Erſte Abtheilung.
Bildung fuͤr die Geſellſchaft.
Erſtes Kapitel.
Die Geſellſchaft, was ſie iſt und der Menſch in ihr.
Ueber nichts in der Welt hat man ſo
ſchwankende und gemiſchte Anſichten, als
uͤber die Bedeutung eines Wortes, welches
die allernatuͤrlichſte Richtung des Menſchen,
in jeder Lage und in jedem Verhaͤltniſſe, be-
zeichnet.
Wo ſich mehr als Einer, in einem zu
durchmeſſendem Raume befindet, da geſellt
ſich dieſer zu jenem, und es bilden ſich Ver-
eine, die durch Zahl und Raum bedingt,
beſchraͤnkter oder umfangender, immer in den
Begriff geſelligen Beiſammenſeins, zuſam-
menlaufen.
Weshalb wird nun dasjenige, was Alle
wollen, wonach ſich jedweder ſehnt, als
Gefahr bringend, ja, dem Heil des Jnnern
entgegenwirkend, angeſehen, ſobald es ſich
großartiger, vornehmer, vielſeitiger geſtaltet?
Das großſtaͤdtiſche Leben, die große
Welt und vollends der Hof und die dahin
gehoͤrigen Verſammlungen, Feſte und glaͤn-
zende Art und Weiſe werden gemeinhin als
Klippen urſpruͤnglich guter Grundſaͤtze be-
trachtet. Und fuͤhlen auch die Meiſten einen
geheimen Zug dahin, iſt gerade dieſe bedroh-
liche Spitze das Ziel ihres Hinanſtrebens,
ſo warnt dennoch Einer den Andern vor dem
gefaͤhrlichen Standpunkte. Es iſt, als laure
hier unvermeidliches Verderben, vor dem man
fliehen, gegen das man ſich nicht waff-
nen koͤnne.
Dagegen hoͤrt man ſogenannten vertrau-
lichen Zuſammenkuͤnften, zwangloſen Mit-
theilungen bei’m Theetiſch, engern Vereinen
auf dem Lande oder in der Provinz, fern
von den Einfluͤſſen der Mode und dem Bei-
ſpiele der Großen, das Wort reden, und
hier die Liebe zur Geſelligkeit, und was dieſe
fordert und bedingt, als natuͤrlich und ſchuld-
los preiſen.
Es iſt vielleicht ein Gluͤck zu nennen,
und von der Vorſicht mit liebreicher Nach-
ſicht bewilligt worden, daß die beſchraͤnkten
Verhaͤltniſſe ſo viel ſtolzes Selbſtbewußtſein
geſtatten. Sonderbar genug weiß ſich der
Menſch etwas damit, in ihnen zu leben;
einmal, als ſeien ſie die allein wuͤrdigen,
und anderer Seits, als haͤnge es von dem
Einzelnen ab, ſich anders zu ſtellen, als er
ſtehen ſoll. Dennoch iſt es ſehr gewiß, daß
in dem Herabwuͤrdigen eines Gutes oft die
Schadloshaltung fuͤr deſſen Entbehrung ge-
ſucht wird. Vielleicht findet und fuͤhlt
man ſich auch mehr und unmittelbarer, wenn
man nur auf ſich ſelbſt angewieſen iſt. Je
zuſammengezogener die Graͤnzen ſind, je be-
ſtimmter tritt die Perſoͤnlichkeit hervor. Es
iſt daher leichter in einem kleinen Kreiſe zu
gelten, als in einem umfaſſendern. Auch
bewegt man ſich bequemer in dieſem, wenn
man einmal Platz darin gefunden hat. Das
Selbſtgefuͤhl findet ſich um ſo wohlthuender
geſchmeichelt, je weniger es fuͤrchten darf,
durch vergleichenden Maasſtab von ſeiner
Gnuͤglichkeit einzubuͤßen.
Allein, wenn es auf ſolche Weiſe troͤſt-
lich wird, daß jede Lage, jedes Verhaͤltniß
den Erſatz fuͤr das Mangelnde in dem Maaße
bietet, als man ſich ſelbſt reich glaubt,
und dieſelbe Taͤuſchung, von der einen wie
von der andern Seite ſtatt finden kann, ſo
wuͤrde das nur beweiſen, daß es auch da
Jrrthuͤmer und Abwege giebt, wo man nicht
gewohnt iſt, ſolche vorauszuſetzen.
Dies angenommen, ſo entſtehet die Frage:
welches ſind die gefaͤhrlichern?
Die Loͤſung der Aufgabe wird ganz von
ſelbſt aus dem hervorgehen, was die Grundidee
der Geſellſchaft und das Characteriſtiſche ſoge-
nannter großer Welt in ihr genauer bezeichnet.
Es iſt ſchon vorher geſagt worden, daß
auf jeder Spanne der Erde die Natur Bande
zwiſchen den gleichgearteten Weſen geſchlun-
gen hat, ſo, daß ſich dieſe gegenſeitig ſuchen
und vereinigen. Wenn es hinreicht, daß der
Jnſtinct allein ſchon das Beduͤrfniß der Ge-
meinſchaft erweckt, und Thiere in einer Art
geſelligem Verbande leben, ſo hat der Menſch
noch eine ganz andere Aufforderung ſich mit-
zutheilen und zu ergaͤnzen. Der Geiſt, in
allen ſeinen unzaͤhligen Strahlenbrechungen
verlangt nach dem lebendigen Wiederſcheine
ſeines innern Lichtes. Das Herz empfindet
ſich ſelbſt nicht, ohne die Tauſende von Ab-
ſchattungen mannigfach-bezogener Gefuͤhle;
die Seele bedarf einer Welt, um ſich groß-
artig auseinander zu thun, ſich zu erheben,
und zu umfaſſen, was ſie allein erfuͤllen
kann. Daher tadle man den Trieb, welcher
uns von uns ſelbſt zu entfernen ſcheint, nicht
voreilig. Man iſt erſt etwas unter Vielen.
Hiernach wuͤrde die hoͤhere Beſtimmung
des Menſchen, die Geſellſchaft an ſich, noth-
wendig machen, und ſie ſelbſt nichts anders
ſein, als Sphaͤre geiſtiger Thaͤtigkeit. Je
groͤßer nun der Umfang, je freier, feiner,
behender die Entwickelung der Stoffe. Die
Staͤtte oder die Stadt, welche den meiſten
Raum bietet, wird auch das beweglichere
Leben in ſich faſſen. Die Anneigungen, das
Suchen und Fliehen, alle Reibungen muͤſſen
hier ſtaͤrker empfunden werden, als bei ge-
ringerm Wetteifer und maͤßigerm Verlangen,
ja, der allzuwogende Strom koͤnnte der Ent-
wickelung hinderlich werden, faͤnde ſich dieſe
nicht gerade durch die Gewalt des eig’nen
Strebens gezwungen, verſchiedene Richtungen
einzuſchlagen: denn wie ſich die anſchwel-
lende Fluth ſelbſt aus ihrem Bette draͤngt,
ſo entſtehen auch hier Trennungen, ſo bilden
ſich Klaſſen und Vereine. Was erſt unge-
duldig in einem Umkreiſe, in einer Ringmauer
zuſammtrat, ſcheidet ſich wieder mit gleicher
Haſt, um den eig’nen Weg zu geben, und
ſo laufen Alle die getheilten Weg in Einen
Punkt zuſammen, Alle ſuchen begruͤndetes
Daſein in Frieden, Einverſtaͤndniß,
Wohlſtand und Sicherheit.
Dieſe ſchirmenden Maͤchte geſelliger
Wohlfahrt tragen unmittelbar zu den Fuͤßen
eines herrſchenden Beſchuͤtzers, deſſen Naͤhe
jedem wuͤnſchenswerth, deſſen Obhut allen
unentbehrlich iſt.
Hauptſtadt und Hof ſind daher eben
ſo unzertrennlich von den Begriffen geordne-
ter Volksthaͤtigkeit, als ſie uͤbereinſtimmend
mit goͤttlichem Willen und ſittlicher Fortbil-
dung gedacht werden muͤſſen.
Jſt Gott nun ſelbſt mit Koͤnigen und
Fuͤrſten, giebt er ihnen Mittel und Werk-
zeuge, ſeine Welt zu veredeln, gehet die
Ruhe der Geſellſchaft von ihnen aus, ge-
deihet Kunſt und Wiſſenſchaft, Gedanke und
That, Freundſchaft und Liebe, jede heilige
und tiefe Verbindung der Geſchlechter unter-
einander, nur im Schutze der Geſetze und
deren natuͤrlichen Schirmherren, weshalb ſol-
len nun gerade diejenigen Kreiſe, welche ſich
unmittelbar eines hoͤhern Einfluſſes ruͤhmen
duͤrfen, die verderblicheren ſein?
Man hat es ſich ſo oft wiederholt, daß
eine Art Glaubensartikel daraus geworden
iſt, hier allein laure der Feind aller Sitte
und Tugend, thoͤrigt ſei die Mutter, welche
den unſichern Schritt der Tochter auf dieſen
Boden verlocke, und das weiche Herz den
Eindruͤcken entwuͤrdigender Eitelkeit blosſtelle.
Waͤre es ſo, welch’ ein Quell von Schmerz
fuͤr Diejenigen, deren Verhaͤltniß ſie an den
verrufenen Schauplatz feſſelt! Und was ge-
winnt man durch die ermuͤdende Warnung
gegen eine Gefahr, der unzaͤhlige blosgeſtellt
bleiben muͤſſen? Mich duͤnkt es viel wohl-
thaͤtiger, dieſer Gefahr einmal dreiſt in’s
Auge zu ſehen, und dem Wahne ein Ende
zu machen, als ſei es hinreichend, ſie zu
fliehen, um ihr zu entgehen. Wie viele neh-
men die unzugaͤngliche Beruhigung mit auf
die Flucht, ſiegreich aus dem Kampf her-
vorgegangen zu ſein, wenn ſie gar noch
nicht einmal wiſſen, wo der Feind aufgeſtellt
iſt? Waͤhrend ſie vor ſich und Andern groß
thun, ſich mit ihrer Selbſtbeherrſchung Wun-
der viel wiſſen, haͤlt die Eitelkeit ſo gut
Schritt mit ihnen, daß ſie ſie in ihrem
engern Aſyl eben wie im Theater, auf Pro-
menaden, Baͤllen und Maskeraden begleitet.
Nein, es waͤre in der That eben ſo unbillig
als ungereimt zu denken, daß ganze Klaſſen
und Geſchlechter von der Vorſehung gerade
durch dasjenige, zu dem ſie Geburt und
Stand berief, dem Verderben geweiht waͤren.
Wenn der Enthuſiasmus vor einem
Jahrzehent viele unter uns uͤberredete, Gott
muͤſſe ein ganzes Volk vernichten, um da-
durch den Quell allgemeinen Verderbens zu
verſtopfen, ſo war das der Enthuſiasmus,
der ſtets dem Momente angehoͤrt, und dem
ſolch’ unruhiges Wetterleuchten der Jdeen
zu verzeihen iſt, allein wenn ſich ein Vorur-
theil ſeit Jahrhunderten einniſtete, das nicht
nur zu den ſchreiendſten Ungerechtigkeiten
Anlaß giebt, ſondern flacher Nachſicht und
laͤſſigem Gleichmuth einer Seits, und von
der andern ſchwuͤlſtigem Duͤnkel erſt recht
Thuͤr und Thor oͤffnet, ſo iſt es wohl er-
laubt, hieruͤber ein und das andere Wort
zu ſagen.
Jſt es denn denkbar, daß es einen Be-
ruf, eine Wirkſamkeit, eine Stellung auf
der Erde gebe, welche durch ihre Natur das
Gute, wenn auch nicht abſolut, ausſchloͤſſe,
doch fern hielte, ſo daß es dem aufrichtig
danach Strebenden unausſprechlich ſchwer
gemacht und er zum Stillſtehen und Erlah-
men auf halbem Wege gleichſam autoriſirt
wuͤrde? Was berechtigt uns, ſo einſeitige
und duͤrftige Begriffe in die Weltordnung
hineinzutragen? Und bei Lichte beſehen, was
ſind es denn fuͤr Klippen, die aus der ra-
ſchen Fluth umgreifenden Weltlebens her-
vorragen? denn es iſt nicht genug, daß man
angebe, woher ſie drohen, ſondern welcher
Art ſie ſind. Die Antwort wird ſein: Ei-
telkeit, Ehrgeiz, Zerſplitterung der Gedanken,
Hinneigen der Gefuͤhle zu dem Oberflaͤchli-
chen, und wie die Urſachen des Boͤſen im
Menſchen ſonſt noch heißen moͤgen, ſie ſind
es, die durch beruͤckende Sirenenſtimmen ver-
locken und ſichern Untergang bereiten.
Nun, ich muß aufrichtig geſtehen, unter
allen den genannten Cardinalſuͤnden der
großſtaͤdtiſchen und feinern Welt begegne ich
hier keiner, deren Bekanntſchaft ich nicht
auch ſonſt ſchon gemacht haͤtte. Unter wel-
chen Beziehungen ſteht der Einzelne wohl ſo
allein, daß nicht der Wetteifer des Zuvor-
thuns Eitelkeit und Ehrgeiz in ihm weckten?
Wo iſt der verborgene Winkel, das unſchein-
bare Beginnen, in welchem dieſe Feinde der
Ruhe nicht dennoch niſteten? Nur allein in
Bezug des weiblichen Geſchlechts betrachtet,
ſo darf ich ſagen, von der gewaͤhlten Pariſer
Balltoilette bis auf den Sonntagsputz der
beſcheidenen Dorfkirch-Gaͤngerin, ſpricht ſich
derſelbe Trieb, den Sieg uͤber Andre davon
zu tragen, unlaͤugbar aus. Und gaͤlte es
das kleinſte Hausweſen, die allerdunkelſte
Wirkſamkeit in dieſem, die Ueberzeugung
mehr zu leiſten, als die Nachbarin, es beſ-
ſer, geſchickter anzugreifen, und bleibendern
Vortheil aus den Beguͤnſtigungen des Ohn-
gefaͤhrs zu ziehen, bieten der Eitelkeit in der
groͤbern Koſt eine ſo gute Nahrung, daß ſie
um ſo bequemer unter dem demuͤthigen Stroh-
dache weilt, als ſie hier weniger Umſtaͤnde
zu machen braucht, und unmittelbarer zum
Ziele gelangt.
Jch kenne die kleinen Zierereien, die na-
tuͤrliche Coquetterie ſchaͤferlicher Landſchoͤnen;
ich kenne den muͤtterlichen Ehrgeiz Einfluß
habender Matronen, und kann verſichern,
durch alle Abſtufungen der Geſellſchaft, mit
demſelben Motiv dieſelben Reſultate, unter
angemeſſenen Bedingungen der Form und
des Tones, gefunden zu haben.
Und am Ende, frage ich auch, weshalb
ſollte es nicht ſo ſein? Kommt es einmal
darauf an, vor ſich und Andern zu gelten,
ja, mehr zu gelten, als dieſe, das Ziel mag
hoch oder niedrig, fern oder nahe geſteckt
ſein, die Anſtrengung, dahin zu gelangen,
wird ewig den Frieden der Seele ſtoͤren, die
Bruſt einengen und Willen und Gedanken
in unzaͤhligen kleinen Beziehungen und Ruͤck-
ſichten zerſtuͤckeln.
Wer an ſich denkt, bezieht auch nur
das Leben auf ſich. Die Geſellſchaft, gleich-
viel, ob klein, ob groß, iſt nur fuͤr ihn da,
er nicht fuͤr die Geſellſchaft. Was hier hin-
dernd in den Weg tritt, wird an die Seite
geſchoben, wenn es ſich ſchieben laͤßt, oder
angegriffen, mit ſolchen Waffen, wie ſie dem
Angreifenden zu Gebote ſtehen, es ſei durch
Witz, Hohn, Laͤſterung, gemeine Klatſcherei,
immer fuͤhlt ſich der gehoben, welcher den
Nebenbuhler herunterzieht und einen kurzen
Moment den Fuß auf ſeinen Nacken ſtellt.
Jch frage: wo werden hierzu nicht
Verſuche gemacht? Man gehe von dem
Mittelpunkt bis zu der aͤußerſten Linie des
Kreiſes durch alle geſellige Jnſtitutionen hin-
durch, eine gewiſſe Liſt der Eitelkeit bezeich-
net uͤberall ihre Spur durch geheime Um-
triebe.
Und iſt dem ſo, entdecken wir dieſelbe
Triebfeder alles Unrechts im engern Vereine
der Familien, ja ſelbſt in der tiefſten Ein-
ſamkeit heilig Verbuͤndeter, mit welchem
Recht werfen wir denn den Stein auf die
ſogenannten Weltkinder, bei denen ſich das
ſelbſtiſche Treiben nur aͤußerlicher und
flacher geſtaltet?
Dieſe Flaͤche waͤre vielleicht denn nun
gerade der Vorwurf, den man mit Recht
den ausgedehntern und groͤßern Cirkeln zu
machen gedaͤchte; allein, ich ſehe doch auch
nicht, daß die Raiſonnements am Kaffeetiſch
2
tiefer gingen, als die am Theetiſch, eben ſo,
daß die Gefuͤhle kraͤftiger, die Gedanken con-
centriter, daß Wollen beſtimmter ſei auf einem
Kirmeßfeſt oder einem Caſſino-Ball in der
Provinz, als in Opern und Schloßſaͤlen.
Und will man, weiter fortgehend, Verſchro-
benheit der Phantaſie, Zerſplitterung der
Jdẽen als unausbleibliche Folge jener ge-
haͤuften Reibungen hoͤhern Geſellſchaftsle-
bens anfuͤhren, ſo frappirt die Wahrheit
hierin wohl augenblicklich, und zwingt zu
ſtiller Ueberlegung; allein dieſe, obwohl die
Gefahr nicht uͤberſehend, macht doch auch
den billigen Einwurf, ob die wochenlange
Beſchaͤftigung mit einer nachbarlichen Haus-
miſẽre, mit einer Domeſtiken-Anekdote, oder
verfehlten Geldſpeculation, und, was das
toͤgliche Einerlei, leerer, auf Nichtiges ge-
ſtellter Gemuͤther, ſonſt noch Pikantes beruͤh-
ren kann, ob dies, ſage ich, mehr Klarheit
und Beſtimmtheit im Jnnern zulaͤßt, als die
Vorſtellungen wechſelnder Carnevalsfreuden?
Alſo, Eitelkeit um Eitelkeit, hier oder
dort, jeder geſellige Verein iſt der Schau-
platz, auf dem ſie ſich entwickelt, ein jeder
ſoll ſich deſſen bewußt werden, und der Fein-
din mit ihrem laͤſtigen Gefolge, liebloſer und
ſtoͤrender Begleiterinnen nicht mehr Raum
geben, als ſie irdiſcher Wachſamkeit ab-
ſtiehlt.
So iſt denn der Menſch in der Geſell-
ſchaft angewieſen, dasjenige durch bewußtes
Wollen aufzuheben und auszugleichen, was
unwillkuͤhrlich Trennendes in der Wech-
ſelwirkung Vieler bedingt iſt. Mit einem
Wort: er ſoll die Geſellſchaft durch
ſich veredeln und ſich in ihr. —
Dies erfordert zu der allgemeinen eine
beſondere Bildung fuͤr ſie, deren Geſetze
und Bedingungen in Bezug auf das weib-
liche Geſchlecht hier zu ermitteln ſind.
Zweites Kapitel.
Allgemeine Geſetze des Umgangs.
Alles gegenſeitige Uebereinkommen im Leben,
aus Nothwendigkeit oder beſſerer Einſicht
erwachſend, gewinnt eine Form. Dieſe iſt
*
entweder urſpruͤnglich oder ſelbſtgebildet. Jm
erſteren Falle wird ſie ſich durch alle Zeiten
bewaͤhren, im Zweiten iſt ſie dem Augen-
blicke, wie den Bedingungen deſſelben un-
terworfen.
Es iſt ſehr leicht eine mit der andern
zu verwechſeln. Es darf nur dem Menſchen
etwas unbequem ſein, ſo uͤberzeugt er ſich,
daß das Hinderliche auch das Unweſentliche
ſei. Es gehoͤrt folglich, als ſolches, der Zeit an,
und kann nach Gefallen veraͤndert werden;
deshalb gruͤbelt er ſo lange uͤber Urſach und
Wirkung nach, bis er jene dem Zufall, dieſe
der Willkuͤhr zuſchreibt, und ruͤckſichtslos
Verhaͤltniſſe verletzt, die weit tiefer zuruͤck-
weiſen, als es der oberflaͤchliche Blick ent-
decken laͤßt.
Gemeinhin nimmt man es immer zu
leicht mit den Formen, weil die Anſichten
uͤber ſie durch Stimmungen motivirt werden,
und einmal, ein langweiliges, flaches Spiel
mit ihnen getrieben, oder andrer Seits, das
Urſpruͤngliche ſelbſt in ihrer Nichtachtung
zerſtoͤrt wird. So geſtaltet ſich das Weſen-
loſe puppenhaft und laͤcherlich. Es ſteht der
Kritik als willkommne Zielſcheibe blosgeſtellt.
Keine Hand iſt ſo ungeſchickt, die nicht, in
der Hoffnung des Gelingens, ihren plumpen
Pfeil darauf abdruͤckte. Daher die zahllos
wohlfeilen Spaͤße uͤber Gebraͤuche und Foͤrm-
lichkeiten alles deſſen, was nur unter be-
ſtimmten Bedingungen in’s Leben treten
kann, und namentlich uͤber das Herkoͤmm-
liche im Wechſelvereine der Geſell-
ſchaft.
Dem wuͤrde man entgehen, wenn man
nicht die Schale vom Kerne loͤſte, und hohle
Nuͤſſe zum Spielwerk der Thoren auswuͤrfe,
ſtatt die volle Frucht als geſunde Nahrung
darzubieten.
Jn den guten alten Tagen, wo Zwang
und Selbſtverleugnung noch keine unertraͤg-
liche Laſten waren, unterwarf man ſich uͤber-
kommenen Geſetzen, ohne weiter viel dabei
zu denken als: „es iſt ſo!‟ Das Leben
verlor nichts dabei an Friſche, die That
nichts an Energie. Der Menſch blieb bei-
ſammen, die Speculation hatte noch nicht
das Recht, ihn mehr in Anſpruch zu neh-
men, als die Pflicht. Jetzt will man von
Allem die Bedeutung wiſſen; bis auf die
Neigung des Kopfes oder der Knie fragt
man: „warum gerade das?‟ Es haͤngt
hiermit, wie mit jedem, was in der Zeit
entſteht, und eine Gewalt uͤber die Gemuͤther
uͤbt, vielerlei zuſammen. Ueberdem iſt es
einmal da! es kann nicht weggewiſcht und
weggezweifelt werden. Gleichwohl duͤrfte
vielleicht die herrſchende Richtung ſelbſt gerade
zu dem zuruͤckfuͤhren, von wo ſie ſich zu
entfernen ſtrebt. Sind die Geſetze gegenſei-
tiger Verbindlichkeiten im Leben einmal in
ihrer Wurzel aufgefunden, ſo kann auch
laͤnger keine Streitfrage uͤber die Form ihrer
Ausuͤbung entſtehen. Ueberdem, wenn gerade
dadurch, daß alles und jedes in’s Bewußtſein
treten muß, dem Unwillkuͤhrlichen, im Sein
und Empfinden, der allerſchlimmſte Zwang
aufgelegt ward, und, ſtatt warmem, freiem
Entgegenkommen, unabſichtlichen Reden, be-
ſcheidenem Urtheilen, nur inneres Zerfallen
aus den peinlichen Zergliedern der Begriffe
hervorgeht, ſollte man da nicht einmal ver-
ſuchen, alle die einzelnen Faͤden hoͤher an-
zuknuͤpfen? die unzulaͤnglichen Bedeutungen
in ein klares, genuͤgendes Erkennen zuſam-
menzufaſſen? Mit einem Worte, ſollte man
nicht erroͤthen, auf halbem Wege ſtehen ge-
blieben zu ſein, da Alles um uns her Auf-
forderung wird, die geſtoͤrte Uebereinſtim-
mung zwiſchen Gebot und Willen wieder
herzuſtellen?
