London, 10 Febr.
Se. k. Hoh. Prinz Albert war am 7 Febr. von Canterbury, wo er Adressen der Stadt und des geistlichen Capitels entgegengenommen, schnell nach London weiter gereist, ohne in Rochester und Chatam, wo man ebenfalls Adressen vorbereitet hatte, anzuhalten. In Dartford stand ein k. Hofwagen für den Prinzen in Bereitschaft, und in New-Croß nahm eine Abtheilung Gardedragoner den Wagen in ihre Mitte. Gegen 3 Uhr waren, trotz des ungünstigen Wetters, im St. Jamespark viele Menschen zusammengeströmt. Gegen 4 Uhr versammelten sich die Mehrzahl der Cabinetsminister und andere hohe Staats- und Hofbeamte im Buckinghampalast, und bald darauf rollten die Wagen mit den erwarteten hohen Gästen durch den „Marmorbogen“ herein. Prinz Albert ward am Haupteingang feierlich empfangen, und sogleich zu Ihrer Maj. und deren erlauchter Mutter geführt. Se. k. Hoh. war einfach gekleidet, bei trefflicher Gesundheit und Laune, offenbar erfreut über den herzlichen Empfang, der ihm auf seiner Fahrt von Dover bis London von Seite der englischen Bevölkerung zu Theil geworden. Abends war Hofdiner von 30 Gedecken. Am 9 Februar wohnte der Prinz dem Gottesdienst im Buckinghampalast an, bei welchem der Bischof von London functionirte, und stattete Nachmittags den Gliedern der k. Familie seine Besuche ab. Die Straße vom Buckinghampalast bis an Marlboroughhouse, den Palast der Königin-Wittwe, war dicht mit Menschen besetzt, die Sr. k. Hoh. wiederholtes Lebehoch riefen.
Die Abendblätter vom 10 Febr. bringen nun bereits eine Beschreibung der Trauungsfeier zwischen Ihrer Maj. der Königin Victoria von Großbritannien und Sr. königl. Hoheit dem Prinzen Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, welche an diesem Tag in der St. James-Capelle statt fand. Wir folgen in Nachstehendem dem Berichte des Globe in gedrängtem Auszug: „In früher Morgendämmerung erhob sich das „geschäftige Gesumme der Menschen“ aus der ungeheuern Metropole und ihren volkreichen Vorstädten. Kanonendonner und Trompetenschmettern begrüßten den festlichen Tag. Längs den Straßen, durch welche die Auffahrt von dem Buckingham- nach dem St. Jamespalaste geschehen mußte, waren alle Häuser verschiedentlich geschmückt mit Fahnen und Inschriften, und zeigten zugleich die Vorbereitungen für die abendliche Beleuchtung. Der Umgegend der beiden Paläste strömten fröhliche Schaaren zu, und bald waren diese Plätze und die sie verbindenden Straßen mit Menschen vollgedrängt. Auf dem Constitutionshügel und andern höher gelegenen Punkten der Parks waren Gerüste errichtet, und die theuern Sitze fanden reißenden Abgang. Alle Fenster bis unter die Dächer hinauf, und diese selbst waren, der Gefahr zum Trotz, mit Neugierigen besetzt. Beide Geschlechter trugen die weiße Hochzeitbinde (favours) in hundertfacher anmuthiger Abwechslung. Endlich war die Erwartung der versammelten Tausende auf den höchsten Punkt gestiegen, als Kanonenschüsse, Trommeln und Trompeten die Abfahrt der Königin aus dem Buckinghampalast ankündigten. Die Truppen präsentirten vor der vorüberfahrenden Fürstin das Gewehr, die Musikchöre stimmten mit Feuer die Nationalhymne an, der königliche Cortège bewegte sich vorwärts, und Victoria verneigte sich freundlich dankend nach allen Seiten. Hinter den Hofwagen schlugen sogleich die Wogen der nachfluthenden Volksmenge zusammen, und die Folge war, daß sich die Masse bald stemmte, aus der nun mit verdoppelter Anstrengung der Stimme die Jubelrufe Ihrer Maj. nachschallten. Es war ein rollendes Freudenfeuer von Huzzas. Also wurde die bräutliche Königin dieser Reiche auf ihrem Hingang nach dem heiligen Tempel begrüßt, wo der feierliche Bund eingesegnet wurde, der sie nun mit dem Manne ihrer Wahl vereinigt hat – ein Glück, das Fürsten und Fürstinnen nur selten zu Theil wird!