erhaltung der Integrität der Pforte anerkannt habe. Sollte aber Lord Palmerston dieß weder wollen noch können, so bliebe es ihm überlassen, die Zeit zu wählen, wieder nach dem Continent zu gehen, weil dann jeder wieder auf dem Punkt und Fuße stehe, welche bis zur Zeit der hiesigen Besprechungen stattgehabt. Frankreich. _ Paris, 5 März. Dem Nouvelliste zufolge wird der Herzog von Orleans am 28 März nach Algier abreisen. Eine k. Ordonnanz vom 3 März ernennt den Deputirten, Hrn. Billault, zum Unterstaatssecretär bei dem Departement des Ackerbaues und des Handels. Hr. v. Lavergne, Maître des requêtes bei dem Staatsrath, ist zum Cabinetschef des Ministers des Innern ernannt. Ein Blatt enthält die Notiz, Hr. Guizot habe nach seiner Ernennung zum Gesandten bei dem berühmten Goldschmied Odiot ein Tafelservice von 60,000 Fr. im Werth bestellt. Auf die einzelnen Stücke soll ein Labell kommen mit der Inschrift: „Linia recta brevissima.“ Die Rede des Hrn. Thiers in den beiden Kammern am 4 März, die wir gestern nach einer stenographischen Mittheilung gegeben, hatte dem Moniteur zufolge folgenden Schluß: „Die Gemüther zu vereinigen ist jetzt die der Regierung aufgelegte Mission. Wir werden, um die Ansichten einander zu nähern, nicht suchen, die Schwierigkeiten zu umgehen, sondern

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 70. Augsburg, 10. März 1840, S. 0555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_070_18400310/3>, abgerufen am 18.04.2024.