Wir haben die Zuͤgel auf den Hals ge-
nommen und ſind querfeldein gerannt. Von
einer Richtung iſt nicht mehr die Rede. Es
gilt nur frei zu ſein. Waͤhrend dem greift
aber von allen Seiten dieſe und jene Hand
nach dem Lenkſeile. Wir werden hin und
her gezerrt, und ſind wahrhaftig uͤbel daran,
da wir nicht einmal wiſſen, wer Herr mit
uns ſpielt.
Es ſind zumeiſt Ruͤckſichten auf Schick-
lichkeit und deren conventionelle Formen, welche
Widerſpruch erfahren. Und doch beruhen
die Grundſaͤtze aller geſelligen Bildung gerade
hierauf. Gewiß, es ertruͤge es Niemand, in
einem Kreiſe zu leben, wo jedweder ſeinen
Anſichten und Ueberzeugungen zufolge, ſagte,
thaͤte und ließe, was er wollte.
Die Verwirrung nicht zu erwaͤhnen,
welche die ſtete Begleiterin der Willkuͤhr iſt,
welch herzloſes Trennen alles gemeinſamen
Jntereſſes, welch Zuruͤckkommen auf die ei-
gene Perſon, welch ein Einſiedlerleben unter
Vielen! Es iſt vielleicht der groͤßte Beweis
der Unnatur ſolcher Gattung abſtrakter Na-
tuͤrlichkeit, daß die Phantaſie gar kein Bild
dafuͤr hat, und die Erfahrung ſeit Anbeginn
der Welt, nichts dem aͤhnlich aufzuweiſen
vermag.
Ueberall dringt die Nothwendigkeit das-
jenige als unerlaͤßlich auf, wogegen der Ver-
ſtand nur deshalb ſtreitet, um es bis zu ſei-
nem Urſprunge verfolgen, und dort in dem
ruhigen Licht der Wahrheit begreifen zu
koͤnnen.
Schon in der Kinderſtube waltet das
Geſetz gegenſeitiger Beruͤckſichtigung vor.
Einer muß hier, wie ſpaͤterhin im Leben,
dem Andern Raum geben, ſich der Begier
nach dem Gute des Bruders und der Schwe-
ſter enthalten, von dem Seinen mittheilen,
nicht dem Genuß der Uebrigen durch Zwi-
ſchentreten und Zudraͤngen verkuͤmmern, und
in dieſen Grundſaͤtzen fortgehend, weder
durch Geſchrei das Wort behalten, noch durch
allzuausbreitende Geberden die Anſpruͤche
des Nachbarn hemmen wollen. Die ver-
ſtaͤndige, oder bequeme Waͤrterin wird vor
allem bemuͤht ſein, Frieden unter ihren Zoͤg-
lingen zu erhalten, und zu dem Ende auf
gefaͤlliges Gewaͤhren oder Entſagen, auf
Selbſtvergeſſen und Beruͤckſichtigung Aller
dringen. Schwerlich aber wird ſie zu ihrem
Zweck gelangen, ohne Feſtſtellung gewiſſer
Regeln und Geſetze. Und dieſe, welche auf
ſolche Weiſe aus den erſten Elementen ge-
ſelligen Daſeins hervorgehen, gelten ſpaͤter-
hin fuͤr das ganze Leben. Die Liebenswuͤr-
digſten, wie die Einflußreichſten und begluͤk-
kendſten Menſchen ſind immer diejenigen, die
jene freundlichen Gewohnheiten erſter Erzieh-
ung zu einer andern und beſſern Natur ge-
macht haben. Man empfindet ihre Naͤhe,
ohne jemals abſichtlich an ſie erinnert zu
werden. Die leiſen Beruͤhrungen eines fei-
nen, vermittelnden Weſens thun wohl, wie
der erfriſchende Hauch einer weichen Atmos-
phaͤre. Man athmet auf, theilt ſich mit,
fuͤhlt ſich ergaͤnzt, wird vollſtaͤndiger und
klarer, kurz, der Zauber der Harmonie um-
zieht uns, ehe wir ſagen koͤnnen, woher er
kommt! Das iſt, was wir Grazie des Um-
gangs nennen.
Sie entſpringt nicht ſowohl aus gegen-
ſeitigem Bemuͤhen einander zu gefallen,
als aus dem Beduͤrfniß Andern gefaͤllig zu
ſein. Man kann ſich liebenswuͤrdig erzeigen
wollen und ſehr unbequem werden, aber
niemals blieben anſpruchsloſe Guͤte, ſanftes
Gewaͤhrenlaſſen, beſcheidene Beruͤckſichtigung
fremder Wuͤnſche, unempfunden, unerwidert.
Treibt gleichwohl die Natur den Menſchen
hierzu? Wird dieſer, wenn er ſich gehen
laͤßt, zuerſt an den Naͤchſten, oder an ſich
denken? Ja, denkt er uͤberall? will er
nicht vielmehr? Und iſt der Gedanke nicht
blos das Bild des Gewollten? Man ſehe
nur zu. Die geprieſene Natuͤrlichkeit macht
die unausſtehlichſten Tyrannen der Geſell-
ſchaft.
Alſo widernatuͤrliches Anerzie-
hen taͤuſchender Aeußerlichkeiten,
koͤnnte hierauf eingewandt werden, darauf
kaͤme es bei dem an, was man geſellige
Bildung nennt?
Es klingt ſo; aber es iſt nicht ſo.
Freilich laͤßt es ſich nicht laͤugnen, ohne
Erziehung gibt es keine Wohlgezogenheit.
Und eben ſo, ohne Zwang gibt es keine beſ-
ſere Natur. Das Geſetz muß in Ueberein-
ſtimmung bringen, was die Willkuͤhr zer-
ſtuͤckelt hat.
Wie aber, mag ſich, von dieſem Grund-
ſatze ausgehend, noch irgendwo Unbefangen-
heit, freie, innere Beſtimmung, abſichtsloſes
Denken und Empfinden retten, wenn Alles
im Leben Gebot wird? und was ſchwatzt
man noch von Unbewußtheit, von natuͤrli-
cher Hingebung, von jenem unwillkuͤhrlichen
Blitz jugendlicher Sympathie, da der Druck
des Geſetzes jedes Entfalten und Erbluͤhen
kuͤnſtlich zuruͤckhaͤlt und in enggegoſſene
Formen bannt? „Es iſt laͤcherlich,‟ hoͤr’
ich ſagen, „wie das affectirte Spiel kleiner
verbrauchter Kunſtſtuͤcke, die ſich allenfalls
im Reifrocke, in der Schnuͤrbruſt ertraͤglich
ausnehmen, die nichts als ein eingelerntes
Exerzitium waren, es iſt laͤcherlich, jene Re-
geln franzoͤſiſcher Bonnen jetzt mit hochklin-
genden Namen belegen zu wollen, und von
nichts zu reden, als Selbſtvergeſſen,
Aufopferung eigner Bequemlichkeit
zu Gunſten Anderer, Nichtdaſeinwollen,
und wie die moderne Gramatik ſonſt noch
das Alltaͤgliche umtauft. Was heißt: nicht
an ſich denken und ſich doch bewachen? Wie
vertragen ſich die ſteten Anregungen zu Auf-
merkſamkeit und Beruͤckſichtigung des Gan-
zen mit unſchuldigem Frohſinn, und der
Einfalt in Sitte und Betragen, die man
doch anderer Seits als das Eigenthuͤmliche
hoher, edler, geprieſener Weiblichkeit for-
dert?‟
Jch moͤchte dieſen Einwendungen durch
eine andere Frage begegnen. Wie kommt
man mit ſich, wie mit dem Leben, uͤberall
ohne Liebe zurecht? Wo ſuchen wir die
Seele jenes großen, aus moraliſch-philoſo-
phiſch, oder conventionellen Begriffen zuſam-
mengebauten Koͤrpers, den wir Geſellſchaft
nennen, wenn wir ſie nicht in den innern
Jmpulſen eines hoͤchſten Ewigen unwider-
ſtehlich empfinden? Was iſt all’ unſer Dich-
ten und Trachten unter einander mehr, als
in wechſelſeitiger Mittheilung ſtoͤrungslos,
heiter und lebensfroh zuſammen zu bleiben?
und loͤſen ſich die Jdeale des Schoͤnen und
Erhabenen nicht fuͤr jedes warme Herz in
das Bild eines himmliſchen Reiches der Ein-
tracht und Liebe auf?
Wenn dem ſo iſt, wenn die beiden Ge-
bote: „Liebe Gott uͤber Alles und Deinen
Naͤchſten wie Dich ſelbſt,‟ das A und O
aller menſchlichen Weisheit umfaſſen, ſo wer-
den die Geſetze des Umgangs auch wohl
hierher zuruͤckweiſen, und die conventionellen
Bedingungen geſelliger Schicklichkeit nur die
nach Außen gewendete Form des Weſentli-
chen unſerer Religion bezeichnen.
Es mag etwas Frappantes haben, daß
ich die Etiquette eines Salons mit dem
tiefſinnigen Ernſt heiliger Lehre zuſammen-
zuſtellen wage, gleichwohl iſt doch nichts
deſtoweniger zwiſchen beiden ein unleugbarer
Zuſammenhang. Die Regeln des Hof-
Dienſtes, oder der Hoͤflichkeit, (aus den
Geboten der Selbſtverleugnung abgeleitet)
ſind nur ein Act des Gehorſams, der zu-
naͤchſt durch die Stimme der Religion von
denen gefordert wird, die ſich des Schutzes
der Geſetze vertrauen, und dem Beſchuͤtzer
huldigen. Jnnerhalb dieſer Schranken ent-
ſtehen Beruͤckſichtigungen, die bald verviel-
fachte Pflichten nothwendig machen, alle aus
demſelben Princip erwachſend, alle dieſelben
Zwecke beabſichtigend, die Bande der Geſell-
ſchaft feſter zu ziehen und durch das Be-
duͤrfniß gegenſeitiger Ergaͤnzung, Vertrauen
und Liebe eben ſo unwillkuͤhrlich, als noth-
wendig zu machen.
Jn dieſem Sinne iſt jedes geſellige Ver-
haͤltniß hoͤherer Pflichtuͤbung geweihet.
Selbſt die frivolſte Verſammlung traͤgt durch
das Band beruͤckſichtigender Hoͤflichkeit, noch
jenen Stempel urſpruͤnglicher Beſtimmung.
Wenn dies den Geſichtspunkt angiebt,
von dem die Geſetze des Umganges an Wich-
tigkeit gewinnen: ſo ſoll uns die Ausbil-
dung fuͤr dieſen Zweck des irdiſchen Daſeins
lieb und jede einzelne Aufgabe, die dahin
fuͤhrt, ein Gegenſtand ernſter Betrachtung
werden. Keine iſt gleichguͤltig, keine darf
unbeachtet bleiben, und was die Bequemlich-
keit ſich auch weißmacht, Genuß und Ver-
gnuͤgen gewinnen nichts durch jenes nachlaͤſ-
ſige Gehenlaſſen, was die ſogenannte Denk-
freiheit ſeit einem halben Jahrhundert dem
Kinde in den Windeln ſchon inoculirte. Un-
ſre uͤbernoſſene Jugend kennt nichts, das ſie
fuͤrchtet, nichts, das ſie hofft, denn ſie will
nichts als ſich ſelbſt, und wenn dieſe Ge-
ſellſchaft auch weiter keine Geſetze des Um-
ganges auflegt, als daß ſich alles dem Ge-
bote des Egoismus unterwerfen ſolle, ſo
fuͤhrt doch gerade eben dies eine Art baby-
loniſcher Sprachverwirrung herbei, die jedes
geſellige Einverſtaͤndniß, jede wahre, leben-
dige Gemeinſchaft, kurz die Waͤrme und
Fuͤlle, das Gnuͤgliche geiſtiger Befreundung,
hemmt.
Wir werden umkehren und demuͤthig die
Schranken wieder aufrichten muͤſſen, die wir,
nicht etwa uͤberflogen, die wir duͤnkel-
haft und gewiſſenlos niedergeriſſen haben.
Nehmen wir zuvoͤrderſt an, daß die
ſanfte Vermittelung der Religion uns hierzu
allein die Hand bieten koͤnne, ſo werden wir
weitergehend, ſie uͤberall zur Fuͤhrerin behal-
ten wollen, und durch ſie die Widerſpruͤche
loͤſen, in welche das natuͤrliche Wollen
und der aͤußere Zwang gegenſeitiger
Verpflichtungen, uns ſcheinbar verſtricken.
Drittes Kapitel.
Converſation.
Es ſchien mir unerlaͤßlich, den Standpunkt
im Allgemeinen feſtzuſtellen, von dem ich
das geſellige Leben betrachtet wiſſen will.
Von irgend wo, muß man ausgehen.
Eben ſo, die Richtung muß man kennen,
wenn man gegen Wind und Wellen zu ſteu-
ern geſonnen iſt.
Jetzt gilt es von dem Allgemeinen zu
dem Beſondern uͤberzugehen.
Was die Geſellſchaft, was der Menſch
in ihr ſey? in wiefern ihn ein urſpruͤngli-
cher Beruf den Geſetzen des Umganges un-
terwerfe? welcher Natur und Beſtimmung
dieſe Geſetze ſich ruͤhmen duͤrfen? dies Alles
iſt geſagt worden, wie es Einſicht und Ue-
berzeugung geſtatten.
Es kommt nunmehr darauf an, dieſe
Erforderniſſe geſelliger Bildung naͤher zu
bezeichnen.
Wir fangen mit der Sprache, und dem
was dieſe bedingt, dem Geſpraͤche an.
Unter allen Zweigen fortgeſchrittener
Entwickelung, deren wir Deutſche uns mit
einigem Stolz bewußt ſind, ſcheint mir den-
noch die Sicherheit in Ton und Ausdruck,
das Gefaͤllige und Edle in der Unterhaltung
am wenigſten gefoͤrdert. Dieſe ſelbſt be-
wahrt nur ſelten ihren eigenthuͤmlichen Cha-
3
racter. Sie ſtokt entweder ganz, oder ſie
duldet mitten unter Vielen, einzelne confi-
dentionelle Tete a Tete’s, ſo daß Paarweiſe
zuſammengeruͤckt, heimlich gefluͤſtert, oder
uͤber Gegenſtaͤnde docirt wird, welche der
allgemeinen Theilnahme entbehren. Erin-
nert man ſich denn doch zuletzt an das un-
paſſende ſolcher Eroͤffnungen, oder, wird die
Langeweile juſt von denen empfunden, die
ſich aufgelegt fuͤhlen, dem Uebel abzuhelfen,
ſo bemaͤchtigt ſich wohl Einer oder der Andere
des Wortes. Er hat es nun, und laͤßt es
auch nicht wieder los, indem er eine Reihe
Anecdoten, gleichviel ob bekannt? oder un-
bekannt aberzaͤhlt, und dem unluſtigen Schwei-
gen, wie der vornehmen Selbſtbeſchaͤftigung
Anderer dadurch den erwuͤnſchten Vorſchub
leihet.
Jn der Regel wird die Converſation,
und die Gabe, dieſe zu unterhalten, als
etwas ſo außerweſentliches angeſehen, daß
ſich die Gebildeten heutiger Zeit viel zu
gut fuͤr dieſem Frohndienſt des Herkoͤmm-
lichen halten, Sie opfern ihr Scherflein
mit ſauerm Geſicht und Achſelzucken, und
ziehen ſich unter dem Gebraus frivoler Arm-
ſeligkeiten, in den heiligen Abgrund unſterb-
lichen Wiſſens zuruͤck, wo ſie, Unermeßliches
traͤumen, ohne je etwas davon zu verra-
then. Wenn ſo die Erhabenheit ſich in ſich
ſelbſt verkriecht, und ſie nur, das Vorurtheil
zu ſchonen, das Geringgeachteteſte und Gleich-
guͤltigſte ihrer Meinung nach, die trockene,
aͤußere Erſcheinung in die Geſellſchaft traͤgt,
ſie dort aufs Ohngefaͤhr figuriren laſſend,
was kann wohl noch geſagt oder beſprochen
werden, das der Muͤhe verlohnte? Zu klug
und zu unbeholſen behandelt man das Ge-
ſpraͤch als etwas rein Mechaniſches, unbe-
kuͤmmert, ob die Stifte der Maſchiene ver-
roſten oder gar fehlen; ein gewiſſes ver-
nehmliches Geklapper laͤßt ſich immer noch
hoͤren.
Aus dieſer Nichtachtung des hellen, hei-
tern Lebensverkehrs entſteht dann allmaͤhlig,
außer der ſchroffen Denkweiſe, eine Sproͤ-
digkeit und anmuthsloſe Pedanterie der Ge-
ſellſchafts-Sprache, oder ganz frivoles Ver-
*
lachen derſelben; was ſehr merklich auf die
Buͤcherſprache uͤbergeht, und jenes charac-
terloſe Schwanken des Styls zwiſchen po-
etiſcher Proſa und proſaiſcher Poeſie erzeugt,
was an ſich ſchon ſo ſelten zu einem reinen
Guß des Ganzen kommen laͤßt, ganz beſon-
ders aber dem modernen Roman, wie dem
Luſtſpiel das Gepraͤge der Unvollkommenheit
aufdruͤckt. Die ſeinere und edlere Gattung
des Letzrern geht uns deshalb faſt ganz ver-
loren. Wir haben den Dialog nicht in un-
ſerer Gewalt. Dieſer ſoll aus der gebilde-
ten Converſation hervorgehen, wie ſie, leicht
gefaͤllig, geiſtreich, zwanglos und von ſo
vornehmer Natur ſein, daß die Schranken
des Schicklichen ſich frei erweitern, und Nie-
mand ſie uͤberſchreitet. Jnnerhalb derſelben
bewegen ſich Witz und Phantaſie, Scherz
und Laune, Verſtand und Guͤte. Es darf
nichts vermißt und doch nichts geſucht wer-
den. Es identifirt ſich gleichſam das Ge-
ſammtſeyn des Jnnern zu einem unwillkuͤhr-
lichen Ausdruck allgemein-verſtaͤndlicher Mit-
theilung. Der Grundton bleibt ſtets der-
ſelbe, aber die Modulationen des Tones
werden durch die Faͤhigkeit der Werkzeuge
und den Sinn fuͤr Harmonie beſtimmt; Je
nachdem dieſer Letztere das Leben begleitet,
Anforderungen macht und allmaͤhlige Herr-
ſchaft gewinnt, je weniger kann das Unpaſ-
ſende genuͤgen. So betteln wir bei Frem-
den, weil uns das Beſchloſſene, das Ueber-
einſtimmende ihrer Dramatiſchen Komik be-
ſticht. Wir haben unrecht. Es liegt nur
daran, daß wir bis jetzt den umgekehrten
Weg einſchlugen. Unſere Geſellſchaftsſprache
oder Converſation bildeten wir aus Buͤchern.
Es fehlt ihr der Hauch des Unmittelbaren.
Abſicht, Pretention, Unſicherheit, Ueber-
ſchwenglichkeit und plattes laſſen ſich nach
dem Maaße herausfuͤhlen als Lectuͤre, Un-
terricht, wiſſenſchaftliches Studium, poeti-
ſche Verſuche, trivialer oder frivoler Lebens-
verkehr, die Sprache zuſammenwuͤrfelten.
Ziehen wir nun ſolch Gemengſel in das
Gebiet der Kunſt, um in dieſem Spiegel
die Bilder des Lebens zuruͤckzuwerfen, ſo
ſtoͤrt uns das Mangelhafte darin. Wir ver-
miſſen jene behende, vermittelnde Elemente
feiner Luſtigkeit, die Jronie iſt ſo ſchwer,
Die Blitze der Laune ſo ſcharf, das Hin
und Wieder witziger Neckerei ſo abgeſetzt
und ſchleppend, der Gedanke hat ſchon er-
gaͤnzt, ehe die Antwort da war, der Pfeil
ſinkt ſtumpf zuruͤck, der Effect iſt verfehlt.
Warum das anders, als weil es eingelernt
und nicht gefunden ward. Jn den meiſten
Faͤllen werden Buͤcher aus Buͤchern geſchrie-
ben. Das Leben iſt aber bei dem Lebendi-
gen, und ſo lange wir die Gegenwart nicht
hoͤher anſchlagen, den Verhaͤltniſſen in ihr
nicht mehr friſche und natuͤrliche Aufmerk-
ſamkeit ſchenken, unſern Beruf nicht beſſer
erkennen, die Nothwendigkeit ſehen und hoͤ-
ren zu lernen, nicht wahrhaft fuͤhlen —
ſo lange werden wir auch nicht zu ſprechen
verſtehn, mit einem Worte, wir werden das
Dramatiſche des geſelligen Umganges nicht
begreifen. —
Jſt aber die ſchoͤne harmoniſche Spra-
che eine der erſten Bedingungen zu vielſei-
tiger Mittheilung, ſo wird mit der Aufgabe
eine ſolche ſein zu nennen, zugleich die Frage
entſtehn; wie erwirbt man ſie? Man lernt
die Grammatik, unſre Jugend lieſt Unſaͤg-
liches, ſchreibt Briefe und briefliche Abhand-
lungen, weiß recht zierliche Phraſen zu ma-
chen und hat eine kritiſche Stimme uͤber
Schauſpiele und Lieblingsſchriftſteller. Aus
dieſem allen erwaͤchſt gleichwohl entweder
ein ſcientiviſch abſprechender Ton, vorneh-
mes Ueberhinfahren, kurzes Abfertigen, oder
ein gewiſſes ſentimentales Verſchwimmen,
was immer nur ahnden, nichts verſtehen
laͤßt. Eine ordentliche Folge der Rede und
Gegenrede, das Eingreifen der Gedanken,
der Wechſeltauſch derſelben, ihr jaͤhes Aus-
ſtroͤmen und behendes Erfaſſen, kurz die elec-
triſche Kette geiſtiger Beruͤhrungen, bildet
ſich nicht ohne gemeinſame Vermittelung.
Das Beduͤrfniß, ſich zu ergaͤnzen,
erfriſchend zu beleben, muß die Jndi-
viduen zueinander geſellen. Man will hoͤren
und gehoͤrt werden. Dies allein ſetzt be-
ruͤckſichtigende Achtung voraus. Es genuͤgt
nicht, auf’s Gerathewohl Worte auszuwer-
fen; Einer, der ſie aufnehmen ſoll, muß ſie
auch zu erwiedern wiſſen. Wie kann das
ohne vollſtaͤndige Aufmerkſamkeit, ohne Be-
ſtreben, deutlich zu werden und beſtimmt zu
verſtehen, ohne den Wunſch klar und ein-
leuchtend zu uͤberzeugen, oder das Entgegen-
geſetzte auszugleichen, moͤglich werden? Muß
hierzu nicht der Ausdruck des Gedankens,
dieſen entſprechen? darf er ſchwankend, oder
uͤbertrieben vorgetragen, unter kuͤnſtlichen
Phraſen verſteckt, oder auf triviale Weiſe
unterſtuͤtzt werden?
Jch kenne ſehr wenige Menſchen, wel-
che das Wort in ihrer Gewalt behielten.
Es geht mit ihnen durch, und ſtolpert, je-
mehr ſie es hervorzuzwingen bemuͤht ſind.
Man begleite nur die geſelligen Discuſſionen.
Wie uͤbertrieben, wie ſtachlicht, laut und ge-
waltſam draͤngen ſich die Kaͤmpfenden nicht
gegen die aͤußerſte Schranken der Arena,
bis jene durchbrochen ſind und die Zuſchau-
er auf das unbequemſte beunruhigt, ſich
weit weg von dem tumultariſchen Schau-
platze wuͤnſchen, wo um eine Hand voll
taube Nuͤſſe Sitte und Grazie verletzt wur-
den!
Eben ſo geht das Talent des Erzaͤh-
lens, was die Selbſtbeſchaͤftigung und das
Alleinherrſchen in der Geſellſchaft, allenfalls
noch in Anſehen erhielt, es geht durch die
Gewohnheit, nur ſich ſelbſt verſtaͤndlich ſeyn
zu wollen, allmaͤhlig verloren. Die Dar-
ſtellung und das Dargeſtellte ſchmelzen nicht
zuſammen wie ein lebendiges Ganze, das
ſich vor unſern Augen geſtaltet, und zutraͤgt.
