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Allgemeine Zeitung. Nr. 130. Augsburg, 9. Mai 1840.

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Zeitraum von der Hälfte des fünften bis zur Hälfte des sechsten Jahrhunderts und fahren da fort, wo Chateaubriand in seinen Martyrs und seinen Etudes historiques stehen geblieben ist. Der nämliche genaue historische Charakter, die Wahrheit der Angaben und die poetische Benutzung der Thatsachen, die man in den frühern Briefen Thierry's über die französische Geschichte wahrgenommen, finden sich in diesen Erzählungen wieder; es bedarf nicht mehr, um sie zu empfehlen, und ihr Verleger, Just Teissier, darf auf eine günstige und freudige Aufnahme rechnen.

Der dritte und vierte Theil des Werkes von Tocqueville über Amerika zeichnet sich vor den beiden ersten dadurch aus, daß sie mehr das positiv Gegebene anschauen und für die Zukunft Schlüsse daraus ziehen, statt sich, wie die beiden ersten Theile, in die Vergangenheit zu stellen, um die Gegenwart daraus zu erklären. Der Vergangenheit ist kein jetziger Franzose historischer Herr, weil ihm dazu die tiefern Studien des Philologen und Juristen abgehen, und er sich nicht von französischen Befangenheiten und Abstractionen über den Gang der Civilisation freizuhalten vermag. So ist Guizot gar zu abstract, spaltend und methodisirend, bald zerkrümelnd, bald gruppirend; er hat die deutschen Vorgänger, Eichhorn, Savigny und Andere gar zu sehr nach seinen politischen Gesinnungen und Interessen accommodirt. Thierry hat sich ein ganzes historisches Abstractum von römischen nie untergegangenen Municipalitäten, in allen ihren Formen, Würden und Institutionen des Kaiserthums lebendig fortbestehend herausgeklügelt, um die städtischen Institutionen des Mittelalters so viel zu romanisiren wie möglich, weil er dessen nöthig hatte, um den Kampf des tiers etat gegen den Adel nach seiner Art zu combiniren. Michelet gilt nicht, denn er phantasirt leichtfertig und hyperpoetisch; dazu ist er noch an Gans und Hegel, und construirt von ihnen aus die Geschichte, aus deutschen unreifen Ideen in französische Grünigkeiten hinein. Tocqueville hat von Montesquieu Manches in sich, und mit tieferen historischen Studien wäre er gewiß weiter und höher gedrungen als alle Andern; er ist bescheidener und weniger ehrgeizig als Guizot, nicht malerisch beredt wie Thierry, aber weit originaler durch eigene Anschauung, und wenn auch nicht so scharf und dialektisch durchschauend wie der erste, doch freiern Flügelschlags und mehr sinnig in andere Gebiete des Denkens hinüberstreifend als die doctrinell formirten und markirten. Seine beiden letzten Bände sind voll Verstand, Scharfsinn, Einsicht, Wahrheit, ohne Pedanterie: es ist bei weitem das beste Buch, welches über Demokratie seit den großen demokratischen Revolutionen des Jahrhunderts geschrieben; es geht so viel wie möglich aus den absoluten Allgemeinheiten heraus in das lebendig Innere hinein mit Weltverstand und sondernder Auffassung. Da es aber ganz ohne Charlatanerie geschrieben ist, und die Charlatanerie zu Paris die Hauptfrais des Erfolgs eines Autors macht, so ist es eine große Frage ob es den verdienten Succeß haben wird. Höchst mittelmäßige Werke sind hier öfters durch gewaltsame Charlatanerie gehoben worden, wie Feuerinseln im Ocean; es ist freilich wahr, daß diese Vulcänlein auch wieder spurlos verschwunden sind wie sie donnernd geboren worden. - Es ist Schade, daß Männer wie Tocqueville nicht die große Suada unsrer Advocaten besitzen, oder den weitfließenden Mund mancher Minister; daß sie mehr denken als sprechen und schreiben, überhaupt vielleicht auch ihnen die großen Passionen fehlen, welche durchaus nöthig sind zum öffentlichen Auftreten, und ohne die es keinen großen Redner und keinen großen Staatsmann gibt. In Ermangelung der großen Passionen haben wir hier zum öftern die kleinen Passionen, welche ebenfalls auf ihre Weise beredt machen, nur gehässig beredt, als ob die Welt ein Feld für Maulwürfe wäre, um sich in derselben, Saaten zerwühlend, zu agitiren.

