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Allgemeine Zeitung. Nr. 70. Augsburg, 10. März 1840.

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wir werden geradezu und offen darauf losgehen. Die Verwaltung, welche wir bilden, mit sich selbst im Einklang, mit einer festen Ueberzeugung über alle Punkte, welche gegenwärtig die Meinungen spalten, mit Einigkeit handelnd, wird den Kammern ihre Ansicht über alle Fragen vorlegen; sie wird suchen, die Gemüther durch die Mäßigung ihrer Sprache zu versöhnen, und sie durch die Festigkeit ihrer Ueberzeugung zu bestimmen. Die politischen Erörterungen, die jetzt keinen Zweck mehr haben, wird sie der Vergangenheit überlassen, auf diejenigen hingegen, welche wirkliche und bedeutende Interessen berühren, aufs vollständigste eingehen. In Sachen der Verwaltung wird sie sich bestreben, alle moralischen und materiellen Verbesserungen aufzusuchen, deren unsere sociale und administrative Organisation fähig ist, und sorgfältig diejenigen auswählen, die anwendbar sind, diejenigen, welche weder erworbene Interessen bloßstellen, noch den Nerv unserer Regierung schwächen. In der Wahl der Personen wird sie sich bestreben, genau prüfend, streng und unparteiisch zu seyn. So, meine Herren, verstehen wir unsere Pflichten nach innen. Nach außen ist unsere Aufgabe nicht minder schwierig. Es liegt eine ernste Frage vor; wir hegen das feste Vertrauen, daß sie den Weltfrieden nicht stören wird. Wir werden in den Bemühungen der Regierung zur Aufrechterhaltung dieses kostbaren Friedens fortfahren, ohne jedoch auf irgend eine Weise weder die Würde Frankreichs, noch dessen bleibende Interessen zu opfern. Bei dieser kurzen Darstellung müssen unsere Ausdrücke allgemein bleiben; inzwischen wünschen wir uns bald vollständig aussprechen zu können. Wir wollen dazu sobald wie möglich Anlaß geben, indem wir in einigen Tagen die Regierungsmittel von Ihnen fordern werden, welche die Verwaltung alljährlich in Anspruch zu nehmen sich gezwungen sieht. Alsdann wird den beiden Kammern gegenüber Alles gesagt werden. Wir wollten heute den Staatsgewalten unsere Huldigung darbringen, und vor ihnen das Bekenntniß unserer unverbrüchlichen Anhänglichkeit an die großen Grundsätze, worauf die Regierung von 1830 beruht, erneuern."

Diese Rede ward sowohl in der Pairs- als besonders in der Deputirtenkammer mit vielfachen Beifallsäußerungen aufgenommen - so sagt der Moniteur, während das Journal des Debats, und mit ihm einstimmig andere Blätter versichern, bloß in den Reihen der Linken hätten sich einige Zeichen des Beifalls erhoben, während in den übrigen Reihen sich entschiedene Kälte kundgegeben habe. Das Journal des Debats meint überhaupt, die Rede glänze nur durch ihre Unbedeutenheit; der Hr. Conseilpräsident habe sich in den vagsten Allgemeinheiten gehalten. Wenn er erkläre, er wolle die materielle und die moralische Ordnung, so können dieses Programm alle einstigen, alle jetzigen und alle künftigen Minister unterschreiben, denn kein Conseilpräsident werde erklären, er wolle die Unordnung. Aber selbst diese unbedeutenden Worte widersprächen den Principien der Linken, von der getragen doch Hr. Thiers ins Cabinet gekommen. Freilich werde er die Dienste nicht so leicht vergessen, welche die Linke ihm geleistet, die Großmuth, mit welcher, wie man sage, Hr. Odilon-Barrot ihm die Gewalt ohne Bedingung überliefert habe. Deßwegen wäre selbst auf die umfassendsten Erklärungen des Ministeriums kein großes Gewicht zu legen. Hr. Thiers habe seit drei Jahren das Recht verloren, sich auf seine Intentionen zu berufen; er sey ein homo novus, sein Wort sey nicht mehr der Bürge für seine That, und um seinen Regierungsideen vertrauen zu dürfen, müsse man erst gesehen haben, wie er regiere. - Auch der