Der Wunſch, die Hoͤrer in das Gebiet des
Geſchehenen hineinzuziehen, die Luft, die
Farbe, den Hauch des Daſeins wieder zu
erzeugen, und in der eigenthuͤmlichen At-
mosphaͤre Menſchen und Verhaͤltniſſe, ihrer
Natur nach walten zu laſſen, der Wunſch
beſeelt den Erzaͤhler, nur in ſofern er ſich
in einem Knnſtwerk zu genuͤgen gedenkt.
Mit einem Wort: er iſt nicht mit in der
Geſchichte drin; er ſteht draußen, und dreht
an den optiſchen Kaſten, deſſen Bilder er
zur Schau ausſtellt, einzig mit den Worten
der Erklaͤrung beſchaͤftigt, dieſe bald uͤber-
maͤßig waͤhlend, und dadurch verſtrickend,
bis zum Unverſtaͤndlichen, bald, befliſſener
Deutlichkeit wegen, in unabſehbare Breite
ausſpinnend. Der Eindruck welcher zu-
ruͤckbleibt iſt deshalb nie, der, von etwas
Wirklichen. Es kommt zu keiner Anſchauung.
Die Farben durchſchneiden ſich, das Stuͤck-
werk bleibt Stuͤckwerk.
Man hat zur Entſchuldigung dieſer
Mangelhaftigkeit des Ausdrucks angefuͤhrt,
der Reichthum ueuer und großer Jdeen uͤber-
fuͤlle die Einbildungskraft eines jugendlichen
Geſchlechts, das noch nicht ſo ſchnell Worte
fuͤr das Gedachte und Gefuͤhlte finden koͤn-
ne. Die brauſende Fluth erſchuͤttre ihr
tiefſtes inneres Weſen. Dieſes bebe gleich-
ſam in ſich, und erſcheine in dem Streben,
die ausgedehnte Schranke des Selbſterfaſſens
auf’s Neue feſtzuſtellen, unſicher und cha-
racterlos.
Man muß geſtehen, der Troſtgrund iſt
ſo ſchmeichelhaft als hoffnungsreich, und
recht geeignet, es eine Weile mit anzuſehen
und die Confuſion machen zu laſſen. Die
gaͤhrenden Stoffe werden ſich ja denn wohl
endlich einmal ſetzen und Ordnung und
Geſetz aus dringender Nothwendigkeit her-
vorgehen. So beruhigt man beſorgte Eltern
bei den Ausbruͤchen ungezuͤgelter Wildheit
ſchlecht gewoͤhnter Kinder, mit der Verſi-
cherung: Alles das werden die armen En-
gel nicht mehr ſagen und thun, wenn ſie
ſechzehn Jahr alt ſind! Das gewiß nicht!
aber die Richtung bleibt dieſelbe, und der
Leidenſchaftliche oder Stoͤrige wird aus
demſelben Naturtriebe, wenn man dieſen
progreſſiv walten laͤßt, ſpaͤterhin ſuͤndigen
wie er fruͤherhin fehlte. —
Geſetzt alſo, es verhielte ſich mit dem
uͤbermaͤßigen Jdeenreichthum unſerer Zeit
wirklich ſo, wie es viele annehmen, was
gewinnen wir dadurch, dem Ueberfluſſe ſo
lange einen ungeregelten Lauf zu geſtat-
ten, bis Verwoͤhnung und Bequemlichkeit
der willkuͤhrlichen Richtung den Anſtrich des
Naturgemaͤßen geben, und die Ruͤkkehr zur
Ordnung erſchweren? Und abgeſehen von
dem, was die Zukunft unter ihrer Huͤlle
bereitet, was nie zu berechnen, nie unbe-
dingt vorher zu ſagen iſt, ſoll dann die Ge-
genwart nicht das Recht haben, dasjenige
was in ihr ſtoͤrend mit vielem anderm zu-
ſammenfaͤllt, dreiſt anzufaſſen, unbeſchoͤni-
gend herauszuheben, und es in ſeiner Ver-
unſtaltung zu zeigen?
Allein, aufrichtig geſtanden, glaube ich
auch noch gar nicht, an eine Ueberſchweng-
lichkeit, die ſo lange vergeblich nach Maaß
und Gleichgewicht ſuchen muͤßte. Mir kommt
vielmehr vor, als haͤtten wir nur die Stel-
lung veraͤndert, und durch die ſchiefe Lage
alles in uns ſo durch einander geſchuͤttelt,
daß wir auf einer Seite mit dem Zuviel
nicht auszukommen wiſſen, wenn wir in tau-
ſend Hinſicht wieder Mangel und Unzulaͤng-
lichkeit ſpuͤhren. Verſchobene Verhaͤlt-
niſſe, ſie ſind unſre Krankheit, und dieſe
macht auch die Sprache, wie das Geſpraͤch
ſtotternd, undeutlich ohne Folge und Wohl-
laut.
Nicht Buͤcher und Rednerkuͤnſte, nicht
auswendig gelernte Gedichte und poetiſche
Phraſen werden dem Uebel abhelfen. Die
einzig wahre Poeſie des Lebens, die aus
dem Gemuͤthe kommt: Guͤte und Liebe, freund-
liches beruͤckſichtigendes Wohlwollen, mitem-
pfindendes Verſtehen, williges Gewaͤhren-
laſſen und ſtandhaftes Selbſtbehaupten, ſie
allein goͤnnen der Grazie freien Zutritt
und hauchen Seele in das voruͤberrauſchende
Wort. Dieſes bildet ſich von ſelbſt, und
findet Folge und Nachdruck, ohne beides zu
ſuchen; denn nichts ſchaͤrfet ſo den Ver-
ſtand, nichts ſtimmt das Empfindungsver-
moͤgen ſo zart und befluͤgelt den Geiſt zu
den kuͤhnſten Schwingungen als lebendiger
Verkehr des Umganges, als das Blitzen
und Zuͤnden einander zugeworfener Anſich-
ten, als das Suchen nach einem Echo
in der Menſchenbruſt, nichts erwaͤrmt und
hebt wie das Leuchten des klar gewordenen
Gedankens.
Die Faͤhigkeit wie die Fertigkeit der
Converſation entwickelt und erwirbt ſich da-
her durch die fruͤhe Gewoͤhnung, den zu
achten, mit dem man redet, ihm das Beſte
und Geſcheudteſte zu geben, was man hat
das Geringfuͤgige ſelbſt, gefaͤllig und ſo vor-
zutragen, daß etwas darin iſt, was ſich her-
ausfuͤhlen und wohlthuend erwiedern laͤßt.
Nehme ich auf ſolche Weiſe die Theilnahme
eines Driten mit Beſcheidenheit in Anſpruch,
fuͤhle ich mich durch dieſe Theilnahme zu
der Pflicht verbunden, ſie ihm zu lohnen,
ſo wird es ſein Jntreſſe nicht das meinige
werden, was mich zu Aufmerkſamkeit und
dem Bemuͤhen treibt, ſo geiſtreich, ſo un-
terhaltend und liebenswuͤrdig zu erſcheinen,
als ich es in der natuͤrlichen Anneigung
zu wohlwollenden Menſchen ſeyn kann.
Jch will es nicht leugnen, daß hierbei
wie uͤberall die Eitelkeit ihr Spiel treiben
koͤnne, denn wo bliebe ſie jemals aus! allein
immer wird ſie hier durch ein freundliches
Beſtreben gemildert. Das Jch tritt doch
wirklich zuruͤck, und wo es ſich einmiſcht,
geſchiehet es zu Gunſten Anderer, und bleibt
ſich ſelbſt, vielleicht unbewußt. Es will
wenigſtens nicht verletzen, nicht auf fremde
Unkoſten ſeinen Glanz erhoͤhn. Jm Gegen-
theil wird dem Wunſche, zu gefallen, das
beſcheidene Ziel guͤnſtiger Aufnahme geſteckt.
Es kommt alles darauf an, wie weit das
Bemuͤhen gelingt, und in dieſem Sinne kann
Abſicht ohne Abſichtlichkeit beſtehen, und
viel Unbefangenheit neben ruͤckſichtsvollem
Nachdenken ſtatt finden. Jch glaube, die
Natuͤrlichkeit wird nichts dabei verlieren,
wenn ſie ſich liebenswuͤrdig zeigt.
Man verſuche es nur einmal, das, was
man ſagt mit Beruͤckſichtigung auf die an-
genehme Unterhaltung ſeiner Umgebungen
laut werden zu laſſen, eben ſo, ſich willig
zu zeigen, die Gaben Anderer frei und ge-
faͤllig aufzunehmen; den reinen Wunſch be-
gleitet ſicher muͤheloſes Gelingen.
Wir bezeichnen mit Recht den als tact-
los, der Stoͤrendes beruͤhrt. Ermangeln
aber nicht alle des Taktes, die keine Har-
monie zu finden wiſſen? Und kommt es
nicht oft auf den erſten falſchen Ton an,
welcher angeſchlagen wird, um eine Ver-
wirrung zu erzeugen, in der Niemand mehr
zurecht findet? Die richtige Stimmung wird
alſo Vieles bedingen.
Von Natur findet ſich ſelten Einklang
unter vielen. Geſellige Sitte und gleiche
Verpflichtung, die Geſetze derſelben erfreu-
lich zu machen, muͤſſen erſt das Wiederſpre-
chende ausgleichen. Jch frage aber, wie
gleicht ſich das aus, wenn man gering-
ſchaͤtzig ſchweigt oder abſprechend entſcheidet?
Docirt oder Phantaſirt? Das friſchgelegte
Ey neuer Weisheit jackernd verkuͤndet, kei-
nen andern Ton aufkommen laͤßt, oder
muͤrriſch und truͤbſelig zu den kleinen Nich-
tigkeiten der Gegenwart darein ſieht, die
auch ſein muͤſſen und denen man nur die
leichte Zierlichkeit der Silphien leihen ſollte,
um ſie als behende Boten durch die Kreiſe
des buntgemiſchten Lebens harmlos ſchwir-
ren zu laſſen.
Alles zuſammengefaßt, ein Bischen
weniger Selbſtliebe, einige Achtung fuͤr An-
dre, gemaͤßigte Syſtemwuth, großartiges Den-
ken und ruͤckſichtsvoller Zwang im Sein
und Handeln, ich wette, die Schranken
wie die Schwingen des Worts halten und
beleben ein Geſpraͤch von ſelbſt, das naͤchſt
gemuͤthlichem Wohlſein auch einen inner-
lich fortklingenden Nachhall zuruͤcklaſſen ſoll.
Alles das, kann man mir einwenden,
mag an ſich wahr und richtig ſein, und
wohl laſſen ſich die Elemente der Converſa-
tion auf die Grund-Jdeen des Umganges
uͤberhaupt zuruͤckfuͤhren, ja vielleicht hier
erſt vollſtaͤndig erfaſſen, allein das richtige
Erkennen giebt noch keinesweges Fertigkeit
im Thun. Hierzu gehoͤrt Uebung. Ein je-
der bekommt erſt durch Sprechen eine Spra-
che. Wie aber erwirbt ſich die der Geſell-
ſchaft, da die Geſpraͤche der Kinder und
Schulſtuben nur wenig hierzu vorbereiten?
Und wie handhabt ſich das Spaͤterworbene
mit der Unbefangenheit natuͤrlichen, ja un-
bewußten Eigenthums? Wie kommt uͤberall
die Unabſichtlichkeit mit der ſteten Beruͤck-
ſichtigung Anderer zurecht? Es ſcheint wi-
derſprechend, ſich in Beziehung zu dieſen zu
ſetzen und hierbei nur an ſie, nicht an ſich
ſelbſt denken zu duͤrfen. Wenn das Selbſt-
vergeſſen eine Kunſt, oder was daſſelbe iſt,
eine andere erhoͤhte Natur iſt, ſo wuͤrden
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wir wohl zunaͤchſt auf die Kinder und Schul-
ſtuben hinweiſen, und dort ſolche Neforma-
tion anempfehlen muͤſſen, welche dasjenige
vom Hauſe aus zum Gegenſtande der Aus-
bildung macht, was nur dann zwanglos als
unſer eigen erſcheint, wenn es das wirk-
lich iſt.
Viertes Kapitel.
Lecture.
Es iſt wohl zu keiner Zeit ſo viel ge-
leſen und geſchrieben worden, als jetzt, ſo,
daß Beides, das Leſen wie das Schreiben
im Allgemeinen aufhoͤrt, eine Beſchaͤftigung
zu ſeyn. Man kann es fuͤglich zu jeder
andern Gattung muͤheloſen Zeitvertreibes
rechnen, und annehmen, Eines gehe ſo na-
tuͤrlich aus dem Andern hervor, wie das
Sicherzaͤhlenlaſſen und Wiedererzaͤhlen.
Jn der That beſitzen wir einen Reich-
thum von Journal- und Almanach- Anek-
doten, Novellen, Memoiren, Fragmenten,
poetiſirter Welthiſtorie, Reiſeabentheuer und
Kunſt- Kritiken, daß, mit gutem Gedaͤcht-
niß, die Lecture einiger ſolcher Lieferungen
hinreicht, den Cyclus der Tagesbildung zu
durchlaufen.
Auf ſolche Weiſe darf man kaum in
Zweifel uͤber die Auswahl derjenigen Gei-
ſtesprodukte ſein, welche die geſellige Unter-
haltung foͤrdern und der Converſation Nah-
rung geben. Das Neueſte des Neuen wird
immer zumeiſt frappiren, und wer ſo gluͤck-
lich iſt, zuerſt in Beſitz deſſelben zu gelangen,
und es am rechten Orte zum Beſten zu ge-
ben, darf, nach dem Urtheile der Welt, auf
den Ruf geiſtiger Regſamkeit, Umſicht, an-
erkannter Liebenswuͤrdigkeit, und vielem Ta-
lent Anſpruch machen.
Wenn es auch nicht ſchwer iſt, ſich auf
ſolche Weiſe zu begruͤnden, ſo kann dafuͤr
auch morgen der Lufthauch des Zufalls die
Wage des Coriphaͤen moderner Genialitaͤt
in die Hoͤhe ſchnellen, um der eines Andern
Platz zu verſchaffen. Wo die Mode den
Ausſchlag giebt, iſt weder von Dauer noch
Folge die Rede.
Jn dieſer Fluth, welche ein Jeder auf
*
gut Gluͤck, ohne Richtung und Abſicht be-
ſchiffet, ſich von wechſelndem Winde treiben
laͤßt, weder Compaß noch Nadel mit auf die
Reiſe nimmt, und nur Gott dankt, dem
Einerlei ruhiger Betrachtung und ſtillen
Nachempfindens zu entfliehen, in dieſer Fluth
geht Unzaͤhliges verloren, was man ſchon
beſaß, taucht Unzaͤhliges wieder auf, das
man als neu und ungekannt begruͤßt, es
mit den Luͤmpchen von heute und geſtern
ſchmuͤckt, ihm ein fremdes Daſein giebt, um
es uͤber kurz oder lang wegzuwerfen.
Dies Quodlibet bunter Meinungen moͤchte
am Ende den geſelligen Verkehr beleben, und
dieſem, in ſeinem gemiſchten Character, we-
nigſtens in der Art, angemeſſen ſein, daß
ein Geſpraͤch, von ſo wirbelndem Geiſte ge-
trieben, nicht leicht ſtocken, im Gegentheil,
behend und luftig fortrollen und jedem Ein-
zelnen mitreden laſſen wuͤrde, ein Recht, auf
welches Alle Anſpruch machen und machen
duͤrfen. Waͤre nur in dem Geraͤuſch von
Worten eine Geſinnung zu entdecken, die
durch ſich ſelbſt innere Gegenſaͤtze bildete und
ein Streben verriethe! Allein das Fuͤr und
Wider heutiger Meinungen gehoͤrt eben ſo
zu den uͤbrigen Ephemeren der Zeit, als ihre
Erzeuger, die Gedanken, dem letzten und
neueſten Buche entnommen. Die hitzige Eil,
mit welcher ſie einander durchkreuzen, iſt
nicht Drang des Vorwaͤrtswollens, ſondern
Unruhe, da fortzukommen, wo man lange
genug geſtanden hat. Und wie man durch
lebhaft vibrirende Gebehrden bei Kindern und
Greiſen faͤlſchlich auf große, geiſtige Bele-
bung ſchließt, ſo taͤuſcht uns der ſtreit-
ſuͤchtige Enthuſiasmus des Momentes, der
nur darum ſtreitet, um vor ſich ſelbſt Recht
zu haben. Wenn im Gegentheil der Enthu-
ſiasmus der Begeiſterung geraͤuſchlos kaͤmpft,
und lieber ein ganzes Leben voll Ausdauer
und Arbeit daran ſetzt, als unnuͤtze Worte
zu verlieren.
Man kann es ſo wenig ſich als Andern
ablaͤugnen, daß bei dem Uebermaaß belletri-
ſtiſcher Werke eine Uebernoſſenheit eingetreten
iſt, welche immer ſtaͤrkere Reizmittel fordert.
Da nun die iritative, wie jede andre Kraft
nur eines gewiſſen Maaßes der Steigerung
faͤhig iſt, die hoͤchſte Spannung gleichwohl
doch nur augenblicklich ſpannt, das Neue
ſogleich alt wird, das Verlangen aber unge-
meſſen ſchwillt, die Erfuͤllung ſtets zuruͤck-
bleibt, ſo muß unausgeſetzter Wechſel in den
Hervorbringungen, ſogenannter ſchoͤner Lit-
teratur dasjenige erſetzen, was dieſer an
Schwung und Phantaſie abgeht. Der Ge-
ſchmack wird daher ruͤck- und vorwaͤrts ge-
hetzt, hinauf, zu der wunderlichſten Hoͤhe ge-
ſchroben, ploͤtzlich gewendet, und in einer
Breite und Flaͤche angehalten, in welcher er
vollends unterzugehen droht.
Die Schwingungen unſers geiſtigen
Kreislaufes, gleichen mehr und mehr denen
der Erde, in den letzten Wintertagen. Die
Abſchnitte der Lebensthaͤtigkeit werden kuͤr-
zer, der Abend iſt dem Morgen ganz nahe
geruͤckt, das Begonnene findet unvollen-
det ſein Ziel.
Vielleicht waͤre es in dieſem Zuſtande
der Gegenwart rathſam, den kommenden
Tag, gleich ahnungsvoll Traͤumende, mit ru-
higer Selbſtentaͤußerung, ſtill zu erwarten;
Feder und Papier bei Seite zu ſchieben, dem
eigenem Geiſte weniger, dem himmliſchen
mehr zu vertrauen, und es ihm anheim zu
ſtellen, zu welcher Stunde, durch welche
Hand er die alte Erde im friſchen Morgen-
glanze verjuͤngen wolle?
Doch moͤchte es im Allgemeinen ſchwer
ſein, daß wir uns, im Spiele ſo vieler
kuͤnſtlichen Lichte, uͤberzeugten, es ſei wirklich
Nacht um uns; und wenn wir auch Alle
eine unverkennbare Muͤdigkeit empfinden, und
Vielen ſo zu Muthe iſt, wie uͤberwachten
Kindern vor dem Schlafengehen, ſo hegen
wir, wie dieſe, nur um ſo groͤßere Scheu,
das bunte Allerlei unſers Spielwerkes zu
verlaſſen.
Man wird daher ſo wenig aufhoͤren,
zu componiren, (wie die Franzoſen ſehr be-
deutungsvoll fuͤr Dichten ſagen) als die
Compoſitionen zu verſchlingen. Beides wird
auf den Geiſt der Geſelligkeit Einfluß behal-
ten, den Ton beherrſchen, und die Sprache
abwechſelnd ſo oder ſo geſtalten, je nachdem
der zufaͤllige Eigenſinn des Zeitgeſchmackes
es fuͤr gut findet. Dieſer kann ſchon nie
darum das Vortreffliche an ſich wollen,
weil gerade hierin das Charakteriſtiſche der
Zeit liegt, daß ſolches nirgend anerkannt
wird. Waͤhrend wir einer Seits ſehr viel
von Glauben ſprechen, zweifelt doch jeder
an den Andern. Die Kritik war in keinem
Moment geſchaͤftiger, ſich ſelbſt ein Genuͤge
zu thun, als jetzt, wo ſie das Alte vernich-
tet, und das Neue verachtet. Große Vor-
bilder duldet der unruhig Schaffende um ſo
weniger, als er jedes beſſer zu machen uͤber-
zeugt iſt. Jdeale ſind aus der Mode ge-
kommen. Jdeen gehoͤren in die Fabelwelt.
Man hat nur Geſichte. Da uns dieſe
aber meiſt das eig’ne Geſicht zeigen, ſo bleibt
der Maaßſtab des Vergleichs ſtets in der
Naͤhe und auf demſelben Standpunkt mit
der Gegenwart; er fuͤgt ſich dieſer an,
ſtatt ſie uͤber ſich hinauszuheben.
Durch einen ſeltſamen Widerſpruch an-
drer Art, geſchieht es, daß, obgleich kein
Menſch heut zu Tage ein Kunſtwerk, ein
Buch, eine Begebenheit, eine That, als aͤcht,
gut und wahr auf Treu und Glauben an-
nimmt, jedweder ſelbſt geſehen, ſelbſt erkannt
und begriffen haben will, die einzige Mode,
das alleinherrſchende Vorrecht ausuͤbt, Sinn
und Gefuͤhl, ja, Auge, Ohr, Erkenntniß und
Ueberzeugung, gefangen zu nehmen und das
unglaublichſte Spiel mit der Laune eines
kranken Geſchmackes zu treiben.
Es moͤchte wenig helfen ſich dieſer Maske
zu bedienen, um auf feine und liſtige Weiſe
das Gute eine Weile in Umlauf zu bringen.
Ein Faſchingsſtreich darf nicht alt werden,
deshalb verdraͤngt ihn ſchnell ein neuer. Es
koͤnnte Einem in der That angſt und bange
werden, ſich auf ſolche Weiſe, mit nie zu
ſtillendem Heißhunger gleichſam in die auf-
geſpeicherten Gewoͤlbe aller Jahrhunderte ge-
ſchoben zu ſehen, von Allem gekoſtet zu ha-
ben, nur, um mit dem Ekel der Ueberfuͤl-
lung, und der Ungeduld nach wiederherſtel-
lenden Erfriſchungsmitteln kaͤmpfen zu muͤſ-
ſen. Aus dieſer Noth wird uns doch am
Ende nur gemaͤßigtes Faſten retten koͤnnen.
Darauf kommt zuletzt, Alles zuſammen-
genommen, ein verſtaͤndiger Rath zuruͤck.
Allein der Begriff ſolcher freiwilligen Ent-
behrung muß doch erſt feſtgeſtellt werden,
ehe irgend eine Hoffnung darauf zu bauen,
oder ein Nutzen davon abzuſehen iſt.
Sollte wirklich durch eine geiſtige
Hungerkur das erſchlaffte Empfindungs-
vermoͤgen, ſollen die abgeſtumpften Geſchmacks-
nerven, die Schwungraͤder innerer Umtriebe,
auf ſich ſelbſt zuruͤckgefuͤhrt, in Ruhe geſetzt,
allmaͤhlig erneuet und gekraͤftiget werden?
Oder ſollen Maͤßigkeit und Vereinfachung
der Nahrungsſtoffe den Sinnen Zeit laſſen,
ſich in dem Genuſſe des Einzelnen zu er-
weitern und zu erheben? Jſt es die Unthaͤ-
tigkeit oder die beſtimmte Uebung der Kraͤfte,
welche dieſen Elaſtizitaͤt, Dehnbarkeit, Con-
centrizitaͤt verleihet? Es ſtimmt zuverlaͤſſig
ein Jeder um ſo eher fuͤr das Letztere, als
die Meiſten mit mir uͤberzeugt ſind, der Menſch
koͤnne am hellen Tage die wache Natur nicht
zu willkuͤhrlichem Schlafe zwingen, ohne mit
ſich oder Andern Komoͤdie zu ſpielen.
