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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zwölftes Capitel. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. I. Herrenadel.
Kräften, und wurde vor der Gefahr in Abgeschlossenheit und
Unbeweglichkeit zu versumpfen und zu faulen, glücklich be-
wahrt. Den kräftigsten und begabtesten Männern des Volkes
aber war die ermuthigende Aussicht eröffnet, dasz sie durch
ihre Verdienste um den Stat sich und ihrer Familie den
dauernden Zutritt zu den sonnigen Höhen des Statslebens zu
erwerben vermögen. Vom Jahr 1700 bis 1800 sind so 34
Herzöge, 29 Marquis, 109 Grafen, 85 Viscounts, 248 Barone
neu creirt worden. Die Zahl der ebenfalls ernannten Baronets
beträgt in dieser Periode mehr als 500. Heute noch treten,
auch ohne Adelstitel, reiche Bürger, welche grosse Güter auf
dem Lande kaufen, in die Lordgentry über. 7

Wenn man sich den Gesammteindruck dieser Eigenschaften
der englischen Aristokratie vergegenwärtigt, so ist es nicht
mehr räthselhaft, weszhalb der englische Adel allein seine
Existenz bis auf unsere Tage unangefochten bewahrt hat und
fortwährend in der Verfassung eine fruchtbare und glänzende
Stellung einnimmt, während auf dem Continente der Adel
überall entweder gänzlich untergegangen ist oder doch nur
ein sehr bestrittenes und verkümmertes Dasein hat.



Zwölftes Capitel.
C. Der deutsche Adel.
I. Herrenadel.

Die Geschichte des deutschen Adels weist bei allen Stäm-
men auf eine Anzahl vornehmer Geschlechter hin, welche
durch Kriegsruhm, Reichthum und Führerschaft über die
übrigen Freien emporragen und thatsächlich eine fürstliche
Stellung behaupten. Dieser uralte oft nur aus wenigen Familien

7 Gneist, III. S. 383. Tocqueville, VIII. 319.

Zwölftes Capitel. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. I. Herrenadel.
Kräften, und wurde vor der Gefahr in Abgeschlossenheit und
Unbeweglichkeit zu versumpfen und zu faulen, glücklich be-
wahrt. Den kräftigsten und begabtesten Männern des Volkes
aber war die ermuthigende Aussicht eröffnet, dasz sie durch
ihre Verdienste um den Stat sich und ihrer Familie den
dauernden Zutritt zu den sonnigen Höhen des Statslebens zu
erwerben vermögen. Vom Jahr 1700 bis 1800 sind so 34
Herzöge, 29 Marquis, 109 Grafen, 85 Viscounts, 248 Barone
neu creirt worden. Die Zahl der ebenfalls ernannten Baronets
beträgt in dieser Periode mehr als 500. Heute noch treten,
auch ohne Adelstitel, reiche Bürger, welche grosse Güter auf
dem Lande kaufen, in die Lordgentry über. 7

Wenn man sich den Gesammteindruck dieser Eigenschaften
der englischen Aristokratie vergegenwärtigt, so ist es nicht
mehr räthselhaft, weszhalb der englische Adel allein seine
Existenz bis auf unsere Tage unangefochten bewahrt hat und
fortwährend in der Verfassung eine fruchtbare und glänzende
Stellung einnimmt, während auf dem Continente der Adel
überall entweder gänzlich untergegangen ist oder doch nur
ein sehr bestrittenes und verkümmertes Dasein hat.



Zwölftes Capitel.
C. Der deutsche Adel.
I. Herrenadel.

Die Geschichte des deutschen Adels weist bei allen Stäm-
men auf eine Anzahl vornehmer Geschlechter hin, welche
durch Kriegsruhm, Reichthum und Führerschaft über die
übrigen Freien emporragen und thatsächlich eine fürstliche
Stellung behaupten. Dieser uralte oft nur aus wenigen Familien

7 Gneist, III. S. 383. Tocqueville, VIII. 319.
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[163/0181] Zwölftes Capitel. 2. Der Adel. C. Der deutsche Adel. I. Herrenadel. Kräften, und wurde vor der Gefahr in Abgeschlossenheit und Unbeweglichkeit zu versumpfen und zu faulen, glücklich be- wahrt. Den kräftigsten und begabtesten Männern des Volkes aber war die ermuthigende Aussicht eröffnet, dasz sie durch ihre Verdienste um den Stat sich und ihrer Familie den dauernden Zutritt zu den sonnigen Höhen des Statslebens zu erwerben vermögen. Vom Jahr 1700 bis 1800 sind so 34 Herzöge, 29 Marquis, 109 Grafen, 85 Viscounts, 248 Barone neu creirt worden. Die Zahl der ebenfalls ernannten Baronets beträgt in dieser Periode mehr als 500. Heute noch treten, auch ohne Adelstitel, reiche Bürger, welche grosse Güter auf dem Lande kaufen, in die Lordgentry über. 7 Wenn man sich den Gesammteindruck dieser Eigenschaften der englischen Aristokratie vergegenwärtigt, so ist es nicht mehr räthselhaft, weszhalb der englische Adel allein seine Existenz bis auf unsere Tage unangefochten bewahrt hat und fortwährend in der Verfassung eine fruchtbare und glänzende Stellung einnimmt, während auf dem Continente der Adel überall entweder gänzlich untergegangen ist oder doch nur ein sehr bestrittenes und verkümmertes Dasein hat. Zwölftes Capitel. C. Der deutsche Adel. I. Herrenadel. Die Geschichte des deutschen Adels weist bei allen Stäm- men auf eine Anzahl vornehmer Geschlechter hin, welche durch Kriegsruhm, Reichthum und Führerschaft über die übrigen Freien emporragen und thatsächlich eine fürstliche Stellung behaupten. Dieser uralte oft nur aus wenigen Familien 7 Gneist, III. S. 383. Tocqueville, VIII. 319.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/181>, abgerufen am 29.03.2024.