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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

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drigen Ständen gewesen. Diese Bemerkung war
ganz überflüssig. Man weiß recht gut, daß bei uns,
wie überall, die höheren Stände weder so viel Ver¬
stand, noch so viel Herz haben. Der Polenzug durch
Deutschland wird die schönsten Früchte tragen. O,
die klugen Leute! O, die schlauen Staatsmänner!
Vor dem großen Freiheitsmagazin im fernen War¬
schau war ihnen bange; sie zerstreuten es, und jetzt
geht die Freiheit hausiren im ganzen Lande, von
Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf! Von der
Schmach und Tücke, die Oesterreich und Preußen
den edlen Polen angethan, mußten die öffentlichen
Blätter schweigen; und jetzt schicken sie zwanzigtau¬
send Prediger im Lande herum, die erzählen, was
sie geduldet und lehren, wie man zu dulden aufhöre.
Kommen jetzt die Russen, dann wird man lange rei¬
sen müssen, um von Frankreich aus ihre Gräber zu
besuchen.

Was sich aber Preußen für Mühe giebt, sich
verhaßt zu machen! So viel Bescheidenheit hätte
ich ihm gar nicht zugetraut. Große Genies brau¬
chen nicht zu studiren. Daß aber meine guten Deut¬
schen ihren Preußenhaß auch gut verwenden! Es
ist in ihrer schönen Art, über ihr Herz doppelte
Buchhalterei zu führen: was sie dem Hasse geliehen
(und sie leihen ihm nur und nehmen später zurück)
setzen sie gleich der Liebe in die Einnahme. Thut

drigen Ständen geweſen. Dieſe Bemerkung war
ganz überflüſſig. Man weiß recht gut, daß bei uns,
wie überall, die höheren Stände weder ſo viel Ver¬
ſtand, noch ſo viel Herz haben. Der Polenzug durch
Deutſchland wird die ſchönſten Früchte tragen. O,
die klugen Leute! O, die ſchlauen Staatsmänner!
Vor dem großen Freiheitsmagazin im fernen War¬
ſchau war ihnen bange; ſie zerſtreuten es, und jetzt
geht die Freiheit hauſiren im ganzen Lande, von
Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf! Von der
Schmach und Tücke, die Oeſterreich und Preußen
den edlen Polen angethan, mußten die öffentlichen
Blätter ſchweigen; und jetzt ſchicken ſie zwanzigtau¬
ſend Prediger im Lande herum, die erzählen, was
ſie geduldet und lehren, wie man zu dulden aufhöre.
Kommen jetzt die Ruſſen, dann wird man lange rei¬
ſen müſſen, um von Frankreich aus ihre Gräber zu
beſuchen.

Was ſich aber Preußen für Mühe giebt, ſich
verhaßt zu machen! So viel Beſcheidenheit hätte
ich ihm gar nicht zugetraut. Große Genies brau¬
chen nicht zu ſtudiren. Daß aber meine guten Deut¬
ſchen ihren Preußenhaß auch gut verwenden! Es
iſt in ihrer ſchönen Art, über ihr Herz doppelte
Buchhalterei zu führen: was ſie dem Haſſe geliehen
(und ſie leihen ihm nur und nehmen ſpäter zurück)
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[126/0140] drigen Ständen geweſen. Dieſe Bemerkung war ganz überflüſſig. Man weiß recht gut, daß bei uns, wie überall, die höheren Stände weder ſo viel Ver¬ ſtand, noch ſo viel Herz haben. Der Polenzug durch Deutſchland wird die ſchönſten Früchte tragen. O, die klugen Leute! O, die ſchlauen Staatsmänner! Vor dem großen Freiheitsmagazin im fernen War¬ ſchau war ihnen bange; ſie zerſtreuten es, und jetzt geht die Freiheit hauſiren im ganzen Lande, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf! Von der Schmach und Tücke, die Oeſterreich und Preußen den edlen Polen angethan, mußten die öffentlichen Blätter ſchweigen; und jetzt ſchicken ſie zwanzigtau¬ ſend Prediger im Lande herum, die erzählen, was ſie geduldet und lehren, wie man zu dulden aufhöre. Kommen jetzt die Ruſſen, dann wird man lange rei¬ ſen müſſen, um von Frankreich aus ihre Gräber zu beſuchen. Was ſich aber Preußen für Mühe giebt, ſich verhaßt zu machen! So viel Beſcheidenheit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Große Genies brau¬ chen nicht zu ſtudiren. Daß aber meine guten Deut¬ ſchen ihren Preußenhaß auch gut verwenden! Es iſt in ihrer ſchönen Art, über ihr Herz doppelte Buchhalterei zu führen: was ſie dem Haſſe geliehen (und ſie leihen ihm nur und nehmen ſpäter zurück) ſetzen ſie gleich der Liebe in die Einnahme. Thut

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/140>, abgerufen am 28.03.2024.