National findet die Rede vag und unbedeutend. "Man sah - sagt er - den geschriebenen Worten wie der Haltung des Hrn. Thiers die Verlegenheit an. Man merkte, daß er Jedermann schonen, Jedermann Hoffnungen machen mußte. Nie war ein Dictator einer Existenz von ein paar Wochen weniger sicher." Ganz ähnlich urtheilt die Presse. "Im Manifest des Hrn. Thiers gibt es Phrasen für alle Parteien. Die 221 erinnerte er an seine frühere Verwaltung; der Linken rief er seinen Kampf mit der Krone in der spanischen Frage zurück. Dann, aus Furcht, er habe zu sehr auf die linke Seite sich geneigt, wandte er sich wieder zu den 221 mit der Erklärung, daß seine Ansichten über die auswärtige Politik mit den Gesinnungen der Krone jetzt übereinstimmten. Hierauf drehte er sich wieder nach der Bank des Hrn. Barrot um, mit dem Versprechen, die Verwaltung nur mit gewissenhaft auserlesenen Männern zu versehen, was die Linke als eine förmliche Verpflichtung aufnahm, all' ihre "unbestechlichen Männer" mit Plätzen zu bedenken. Der arme Mann! Die ganze Rede glich von Anfang bis zu Ende den Sprüngen eines Seiltänzers; wir können keinen bessern Vergleich wählen. - Günstig lautet das Urtheil des Courrier francais: "Der neue Ministerpräsident sprach von seiner persönlichen Stellung in würdevoller, schicklicher Weise. Hr. Thiers sagte nicht, die Krone habe nachgegeben, denn ein Minister muß den König decken. Aus seiner Rede geht aber hervor, daß er beim Eintritt in die Verwaltung seine Meinungen nicht geopfert hat, und dieß ist alles, was das Publicum zu wissen verlangt. Die Centren nahmen die Rede sehr kalt auf, und es scheint gewiß, daß diese Fraction der Kammer, mit wenigen Ausnahmen, ihren Entschluß bereits gefaßt hat. Die 221 werden unter dem Einfluß des Ministeriums Mole und des letzten Ministeriums, welche Hrn. Thiers gleich sehr hassen, gegen ihn votiren. Auf dieser Seite der Kammer bleibt Hrn. Thiers keine Hoffnung. Nur durch den Schrei der öffentlichen Meinung können die 221 entwaffnet werden." - Der Constitutionnel sagt: "Die Haltung der Deputirtenkammer schien uns anzudeuten, daß sie ruhig die von Hrn. Thiers angekündigte Debatte über die geheimen Fonds abwarten wolle, und daß die Majorität inzwischen geneigt sey, in eine Verwaltung Vertrauen zu setzen, deren Haupt seine Fähigkeit als Minister bereits erprobt hat, und die über die vorhergehenden Cabinette den Vortheil besitzt, daß sie in allen Fragen eine entschiedene Politik und Energie genug hat, dieser Politik den Sieg zu verschaffen." - Der Temps, gleichfalls ein Verfechter des Thiers'schen Cabinets, erblickt in der Stelle der Antrittsrede: daß er (Thiers) das Glück habe, seine persönlichen Ueberzeugungen jetzt mit den Gesinnungen der Krone in Einklang zu sehen, den Beweis, daß Hr. Thiers fortwährend fest an den Principien halte, welche er als Chef der parlamentarischen Meinung unaufhörlich vertheidigt habe. Dieser glückliche Einklang zwischen den Gesinnungen der Krone und den Ansichten des Cabinets mache die Repräsentativregierung zu einer Wahrheit. Der übrige Inhalt der Rede zeige, daß sich das Ministerium nicht mehr von der Kammer hin- und her schieben lassen, sich nicht hinter ihre ungewisse Majorität verstecken, sondern energisch sich selbst eine Majorität schaffen und so den Beweis liefern wolle, daß es den Beruf habe, die Zügel zu ergreifen. So nur könne die Kammer in der öffentlichen Meinung wieder gehoben werden, so nur könne die Regierung wieder Kraft erhalten, während die Parteien wüßten, was sie zu bekämpfen und was anzunehmen haben.

Die Mitglieder der Linken haben sich am 5 März unter dem Vorsitz des Hrn. Odilon-Barrot versammelt, und beschlossen, das gegenwärtige Cabinet zu unterstützen und zuzuwarten. Die Versammlung bestand aus etwa 60 Mitgliedern.