Alſo Faſten heißt hier nicht ſowohl
aus Poͤnitenz darben, als in Uebereinſtim-
mung mit ſich ſelbſt zum Bewußtſeyn des
Genuſſes gelangen; was nur der Nuͤchtern-
heit eines freien empfaͤnglichen Sinnes moͤg-
lich iſt. Mit einem Wort: wir ſollen Maas
halten lernen; eine Eigenſchaft, an welcher
es je mehr und mehr gebricht und die uns
vor Allem zu erlernen bleibt.
Jnnerhalb, auf ſolche Weiſe ſelbſtgezo-
gener Schranken, werden wir denn auch die
Richtung finden und verfolgen koͤnnen. Das
Chaos entwickelt ſich, ſobald ruhiges Licht
hineinfaͤllt. Es iſt wenigſtens zu hoffen,
daß ſich das Auge nach und nach zu eini-
gem Unterſcheidungsvermoͤgen ſchaͤrfen, und
das Vortreffliche dem Abirrenden vorziehen
werde.
Allein, wie auch Wahl und Erkenntniß
hier im Einzelnen genuͤgend beſtimmen moͤ-
gen, ſo bleibt es doch noch ſehr zweifelhaft,
ob jenes innere Zuſammenfaſſen, jenes ſtarke
Abwehren des Verworrenen allein hinreiche,
im Allgemeinen Geſchmack und Streben wahr-
haft zu leiten? Ob es uͤberall moͤglich ſey,
ohne Vergleichungspunkt zu vergleichen, ohne
Jdeal zu wuͤrdigen? und ob dieſes ſo von
ſelbſt in der Dunkelheit eines unerforſch-
tem Jnnern gefunden werde? Oder, ob das
Urtheil, wie jedes freie, geiſtige Vermoͤgen,
im Menſchen entwickelt, aufgezogen und ge-
bildet werden muͤſſe?
Wenn der Ausſpruch: Es gefaͤllt mir,
oder es gefaͤllt mir nicht, entſcheidet, ſo
giebt es keine Streitfrage mehr uͤber gut
und ſchlecht. Alles ſteht ohngefaͤhr auf der-
ſelben Stufe und nur ganz individuelle Be-
ziehungen beſtimmen, in wiefern ein Roman,
ein Schauſpiel, ein Gedicht ſich meiner Art
und Weiſe anpaßt oder nicht? Jn anderer,
als in dieſer Hinſicht hat es keinen Werth,
ja, es iſt nicht da.
Und bliebe es nur noch bei dieſem hoͤchſt
naivem Wohlgefallen oder Tadel, ſo ließe
ſich doch eine gewiſſe Wahrheit des Gefuͤhls
in dem Urtheile entdecken, allein, wir haben
wohl weiter oben geſehen, welcher Herrſche-
rin ſelbſt die Gefuͤhle unterthan ſind. Die
Farbe, die an der Tagesordnung iſt, ſcheint
den Gegenſtaͤnden der Beurtheilung eine ganz
andere Phiſionomie zu geben, ſo daß die
davon Abhaͤngigen, nicht mehr wiſſen, was
ſie ſelbſt ſehen, oder was jenes taͤuſchende
Blendmerk ihnen vorſpiegelt? Wenn wir
einen Blick auf eine gewiſſe Periode der
Europaͤiſchen ſchoͤnen Litteratur werfen, ſo
iſt es uns jetzt unbegreiflich, wie man bei
den ſchmutzigen Sudeleien faſelnder Thoren
Jahrzehnte hindurch ſchwor, und einer Art
und Weiſe ſchamlos huldigte, welcher es
ſelbſt an dem verfuͤhreriſchen Reiz poetiſcher
Kraft fehlt. Wer lieſt heute zu Tage noch
die proſaiſchen Aufſaͤtze Voltaire’s, ohne ſie
ſeicht und ekelhaft zu finden? Und doch
ward mehr als ein großes Genie dadurch
verlockt. Sind wir wirklich viel erleuchte-
ter als dieſe? Bilden wir uns ein, mehr zu
ſeyn als ſie? Oder ſind wir nur anders?
und war es nicht ſowohl das Hinneigen zu
dem einzelnen Schlechten, als das Verfallen
an eine gaͤnzlich frivole Nichtung, welche
das unklare Beduͤrfniß der Zeit, durch den
Namen Freiheit des Geiſtes adelte? Kann
aber der Augenblick ſolche Gewalt uͤben, daß
ſelbſt die Starken erliegen, wie aufmerkſam
muß uns das in der jetzigen Periode ma-
chen, wo ſich ſo viel Richtungen durchkreu-
zen!
Wenn man nun weder dem eigenen
Geſchmack, noch der Empfehlung Anderer,
und zwar der Meiſten, trauen ſoll, welchem
Fuͤhrer hat man durch das krauſe Labyrinth
der Leſewelt zu folgen? Es iſt ſonderbar!
bei allen Wiſſenſchaftlichem, ja ſelbſt bei
dem Techniſchen der Kunſt, erroͤthet man
nicht, Unwiſſenheit oder Schuͤlerhaftigkeit,
einzugeſtehen, Lehre anzunehmen und ſich
den Bedingungen zu unterwerfen, welche
ſtufenweiſe zu der richtigen Kenntniß fuͤhren
koͤnnen. Nur bei dem, was die Jdee durch
unmittelbare Eingebung empfaͤngt und of-
fenbaret, ſcheint der Geiſt den begluͤcktern
Geiſtern das Vorrecht der Begabung ſtreitig
machen, und mit hitziger Eiferſucht das ver-
mißte Erbtheil an ſich reißen zu wollen. Es
iſt faſt Niemand, der bei Wuͤrdigung einer
kuͤnſtleriſchen, oder poetiſchen Production,
eine Autoritaͤt annehmen wollte. Ja, das
Gefuͤhl empoͤrt ſich bei den Meiſten gegen
den bloßen Gedanken, ſeinen Geſchmack frem-
der Entſcheidung zu unterwerfen. Und doch
koͤnnte es ſein, daß dieſer noch auf einer
untern Stufe, durch Gewohnheit oder Be-
fangenheit feſtgehalten wuͤrde, waͤhrend ſich
das Auge ſchon ſehr ſtolz daruͤber erhoͤbe,
denn der Sinn ſchweift verlangend umher,
aber das Jnnere faßt nur allmaͤhlig und
nacheinander das Zuſammengehoͤrige auf.
Die Erfahrung wird es nicht laͤugnen, und
die Unerfahrenheit wird es erfahren muͤſſen,
daß ſich Auge und Ohr fuͤr die wahre Tiefe
und Erhabenheit der Muſik, der Mahlerey,
Plaſtik und Architektur erſt aufthun, dann
erweitern, zarter ſtimmen und freier erheben
muͤſſe, um das Vollſtaͤndige in ſich aufzu-
nehmen. Was den rohen Anforderungen
ungeuͤbter Sinne genuͤgt, verletzt das aͤchte
Kunſtgefuͤhl auf’s Aeußerſte. Warum ſollte
daſſelbe nicht bei den innern Organen des
Verſtehens der Fall ſeyn? Wird die Seele
Raum haben fuͤr eine Welt großer, unend-
licher Anſchauungen, wenn ſie ſich taͤglich
von den lumpigen Bildchen einer krauſen
und grellen Gegenwart uͤberfuͤllen laͤßt? Und
wird ſie die leiſen Uebergaͤnge die geheim-
nißvollen Verſchmelzungen, die geſtoͤrte und
wiederhergeſtellte Harmonie jener Muſik der
Gefuͤhle begleiten, in der ſich ein Menſchen-
leben zuruͤckſpiegelt, wenn kein Ernſt der
Empfindungen zu ihnen drang, der Scherz
nur ein lauter Spaß, und die Ahndung
eine Grimaſſe ward, hoͤchſtens brauchbar,
um etwas damit vorzuſtellen?
Wir werden alſo zufoͤrderſt gewiſſe Au-
toritaͤten in der Litteratur glaͤubig anneh-
men, uns in der Stille zu ihnen hinanbil-
den, und ſpaͤter in der Art durch ſie leiten
laſſen muͤſſen, daß wir in ihnen einen Maas-
ſtab finden, an dem wir das Fremde, wie
uns ſelbſt, pruͤfen lernen.
Es iſt nicht etwa zu fuͤrchten, daß hier-
durch die Eigenthuͤmlichkeit natuͤrlicher Rich-
tungen verloren gehen werde; dagegen ſichert
kraͤftige und lebendige Entfaltung des Jnnern,
welches unter Maaß und Geſetz ſtets am
beſten gedeihet ſondern es ſtehet vielmehr zu
hoffen, daß jenes indifferente Hinwerfen an
ein zufaͤllig Neues, der laue Wechſel mit
dieſem oder jenem, was wir Neigung und
Vorliebe nennen, durch freudige, friſche
Selbſtbeſtimmung verdraͤngt und die ſo ge-
fundene Richtung eine wahrhaft und ei-
gene ſeyn werde. Das Leſen hoͤrt dann
auf, die Zeit zu toͤdten, es toͤdtet nur das
Zeitliche. Der Genuß erhoͤhet ſich, jemehr
die Gegenſtaͤnde deſſelben klarer und voll-
ſtaͤndiger hervortreten, und ſuchte man auch
nichts als das Vergnuͤgen darin, der Nut-
zen bleibt nicht aus.
Fragt man nun, was ich als Autori-
taͤt in einer Litteratur anfuͤhren koͤnne, die
heute verachtet, was ſie geſtern liebte? So
muß ich erwiedern: Buͤchern ergehe es wie
Menſchen. So lange man mit ihnen lebt,
ſie in den Verſchlingungen der Gegenwart
verwickelt ſieht, lobet und tadelt man wech-
ſelsweiſe Eines um das Andere an ihnen.
Sind ſie aber der ſinnlichen Wahrnehmung
5
durch Raum und Zeit entruͤckt, ſo finden
wir das Geſammtbild aller dieſer Einzeln-
heiten in unſerer Erinnerung. Das Ganze
blieb uns, und der Eindruck, welchen die
Seele davon wiedergiebt, entſcheidet uͤber
unſer Urtheil. Je großartiger, genuͤgender
dieſer Eindruck iſt, je beſtimmter nimmt er
unſere Achtung und bewundernde Liebe in
Anſpruch.
Aber wir brauchen auch gar nicht Wo-
chen und Monden, wie Berge und Thaͤler
zwiſchen ein Buch und deſſen Beurtheilung
zu ſchieben, um unſerer Sache gewiß zu
ſeyn. Belebt jenes Gedanken und Gefuͤhl,
erhebt es den ganzen Menſchen in uns, macht
es den Geiſt heller und die That freudiger
ſo darf uns kein Zweifel uͤber deſſen Werth
bleiben, und ſey es auch, daß es ſonſt in
ſeinen Zuſammenſtellungen unſerer Art und
Weiſe nicht zuſagte, ſo ſind doch dies die
Requiſita, welche, vor allem Andern den
Einfluß auf die fernere Bildung unſers Ge-
ſchmacks bedingen.
Jener geiſtige Nachhall beurkundet die
Harmonie des Tones und ſtimmt die Seele
harmoniſch; denn Gedanken wie Gefuͤhle
haben Fluͤgel, die uͤber die Unterbrechungen
und Mißklaͤnge des Daſeyns hinweghelfen;
wenn im Gegentheil eine einengende Gruͤ-
belei und mattherzige Empfindſamkeit gewiſ-
ſer ſentimental verſchwimmender Dichtungen
das Gemuͤth in ganz kleine Kreiſe bannen,
und duͤrftige Begriffe, wie Jnſecten, drein
umherkriechen laſſen. Solche unfruchtbare
Lectuͤre iſt es, die naͤchſt der ganz frivolen,
wechſelsweiſe Jndifferentismus, peinigend
aͤngſtigende Despotie heller Grundſaͤtze in
unſerer Leſewelt verbreitet.
Auf der andern Seite moͤchte man ein-
wenden, daß, wenn nur das wahrhaft Be-
lebende der Poeſie, der Gehalt und die
Schoͤnheit ihres Weſens allein uͤber den Werth
oder Unwerth eines Gedichts beſtimmen ſoll,
ſo koͤnnte der Leſeluſtige nur auf eine ſehr
geringe Anzahl von Buͤchern beſchraͤnkt ſein,
was beſonders fuͤr den Roman, der das ge-
ſellige Leben ſo unmittelbar beruͤhrt, der ſeine
Gebilde daraus ſchoͤpft, und durch ſie Ein-
*
fluß auf die fortlaufende Entwickelung be-
hauptet, hoͤchſt einengend werden muͤßte;
denn ungerechnet, daß Verhaͤltniſſe und Ge-
ſtaltungen von einer gewiſſen Hoͤhe gezeigt,
die Lebenswaͤrme der Naͤhe verlieren, ſo iſt
der Productivitaͤt ſchon darum eine Feſſel
angelegt, daß man, nach Annahme obiger
Grundſaͤtze billig anſtehen wird, ſich jedes
und alles im Felde der Litteratur gefallen
zu laſſen. Die unbeholfenen Verſuche auf-
blitzender Talente wuͤrden alsdann in der
Geburt erſticken, Zeitſchriften bald gar nicht
mehr geleſen, Kritiken nur einzeln geliefert
werden. Enthaltſamkeit hoͤrte auf ein Act
der Freiheit zu ſein, Noth und Mangel
zwaͤngen zur Entſagung.
Dies alles genau erwogen, ſo glaube
ich doch meinen Satz durchfuͤhren, und be-
weiſen zu koͤnnen, einmal, daß der Roman
nichts an Mannigfaltigkeit in ſeiner Gat-
tung verliert, wenn er von Jdeen ausgeht
ferner, daß die Weſen lebendiger Phantaſie
nicht puppenhaft im kuͤnſtlichen Lichtſchein
theatraliſcher Verrichtungen ſchweben wer-
den, wenn ſie ſich als wahr und vollſtaͤn-
dig erweiſen; eben ſo, daß kein aͤchtes Ta-
lent durch große Vorbilder zuruͤckzuſchrecken iſt.
Natur und Leben ſind unbeſchreiblich
reich! Wer ſich getrieben fuͤhlt, die unſicht-
baren Faͤden zu verfolgen, die den Teppich
der Außenwelt ſo bunt geſtalten, und Zu-
ſammenhang und fortgehende Beziehungen
unter ihnen bedingen, der wird naͤchſt der
hoͤchſten Anſicht einen unendlichen Jdeen-
reichthum finden, von dem die mannigfal-
tigſten Lebensverhaͤltniſſe ausgehn. Jn dem
Sinne kann man annehmen, daß der ſchoͤp-
feriſchen Natur vergleichbar, ein bildender
Kuͤnſtler oder Dichter, ſein ganzes Leben
hindurch eine Jdee feſthielte, und durch eine
Reihe von Hervorbringungen nur daſſelbe
Thema variirte. Es koͤnnte hiernach einen
Schriftſteller geben, der mit einem einzigen
Roman unzaͤhlige Romane geſchrieben haͤtte,
und umgekehrt, Andre, die nur vermittelſt
mehrerer, ein Werk vollſtaͤndig zu liefern
im Stande waͤren. Mag es ſeyn, daß der
Letztere nicht immer auf gleiche Weiſe gluͤck-
lich, oder zu unruhig und hitzig im Verfol-
gen des vorgeſteckten Zieles ſei, und die
Zweige derſelben Wurzel nicht uͤberall voll-
ſtaͤndige Bluͤthen trieben, Geiſt und Gedan-
ken verlaͤugneten dennoch ihren Urſprung
nicht; und ſo laſſe man denn das Mißlun-
gene bei Seite und bleibe in dem Gelunge-
nen ſich ſelbſt und dem Autor treu. Die
Beſchraͤnkung der Auswahl wird der Pro-
ductivitaͤt kein Hinderniß ſein, denn was
nach dem Vollkommenen ſtrebet, genuͤgt ſich
niemals und fordert, durch den innern Trieb
bedingt, nach wechſelnder Geſtaltung.
Was nun den Character, den Stand-
punkt, die Zeit- und Raumverhaͤltniſſe der
Letzteren anbetrifft, ſo ſcheint mir es die
Poẽſie zu entwuͤrdigen, wenn man dieſer ei-
nen Kreis ziehen wollte, innerhalb deſſelben
ſie nur ihr Reich behaupten koͤnne. Bebt
nicht oft unſer ganzes Weſen von der Be-
ruͤhrung eines einzigen Tones, der die Thore
der unſichtbaren Welt ſprengt, und die Seele
aus dem Abgrund von Wehmuth in die
Himmel der Seeligen erhebt? Jſt Liebe an
Ort oder Zeit gebunden? und ſucht ſie auf
dem dunkelſten Fleck der Erde umſonſt nach
dem Echo einer warmen Bruſt? Verlaͤugnet
die Natur ihr unſterbliches Walten in ir-
gend einem Moment der Zeit? Schlummert
die ewige Bildnerin, daß wir nicht von ihr
wuͤßten? Und ſoll die Gegenwart weniger
empfaͤnglich fuͤr ihre heilige Offenbarungen
ſein, als die Vergangenheit? Spricht nun
Gott heute wie geſtern durch ſie zu den Ge-
ſchlechtern, und erkennen wir die Ziffern ſei-
ner Sprache, wie moͤgen wir anders uͤber
eine unpoẽtiſche Zeit klagen, als daß wir
uns vor der einzig wahren, der lebendigen
Poẽſie verſchließen? Aus dieſem Grunde
vielleicht, und weil der Duft der Ferne an
ſich magiſch iſt, fluͤchtet die Einbildungskraft
zu der Vergangenheit, und ruft mit ihrem
Zauberſtabe Todte an das Licht. Finden wir
jedoch Herzen in der Bruſt der Widerbeleb-
ten, wie ſollte es dieſen an Lebenswaͤrme
mangeln? Arm muͤßten wir die Kunſt nen-
nen, die nicht verſtaͤnde, ſie uns nahe zu brin-
gen, wie einſt die Natur den Mitlebenden.
Freilich werden nicht alle lebendig, die
eine dreiſte Hand anruͤhrt, und wenn ſolche
Verſuche in Vergeſſenheit ſinken, ſo iſt das
kein Verluſt zu nennen.
Es wird mich hiernach Niemand be-
ſchuldigen, daß ich die Lecture zu einer trok-
kenen Schul- und Erziehungsanſtalt habe
machen wollen. Jch darf ſagen, ihr ſei in
dieſer Betrachtung, vorzugsweiſe von allen
Bildungsmitteln fuͤr das geſellige Leben, ein
freier, geiſtiger Einfluß zuerkannt, und Grund-
ſaͤtze aufgeſtellt worden, welche den leichten
Gewinden belletriſtiſcher Unterhaltung, unver-
welkliches Daſein geben. Selbſt der ſo oft
herabgewuͤrdigte, in ſeiner Beſtimmung ver-
kannte Roman, tritt in dem Sinne, wie ich
es meine, in ſein urſpruͤngliches Recht, das
Leben von dem Leben, das Dramatiſche in
ihm, das Wechſelgeſpraͤch der innern und
aͤußern Welt des Menſchen, mit hoͤherer
Wahrheit zuruͤckzuſpiegeln. Und wenn er auf
ſolche Weiſe den Muͤttern weniger gefaͤhrlich
duͤnkt, ſo werden mich die Toͤchter auch nur
zu loben haben, denn ſicherlich will ich ihrer
Phantaſie, wie ihren Gefuͤhlen kein enges
Ziel geſteckt haben.
Es iſt mir in den meiſten Faͤllen immer
ſehr ſonderbar vorgekommen, welche Scheu
aͤltere Frauen vor Jdealen hegen, und wes-
halb ſie die Jugend um den Vorzug brin-
gen wollen, ſolche zu traͤumen, wenn ſie
deſſen faͤhig iſt. Romane leſen wird aus
obigem Grunde in der guten Erziehung ver-
boten, und es iſt einer der Artikel, auf
welche Gouvernanten bei Antritt ihrer Funk-
tionen ſchwoͤren muͤſſen, keine der gefaͤhrli-
chen Schriften ihren Zoͤglingen in die Hand
zu geben. Nichts deſtoweniger nimmt Nie-
mand Anſtand, die empfaͤnglichen Gemuͤther
oft ſehr unromantiſche Liebesgeſchichten der
naͤchſten Umgebung hoͤren, ja ſehen zu laſ-
ſen, und mehrfach erlebte ich, daß die be-
ſonnenen Waͤchterinnen mit unſaͤglichem Kitzel
und prahlhafter Uebertreibung die Succeſſe
einer eben aufgetretenen Tochter in ihrer Ge-
genwart ruͤhmten, die Leidenſchaften an den
Fingern aufzaͤhlten, welche das leichtglaͤu-
bige und zugleich unglaͤubige Kind, denn
von Liebe weiß ihre Seele nichts, eingefloͤßt
zu haben meint, wobei man nie ermangelt,
der Zaͤrtlichkeit des Herzens anders, als mitlei-
dig ſpottend zu erwaͤhnen, und auf dieſe Weiſe
die ſchoͤnere Hinneigung der Empfindungen
zu einer Fratze zu machen. Welche Seele
wird die Verarmte wohl in ihre kommende
Verhaͤltniſſe hineintragen, wenn ſo viel kalter
Spaß den Fruͤhling ihrer Gefuͤhle vereiste.
Jch glaube, von den Jdealen hat man
eben nicht ſo ſonderlich viel zu fuͤrchten.
Denn geſetzt auch, es gaͤbe ein Gemuͤth ſo
umfaſſend und erhaben, daß es in ſich das
Bild des Vollkommenen feſthielte, was ver-
liert das Leben dabei, ſich einem innern Hei-
ligendienſt geweiht zu ſehen? Doch hieruͤber
ſei jeder unbeſorgt! Die Wirklichkeit wird
zeitig genug davon abſtrahiren lehren. Weit
eher moͤchte es geſchehen, daß ein herausge-
putzter Alltagsheld, in die moderne Form ei-
nes Romanenhelden hineingeſchoben wuͤrde,
und in den leicht zu copirenden Situationen
gewoͤhnlicher Haus- und Familien-Jntri-
guen figuriren muͤſſe. Was hierzu erforder-
lich iſt, findet ſich leicht vor. Die Phantaſie
hat dabei nicht viel zu thun, und die Hoch-
zeit meiſt nur einen kleinen Umweg zu ma-
chen, das leichtgezaͤhmte Geſchick kommt ihr
willig auf halbem Wege entgegen. Jſt es
damit Ernſt, ſo hat der Traum ein Ende.
Alles findet ſeinen Platz und ſieht ſich wohl
begruͤndet. War es nicht ſo gemeint? auch
gut! Ein freiwilliges Opfer ſchließt den
Roman anders. Nichts deſtoweniger kommt
ein jeder eben ſo wohl damit zurecht. —
Das wuͤrde nun weiter nicht ſonderlich
viel ſchaden, waͤre in dem ganzen Vorgange
Natur und Wahrheit. Allein mit Nieman-
dem ſpielt es ſich leichter Komoͤdie, als mit
ſich ſelbſt, und da die Rolle, welche nicht
uͤber die naͤchſte Aufgabe hinausgeht, leicht
erlernt iſt, mit dem Koſtuͤm und den ſceni-
ſchen Anordnungen eben keine Aenderungen
vorgenommen werden duͤrfen: ſo ſchluͤpft
man leicht aus ſich hinaus in den erſten be-
ſten fremden Charakter hinein, der immer
intereſſanter als der eig’ne erſcheint.
Ob hierbei die Wahrhaftigkeit des Ge-
muͤthes, die Treue und Jnnigkeit in wirklich
beſtehenden Verhaͤltniſſen des Lebens viel ge-
winnen wird, ob die hoͤh’re Gattung | des
Roman’s nicht wenigſtens vor muͤßiger
Nachaͤfferei ſchuͤtzen wuͤrde? das uͤberlaſſe ich
einem jeden zu entſcheiden. Jch fuͤhle mich
nur gedrungen, noch einmal Maͤßigkeit
im Leſen anzuempfehlen; damit man lie-
ben lerne, was man vielleicht nur auf Em-
pfehlung bewunderte.
