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Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

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Ich wunderte mich, und wunderte mich auch nicht, daß mein Brief verloren gegangen sein solle, denn die politischen Bewegungen in Frankreich hatten schon begonnen, auch in den Nachbarlanden manches Wirrniß zu erregen, und so sagte ich mir: was sollst du lange schreiben, wie nahe ist nicht Mons? Ich nahm ein Geschäft zum Vorwand und reiste nach dieser Stadt. Aber da mochte ich fragen, wo ich wollte, nach einem Berthelmy, nach einer jungen Dame aus Zweibrücken, auf der Mairie, auf den Paßbureaus, auf der Post, nirgend eine Spur. Nie sei jemand dieses Namens hier gewesen, wohl aber, so hörte ich auf der Post, ein Brief, der noch unter dem Gitter als unbestellbar ausgelegt sei, an eine Person dieses Namens angelangt. Ich konnte mich von meinem Erstaunen gar nicht erholen, wußte nicht, was ich denken sollte, reiste höchst unzufrieden zurück, und schrieb nun Alles, was ich Anges hatte sagen wollen, in einem Brief nieder, den ich an ihr elterliches Haus zur Weiterbeförderung nach Zweibrücken sandte. Gleich darauf entfernte mich abermals eine lange Reise vom Hause, und auch bei der Rückkehr fand ich keine Antwort vor; wahrscheinlich, so redete ich mir ein, hatte die Einsicht der Eltern für besser gehalten, meinen Brief, als zu nichts Gutem führend, unbestellt zu lassen. Ich betrauerte sie als verloren, konnte sie aber nimmer vergessen.

Da führte mich das Geschick zu einer Reise nach Paris, und von da in die Vendee nach le Mans; da sah ich durch des Zufalls unerforschliches Walten die Geliebte in einem der schmerzlichsten Augenblicke ihres Lebens so unverhofft und plötzlich wieder, und die nächste Minute klärte Alles auf. Sie hatte als Deutsche vor dem Namen ihres neuen Wohnortes das le vergessen, hatte das a undeutlich geschrieben, ich hatte Mons statt Mans gelesen, und an drei Buchstaben lag es, daß unsere Herzen so lange ohne Kunde von einander blieben.



Ich wunderte mich, und wunderte mich auch nicht, daß mein Brief verloren gegangen sein solle, denn die politischen Bewegungen in Frankreich hatten schon begonnen, auch in den Nachbarlanden manches Wirrniß zu erregen, und so sagte ich mir: was sollst du lange schreiben, wie nahe ist nicht Mons? Ich nahm ein Geschäft zum Vorwand und reiste nach dieser Stadt. Aber da mochte ich fragen, wo ich wollte, nach einem Berthelmy, nach einer jungen Dame aus Zweibrücken, auf der Mairie, auf den Paßbureaus, auf der Post, nirgend eine Spur. Nie sei jemand dieses Namens hier gewesen, wohl aber, so hörte ich auf der Post, ein Brief, der noch unter dem Gitter als unbestellbar ausgelegt sei, an eine Person dieses Namens angelangt. Ich konnte mich von meinem Erstaunen gar nicht erholen, wußte nicht, was ich denken sollte, reiste höchst unzufrieden zurück, und schrieb nun Alles, was ich Angés hatte sagen wollen, in einem Brief nieder, den ich an ihr elterliches Haus zur Weiterbeförderung nach Zweibrücken sandte. Gleich darauf entfernte mich abermals eine lange Reise vom Hause, und auch bei der Rückkehr fand ich keine Antwort vor; wahrscheinlich, so redete ich mir ein, hatte die Einsicht der Eltern für besser gehalten, meinen Brief, als zu nichts Gutem führend, unbestellt zu lassen. Ich betrauerte sie als verloren, konnte sie aber nimmer vergessen.

Da führte mich das Geschick zu einer Reise nach Paris, und von da in die Vendée nach le Mans; da sah ich durch des Zufalls unerforschliches Walten die Geliebte in einem der schmerzlichsten Augenblicke ihres Lebens so unverhofft und plötzlich wieder, und die nächste Minute klärte Alles auf. Sie hatte als Deutsche vor dem Namen ihres neuen Wohnortes das le vergessen, hatte das a undeutlich geschrieben, ich hatte Mons statt Mans gelesen, und an drei Buchstaben lag es, daß unsere Herzen so lange ohne Kunde von einander blieben.



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[84/0088] Ich wunderte mich, und wunderte mich auch nicht, daß mein Brief verloren gegangen sein solle, denn die politischen Bewegungen in Frankreich hatten schon begonnen, auch in den Nachbarlanden manches Wirrniß zu erregen, und so sagte ich mir: was sollst du lange schreiben, wie nahe ist nicht Mons? Ich nahm ein Geschäft zum Vorwand und reiste nach dieser Stadt. Aber da mochte ich fragen, wo ich wollte, nach einem Berthelmy, nach einer jungen Dame aus Zweibrücken, auf der Mairie, auf den Paßbureaus, auf der Post, nirgend eine Spur. Nie sei jemand dieses Namens hier gewesen, wohl aber, so hörte ich auf der Post, ein Brief, der noch unter dem Gitter als unbestellbar ausgelegt sei, an eine Person dieses Namens angelangt. Ich konnte mich von meinem Erstaunen gar nicht erholen, wußte nicht, was ich denken sollte, reiste höchst unzufrieden zurück, und schrieb nun Alles, was ich Angés hatte sagen wollen, in einem Brief nieder, den ich an ihr elterliches Haus zur Weiterbeförderung nach Zweibrücken sandte. Gleich darauf entfernte mich abermals eine lange Reise vom Hause, und auch bei der Rückkehr fand ich keine Antwort vor; wahrscheinlich, so redete ich mir ein, hatte die Einsicht der Eltern für besser gehalten, meinen Brief, als zu nichts Gutem führend, unbestellt zu lassen. Ich betrauerte sie als verloren, konnte sie aber nimmer vergessen. Da führte mich das Geschick zu einer Reise nach Paris, und von da in die Vendée nach le Mans; da sah ich durch des Zufalls unerforschliches Walten die Geliebte in einem der schmerzlichsten Augenblicke ihres Lebens so unverhofft und plötzlich wieder, und die nächste Minute klärte Alles auf. Sie hatte als Deutsche vor dem Namen ihres neuen Wohnortes das le vergessen, hatte das a undeutlich geschrieben, ich hatte Mons statt Mans gelesen, und an drei Buchstaben lag es, daß unsere Herzen so lange ohne Kunde von einander blieben.

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Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/88>, abgerufen am 19.04.2024.