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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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II. Die Angriffswaffen.
Gegenstande. In zwei Basreliefs im Museum zu Puy, welche zweifel-
los noch vor das 4. Jahrhundert zu setzen sind, ist die Armrust in
ihrer charakteristischen Form deutlich zu erkennen. Das eine ist an
einer Halbsäule (cippe) gefunden in Solignac-sur-Loire, welches wir
in Fig. 480 nach Gay darstellen;*) das andere findet sich auf dem
[Abbildung] Fig. 480.

Relief
auf einem Säulen-
schafte, gefunden in
Solignac sur Loire.
4. Jahrh. Nach Gay,
Glossaire.

Fragment eines Frieses, aus den Trümmern einer
Villa bei Puy herrührend.

Der deutsche Name setzt sich aus den Worten
"Arm" und "Rüstung" zusammen und bedeutete
somit ursprünglich eine "Armrüstung". Mit dieser
Bezeichnung "armrust" erscheint sie schon im
12. Jahrhundert. Am Ende des 15. Jahrhunderts
unterlag das Wort Armrust einer neuen Schreibart,
die dem m ein b anfügte, wie u. a. bei räumblich,
Saumb, Beheimb, ziemblich; damit verwandelte sich
der Name unserer Waffe in "Armbrust", Nachdem
diese unschönen Silbenansätze in unserer modernen
Sprache allenthalben ausgemerzt sind, findet sich
kein Grund, einen solchen vereinzelt zu belassen.
Man ist darum auf die ursprüngliche und richtige
Schreibart wieder zurückgegangen.

Vom 5. bis ins 10. Jahrhundert versiegen die Nachrichten über
die Armrust gänzlich, so dass es scheint, als sei dies in jener Periode
wenn nicht vollständig in Vergessenheit, doch seltener in Verwendung
gekommen. Und in der That erscheint sie erst wieder in einer
Miniatur eines lateinischen Manuskriptes aus der Zeit Ludwigs IV.,
des Ultramariners, um 937. In der Miniatur einer Bibel vom Aus-
gange des 10. Jahrhunderts aus der Abtei von St. Germain, jetzt in
der Nationalbibliothek zu Paris, sehen wir zwei Schützen zu Fuss,
welche deutlich gezeichnete Armrüste gegen die Wälle von Tyrus
abschiessen. (Fig. 481.) Die gelehrte Tochter des byzantinischen
Kaisers Alexius, Anna Komnena (1083--1148), erwähnt in ihrem
Werke "Annae Comnenae Alexiados XIX libri" bei der Beschreibung
des 1. Kreuzzuges einer neuen Art Bogen, die sie "tzagrae" nennt,
mit den Worten: "Die Tzagra ist ein Bogen, den wir nicht kannten --"
Es scheint daraus hervorzugehen, dass die Armrust, im Osten noch
unbekannt, eine im weströmischen Reiche erfundene und nur in
Westeuropa bekannte und angewendete Waffe gewesen ist.

Erst im 12. Jahrhundert fand die Armrust eine allgemeine und
starke Verbreitung, vorzüglich in England und Frankreich; das 2.
Konzil vom Lateran 1139 verbot ihren Gebrauch als einen mörderischen
unter Christen und gestattete ihn nur gegen Ungläubige; desunge-

*) Zuerst besprochen von M. Aymard 1831. Vergl. Gay, V., Glossaire archeo-
logique unter arbalete.

II. Die Angriffswaffen.
Gegenstande. In zwei Basreliefs im Museum zu Puy, welche zweifel-
los noch vor das 4. Jahrhundert zu setzen sind, ist die Armrust in
ihrer charakteristischen Form deutlich zu erkennen. Das eine ist an
einer Halbsäule (cippe) gefunden in Solignac-sur-Loire, welches wir
in Fig. 480 nach Gay darstellen;*) das andere findet sich auf dem
[Abbildung] Fig. 480.

Relief
auf einem Säulen-
schafte, gefunden in
Solignac sur Loire.
4. Jahrh. Nach Gay,
Glossaire.

Fragment eines Frieses, aus den Trümmern einer
Villa bei Puy herrührend.

Der deutsche Name setzt sich aus den Worten
„Arm“ und „Rüstung“ zusammen und bedeutete
somit ursprünglich eine „Armrüstung“. Mit dieser
Bezeichnung „armrust“ erscheint sie schon im
12. Jahrhundert. Am Ende des 15. Jahrhunderts
unterlag das Wort Armrust einer neuen Schreibart,
die dem m ein b anfügte, wie u. a. bei räumblich,
Saumb, Beheimb, ziemblich; damit verwandelte sich
der Name unserer Waffe in „Armbrust“, Nachdem
diese unschönen Silbenansätze in unserer modernen
Sprache allenthalben ausgemerzt sind, findet sich
kein Grund, einen solchen vereinzelt zu belassen.
Man ist darum auf die ursprüngliche und richtige
Schreibart wieder zurückgegangen.