Die tiefer gehende Bildung, welche hier-
aus erwachſen muß, berichtigt dann noch in
etwas die unſichre und verworrene Anſicht,
welche ſeichte Kritiken zum oͤftern durch
Knabenhand, noch von der Schule aus ver-
faßt, in den unzaͤhligen Journalzirkeln un-
ſrer Leſewelt verbreiten. Der Wahn, ta-
delndes Urtheil beurkunde allein aͤchten Ver-
ſtand, weicht unmittelbar vor der Ueberzeu-
gung: daß das Mangelnde jedem auf-
falle, die Harmonie aber nur von Einzel-
nen gefunden werde.
Fuͤnftes Kapitel.
Talente.
Talente, die anmuthige Zierde der Jugend,
ſo zu ihrem Putz gehoͤrig, wie ein friſches
Band und eine lachende Blume, wer fuͤhlt
ſich nicht willig durch ſie angezogen! nicht
an ein heiteres Gebiet der Kunſt erinnert,
dem ſie ſpielend entgleiten, um das Grau
des Alltagslebens farbig zu umſaͤumen! —
Kaum mag man ſich die oft muͤhſelige, faſt
immer ermuͤdende Wirkſamkeit der Frauen
ohne dieſen Regenbogenglanz einer umflorten
Sonne denken, die ſo vieles, zu meiſt der
eigne ſtrenge Wille verhuͤllen wird.
Jch weiß nicht, wie man all’ das Ge-
heimnißvolle der unverſtand’nen Bruſt, die
leiſen Ahndungen, die unverſtandnen Wuͤn-
ſche, ſelbſt das ſchmeichelnde Koſen der in-
nern Poẽſie mit der Bildſamkeit aͤußerer Or-
gane, wie man ſie in den Dunſt einer
geſetzlich-hellen, doch trockenen Athmosphaͤre
erſticken, ausdoͤrren laſſen koͤnnte; gewiß,
ſolch’ unnatuͤrliches Gebot waͤre durch nichts
zu rechtfertigen. Und dennoch ſchwankt die
Meinung zwiſchen Ueber- und Unterſchaͤtzen
deſſen, was wir Talente nennen.
Wenn man von einer Seite jenen ar-
tigen Fertigkeiten einen Werth beilegt, als
ſeien ſie ausreichend, die Beſtimmung, eines
ganzen Daſein zu fuͤllen, und ſo wenig Um-
ſtaͤnde mit dem Begriff, wie mit dem Na-
men Kunſt macht, daß ſelbſt die Gaukeleien
der Mode in dies Gebiet gezogen werden, ſo
fahren Andre wieder hoͤhnend und ſehr un-
barmherzig uͤber jeden Verſuch ſchuldloſer
Kunſttaͤndeleien hin, wollen ſie in keiner Art
gelten laſſen, und beweiſen, daß es damit
nichts ſei, als Wahn und Blendwerk.
Es iſt vielleicht die Schuld der Erſtern,
wenn es dieſe allzuhoch nehmen.
Nichts wirft ſo augenblicklich auf die
entgegengeſetzte Seite, als Uebertreibung,
und namentlich vornehmes Prunken mit Ga-
ben und Richtungen, welche Eitelkeit ſich
ſelbſt andichtete.
Es herrſcht im Allgemeinen der ſtille
Glaube, daß ſich das Aechte von ſelbſt em-
pfehle, und es mehr mit dem Sein als mit
dem Scheine halte. Die vielen großen Worte
erbittern, neben der Langenweile, welche ſie
ohnehin erregen. Man vergiebt es Nieman-
den, der mehr ſein will, als er iſt. Und
wenn vollends Frauen ſo viel Weſen von
dem machen, was, wie ein Mayenluͤftchen,
nur den Fruͤhling ihrer Jugend beſeelt, ſie
mit den Jahren aber, wie jede andere ver-
ſchoͤnernde Zugabe des Daſeins, verlaͤßt: ſo
verwirren ſie nur den Eindruck, welchen Na-
tur und Wahrheit ſtets ungetruͤbt erweckte.
Reiner, an das Herz gehender Geſang,
eine volle, geſchmeidige Stimme, Grazie und
Sicherheit des Vortrages, harmoniſche Be-
gleitung der Saiten-Jnſtrumente, bezaubern
das Ohr, ruͤhren an das Jnnere der Bruſt,
auch ohne jene Virtuoſitaͤt, zu deren Er-
langung oft das Opfer vieler Jahrhunderte
erfordert wird.
Warum verſchmaͤht man die ruhige Ein-
fachheit, welche gern, ja faſt von ſelbſt die
Begleiterin der Frauen iſt, blos der gefeierten
Manier des Augenblickes zu froͤhnen, und ein
ſehr beſtrittenes Anrecht an der Kunſt zu
behaupten? —
Wie dem indeß auch ſei, ſo iſt Muſik
ſelbſt mit Pretention getrieben, immer noch
das Element, in welchem ſich das Weſen der
Frauen am freieſten, am naturgemaͤßeſten
zuruͤckgeſpiegelt; ja, Beide ſind ſo ſehr
Eins, daß, wie man es auch anfange, et-
was Fremdes darin zu miſchen, die urſpruͤng-
liche Harmonie ſich ſtets auf ruͤhrende, ahn-
dungsvolle Weiſe herausfuͤhlt. Nichts ver-
ſchoͤnt Geſtalt und Phiſiognomie ſo ſehr, als
der Klang, der wie ein fremdes Licht dieje-
nigen umfließt, welche ihn hervorrufen. Jch
bin wohl unſchoͤnen Perſonen in der Welt
begegnet, die man entweder uͤberſahe, oder
mißfaͤllig bemerkte. Gang, Haltung, ja, ſo-
gar die Sprache, alles an ihnen ſchien ohne
Pflege der Grazie gebildet zu ſein; und wie
ſie ſich denn mit einnemmale gleichſam in-
nerlich eroͤffneten, und die goͤttliche Muſik
hervorquoll, und ſie auf ihren Wellen him-
melan trug, ſchienen ſie andere Weſen, voͤl-
lig unterſchieden von dem gewohnten Ein-
druck ihrer Erſcheinung. Sie haͤtten ſich
wohl ſelbſt nicht wieder erkannt, ſo unbe-
wußt verklaͤrt das ewig Schoͤne.
Moͤge ſich daher immerhin Abſicht und
Kuͤnſtelei in die Bemuͤhungen der muſicali-
ſchen Schuͤlerin miſchen, das Streben an
ſich fuͤhrt uͤber das kleine Ziel hinaus.
Das Muſikaliſche der Frauen-Natur
leihet jedem, hierauf Bezug habendem Zweige
ihrer Bildung, ja dieſer ſelbſt, etwas Eigen-
thuͤmliches, das weit entfernt von der Kunſt,
vielmehr deren ſcharfe Graͤnzen verſchmaͤht,
und eine Region fuͤr ſich umfaßt, innerhalb
derſelben die beweglichen Gefuͤhle in fluͤchti-
gen Umriſſen die Schoͤpfungen des Gedan-
kens nachahmend, deſſen voruͤbergleitendes
Schattenbild zuruͤckwerfen. Deshalb werden
muſikaliſche wie poẽtiſche Compoſitionen der
Frauen immer etwas Ungewißes, jenes
traumartig Zerfließende an ſich tragen, das
man am beſten den Nebelbildern abendlicher
Daͤmmerung vergleicht. Wie weit ihnen aus
dieſem Grunde die bildende Kunſt ſteht, und
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was die Mahlerei unter dieſen Bedingungen
unter ihren Haͤnden werden muß? laͤßt ſich
ermeſſen.
Die heutige Erziehung hat freilich einen
ganz andern Maasſtab dafuͤr angegeben.
Die Begriffe vermiſchen ſich ſo ſeltſam, daß
es faſt das Anſehen gewinnt, als koͤnne man
bei dem wachſendem Luxus aller Art, nament-
lich den Kunſtluxus, auch die ſchoͤnen Kuͤnſte,
wie eine andere Art Putz, der Jugend an-
erziehen. Frauen lernen nicht allein nach
Buͤſten, auch nach Gliederpuppen zeichnen.
So wird ihnen Regel und Geſetz in ſteiner-
nen Linien und knoͤchernen Exempeln einge-
graben. Sie begreifen dann auch das Ein-
zelne, ſetzen dieſes zuſammen, und haben ein
ſtarres Antlitz auf dem Papier, ſie wiſſen
ſelbſt nicht wie? Die Hand ſchuf es, allein
was ewig nur in ihnen ſchoͤpferiſch bildet,
das Gefuͤhl, wußte nichts davon. Und Zehn
gegen Eins ſteht die Wette, tritt dies Letz-
tere in ſeine Rechte, ſo ſchweifen Auge und
Finger uͤber die Vorſchrift hinweg, der
Hauch der Empfindung bewegt die ſchwan-
kend werdenden Umriſſe, die mißlungene Arbeit
beſtaͤtigt nur das Ungeſchick fuͤr kuͤnſtleriſche
Vollſtaͤndigkeit und das Geſetz der Form.
So wenig Frauen im Allgemeinen den
Takt in der Muſik feſthalten, ſo wenig be-
weiſen ſie Sicherheit im Zeichnen. Daher
iſt die Blumenmahlerei, und vielleicht das
Jdill der Landſchaft, ihren Kraͤften am an-
gemeſſenſten.
Jch ſehe auch nicht ein, weshalb ſie
ſich nicht auf dieſe Gattungen beſchraͤnken
wollten, da ihnen der Ernſt der hiſtoriſchen,
wenn ſie aufrichtig ſein wollen, zu impo-
ſant und die Correctheit des Styls zu ſproͤde
iſt. Mit einer Blume, oder einer artigen
Paſtorale taͤndelt es ſich ſchon eher gefahr-
los. Die Phantaſie iſt weniger durch Re-
geln gebunden, und zerfließt ſie auch hin
und her allzuſehr in’s Sentimentale, man
hat kein Arges daraus. Man hat uͤberall kein
Arges aus dem was ſich harmlos und unbewußt
giebt, wie es kann. Die Mahlerei der Frauen
verhaͤlt ſich zu der wirklichen Kunſt, wie die
leichthin getuſchten Engelskoͤpfchen am Rande
*
großer Gemaͤhlde. Es ſind eben nur An-
deutungen des verhuͤllten Genius.
Dies ſinnige Arabeskenſpiel, was ſich
bald in Toͤnen, bald in Bildchen mit dem
Pinſel oder mit der Radel geſchaffen, durch
das Treiben der Frauen rankt, verbindet ſie
auf natuͤrliche Weiſe mit allem Schoͤnen des
Außenlebens, indem es ihren Blick uͤber das
blos Beduͤrftige deſſelben erhebt und ſie em-
pfaͤnglich fuͤr umfaſſendere Anſchauungen
erhaͤlt.
Allein nicht blos in Beziehung auf ei-
gene Bildung, und den darauf beruhenden
Genuß, ſollen Kunſtfertigkeiten und Talente
als ein Gegenſtand geſelliger Entwickelung
getrieben werden, das Anrecht, was die Ge-
ſellſchaft an den Einzelnen geltend macht,
zeigt ſchon, wie, außer der allgemeinen
regſamern und hellern Stimmung fuͤr den
geiſtigen Verkehr, die angenehmen Gaben
ſich vielſeitig mitzutheilen, insbeſondere als
williges Opfer von denen in Anſpruch ge-
nommen werden, die ſich zu Luſt und Ver-
gnuͤgen miteinander vereinen. Es gehoͤrt zu
dem ſchoͤnen weiblichen Beruf, ohne allzuviel
Umſtaͤnde und Fragen, ganz allein durch die
Natur ihres Seins zur Beruͤckſichtigung An-
derer gefuͤhrt zu werden. Die Anmuth der
Frauen beruhet auch gewiß zumeiſt auf die
Faͤhigkeit mit Grazie zu verbinden und das
Mangelnde zu ergaͤnzen.
Wenn nun aber gerade das Unwillkuͤhr-
liche in dieſem innern Zuge der Seele, ihren
Reiz bedingt, und bis auf den Glanz und
Schmuck ihrer Toilette, alles an ihnen nur
da iſt, um die Kreiſe zu erhellen, zu beleben,
in welchen ſie ſich bewegen, ſo ergiebt es
ſich von ſelbſt, weshalb Talente entwickelt
werden, und welcher Art ſie ſein koͤnnen.
Unſtreitig gehoͤrt der Tanz zu denjeni-
gen, welche dem weiblichen Geſchlecht ange-
boren ſind. Jn der freien, uͤber der Erde hin-
ſchwebenden Bewegung des Koͤrpers, ſcheint
die junge Seele ſich freudig entfalten, die
losgebundenen Schwingen im harmoniſchen
Takte bewegen zu wollen. Die Fuͤße heben
ſich unwillkuͤhrlich, ſo wie die Muſik ruft;
das hochſchlagende Herz, von keiner Sorge
beſchwert, huͤpft unruhig in der Bruſt. Die
Glieder, das Auge, die verſchoͤnte Geſtalt,
ſchwimmt auf den Wellen der Toͤne. Man
ſieht, iſt nur irgend Unbefangenheit und
Grazie dabei, den leichten Windungen mit
Theilnahme zu, und bewundert, wie das
Geſetzliche durch Uebereinſtimmung der in-
nern und aͤußern Anklaͤnge immer mehr zu
voͤlliger Freiheit geadelt wird. Jede Bewe-
gung des Koͤrpers iſt nothwendig, und ſcheint
doch frei. Es iſt etwas Genuͤgendes darin,
das wohlthut, und noch außer dem Behagen
an dem Vergnuͤgen Anderer, angenehm un-
terhaͤlt.
Jmmer wird freilich jenes Zuſammen-
fallen des Tones und der Bewegung nicht
angetroffen, auch bleiben die Grazien haͤufig
aus, und manches Boͤcklein ſpringt im Ball-
ſaale wie auf der Weide in unbekuͤmmerter
Zuverſicht treuherzig, gegen Maas und
Takt umher. Die kurze Freude buͤßt ſich
denn aber auch nur zu bald durch vergebli-
ches Schmachten nach der allgemeinen Luſt,
von der Unbeholfenheit unerbittlich ausſchließt.
Das demuͤthigende Gefuͤhl, was den Zuruͤck-
gewieſenen nach ſolcher Erfahrung bleibt,
reicht hin, entweder fuͤr ſie oder Mitempfin-
dende ein Sporn zu groͤßerer Vervollkomm-
nung in der hochangeſchlagenen Tanz-
fertigkeit zu werden. Ein ſtets geſtachelter
Wetteifer zwingt zur hoͤchſten Anſtrengung.
Die allenfalls entbehrliche Zugabe des Le-
bens wird Zweck deſſelben. Die Kunſt, von
der alle Koͤpfe ſpuken, wird zum Vorwande
gewaͤhlt, das eitle Bemuͤhen zum Studium
zu erheben, Drapperien, Stellungen, Panto-
mime, die tragiſche und die komiſche Muſe,
alles wird zu Huͤlfe gerufen, das Auge uͤber
den fluͤchtigen Erfolg, ſo weit hergeholter
Anſtalten, zu taͤuſchen.
So wird der geſellige Tanz unvermerkt
zum Ballet. Schon haben ſich die Grenzli-
nien zwiſchen Beiden faſt verwiſcht. Die
Deutſchen ſind zu wenig beſchloſſen in ſich,
um nicht ihr Ziel haͤufig zu uͤberfliegen, und
wenn das im Weſentlichen ein vielverſpre-
chender Character ſein mag, ſo erzeugt es in
der Geſellſchaft oft burleske Extreme, die
nach und nach den friſchen jugendlichen
Trieb des Herzens durch abſichtliche Rich-
tungen verkruͤppeln, und ſchalen Selbſtge-
nuß an die Stelle froh getheilter Heiterkeit
ſchieben.
Es hat wirklich das Anſehen, als koͤnn-
ten wir die Bluͤten, welche die Natur muͤt-
terlich durch die Steppen des Lebens ſaͤete,
nur gepreßt und getrocknet zu wiſſenſchaftli-
chem Gebrauche benutzen. Alles, auch das
bluͤhende Talent, geſtaltet ſich zu einem Ge-
genſtand der Kritik und anatomiſcher Zerle-
gung. Abſichtlich, bewußt und ſelb-
ſtiſch wird gegeben, was Andre mit kal-
ter Spannung, befangen und kunſt-
richterlich aufnehmen.
Duͤrfen wir das bloße Zuſammenſein
Geſellſchaft nennen, wenn ſich die Neigun-
gen nicht geſellig einen? Aller Verkehr ein
Richten und Gerichtetwerden iſt? Die Hei-
terkeit entflieht, und Langeweile und Kri-
tik auf ihren verlaſſenen Sitzen Platz neh-
men? —
Auf dieſe Weiſe gibt es keine andere
Vorbildung fuͤr das Geſellſchaftsleben, als
eine unbefangene, großartige Geſinnung, die
willig gewaͤhren laͤßt und arglos leiſtet, was
ſie vermag.
Zweite Abtheilung.
Standpunkt des Maͤdchens in der
Geſellſchaft.
Erſtes Kapitel.
Sie erſcheint.
Funfzehn oder ſechzehn Jahre ſind endlich
von der ſchoͤnen, unwiederbringlich verronne-
nen Jugend abgelaufen! Die letzte Hand
ward an die ſchnell gefoͤrderte Erziehung ge-
legt. Sie iſt nun vollendet! — Noch ein-
mal ſoll das junge Herz, ehe es ſich unver-
meidlich nach Außen kehrt, innerlich zuruͤck-
gewendet, und durch die Weihe, des tiefſin-
nigſten aller Geheimniſſe, gekraͤftigt, erneuet
werden. — Der große Augenblick tritt ein.
Wie das Bad einer zweiten Taufe, umfließt
ein reineres Element die ſchuͤchterne Genoſſin
des heiligen Mahles. Sie loͤſt ſich faſt auf
in unausſprechlicher Wehmuth. Die Welt,
mit allen ihren Lockungen iſt ihr nichts mehr,
ſie hat, ſie empfindet nur das Eine, was
mit ſeeligem Schauer ihr Jnnres durchrieſelt.
Eine Weile beben die ſtark angeſchla-
genen Seiten noch unter leiſer und leiſer
werdenden Anklaͤngen nach. Endlich ſchwirrt
das letzte, dumpfe Saͤuſeln an den aufge-
regten Sinnen voruͤber, ſo wie die Anſtalten
zu der Aufnahme in der großen Welt, lau-
ter, unruhiger, draͤngender werden.
Gluͤcklich genug, wenn die Kluft, zwi-
ſchen beiden Wendepunkten der Bildungszeit,
nicht ſogleich mit einem dreiſten Sprunge
uͤberholt, und der Erinnerung die Zeit ge-
goͤnnt wird, einzelne, unverwiſchliche Spu-
ren fuͤr die Folge zuruͤckzulaſſen! Es ge-
winnt denn doch wenigſtens, durch eine kurze
Periode der Sammlung, das Anſehen, als
ſei das Weſentliche nicht zu einem bloßen
Mittel herabgewuͤrdigt, das Thor jener Frei-
ſtatt eitler Wuͤnſche ſchneller eroͤffnen zu koͤn-
nen. Wenig hilft es den Muͤttern, wenn
ſie, bei ſolcher Abſicht, ihr Gewiſſen durch
Worte beguͤtigen, und an dem Tage, wo
auch ihre Bruſt ein Blitz der Ahndung durch-
zuckt, mit weiſen Lehren und Hindeutungen
auf das Unvergaͤngliche, die unruhige Eil
verdecken wollen, mit der ſie ſelbſt dem ei-
gnen, frivolen Zweck jahrelanger Vorberei-
tungen herbeizogen. Das Thun iſt es,
was die lebendige Geſinnung beſtaͤtigt. Der
unverkennbare Eindruck hiervon, ſpiegelt ſich
zunaͤchſt in den weichen Seelchen zuruͤck, die
eine Zeitlang immer der Wiederſchein von
dem ſind, was die eigentliche Natur ihrer
Eltern und Vorgeſetzten ausmacht. Jſt dieſe
auf Geringfuͤgiges geſtellt, ſo wird bald ge-
nug das Heer von Anordnungen, die tau-
ſend kleinen Ruͤckſichten, die Sorge der Toi-
lette, Wahl und Beſtimmung von dieſem
und jenem ein Gemuͤth einnehmen, das noch
vor wenigen Wochen, nach allen dieſen Herr-
lichkeiten, wie nach der verbotenen Frucht,
nur zwiſchen den kuͤnſtlichen Vorrichtungen
loſer und formeller Religioſitaͤt, hindurch
ſchielen durfte.
Aber war es auch mit jenen Erhebun-
gen des Jnnern heiliger Ernſt, und haftete
dieſer, nicht allein auf dem einzigen Act der
Einſeegnung, begleitete er eine fromm ent-
faltete Jugend, ſo bleibt doch immer jener
Moment der Einfuͤhrung in der Geſellſchaft
der Pruͤfſtein aͤchter Geſinnung. Es iſt we-
der den Muͤttern noch den Toͤchtern ſo leicht
gemacht, die unbefangene Klarheit natuͤrli-
chen Frohſinnes unter anſpruchsloſen Ge-
waͤhrenlaſſen der Umſtaͤnde, in ſich zu bewah-
ren. Wollte man die unzaͤhligen Bedingun-
gen, von denen, ſowohl die Stellung, als
die Begruͤndung in der Zukunft abhaͤngt,
mit kalter Ergebung, als ein nothwendiges
Uebel betrachten, uͤber welches man hinweg
muß, ſo wuͤrde, ſelbſt, wenn ſolch ein inne-
rer Zuſtand ohne Affectation denkbar waͤre,
dennoch eine Trockenheit und herzloſe Apathie
den Wechſelverkehr der Jndividuen laͤhmen,
und die Bande des Geſellſchaftslebens ſo
ſchlaff herabſinken laſſen, daß kein Herz in
der matten Athmosphaͤre frei ſchlagen koͤnnte.
Das Fegefeuer der Langenweile muͤßte mit
ſteigender Angſt in den Himmel der Einſam-
keit zuruͤcktreiben, und ſelbſt die junge Bruſt
mit Ekel gegen ſolch nuͤchternes Umhertrei-
ben erfuͤllen.
Soll ſich aber der heitere Wunſch an
den Augenblick knuͤpfen, und ein lebendiger
Sinn Folge und Bedeutung hineinlegen,
kurz in dem Lebendigen mitleben, ſo ſprin-
gen, wie durch unſichtbaren Druck, alle ge-
heime Federn menſchlicher Anforderungen
mit Blitzesſchnelle in die Hoͤhe. — Der
Widerſpruch zwiſchen unwillkuͤhrlichem Em-
pfinden und bewußtem Denken iſt geweckt,
Herz und Geſinnung ſtehen einander rebel-
liſch und zuruͤckzuͤgelnd entgegen, das Jnnere
kann nicht unerſchuͤttert bleiben. Was be-
dingt nicht die Rothwendigkeit allein, dem
Kreiſe, dem man ſich anſchließt, wohlgefaͤllig
erſcheinen zu wollen? Soll dies Wohlgefal-
len dem Ohngefaͤhr uͤberlaſſen, oder durch
den moͤglichſt gluͤcklichen Eindruck der Er-
ſcheinung motivirt werden? Nimmt nicht
jeder, der Unerfahrene, wie der Erfahrene,
das Letzte immer auf gewiſſe Weiſe an? und
weiß auch die beſonnene Mutter, daß der
Erfolg an ſich von der Abſicht unabhaͤngig
bleibt, laͤßt ſie nicht dennoch eine gewiſſe
unruhige Sorgfalt beſeitigen, entfernen und
hinzuthun, was ſie vermag? Es kann nicht
anders ſein, es iſt nur ſo moͤglich; was
Theilnahme fuͤr ein geliebtes Weſen will
und erwartet, das muß ſie auch foͤrdern
helfen.
Deshalb bleibt das erſte Auftreten, ei-
nes jungen Maͤdchens immer eine große
Angelegenheit, welche die innere und aͤußere
Thaͤtigkeit einer Familie in Anſpruch nimmt.