“ – Die Schilderung des Journals geht nun in Details, und beginnt mit den Vorgängen im Buckinghampalast. „Vor Allem, sagt es, wollen wir bemerken, daß die Witterung Vormittags ziemlich unfreundlich war; die Sonnenblicke waren selten, und es regnete oft und stark. Trotzdem behaupteten die Volksmassen ihren Stand, bis der Hof erschien, wo dann (es ist der Globe, der spricht) die Wolken wie durch einen Zauberschlag zerstreut wurden und die Sonne mit erneutem Glanz vom Himmel leuchtete. Schon gegen halb 10 Uhr waren zwei Schwadronen Gardecavallerie im Hofraum aufgezogen, und Abtheilungen der Polizeimannschaft waren überall auf den Beinen. Die glänzenden Equipagen des hohen Adels und der fremden Gesandten fuhreni
n rascher Aufeinanderfolge der St. Jamescapelle zu, und mehrere derselben wurden mit Acclamation begrüßt. Auch ein großer Theil des Hofs war, um das Gedränge zu vermeiden, früher nach St. James vorausgefahren. 20 Minuten vor 12 Uhr vernahm man auf der großen Treppe das Wort „sharp“ (Achtung!)“ – bei Hof die gewöhnliche Losung, wenn königliche Personen in den Wagen steigen. Es war das Zeichen der Abfahrt des Prinzen Albert. Alsbald erschien Se. königl. Hoh. mit seiner hohen Begleitung. (S. das Programm in der gestrigen Nummer d. Allg. Z.) Se. königl. Hoh. wurde mit feurigem Händeklatschen empfangen, und stieg, mit dem huldvollsten Lächeln sich vor den Anwesenden verneigend, die Treppe hinab. Einige Minuten später ertönte wieder der Ruf: „sharp!“ und Ihre Maj. erschien, begleitet von der Herzogin von Kent, der Herzogin von Sutherland, als erster Hofdame, den obersten Hofbeamten und den zwei Ehrenpagen, die Ihrer Maj. Schlepp trugen. Victoria trug, wie ihre Brautjungfrauen in der Capelle, ein weißes Atlaßkleid, ihre Stirne war mit einem Kranz weißer Orangeblüthen geschmückt, und ein kostbarer Schleier von Honiton-Spitzen floß über Haupt und Schultern nieder; ihr ganzer Anzug konnte als das Ideal eines königlichen Brautschmuckes gelten. Ihre Majestät sah sehr gesund, wiewohl etwas blasser als gewöhnlich aus; die vollkommene Selbstbeherrschung und die freie Haltung, die Ihre Maj. jederzeit auszeichnen, hatten sie auch in diesem Moment nicht verlassen. Ihrer Maj. Begrüßung beim Einsteigen war enthusiastisch. Alle Balcone und Fenster des Palastes waren mit elegant gekleideten Damen besetzt, die der hohen Braut ihre Taschentücher zuschwenkten. Der Zug des Cortège bewegte sich in fünfzehn Wagen dem St. Jamespalaste zu. Hier waren längst vor Eröffnung der Capelle und der Staatsapartements, durch welche die Trauungsprocession gehen sollte, alle Zugänge mit den Wagen des Adels und der Gentry besetzt. Die fremden Gesandten, die Minister und Mitglieder des geheimen Raths waren in dem „Gesandtenhof“ abgestiegen; der Cortège betrat den Palast durch den Haupteingang. Die Königin wurde nach ihrer Ankunft im St. Jamespalast in ihr Closet hinter dem Thronsaal geführt. In letzterem ordnete sich der Zug nach