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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von den glücklichen Umständen
reine und milde Luft, mannigfaltige Früchte und
Felder, schöne Flüsse in grosser Anzahl, beständig
kühle Lüfte, wann sie zusammen kommen, die Ge-
burten der Natur in allen Arten zu der höchsten
Vollkommenheit bringen. Sie flössen dem Men-
schen ein solch mildes Temperament und Leben
der Phantasie ein, welche ihm die weitesten Durch-
sichten gestatten, und die feinesten Begriffe von
der Natur und der Wahrheit mittheilen.

Nach der gemeinen Eintheilung der Himmels-
striche bringen die rauhen und kalten, die stär-
kesten Cörper und die martialsten Geister, her-
vor; die heissen, träge Leiber, mit kunstreichen und
hartnäkigten Leidenschaften; aber die gemässigten
Gegenden, die unter dem gütigen Einflusse eines
muntern Himmels ligen, haben das beste Ge-
schike für eine feine Vorstellungskraft, und eine
geschiktverfasste Wohlredenheit. Gesunder Ver-
stand ist zwar, wie man sagt, eine Frucht, die
in allen Ländern wächßt, und ich glaube es auch
in der That; allein die herrlichsten Bäume und
ihre schönsten Zweige und Reiser, sprossen, so wie
andre Pflantzen, und wachsen in dem besten Bo-
den und an den Orten, wo sie die glüklichste Lage
häben.

Wenn ein Mensch in einem solchen Land und
unter einem so geneigten Aspect der Natur in die
Welt gekommen ist, so steht ihm hiernächst ein
grosses darauf, wie er bey seiner Ankunft in die
Welt empfangen werde, in was vor einem Zu-
stande er die Dinge finde, und was vor Lenkun-
gen diese in einem erhabenen Geist, und hurtigen

Gemü-

Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden
reine und milde Luft, mannigfaltige Fruͤchte und
Felder, ſchoͤne Fluͤſſe in groſſer Anzahl, beſtaͤndig
kuͤhle Luͤfte, wann ſie zuſammen kommen, die Ge-
burten der Natur in allen Arten zu der hoͤchſten
Vollkommenheit bringen. Sie floͤſſen dem Men-
ſchen ein ſolch mildes Temperament und Leben
der Phantaſie ein, welche ihm die weiteſten Durch-
ſichten geſtatten, und die feineſten Begriffe von
der Natur und der Wahrheit mittheilen.

Nach der gemeinen Eintheilung der Himmels-
ſtriche bringen die rauhen und kalten, die ſtaͤr-
keſten Coͤrper und die martialſten Geiſter, her-
vor; die heiſſen, traͤge Leiber, mit kunſtreichen und
hartnaͤkigten Leidenſchaften; aber die gemaͤſſigten
Gegenden, die unter dem guͤtigen Einfluſſe eines
muntern Himmels ligen, haben das beſte Ge-
ſchike fuͤr eine feine Vorſtellungskraft, und eine
geſchiktverfaſſte Wohlredenheit. Geſunder Ver-
ſtand iſt zwar, wie man ſagt, eine Frucht, die
in allen Laͤndern waͤchßt, und ich glaube es auch
in der That; allein die herrlichſten Baͤume und
ihre ſchoͤnſten Zweige und Reiſer, ſproſſen, ſo wie
andre Pflantzen, und wachſen in dem beſten Bo-
den und an den Orten, wo ſie die gluͤklichſte Lage
haͤben.

Wenn ein Menſch in einem ſolchen Land und
unter einem ſo geneigten Aſpect der Natur in die
Welt gekommen iſt, ſo ſteht ihm hiernaͤchſt ein
groſſes darauf, wie er bey ſeiner Ankunft in die
Welt empfangen werde, in was vor einem Zu-
ſtande er die Dinge finde, und was vor Lenkun-
gen dieſe in einem erhabenen Geiſt, und hurtigen

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[4/0004] Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden reine und milde Luft, mannigfaltige Fruͤchte und Felder, ſchoͤne Fluͤſſe in groſſer Anzahl, beſtaͤndig kuͤhle Luͤfte, wann ſie zuſammen kommen, die Ge- burten der Natur in allen Arten zu der hoͤchſten Vollkommenheit bringen. Sie floͤſſen dem Men- ſchen ein ſolch mildes Temperament und Leben der Phantaſie ein, welche ihm die weiteſten Durch- ſichten geſtatten, und die feineſten Begriffe von der Natur und der Wahrheit mittheilen. Nach der gemeinen Eintheilung der Himmels- ſtriche bringen die rauhen und kalten, die ſtaͤr- keſten Coͤrper und die martialſten Geiſter, her- vor; die heiſſen, traͤge Leiber, mit kunſtreichen und hartnaͤkigten Leidenſchaften; aber die gemaͤſſigten Gegenden, die unter dem guͤtigen Einfluſſe eines muntern Himmels ligen, haben das beſte Ge- ſchike fuͤr eine feine Vorſtellungskraft, und eine geſchiktverfaſſte Wohlredenheit. Geſunder Ver- ſtand iſt zwar, wie man ſagt, eine Frucht, die in allen Laͤndern waͤchßt, und ich glaube es auch in der That; allein die herrlichſten Baͤume und ihre ſchoͤnſten Zweige und Reiſer, ſproſſen, ſo wie andre Pflantzen, und wachſen in dem beſten Bo- den und an den Orten, wo ſie die gluͤklichſte Lage haͤben. Wenn ein Menſch in einem ſolchen Land und unter einem ſo geneigten Aſpect der Natur in die Welt gekommen iſt, ſo ſteht ihm hiernaͤchſt ein groſſes darauf, wie er bey ſeiner Ankunft in die Welt empfangen werde, in was vor einem Zu- ſtande er die Dinge finde, und was vor Lenkun- gen dieſe in einem erhabenen Geiſt, und hurtigen Gemuͤ-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/4>, abgerufen am 29.03.2024.