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Allgemeine Zeitung. Nr. 71. Augsburg, 11. März 1840.

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an der Spitze zu haben, vor Allem aber muß sie fürchten, durch Wiedererneuerung der Ministerialkrisis eine Kammerauflösung herbeizuführen. Hr. Thiers dagegen scheint den Plan zu verfolgen, die Wünsche und Interessen der Nation zu befriedigen. Das Centrum mag am nächsten Montag abstimmen, wie es will, das Land ist durch das Centrum in keinem Fall repräsentirt. Die Bonapartisten behaupten, Hr. Thiers sey im Schlosse wieder zu Gnaden auf- und angenommen worden, die Republicaner wollen wissen, es habe sich bereits ein Ministerium in Spe gebildet, bestehend aus den HH. Passy, Teste, Villemain, Duchatel, Legentil u. s. w., um, falls Hr. Thiers bei der Kammer durchfiele, sogleich eintreten zu können. Besser Unterrichtete sind der Meinung, daß der Hof nachgerade die Ministerwechsel anfängt bedenklich zu finden. - England fürchtet wirklich, wie ich in einem andern Brief auch schon bemerkt habe, daß Hr. Thiers Bedenken tragen werde, die mit England angeknüpften Verhandlungen über einen Handelsvertrag abzuschließen, und der für diesen Zweck von England bestellte Commissär, Hr. Porter, ist daher heute in aller Eile hier angekommen.

Der Aerger der Gegner des Hrn. Thiers, d. h. des Journal des Debats und der Presse, ist sonderbar: sie machen ihm seinen revolutionären Ursprung zum Vorwurf, und scheinen verdrießlich, daß Thiers bei seinem ersten Schritt als Minister sich nicht sogleich als den Mann der radicalen Opposition zu erkennen gegeben habe, sie werfen ihm vor, seine Fahne in die Tasche gesteckt zu haben. Das Redliche dieser Fehde läßt sich leicht erkennen: eine unbesonnene Sprache würde dem Minister die Majorität der Kammer schnell entrissen haben; das eben hoffte man. Aber auch die radicale Partei bekriegt das neue Ministerium, und die Schwierigkeit dieser Stellung läßt sich nicht verkennen. Thiers hatte allerdings ein Mittel, sich bei der radicalen Partei zu empfehlen: er brauchte nur eine Losung anzunehmen, jene der Wahlreform. Er hat es nicht gethan, er hat es nicht thun wollen. Gleichwohl kündigt er einen Schritt an, der wenigstens darthut, daß es ihm an Keckheit und Berechnung nicht fehle: die geheimen Gelder werden schon in einigen Tagen der Kammer zur Genehmigung oder Verwerfung vorgelegt werden. Genehmigt die Kammer, so kann das Ministerium auf einige Dauer rechnen, da Jedermann des ewigen Wechsels müde ist. Würden die geheimen Gelder verworfen, so geschähe es offenbar nur in Folge eines Planes und einer Verschwörung, bei welcher die Tuilerien nicht ganz fremd geblieben wären, und der Eindruck, den dieses sonderbare Spiel auf die öffentliche Meinung hervorbrächte, würde sicherlich nicht zu ihrem Frommen gereichen. Dem Minister bliebe zweierlei zu thun: einem Ministerium Mole zu weichen, dem eine dreifache Opposition, der Kammer, der Presse und der Wähler entgegentreten würde, oder aber die Kammer aufzulösen, und an eine neue Wahl zu appelliren, die in Gefolge seines eigenen Einflusses, jenes der Journale und der neuesten Begebenheiten des Dotationsgesetzes unbedenklich sehr liberal ausfallen, und der Krone Verlegenheiten veranlassen könnte, bei weitem schwerer und bedenklicher als Alles, was bisher geschehen. Und, aufrichtig, dieser letzte Gesichtspunkt, den der Scharfblick von Thiers wohl mag bemessen haben, ist in diesem Momente die beste Gewähr für die Dauer seines Ministeriums; das Spiel, das man gegen ihn spielen möchte, verlangt zu großen Einsatz, und der Gewinn ist zu ungewiß, um Alles auf einen Wurf zu wagen. - Von dem neuen Minister des Unterrichts haben wir bis jetzt nur sehr Ehrenvolles zu melden. Der Oberstudienrath hatte sich auf eigene Hand, und darum in ungesetzlicher Form versammelt, um dem vom Ministerium abtretenden Villemain, der auch nicht mehr im Studienrath ist, sein Bedauern über seine Entfernung auszudrücken. Als Cousin diese Entschließung vernahm, berief er in gebührender Weise das Collegium, und vereinigte sich mit seinen frühern Collegen zu der entworfenen Huldigung. Er begnügte sich nicht damit, sondern bot ausdrücklich dem Hrn. Villemain die Stelle des Vicepräsidenten im Studienrathe an, erhielt aber eine abschlägige Antwort; an seinen eigenen Platz ernannte er Jouffroy, und an seine schöne Direction der Normalschule den Studienrath und Deputirten Dubois von der Loire inferieure. Das heißt im eigentlichen Sinne des Wortes seine Schiffe verbrennen, um sich dem ungewissen Elemente einer politischen Laufbahn ganz hinzugeben.