der Capelle. Dieses Gotteshaus ist nur von sehr mäßigem Umfang, war aber zu dieser Feier sehr geschmackvoll mit carmosinrothem Tuch in malerischen Draperien, und mit reicher Vergoldung geschmückt. Auf dem Communiontisch prangte eine Fülle goldener Gefäße, und zur Rechten und Linken desselben waren für die beiden functionirenden hohen Prälaten, den Erzbischof von Canterbury und den Bischof von London, Stühle gestellt. (Der Erzbischof von York war ebenfalls geladen, hatte aber keine Function.) Ueber das Estrich der Capelle waren blaue golddurchwirkte Tapeten mit der normannischen Rose gebreitet. Das Licht, welches durch das gothische Fenster über dem Altar und die beiden Seitenfenster gebrochen einfiel, verbreitete über das Ganze einen milden Schein. Besonders reich verziert war der dem diplomatischen Corps vorbehaltene Raum der Capelle. Ebenso waren die Sitze in den Staatsgemächern und Corridors, welche die Capelle mit dem Palast verbinden, für die hier Platz nehmenden Zuschauer auf das glänzendste und geschmackvollste arrangirt. Hier saßen viele Pairs und Pairinnen, die in der Capelle selbst keinen Platz finden konnten, ministerielle Beamte, Oberrichter u. s. w. In der Capelle angelangt, nahmen die hohe Braut mit den Gliedern der königlichen Familie, worunter auch die Königin-Wittwe, zur Rechten, der erlauchte Bräutigam mit seinen hohen Verwandten und seinem Gefolge zur Linken des Altars ihre Sitze ein, wie das Programm es angekündigt. Mittlerweile hörte man das vor der Capelle stehende Musikchor die für den Fall allerdings sehr passende Marschmelodie des Liedes spielen: „Haste to the wedding (eilt zu der Hochzeit.)“ Der Ueberblick der Versammlung war prachtvoll. Unter den Anwesenden bemerkte man besonders den Herzog v. Wellington in voller Marschallsuniform und mit dem Marschallstabe, die Waterloo-Medaille auf der Brust. Er wurde eingeladen, neben den königlichen Herzogen Platz zu nehmen. Der Herzog v. Devonshire trug auf jeder Schulter zwei weiße Rosetten, von denen eine Fülle weißer Bänder niederwallte. Den Gesandten und ihren Gemahlinnen war die Galerie, dem Altar gegenüber, eingeräumt, wo sonst die königl. Familie dem Gottesdienst anzuwohnen pflegt. In der Fronte saßen der österreichische, russische, nordamerikanische und belgische Gesandte; General Sebastiani etwas abseits, allein. Den türkischen Botschafter sah man verwunderte Blicke auf die christliche Hochzeitgemeinde werfen. Neben den Ministern Russell, Normanby, Morpeth und Hobhouse auf der Seitengalerie saß der Sprecher des Unterhauses in Perrücke und Amtsrobe. Beim Eintritt des Prinzen – er trug die Garde-Uniform, den sehr edlen Hosenbandorden, und auf der Schulter einen großen weißen „favour“ – erhob sich die ganze Versammlung. Als er die oberste Altarstufe betreten, ward er von dem Cerimonienmeister zu Ihrer Maj. der Königin - Wittwe geführt, deren Hand er küßte, so wie auch sein durchlauchtiger Vater und der Erbprinz von Sachsen-Coburg. Sofort ward er den beiden Erzbischöfen und dem Bischof von London vorgestellt. Als die Königin, unter dem Schall des God save the Queen in die Capelle trat, fiel eben einer der hellsten Sonnenstrahlen durch die Fenster, was von vielen als ein glückverkündendes Omen betrachtet ward. Sofort trat der Primas des Reichs, mit dem heiligen Buch in der Hand, an die Altareinfassung, und las mit klarer feierlicher Stimme die Trauungsformel. Als er die Worte sprach: „Albert, willst Du dieses Weib zu Deinem angetrauten Ehegemahl (Albert, wilt thou have this woman to be thy wedded wife?),“ antwortete der Prinz mit einem kräftigen: „Ich will.