Gestern fand wieder die öffentliche Sitzung der fünf Akademien statt, und bot manches der Erwähnung vielleicht nicht Unwerthe dar. Es hatte sich ein gewählter Kreis von Zuhörern und Zuhörerinnen eingefunden; die Damen sind hier besondere Freundinnen der Wissenschaft, und erschrecken nicht vor einer Vorlesung über Nationalökonomie oder Zuckerpflanzung; sie machen sich in den Sälen des College de France bemerkbar, und würden, gäb' es die Sitte zu, selbst den Lehrstuhl ohne Furcht besteigen. Die gestrige Feierlichkeit war im Grunde nichts als ein Schaugepränge, eine Parade, wie sie die Garnison der oder jener Stadt vor einem General oder Prinzen hält; die akademische Kunst und Wissenschaft Frankreichs stellte sich in ihren Incarnationen dem Publicum vor, und einige der Herren gaben durch Vorträge in Prosa oder Versen Proben ihrer Weisheit oder ihres Witzes. Der Präsident eröffnete die Sitzung mit einer kleinen Anrede, die allgemein unverstanden blieb; solche Einleitungsworte lauten ganz wie ein geheimnißvoller Priesterspruch, zur Einsegnung des da Kommenden über die Versammlung hingemurmelt. Unter den hierauf gehaltenen Vorträgen bemerkte man besonders den Bericht Blanqui's über das öffentliche Wirken Huskissons. Das Thema war sehr geeignet, um in anziehender Weise wissenswürdige Dinge ersten Gehalts mitzutheilen - ein politisches Leben, das durch alle Wechsel und Strömungen einer bewegten Zeit hindurch stets mit Ruhm derselben Linie folgte, und eine Thätigkeit, die der freisinnigen Förderung jener materiellen Interessen zugewendet war, welche man heutzutage diesseits des Canals so lebhaft und doch zum Theil so fruchtlos bespricht, botensicher zu einem geistvollen Gemälde und zu pikanten Vergleichungen Stoff genug. Den tragischen Tod des Mannes wußte der Biograph mit so dramatischer Eindringlichkeit darzustellen, daß die aufmerksame Theilnahme der Zuhörer in leise Rührung überging. Viennet, der neulich schon in der Pairskammer das Treiben und die innersten Regungen der Parteien mit treffendem Spott schilderte, kleidete hier seine Satyre in sinnreiche, gefällige Fabeln ein. Die Fabel ist eine Gattung der Dichtkunst, zu der sich vor Allem die französische Sprache eignet; zu hoher Schwung bringt sie in die Gefahr leeren Pompes, und den derben, niedern Humor flieht sie aus Etikette. Die Fabel aber mit ihrem tändelnden Ernste, dem die Ironie so gut wie der Ausdruck sanfter Empfindung gestattet ist, mit ihrer einfachen Vertraulichkeit und faßlichen Philosophie liegt, wie die Epistel, diese poetische Plauderei, ganz in dem Bereich des französischen Idioms. Viennets Fabeln berührten die letzten Tollheiten und Intriguen der politischen Welt mit eleganter Bosheit; die Idee dieser Kleinigkeiten ist oft sehr artig, und die Form, wie überall bei den besseren Anhängern der classischen Schule, eben so gewandt als correct. Hier der etwaige Inhalt einer derselben, die man vorzüglich lustig fand. Die Affen sind im Streite darüber, ob die langschwänzigen oder die kurzschwänzigen von der Natur höher gestellt seyen, und daher regieren sollten; bald erhalten die einen, bald die andern die Oberhand, und der König nimmt bald die einen bald die andern zu Ministern, aber er wird am Ende gewahr, daß sie, einmal am Ruder, alle die nämlichen Grimassen machen. Er sprach sie mit liebenswürdiger Komik und fand vielen, heitern Beifall, selbst bei dem weiblichen Publicum, obgleich sein Aeußeres nicht bestechend und sein Gesicht gewöhnlich, folglich unbeschreiblich ist. Ein alter Herr mit unmäßig ausgebildetem Unterleibe,

Zeitraum von der Hälfte des fünften bis zur Hälfte des sechsten Jahrhunderts und fahren da fort, wo Chateaubriand in seinen Martyrs und seinen Etudes historiques stehen geblieben ist. Der nämliche genaue historische Charakter, die Wahrheit der Angaben und die poetische Benutzung der Thatsachen, die man in den frühern Briefen Thierry's über die französische Geschichte wahrgenommen, finden sich in diesen Erzählungen wieder; es bedarf nicht mehr, um sie zu empfehlen, und ihr Verleger, Just Teissier, darf auf eine günstige und freudige Aufnahme rechnen.