Dieſe waͤhlt, ordnet, ſtreitet uͤber Zuſammen-
ſtellungen von Farben und Stoffen, entſchei-
det fuͤr und wider, macht dieſen oder jenen
Verſuch, zerſtoͤrt das ſchon Begonnene, be-
ginnt auf’s neue, und vereinigt einen allge-
meinen Rath, um uͤber das Kleidenſte des
Kleidenden zu beſtimmen. So glaubt ein
fremd Hinzukommender in ein Waarenlager
zu treten, nahet er den geſchaͤftigen Frauen,
die kaum einen Seſſel von Blumen und
Huͤthen, Schuhen und Stickereien frei genug
machen koͤnnen, um ihn denſelben anzubieten.
Er darf ſich auch nur der Form halber dar-
auf niederlaſſen, denn ſogleich wird ſein Ur-
theil gefordert, er muß aufſpringen, irgend
einem gebietriſchen Winke in das Toiletten-
zimmer folgen, ſehen, hoͤren, vergleichen, und
Augen und Gedanken in ein Quodlibet von
Sachen begraben.
Durch viele Tage, wenn nicht gar Wo-
chen, haben Thuͤrſteher und Bediente, nur
Schuſter und Schneider, Modehaͤndler und
Stickerinnen anzumelden, Straßen und Laͤ-
den zu belaufen, zu treiben, zu draͤngen,
zu drohen, ſich mit den traͤgeſten der Arbei-
ter zu zanken und das Beſtellte mit genauer
Noth zu dem anberaumten Tage abzupreſſen.
Der Tag, der außerordentliche Tag,
an welchem das junge Fraͤulein erſcheint,
(ein Kunſtausdruck fuͤr Einfuͤhrung in die
Welt) der Tag iſt gottlob unter Sorge und
Ungeduld herangebrochen. Die Stunde ſchlaͤgt.
Die zarteſte und einfachſte von allen fertig
dahaͤngenden Roben ward ſehr weislich fuͤr
heute ausgewaͤhlt, gleichſam um die An-
ſpruchsloſigkeit der jungen Novice zu bezei-
chnen, die nur noch durch Schuͤchternheit
und Demuth intereſſiren kann. Wohl zehn-
mal ward das Kleid fruͤherhin anprobirt.
Jetzt zeigt ſich doch noch ſo manches Man-
gelhafte daran. — Unzufrieden zieht und
zerrt die Mutter, ſtechen und heften Tanten,
Freundinnen und Kammerfrauen an Taille
und Ermel, indeß die arme Kleine mit den fun-
kelnagelneuen, eng angepreßten Schuhen kaum
auf ihren Fuͤßen ſtehen kann, immer blaſſer
wird, Thraͤnen ihr in die Angen treten, und
ſie nichts mehr ſieht und hoͤrt, und es un-
beachtet laͤßt, daß das Geſinde in den Thuͤ-
ren uͤbereinander hinſteht, und neugierig
gafft und prophetiſch bewundert.
Unten im Thorweg ſtampfen ſchon lange
die ungeduldigen Pferde. Die Mutter hat
heut kaum einen Blick in den Spiegel ge-
worfen; ſie beeilt, in laͤſſiger Verwirrung
die verſpaͤtete Abfahrt. Auch der Verſtaͤn-
digern klopft das Herz mehr, als ſie ſelbſt
gut heißt. Stumm ſitzt ſie neben der Halb-
ohnmaͤchtigern im Wagen, ſie ermannt ſich
endlich, und ſpricht mit erzwungenem Gleich-
muthe uͤber das naͤchſt Bevorſtehende. Jetzt
iſt es geſchehen. Der Wagen haͤlt. Kein
Zaudern gilt laͤnger. Einer treibt hier den
Andern. So iſt die Schwelle des fremden,
hell erleuchteten Hauſes betreten, die Treppe
hinangelangt, das Vorgemach, der Sallon
erreicht.
Von nun an ſind die Looſe geworfen.
Hat die Hand eines milden Engels das
Deine gezogen, armes, unbewußtes Herz?
oder war es die Hand eines unerfreulichen
Geſchickes, die es aufnahm, und es Dir jetzt
unter all den blendenden Schimmer, der Dir
keinen einzigen ſichern Blick geſtattet, ver-
birgt? —
Dies und noch weit mehr bedenkt die
verſtaͤndige Mutter. Jhr Auge ſagt, was
die Lippen unter gewoͤhnlichen Redensarten
verbergen. Mit dem Ausdruck ernſter Zaͤrt-
lichkeit, nimmt ſie die Nachſicht, und den
7
Schutz der Anweſenden in Anſpruch! Es iſt
vorzuͤglich das aufmerkſame, meiſt unbe-
ſchaͤfftigte Alter, dem ſie die Unerfahrene
empfiehlt. Gern moͤchte ſie ſogleich die ganze
Verſammlung fuͤr dieſe gewinnen. Dies ſcheint
auch um ſo dringender, als gerade jetzt meh-
rere Mitbewerberinnen um den allgemeinen
Beifall auftreten, den Blick ſpannen, Urtheil
und Meinung ſpalten.
Unwillkuͤhrlich wird die Zuneigung Ver-
gleichen, mit Unruhe vergleichen. Stoͤrende
Nebenempfindungen bleiben dabei nicht aus;
und will auch Reue die ſchwaͤchliche Eifer-
fuͤchtelei ſogleich wieder gut machen, ſpurlos
verwiſcht ſich dergleichen niemals. Die un-
gewoͤhnliche Gemuͤthsſtimmung findet bei dem
betroffenem Kinde, entweder durch Ahndung
oder Einverſtaͤndniß, Zugang. Der erſte
Gifttropfen iſt gefallen.
Und geſchieht das am gruͤnen Holze,
wie wird es erſt mit dem duͤrren ſein?
Duͤrre nenne ich, was ſich und nur
ſich in dem Liebſten liebt.
Brennende Selbſtſucht verzehrt jedes,
was ſie erfaßt und ſchuͤttet grauen Aſchen-
ſtaub auf den Blumenteppich junger Luſt!
Jene, vielleicht unvermeidliche Wallun-
gen beſorgter Zaͤrtlichkeit werden in dem
Buſen der leidenſchaftlichen Egoiſtin eben ſo
viel ſtechende Triebe werden, die den Dor-
nenkranz des Neides, der Mißgunſt und
Verlaͤumdung unmittelbar um die Schlaͤfe
der Neueingefuͤhrten winden, und dieſe, gleich-
ſam von vorn herein, mit den aͤrgſten aller
geſelligen Suͤnden vermaͤhlen.
Was kann ſelbſt die Beſſern anders be-
wahren oder retten, als eine große Geſin-
nung, vornehmer, reiner Adel der Seele, der
die niedern Empfindungen, wie feile Sklaven
mit Fuͤßen tritt und das Auge demuͤthig
aufwaͤrts zu dem allein Hohen und Hoͤchſten
erhebt!
Das Wiſſen hiervon laͤßt ſich erler-
nen, das Sein muß ſein. Machten es
Worte aus, die Suͤnde waͤre nicht mehr in
der Welt. Ja ſelbſt die Empfindung von
Recht und Unrecht oder Wahrheit und Luͤge
hat ſich in den feinſten Abſchattungen zu
*
richtiger Unterſcheiduug geſchaͤrft. — Man
ſpuͤrt der Eitelkeit, als einer verjaͤhrten, al-
ten Bekannten, in die Schlupfwinkel der
Herzen und Haͤuſer nach, entlarvt ſie, wie
und wo es ſich irgend thun laͤßt, tadelt und
beſſert, und zeigt, daß juſt niemand aus
Unwiſſenheit fehle. Deshalb iſt auch die
Außenſeite ſolider Bildung, als uner-
laßliche Form des guten Tones, anpaßlich
fuͤr jedermann, wie eine Art Geſellſchafts-
kleid, angefertigt worden. Nirgend hoͤrt
man mit ſo kalter Abfertigung von der Mi-
ſere der Toilette reden, als in der großen
Welt; von niemandem wird ein Feſt ſo ſehr
als Laſt und ſtoͤrender Eingriff in die ge-
wohnte hoͤhere Thaͤtigkeit beſprochen, als von
denen, deren Leben keinen andern Zweck hat,
als verlebt zu werden. Verſchrieener wird
die Liebe zur Geſelligkeit nirgend als von
der Gefellſchaft, und ſicher wird die Tonan-
geberin der Mode, mit vornehmer Ruhe,
eine unbefangene Erkundigung nach dieſem
oder jenem Gegenſtande des neueſten Ge-
ſchmackes abweiſen, wenn ſie gleich noch vor
wenigen Stunden zwiſchen Zeichnungen und
Kupferblaͤttern einer kunſtfertigen Putzmach-
erin gegenuͤber, heftig und eifernd diſſer-
tirte. Fragt man eine junge Dame uͤber
die Wahl ihres Anzuges fuͤr dieſen oder je-
nen Ball, ſo kann man ſicher ſein, mit ein-
gefrornem Laͤcheln die verwunderte Ausru-
fung zu hoͤren: „Gott! wie ſoll ich das
wiſſen?‟ recht als wenn ſo Armſeeliges den
hohen Jdeengang der achtzehnjaͤhrigen Den-
kerin nicht beruͤhren duͤrfe!
Der affectirte Gleichmuth iſt indeß auch
noch gerade verbraucht, und da er niemand
mehr taͤuſcht, ſo tritt allmaͤhlig eine gewiſſe
kuͤnſtleriſche Jdealitaͤt an deſſen Stelle, welche
die Putzſucht recht artig einwickelt, und po-
etiſch moderne Maͤnner mit in das Jntereſſe
der Eitelkeit ziehet. So werden Vorbilder
fuͤr dieſe oder jene neue Form von Antiken-
Sammlungen und Bildergallerieen bis zu
den Rumpelkammern alter Familienſchloͤſſer
aufgeſtoͤbert, und niegeſtillte Prachtliebe mit
gefabelter Hinneigung zu dem Oriente, ge-
rechtfertigt. Und alles das nur, um nicht
zu geſtehen, daß Eitelkeit, Eitelkeit ſei! —
Man ſchaͤmt ſich weniger vor dem Be-
wußtſein, als dem Geſtaͤndniß jener Erb-
ſuͤnde, die man nur tiefer in ſich hinein-
druͤckt, um nichts davon merken zu laſſen,
wodurch ſie dem Herzen erſt recht lieb und,
ohne alle Scheu, eins mit ihm wird.
Die große Wichtigkeit, welche auf ſolche
Weiſe den aͤußern Abirrungen beigelegt iſt,
beweiſt an ſich ſchon, was den Menſchen
groß oder klein erſcheint. Das Opfer von
dem Vergaͤnglichſten, was der Augenblick
giebt und nimmt, dies Opfer duͤnkt der
Phantaſie ſo ungeheuer, daß der bloße
Schein davon eine Angelegenheit des Le-
bens wird. Wie muͤſſen die frivolen Ge-
nuͤſſe im Werthe ſteigen, wenn es ſolch Ver-
dienſt iſt, ihnen zu entſagen!
Und hier iſt es, wo ich die junge Welt
erwarte. Hier iſt neben der drohendſten Ge-
fahr zugleich ein tuͤchtiger Halt.
Leugne niemand, was nicht zu leugnen
iſt. Eigenliebe und Weltliebe drohen die
Einbildungskraft erſt mit nichtigen, dann mit
abirrenden Bildern zu fuͤllen. Gedanken und
Gefuͤhle koͤnnen davon abhaͤngig, der Geiſt
dadurch zerſplittert, das Gemuͤth erkaͤltet
werden, doch ſchwerlich anders, als wenn
das Geringfuͤgige von Anfang herein hoch,
und das Hohe geringfuͤgig genommen
wird.
Laßt den Glanz der Freude die Ober-
flaͤche erhellen. Ergoͤzt Euch an den unzaͤh-
ligen Negenbogenlichtern! — Wißt Jhr es
doch, heute oder morgen fallen graue Wol-
kendecken nieder und verwiſchen das luftige
Allerlei. Die Farben zerrinnen; aber der
Strahl gluͤth fort. Und was er bedeute?
und wohin er ziehe? Jhr habt es weit
fruͤher erfahren. Deshalb blieb Eure Seele
auch weit und groß, und faͤhig, das Goͤtt-
liche darin aufzunehmen, wenn es ſich Euch
geben will. Jhr denkt nicht, ein uͤberfuͤlltes,
verworrenes Jnnere ſei wuͤrdig, die Staͤtte
des Ewigen zu heißen und wie Jhr dem
ſchlechteſten Gaſt nicht zumuthet, in ein un-
ordentlich zerſtoͤrtes Gemach zu treten, ſo
haltet Jhr die gaukelnde Thorheit fern von
dem eigentlichen Heiligthum Eurer Bruſt.
Bis dahin dringt nichts, was nicht dort
weilen duͤrfte. Mit andern Worten: Jhr
empfindet den Unterſchied zwiſchen Vergaͤng-
lichem und Unvergaͤnglichem. Und wenn
Euch auch das Erſtre anzieht, ſo nennt Jhr
doch Eitelkeit Eitelkeit, und fluͤchtet, ſo
oft Jhr Euch ganz und vollſtaͤndig fuͤhlen
wollt, zu dem, was bleibt. Leicht und froh
moͤgt Jhr daher ſagen: wo mein Herz iſt,
da iſt auch mein Gott.
Mag deshalb immerhin das Auge bei’m
erſten Aufblick in die reiche, glaͤnzende Welt
ein wenig geblendet, der Sinn gefangen, der
Wunſch allzulebhaft angeſprochen werden,
iſt Wahrheit im Kerne des Weſens, ſo be-
ſiegt ſie ſchnell die unbequeme Spannung,
und ſtellt in unangefochtener Geſundheit, das
natuͤrliche Gleichgewicht wieder her.
Hieruͤber muͤſſen ſich bald, die den-
kende Mutter und das vertrauende Kind,
Eine durch die Andre, belehren. Und wenn
ihnen dann auch der Eintritt in die Welt
nicht gerade wie ein Uebel erſcheint, ſo wer-
den ſie doch eingeſtehen, dieſer erſte Lebens-
abſchnitt entſcheide viel uͤber die Richtung
weiblicher Anſichten und Gefuͤhle.
Zweites Kapitel.
Sie gefaͤllt oder gefaͤllt nicht.
Ueber beides entſcheidet nichts von allem,
was in dem Gebiete aͤuſſerer Wahrnehmung
liegt, Weder Schoͤnheit, Grazie, Geiſt, Rang
und Vermoͤgen koͤnnen das Urtheil gefangen
nehmen, noch weniger laͤßt die Abweſenheit
der genannten Eigenſchaften auf unguͤnſti-
gen Eindruck, oder verfehlte Abſicht, mit
Beſtimmtheit ſchließen.
Etwas, das außer dem Bereich des
Menſchenwitzes liegt, wofuͤr wir keinen Be-
griff erſchwingen koͤnnen, jenes Geheimniß-
volle, das unter den Namen Gluͤck oder
Ungluͤck einem jeden nahe genug liegt, um
von ihm gekannt, wenn auch nicht verſtan-
den zu werden, das allein hat eine magne-
tiſch anziehende, oder abſtoßende Kraft.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß dies
unmotivirte Etwas in ſeinen Reſultaten zu-
faͤllig erſcheinen, und dem bewußten Stre-
ben danach, den Anſtrich der Laͤcherlichkeit,
als einzige Ausbeute, erwerben muͤſſe. Gleich-
wohl kann, durch allerlei feine Kuͤnſteleien,
der Schein jener Himmelsgabe fuͤr eine
Zeitlang uſurpirt, und der Ruf unwider-
ſtehlicher Gewalt der Welt mit zuverſichtli-
cher Kuͤhnheit gleichſam abgezwungen werden.
Die geſellige Politik iſt die eigentlich
urſpruͤngliche, oder vielmehr diejenige, welche
der Staatspolitik das Daſein gab. Jhre
Definition heißt, Liſt des Egoismus.
Man kennt das Motiv wie die Mittel,
und doch iſt das oͤfters grob geſchuͤrzte Netz
ſelten umſonſt aufgeſtellt, wenn es drauf ab-
geſehen iſt, die Eitelkeit einzufangen.
Die Erwartung darf nur durch fluͤchtige,
halb angedeutete Schilderungen erregt, auf
widerſprechende Weiſe gereizt, in zweifelhaf-
ter Spannung geſteigert und dann ploͤtzlich
durch den Ausſpruch irgend einer gewonne-
nen Autoritaͤt uͤberraſcht werden, ſo iſt der
Effekt fuͤr den erſten Moment mindeſtens
verwirrend, das Bewußtſein davon wird
niemandem klar, und in dieſer Ungewißheit
ſiegen Elegance, Eigenſinn der Mode, eben
ſo wie die Furcht unwiederbringlich mit dem
guten Geſchmack zu zerfallen. Das erſte
guͤnſtige Urtheil zieht alle Andern nach. —
Keiner giebt ſich Rechenſchaft daruͤber, allein,
was geſagt iſt, iſt geſagt. Der gethane
Ausſpruch muß durch alles unterſtuͤtzt wer-
den, was lauter Beifall, in die Augen fal-
lende Huldigung und erkuͤnſtelter Eifer er-
ſchwingen koͤnnen. Von jetzt an iſt es die
Angelegenheit des eignen Rufes, ſich in der
einmal genommenen Rolle zu behaupten.
Unmerklich wird das ſelbſt geſchaffene Luft-
bild etwas, ſo wie es die Welt dafuͤr er-
kennt. Eitelteit drehet ſich um Eitelkeit,
bis beide, des Tanzes muͤde, uͤberdruͤſſig von
einander ablaſſen, und die gefeierte Goͤttin
des Tages in Vergeſſenheit zuruͤckgedraͤngt,
unſcheinbar, ein Gegenſtand des Mitleides
daſteht.
Wie oft ſehen wir den ausgeſtreuten
Weihrauch in haͤßliche graue Dampfwirbel
zerfließen, und das kleine Flaͤmmchen des
Ruhmes auf dem Altar der Mode erloͤſchen!
Mir kann daher vor nichts ſo bange
werden, als vor dem gefliſſentlichem Streben
nach Beifall, ſei es fuͤr ſich ſelbſt, oder fuͤr
diejenigen, welche man, ſtatt ſeiner, auf die
Buͤhne der Welt einfuͤhrt. Das manierirte
Spiel, was jeder auswendig weiß, und das
demohnerachtet, immer auf’s neue wiederholt
ſelten ſeinen Zweck verfehlt, beginnt mit faſt
vernachlaͤſſigter Toilette und gleichguͤltigem
an Geringſchaͤtzung graͤnzendem Zuruͤckwei-
ſen in die Kinderſtube, ſo lange das arme
faſt erwachſene, doch immer noch in der Vor-
bereitung begriffene Maͤdchen, keine Anſpruͤ-
che an die Geſellſchaft machen darf. Man
erwaͤhnt ihrer kaum unter naͤhern Bekann-
ten, traͤgt ſogar Sorge, daß nichts den Ein-
druck vorweg nehme, welchen der zuletzt auf-
getragene Firniß erſt vollſtaͤndig machen ſoll.
Bis dahin begnuͤgt man ſich, dumpfe Ge-
ruͤchte uͤber die ſchnelle und gluͤckliche Entwik-
kelung eines Aeuſſeren zu verbreiten, das
bald genug die groͤßte Verwirrung in der
Maͤnnerwelt anzurichten verſpricht. Befreun-
dete des Hauſes laſſen ſich hieruͤber nie unum-
wunden aus, allein die unwillkuͤhrlichen Win-
ke, welche ihnen entfallen, reichen juſt hin,
dieſen oder jenen kleinen Zug im Umlauf
zu bringen und Uebertreibungen zu rechtfer-
tigen, von denen der Ehrgeiz junger Thoren,
die gluͤcklichſten Folgerungen zieht.
Jſt es nur erſt dahin gekommen, daß
irgend ein Menſch an den verheißnen Lieb-
reiz glaubt, ſo iſt das Spiel ſchon halb ge-
wonnen. Jetzt braucht es nichts als den
Einfluß einiger imponirender Stimmen mit
in das Familienintereſſe zu ziehen, um alle
Andre ſehen und finden zu laſſen, was
man geſehen und gefunden haben will.
Miſtificationen der Art werden ſtets
durch einen großen Mangel eignen Urtheiles
unterſtuͤtzt; ein Uebel, das um ſo mehr zu
den Krankheiten der Zeit gerechnet werden
muß, als faſt niemand die Ahndung hat,
daß es ihm gerade an dem fehle, worauf ſo
viel ankommt. Auch ſcheint die alte Zeit
fertige Kritik, der dreiſte Tadel, das raſche
Wegwerfen von dieſem und jenem, ehr auf
Eigenthuͤmlichkeit der Anſichten ſchließen zu
laſſen. Allein im hoͤchſten Ueberdruß der
Langenweile weiß man kaum noch, was um
Einen vorgeht. Man ſingt das Lied mit,
was Alle ſingen, ohne ſich ſonderlich um
den Sinn der Worte zu bekuͤmmern. Variirt
der Moment die Melodie, ſo fuͤgt ſich die
Stimme mechaniſch dem Wechſel des Tones
an, ohne daß dieſer deutlich in’s Ohr faͤllt.
Auf ſolche Weiſe wiederholt ſich Daſſelbe
in’s Unendliche. Man wird es dann muͤde.
Es verhallt. Es iſt geweſen.
Daß wir uns mehr oder weniger in
einem aͤhnlichen Zuſtande der Erſchoͤpfung
befinden, ließe ſich allenfalls beweiſen. Die
kraͤnkliche Apathie, in die wir uns hinein-
empfunden und gedacht haben, macht Ge-
fuͤhle und Gedanken ſtumpf oder confus.
Manch Einer dankt Gott, wenn ihm
der Dritte ſagen kann, was er eigentlich
denkt und fuͤhlt. Deshalb wird es ſo leicht
den Geſchmack zu lenken.
Und welch Lenkſeil liegt denen, die auf
die unfruchtbare Arbeit ausgehen, nicht zur
Hand!
Allein, wenn nun auch Alles nach Wun-
ſche zutrifft, der glaͤnzendſte Erfolg die lang-
weilige Bemuͤhungen kroͤnt; was iſt es denn
am Ende? Sie gefaͤllt! Wer birgt der
Schwindelnden dafuͤr, daß nicht am naͤchſten
Tage ſchon geſagt werden koͤnne: ſie hat
gefallen.‟
Bleiben wir indeß bei dem Erſtern ſte-
hen. Sie gefaͤllt. Das Bewußtſein da-
von reicht hin, die Welt, die Menſchen uns
ſelbſt in den eignen Augen umzuwandeln.
Die Glorie des Triumphs wirft ihre Blitze
nach allen Seiten. Der Glanz, der hier-
hiervon ausgeht, erhoͤhet die Farben. Ein
fremdes Etwas durchſtroͤmt dieſe, und dies
Fremde erſcheint in ſeiner Ungewoͤhnlichkeit,
edler, vornehmer. Niemand wird leugnen
daß ſolch ein Umſchwung nicht wohlthuend
ſei. Man betrachtet ſich zuerſt ungewiß,
doch bald darauf mit ſteigender Zuverſicht.
Es iſt gleichſam ein Doppelweſen, das ſich
mit Ehrfurcht erkennt und begruͤßt. Dies
Spiegelbild druͤckt ſich mit jedem Tage der
Phantaſie tiefer ein. Es wird ſtehend;
und wenn aller Nimbus umher ſchwindet,
ſo haͤlt die eigne Anſchauung das einmal
Gewonnene feſt. Der frohe Traum iſt eine
verknoͤcherte Ueberzeugung geworden, zu der
keine Erkenntniß dringt. Der Widerſpruch
zwiſchen dem, was auf ſolche Weiſe mit
oft, bejammernswerther Unbefangenheit vor-
ausgeſetzt wird, und dem, was die Wirk-
lichkeit in allen Beziehungen beſtreitet, ruft
vollends Carikaturen an das Licht, von de-
nen uns nur das Theater der großen Welt
einen vollſtaͤndigen Begriff giebt. Alle die
kleinen Minen und Bewegungen, der Ton
und die entſcheidende Art und Weiſe uͤber-
hinfahrender Sicherheit, das ſiegreiche Laͤcheln,
der kecke Gang, die trockene Einſilbigkeit
Solcher die aus Gunſt und Herablaſſung
reden, alle die unzaͤhligen Minauderien ge-
feierter Modeſchoͤnheiten werden allmaͤhlig
zu widerwaͤrtigen Grimaſſen, die dem Al-
ter ſeine Wuͤrde und namentlich der Matrone,
den Einfluß liebenswuͤrdiger Theilnahme un-
wiederbringlich nehmen.