“ Und auf die Frage: „Victoria, willst Du diesen Mann zu Deinem angetrauten Ehegatten (Victoria, wilt thou have this man to be thy wedded husband?)“ sprach die Königin mit fester Stimme: „I will.“ Auch sprach sie die Worte: „Ihn lieben, ehren, ihm gehorchen und ihm allein angehören,“ besonders deutlich. Die Braut wurde durch den Herzog von Sussex übergeben, und gerade mit dem Schlage halb 2 Uhr verkündigten 21 Kanonenschüsse der Hauptstadt, daß Prinz Albert der Königin Victoria den „einfachen Goldring (the plain gold ring)“ angesteckt habe, und der Bund geschlossen sey –
(Hat die Königin doch nichts
Voraus vor dem gemeinen Bürgerweibe!
Das gleiche Zeichen weist auf gleiche Pflicht,
Auf gleiche Dienstbarkeit – der Ring macht Ehen,
Und Ringe sind's, die eine Kette machen.“
läßt Schiller eine Königin von England sagen.)
Nach beendigter Feier führte Prinz Albert die königl. Braut nach dem Thronsaal, wo das hohe Paar in das „Marriage Register“, dem neuen Gesetze zufolge, sich einzeichnete. Beim Austritt aus der Capelle hielt Victoria die Augen zu Boden gesenkt, und erhob sie nur manchmal zu einem flüchtigen Gruße. Der Zug bewegte sich in derselben Ordnung nach dem Buckinghampalast zurück. Hier war ein glänzendes Mahl vorbereitet, bei welchem der (neulich beschriebene) riesige Hochzeitkuchen die Hauptfigur spielte. Sofort fuhr das hohe Paar mit kleinem Gefolge nach Windsorschloß ab, den „intus digna geri“ entgegen. Im St. Jamespalaste aber steht für den Abend ein
großes Diner von 130 Gedecken bevor, bei welchem Graf v. Errol, als Oberhofmeister Ihrer Maj. den Vorsitz führen, und an welchem der Herzog und der Erbprinz von Sachsen-Coburg, die Herzogin von Kent u. s. w. Theil nehmen werden. Die ganze Stadt wird prachtvoll beleuchtet, und in allen Theatern freier Eintritt für das Publicum seyn. Parlament, Bank, Börse u. s. w. hatten heute Feiertag.
Die Blätter knüpfen an die königliche Vermählung eine Anzahl Notizen, die zum Theil wohl sehr der Bestätigung bedürfen. So heißt es, der König der Belgier werde seinem hohen Neffen, dem Prinzen Albert, die freie Benutzung des Schlosses Claremont zum gelegentlichen Landaufenthalt als Hochzeitsgeschenk darbieten. Der M. Herald nimmt dieß als sicher an, will jedoch wissen, fürs erste werde die Herzogin von Kent, bald nach der Hochzeit ihrer königlichen Tochter, sich nach Claremont zurückziehen, später aber auf längere Zeit sich nach dem Continent begeben. – Die M. Post hat vernommen, im Drurylane-Theater werde eine Oper vorbereitet, wozu die Musik aus Compositionen des Prinzen Albert ausgewählt sey; während zugleich ein anderes Blatt irgend einer deutschen Zeitung die Notiz entnimmt, Se. k. Hoh. sey „einer der ausgezeichnetsten deutschen Dichter.“ – Für jede ihrer schönen Brautjungfrauen hat Victoria als Geschenk eine Ziernadel bestimmt, in Gestalt eines kleinen Vogels, dessen Körper ganz aus Türkissen, die Augen aus Rubinen, der Schnabel aus einem Diamant, die Krallen aus reinem Gold, das Uebrige aus sehr werthvollen großen Perlen besteht. Die jüngste der Brautführerinnen war die zwölfjährige Tochter der Herzogin v. Sutherland.