Deutschland.

In der heutigen öffentlichen Sitzung der Kammer der Abgeordneten wurde mit einigen Modificationen der Gesetzesentwurf, "den Schutz des Eigenthums an Werken der Litteratur und Kunst, gegen Veröffentlichung, Nachbildung und Nachdruck" betreffend, einstimmig angenommen. - Das heute erschienene Regierungsblatt bringt eine allerhöchste Verordnung, "die Nachahmung und den Gebrauch der Gewerb- und Fabrikzeichen" betreffend, dann eine zweite, über die öffentliche Ausstellung der Industrie- und Gewerbserzeugnisse sämmtlicher Kreise des Königreichs für 1840. Dieselbe hat dieses Jahr in Nürnberg statt, beginnt am 25 Aug. und endet am 25 Sept.

Die am 1 d. M. dahier begonnene und gestern geschlossene ordentliche Generalversammlung der bayerisch-würtembergischen privilegirten Dampfschifffahrtsgesellschaft vernahm aus den vom Vorstande und dem administrativen Director erstatteten Berichten, daß die für Rechnung der Gesellschaft betriebenen zwei Geschäftszweige, nämlich der Dampfschifffahrt und der Maschinenfabrik, im verflossenen Jahre nicht nur keinen Reingewinn gewährt, sondern sogar die Fonds gänzlich erschöpft haben, daher nun durch freiwillige, theils durch Actionnäre, theils von der Nürnberger Bank zu leistende, so wie durch ein bei der k. Staatsregierung nachgesuchtes großes, jene nicht nur deckendes, sondern noch weiteres Betriebscapital darbietendes Anlehen, die Fortführung des Unternehmens gesichert werden müsse. Diese Fortführung wird dadurch geschehen, daß im bevorstehenden Jahre die Schifffahrt zwischen Regensburg und Linz mit zwei Dampfschiffen, die zwischen Regensburg und Ulm mit einem betrieben werden soll. Auf der einen wie auf der andern Strecke wird dieß zwar nicht genügen, da nur die Herstellung einer regelmäßigen täglichen Fahrt die möglichen Vortheile alle gewähren kann, während ohne sie die Ausführung des vorgezeichneten Planes einer ununterbrochenen Dampfschifffahrt auf der Donau von Ulm an immer mangelhaft und der Ertrag für die Actionnäre sehr zweifelhaft bleiben wird. Um dieß für die obere Strecke zwischen Ulm und Regensburg zu beseitigen, wurden in ersterer Stadt Mittel durch neue Vereinigung und unter Begünstigung der jenseitigen Staatsregierung aufgebracht; auch erschienen Abgeordnete von dort in der Versammlung, welche diesen Gegenstand mit ihr berathen wollten. Nach einiger Modificirung ihrer ursprünglichen Anträge proponirten sie, daß der neugebildete Hülfsverein als Filialverein mit der bayerisch-würtembergischen Gesellschaft gemeinschaftlich durch abwechselnde Fahrten eine häufige und geregelte Dampfschifffahrt zwischen Ulm und Regensburg herstellen, die hiezu nöthigen eisernen Schiffe auf eigene Kosten erbauen, die Verwaltung derselben gleichfalls auf ihre Kosten übernehmen und dessen ungeachtet die Brutto-Einnahme mit der Hauptgesellschaft nach Verhältniß der Fahrten beider

