Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

Gestern war in diesem Winter der erste Abend
bei ***. Das ganze Perpetuum Mobile der
Kammer war da; Odillon-Barrot, Pages, Clauzel,
Lamarque, Mauguin, und wie sie sonst alle heißen.
Auch die Generale Romarino und Langermann, Lele¬
well und noch viel andere confiscirte Polen. Wenn
man denn Lelewell sieht und hört, sollte man es ihm
nicht zutrauen, daß er den Geist und Muth hätte,
vor einer Revolution herzugehen. Er sieht so zer¬
quetscht aus, spricht so matt und gebrochen, hat ein
so furchtbares Organ, daß man ihn für einen deut¬
schen Stubengelehrten halten sollte. Doch vielleicht
hat ihn das Unglück seines Vaterlandes niedergewor¬
fen; vielleicht auch (und das ist das Wahrscheinlichste,
ist er bedenklich, an öffentlichen Orten frei zu spre¬
chen. Denn ein anderer Pole klagte mir, es wäre
ein Jammer und eine Schande, wie viele Spione
es unter ihnen in Paris gäbe. Unter den anwesen¬
den Deutschen war auch Börne, der Verfasser "der
berüchtigten Briefe aus Paris," wie sie die berühmte
allgemeine Zeitung nur allzugelinde nennt. Er mußte
mich wohl für einen Franzosen gehalten haben; denn
er unterhielt sich mit einem Deutschen über Dinge,
die gewiß keiner hören sollte, und es hinderte ihn


Geſtern war in dieſem Winter der erſte Abend
bei ***. Das ganze Perpetuum Mobile der
Kammer war da; Odillon-Barrot, Pagès, Clauzel,
Lamarque, Mauguin, und wie ſie ſonſt alle heißen.
Auch die Generale Romarino und Langermann, Lele¬
well und noch viel andere confiscirte Polen. Wenn
man denn Lelewell ſieht und hört, ſollte man es ihm
nicht zutrauen, daß er den Geiſt und Muth hätte,
vor einer Revolution herzugehen. Er ſieht ſo zer¬
quetſcht aus, ſpricht ſo matt und gebrochen, hat ein
ſo furchtbares Organ, daß man ihn für einen deut¬
ſchen Stubengelehrten halten ſollte. Doch vielleicht
hat ihn das Unglück ſeines Vaterlandes niedergewor¬
fen; vielleicht auch (und das iſt das Wahrſcheinlichſte,
iſt er bedenklich, an öffentlichen Orten frei zu ſpre¬
chen. Denn ein anderer Pole klagte mir, es wäre
ein Jammer und eine Schande, wie viele Spione
es unter ihnen in Paris gäbe. Unter den anweſen¬
den Deutſchen war auch Börne, der Verfaſſer „der
berüchtigten Briefe aus Paris,“ wie ſie die berühmte
allgemeine Zeitung nur allzugelinde nennt. Er mußte
mich wohl für einen Franzoſen gehalten haben; denn
er unterhielt ſich mit einem Deutſchen über Dinge,
die gewiß keiner hören ſollte, und es hinderte ihn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0052" n="38"/>
        <div>
          <dateline> <hi rendition="#right">Donner&#x017F;tag, den 5. Januar.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern war in die&#x017F;em Winter der er&#x017F;te Abend<lb/>
bei ***. Das ganze <hi rendition="#g">Perpetuum Mobile</hi> der<lb/>
Kammer war da; Odillon-Barrot, Pag<hi rendition="#aq">è</hi>s, Clauzel,<lb/>
Lamarque, Mauguin, und wie &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t alle heißen.<lb/>
Auch die Generale Romarino und Langermann, Lele¬<lb/>
well und noch viel andere confiscirte Polen. Wenn<lb/>
man denn Lelewell &#x017F;ieht und hört, &#x017F;ollte man es ihm<lb/>
nicht zutrauen, daß er den Gei&#x017F;t und Muth hätte,<lb/>
vor einer Revolution herzugehen. Er &#x017F;ieht &#x017F;o zer¬<lb/>
quet&#x017F;cht aus, &#x017F;pricht &#x017F;o matt und gebrochen, hat ein<lb/>
&#x017F;o furchtbares Organ, daß man ihn für einen deut¬<lb/>
&#x017F;chen Stubengelehrten halten &#x017F;ollte. Doch vielleicht<lb/>
hat ihn das Unglück &#x017F;eines Vaterlandes niedergewor¬<lb/>
fen; vielleicht auch (und das i&#x017F;t das Wahr&#x017F;cheinlich&#x017F;te,<lb/>
i&#x017F;t er bedenklich, an öffentlichen Orten frei zu &#x017F;pre¬<lb/>
chen. Denn ein anderer Pole klagte mir, es wäre<lb/>
ein Jammer und eine Schande, wie viele Spione<lb/>
es unter ihnen in Paris gäbe. Unter den anwe&#x017F;en¬<lb/>
den Deut&#x017F;chen war auch <hi rendition="#g">Börne</hi>, der Verfa&#x017F;&#x017F;er &#x201E;der<lb/>
berüchtigten Briefe aus Paris,&#x201C; wie &#x017F;ie die berühmte<lb/>
allgemeine Zeitung nur allzugelinde nennt. Er mußte<lb/>
mich wohl für einen Franzo&#x017F;en gehalten haben; denn<lb/>
er unterhielt &#x017F;ich mit einem Deut&#x017F;chen über Dinge,<lb/>
die gewiß keiner hören &#x017F;ollte, und es hinderte ihn<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0052] Donnerſtag, den 5. Januar. Geſtern war in dieſem Winter der erſte Abend bei ***. Das ganze Perpetuum Mobile der Kammer war da; Odillon-Barrot, Pagès, Clauzel, Lamarque, Mauguin, und wie ſie ſonſt alle heißen. Auch die Generale Romarino und Langermann, Lele¬ well und noch viel andere confiscirte Polen. Wenn man denn Lelewell ſieht und hört, ſollte man es ihm nicht zutrauen, daß er den Geiſt und Muth hätte, vor einer Revolution herzugehen. Er ſieht ſo zer¬ quetſcht aus, ſpricht ſo matt und gebrochen, hat ein ſo furchtbares Organ, daß man ihn für einen deut¬ ſchen Stubengelehrten halten ſollte. Doch vielleicht hat ihn das Unglück ſeines Vaterlandes niedergewor¬ fen; vielleicht auch (und das iſt das Wahrſcheinlichſte, iſt er bedenklich, an öffentlichen Orten frei zu ſpre¬ chen. Denn ein anderer Pole klagte mir, es wäre ein Jammer und eine Schande, wie viele Spione es unter ihnen in Paris gäbe. Unter den anweſen¬ den Deutſchen war auch Börne, der Verfaſſer „der berüchtigten Briefe aus Paris,“ wie ſie die berühmte allgemeine Zeitung nur allzugelinde nennt. Er mußte mich wohl für einen Franzoſen gehalten haben; denn er unterhielt ſich mit einem Deutſchen über Dinge, die gewiß keiner hören ſollte, und es hinderte ihn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/52
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/52>, abgerufen am 23.04.2024.