So eben veröffentlichten amtlichen Tabellen zufolge betrug die Vermehrung der brittischen Heere im vorigen Jahr 11,294 Mann, von denen 3548 auf England und die Colonien, 7746 auf Ostindien treffen.
(Globe.) Hr. Arthur Ashton, der an den Madrider Hof ernannte brittische Botschafter, ist über Paris nach seiner Bestimmung abgereist.
Die Times spricht sich über Guizots Ernennung zum französischen Gesandten in London im Einklang mit folgender Aeußerung ihres Pariser Correspondenten aus: „Paris, 3 Febr. Guizots Ernennung wird in Frankreich allgemein (?) gutgeheißen. Er ist der Chef der hiesigen conservativen Partei. Das Vertrauen des Königs in ihn und die Erinnerung an die Art, wie er das Ministerium des öffentlichen Unterrichts verwaltete, haben ihm die fremden Höfe günstig gestimmt. Bei diesen allgemeinen Rechtstiteln auf Hochachtung wird seine Ernennung der brittischen Regierung kaum anders als angenehm seyn. Hier in Paris glaubt man aber, daß außer diesen allgemeinen Gründen bei Hrn. Guizot noch einige besondere Rücksichten in Anschlag kommen, die ihm in England einen besonders freundlichen Willkomm versprechen. Guizot war von je ein Bewunderer Englands und seiner Institutionen. Er ist der Verfasser einer sehr schätzenswerthen Geschichte der englischen Revolution, er hat eine Uebersetzung Shakspeare's und mehrere andere Werke über englische Litteratur herausgegeben, und es ist wohlbekannt, daß er unablässig bemüht war, in Frankreich brittische Institutionen, brittische Grundsätze und Gesinnung heimisch zu machen. Dazu ist er ein strenger Protestant, von ernstem, jedoch nicht kaltem Wesen, von unbescholtenem, vorwurfsfreiem Ruf als Staatsmann und eben so achtungswerth durch seine Privattugenden. So ließ sich, was Talente, Kenntnisse, öffentlichen und Privatcharakter betrifft, keine bessere Wahl für den wichtigen Posten t effen, auf den Hr. Guizot jetzt berufen ist.“
Es scheint, als ob die ministerielle Presse allmählich wieder einen milderen, versöhnlicheren Ton gegen Frankreich anstimmen wolle. Schon die Art und Weise, wie das M. Chronicle die Ernennung des Hrn. Guizot zum Botschafter in England, so sehr sie seine frühere Politik tadelte, doch als eine muthmaßliche Friedensmission begrüßte, und die Wärme, womit sie mit Hinsicht auf die Rede des Hrn. Thiers wieder für die englisch-französische Allianz sprach, indem sich zugleich eine neue, dieser Allianz günstigere Phase in der orientalischen Politik der französischen Regierung erwarten ließ, deuteten darauf hin, daß wohl eine Annäherung zwischen beiden Cabinetten in dieser Hinsicht im Werke sey; und ein neuer Artikel desselben Blattes, in welchem es nicht sowohl angreifend gegen Frankreich, als apologetisch in Bezug auf Englands Politik im Orient auftritt, gibt noch mehr Grund zu der Vermuthung, daß es dem englischen Cabinette selbst jetzt wieder mehr als seit einiger Zeit darum zu thun sey, die Eintracht mit Frankreich herzustellen. „Unsere französischen Collegen,“ sagt das Chronicle, „fahren fort, die Politik der brittischen Regierung in der orientalischen Frage zu tadeln. Zwei Fragen aber gibt es, die man wohl erwägen sollte, ehe man Englands Politik verurtheilt. Erstens: war ein anderes Verfahren möglich? Und dann: war es staatsklug, wenn es auch möglich gewesen wäre? Zweifelte