Der dritte und vierte Theil des Werkes von Tocqueville über Amerika zeichnet sich vor den beiden ersten dadurch aus, daß sie mehr das positiv Gegebene anschauen und für die Zukunft Schlüsse daraus ziehen, statt sich, wie die beiden ersten Theile, in die Vergangenheit zu stellen, um die Gegenwart daraus zu erklären. Der Vergangenheit ist kein jetziger Franzose historischer Herr, weil ihm dazu die tiefern Studien des Philologen und Juristen abgehen, und er sich nicht von französischen Befangenheiten und Abstractionen über den Gang der Civilisation freizuhalten vermag. So ist Guizot gar zu abstract, spaltend und methodisirend, bald zerkrümelnd, bald gruppirend; er hat die deutschen Vorgänger, Eichhorn, Savigny und Andere gar zu sehr nach seinen politischen Gesinnungen und Interessen accommodirt. Thierry hat sich ein ganzes historisches Abstractum von römischen nie untergegangenen Municipalitäten, in allen ihren Formen, Würden und Institutionen des Kaiserthums lebendig fortbestehend herausgeklügelt, um die städtischen Institutionen des Mittelalters so viel zu romanisiren wie möglich, weil er dessen nöthig hatte, um den Kampf des tiers état gegen den Adel nach seiner Art zu combiniren. Michelet gilt nicht, denn er phantasirt leichtfertig und hyperpoetisch; dazu ist er noch an Gans und Hegel, und construirt von ihnen aus die Geschichte, aus deutschen unreifen Ideen in französische Grünigkeiten hinein. Tocqueville hat von Montesquieu Manches in sich, und mit tieferen historischen Studien wäre er gewiß weiter und höher gedrungen als alle Andern; er ist bescheidener und weniger ehrgeizig als Guizot, nicht malerisch beredt wie Thierry, aber weit originaler durch eigene Anschauung, und wenn auch nicht so scharf und dialektisch durchschauend wie der erste, doch freiern Flügelschlags und mehr sinnig in andere Gebiete des Denkens hinüberstreifend als die doctrinell formirten und markirten. Seine beiden letzten Bände sind voll Verstand, Scharfsinn, Einsicht, Wahrheit, ohne Pedanterie: es ist bei weitem das beste Buch, welches über Demokratie seit den großen demokratischen Revolutionen des Jahrhunderts geschrieben; es geht so viel wie möglich aus den absoluten Allgemeinheiten heraus in das lebendig Innere hinein mit Weltverstand und sondernder Auffassung. Da es aber ganz ohne Charlatanerie geschrieben ist, und die Charlatanerie zu Paris die Hauptfrais des Erfolgs eines Autors macht, so ist es eine große Frage ob es den verdienten Succeß haben wird. Höchst mittelmäßige Werke sind hier öfters durch gewaltsame Charlatanerie gehoben worden, wie Feuerinseln im Ocean; es ist freilich wahr, daß diese Vulcänlein auch wieder spurlos verschwunden sind wie sie donnernd geboren worden. – Es ist Schade, daß Männer wie Tocqueville nicht die große Suada unsrer Advocaten besitzen, oder den weitfließenden Mund mancher Minister; daß sie mehr denken als sprechen und schreiben, überhaupt vielleicht auch ihnen die großen Passionen fehlen, welche durchaus nöthig sind zum öffentlichen Auftreten, und ohne die es keinen großen Redner und keinen großen Staatsmann gibt. In Ermangelung der großen Passionen haben wir hier zum öftern die kleinen Passionen, welche ebenfalls auf ihre Weise beredt machen, nur gehässig beredt, als ob die Welt ein Feld für Maulwürfe wäre, um sich in derselben, Saaten zerwühlend, zu agitiren.

