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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Bürokratismus sonst und jetzt.
Collegien hatten damals multa, nicht multum zu thun, und der
Mangel an höhern Aufgaben brachte es mit sich, daß sie kein
ausreichendes Quantum wichtiger Geschäfte fanden und in ihrem
Pflichteifer sich über das Bedürfniß der Regirten hinaus zu thun
machten, in die Neigung zur Reglementirerei, zu dem, was der
Schweizer "Befehlerle" nennt, geriethen. Man hatte, um einen
vergleichenden Blick auf die Gegenwart zu werfen, gehofft, daß
die Staatsbehörden durch die Einführung der heutigen localen
Selbstverwaltung an Geschäften und an Beamten würden ent¬
bürdet werden; aber im Gegentheile, die Zahl der Beamten und
ihre Geschäftslast sind durch Correspondenzen und Frictionen mit
den Organen der Selbstverwaltung von dem Provinzialrathe bis zu
der ländlichen Gemeindeverwaltung erheblich gesteigert worden. Es
muß früher oder später der wunde Punkt eintreten, wo wir von
der Last der Schreiberei und besonders der subalternen Bürokratie
erdrückt werden.

Daneben ist der bürokratische Druck auf das Privatleben
durch die Art der Ausführung der "Selbstverwaltung" verstärkt
worden und greift in die ländlichen Gemeinden schärfer als früher
ein. Vorher bildete der der Bevölkerung ebenso nahe als dem Staate
stehende Landrath den Abschluß der staatlichen Bürokratie nach
unten; unter ihm standen locale Verwaltungen, die wohl der Controlle,
aber nicht in gleichem Maße wie heut der Disciplinargewalt der
Bezirks- oder Ministerial-Bürokratie unterlagen. Die ländliche Be¬
völkerung erfreut sich heut vermöge der ihr gewährten Selbst¬
regirung nicht etwa einer ähnlichen Autonomie wie seit lange die
der Städte, sondern sie hat in Gestalt des Amtsvorstehers einen
Vorstand erhalten, der durch Befehle von oben, vom Landrathe
unter Androhung von Ordnungsstrafen disciplinarisch angehalten
wird, im Sinne der staatlichen Hierarchie seine Mitbürger in seinem
Bezirke mit Listen, Meldungen und Zumuthungen zu belästigen.
Die regirte contribuens plebs hat in der landräthlichen Instanz
ungeschickten Eingriffen gegenüber nicht mehr die Garantie, welche

Bürokratismus ſonſt und jetzt.
Collegien hatten damals multa, nicht multum zu thun, und der
Mangel an höhern Aufgaben brachte es mit ſich, daß ſie kein
ausreichendes Quantum wichtiger Geſchäfte fanden und in ihrem
Pflichteifer ſich über das Bedürfniß der Regirten hinaus zu thun
machten, in die Neigung zur Reglementirerei, zu dem, was der
Schweizer „Befehlerle“ nennt, geriethen. Man hatte, um einen
vergleichenden Blick auf die Gegenwart zu werfen, gehofft, daß
die Staatsbehörden durch die Einführung der heutigen localen
Selbſtverwaltung an Geſchäften und an Beamten würden ent¬
bürdet werden; aber im Gegentheile, die Zahl der Beamten und
ihre Geſchäftslaſt ſind durch Correſpondenzen und Frictionen mit
den Organen der Selbſtverwaltung von dem Provinzialrathe bis zu
der ländlichen Gemeindeverwaltung erheblich geſteigert worden. Es
muß früher oder ſpäter der wunde Punkt eintreten, wo wir von
der Laſt der Schreiberei und beſonders der ſubalternen Bürokratie
erdrückt werden.

Daneben iſt der bürokratiſche Druck auf das Privatleben
durch die Art der Ausführung der „Selbſtverwaltung“ verſtärkt
worden und greift in die ländlichen Gemeinden ſchärfer als früher
ein. Vorher bildete der der Bevölkerung ebenſo nahe als dem Staate
ſtehende Landrath den Abſchluß der ſtaatlichen Bürokratie nach
unten; unter ihm ſtanden locale Verwaltungen, die wohl der Controlle,
aber nicht in gleichem Maße wie heut der Diſciplinargewalt der
Bezirks- oder Miniſterial-Bürokratie unterlagen. Die ländliche Be¬
völkerung erfreut ſich heut vermöge der ihr gewährten Selbſt¬
regirung nicht etwa einer ähnlichen Autonomie wie ſeit lange die
der Städte, ſondern ſie hat in Geſtalt des Amtsvorſtehers einen
Vorſtand erhalten, der durch Befehle von oben, vom Landrathe
unter Androhung von Ordnungsſtrafen diſciplinariſch angehalten
wird, im Sinne der ſtaatlichen Hierarchie ſeine Mitbürger in ſeinem
Bezirke mit Liſten, Meldungen und Zumuthungen zu beläſtigen.
Die regirte contribuens plebs hat in der landräthlichen Inſtanz
ungeſchickten Eingriffen gegenüber nicht mehr die Garantie, welche

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[11/0038] Bürokratismus ſonſt und jetzt. Collegien hatten damals multa, nicht multum zu thun, und der Mangel an höhern Aufgaben brachte es mit ſich, daß ſie kein ausreichendes Quantum wichtiger Geſchäfte fanden und in ihrem Pflichteifer ſich über das Bedürfniß der Regirten hinaus zu thun machten, in die Neigung zur Reglementirerei, zu dem, was der Schweizer „Befehlerle“ nennt, geriethen. Man hatte, um einen vergleichenden Blick auf die Gegenwart zu werfen, gehofft, daß die Staatsbehörden durch die Einführung der heutigen localen Selbſtverwaltung an Geſchäften und an Beamten würden ent¬ bürdet werden; aber im Gegentheile, die Zahl der Beamten und ihre Geſchäftslaſt ſind durch Correſpondenzen und Frictionen mit den Organen der Selbſtverwaltung von dem Provinzialrathe bis zu der ländlichen Gemeindeverwaltung erheblich geſteigert worden. Es muß früher oder ſpäter der wunde Punkt eintreten, wo wir von der Laſt der Schreiberei und beſonders der ſubalternen Bürokratie erdrückt werden. Daneben iſt der bürokratiſche Druck auf das Privatleben durch die Art der Ausführung der „Selbſtverwaltung“ verſtärkt worden und greift in die ländlichen Gemeinden ſchärfer als früher ein. Vorher bildete der der Bevölkerung ebenſo nahe als dem Staate ſtehende Landrath den Abſchluß der ſtaatlichen Bürokratie nach unten; unter ihm ſtanden locale Verwaltungen, die wohl der Controlle, aber nicht in gleichem Maße wie heut der Diſciplinargewalt der Bezirks- oder Miniſterial-Bürokratie unterlagen. Die ländliche Be¬ völkerung erfreut ſich heut vermöge der ihr gewährten Selbſt¬ regirung nicht etwa einer ähnlichen Autonomie wie ſeit lange die der Städte, ſondern ſie hat in Geſtalt des Amtsvorſtehers einen Vorſtand erhalten, der durch Befehle von oben, vom Landrathe unter Androhung von Ordnungsſtrafen diſciplinariſch angehalten wird, im Sinne der ſtaatlichen Hierarchie ſeine Mitbürger in ſeinem Bezirke mit Liſten, Meldungen und Zumuthungen zu beläſtigen. Die regirte contribuens plebs hat in der landräthlichen Inſtanz ungeſchickten Eingriffen gegenüber nicht mehr die Garantie, welche

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/38>, abgerufen am 29.03.2024.