ein einziger der europäischen Repräsentanten in Konstantinopel daran, daß der verstorbene Sultan, im Falle einer Niederlage, Rußland aufgefordert haben würde, die Stipulationen des Vertrags von Hunkiar Skelessi zu erfüllen? England wenigstens konnte nicht daran zweifeln. Die Frage für einen brittischen Minister war daher: wie werde ich eine ausschließlich russische Protection der Türkei verhindern? Dazu gab es nur zwei Wege: entweder mußte man sich Rußland widersetzen, oder sich mit ihm verbinden. Es hätten unstreitig Umstände eintreten können, die das erstere nicht nur gerechtfertigt, sondern selbst nothwendig gemacht haben würden. Der Sultan hätte können bewogen werden, sich Rußland allein anzuvertrauen; Rußland hätte unsere Mitwirkung ablehnen oder sich nur unter Bedingungen dazu bereit erklären können, die für die Integrität der Türkei und somit für dasjenige Gleichgewicht der Macht im Orient, das auf jener Integrität beruht, gefährlich gewesen wären. In beiden Fällen könnte ein brittischer Minister vertrauensvoll das Unterhaus auffordern, ihn in einem Conflict zu unterstützen, den die Uebergriffsplane einer anderen Macht unvermeidlich gemacht hätten. Aber Rußland zeigte keine solchen Absichten. Es gibt seine Ansprüche auf ausschließliche Beschützung der Türkei auf und erbietet sich, mit den anderen Mächten unter Bedingungen zusammenzuwirken, die nicht das Ansehen an sich tragen, als ob sie irgend einer derselben ein ungebührliches Uebergewicht bei der Erledigung der Frage geben dürften. Konnte England dieses Anerbieten ablehnen? O gewiß, sagen fast alle französischen Blätter und einige französische Staatsmänner von nicht unbedeutendem Rufe. Frankreich weigert sich, an der vorgeschlagenen Ausgleichung Theil zu nehmen, und wenn England sich nicht Frankreich anschließt, so ist die Allianz zwischen beiden Ländern aufgelöst! Zwei Argumente sind es, auf welche die Vertheidiger von Marschall Soult's Politik hauptsächlich fußen, wenn sie den Entschluß des brittischen Cabinets zu erschüttern hoffen. Ihr steht im Begriff, die Allianz aufzuopfern, sagt man, eine russische Flotte in den Bosporus und eine russische Armee nach Kleinasien zu bringen! Was das erstere anbetrifft, so bedarf es hoffentlich nicht erst unserer Betheuerungen zu Gunsten der englisch-französischen Allianz. So weit es in unserem Bereich lag, haben wir stets unser Möglichstes gethan, dieselbe zu unterstützen. Wir wissen
die treffliche Auseinandersetzung der aus der Einigkeit der beiden Länder entspringenden Vortheile, welche in der Rede des Hrn. Thiers enthalten ist, vollkommen zu würdigen. Doch wären diese Vortheile auch zehnmal so bedeutend, als sie es sind, so würde es doch einem englischen Minister unmöglich, buchstäblich unmöglich seyn, diese Allianz aufrecht zu erhalten, wenn ihre Aufrechterhaltung davon abhängen sollte, daß wir uns Frankreich in seiner orientalischen Politik anschließen müßten. Wollte England die Politik Frankreichs annehmen, so würde nicht Frieden, für den nach Hrn. Thiers Erklärung die Allianz als Bürgschaft dienen soll, sondern unverzüglicher Krieg die Folge davon seyn. Dieß halten wir für unvermeidlich. Frankreichs Politik geht dahin, Mehemed Ali die Erzwingung seiner Forderungen zu gestatten. Beim ersten Vorrücken Ibrahims zu