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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Ei, Sie sind ja plötzlich mein gegnerischer Anwalt geworden? rief mit schlecht verhehlter Gereiztheit die Reichsgräfin. Wie deut' ich das? Was hat Sie denn so umgewandelt? Von der edeln großmüthigen Denkart wurde ja gestern Abend ein Pröbchen zum Besten gegeben. Wäre ein neuer tragischer Stoff geworden für Herrn Hofrath Leisewitz in Braunschweig, der ja den Julius von Tarent geschrieben hat und unserm hohen Hause Dinge und Thaten aufbürdet, die nie in ihm geschahen; was ganz schändlich ist, denn nie gab es im Hause der Fürsten von Tarent, das so eng mit meinem eigenen verzweigt und verwachsen ist, eine solche abominable Geschichte, und keiner von allen Fürsten dieses Hauses hieß Constantin, Julius, Guido und wie die von dem laxen Comödienschreiber sonst ersonnenen Namen noch heißen mögen!

Die Poeten, gnädigste Excellenz -- entgegnete Windt, heimlich lächelnd über den antidramatischen Zorn seiner Herrin -- haben ein Ding, das nennen sie licentiam poeticam -- welches ich Hochgräflicher Gnaden, die besser Latein verstehen als ich, nicht zu übersetzen brauche.

Habe nichts dagegen, das Stück ist gut, Herr Lessing hat es gelobt -- es ist sogar, wie mir geschrieben wurde, auf fürstlichen Privattheatern -- ich glaube am Sachsen-Meiningenschen Hofe, unter Mitwirkung durchlauchter Personen selbst, zur Aufführung gebracht worden; ich verlange nur, die Herren Dichter sollen nicht Namen aus der Luft greifen, sollen nicht das erste beste hohe Haus mit ersonnenen Unthaten beflecken, sondern diese da spielen lassen, wo sie sich geschichtlich zugetragen haben, und sollen ihre Nasen in die Stammbäume stecken und die Leute, die sie brauchen, beim rechten Namen nennen. Des Herrn von Goethe allbewunderter Götz ist auch so ein Ding, das im Nebel und Schwebel spielt, ohne allen geschichtlichen Boden. Er läßt den fehdesüchtigen Raubritter für die deutsche Freiheit sterben, während der alte Kauz daran nicht im Entferntesten dachte, und in aller Gemüthsruhe über achtzig Jahre alt wurde, um Zeit zu haben, seine schlimmen Streiche selbst für die Nachwelt aufzuschreiben. -- Ja, sehen Sie mich nur an, lieber Windt, das macht Ihnen wohl rechten Spaß, daß ich alte Frau mich noch über Comödien ereifere, aber sehen Sie, ich bin einmal eine Freundin der Wahrheit, wie

Ei, Sie sind ja plötzlich mein gegnerischer Anwalt geworden? rief mit schlecht verhehlter Gereiztheit die Reichsgräfin. Wie deut’ ich das? Was hat Sie denn so umgewandelt? Von der edeln großmüthigen Denkart wurde ja gestern Abend ein Pröbchen zum Besten gegeben. Wäre ein neuer tragischer Stoff geworden für Herrn Hofrath Leisewitz in Braunschweig, der ja den Julius von Tarent geschrieben hat und unserm hohen Hause Dinge und Thaten aufbürdet, die nie in ihm geschahen; was ganz schändlich ist, denn nie gab es im Hause der Fürsten von Tarent, das so eng mit meinem eigenen verzweigt und verwachsen ist, eine solche abominable Geschichte, und keiner von allen Fürsten dieses Hauses hieß Constantin, Julius, Guido und wie die von dem laxen Comödienschreiber sonst ersonnenen Namen noch heißen mögen!

Die Poeten, gnädigste Excellenz — entgegnete Windt, heimlich lächelnd über den antidramatischen Zorn seiner Herrin — haben ein Ding, das nennen sie licentiam poeticam — welches ich Hochgräflicher Gnaden, die besser Latein verstehen als ich, nicht zu übersetzen brauche.