Gestern fand wieder die öffentliche Sitzung der fünf Akademien statt, und bot manches der Erwähnung vielleicht nicht Unwerthe dar. Es hatte sich ein gewählter Kreis von Zuhörern und Zuhörerinnen eingefunden; die Damen sind hier besondere Freundinnen der Wissenschaft, und erschrecken nicht vor einer Vorlesung über Nationalökonomie oder Zuckerpflanzung; sie machen sich in den Sälen des Collège de France bemerkbar, und würden, gäb' es die Sitte zu, selbst den Lehrstuhl ohne Furcht besteigen. Die gestrige Feierlichkeit war im Grunde nichts als ein Schaugepränge, eine Parade, wie sie die Garnison der oder jener Stadt vor einem General oder Prinzen hält; die akademische Kunst und Wissenschaft Frankreichs stellte sich in ihren Incarnationen dem Publicum vor, und einige der Herren gaben durch Vorträge in Prosa oder Versen Proben ihrer Weisheit oder ihres Witzes. Der Präsident eröffnete die Sitzung mit einer kleinen Anrede, die allgemein unverstanden blieb; solche Einleitungsworte lauten ganz wie ein geheimnißvoller Priesterspruch, zur Einsegnung des da Kommenden über die Versammlung hingemurmelt. Unter den hierauf gehaltenen Vorträgen bemerkte man besonders den Bericht Blanqui's über das öffentliche Wirken Huskissons. Das Thema war sehr geeignet, um in anziehender Weise wissenswürdige Dinge ersten Gehalts mitzutheilen – ein politisches Leben, das durch alle Wechsel und Strömungen einer bewegten Zeit hindurch stets mit Ruhm derselben Linie folgte, und eine Thätigkeit, die der freisinnigen Förderung jener materiellen Interessen zugewendet war, welche man heutzutage diesseits des Canals so lebhaft und doch zum Theil so fruchtlos bespricht, botensicher zu einem geistvollen Gemälde und zu pikanten Vergleichungen Stoff genug. Den tragischen Tod des Mannes wußte der Biograph mit so dramatischer Eindringlichkeit darzustellen, daß die aufmerksame Theilnahme der Zuhörer in leise Rührung überging. Viennet, der neulich schon in der Pairskammer das Treiben und die innersten Regungen der Parteien mit treffendem Spott schilderte, kleidete hier seine Satyre in sinnreiche, gefällige Fabeln ein. Die Fabel ist eine Gattung der Dichtkunst, zu der sich vor Allem die französische Sprache eignet; zu hoher Schwung bringt sie in die Gefahr leeren Pompes, und den derben, niedern Humor flieht sie aus Etikette. Die Fabel aber mit ihrem tändelnden Ernste, dem die Ironie so gut wie der Ausdruck sanfter Empfindung gestattet ist, mit ihrer einfachen Vertraulichkeit und faßlichen Philosophie liegt, wie die Epistel, diese poetische Plauderei, ganz in dem Bereich des französischen Idioms. Viennets Fabeln berührten die letzten Tollheiten und Intriguen der politischen Welt mit eleganter Bosheit; die Idee dieser Kleinigkeiten ist oft sehr artig, und die Form, wie überall bei den besseren Anhängern der classischen Schule, eben so gewandt als correct. Hier der etwaige Inhalt einer derselben, die man vorzüglich lustig fand. Die Affen sind im Streite darüber, ob die langschwänzigen oder die kurzschwänzigen von der Natur höher gestellt seyen, und daher regieren sollten; bald erhalten die einen, bald die andern die Oberhand, und der König nimmt bald die einen bald die andern zu Ministern, aber er wird am Ende gewahr, daß sie, einmal am Ruder, alle die nämlichen Grimassen machen. Er sprach sie mit liebenswürdiger Komik und fand vielen, heitern Beifall, selbst bei dem weiblichen Publicum, obgleich sein Aeußeres nicht bestechend und sein Gesicht gewöhnlich, folglich unbeschreiblich ist. Ein alter Herr mit unmäßig ausgebildetem Unterleibe,