diesem Zwecke würde eine russische Armee in Kleinasien und eine russische Flotte im Bosporus erscheinen. Der nächste Schritt in der französischen Politik ist, die Einfahrt in die Dardanellen durch die vereinigten Flotten zu erzwingen. Wir wollen hier nicht weiter untersuchen, ob dieß ausführbar wäre, denn ehe noch der Befehl dazu die Levante erreicht, ja, ehe er die Admiralität verlassen hätte, würde das Unterhaus die Mittel zur Ausführung eines solchen Unternehmens verweigert haben. Unter welchem Vorwande könnte die Regierung eine Kriegserklärung gegen Rußland rechtfertigen? Wäre sie nöthig, um die Integrität der Türkei zu sichern? Im Gegentheil, ihr Zweck wäre eine Zerstückelung der Türkei. Wird sie durch ausschließliche Anmaßungen Rußlands nothwendig gemacht, oder durch die Weigerung der Türkei, den gemeinsamen Schutz aller europäischen Mächte anzunehmen? Keineswegs. Wo also ist denn die Nothwendigkeit zu diesem Kriege? Wenigstens werdet ihr uns doch wohl irgend einen Vortheil davon aufzuzeigen haben. Die beständige Antwort hierauf ist: wir wollen die französische Allianz aufrecht erhalten und die Russen hindern nach Konstantinopel zu kommen. Nein, nein, ihr würdet weder das eine thun noch das andere verhindern. Weit davon entfernt, die Russen zu hindern nach Konstantinopel zu kommen, würde Frankreichs Politik, wenn England sie annähme, dieselben vielmehr sicherlich dorthin bringen, und zwar in dem allergefährlichsten Charakter, in welchem sie auftreten könnten, nämlich als die ausschließlichen Beschützer der Türkei gegen England und Frankreich. Und was die Aufrechterhaltung der französischen Allianz betrifft, so möchte sie allerdings wohl so lange zu bewahren seyn, bis wir die Dardanellenschlösser entwaffnet oder unsere Schiffe bei dem Versuch eingebüßt, bis wir die Türkei oder vielmehr die Ueberbleibsel der Türkei, an Nacken und Fersen gefesselt, Rußland zu Füßen geworfen, bis wir die widerstrebenden Interessen der Cabinette von Wien und St. Petersburg mit einander versöhnt hätten; und wenn wir dieß Alles gethan, um die Allianz aufrecht zu erhalten, würden wir uns gerade auf demselben Fleck befinden, wie jetzt, das heißt im Streit mit unserem Verbündeten über die Forderungen Mehemed Ali's. Diese Gründe zeigen klar, wie unpolitisch es wäre, und wie unmöglich es uns ist, das von Frankreich empfohlene Verfahren anzunehmen. Und wollte selbst der Minister ein für die Türkei so verderbliches und für Englands Interessen so nachtheiliges Verfahren anempfehlen, das Parlament würde es nimmermehr genehmigen. Aber man könnte sagen, wir betrachteten die Frage so, als ob sie durch den Tod Sultan Mahmuds gar keine Veränderung erlitten hätte. Unserer Ansicht nach hat sie dieß auch nicht. Hätte England die Forderungen Mehemeds unterstützt, oder wäre es auch nur neutral geblieben, so würde es in Konstantinopel an Bemühungen nicht gefehlt haben, die stark genug gewesen seyn würden, um den jetzigen Sultan zu bewegen, um Erfüllung des Tractats von Hunkiar Skelessi nachzusuchen. Diese Rücksicht allein hätte hinreichen müssen, Englands Benehmen zu bestimmen. Aber unser Beistand wurde nicht angeboten, um Sultan Mahmuds persönlicher Animosität zu willfahren, sondern um Interessen zu beschützen, die sich mit dem Inhaber des Thrones nicht ändern.“