Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

blieb ihnen im Halse stecken, und wir wissen heute
nicht mehr, als wir vor acht Tagen wußten. Die
Renten hüpfen umher wie gestutzte Vögel; sie woll¬
ten fliegen, aber es ging nicht, sie mußten auf der
Erde bleiben. Es ist ganz schön, daß die Tortur
abgeschafft worden, aber für eine Art Spitzbuben
hätte man sie beibehalten sollen -- für die hart¬
mäuligen Diplomaten, die Wahrheit von ihnen her¬
aus zu pressen. Aber wer weiß! sie würden viel¬
leicht selbst auf der Folter die Wahrheit nicht sagen.
Die Lüge ist ihre Religion; für sie dulden und ster¬
ben sie. -- Also in Frankfurt ist man mit dem fau¬
len Treiben hier auch nicht zufrieden? Was ist zu
thun? die vielen Menschen, welche durch die letzte
Revolution ihren Ehrgeiz und ihre Habsucht befrie¬
digt, wollen Ruhe und Frieden haben. "Ruhe und
"Frieden! ich glaubs wohl! den wünscht
"jeder Raubvogel, die Beute nach Bequem¬
"lichkeit zu verzehren" -- läßt Goethe seinem
Götz von Berlichingen sagen.

Wir haben jetzt schon den schönsten Frühling
hier. Alles ist grün und die Spatziergänge sind be¬
deckt mit Menschen. In den Tuilerien und in den
Champs Elisees war es gestern zum Entzücken. Es

blieb ihnen im Halſe ſtecken, und wir wiſſen heute
nicht mehr, als wir vor acht Tagen wußten. Die
Renten hüpfen umher wie geſtutzte Vögel; ſie woll¬
ten fliegen, aber es ging nicht, ſie mußten auf der
Erde bleiben. Es iſt ganz ſchön, daß die Tortur
abgeſchafft worden, aber für eine Art Spitzbuben
hätte man ſie beibehalten ſollen — für die hart¬
mäuligen Diplomaten, die Wahrheit von ihnen her¬
aus zu preſſen. Aber wer weiß! ſie würden viel¬
leicht ſelbſt auf der Folter die Wahrheit nicht ſagen.
Die Lüge iſt ihre Religion; für ſie dulden und ſter¬
ben ſie. — Alſo in Frankfurt iſt man mit dem fau¬
len Treiben hier auch nicht zufrieden? Was iſt zu
thun? die vielen Menſchen, welche durch die letzte
Revolution ihren Ehrgeiz und ihre Habſucht befrie¬
digt, wollen Ruhe und Frieden haben. „Ruhe und
Frieden! ich glaubs wohl! den wünſcht
jeder Raubvogel, die Beute nach Bequem¬
lichkeit zu verzehren“ — läßt Goethe ſeinem
Götz von Berlichingen ſagen.

Wir haben jetzt ſchon den ſchönſten Frühling
hier. Alles iſt grün und die Spatziergänge ſind be¬
deckt mit Menſchen. In den Tuilerien und in den
Champs Eliſees war es geſtern zum Entzücken. Es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0189" n="175"/>
blieb ihnen im Hal&#x017F;e &#x017F;tecken, und wir wi&#x017F;&#x017F;en heute<lb/>
nicht mehr, als wir vor acht Tagen wußten. Die<lb/>
Renten hüpfen umher wie ge&#x017F;tutzte Vögel; &#x017F;ie woll¬<lb/>
ten fliegen, aber es ging nicht, &#x017F;ie mußten auf der<lb/>
Erde bleiben. Es i&#x017F;t ganz &#x017F;chön, daß die Tortur<lb/>
abge&#x017F;chafft worden, aber für eine Art Spitzbuben<lb/>
hätte man &#x017F;ie beibehalten &#x017F;ollen &#x2014; für die hart¬<lb/>
mäuligen Diplomaten, die Wahrheit von ihnen her¬<lb/>
aus zu pre&#x017F;&#x017F;en. Aber wer weiß! &#x017F;ie würden viel¬<lb/>
leicht &#x017F;elb&#x017F;t auf der Folter die Wahrheit nicht &#x017F;agen.<lb/>
Die Lüge i&#x017F;t ihre Religion; für &#x017F;ie dulden und &#x017F;ter¬<lb/>
ben &#x017F;ie. &#x2014; Al&#x017F;o in Frankfurt i&#x017F;t man mit dem fau¬<lb/>
len Treiben hier auch nicht zufrieden? Was i&#x017F;t zu<lb/>
thun? die vielen Men&#x017F;chen, welche durch die letzte<lb/>
Revolution ihren Ehrgeiz und ihre Hab&#x017F;ucht befrie¬<lb/>
digt, wollen Ruhe und Frieden haben. &#x201E;<hi rendition="#g">Ruhe und</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Frieden</hi>! <hi rendition="#g">ich glaubs wohl</hi>! <hi rendition="#g">den wün&#x017F;cht</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">jeder Raubvogel</hi>, <hi rendition="#g">die Beute nach Bequem¬</hi><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">lichkeit zu verzehren</hi>&#x201C; &#x2014; läßt Goethe &#x017F;einem<lb/>
Götz von Berlichingen &#x017F;agen.</p><lb/>
          <p>Wir haben jetzt &#x017F;chon den &#x017F;chön&#x017F;ten Frühling<lb/>
hier. Alles i&#x017F;t grün und die Spatziergänge &#x017F;ind be¬<lb/>
deckt mit Men&#x017F;chen. In den Tuilerien und in den<lb/>
Champs Eli&#x017F;ees war es ge&#x017F;tern zum Entzücken. Es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0189] blieb ihnen im Halſe ſtecken, und wir wiſſen heute nicht mehr, als wir vor acht Tagen wußten. Die Renten hüpfen umher wie geſtutzte Vögel; ſie woll¬ ten fliegen, aber es ging nicht, ſie mußten auf der Erde bleiben. Es iſt ganz ſchön, daß die Tortur abgeſchafft worden, aber für eine Art Spitzbuben hätte man ſie beibehalten ſollen — für die hart¬ mäuligen Diplomaten, die Wahrheit von ihnen her¬ aus zu preſſen. Aber wer weiß! ſie würden viel¬ leicht ſelbſt auf der Folter die Wahrheit nicht ſagen. Die Lüge iſt ihre Religion; für ſie dulden und ſter¬ ben ſie. — Alſo in Frankfurt iſt man mit dem fau¬ len Treiben hier auch nicht zufrieden? Was iſt zu thun? die vielen Menſchen, welche durch die letzte Revolution ihren Ehrgeiz und ihre Habſucht befrie¬ digt, wollen Ruhe und Frieden haben. „Ruhe und „Frieden! ich glaubs wohl! den wünſcht „jeder Raubvogel, die Beute nach Bequem¬ „lichkeit zu verzehren“ — läßt Goethe ſeinem Götz von Berlichingen ſagen. Wir haben jetzt ſchon den ſchönſten Frühling hier. Alles iſt grün und die Spatziergänge ſind be¬ deckt mit Menſchen. In den Tuilerien und in den Champs Eliſees war es geſtern zum Entzücken. Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/189
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/189>, abgerufen am 19.04.2024.