an der Spitze zu haben, vor Allem aber muß sie fürchten, durch Wiedererneuerung der Ministerialkrisis eine Kammerauflösung herbeizuführen. Hr. Thiers dagegen scheint den Plan zu verfolgen, die Wünsche und Interessen der Nation zu befriedigen. Das Centrum mag am nächsten Montag abstimmen, wie es will, das Land ist durch das Centrum in keinem Fall repräsentirt. Die Bonapartisten behaupten, Hr. Thiers sey im Schlosse wieder zu Gnaden auf- und angenommen worden, die Republicaner wollen wissen, es habe sich bereits ein Ministerium in Spe gebildet, bestehend aus den HH. Passy, Teste, Villemain, Duchatel, Legentil u. s. w., um, falls Hr. Thiers bei der Kammer durchfiele, sogleich eintreten zu können. Besser Unterrichtete sind der Meinung, daß der Hof nachgerade die Ministerwechsel anfängt bedenklich zu finden. – England fürchtet wirklich, wie ich in einem andern Brief auch schon bemerkt habe, daß Hr. Thiers Bedenken tragen werde, die mit England angeknüpften Verhandlungen über einen Handelsvertrag abzuschließen, und der für diesen Zweck von England bestellte Commissär, Hr. Porter, ist daher heute in aller Eile hier angekommen.

Der Aerger der Gegner des Hrn. Thiers, d. h. des Journal des Débats und der Presse, ist sonderbar: sie machen ihm seinen revolutionären Ursprung zum Vorwurf, und scheinen verdrießlich, daß Thiers bei seinem ersten Schritt als Minister sich nicht sogleich als den Mann der radicalen Opposition zu erkennen gegeben habe, sie werfen ihm vor, seine Fahne in die Tasche gesteckt zu haben. Das Redliche dieser Fehde läßt sich leicht erkennen: eine unbesonnene Sprache würde dem Minister die Majorität der Kammer schnell entrissen haben; das eben hoffte man. Aber auch die radicale Partei bekriegt das neue Ministerium, und die Schwierigkeit dieser Stellung läßt sich nicht verkennen. Thiers hatte allerdings ein Mittel, sich bei der radicalen Partei zu empfehlen: er brauchte nur eine Losung anzunehmen, jene der Wahlreform. Er hat es nicht gethan, er hat es nicht thun wollen. Gleichwohl kündigt er einen Schritt an, der wenigstens darthut, daß es ihm an Keckheit und Berechnung nicht fehle: die geheimen Gelder werden schon in einigen Tagen der Kammer zur Genehmigung oder Verwerfung vorgelegt werden. Genehmigt die Kammer, so kann das Ministerium auf einige Dauer rechnen, da Jedermann des ewigen Wechsels müde ist. Würden die geheimen Gelder verworfen, so geschähe es offenbar nur in Folge eines Planes und einer Verschwörung, bei welcher die Tuilerien nicht ganz fremd geblieben wären, und der Eindruck, den dieses sonderbare Spiel auf die öffentliche Meinung hervorbrächte, würde sicherlich nicht zu ihrem Frommen gereichen. Dem Minister bliebe zweierlei zu thun: einem Ministerium Molé zu weichen, dem eine dreifache Opposition, der Kammer, der Presse und der Wähler entgegentreten würde, oder aber die Kammer aufzulösen, und an eine neue Wahl zu appelliren, die in Gefolge seines eigenen Einflusses, jenes der Journale und der neuesten Begebenheiten des Dotationsgesetzes unbedenklich sehr liberal ausfallen, und der Krone Verlegenheiten veranlassen könnte, bei weitem schwerer und bedenklicher als Alles, was bisher geschehen. Und, aufrichtig, dieser letzte Gesichtspunkt, den der Scharfblick von Thiers wohl mag bemessen haben, ist in diesem Momente die beste Gewähr für die Dauer seines Ministeriums; das Spiel, das man gegen ihn spielen möchte, verlangt zu großen Einsatz, und der Gewinn ist zu ungewiß, um Alles auf einen Wurf zu wagen. – Von dem neuen Minister des Unterrichts haben wir bis jetzt nur sehr Ehrenvolles zu melden. Der Oberstudienrath hatte sich auf eigene Hand, und darum in ungesetzlicher Form versammelt, um dem vom Ministerium abtretenden Villemain, der auch nicht mehr im Studienrath ist, sein Bedauern über seine Entfernung auszudrücken. Als Cousin