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[1036/0012] Zeitraum von der Hälfte des fünften bis zur Hälfte des sechsten Jahrhunderts und fahren da fort, wo Chateaubriand in seinen Martyrs und seinen Etudes historiques stehen geblieben ist. Der nämliche genaue historische Charakter, die Wahrheit der Angaben und die poetische Benutzung der Thatsachen, die man in den frühern Briefen Thierry's über die französische Geschichte wahrgenommen, finden sich in diesen Erzählungen wieder; es bedarf nicht mehr, um sie zu empfehlen, und ihr Verleger, Just Teissier, darf auf eine günstige und freudige Aufnahme rechnen. _ Paris, 1 Mai. Der dritte und vierte Theil des Werkes von Tocqueville über Amerika zeichnet sich vor den beiden ersten dadurch aus, daß sie mehr das positiv Gegebene anschauen und für die Zukunft Schlüsse daraus ziehen, statt sich, wie die beiden ersten Theile, in die Vergangenheit zu stellen, um die Gegenwart daraus zu erklären. Der Vergangenheit ist kein jetziger Franzose historischer Herr, weil ihm dazu die tiefern Studien des Philologen und Juristen abgehen, und er sich nicht von französischen Befangenheiten und Abstractionen über den Gang der Civilisation freizuhalten vermag. So ist Guizot gar zu abstract, spaltend und methodisirend, bald zerkrümelnd, bald gruppirend; er hat die deutschen Vorgänger, Eichhorn, Savigny und Andere gar zu sehr nach seinen politischen Gesinnungen und Interessen accommodirt. Thierry hat sich ein ganzes historisches Abstractum von römischen nie untergegangenen Municipalitäten, in allen ihren Formen, Würden und Institutionen des Kaiserthums lebendig fortbestehend herausgeklügelt, um die städtischen Institutionen des Mittelalters so viel zu romanisiren wie möglich, weil er dessen nöthig hatte, um den Kampf des tiers état gegen den Adel nach seiner Art zu combiniren. Michelet gilt nicht, denn er phantasirt leichtfertig und hyperpoetisch; dazu ist er noch an Gans und Hegel, und construirt von ihnen aus die Geschichte, aus deutschen unreifen Ideen in französische Grünigkeiten hinein. Tocqueville hat von Montesquieu Manches in sich, und mit tieferen historischen Studien wäre er gewiß weiter und höher gedrungen als alle Andern; er ist bescheidener und weniger ehrgeizig als Guizot, nicht malerisch beredt wie Thierry, aber weit originaler durch eigene Anschauung, und wenn auch nicht so scharf und dialektisch durchschauend wie der erste, doch freiern Flügelschlags und mehr sinnig in andere Gebiete des Denkens hinüberstreifend als die doctrinell formirten und markirten. Seine beiden letzten Bände sind voll Verstand, Scharfsinn, Einsicht, Wahrheit, ohne Pedanterie: es ist bei weitem das beste Buch, welches über Demokratie seit den großen demokratischen Revolutionen des Jahrhunderts geschrieben; es geht so viel wie möglich aus den absoluten Allgemeinheiten heraus in das lebendig Innere hinein mit Weltverstand und sondernder Auffassung. Da es aber ganz ohne Charlatanerie geschrieben ist, und die Charlatanerie zu Paris die Hauptfrais des Erfolgs eines Autors macht, so ist es eine große Frage ob es den verdienten Succeß haben wird. Höchst mittelmäßige Werke sind hier öfters durch gewaltsame Charlatanerie gehoben worden, wie Feuerinseln im Ocean; es ist freilich wahr, daß diese Vulcänlein auch wieder spurlos verschwunden sind wie sie donnernd geboren worden. – Es ist Schade, daß Männer wie Tocqueville nicht die große Suada unsrer Advocaten besitzen, oder den weitfließenden Mund mancher Minister; daß sie mehr denken als sprechen und schreiben, überhaupt vielleicht auch ihnen die großen Passionen fehlen, welche durchaus nöthig sind zum öffentlichen Auftreten, und ohne die es keinen großen Redner und keinen großen Staatsmann gibt. In Ermangelung der großen Passionen haben wir hier zum öftern die kleinen Passionen, welche ebenfalls auf ihre Weise beredt machen, nur gehässig beredt, als ob die Welt ein Feld für Maulwürfe wäre, um sich in derselben, Saaten zerwühlend, zu