wir werden geradezu und offen darauf losgehen. Die Verwaltung, welche wir bilden, mit sich selbst im Einklang, mit einer festen Ueberzeugung über alle Punkte, welche gegenwärtig die Meinungen spalten, mit Einigkeit handelnd, wird den Kammern ihre Ansicht über alle Fragen vorlegen; sie wird suchen, die Gemüther durch die Mäßigung ihrer Sprache zu versöhnen, und sie durch die Festigkeit ihrer Ueberzeugung zu bestimmen. Die politischen Erörterungen, die jetzt keinen Zweck mehr haben, wird sie der Vergangenheit überlassen, auf diejenigen hingegen, welche wirkliche und bedeutende Interessen berühren, aufs vollständigste eingehen. In Sachen der Verwaltung wird sie sich bestreben, alle moralischen und materiellen Verbesserungen aufzusuchen, deren unsere sociale und administrative Organisation fähig ist, und sorgfältig diejenigen auswählen, die anwendbar sind, diejenigen, welche weder erworbene Interessen bloßstellen, noch den Nerv unserer Regierung schwächen. In der Wahl der Personen wird sie sich bestreben, genau prüfend, streng und unparteiisch zu seyn. So, meine Herren, verstehen wir unsere Pflichten nach innen. Nach außen ist unsere Aufgabe nicht minder schwierig. Es liegt eine ernste Frage vor; wir hegen das feste Vertrauen, daß sie den Weltfrieden nicht stören wird. Wir werden in den Bemühungen der Regierung zur Aufrechterhaltung dieses kostbaren Friedens fortfahren, ohne jedoch auf irgend eine Weise weder die Würde Frankreichs, noch dessen bleibende Interessen zu opfern. Bei dieser kurzen Darstellung müssen unsere Ausdrücke allgemein bleiben; inzwischen wünschen wir uns bald vollständig aussprechen zu können. Wir wollen dazu sobald wie möglich Anlaß geben, indem wir in einigen Tagen die Regierungsmittel von Ihnen fordern werden, welche die Verwaltung alljährlich in Anspruch zu nehmen sich gezwungen sieht. Alsdann wird den beiden Kammern gegenüber Alles gesagt werden. Wir wollten heute den Staatsgewalten unsere Huldigung darbringen, und vor ihnen das Bekenntniß unserer unverbrüchlichen Anhänglichkeit an die großen Grundsätze, worauf die Regierung von 1830 beruht, erneuern.“

Diese Rede ward sowohl in der Pairs- als besonders in der Deputirtenkammer mit vielfachen Beifallsäußerungen aufgenommen – so sagt der Moniteur, während das Journal des Débats, und mit ihm einstimmig andere Blätter versichern, bloß in den Reihen der Linken hätten sich einige Zeichen des Beifalls erhoben, während in den übrigen Reihen sich entschiedene Kälte kundgegeben habe. Das Journal des Débats meint überhaupt, die Rede glänze nur durch ihre Unbedeutenheit; der Hr. Conseilpräsident habe sich in den vagsten Allgemeinheiten gehalten. Wenn er erkläre, er wolle die materielle und die moralische Ordnung, so können dieses Programm alle einstigen, alle jetzigen und alle künftigen Minister unterschreiben, denn kein Conseilpräsident werde erklären, er wolle die Unordnung. Aber selbst diese unbedeutenden Worte widersprächen den Principien der Linken, von der getragen doch Hr. Thiers ins Cabinet gekommen. Freilich werde er die Dienste nicht so leicht vergessen, welche die Linke ihm geleistet, die Großmuth, mit welcher, wie man sage, Hr. Odilon-Barrot ihm die Gewalt ohne Bedingung überliefert habe. Deßwegen wäre selbst auf die umfassendsten Erklärungen des Ministeriums kein großes Gewicht zu legen. Hr. Thiers habe seit drei Jahren das Recht verloren, sich auf seine Intentionen zu berufen; er sey ein homo novus, sein Wort sey nicht mehr der Bürge für seine That, und um seinen Regierungsideen vertrauen zu dürfen, müsse man erst gesehen haben, wie er regiere. – Auch der National findet die Rede vag und unbedeutend. „Man sah – sagt er – den geschriebenen Worten wie der Haltung des Hrn. Thiers die Verlegenheit an. Man merkte, daß er Jedermann schonen, Jedermann Hoffnungen machen mußte. Nie war ein Dictator einer Existenz von ein paar Wochen weniger sicher.