diese Entschließung vernahm, berief er in gebührender Weise das Collegium, und vereinigte sich mit seinen frühern Collegen zu der entworfenen Huldigung. Er begnügte sich nicht damit, sondern bot ausdrücklich dem Hrn. Villemain die Stelle des Vicepräsidenten im Studienrathe an, erhielt aber eine abschlägige Antwort; an seinen eigenen Platz ernannte er Jouffroy, und an seine schöne Direction der Normalschule den Studienrath und Deputirten Dubois von der Loire inférieure. Das heißt im eigentlichen Sinne des Wortes seine Schiffe verbrennen, um sich dem ungewissen Elemente einer politischen Laufbahn ganz hinzugeben.

Deutschland.

In der heutigen öffentlichen Sitzung der Kammer der Abgeordneten wurde mit einigen Modificationen der Gesetzesentwurf, „den Schutz des Eigenthums an Werken der Litteratur und Kunst, gegen Veröffentlichung, Nachbildung und Nachdruck“ betreffend, einstimmig angenommen. – Das heute erschienene Regierungsblatt bringt eine allerhöchste Verordnung, „die Nachahmung und den Gebrauch der Gewerb- und Fabrikzeichen“ betreffend, dann eine zweite, über die öffentliche Ausstellung der Industrie- und Gewerbserzeugnisse sämmtlicher Kreise des Königreichs für 1840. Dieselbe hat dieses Jahr in Nürnberg statt, beginnt am 25 Aug. und endet am 25 Sept.

Die am 1 d. M. dahier begonnene und gestern geschlossene ordentliche Generalversammlung der bayerisch-würtembergischen privilegirten Dampfschifffahrtsgesellschaft vernahm aus den vom Vorstande und dem administrativen Director erstatteten Berichten, daß die für Rechnung der Gesellschaft betriebenen zwei Geschäftszweige, nämlich der Dampfschifffahrt und der Maschinenfabrik, im verflossenen Jahre nicht nur keinen Reingewinn gewährt, sondern sogar die Fonds gänzlich erschöpft haben, daher nun durch freiwillige, theils durch Actionnäre, theils von der Nürnberger Bank zu leistende, so wie durch ein bei der k. Staatsregierung nachgesuchtes großes, jene nicht nur deckendes, sondern noch weiteres Betriebscapital darbietendes Anlehen, die Fortführung des Unternehmens gesichert werden müsse. Diese Fortführung wird dadurch geschehen, daß im bevorstehenden Jahre die Schifffahrt zwischen Regensburg und Linz mit zwei Dampfschiffen, die zwischen Regensburg und Ulm mit einem betrieben werden soll. Auf der einen wie auf der andern Strecke wird dieß zwar nicht genügen, da nur die Herstellung einer regelmäßigen täglichen Fahrt die möglichen Vortheile alle gewähren kann, während ohne sie die Ausführung des vorgezeichneten Planes einer ununterbrochenen Dampfschifffahrt auf der Donau von Ulm an immer mangelhaft und der Ertrag für die Actionnäre sehr zweifelhaft bleiben wird. Um dieß für die obere Strecke zwischen Ulm und Regensburg zu beseitigen, wurden in ersterer Stadt Mittel durch neue Vereinigung und unter Begünstigung der jenseitigen Staatsregierung aufgebracht; auch erschienen Abgeordnete von dort in der Versammlung, welche diesen Gegenstand mit ihr berathen wollten. Nach einiger Modificirung ihrer ursprünglichen Anträge proponirten sie, daß der neugebildete Hülfsverein als Filialverein mit der bayerisch-würtembergischen Gesellschaft gemeinschaftlich durch abwechselnde Fahrten eine häufige und geregelte Dampfschifffahrt zwischen Ulm und Regensburg herstellen, die hiezu nöthigen eisernen Schiffe auf eigene Kosten erbauen, die Verwaltung derselben gleichfalls auf ihre Kosten übernehmen und dessen ungeachtet die Brutto-Einnahme mit der Hauptgesellschaft nach Verhältniß der Fahrten beider