Zu hart mag es ſcheinen, die ernſten
Betrachtungen, wie eine dunkle Folie zwi-
ſchen den Schimmer erſter, ungekannter
Freuden ſchieben, und den harmloſen Blick
der Einfalt, dadurch truͤben zu wollen, daß
man ihm die Zukunft zur Gegenwart macht.
Genieße doch die Jugend, was die Jugend
bietet! hoͤre ich hier Viele, unzufrieden aus-
rufen. Wozu die angenehme Taͤuſchung
vor der Zeit zerſtoͤren! Weshalb da Miß-
trauen ausſtreuen, wo Glaube und Zuver-
ſicht allein gefahrlos an Klippen hinfuͤhren
koͤnnen!
Jch erwiedre, Duͤnkel iſt nicht Glau-
be, Anmaßung nicht Vertrauen. Beide
bemaͤchtigen ſich der Seele niemals unge-
ſtraft, wie unſchuldig das Ding auch aus-
ſehen moͤge.
Sollen Bewundrung und Beifall nicht
in das Gebiet der Thorheit verlocken, ſo
muß der geſchmeichelte Sinn ſchuͤchtern in
ſich zuruͤckſinken, und ein geſunder Verſtand,
8
wie ein kraͤftiges Herz, ſich friſch aufſchwin-
gen zu einem hoͤhern Richter, auf deſſen
Beifall es allein ankommt. Aecht und Un-
aͤcht lernt man ſogar bei irdiſchen Kleinodien
durch Uebung unterſcheiden; und gebildet
nennt man den, welchen nicht der blanke
Putz aͤrmlicher Nachaͤffung blendet. Wird
das innere Auge nicht auch erſt ſehen ler-
nen muͤſſen? Und ſoll die Unerfahrenheit
nicht billig anſtehen, unbedacht hinzunehmen,
was man ihr unbedacht in die Haͤnde ſpielt?
Jn der Regel ſind Lob und Beifall
ſtets unbefriedigend. Man fuͤhlt, ſie treffen
nie das Rechte. Hieruͤber ſind wir vielleicht
ſelber nicht mit uns einig, oder werden doch
ungewiß, ob wir uns, oder Andre ſich taͤu-
ſchen? Der fremde Ausſpruch ſoll erſt das
Recht geben, an uns glauben zu duͤrfen,
und doch erregen die ſchmeichelnden Ver-
ſicherungen mehr, als ſie beruhigen. Das
Erſchoͤpfende ſagt niemand. Es bleibt noch
immer Unendliches, das weder auf den rech-
ten Standpunkt geſtellt, noch aus dem rich-
tigen Geſichtspunkt betrachtet wird. Und
am Ende iſt alles Menſchenwort truͤglich.
Der Himmel muͤßte ſeine Engel ſenden, um
den Stempel der Wahrhaftigkeit darauf zu
druͤcken, damit es keinem einfalle, anders zu
denken, anders zu empfinden.
So wenig iſt es im Grunde mit dem
Gefallen, daß man bei der willigſten Leicht-
glaͤubigkeit, doch den Stachel geheimer Un-
ruhe nicht los werden kann.
Auf der andern Seite ſind die, welche
mißfallen, noch uͤbler dran. Jn demſelben
Maaße, wie jene Erſten ſich im Gefuͤhle ih-
res Werthes zu der Welt ſicher ſtellen, und
durch Dreiſtigkeit erzwingen, was ihnen
nicht von ſelbſt zufallen will, in demſelben
Maaße werden dieſe durch truͤbe Erfahrun-
gen, aͤngſtlich, ungeſchickt, zuletzt bitter und
kalt.
Es gehoͤrt viel dazu, und will ſeine Zeit
haben, ehe ein liebevolles und an Liebe ge-
woͤhntes Herz, das Maaß von Kraͤnkungen
verſchmerzen lerne, welche die Zufaͤlligkeiten
des Lebens einem jedem bereiten, der ſeine
Heimath in der Geſellſchaft zu finden glaubt.
*
Wie druͤckend muß ſchon das Alleinſtehen
unter Vielen dem armen Kinde werden,
deren liebe Naͤhe und heitere Unterhaltung
Mutter und Geſchwiſter, ja einer ganzen
Familie bis dahin unentbehrlich war, die das
Gefuͤhl davon hat, der es nicht im Traume
einkam, daß ſie jemals laͤſtig oder uͤberfluͤßig
erſcheinen werde! Mit Erwartungen, wie jede
Andre ſie hegt, tritt ſie in die hellen Saͤle
der Freude; ſorgſame Achtſamkeit hat ſie
bis hieher geleitet. Das Wohlwollen der
Jhrigen, ein hoffendes Gemuͤth, der Spiegel
im Auge liebender Freunde, alles wirft ihr
das eigne Bild ſo friſch und glaͤnzend zu-
ruͤck, wie ſich ihr heute jedwedes in der
bewegten Phantaſie geſtaltet. Hinneigend,
warm, voll froher Vorausſetzung von Theil-
nahme und Nachſicht, ſchließt ſie ſich den
jugendlichen Kreiſen an. Nun ſteht ſie da.
Gruß und Gegengruß ward gegeben und
erwiedert. Ein fremdes, muſterndes Laͤcheln
glitt an ſie hin. Sie iſt ſchon beurtheilt!
Man iſt fertig mit ihr. Das Geſchick hat
entſchieden. Sie gefaͤllt nicht. Einer fluͤ-
ſtert das dem Andern zu. Noch beſchaͤfftigt
ſie die witzigen Koͤpfe und Lacher. Bald
ſchweigen auch dieſe. Sie iſt vergeſſen. Aber
ſie hat nicht vergeſſen zu was ſie hieher
kam. Luſt und Freude ſuchte ſie. Seit
lange wurden ihr beide verheißen. Sie fand
Kraͤnkung und froſtigen Hohn. Sie begreift
das nicht. Sie kann den misgluͤckten Er-
folg nur dem Zufalle beimeſſen. Es wird,
es muß ſich ihre Stellung anders finden
laſſen. Weßhalb ſollten auch fuͤr ſie allein
Jugend und Hoffnung zu falſchen Prophe-
tinnen geworden ſein! Von da an kaͤmpft
ſie fortwaͤhrend mit nie ſterbenden Wuͤnſchen
und ſtets wiederholter Nichterfuͤllung. All-
maͤhlig ſetzt ſich, ihr unbewußt, das kindli-
che Vertrauen zu herbem Trotz und bitterer
Laune um. Sie tadelt und muſtert, wie ſie
getadelt und gemuſtert ward. Ungeliebt wird
ſie lieblos; ſchwer raͤcht ſich das verletzte
Selbſtgefuͤhl durch ſtechende Kritik, wenn
nicht gar durch boͤſen Leumund. Faſt ſollte
man aus dem Allem folgern, es ſei ſo ge-
faͤhrlich den Beifall wie den Tadel der Ge-
ſellſchaft auf ſich zu ziehen. Voͤllige Gleich-
guͤltigkeit gegen beides ſchuͤtze wohl am be-
ſten gegen ſo laͤſtige, als zufaͤllige Einwir-
kungen.
Es iſt mit dieſer Gleichguͤltigkeit doch
auch am Ende nichts als Affectation! Und
waͤre es auch nicht, koͤnnte man ſich ſo ab-
haͤrten und eine kuͤnſtliche Natur anbilden,
was ſuchte man denn noch ferner unter
Menſchen, da man fuͤglich bequemer mit ſich
allein waͤre?
Nein, es hilft nichts! durch dieſe Scyl-
la und Charybdis muß jedweder hindurch.
Etwas Verlockung von der einen und etwas
Schmerz von der andern Seite wird immer
zu beſtehen bleiben. Allein, anders iſt es,
das Stoͤrende wie das Schmeichelnde uͤber
die Seele hinwehen oder es in ſie ein-
dringen zu laſſen. Das Voruͤbergehende muß
fruͤhe von dem Bleibenden unterſchieden, und
in ſeinem Gegenſatze empfunden werden, da-
mit das Gefuͤhl dafuͤr, eine Eigenſchaft des
Gemuͤthes, und keine taube Frucht des Rai-
ſonnements ſei. Man kann ſehr viel uͤber
Vergaͤngliches und Ewiges zu ſagen wiſſen,
und doch weder das Erſtere fahren laſſen,
noch das Andre feſthalten wollen. Der Frie-
de einer ſchoͤnen, reinen Natur beruhet auf
unbewußtem Selbſtvergeſſen, auf einem ſol-
chen, das wirklich nicht von ſich weiß, das
mit ungekuͤnſtelter Beſcheidenheit die guten
Gaben des Himmels und der Welt freudig,
ja uͤberraſcht empfaͤngt, und es dankbar
wuͤrdigt, mit bei der Vertheilung von Er-
denguͤtern noch ſo vieles den Einzelnen zu
Erkenntlichkeit auffodert, wenn gleich unzaͤh-
lige Fehlſchlagungen die Reihe unſrer Wuͤn-
ſche zerreiſſen.
Zu einer ſolchen Anſicht des irdiſchen
Daſeins gelangt man entweder ſehr ſpaͤt,
und nach mannigfach reifenden Erfahrungen,
oder die ſchoͤne Gewoͤhnung der Kindheit und
Jugend hat das Jnnre ſo gluͤcklich geſtimmt,
daß ein wahrer, tiefer Grund der De-
muth das ganze Weſen erfuͤllt, und die Ein-
druͤcke von Außen wohl zuweilen ſtuͤrmend
andringen, doch nie den feſten Bau erſchuͤt-
tern koͤnnen.
Es iſt nicht zu leugnen, unter allen
Vorbereitungen der Erziehung, wird die Be-
wahrung ſchuldloſer Unbefangenheit und be-
ſcheidener Sinnesart allein das Maaß der
Empfaͤnglichkeit fuͤr Beifall und Mißfallen
halten lehren.
Drittes Kapitel.
Jhr Verhaͤltniß zu aͤltern Frauen.
Wirft man, beim Eintritt in einen Ball-
oder Geſellſchaftsſaal, den Blick auf die
Sophas, und naͤchſten kreisfoͤrmig aneinan-
der gereiheten Seſſel, ſo erſchrickt man in
der Seele jeder jungen Perſon, die vor die-
ſen Richterſtuͤhlen erſcheinen ſoll. Sie ſind
meiſt von ſo genau beobachtenden, ſo ge-
ſetzlich abwaͤgenden Zuſchauerinnen einge-
nommen, deren Miene der Weltſcene im
mindeſten nicht zulaͤchelt, ſo daß die Ju-
gend einigermaaßen ſcheu ſein darf, ihnen
mit den erſten, unbeholfenen Schritten zu
nahen. Und doch hat man es in unſern Ta-
gen mit der Ueberwindung dieſer Scheu
recht weit gebracht. Nichts ſcheint weniger
gefuͤrchtet, als das Auge der Erfahrung.
Dieſe iſt ſo ſehr aus der Mode, oder doch
um alles Anſehen gekommen, ſeit die Bil-
dung ſo vielſeitig ward, daß das Alter
nicht mehr mitkommen kann. Es iſt wahr,
dieſes erſcheint in ſeinem Verfall, trockener,
theilnahmloſer als ſonſt, wo gegenſeitige
Gewoͤhnung eine viel beweglichere Gemein-
ſchaft unterhielt. So beziehet ſich das Le-
ben, in allen ſeinen Bedingungen, vor und
zuruͤck. Stokt es nach einer Richtung hin,
ſo findet es von der andern gewiß auch kei-
nen Fortgang.
Man wußte ehemals viel von dem Ein-
fluß heiterer, jugendlich geſinnter Matronen
zu erzaͤhlen. Jhre Ausſpruͤche lebten fort
im Munde eines neuen Geſchlechtes. Alles
was Feinheit der Sitte, raſche und leichte
Wendungen der Rede Anmuthiges und Ue-
berraſchendes in ſich faſſen, war von den
Lippen liebenswuͤrdiger aͤlterer Feauen ge-
ſammelt. Man erwaͤhnte ihrer als ſolcher
Autoritaͤten, die jedermann anerkennt, und
ſelbſt Maͤnner und Juͤnglinge fanden ſich
geſchmeichelt, in ihre Kreiſe aufgenommen
und durch ſie ausgezeichnet zu werden.
Jſt es nun, datz jetzt das Alter nichts
Angenehmes mehr ſagt, weil die Jugend
nur unwillig hoͤrt? oder hoͤrt dieſe darum
nicht, weil jenes graͤmlicher, ſteifer, kurz
aͤlter geworden?
So etwas iſt ſtets gegenſeitig. Allein
was iſt der Grund davon? Jch ſuche dieſen
in der Ungeſelligkeit des Geſellſchaftslebens.
Die Faͤhigkeit naͤmlich, ein andres Daſein
in uns aufzunehmen, oder auch nur es au-
ßer uns zu ſuchen und zu finden, iſt einmal,
mit der angenehmen Nachlaͤſſigkeit heitrer,
hingebender Sinnesart, theils auch durch die
große Luſt, die jeder an ſich ſelbſt hat, ver-
loren gegangen. Man kann ſicher annehmen,
daß in den heutigen kleinen Cirkeln unter
Zwanzigen kaum Zweie ſich befinden, die
nicht mit ſich allein geblieben waͤren. Sie
reflectiren und obſerviren nur um mit der
eignen Erkenntniß zu converſiren. Dieſe
Art von Geſellſchaftsſprache iſt die einzig
unwillkuͤhrliche geworden. Jhrer Natur nach
muß ſie einſeitig ſein; und wer ſie daher
in ſich uͤbte, und die Gewohnheit hat, Recht
zu behalten, laͤßt keinen andern Menſchen
aufkommen.
Die Jugend wuͤrde auf ſolche Weiſe
zuruͤckgedraͤngt, auf ihre Unerfahrenheit hin-
gewieſen, ſchuͤchtern ſchweigen, wenn ſie ſich
nicht ihrer Seits durch Anmaaßung, ſchad-
los hielte, und die Fortſchritte der Zeit, mit
wegwerfendem Hohn, gegen veraltete Weis-
heit und proſaiſche Naturen, geltend machte.
Die gegenſeitige ſchroffe Stellung giebt
der Mittheilung das Einſilbige und Kurze,
was den Strom der Rede im Beginnen ab-
ſchneidet, und eckiges Abſprechen wie unvor-
ſichtiges Ueberhinfahren bedingt.
Man kann, das was man taͤglich ſieht
und erfaͤhrt, nur auf ſolche Art erklaͤren,
wenn es ſich uͤberall vollſtaͤndig erklaͤren laͤßt,
denn immer bleibt noch, außer der Einſei-
tigkeit der Selbſtſucht, etwas Tieferes zu
ſuchen, was dieſe letztere eben ſo wecken und
ſchaͤrfen, als uͤber ſie hinweghelfen kann.
Der Verband unter den Menſchen beruhet
auf Theilnahme. — Sie iſt urſpruͤnglich
das Erſte, was Empfindung giebt und
empfunden wird. Die Regungen, welche
ſie erzeugt, ſind unwillkuͤhrlich; ſie bleiben
es auch; je freier ſie ſich aͤußern, je mehr
wollen ſie beantwortet ſein. Stockt es da,
ſo entſteht augenblicklich irgend eine Verlet-
zung. Jetzt kommt alles darauf an, ob das
Jnnre geſund genug iſt, die Wunde ſchnell
zu heilen? oder ob ein geheimes Gift hin-
einfließt und ſie offen erhaͤlt? Wohlwollen
und Guͤte koͤnnen viel verſchmerzen. Sie
ſind ihrem Weſen zufolge mild und nachſich-
tig. Flammt aber der Stolz einmal auf,
ſo iſt der Riß gemacht. — Mißverſtaͤndniß
reihet ſich an Mißverſtaͤndniß, und was da
falſch aufgenommen und falſch beurtheilt
wird, das ſchiebt die Stellungen ſo ſeltſam
ineinander, daß keine Natur und keine
Wahrheit in den Verhaͤltniſſen bleibt.
Um das Gluͤck Antheil einzufloͤßen,
und ihn fuͤr Andre zu hegen, bringt ſich der
Menſch ſehr oft durch die Dauer, welcher
er einer gereizten Stimmung giebt. Die er-
hoͤhete Lebenskraft im Unwillen hat viel taͤu-
ſchenden Reiz. Man thut vor ſich ſelbſt
groß, indem man klingende aber unnuͤtze
Worte, macht. Am Ende geht man wei-
ter, als man dachte. Das Ueberfluͤſſige iſt
geſagt, das Gemuͤth hat eine falſche Farbe
aufgetragen. Dieſe muß aͤcht erſcheinen.
Erſt ſpielte man Komoͤdie mit ſich, dann mit
der Welt, zuletzt hat der Charakter die Falte
wirklich angenommen, das Entſtellende darin
ſchreckt manch Einen zuruͤck. Man fuͤhlt ſich
verkannt und verkennt ſeiner Seits wieder.
Jm Schlimmen, wie im Guten, fuͤhrt
die gefaßte Richtung unmittelbar weiter.
Jch glaube, die ſcharfen Abſchnitte,
welche jetzt zwiſchen Alter und Jugend, weit
mehr in den innern Beziehungen, als in der
aͤußern Erſcheinung ſtatt finden, beruhen
hauptſaͤchlich auf dem Mangel wechſelſeiti-
ger Theilnahme, die uͤberall ſo fuͤhlbar iſt.
Deshalb wird jeder noch moͤgliche Einfluß
immer nachtheilig wirken. Ehrfurcht und
Zuneigung hoͤrten auf das Verſchiedenartige
zu ergaͤnzen. Bei ſo vielem Wiſſen von
einander iſt ſehr wenig Verſtaͤndniß da. Die
Bahnen laufen nach verſchiedenen Richtun-
gen, und wo ſie ſich beruͤhren, geſchieht das
ſelten freundlich.
Es iſt ſehr auffallend, daß mit der Achtung
auch die Gemeinſchaft ſo allgemein abnimmt.
Ehemals hielten ſich die alten Frauen
fuͤr die eigentlichen Grundpfeiler der Geſell-
ſchaft. Sie vergaben nichts von ihren be-
gruͤndeten Rechten an die Jugend, ſie ließen
dieſe nicht glauben, die Freuden des Lebens
ſeien nur fuͤr ſie da. — Einem jedem das
Seine! war ihr Wahlſpruch. Deshalb blieb
ihre Stellung wuͤrdig.
Sie wollten nicht als ein bloßer, laͤ-
ſtiger Anhaͤngſel der juͤngern Welt ange-
ſehen ſein, und die Rolle gelangweilter und
langweilender Aufſeherinnen uͤbernehmen.
Zu ihren Fuͤßen gleichſam ſollte ſich die Ju-
gend bewegen, Daran freuen wollten ſie
ſich, nicht durch ſie leiden. Weit entfernt,
die langen, troſtloſen Abende und halben
Naͤchte aneinander gereihet, in ſteifer Un-
thaͤtigkeit dazuſitzen, nichts ſagend und nichts
denkend, als: Mein Gott, nimmt denn der
Cotillon nimals ein Ende! oder, ſolch ein
Feſt iſt doch eine rechte Geduldsprobe fuͤr
die arme Muͤtter! weit entfernt ſich einer
trockenen und unfruchtbaren Pflichterfuͤllung
aufzuopfern, bewegten ſie ſich frei und leicht
in ihrer Welt! ſpielten oder redeten, gingen
hin und her, bildeten Kreiſe um ſich, fixir-
ten dieſe in irgend einem bequem gebliebe-
nen Zimmer, wußten etwas zu ſagen, wur-
den gehoͤrt und hoͤrten wieder, bewahrten den
angebornen und erworbenen Tackt fuͤr jede
zartere Abſchaltung der Verhaͤltniſſe in ei-
nem Maaße, daß ihnen auf halbem Blicke
nichts von dem entging, was jetzt eine ſtets
begleitende Aufmerkſamkeit zu fordern ſcheint.
Jeder, auch der leiſeſte Verſtoß ward ſchnell
bemerkt und ſtreng geruͤgt. Man ſchien da-
zu weder Augen noch Ohren zu beduͤrfen.
Die Begriffe von Schicklichkeit waren ſo
ſehr in das Gefuͤhl uͤbergegangen, daß es
mehr Sache der Empfindung, als der Be-
obachtung war, was entſchied. Das vor-
uͤberfliegende Bild ließ den vollſtaͤndigſten
Eindruck zuruͤck. Dem geuͤbten Auge ver-
rieth ſich unmittelbar, was die ermuͤdete Be-
obachtung langſam zuſammentraͤgt. Die
jungen Perſonen hatten davon auch die be-
ſtimmteſte Ahndung. Es fand ein ſchnelles
Verſtehen ohne Worte ſtatt. Die Behen-
digkeit des Geiſtes gewann dabei, das ſitt-
liche Zahrtgefuͤhl erhoͤhete ſich. Die Kritik
war nicht blos gefuͤrchtet ſie war aner-
kannt. Man raͤumte denen willig das Recht
des Urtheils ein, von denen die Erhaltung
der Geſetze ausging. Hieraus entſprang
unmittelbar jene Differenz der Anerkennung,
welche den gegenſeitigen Beziehungen den
angenehmen Charakter des Schutzes und Be-
ſchuͤtztwerdens leiht.
Der jugendliche Liebreiz verliert nicht
dabei, wenn er durch einen Anflug demuͤthi-
ger Zaͤrtlichkeit und ſchmeichelnder Beruͤck-
ſichtigung erhoͤhet wird. Das junge Maͤd-
chen nimmt ſich niemals zierlicher und fri-
ſcher aus, als neben dem Alter, und die
kleinen Aufmerkſamkeiten, die ſo ſchnell ver-
mißt und ſo gern erkannt werden, entwik-
keln nur die Grazie der Guͤte in ihr, die
einzige die ſie uͤber die Bluͤthezeit hinaus
begleitet, die einzige die zum Herzen ſpricht.
Auch verſtanden die Matronen ehemals
ihren Vortheil weit mehr, als jetzt. Sie
wußten ihren Platz wohl zu finden. Statt
dieſen in den Tanzſaͤlen zu ſuchen, wo ſie
nur hinderlich oder ein Gegenſtand des Mit-
leides, wohl auch zuweilen unwillkuͤhrlicher
Spoͤttelei, ſein koͤnnen, entzogen ſie ſich der
Jugend, und zwangen dieſe, ſie aufzuſuchen.
Auf ſolche Weiſe, vornehmer und hoͤher als
jetzt geſtellt, gewann ihre Gunſt einen Ein-
fluß, der nicht aus der Acht zu laſſen war.
Die Ruͤckſichten, welche uͤberlegene Er-
fahrung in jedem Augenblicke des Lebens,
wie in allen Verhaͤltniſſen, heiſcht, wurden
deshalb niemals aus den Augen geſetzt. Der
Ton junger Maͤdchen hatte nichts von der
familiaͤren Spaßhaftigkeit, die zuweilen an
das Triviale ſtreift, uͤberhaupt gaben dieſe
den Ton nicht an, ſie nahmen ihn auf. Jn
welcher Art er angeſchlagen ward, wußten
9
ſie ihn feſtzuhalten und von ihrem Stand-
punkte aus zu modificiren. — Der Scherz
blieb Scherz, allein anders darf das freund-
lich geſonnene Alter dieſen in kleinen Nek-
kereien laut werden laſſen, anders klingt die
Antwort von den beſcheidenen Lippen der
Geneckten zuruͤck. Hierin war es beſonders,
wo ſich die zwangloſe Freiheit, die nicht Ge-
henlaſſen iſt, erlernte. Der Witz, der ſeiner
Natur nach unwillkuͤhrlich ſein muß, ſchließt
ſchon an und fuͤr ſich eine gegebene Form
aus; aber er giebt die paſſende Form ſelbſt.