“ Ganz ähnlich urtheilt die Presse. „Im Manifest des Hrn. Thiers gibt es Phrasen für alle Parteien. Die 221 erinnerte er an seine frühere Verwaltung; der Linken rief er seinen Kampf mit der Krone in der spanischen Frage zurück. Dann, aus Furcht, er habe zu sehr auf die linke Seite sich geneigt, wandte er sich wieder zu den 221 mit der Erklärung, daß seine Ansichten über die auswärtige Politik mit den Gesinnungen der Krone jetzt übereinstimmten. Hierauf drehte er sich wieder nach der Bank des Hrn. Barrot um, mit dem Versprechen, die Verwaltung nur mit gewissenhaft auserlesenen Männern zu versehen, was die Linke als eine förmliche Verpflichtung aufnahm, all' ihre „unbestechlichen Männer“ mit Plätzen zu bedenken. Der arme Mann! Die ganze Rede glich von Anfang bis zu Ende den Sprüngen eines Seiltänzers; wir können keinen bessern Vergleich wählen. – Günstig lautet das Urtheil des Courrier français: „Der neue Ministerpräsident sprach von seiner persönlichen Stellung in würdevoller, schicklicher Weise. Hr. Thiers sagte nicht, die Krone habe nachgegeben, denn ein Minister muß den König decken. Aus seiner Rede geht aber hervor, daß er beim Eintritt in die Verwaltung seine Meinungen nicht geopfert hat, und dieß ist alles, was das Publicum zu wissen verlangt. Die Centren nahmen die Rede sehr kalt auf, und es scheint gewiß, daß diese Fraction der Kammer, mit wenigen Ausnahmen, ihren Entschluß bereits gefaßt hat. Die 221 werden unter dem Einfluß des Ministeriums Molé und des letzten Ministeriums, welche Hrn. Thiers gleich sehr hassen, gegen ihn votiren. Auf dieser Seite der Kammer bleibt Hrn. Thiers keine Hoffnung. Nur durch den Schrei der öffentlichen Meinung können die 221 entwaffnet werden.“ – Der Constitutionnel sagt: „Die Haltung der Deputirtenkammer schien uns anzudeuten, daß sie ruhig die von Hrn. Thiers angekündigte Debatte über die geheimen Fonds abwarten wolle, und daß die Majorität inzwischen geneigt sey, in eine Verwaltung Vertrauen zu setzen, deren Haupt seine Fähigkeit als Minister bereits erprobt hat, und die über die vorhergehenden Cabinette den Vortheil besitzt, daß sie in allen Fragen eine entschiedene Politik und Energie genug hat, dieser Politik den Sieg zu verschaffen.“ – Der Temps, gleichfalls ein Verfechter des Thiers'schen Cabinets, erblickt in der Stelle der Antrittsrede: daß er (Thiers) das Glück habe, seine persönlichen Ueberzeugungen jetzt mit den Gesinnungen der Krone in Einklang zu sehen, den Beweis, daß Hr. Thiers fortwährend fest an den Principien halte, welche er als Chef der parlamentarischen Meinung unaufhörlich vertheidigt habe. Dieser glückliche Einklang zwischen den Gesinnungen der Krone und den Ansichten des Cabinets mache die Repräsentativregierung zu einer Wahrheit. Der übrige Inhalt der Rede zeige, daß sich das Ministerium nicht mehr von der Kammer hin- und her schieben lassen, sich nicht hinter ihre ungewisse Majorität verstecken, sondern energisch sich selbst eine Majorität schaffen und so den Beweis liefern wolle, daß es den Beruf habe, die Zügel zu ergreifen. So nur könne die Kammer in der öffentlichen Meinung wieder gehoben werden, so nur könne die Regierung wieder Kraft erhalten, während die Parteien wüßten, was sie zu bekämpfen und was anzunehmen haben.

Die Mitglieder der Linken haben sich am 5 März unter dem Vorsitz des Hrn. Odilon-Barrot versammelt, und beschlossen, das gegenwärtige Cabinet zu unterstützen und zuzuwarten. Die Versammlung bestand aus etwa 60 Mitgliedern.