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          <p> Die am 1 d. M. dahier begonnene und gestern geschlossene ordentliche Generalversammlung der bayerisch-würtembergischen privilegirten Dampfschifffahrtsgesellschaft vernahm aus den vom Vorstande und dem administrativen Director erstatteten Berichten, daß die für Rechnung der Gesellschaft betriebenen zwei Geschäftszweige, nämlich der Dampfschifffahrt und der Maschinenfabrik, im verflossenen Jahre nicht nur keinen Reingewinn gewährt, sondern sogar die Fonds gänzlich erschöpft haben, daher nun durch freiwillige, theils durch Actionnäre, theils von der Nürnberger Bank zu leistende, so wie durch ein bei der k. Staatsregierung nachgesuchtes großes, jene nicht nur deckendes, sondern noch weiteres Betriebscapital darbietendes Anlehen, die Fortführung des Unternehmens gesichert werden müsse. Diese Fortführung wird dadurch geschehen, daß im bevorstehenden Jahre die Schifffahrt zwischen Regensburg und Linz mit zwei Dampfschiffen, die zwischen Regensburg und Ulm mit einem betrieben werden soll. Auf der einen wie auf der andern Strecke wird dieß zwar nicht genügen, da nur die Herstellung einer regelmäßigen täglichen Fahrt die möglichen Vortheile alle gewähren kann, während ohne sie die Ausführung des vorgezeichneten Planes einer ununterbrochenen Dampfschifffahrt auf der Donau von Ulm an immer mangelhaft und der Ertrag für die Actionnäre sehr zweifelhaft bleiben wird. Um dieß für die obere Strecke zwischen Ulm und Regensburg zu beseitigen, wurden in ersterer Stadt Mittel durch neue Vereinigung und unter Begünstigung der jenseitigen Staatsregierung aufgebracht; auch erschienen Abgeordnete von dort in der Versammlung, welche diesen Gegenstand mit ihr berathen wollten. Nach einiger Modificirung ihrer ursprünglichen Anträge proponirten sie, daß der neugebildete Hülfsverein als Filialverein mit der bayerisch-würtembergischen Gesellschaft gemeinschaftlich durch abwechselnde Fahrten eine häufige und geregelte Dampfschifffahrt zwischen Ulm und Regensburg herstellen, die hiezu nöthigen eisernen Schiffe auf eigene Kosten erbauen, die Verwaltung derselben gleichfalls auf ihre Kosten übernehmen und dessen ungeachtet die Brutto-Einnahme mit der Hauptgesellschaft nach Verhältniß der Fahrten beider<lb/></p>
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[0564/0004] an der Spitze zu haben, vor Allem aber muß sie fürchten, durch Wiedererneuerung der Ministerialkrisis eine Kammerauflösung herbeizuführen. Hr. Thiers dagegen scheint den Plan zu verfolgen, die Wünsche und Interessen der Nation zu befriedigen. Das Centrum mag am nächsten Montag abstimmen, wie es will, das Land ist durch das Centrum in keinem Fall repräsentirt. Die Bonapartisten behaupten, Hr. Thiers sey im Schlosse wieder zu Gnaden auf- und angenommen worden, die Republicaner wollen wissen, es habe sich bereits ein Ministerium in Spe gebildet, bestehend aus den HH. Passy, Teste, Villemain, Duchatel, Legentil u. s. w., um, falls Hr. Thiers bei der Kammer durchfiele, sogleich eintreten zu können. Besser Unterrichtete sind der Meinung, daß der Hof nachgerade die Ministerwechsel anfängt bedenklich zu finden. – England fürchtet wirklich, wie ich in