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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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seinem tiefen Schmerz kaum fähig, eine Antwort zu ertheilen auf die Frage nach dem Namen, nach dem Geburtsort.

Sophie Botta! flüsterte er endlich seufzend. -- Und woher? -- Aus West -- Westbachen -- Westbacherhof wollte er sagen. -- Sophie Botta aus Westphalen, schrieb der Küster nieder.



12. Sterben und Erben.


Die Schauer der Herbstnacht wehten um den entblätterten Berghain. Stille dunkle Gestalten wandelten hinauf aus der Stadt, von Neugier getrieben, denn es war bekannt geworden, daß auf dem Schulersberg, so hieß dieses Besitzthum des Grafen, die Dame beigesetzt werden solle, welche eine so lange Reihe von Jahren hindurch im Schlosse zu Eishausen gelebt und sich den Blicken der Neugier nie, ja selbst nicht einmal der vertrauten Dienerschaft entschleiert gezeigt hatte.

Mild berührt vom Friedenskusse des Todesengels lag sie in ihrem Sarge, den ein alter Tischler unter Thränen gezimmert hatte. Ein weißes Kleid von schwerem kostbarem Atlas umwallte die zarte Gestalt, sie lag da wie ein Kind, mit lächelnden Zügen, man sah ihr kein Alter an, sie glich aber auch keiner Gestorbenen, sie glich dem Marmorbilde eines Ideals aus der Meisterhand eines großen Künstlers. Da war kein Zug von Schmerz und keine Spur von Erdenleid, da war nur Schlummer, sanfter heiliger Schlummer.

So lag sie im offenen Sarge, an welchem Ludwig stand mit schmerzerfüllter, erschütterter Seele, an welchem er einsam stand -- o, so unermeßlich einsam! -- Er barg manche theure Reliquie unter den Todtenkissen, eine Mitgift für das Grab, ein Geschenk für die Verwesung, eine Speise für den Moder, zuletzt ein zerbröckelnder Fund für die, welche einst, wenn sie es vermögen, die heilige Asche dieser Verstorbenen durchwühlen. Locken vom Haupte ihres ermordeten Vaters, ihrer ohnlängst verstorbenen Mutter, Locken von Anges, auch

seinem tiefen Schmerz kaum fähig, eine Antwort zu ertheilen auf die Frage nach dem Namen, nach dem Geburtsort.

Sophie Botta! flüsterte er endlich seufzend. — Und woher? — Aus West — Westbachen — Westbacherhof wollte er sagen. — Sophie Botta aus Westphalen, schrieb der Küster nieder.



12. Sterben und Erben.


Die Schauer der Herbstnacht wehten um den entblätterten Berghain. Stille dunkle Gestalten wandelten hinauf aus der Stadt, von Neugier getrieben, denn es war bekannt geworden, daß auf dem Schulersberg, so hieß dieses Besitzthum des Grafen, die Dame beigesetzt werden solle, welche eine so lange Reihe von Jahren hindurch im Schlosse zu Eishausen gelebt und sich den Blicken der Neugier nie, ja selbst nicht einmal der vertrauten Dienerschaft entschleiert gezeigt hatte.

Mild berührt vom Friedenskusse des Todesengels lag sie in ihrem Sarge, den ein alter Tischler unter Thränen gezimmert hatte. Ein weißes Kleid von schwerem kostbarem Atlas umwallte die zarte Gestalt, sie lag da wie ein Kind, mit lächelnden Zügen, man sah ihr kein Alter an, sie glich aber auch keiner Gestorbenen, sie glich dem Marmorbilde eines Ideals aus der Meisterhand eines großen Künstlers. Da war kein Zug von Schmerz und keine Spur von Erdenleid, da war nur Schlummer, sanfter heiliger Schlummer.

So lag sie im offenen Sarge, an welchem Ludwig stand mit schmerzerfüllter, erschütterter Seele, an welchem er einsam stand — o, so unermeßlich einsam! — Er barg manche theure Reliquie unter den Todtenkissen, eine Mitgift für das Grab, ein Geschenk für die Verwesung, eine Speise für den Moder, zuletzt ein zerbröckelnder Fund für die, welche einst, wenn sie es vermögen, die heilige Asche dieser Verstorbenen durchwühlen. Locken vom Haupte ihres ermordeten Vaters, ihrer ohnlängst verstorbenen Mutter, Locken von Angés, auch

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[456/0460] seinem tiefen Schmerz kaum fähig, eine Antwort zu ertheilen auf die Frage nach dem Namen, nach dem Geburtsort. Sophie Botta! flüsterte er endlich seufzend. — Und woher? — Aus West — Westbachen — Westbacherhof wollte er sagen. — Sophie Botta aus Westphalen, schrieb der Küster nieder. 12. Sterben und Erben. Die Schauer der Herbstnacht wehten um den entblätterten Berghain. Stille dunkle Gestalten wandelten hinauf aus der Stadt, von Neugier getrieben, denn es war bekannt geworden, daß auf dem Schulersberg, so hieß dieses Besitzthum des Grafen, die Dame beigesetzt werden solle, welche eine so lange Reihe von Jahren hindurch im Schlosse zu Eishausen gelebt und sich den Blicken der Neugier nie, ja selbst nicht einmal der vertrauten Dienerschaft entschleiert gezeigt hatte. Mild berührt vom Friedenskusse des Todesengels lag sie in ihrem Sarge, den ein alter Tischler unter Thränen gezimmert hatte. Ein weißes Kleid von schwerem kostbarem Atlas umwallte die zarte Gestalt, sie lag da wie ein Kind, mit lächelnden Zügen, man sah ihr kein Alter an, sie glich aber auch keiner Gestorbenen, sie glich dem Marmorbilde eines Ideals aus der Meisterhand eines großen Künstlers. Da war kein Zug von Schmerz und keine Spur von Erdenleid, da war nur Schlummer, sanfter heiliger Schlummer. So lag sie im offenen Sarge, an welchem Ludwig stand mit schmerzerfüllter, erschütterter Seele, an welchem er einsam stand — o, so unermeßlich einsam! — Er barg manche theure Reliquie unter den Todtenkissen, eine Mitgift für das Grab, ein Geschenk für die Verwesung, eine Speise für den Moder, zuletzt ein zerbröckelnder Fund für die, welche einst, wenn sie es vermögen, die heilige Asche dieser Verstorbenen durchwühlen. Locken vom Haupte ihres ermordeten Vaters, ihrer ohnlängst verstorbenen Mutter, Locken von Angés, auch

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/460>, abgerufen am 29.03.2024.