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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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Widerlegung der Relig. Essent.
so nicht geoffenbaret heissen können, so lange
das, was dabey verborgen ist, nicht entdeket
werde, wie hingegen was klar und deutlich ist,
keine Offenbarung nöthig habe. Der Unge-
nannte hält sich hier mit einem Wortspiele auf:
Niemand, wenn er von geoffenbarten Geheim-
nissen redet, verstehet Säze, in so fern sie ver-
borgen bleiben, sondern solche deren Sinn und
Nuzen ihm, in so weit es nöthig ist, durch die
Offenbarung genug entdeket werden. Jst es
nun ein Widerspruch, etwas durch eine Of-
fenbarung entweder völlig oder in so weit klar
und deutlich machen, was aus keinen Grund-
säzen der Vernunft konnte hergeleitet werden?
Kan nicht ein solcher Saz, in so fern mir et-
was davon deutlich gemacht wird, eine geof-
fenbarte Wahrheit und in so fern noch anders
darinn verborgen bleibet, ein Geheimniß heis-
sen? Z. E. wann die Weise und Möglichkeit
einer Sache nicht offenbar ist. Gewiß bleibt
es wahr daß Seel und Leib in ihren Würkun-
gen übereinstimmen, daß wir hiemit etwas von
Seel und Leib erkennen, welches schon Nuzen
für uns haben mag, ob wir gleich nicht wissen,
wie es mit dieser Uebereinstimmung hergeht.
Jn so fern bleibt uns denn die Sache ein Ge-
heimniß: Aber in Ansehung dessen, was davon
erkennt wird, ist sie klar und nüzlich genug.
Es läst sich wohl etwas für eine Offenbarung
halten, wann uns schon nicht ganz ausgemach-
te (*) Begriffe davon gegeben werden: Die

Schran-
(*) Wer weiß, nach welchen Gesezen die Begriffe in
unsrer Seele entstehen, der wird leicht zugeben daß man
von
K 2

Widerlegung der Relig. Eſſent.
ſo nicht geoffenbaret heiſſen koͤnnen, ſo lange
das, was dabey verborgen iſt, nicht entdeket
werde, wie hingegen was klar und deutlich iſt,
keine Offenbarung noͤthig habe. Der Unge-
nannte haͤlt ſich hier mit einem Wortſpiele auf:
Niemand, wenn er von geoffenbarten Geheim-
niſſen redet, verſtehet Saͤze, in ſo fern ſie ver-
borgen bleiben, ſondern ſolche deren Sinn und
Nuzen ihm, in ſo weit es noͤthig iſt, durch die
Offenbarung genug entdeket werden. Jſt es
nun ein Widerſpruch, etwas durch eine Of-
fenbarung entweder voͤllig oder in ſo weit klar
und deutlich machen, was aus keinen Grund-
ſaͤzen der Vernunft konnte hergeleitet werden?
Kan nicht ein ſolcher Saz, in ſo fern mir et-
was davon deutlich gemacht wird, eine geof-
fenbarte Wahrheit und in ſo fern noch anders
darinn verborgen bleibet, ein Geheimniß heiſ-
ſen? Z. E. wann die Weiſe und Moͤglichkeit
einer Sache nicht offenbar iſt. Gewiß bleibt
es wahr daß Seel und Leib in ihren Wuͤrkun-
gen uͤbereinſtimmen, daß wir hiemit etwas von
Seel und Leib erkennen, welches ſchon Nuzen
fuͤr uns haben mag, ob wir gleich nicht wiſſen,
wie es mit dieſer Uebereinſtimmung hergeht.
Jn ſo fern bleibt uns denn die Sache ein Ge-
heimniß: Aber in Anſehung deſſen, was davon
erkennt wird, iſt ſie klar und nuͤzlich genug.
Es laͤſt ſich wohl etwas fuͤr eine Offenbarung
halten, wann uns ſchon nicht ganz ausgemach-
te (*) Begriffe davon gegeben werden: Die

Schran-
(*) Wer weiß, nach welchen Geſezen die Begriffe in
unſrer Seele entſtehen, der wird leicht zugeben daß man
von
K 2
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[147/0163] Widerlegung der Relig. Eſſent. ſo nicht geoffenbaret heiſſen koͤnnen, ſo lange das, was dabey verborgen iſt, nicht entdeket werde, wie hingegen was klar und deutlich iſt, keine Offenbarung noͤthig habe. Der Unge- nannte haͤlt ſich hier mit einem Wortſpiele auf: Niemand, wenn er von geoffenbarten Geheim- niſſen redet, verſtehet Saͤze, in ſo fern ſie ver- borgen bleiben, ſondern ſolche deren Sinn und Nuzen ihm, in ſo weit es noͤthig iſt, durch die Offenbarung genug entdeket werden. Jſt es nun ein Widerſpruch, etwas durch eine Of- fenbarung entweder voͤllig oder in ſo weit klar und deutlich machen, was aus keinen Grund- ſaͤzen der Vernunft konnte hergeleitet werden? Kan nicht ein ſolcher Saz, in ſo fern mir et- was davon deutlich gemacht wird, eine geof- fenbarte Wahrheit und in ſo fern noch anders darinn verborgen bleibet, ein Geheimniß heiſ- ſen? Z. E. wann die Weiſe und Moͤglichkeit einer Sache nicht offenbar iſt. Gewiß bleibt es wahr daß Seel und Leib in ihren Wuͤrkun- gen uͤbereinſtimmen, daß wir hiemit etwas von Seel und Leib erkennen, welches ſchon Nuzen fuͤr uns haben mag, ob wir gleich nicht wiſſen, wie es mit dieſer Uebereinſtimmung hergeht. Jn ſo fern bleibt uns denn die Sache ein Ge- heimniß: Aber in Anſehung deſſen, was davon erkennt wird, iſt ſie klar und nuͤzlich genug. Es laͤſt ſich wohl etwas fuͤr eine Offenbarung halten, wann uns ſchon nicht ganz ausgemach- te (*) Begriffe davon gegeben werden: Die Schran- (*) Wer weiß, nach welchen Geſezen die Begriffe in unſrer Seele entſtehen, der wird leicht zugeben daß man von K 2

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/163>, abgerufen am 28.03.2024.