einem andern Brief auch schon bemerkt habe, daß Hr. Thiers Bedenken tragen werde, die mit England angeknüpften Verhandlungen über einen Handelsvertrag abzuschließen, und der für diesen Zweck von England bestellte Commissär, Hr. Porter, ist daher heute in aller Eile hier angekommen. _ Paris, 5 März. Der Aerger der Gegner des Hrn. Thiers, d. h. des Journal des Débats und der Presse, ist sonderbar: sie machen ihm seinen revolutionären Ursprung zum Vorwurf, und scheinen verdrießlich, daß Thiers bei seinem ersten Schritt als Minister sich nicht sogleich als den Mann der radicalen Opposition zu erkennen gegeben habe, sie werfen ihm vor, seine Fahne in die Tasche gesteckt zu haben. Das Redliche dieser Fehde läßt sich leicht erkennen: eine unbesonnene Sprache würde dem Minister die Majorität der Kammer schnell entrissen haben; das eben hoffte man. Aber auch die radicale Partei bekriegt das neue Ministerium, und die Schwierigkeit dieser Stellung läßt sich nicht verkennen. Thiers hatte allerdings ein Mittel, sich bei der radicalen Partei zu empfehlen: er brauchte nur eine Losung anzunehmen, jene der Wahlreform. Er hat es nicht gethan, er hat es nicht thun wollen. Gleichwohl kündigt er einen Schritt an, der wenigstens darthut, daß es ihm an Keckheit und Berechnung nicht fehle: die geheimen Gelder werden schon in einigen Tagen der Kammer zur Genehmigung oder Verwerfung vorgelegt werden. Genehmigt die Kammer, so kann das Ministerium auf einige Dauer rechnen, da Jedermann des ewigen Wechsels müde ist. Würden die geheimen Gelder verworfen, so geschähe es offenbar nur in Folge eines Planes und einer Verschwörung, bei welcher die Tuilerien nicht ganz fremd geblieben wären, und der Eindruck, den dieses sonderbare Spiel auf die öffentliche Meinung hervorbrächte, würde sicherlich nicht zu ihrem Frommen gereichen. Dem Minister bliebe zweierlei zu thun: einem Ministerium Molé zu weichen, dem eine dreifache Opposition, der Kammer, der Presse und der Wähler entgegentreten würde, oder aber die Kammer aufzulösen, und an eine neue Wahl zu appelliren, die in Gefolge seines eigenen Einflusses, jenes der Journale und der neuesten Begebenheiten des Dotationsgesetzes unbedenklich sehr liberal ausfallen, und der Krone Verlegenheiten veranlassen könnte, bei weitem schwerer und bedenklicher als Alles, was bisher geschehen. Und, aufrichtig, dieser letzte Gesichtspunkt, den der Scharfblick von Thiers wohl mag bemessen haben, ist in diesem Momente die beste Gewähr für die Dauer seines Ministeriums; das Spiel, das man gegen ihn spielen möchte, verlangt zu großen Einsatz, und der Gewinn ist zu ungewiß, um Alles auf einen Wurf zu wagen. – Von dem neuen Minister des Unterrichts haben wir bis jetzt nur sehr Ehrenvolles zu melden. Der Oberstudienrath hatte sich auf eigene Hand, und darum in ungesetzlicher Form versammelt, um dem vom Ministerium abtretenden Villemain, der auch nicht mehr im Studienrath ist, sein Bedauern über seine Entfernung auszudrücken. Als Cousin diese Entschließung vernahm, berief er in gebührender Weise das Collegium, und vereinigte sich mit seinen frühern Collegen zu der entworfenen Huldigung. Er begnügte sich nicht damit, sondern bot ausdrücklich dem Hrn. Villemain die Stelle des Vicepräsidenten im Studienrathe an, erhielt aber eine abschlägige Antwort; an seinen eigenen Platz ernannte er Jouffroy, und