Stockholm, Januar. (Beschluß.) Nicht besser, sondern vielmehr noch schlimmer sieht es mit den eigentlichen Staats- und Cameralwissenschaften aus, indem diese hier noch so gut als gar keinen Platz auf den Universitäten gefunden haben. Zwar gibt es in Upsala eine Professur, unter deren Obliegenheiten die erstern zum Theil gehören sollten, allein da derselbe Professor auch zugleich, durch eine sonderbare Mischung, die römische Sprache und Litteratur sich angewiesen hat, und zwei so verschiedenartige Fächer, von denen jedes seinen eigenen Mann vollkommen in Anspruch nimmt, schwerlich von Einem mit gleichem Glück umfaßt werden können, so ist es kaum zu verwundern, daß bisher auf diesem Lehrstuhl zwar in der Regel Tacitus gut erklärt worden ist, die Staatswissenschaften aber immer zu kurz gekommen sind. Das Verhältniß hätte besser umgekehrt seyn können, da doch in derselben Facultät eine andere, besondere Professur für die römische Litteratur besteht. Es wäre dieß auch wohl geschehen, wenn man nicht von oben her einen wundersamen Schrecken vor allen auf die Politik hinzielenden Studien auf den Universitäten hegte. Diese Scheu ist so weit gegangen, daß selbst die Reichsstände schon auf zwei verschiedenen Reichstagen bei der Regierung haben antragen müssen, daß man doch wenigstens die Grundgesetze des Vaterlandes auf den Universitäten vortragen sollte. Die Regierung konnte sich lange nicht entschließen, eine Verfügung in dieser Beziehung erscheinen zu lassen. Daß dieß so eben erst endlich geschah, ist vermuthlich eine captatio benevolentiac für den jetzt zusammentretenden Reichstag.
Von Cameralwissenschaften in unserm Sinne weiß man auf den hiesigen Universitäten so gut als gar nichts. Eine nothdürftige Kenntniß von den vaterländischen Gesetzen über das Steuerwesen ist Alles, was man hier darunter versteht. Außer den Universitäten sind die hieher gehörigen Wissenschaften auf eine eben so unglaubliche Weise vernachlässigt. Nur die Bergbaulehre macht hier eine ehrenhafte Ausnahme, indem sie mit der Gründlichkeit, die dieser für Schweden so wichtige Lehrgegenstand verdient, in der Bergschule zu Falun (in Dalekarlien) studirt wird, nachdem die theoretischen Vorstudien auf der Universität absolvirt sind. Von der Forstwissenschaft aber, welche für Schweden nicht weniger wichtig seyn sollte, weiß man fast gar nichts, und welche große Reichthümer des Landes durch Mangel an Forstbeamten oder durch die Unwissenheit der vorhandenen jährlich verloren gehen, scheint man nicht zu erkennen. Die Ausnahmen in dieser Beziehung sind selten und meistens nicht unter den Staatsbeamten zu finden, sondern unter einigen wenigen Gutsbesitzern, welche sich in die Nothwendigkeit gefügt haben, deutsche Forstmänner für ihre Privatwirthschaften herbeizurufen. Auch die Landwirthschaft wird nirgends auf eine wissenschaftliche Weise gelehrt. In Upsala bestand zwar ehemals eine sogenannte ökonomische Professur, welche diesem Gegenstande besonders obliegen sollte, in späterer Zeit hat man sie in eine rein botanische umgewandelt. Die hiesige Landwirthschaftsakademie thut für den Unterricht nichts, und scheint überhaupt, obwohl reich dotirt, wenig ausgerichtet zu haben. Die Technologie wird auf den Universitäten nicht gelehrt, und das hiesige technologische Institut ist gar zu beschränkt, um den jetzigen Forderungen an einer wissenschaftlichen Anstalt entsprechen zu können. Von politischer Oekonomie, Finanz- und Polizeiwissenschaft u. s. w. ist nicht zu reden.
Man hat hier die Ansicht, daß der Cameralist so wenig Kenntnisse brauche, daß man sogar bei der Aufnahme auf der Universität Rücksichten darauf nimmt, wenn Jemand sich als kuftigen Cameralisten meldet. Man stellt geringere Forderungen von Vorstudien an ihn. Auch bleibt der Cameralist in der Regel nur ein Jahr auf der Universität. In der Prüfung, welche er dann besteht, um unmittelbar in den Staatsdienst überzugehen, gilt die Bruchrechnung als ein non plus ultra, und ich habe selbst in Upsala neulich einer solchen öffentlichen Prüfung beigewohnt, wo der Examinandus auch in dieser zu kurz gekommen ist, und zwar auf eine Weise, die einem deutschen Schulknaben zur Schande gereichen würde. Hier schien dieß nichts Auffallendes zu seyn, und der auf diese Art Examinirte ist nicht durchgefallen. Er kann jetzt ohne weiteres bis zum Collegienpräsidenten avanciren, wenn der Wind gut bläst, besonders wenn er vom Adel ist oder einen Staatsminister zum Oheim hat!
