Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

So eben komme ich vergnügt aus dem Lese¬
kabinette -- vergnügt, weil ich mich geärgert habe.
So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte
ich es gleich fest, und mache mir den Aerger ein;
denn in Paris ist er nicht alle Tage frisch zu haben;
die deutschen Zeitungen kommen so unregelmäßig
hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen
einen Widerspruch mit meiner Klage finden; Sie
werden meinen, über französisches Wesen hätte ich
mich doch oft genug geärgert. Das ist aber etwas
ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn;
Aerger aber ist zurückgetretener Zorn. Man ärgert
sich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬
legen ist -- das merkt und berechnet man in der
Leidenschaft nicht -- sondern wenn uns der Gegner,
entweder an Unverschämtheit überlegen ist, so daß er
uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an
Autorität, so daß er uns das Sprechen verbietet und
wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber ist
wohlgemuth, stark und darf seine Kraft gebrauchen.
Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier,
denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬
sinnte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich


So eben komme ich vergnügt aus dem Leſe¬
kabinette — vergnügt, weil ich mich geärgert habe.
So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte
ich es gleich feſt, und mache mir den Aerger ein;
denn in Paris iſt er nicht alle Tage friſch zu haben;
die deutſchen Zeitungen kommen ſo unregelmäßig
hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen
einen Widerſpruch mit meiner Klage finden; Sie
werden meinen, über franzöſiſches Weſen hätte ich
mich doch oft genug geärgert. Das iſt aber etwas
ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn;
Aerger aber iſt zurückgetretener Zorn. Man ärgert
ſich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬
legen iſt — das merkt und berechnet man in der
Leidenſchaft nicht — ſondern wenn uns der Gegner,
entweder an Unverſchämtheit überlegen iſt, ſo daß er
uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an
Autorität, ſo daß er uns das Sprechen verbietet und
wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber iſt
wohlgemuth, ſtark und darf ſeine Kraft gebrauchen.
Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier,
denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬
ſinnte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0032" n="18"/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">Freitag, den 28. Januar.</hi> </dateline><lb/>
          <p>So eben komme ich vergnügt aus dem Le&#x017F;<lb/>
kabinette &#x2014; vergnügt, weil ich mich geärgert habe.<lb/>
So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte<lb/>
ich es gleich fe&#x017F;t, und mache mir den Aerger ein;<lb/>
denn in Paris i&#x017F;t er nicht alle Tage fri&#x017F;ch zu haben;<lb/>
die deut&#x017F;chen Zeitungen kommen &#x017F;o unregelmäßig<lb/>
hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen<lb/>
einen Wider&#x017F;pruch mit meiner Klage finden; Sie<lb/>
werden meinen, über franzö&#x017F;i&#x017F;ches We&#x017F;en hätte ich<lb/>
mich doch oft genug geärgert. Das i&#x017F;t aber etwas<lb/>
ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn;<lb/>
Aerger aber i&#x017F;t zurückgetretener Zorn. Man ärgert<lb/>
&#x017F;ich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬<lb/>
legen i&#x017F;t &#x2014; das merkt und berechnet man in der<lb/>
Leiden&#x017F;chaft nicht &#x2014; &#x017F;ondern wenn uns der Gegner,<lb/>
entweder an Unver&#x017F;chämtheit überlegen i&#x017F;t, &#x017F;o daß er<lb/>
uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an<lb/>
Autorität, &#x017F;o daß er uns das Sprechen verbietet und<lb/>
wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber i&#x017F;t<lb/>
wohlgemuth, &#x017F;tark und darf &#x017F;eine Kraft gebrauchen.<lb/>
Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier,<lb/>
denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬<lb/>
&#x017F;innte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0032] Freitag, den 28. Januar. So eben komme ich vergnügt aus dem Leſe¬ kabinette — vergnügt, weil ich mich geärgert habe. So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte ich es gleich feſt, und mache mir den Aerger ein; denn in Paris iſt er nicht alle Tage friſch zu haben; die deutſchen Zeitungen kommen ſo unregelmäßig hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen einen Widerſpruch mit meiner Klage finden; Sie werden meinen, über franzöſiſches Weſen hätte ich mich doch oft genug geärgert. Das iſt aber etwas ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn; Aerger aber iſt zurückgetretener Zorn. Man ärgert ſich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬ legen iſt — das merkt und berechnet man in der Leidenſchaft nicht — ſondern wenn uns der Gegner, entweder an Unverſchämtheit überlegen iſt, ſo daß er uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an Autorität, ſo daß er uns das Sprechen verbietet und wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber iſt wohlgemuth, ſtark und darf ſeine Kraft gebrauchen. Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier, denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬ ſinnte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/32
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/32>, abgerufen am 29.03.2024.