an seine schöne Direction der Normalschule den Studienrath und Deputirten Dubois von der Loire inférieure. Das heißt im eigentlichen Sinne des Wortes seine Schiffe verbrennen, um sich dem ungewissen Elemente einer politischen Laufbahn ganz hinzugeben. Deutschland. _ München, 9 März. In der heutigen öffentlichen Sitzung der Kammer der Abgeordneten wurde mit einigen Modificationen der Gesetzesentwurf, „den Schutz des Eigenthums an Werken der Litteratur und Kunst, gegen Veröffentlichung, Nachbildung und Nachdruck“ betreffend, einstimmig angenommen. – Das heute erschienene Regierungsblatt bringt eine allerhöchste Verordnung, „die Nachahmung und den Gebrauch der Gewerb- und Fabrikzeichen“ betreffend, dann eine zweite, über die öffentliche Ausstellung der Industrie- und Gewerbserzeugnisse sämmtlicher Kreise des Königreichs für 1840. Dieselbe hat dieses Jahr in Nürnberg statt, beginnt am 25 Aug. und endet am 25 Sept. _ Regensburg, 4 März. Die am 1 d. M. dahier begonnene und gestern geschlossene ordentliche Generalversammlung der bayerisch-würtembergischen privilegirten Dampfschifffahrtsgesellschaft vernahm aus den vom Vorstande und dem administrativen Director erstatteten Berichten, daß die für Rechnung der Gesellschaft betriebenen zwei Geschäftszweige, nämlich der Dampfschifffahrt und der Maschinenfabrik, im verflossenen Jahre nicht nur keinen Reingewinn gewährt, sondern sogar die Fonds gänzlich erschöpft haben, daher nun durch freiwillige, theils durch Actionnäre, theils von der Nürnberger Bank zu leistende, so wie durch ein bei der k. Staatsregierung nachgesuchtes großes, jene nicht nur deckendes, sondern noch weiteres Betriebscapital darbietendes Anlehen, die Fortführung des Unternehmens gesichert werden müsse. Diese Fortführung wird dadurch geschehen, daß im bevorstehenden Jahre die Schifffahrt zwischen Regensburg und Linz mit zwei Dampfschiffen, die zwischen Regensburg und Ulm mit einem betrieben werden soll. Auf der einen wie auf der andern Strecke wird dieß zwar nicht genügen, da nur die Herstellung einer regelmäßigen täglichen Fahrt die möglichen Vortheile alle gewähren kann, während ohne sie die Ausführung des vorgezeichneten Planes einer ununterbrochenen Dampfschifffahrt auf der Donau von Ulm an immer mangelhaft und der Ertrag für die Actionnäre sehr zweifelhaft bleiben wird. Um dieß für die obere Strecke zwischen Ulm und Regensburg zu beseitigen, wurden in ersterer Stadt Mittel durch neue Vereinigung und unter Begünstigung der jenseitigen Staatsregierung aufgebracht; auch erschienen Abgeordnete von dort in der Versammlung, welche diesen Gegenstand mit ihr berathen wollten. Nach einiger Modificirung ihrer ursprünglichen Anträge proponirten sie, daß der neugebildete Hülfsverein als Filialverein mit der bayerisch-würtembergischen Gesellschaft gemeinschaftlich durch abwechselnde Fahrten eine häufige und geregelte Dampfschifffahrt zwischen Ulm und Regensburg herstellen, die hiezu nöthigen eisernen Schiffe auf eigene Kosten erbauen, die Verwaltung derselben gleichfalls auf ihre Kosten übernehmen und dessen ungeachtet die Brutto-Einnahme mit der Hauptgesellschaft nach Verhältniß der Fahrten beider

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 71. Augsburg, 11. März 1840, S. 0564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_071_18400311/4>, abgerufen am 28.03.2024.