Ob alle diese Mängel mehr den Universitäten oder der Regierung zur Last gelegt werden müssen, weiß ich nicht. Doch scheinen die erstern noch heutzutage fast nur auf dieselben Mittel angewiesen zu seyn, welche sie seit Jahrhunderten als ihr Privateigenthum besessen haben; aus eigener Kraft dürften sie daher für ihre zeitgemäße Erweiterung, auch mit dem besten Willen, wenig haben ausrichten können. Ohne Zweifel hätten sie jedoch aus eigener Machtvollkommenheit mehr Ernst in den Prüfungen zeigen und mit dringenderen Vorstellungen über die nothwendigen Reformen und Erweiterung der Lehrgegenstände bei der Regierung oder sogar bei den Reichsständen einkommen können. Allein die meisten hiesigen Gelehrten und Universitätsprofessoren scheinen die praktischen Staats- und Cameralwissenschaften entweder gar für gefährlich oder wenigstens nicht für würdig genug zu halten, auf den Universitäten gelehrt zu werden, und mancher lächelt vornehm, wenn man z. B. von Forstwissenschaft oder Polizeiwissenschaft spricht. Es gehört vielleicht diese Ansicht zu den „idealen Prätentionen“, von denen Geijer in dem in meinem vorigen Brief angeführten Citate gesprochen hat. Die Folgen aber für den Staat und für das Leben sind nichts weniger als idealisch, und thun
sich schon längst in mehreren Richtungen dem kund, der die Augen offen hat und sehen will.
Der junge Praktikant, der nicht auf der Universität sich die nothwendigen theoretischen Studien verschafft hat, muß sie entweder später nachholen, oder er wird sie sein Leben lang entbehren. Das erstere kann nur bei den Wenigsten der Fall seyn, da nach dem Eintritt in den praktischen Staatsdienst den Meisten theils die nöthige Muße und Mittel, theils die Lust dazu fehlen muß, zumal da das hier übliche Beförderungssystem keine Aufmunterung zu irgend einer derartigen Anstrengung gibt. Denn eine weitere Prüfung als die bei dem Abgang von der Universität hat der angehende Beamte nicht zu bestehen, oder wenn eine solche dem Namen nach vorkommt, so ist es nur eine leere Formalität, in welcher Niemand, wenn auch noch so unwissend, Gefahr läuft, durchzufallen. Und wie sollte der aus eigenem Antriebe sich wissenschaftlichen Studien widmen, der weder selbst jemals gelernt hat ihre hohe Bedeutung zu begreifen, noch durch die Beispiele Anderer oder durch Aussichten auf leichtere Beförderung, als Lohn seiner Kenntnisse, dazu gespornt wird? Das Höchste, wozu er es vielleicht treiben wird, ist einige Geschäftsfertigkeit und praktische Gewandtheit für den kleinen Dienst, welche für den untergeordneten Beamten hinlänglich seyn mag, in den höheren Stellen aber nicht genügen kann. An einen höheren Geist und Adel in der Verwaltung ist auf diese Weise nicht zu denken. Es liegt dieß auch so fern von den Forderungen, die man sich hier stellt, daß z. B. die schwedische Staatszeitung, um dem Vorwurf der Opposition zu begegnen, daß es der Regierung an einem haltbaren System ermangle, förmlich den Satz aufgestellt hat, daß man in einem constitutionellen Staate, wie Schweden, gar kein System in der Verwaltung fordern könne und dürfe, weil die Regierung nur da sey, um die gegebenen Gesetze zu vollziehen. Und diese bescheidene Ansicht ist in einem officiellen Blatt ausgesprochen worden, welches sonst nicht viel auf dem polemischen Feld hervorrückt.
In der That gilt es auch hier schon als das höchste Lob von einem Beamten, wenn man nur von ihm sagen kann, daß er, wie es heißt, ein gutes Concept hat. Allein nach dem Vorigen ist es kaum zu verwundern, daß selbst dieß ein seltenes Verdienst ist, wie man sich alle Tage überzeugen kann aus den öffentlichen Schriften, welche von den verschiedenen Collegien und Staatsexpeditionen ausgehen, und in welchen selbst für die Sprachrichtigkeit nicht immer am besten und noch weniger für die Logik gesorgt wird. Als Regel wird eine Verschrobenheit des Styls gefunden, welche das selige Reichsdeutsch noch fast übertrifft, und die hier um so unsinniger wird, als sie dem Geiste der kräftigen, aber nicht wortreichen schwedischen Sprache geradezu widerstrebt, während der in dieser Sprache herrschende Mangel an Biegungsformen den wirklichen Sinn doppelt schwer zu fassen, wenn nicht gar unverständlich macht.