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wir werden geradezu und offen darauf losgehen. Die Verwaltung, welche wir bilden, mit sich selbst im Einklang, mit einer festen Ueberzeugung über alle Punkte, welche gegenwärtig die Meinungen spalten, mit Einigkeit handelnd, wird den Kammern ihre Ansicht über alle Fragen vorlegen; sie wird suchen, die Gemüther durch die Mäßigung ihrer Sprache zu versöhnen, und sie durch die Festigkeit ihrer Ueberzeugung zu bestimmen. Die politischen Erörterungen, die jetzt keinen Zweck mehr haben, wird sie der Vergangenheit überlassen, auf diejenigen hingegen, welche wirkliche und bedeutende Interessen berühren, aufs vollständigste eingehen. In Sachen der Verwaltung wird sie sich bestreben, alle moralischen und materiellen Verbesserungen aufzusuchen, deren unsere sociale und administrative Organisation fähig ist, und sorgfältig diejenigen auswählen, die anwendbar sind, diejenigen, welche weder erworbene Interessen bloßstellen, noch den Nerv unserer Regierung schwächen. In der Wahl der Personen wird sie sich bestreben, genau prüfend, streng und unparteiisch zu seyn. So, meine Herren, verstehen wir unsere Pflichten nach innen. Nach außen ist unsere Aufgabe nicht minder schwierig. Es liegt eine ernste Frage vor; wir hegen das feste Vertrauen, daß sie den Weltfrieden nicht stören wird. Wir werden in den Bemühungen der Regierung zur Aufrechterhaltung dieses kostbaren Friedens fortfahren, ohne jedoch auf irgend eine Weise weder die Würde Frankreichs, noch dessen bleibende Interessen zu opfern. Bei dieser kurzen Darstellung müssen unsere Ausdrücke allgemein bleiben; inzwischen wünschen wir uns bald vollständig aussprechen zu können. Wir wollen dazu sobald wie möglich Anlaß geben, indem wir in einigen Tagen die Regierungsmittel von Ihnen fordern werden, welche die Verwaltung alljährlich in Anspruch zu nehmen sich gezwungen sieht. Alsdann wird den beiden Kammern gegenüber Alles gesagt werden. Wir wollten heute den Staatsgewalten unsere Huldigung darbringen, und vor ihnen das Bekenntniß unserer unverbrüchlichen Anhänglichkeit an die großen Grundsätze, worauf die Regierung von 1830 beruht, erneuern.&#x201C;</p><lb/>
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Freilich werde er die Dienste nicht so leicht vergessen, welche die Linke ihm geleistet, die Großmuth, mit welcher, wie man sage, Hr. Odilon-Barrot ihm die Gewalt ohne Bedingung überliefert habe. Deßwegen wäre selbst auf die umfassendsten Erklärungen des Ministeriums kein großes Gewicht zu legen. Hr. Thiers habe seit drei Jahren das Recht verloren, sich auf seine Intentionen zu berufen; er sey ein homo novus, sein Wort sey nicht mehr der Bürge für seine That, und um seinen Regierungsideen vertrauen zu dürfen, müsse man erst gesehen haben, wie er regiere. &#x2013; Auch der <hi rendition="#g">National</hi> findet die Rede vag und unbedeutend. &#x201E;Man sah &#x2013; sagt er &#x2013; den geschriebenen Worten wie der Haltung des Hrn. Thiers die Verlegenheit an. Man merkte, daß er Jedermann schonen, Jedermann Hoffnungen machen mußte. 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Thiers fortwährend fest an den Principien halte, welche er als Chef der parlamentarischen Meinung unaufhörlich vertheidigt habe. Dieser glückliche Einklang zwischen den Gesinnungen der Krone und den Ansichten des Cabinets mache die Repräsentativregierung zu einer Wahrheit. Der übrige Inhalt der Rede zeige, daß sich das Ministerium nicht mehr von der Kammer hin- und her schieben lassen, sich nicht hinter ihre ungewisse Majorität verstecken, sondern energisch sich selbst eine Majorität schaffen und so den Beweis liefern wolle, daß es den Beruf habe, die Zügel zu ergreifen. So nur könne die Kammer in der öffentlichen Meinung wieder gehoben werden, so nur könne die Regierung wieder Kraft erhalten, während die Parteien wüßten, was sie zu bekämpfen und was anzunehmen haben.</p><lb/>