agitiren. _ Paris, 3 Mai. Gestern fand wieder die öffentliche Sitzung der fünf Akademien statt, und bot manches der Erwähnung vielleicht nicht Unwerthe dar. Es hatte sich ein gewählter Kreis von Zuhörern und Zuhörerinnen eingefunden; die Damen sind hier besondere Freundinnen der Wissenschaft, und erschrecken nicht vor einer Vorlesung über Nationalökonomie oder Zuckerpflanzung; sie machen sich in den Sälen des Collège de France bemerkbar, und würden, gäb' es die Sitte zu, selbst den Lehrstuhl ohne Furcht besteigen. Die gestrige Feierlichkeit war im Grunde nichts als ein Schaugepränge, eine Parade, wie sie die Garnison der oder jener Stadt vor einem General oder Prinzen hält; die akademische Kunst und Wissenschaft Frankreichs stellte sich in ihren Incarnationen dem Publicum vor, und einige der Herren gaben durch Vorträge in Prosa oder Versen Proben ihrer Weisheit oder ihres Witzes. Der Präsident eröffnete die Sitzung mit einer kleinen Anrede, die allgemein unverstanden blieb; solche Einleitungsworte lauten ganz wie ein geheimnißvoller Priesterspruch, zur Einsegnung des da Kommenden über die Versammlung hingemurmelt. Unter den hierauf gehaltenen Vorträgen bemerkte man besonders den Bericht Blanqui's über das öffentliche Wirken Huskissons. Das Thema war sehr geeignet, um in anziehender Weise wissenswürdige Dinge ersten Gehalts mitzutheilen – ein politisches Leben, das durch alle Wechsel und Strömungen einer bewegten Zeit hindurch stets mit Ruhm derselben Linie folgte, und eine Thätigkeit, die der freisinnigen Förderung jener materiellen Interessen zugewendet war, welche man heutzutage diesseits des Canals so lebhaft und doch zum Theil so fruchtlos bespricht, botensicher zu einem geistvollen Gemälde und zu pikanten Vergleichungen Stoff genug. Den tragischen Tod des Mannes wußte der Biograph mit so dramatischer Eindringlichkeit darzustellen, daß die aufmerksame Theilnahme der Zuhörer in leise Rührung überging. Viennet, der neulich schon in der Pairskammer das Treiben und die innersten Regungen der Parteien mit treffendem Spott schilderte, kleidete hier seine Satyre in sinnreiche, gefällige Fabeln ein. Die Fabel ist eine Gattung der Dichtkunst, zu der sich vor Allem die französische Sprache eignet; zu hoher Schwung bringt sie in die Gefahr leeren Pompes, und den derben, niedern Humor flieht sie aus Etikette. Die Fabel aber mit ihrem tändelnden Ernste, dem die Ironie so gut wie der Ausdruck sanfter Empfindung gestattet ist, mit ihrer einfachen Vertraulichkeit und faßlichen Philosophie liegt, wie die Epistel, diese poetische Plauderei, ganz in dem Bereich des französischen Idioms. Viennets Fabeln berührten die letzten Tollheiten und Intriguen der politischen Welt mit eleganter Bosheit; die Idee dieser Kleinigkeiten ist oft sehr artig, und die Form, wie überall bei den besseren Anhängern der classischen Schule, eben so gewandt als correct. Hier der etwaige Inhalt einer derselben, die man vorzüglich lustig fand. Die Affen sind im Streite darüber, ob die langschwänzigen oder die kurzschwänzigen von der Natur höher gestellt seyen, und daher regieren sollten; bald erhalten die einen, bald die andern die Oberhand, und der König nimmt bald die einen bald die andern zu Ministern, aber er wird am Ende gewahr, daß sie, einmal am Ruder, alle die nämlichen Grimassen machen. Er sprach sie mit liebenswürdiger Komik und fand vielen, heitern Beifall, selbst bei dem weiblichen Publicum, obgleich sein Aeußeres nicht bestechend und sein Gesicht gewöhnlich, folglich unbeschreiblich ist. Ein alter Herr mit unmäßig ausgebildetem Unterleibe,

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 130. Augsburg, 9. Mai 1840, S. 1036. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_130_18400509/12>, abgerufen am 28.03.2024.