Ich habe schon bemerkt, daß es ehrenwerthe Ausnahmen gibt von Männern, welche durch Geist und Wissenschaft über die Menge emporragen; allein es sind deren nur wenige, und sie werden gewiß die ersten seyn, die Wahrheit dieser Schilderung im Allgemeinen zu bezeugen. Es gibt denkende Männer genug, die das Uebel einsehen und bedauern; aber man scheut sich das Gedachte auszusprechen, weil jeder Vorschlag zu Reformen in der Beamtenbildung und zu Schärfung der Prüfungen als ein Vorwurf gegen die jetzige Generation der Angestellten erscheinen muß. Man läßt also lieber Alles in dem Gleise des alten Schlendrians fortgehen, so gut es will. Von welcher Art dieser aber ist, davon können Sie sich eine Vorstellung machen, wenn Sie einige von den Porträts schwedischer Staatsmänner nachlesen, welche neulich von der kundigen Hand E. M. Arndts erschienen sind. Diese Porträts sind zwar eigentlich schon vor dreißig Jahren gezeichnet worden, und mehrere von den Originalen, welche der geistreiche Verfasser damals im Leben sah, sind seitdem vom Schauplatze abgetreten, allein ihr Geist lebt doch zum Theil in treuen Copien fort und andere sind noch jetzt in vollem Wirken.Vergl. schwedische Geschichten unter Gustav dem Dritten vorzüglich aber unter Gustav dem Vierten Adolph. Von E. M. Arndt. Leipzig 1839. Mit dem Motto: „Von menschlichen Dingen ist doch das Meiste zu beweinen.“ Unter mehreren Stellen besonders die Seiten 258 - 269. Von den dort geschilderten ist der Seite 263 - 266 gezeichnete Graf Rosenblad der noch jetzt lebende und in demselben Geiste fortwirkende Staatsminister des Innern und der Justiz. – Das ebenso geistreiche als belehrende Werk erscheint jetzt auch in einer schwedischen Uebersetzung, und die Zeitungen haben schon mehrere Auszüge daraus mitgetheilt. Die grellen Farben, womit viele Schilderungen der damaligen Zustände aufgezogen sind, können hier nicht anders als sehr unangenehm für Viele seyn, wenn man sich auch die Wahrheit der Thatsachen eingestehen muß. Ich habe bisher im Wesentlichen keine erheblichen Bemerkungen gegen die Zuverlässigkeit des Buchs im Allgemeinen gehört. Zwar hat man mir kleinere Fehlgriffe des Verfassers angezeigt, z. B. daß er bei dieser oder jener Gelegenheit die Namen der Personen verwechselt, daß er einen Grafen zum Freiherrn gemacht hat oder umgekehrt u. s. w. Aber auch von solchen leicht zu berichtigenden Fehlern sollen nur wenige vorkommen, und im Ganzen sind sie unerheblich. Die Beweggründe zu der Sympathie, welche Arndt für die unglückliche Dynastie mehrmals durchblicken läßt, weiß man zu ehren, wenn man sie auch nicht allgemein theilt.
Es wäre nicht schwer den Standpunkt der Mehrzahl der schwedischen Staatsmänner, welche in den letzten Jahrzehnten an der Spitze der Geschäfte gestanden haben, aus den Resultaten der innern Verwaltung nachzuweisen. In der Reconstituirung der Staatsverfassung im Jahr 1809 in der ganzen ökonomischen Gesetzgebung (welche hier der Regierung so gut als allein, fast ohne Mitwirkung der Stände überlassen ist), in dem Prohibitivwesen, in der Verwahrlosung der Bildungsanstalten, in der schlechten PolizeiDaß der hiesige Polizeidirector, oder wie er hier heißt, Polizeimeister, neulich vom Hofgericht zum Verlust seines Amtes verurtheilt wurde, und dennoch vom König, wie es scheint, in Gnaden entlassen worden ist, ist Ihnen schon durch andere Correspondenzen bekannt. – Unter mehreren Willkürlichkeiten, welche sich die hiesige schlecht verwaltete Polizei erlaubt, ist auch eine fast mehr als italienische Prellerei der Fremden im Paßwesen, welche, so viel ich weiß, bisher nicht gerügt worden ist, die aber, wie man mir versichert hat, nicht in den Gesetzen begründet seyn soll. u. s. w. sind die Spuren ihrer Kurzsichtigkeit tief genug eingedrückt, so daß man sie nicht mit Vergrößerungsgläsern aufzusuchen braucht. Aber auch die äußere Geschichte Schwedens in diesem Zeitraum wird einst zu dieser Würdigung Beiträge liefern, welche zum Theil noch nicht der Geschichte anheimgefallen sind. Ueber Einiges beginnt man schon jetzt die Augen zu öffnen, wie z. B. über die Rolle, welche die schwedische Diplomatie in den Jahren 1809 und 1814 in den Friedensschlüssen mit Rußland und Dänemark und in dem Tractat mit jener Macht im Jahr 1812, so wie später in dem vor einigen Jahren famos gewordenen Schiffshandel gespielt hat. Auch die Einsicht von der wahren Natur der Verbindung mit Norwegen gehört hieher, und da dieser Gegenstand ein allgemeines Interesse hat, werde ich vielleicht ein andersmal Gelegenheit haben darauf zurückzukommen.