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[0556/0004] wir werden geradezu und offen darauf losgehen. Die Verwaltung, welche wir bilden, mit sich selbst im Einklang, mit einer festen Ueberzeugung über alle Punkte, welche gegenwärtig die Meinungen spalten, mit Einigkeit handelnd, wird den Kammern ihre Ansicht über alle Fragen vorlegen; sie wird suchen, die Gemüther durch die Mäßigung ihrer Sprache zu versöhnen, und sie durch die Festigkeit ihrer Ueberzeugung zu bestimmen. Die politischen Erörterungen, die jetzt keinen Zweck mehr haben, wird sie der Vergangenheit überlassen, auf diejenigen hingegen, welche wirkliche und bedeutende Interessen berühren, aufs vollständigste eingehen. In Sachen der Verwaltung wird sie sich bestreben, alle moralischen und materiellen Verbesserungen aufzusuchen, deren unsere sociale und administrative Organisation fähig ist, und sorgfältig diejenigen auswählen, die anwendbar sind, diejenigen, welche weder erworbene Interessen bloßstellen, noch den Nerv unserer Regierung schwächen. In der Wahl der Personen wird sie sich bestreben, genau prüfend, streng und unparteiisch zu seyn. So, meine Herren, verstehen wir unsere Pflichten nach innen. Nach außen ist unsere Aufgabe nicht minder schwierig. Es liegt eine ernste Frage vor; wir hegen das feste Vertrauen, daß sie den Weltfrieden nicht stören wird. Wir werden in den Bemühungen der Regierung zur Aufrechterhaltung dieses kostbaren Friedens fortfahren, ohne jedoch auf irgend eine Weise weder die Würde Frankreichs, noch dessen bleibende Interessen zu opfern. Bei dieser kurzen Darstellung müssen unsere Ausdrücke allgemein bleiben; inzwischen wünschen wir uns bald vollständig aussprechen zu können. Wir wollen dazu sobald wie möglich Anlaß geben, indem wir in einigen Tagen die Regierungsmittel von Ihnen fordern werden, welche die Verwaltung alljährlich in Anspruch zu nehmen sich gezwungen sieht. Alsdann wird den beiden Kammern gegenüber Alles gesagt werden. Wir wollten heute den Staatsgewalten unsere Huldigung darbringen, und vor ihnen das Bekenntniß unserer unverbrüchlichen Anhänglichkeit an die großen Grundsätze, worauf die Regierung von 1830 beruht, erneuern.“ Diese Rede ward sowohl in der Pairs- als besonders in der Deputirtenkammer mit vielfachen Beifallsäußerungen aufgenommen – so sagt der Moniteur, während das Journal des Débats, und mit ihm einstimmig andere Blätter versichern, bloß in den Reihen der Linken hätten sich einige Zeichen des Beifalls erhoben, während in den übrigen Reihen sich entschiedene Kälte kundgegeben habe. Das Journal des Débats meint überhaupt, die Rede glänze nur durch ihre Unbedeutenheit; der Hr. Conseilpräsident habe sich in den vagsten Allgemeinheiten gehalten. Wenn er erkläre, er wolle die materielle und die moralische Ordnung, so können dieses Programm alle einstigen, alle jetzigen und alle künftigen Minister unterschreiben, denn kein Conseilpräsident werde erklären, er wolle die Unordnung. Aber selbst diese unbedeutenden Worte widersprächen den Principien der Linken, von der getragen doch Hr. Thiers ins Cabinet gekommen. Freilich werde er die Dienste nicht so leicht vergessen, welche die Linke ihm geleistet, die Großmuth, mit welcher, wie man sage, Hr. Odilon-Barrot ihm die Gewalt ohne Bedingung überliefert habe. Deßwegen wäre selbst auf die umfassendsten Erklärungen des Ministeriums kein großes Gewicht zu legen. Hr. Thiers habe seit drei Jahren das Recht verloren, sich auf seine Intentionen zu berufen; er sey ein homo novus, sein Wort sey nicht mehr der Bürge für seine That, und um seinen Regierungsideen vertrauen zu dürfen, müsse man erst gesehen haben, wie er regiere. – Auch der National findet die Rede vag und unbedeutend. „Man sah – sagt er – den geschriebenen Worten wie der Haltung des Hrn. Thiers die Verlegenheit an. Man merkte, daß er Jedermann schonen, Jedermann Hoffnungen machen mußte. Nie war ein Dictator einer Existenz von ein paar Wochen weniger sicher.