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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832.

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Versäumen Sie ja nicht, von heute an die
Kammersitzungen zu lesen: Das ist höchst wichtig
und wird noch wichtiger werden. Die Wolke ist end¬
lich geplatzt und es strömt herunter. Was man für
die Asche des Herzogs von Berry gehalten, war die
Asche, die ein Vulkan ausgeworfen. Das Ministe¬
rium hat gestern erklärt, mit dieser Kammer wäre
nicht mehr zu regieren. Es herrscht eine allgemeine
Misstimmung unter dem Volke, unter der National¬
garde. Frankreich sähe sich getäuscht und verlange
die Freiheit, um die es im Juli gekämpft. Wer
wird siegen, die Regierung oder die Kammer? Es
ist eine gefährliche Krisis. Ich sehe nicht ein, wie
die Regierung ohne Staatsstreich sich und dem Lande
helfen kann, und ein Staatsstreich, wenn auch für
die Freiheit, würde alles auf das Spiel setzen. Ich
habe das vorher gesehen und gesagt; lesen Sie nur
meine früheren Briefe nach. Eine Revolution auf¬
halten, ehe sie von selbst stille stehet, das heißt ihren
Weg verlängern, ihr Ziel entfernen. Man hat,
mehr aus einer lächerlichen Eitelkeit, als aus Poli¬
tik, sich dem Auslande stark zeigen wollen. Man
wollte zeigen, daß man Herr des Volkes sei, seine
Leidenschaft meistern könne. Mir fiel dabei gleich


Verſäumen Sie ja nicht, von heute an die
Kammerſitzungen zu leſen: Das iſt höchſt wichtig
und wird noch wichtiger werden. Die Wolke iſt end¬
lich geplatzt und es ſtrömt herunter. Was man für
die Aſche des Herzogs von Berry gehalten, war die
Aſche, die ein Vulkan ausgeworfen. Das Miniſte¬
rium hat geſtern erklärt, mit dieſer Kammer wäre
nicht mehr zu regieren. Es herrſcht eine allgemeine
Misſtimmung unter dem Volke, unter der National¬
garde. Frankreich ſähe ſich getäuſcht und verlange
die Freiheit, um die es im Juli gekämpft. Wer
wird ſiegen, die Regierung oder die Kammer? Es
iſt eine gefährliche Kriſis. Ich ſehe nicht ein, wie
die Regierung ohne Staatsſtreich ſich und dem Lande
helfen kann, und ein Staatsſtreich, wenn auch für
die Freiheit, würde alles auf das Spiel ſetzen. Ich
habe das vorher geſehen und geſagt; leſen Sie nur
meine früheren Briefe nach. Eine Revolution auf¬
halten, ehe ſie von ſelbſt ſtille ſtehet, das heißt ihren
Weg verlängern, ihr Ziel entfernen. Man hat,
mehr aus einer lächerlichen Eitelkeit, als aus Poli¬
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[78/0092] Samſtag, den 19. Februar. Verſäumen Sie ja nicht, von heute an die Kammerſitzungen zu leſen: Das iſt höchſt wichtig und wird noch wichtiger werden. Die Wolke iſt end¬ lich geplatzt und es ſtrömt herunter. Was man für die Aſche des Herzogs von Berry gehalten, war die Aſche, die ein Vulkan ausgeworfen. Das Miniſte¬ rium hat geſtern erklärt, mit dieſer Kammer wäre nicht mehr zu regieren. Es herrſcht eine allgemeine Misſtimmung unter dem Volke, unter der National¬ garde. Frankreich ſähe ſich getäuſcht und verlange die Freiheit, um die es im Juli gekämpft. Wer wird ſiegen, die Regierung oder die Kammer? Es iſt eine gefährliche Kriſis. Ich ſehe nicht ein, wie die Regierung ohne Staatsſtreich ſich und dem Lande helfen kann, und ein Staatsſtreich, wenn auch für die Freiheit, würde alles auf das Spiel ſetzen. Ich habe das vorher geſehen und geſagt; leſen Sie nur meine früheren Briefe nach. Eine Revolution auf¬ halten, ehe ſie von ſelbſt ſtille ſtehet, das heißt ihren Weg verlängern, ihr Ziel entfernen. Man hat, mehr aus einer lächerlichen Eitelkeit, als aus Poli¬ tik, ſich dem Auslande ſtark zeigen wollen. Man wollte zeigen, daß man Herr des Volkes ſei, ſeine Leidenſchaft meiſtern könne. Mir fiel dabei gleich

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 2. Hamburg, 1832, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris02_1832/92>, abgerufen am 18.04.2024.