Vom 5. bis ins 10. Jahrhundert versiegen die Nachrichten über
die Armrust gänzlich, so daſs es scheint, als sei dies in jener Periode
wenn nicht vollständig in Vergessenheit, doch seltener in Verwendung
gekommen. Und in der That erscheint sie erst wieder in einer
Miniatur eines lateinischen Manuskriptes aus der Zeit Ludwigs IV.,
des Ultramariners, um 937. In der Miniatur einer Bibel vom Aus-
gange des 10. Jahrhunderts aus der Abtei von St. Germain, jetzt in
der Nationalbibliothek zu Paris, sehen wir zwei Schützen zu Fuſs,
welche deutlich gezeichnete Armrüste gegen die Wälle von Tyrus
abschieſsen. (Fig. 481.) Die gelehrte Tochter des byzantinischen
Kaisers Alexius, Anna Komnena (1083—1148), erwähnt in ihrem
Werke „Annae Comnenae Alexiados XIX libri“ bei der Beschreibung
des 1. Kreuzzuges einer neuen Art Bogen, die sie „tzagrae“ nennt,
mit den Worten: „Die Tzagra ist ein Bogen, den wir nicht kannten —“
Es scheint daraus hervorzugehen, daſs die Armrust, im Osten noch
unbekannt, eine im weströmischen Reiche erfundene und nur in
Westeuropa bekannte und angewendete Waffe gewesen ist.

Erst im 12. Jahrhundert fand die Armrust eine allgemeine und
starke Verbreitung, vorzüglich in England und Frankreich; das 2.
Konzil vom Lateran 1139 verbot ihren Gebrauch als einen mörderischen
unter Christen und gestattete ihn nur gegen Ungläubige; desunge-

*) Zuerst besprochen von M. Aymard 1831. Vergl. Gay, V., Glossaire archéo-
logique unter arbalète.
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[402/0420] II. Die Angriffswaffen. Gegenstande. In zwei Basreliefs im Museum zu Puy, welche zweifel- los noch vor das 4. Jahrhundert zu setzen sind, ist die Armrust in ihrer charakteristischen Form deutlich zu erkennen. Das eine ist an einer Halbsäule (cippe) gefunden in Solignac-sur-Loire, welches wir in Fig. 480 nach Gay darstellen; *) das andere findet sich auf dem [Abbildung Fig. 480. Relief auf einem Säulen- schafte, gefunden in Solignac sur Loire. 4. Jahrh. Nach Gay, Glossaire.] Fragment eines Frieses, aus den Trümmern einer Villa bei Puy herrührend. Der deutsche Name setzt sich aus den Worten „Arm“ und „Rüstung“ zusammen und bedeutete somit ursprünglich eine „Armrüstung“. Mit dieser Bezeichnung „armrust“ erscheint sie schon im 12. Jahrhundert. Am Ende des 15. Jahrhunderts unterlag das Wort Armrust einer neuen Schreibart, die dem m ein b anfügte, wie u. a. bei räumblich, Saumb, Beheimb, ziemblich; damit verwandelte sich der Name unserer Waffe in „Armbrust“, Nachdem diese unschönen Silbenansätze in unserer modernen Sprache allenthalben ausgemerzt sind, findet sich kein Grund, einen solchen vereinzelt zu belassen. Man ist darum auf die ursprüngliche und richtige Schreibart wieder zurückgegangen. Vom 5. bis ins 10. Jahrhundert versiegen die Nachrichten über die Armrust gänzlich, so daſs es scheint, als sei dies in jener Periode wenn nicht vollständig in Vergessenheit, doch seltener in Verwendung gekommen. Und in der That erscheint sie erst wieder in einer Miniatur eines lateinischen Manuskriptes aus der Zeit Ludwigs IV., des Ultramariners, um 937. In der Miniatur einer Bibel vom Aus- gange des 10. Jahrhunderts aus der Abtei von St. Germain, jetzt in der Nationalbibliothek zu Paris, sehen wir zwei Schützen zu Fuſs, welche deutlich gezeichnete Armrüste gegen die Wälle von Tyrus abschieſsen. (Fig. 481.) Die gelehrte Tochter des byzantinischen Kaisers Alexius, Anna Komnena (1083—1148), erwähnt in ihrem Werke „Annae Comnenae Alexiados XIX libri“ bei der Beschreibung des 1. Kreuzzuges einer neuen Art Bogen, die sie „tzagrae“ nennt, mit den Worten: „Die Tzagra ist ein Bogen, den wir nicht kannten —“ Es scheint daraus hervorzugehen, daſs die Armrust, im Osten noch unbekannt, eine im weströmischen Reiche erfundene und nur in Westeuropa bekannte und angewendete Waffe gewesen ist. Erst im 12. Jahrhundert fand die Armrust eine allgemeine und starke Verbreitung, vorzüglich in England und Frankreich; das 2. Konzil vom Lateran 1139 verbot ihren Gebrauch als einen mörderischen unter Christen und gestattete ihn nur gegen Ungläubige; desunge- *) Zuerst besprochen von M. Aymard 1831. Vergl. Gay, V., Glossaire archéo- logique unter arbalète.

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/420>, abgerufen am 18.04.2024.