“ Ganz ähnlich urtheilt die Presse. „Im Manifest des Hrn. Thiers gibt es Phrasen für alle Parteien. Die 221 erinnerte er an seine frühere Verwaltung; der Linken rief er seinen Kampf mit der Krone in der spanischen Frage zurück. Dann, aus Furcht, er habe zu sehr auf die linke Seite sich geneigt, wandte er sich wieder zu den 221 mit der Erklärung, daß seine Ansichten über die auswärtige Politik mit den Gesinnungen der Krone jetzt übereinstimmten. Hierauf drehte er sich wieder nach der Bank des Hrn. Barrot um, mit dem Versprechen, die Verwaltung nur mit gewissenhaft auserlesenen Männern zu versehen, was die Linke als eine förmliche Verpflichtung aufnahm, all' ihre „unbestechlichen Männer“ mit Plätzen zu bedenken. Der arme Mann! Die ganze Rede glich von Anfang bis zu Ende den Sprüngen eines Seiltänzers; wir können keinen bessern Vergleich wählen. – Günstig lautet das Urtheil des Courrier français: „Der neue Ministerpräsident sprach von seiner persönlichen Stellung in würdevoller, schicklicher Weise. Hr. Thiers sagte nicht, die Krone habe nachgegeben, denn ein Minister muß den König decken. Aus seiner Rede geht aber hervor, daß er beim Eintritt in die Verwaltung seine Meinungen nicht geopfert hat, und dieß ist alles, was das Publicum zu wissen verlangt. Die Centren nahmen die Rede sehr kalt auf, und es scheint gewiß, daß diese Fraction der Kammer, mit wenigen Ausnahmen, ihren Entschluß bereits gefaßt hat. Die 221 werden unter dem Einfluß des Ministeriums Molé und des letzten Ministeriums, welche Hrn. Thiers gleich sehr hassen, gegen ihn votiren. Auf dieser Seite der Kammer bleibt Hrn. Thiers keine Hoffnung. Nur durch den Schrei der öffentlichen Meinung können die 221 entwaffnet werden.“ – Der Constitutionnel sagt: „Die Haltung der Deputirtenkammer schien uns anzudeuten, daß sie ruhig die von Hrn. Thiers angekündigte Debatte über die geheimen Fonds abwarten wolle, und daß die Majorität inzwischen geneigt sey, in eine Verwaltung Vertrauen zu setzen, deren Haupt seine Fähigkeit als Minister bereits erprobt hat, und die über die vorhergehenden Cabinette den Vortheil besitzt, daß sie in allen Fragen eine entschiedene Politik und Energie genug hat, dieser Politik den Sieg zu verschaffen.“ – Der Temps, gleichfalls ein Verfechter des Thiers'schen Cabinets, erblickt in der Stelle der Antrittsrede: daß er (Thiers) das Glück habe, seine persönlichen Ueberzeugungen jetzt mit den Gesinnungen der Krone in Einklang zu sehen, den Beweis, daß Hr. Thiers fortwährend fest an den Principien halte, welche er als Chef der parlamentarischen Meinung unaufhörlich vertheidigt habe. Dieser glückliche Einklang zwischen den Gesinnungen der Krone und den Ansichten des Cabinets mache die Repräsentativregierung zu einer Wahrheit. Der übrige Inhalt der Rede zeige, daß sich das Ministerium nicht mehr von der Kammer hin- und her schieben lassen, sich nicht hinter ihre ungewisse Majorität verstecken, sondern energisch sich selbst eine Majorität schaffen und so den Beweis liefern wolle, daß es den Beruf habe, die Zügel zu ergreifen. So nur könne die Kammer in der öffentlichen Meinung wieder gehoben werden, so nur könne die Regierung wieder Kraft erhalten, während die Parteien wüßten, was sie zu bekämpfen und was anzunehmen haben. Die Mitglieder der Linken haben sich am 5 März unter dem Vorsitz des Hrn. Odilon-Barrot versammelt, und beschlossen, das gegenwärtige Cabinet zu unterstützen und zuzuwarten. Die Versammlung bestand aus etwa 60 Mitgliedern.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 70. Augsburg, 10. März 1840, S. 0556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_070_18400310/4>, abgerufen am 19.04.2024.