Habe nichts dagegen, das Stück ist gut, Herr Lessing hat es gelobt — es ist sogar, wie mir geschrieben wurde, auf fürstlichen Privattheatern — ich glaube am Sachsen-Meiningenschen Hofe, unter Mitwirkung durchlauchter Personen selbst, zur Aufführung gebracht worden; ich verlange nur, die Herren Dichter sollen nicht Namen aus der Luft greifen, sollen nicht das erste beste hohe Haus mit ersonnenen Unthaten beflecken, sondern diese da spielen lassen, wo sie sich geschichtlich zugetragen haben, und sollen ihre Nasen in die Stammbäume stecken und die Leute, die sie brauchen, beim rechten Namen nennen. Des Herrn von Goethe allbewunderter Götz ist auch so ein Ding, das im Nebel und Schwebel spielt, ohne allen geschichtlichen Boden. Er läßt den fehdesüchtigen Raubritter für die deutsche Freiheit sterben, während der alte Kauz daran nicht im Entferntesten dachte, und in aller Gemüthsruhe über achtzig Jahre alt wurde, um Zeit zu haben, seine schlimmen Streiche selbst für die Nachwelt aufzuschreiben. — Ja, sehen Sie mich nur an, lieber Windt, das macht Ihnen wohl rechten Spaß, daß ich alte Frau mich noch über Comödien ereifere, aber sehen Sie, ich bin einmal eine Freundin der Wahrheit, wie

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[29/0033] Ei, Sie sind ja plötzlich mein gegnerischer Anwalt geworden? rief mit schlecht verhehlter Gereiztheit die Reichsgräfin. Wie deut’ ich das? Was hat Sie denn so umgewandelt? Von der edeln großmüthigen Denkart wurde ja gestern Abend ein Pröbchen zum Besten gegeben. Wäre ein neuer tragischer Stoff geworden für Herrn Hofrath Leisewitz in Braunschweig, der ja den Julius von Tarent geschrieben hat und unserm hohen Hause Dinge und Thaten aufbürdet, die nie in ihm geschahen; was ganz schändlich ist, denn nie gab es im Hause der Fürsten von Tarent, das so eng mit meinem eigenen verzweigt und verwachsen ist, eine solche abominable Geschichte, und keiner von allen Fürsten dieses Hauses hieß Constantin, Julius, Guido und wie die von dem laxen Comödienschreiber sonst ersonnenen Namen noch heißen mögen! Die Poeten, gnädigste Excellenz — entgegnete Windt, heimlich lächelnd über den antidramatischen Zorn seiner Herrin — haben ein Ding, das nennen sie licentiam poeticam — welches ich Hochgräflicher Gnaden, die besser Latein verstehen als ich, nicht zu übersetzen brauche. Habe nichts dagegen, das Stück ist gut, Herr Lessing hat es gelobt — es ist sogar, wie mir geschrieben wurde, auf fürstlichen Privattheatern — ich glaube am Sachsen-Meiningenschen Hofe, unter Mitwirkung durchlauchter Personen selbst, zur Aufführung gebracht worden; ich verlange nur, die Herren Dichter sollen nicht Namen aus der Luft greifen, sollen nicht das erste beste hohe Haus mit ersonnenen Unthaten beflecken, sondern diese da spielen lassen, wo sie sich geschichtlich zugetragen haben, und sollen ihre Nasen in die Stammbäume stecken und die Leute, die sie brauchen, beim rechten Namen nennen. Des Herrn von Goethe allbewunderter Götz ist auch so ein Ding, das im Nebel und Schwebel spielt, ohne allen geschichtlichen Boden. Er läßt den fehdesüchtigen Raubritter für die deutsche Freiheit sterben, während der alte Kauz daran nicht im Entferntesten dachte, und in aller Gemüthsruhe über achtzig Jahre alt wurde, um Zeit zu haben, seine schlimmen Streiche selbst für die Nachwelt aufzuschreiben. — Ja, sehen Sie mich nur an, lieber Windt, das macht Ihnen wohl rechten Spaß, daß ich alte Frau mich noch über Comödien ereifere, aber sehen Sie, ich bin einmal eine Freundin der Wahrheit, wie

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/33>, abgerufen am 24.04.2024.