Dieſe wird, wenn ſicherlich nicht ſproͤde
und ſteif, doch auf gewiſſe Weiſe conventio-
nel ſein. So iſt einmal die Natur der Ge-
ſelligkeit. Es finden in ihr ganz nothwen-
dige Bedingungen ſtatt, die nicht verletzt
ſein wollen. Der aͤchte geſellige Witz beru-
het hierauf. Er kann daher, als das, was
er an ſich iſt, nicht anders als natuͤrlich,
und als geſelliger Witz, nicht anders als be-
ruͤckſichtigend ſein.
Eben ſo verhaͤlt es ſich mit der ſcherz-
haften Unterhaltung, ja, mit dem Betragen
der Leute von Welt, beſonders aber der Ju-
gend in Bezug auf das Alter. Natur und
Sitte ſollen ſich hier durch ein Drittes, durch
nothwendige Achtung, ſo vollſtaͤndig durch-
dringen, daß der unwillkuͤhrlichen Mitthei-
lung keine Eintracht geſchehe, und dieſe
doch in den bedingten Schranken gehalten
bleibe.
Man empfindet Perſonen, die immer in
freien und großen Verhaͤltniſſen lebten, eine
Leichtigkeit und Zartheit an, die alles, was
Anſtand und Feinheit zugleich fordern, er-
ſchoͤpft.
Warum ſollte die Jugend daher nicht
in gebuͤhrender Abhaͤngigkeit, dennoch ganz
eigenthuͤmlich, zu dem Alter ſtehen koͤnnen?
Was auf den Kopf geſtellt wird, druͤckt
in ſeiner ſchiefen Lage zu aller meiſt. Wo
man uͤberſehen oder unterſchaͤtzt wird, da
raͤcht man ſich durch ohngefaͤhre Eingriffe.
Auf irgend eine Weiſe will jedweder zeigen,
daß er da iſt, und wird die graͤmliche Laune
erſt gereizt, ſo laͤßt ſie ſich aus, wie und
wo ſie weiß und kann.
*
Wahrlich, die Geſellſchaft hat nichts
dadurch gewonnen, daß man denen, die kei-
ne Fuͤße zum Springen mitbringen, ihren
Antheil ſchmaͤlert. Seit man nur Geigen
und Pfeifen ſprechen laͤßt, verſtummen die
menſchlichen Zungen. Goͤnne man beiden,
Fuͤßen und Zungen, ihr Necht! und mache
dieſes Recht jeder geltend wie er kann. Laſ-
ſe man den Tanzſaal der Jugend, maͤßigen
die Muͤtter ihre Unruhe uͤber den gluͤcklichen
Erfolg der Toͤchter, lernen ſie die einzige
Gewalt, die ſie noch uͤben koͤnnen, die der
Herrſchaft des Geiſtes, mit Wuͤrde und Gra-
zie behaupten, und zwingen ſie die niedlichen
Taͤnzerinnen einzugeſtehen, daß man nicht
in die Liebenswuͤrdigkeit hineinſpringt, daß
das Talent hinzu geuͤbt ſein will und man
zu Vorbildern hinauf und nicht herab
ſehen muͤſſe.
Viertes Kapitel.
Entſtehende Freundſchaften.
Freundſchaft gehoͤrt gewiß auch zu den
Guͤtern, die ſich uns im Leben meiſt immer
nur als Spiegelbild der Wahrheit zeigen.
Wir erkennen juſt ſo viel davon, um die
Sehnſucht danach zu rechtfertigen. Wenn
wir aber die Hand ausſtrecken und zu be-
ſitzen hoffen, liegt etwas dazwiſchen, und
waͤre es auch nur ein durchſichtiger Stoff,
immer iſt es etwas Materielles!
Jm Allgemeinen begnuͤgt man ſich mit
dem taͤuſchenden Wiederſcheine. Man hat
recht, die Sache nicht genau zu nehmen,
wenn es darauf ankommt, eine Luͤcke in der
Zeit zu fuͤllen. Was uͤber die Zeit hinaus-
geht, liegt insbeſondere der Jugend allzu-
fern, um daruͤber mit ſich im Klaren zu
ſein. Sie hat es mit der Gegenwart, und
traͤumt ſie auch viel von Ewigkeiten, ſo ſind
das poetiſche Gewebe, mit denen eine ſpie-
lende Phantaſie die Wirklichkeit umſpinnt.
Eine andere Art Bilderfibel! die auch eine
Epoche der Entwickelung foͤrdern hilft!
Dieſe Gattung von Anſchauungen, meiſt
aus weichen, nebelartigen Elementen hervor-
gehend, nimmt indeß weniger den Sinn als
das Gefuͤhl in Anſpruch, und wie dieſes ſie
ſchuf, und in beſtimmten Verhaͤltniſſen auf-
einander bezog, ſo wurden ſie ſeine Welt.
Deshalb kommt es gar nicht darauf an,
was und wer in ſolche phantaſtiſche Re-
gion eintritt? ſondern uͤberall nur, daß ſich
ihr etwas nahe.
Jſt das jugendliche Gemuͤth nicht von
Natur ganz duͤrr, oder durch Beziehung und
Umgebungen durchaus verflacht, ſo wird es
immer eine Zeitlang jenes ahndungsvollen
Aufſchwunges faͤhig ſein und die Wirklich-
keit in eine ideale Sphaͤre hinuͤberziehen, die
unwillkuͤhrlich die Gegenſtaͤnde umwandelt.
Jn dieſer Periode muͤſſen gleichgeſtimmte
Herzen ſich finden und Verbindungen ge-
ſchloſſen werden, die ſpaͤterhin in das We-
ſen der Freundſchaft hineinreifen, oͤfter
noch, auf ihren Namen getauft, eine Zeit-
lang mit dieſem Namen ſpielen und dann,
wie nicht geweſen, in das allgemeine Grab
aller Endlichkeit verſinken.
Es iſt hierbei weder viel zu tadeln, noch
ſich zu verwundern. Die Taͤuſchbarkeit der
Jugeud iſt nicht groͤßer, nur anders, als
die des Alters. Jene umfaßt Wuͤnſche des
Herzens, dieſe Erwartungen des Lebens.
Jſt Natur, unwillkuͤhrliche Hingebung
in Beiden, ſo kann man nur beten, daß
die Beſonnenheit nicht ganz dabei fehlen
moͤge. Jm Uebrigen wird jeder allein durch
ſich ſelbſt belehrt. Das Weſentliche beruhet
ſtets auf dem Weſentlichen, und was hier
gekaͤmpft und erfahren werden muß, das
kann keiner dem Andern abnehmen.
Allein uͤber die Form, und was mit
ihr genau zuſammenhaͤngt, die aͤußere Er-
ſcheinung, laͤßt ſich doch manches ſagen,
was unmittelbar die geſelligen Ruͤckſichten
betrifft.
Dieſe werden nur zu oft durch gewiſſe
Anwandlungen leidenſchaftlicher Freundſchaf-
ten verletzt, in denen nicht einmal die Wahr-
heit augenblicklicher Taͤuſchung liegt.
Man hat eine triviale Bezeichnung fuͤr
Affectationen der Art, welche gleichwohl das
Motiv, aus dem ſie hervorgehen, erſchoͤpft.
Man ſagt: „Der oder die will ſo was
vorſtellen.‟
Das iſt’s! Es ſoll etwas, das meiſt
gar nicht da iſt, vorgeſtellt, irgend eine Rol-
le, die Jntereſſe erwecken koͤnnte, geſpielt
werden. Das bloße einfache fuͤr ſich Da-
ſein, Reden und Handeln reicht nicht aus
den Effect hervorzubringen, welchem man
beabſichtigte. Deshalb muͤſſen ſich Verhaͤlt-
niſſe ſchaffen und Beziehungen berbeifuͤhren
laſſen, die verſchiedenartig auf die Wahr-
nehmung wirken.
Empfindungen will man grade nicht
heucheln, aber die Faͤhigkeit ſie hegen zu
koͤnnen, ohngefaͤhr andeuten. — Und will
man auch uͤberhaupt nichts Bewußtes, ſo
muͤſſen doch Gefuͤhl und Gemuͤth, durch
den Wunſch, bemerkt zu werden, aͤußerlich
agiren, ohne daß ſie etwas Wirkliches im
Jnnern bewegte.
Deshalb hat die Freundſchaft junger
Maͤdchen zu einander ſo viel in die Au-
genfallendes. Gewoͤhnlich ruft ſie die
ganze Welt zum Zeugen ihres Daſeins. Es
ſcheint, das ſtille Band zweier aufbluͤhender
Seelen ſolle von beſcheidener Farbe ſein, in-
deß hat dieſer, wie jeder andre Putz heutiger
Mode, etwas Frappantes. Je bemerkbarer,
je uͤbereinſtimmender mit dem herrſchenden
Geſchmack.
Solche zuſammengetragene Herzchen koͤn-
nen, wie fuͤr einander, auch nur neben
einander ſchlagen. Verlaͤßt die Jnnhaberin
des einen ihren Platz, ſo droht die Nachba-
rin zu verſchmachten. Jm ſelben Augenblick
ſpringen beide von den Stuͤhlen auf, und
die Arme eng ineinander verſchlungen, ſieht
man die Unzertrennlichen durch Saͤle und
Gemaͤcher feſt zuſammenhalten, nur Eines
denken, Eines belachen, meiſtentheils ſich
Eins und daſſelbe vertrauen, und mit ruͤh-
render Unſchuld, Monotonie fuͤr Harmonie
in Cours bringen. Wagt irgend ein Ver-
meſſener den heiligen Bund zu trennen, darf
er ſich unterfangen, die irdiſche Huͤlle einer
dieſer Zwillingsſeelen in einem profanen
Walzer zu entfuͤhren, ſo fliegen doch ihre
vielſagende Blicke ſuchend durch die Raͤume
hin, und kaum verhallt der letzte Ton der
Muſik, ſo haben und halten ſich die
Treuen, und die naͤchſte Fenſtervertiefung
nimmt das erſte Entzuͤcken der Wiederverei-
nigten in ſtummer Dunkelheit auf. Waͤre
aber gar Einer ſo unbarmherzig, den Ein-
klang der ſuͤßern Gefuͤhle bei Tafel unter-
brechen und ſich zwiſchen die Freundinnen
eindraͤngen zu wollen, ſo wuͤrde ſolch ein
Barbar mit lautem, vereintem Geſchrei zu-
ruͤckgeſchreckt, die heldenmuͤthigen Amazonen
ihr heiliges Recht aneinander, vertheidigen
ſehen.
Dahin kommt es denn auch nur ſelten.
Aller Scharfſinn, der ſich bei dergleichen
Faͤllen nur aufbieten laͤßt, wird ſchon lange
ehe die verhaͤngnißvolle Stunde ſchlaͤgt, in
Thaͤtigkeit geſetzt, um zwei oder viere, je
nachdem die Paare ſich zuſammenfinden, ge-
ſicherte Plaͤtze auszumitteln, wo gegen jeden
Angriff verwahrt, die Langeweile des gegen-
ſeitigen Beſitzes, ſich recht breit machen koͤnne.
Da ſitzen ſie nun Gottlob ganz, ganz
allein! Sie lachen noch ein Weilchen uͤber
die gelungene Liſt. Dann wird es immer
ſtiller und ſtiller unter ihnen. Es iſt wahr,
ſie eſſen jetzt; dabei ſpricht es ſich nur durch
halbe Worte. Allein, weiß der Himmel, die
unausſprechliche Fuͤlle der Empfindungen
ſtockt wie angefroren. Allmaͤhlig ſuchen jetzt
die Augen die gefuͤrchteten Stoͤrer von vor-
her. Dieſe ſind zu ehrfurchtsvoll oder muͤde.
Sie haben auch wohl muͤſſigere Nachbarinnen
gefunden. Ein wenig uͤble Laune faͤngt an das
Mahl zu vergaͤllen. Eine findet die Andre
heute muͤrriſch. Man neckt ſich anfangs
ein wenig, dann faͤllt wohl ein ſchneidender
Seitenblick in den Scherz hinein. Muthwille
und Unwille vertauſchen wechſelſeits die
Masken. Ziemlich erkaltet nimmt nach dem
Souper der Tanz die Unzertrennlichen in
ſeine Windungen auf. Solche Freundſchaf-
ten muͤſſen ſich nicht allzugefaͤhrlichen Pro-
ben ausſetzen. Das Spiel darf nicht Ernſt
werden.
Aber die augenblickliche Verſtimmung
wird denn doch ſehr bald durch das Be-
duͤrfniß gewohnter Mittheilung aufgehoben.
Alle die geahndeten oder erſpaͤheten Geheim-
niſſe, die in den bekannten Kreiſen obwalten,
die Laͤcherlichkeiten, welche unausbleiblich vor-
fallen, koͤnnen eben ſo wenig unbemerkt als
unbeſprochen im Stillen erſterben. — Die
große Angelegenheit irgend eines unpaſſenden
Toilettenſtuͤckes, oder die Vernachlaͤſſigung
einer, an Auszeichnung gewoͤhnten Mode-
ſchoͤnheit, ſind eben ſo viel wichtige Gegen-
ſtaͤnde des Geſpraͤchs, daß der Begier danach
kaum die Zeit gegoͤnnt wird, ſich einiger-
maaßen zu bezaͤhmen. Daher das haͤufige
Gefluͤſter und Geziſchel, das einverſtandene
Lachen, was nur zu oft Uneingeweihete in
Verlegenheit ſetzt, deshalb der ſchroff abwei-
ſenden Ton gegen Solche, die ganz unbe-
fangen meinen, ſich dem Geſpraͤch anſchlie-
ßen, und ihr Theil aus dem Quell, des ver-
ſteckt gebliebenen Witzes ſchoͤpfen zu duͤrfen.
Werfe man mir nicht vor, hier nur
die Mißbraͤuche einzelner Uebermuͤthigen, und
vielmehr die provinziellen Sitten kleinſtaͤdti-
ſcher Cirkel, als den guten Ton der Haupt-
ſtadt geſchildert zu haben. Es ſind die un-
willkuͤhrlichen Suͤnden fehlerhafter Gewohn-
heit, und, ich muß es ſagen, weiblicher Na-
turanlagen, die ſo leicht ins Manierirte ver-
faͤllt, die aus dieſem Grunde gegen die
Wahrhaftigkeit urſpruͤnglich einfacher Ge-
ſinnung verſtoͤßt. Jſt es nun, daß das aͤußere
Daſein der Frauen ſo wenig bedeutendes
herbeifuͤhrt, und ſie doch ebenfalls Antheil
an das Auſſenleben zu haben glauben, iſt
es des Verkennen ihres Standpunktes, was
ſie oft ſo unnuͤtzerweiſe hervortreten laͤßt?
Kurz, ſie bilden ſich bis in Freundſchaft
und Liebe, gewiſſen fremden Vorſtellungen an
ſtatt die beſſere Eigenthuͤmlichkeit kunſtlos
zu entfalten. Sehr ſelten ſind ſie, ſie
ſelbſt, meiſt immer das Abbild von dem
was ihnen gerade vorſchwebt. Entweder
eine jugendlich elegante Tonangeberin, die
Quinteſſenz aller moderner Frivolitaͤt, oder
die gefuͤhlvolle Schwaͤrmerin fuͤr das Erha-
bene und Schoͤne, ſpaͤterhin die Hausfrau
par excellence, bis zur Pein pflichtvoll,
dann kunſtliebende Beſchuͤtzerin der Zeitent-
wickelung, und zuletzt die guͤtige, nachſichts-
volle Matrone, die alles ſo unendlich mild
an ſich hingehen laͤßt, daß man kaum be-
greift, wie ſie dabei mit dem Gefuͤhl eigner
und weiblicher Wuͤrde uͤberhaupt zurecht
kommt.
Jn allen dieſen fortlaufenden Zuſtaͤn-
den veranlaßt die jedesmalige Stimmung
einen Wechſel der befreundeten Gemeinſchaft.
Es loͤſen ſich alte und knuͤpfen ſich neue
Verbindungen. — Keine war die rechte,
keine wird vielleicht die rechte, denn alle
bedingt das Hinzugekommene, und niemals
iſt zu beſtimmen, welche neue Erſcheinung
der Zeit, das verbrauchte Kleid der geweſenen
erſetzen wird.
Es iſt ſehr auffallend, daß das weib-
liche Geſchlecht, was durch die tiefſten Be-
dingungen des innern Seins, der Natur we-
niger, als das maͤnnliche entfremdet ward,
dennoch in den willkuͤhrlichen Lebensbeziehun-
gen, ſo ſelten frei von beſtechlicher Kuͤnſtelei
der Gefuͤhle iſt! und weniger, weil es dies
ſo wollte, als weil es nicht anders kann.
So iſt Freundſchaft ſelten etwas anders fuͤr
die Frauen, als die Form, welche das Ge-
ſellſchaftsleben den gleichartigen Verhaͤltniſ-
ſen giebt. Von Außem veranlaßt, beruhen
ſie auch auf aͤußere Bedingungen. Jn der
Jugend ſind es Ball- und Toilettenangele-
genheiten, oder eigene und fremde Romane,
in einer zweiten Lebensperiode, Uebergluͤck
oder Mißgeſchick der Ehe, Sorgen der Kin-
derſtube und des Hauſes, im dritten und
letzten Lebensabſchnitt, Beduͤrftigkeit des Al-
ters, ſie ſind es, welche ſtatt der innern
Sympatie der Neigung die lockern Bande
knuͤpfen, die ſelten den Wechſel der Jahres-
zeiten im Menſchenleben uͤberdauern.
Auch erwaͤhnt die Geſchichte kaum ei-
nes Beiſpieles weiblicher Freundſchaft. Da
hingegen die Seele des Juͤnglings und
Mannes nur vor dieſer Flamme aufgeht,
und jede große und kuͤhne That, durch ſie
gelaͤutert, rein und frei hervortritt. —
Hier ſind es daher innere Motive, aus
denen ſich die Gemeinſchaft des Handelns
und Empfindens entwickelt, Einwirkung
und Gegenwirkung entzuͤnden den
Blitz beſſerer Erkenntniß, klaͤren uͤber den
Zweck des Lebens auf, kurz, verbruͤ-
dern, und laſſen Gedanken und Gefuͤhle in
den Bund gemeinſamen Strebens zuſammen
fallen. Jch will gewiß nicht behaupten,
daß jede Verbruͤderung der Art in ihrem
Urſprunge rein, noch in dem, was ſie will,
uͤber das Gewoͤhnliche erhaben ſey. Das
Schlechte wie das Gute fuͤhrt Menſchen zu-
ſammen. Allein, wie das ganze Sein der
Maͤnner ein geſtaltendes iſt, und ſich ihr Stre-
ben, von fruͤher Jugend, auf thaͤtiges Mit-
wirken richtet, ſo wird dem Bunde des Wil-
lens und der Kraͤfte ſtets etwas Thatenfoͤr-
derndes zum Grunde liegen. Die Freund-
ſchaft welche Juͤnglinge vereint, kann daher
nicht ſowohl ein ruhiger Wechſelſpiegel des
einen und des andern Zuſtandes ſein, ſon-
dern ſie wird das Triebrad fortfließender
Handlungen werden. Dieſe moͤgen ſich end-
lich einmal durchkreuzen, den Verein ſpalten
ſo daß das Miteinander ein Gegenein-
ander wird, immer bleibt Leben in den
Richtungen. Es beſtimmt ſie nicht das Zu-
faͤllige der Verhaͤltniſſe; der Charakter der
Geſinnungen, welcher Verhaͤltniſſe ſchafft
und ihrer Herr iſt, der entſcheidet daruͤber,
ob zwei Kampfgefaͤhrten bei derſelben Fahne
bleiben, oder ihre Farbe wechſeln wollen?
Sie fallen nicht mattherzig auseinander, ſie
reißen ſich kraͤftig los und ſtehen fuͤr die
naͤchſten Stunden gegenuͤber in den feindlich
geſinnten Reihen. Wer auch Sieger bleibe?
Der Friede, das weiß man vorher, wechſelt
die Gefangnen aus und verſoͤhnt den Streit
der Meinungen. Wo ſich im Treiben der
Welt Wahrheit und Leben ſpuͤrt, da iſt der
Punkt abzuſehen, von welchem beide in eine
hoͤhere Wahrheit hineinfließen.
Die kleinen Cotterien der Frauen, ihre
Comitẽen, ihre ſentimentalen, oder Gewohn-
heitsverbindungen, haben nur dann Leben,
wenn das Geſchick gleichſam mit harter Hand
die heilige Wahrheit großer und aufopfern-
der Gefuͤhle aus dem Grunde ihres Jnnern
heraufriß, und die ſpielende Vertraulichkeit
zu aͤchterem Vertrauen umſchuf. Mitleid,
Theilnahme, Huͤlfe von der einen, und Be-
duͤrftigkeit von der andern Seite, muͤſſen die
taͤuſchenden Vorſtellungen, von dem, was
10
Freundſchaft iſt, verwirklichen, es muß etwas
geſchehen, das auf gewiſſe Weiſe uͤber das
Perſoͤnliche, ein allgemeines, ein Familienge-
ſchick, auf den Familienſinn der Hausfrau
und Mutter einwirke, ſie ſelbſt muß ſich
als ſolche fuͤhlen, um das eigne Herz in der
fremden Bruſt wiederzufinden.
Deshalb ſagte ich fruͤher: es werden in
der erſten Periode des Lebens oftmals von
der weiblichen Jugend Verbindungen geſchloſ-
ſen, die in das Weſen der Freundſchaft hin-
einreifen koͤnnen. Dieſe Moͤglichkeit iſt da!
Wer duͤrfte ſie beſtreiten! jedoch was wahre
Hingebung heißt, das ſollte fruͤhe in ſeiner
ganzen Bedeutſamkeit gekannt werden, um
den Schmuck mit fremden Federn nicht ſo
breit und ſchillernd hervorzuheben.
Es ſcheint auf den erſten Blick ſehr
gleichguͤltig, mit welchem Spielwerk die Ju-
gend ſich unterhaͤlt. Moͤge es ſo oder ſo
heißen, es fuͤllt die Zeit heiter aus.
Es iſt nicht gleichguͤltig! Von Meſſern
und Scheeren und jedem Verletzlichen weiß
die Welt, daß man es unbeholfenen Fin-
gern nicht anvertrauen duͤrfe. Von dem,
was die Seele wund riß, ſchweigt die kluge
Vorſicht ganz. Hier ſoll der Schaden allein
belehren. Warum das? Was hat man denn
am Ende davon, wenn ſich das Gefuͤhl in
willkuͤhrlichen Taͤuſchungen zerſplittert,
die Faͤhigkeit des Fuͤhlens nie in ihrer gan-
zen Fuͤlle hervortritt, ſie in tauben Bluͤthen
vertrocknet, und zuletzt auch der Glaube
daran verloren geht? —
Jch ſage abſichtlich: willkuͤhrliche
Taͤuſchungen. Denn es iſt nicht jugend-
liche Waͤrme, die unbewacht hinſtroͤmt, an
ſich zieht, es geſchehen laͤßt, daß ſich
Herzen finden. Es iſt ein kuͤnſtliches Beduͤrfniß
fuͤr kuͤnſtliche Zuſtaͤnde was Freundſchaften
der Art knuͤpft. Sich ſelbſt herausheben,
von ſich reden, intereſſant erſcheinen, Einge-
bildetes noch feſter einbilden, es durch einen
fremden Mund beſtaͤtigen laſſen, das will
man! Daher jenes haͤufige Erkalten gegen
die naͤchſten und befreundeſten Menſchen, ge-
gen Geſchwiſter und liebe Verwandte. Aus
ihrer einfachen Zaͤrtlichkeit laͤßt ſich nichts
*
mehr machen; dieſe kann weder der Jllu-
ſion, noch den Forderungen der Eitelkeit
Vorſchub leiſten. Je wahrhaftiger ſie ihr
natuͤrliches Recht geltend macht, je weniger
darf ſie der momentanen Pretention ſchmei-
cheln. Es entfremdet ſich auf ſolche Weiſe
das Zuſammengehoͤrige und haͤkelt ſich an-
einander, wo es doch wieder auseinander fal-
len muß. Wird das denn ohne innern Ver-
luſt abgehen? Wird nichts Verſchobenes,
nichts Herbes und Stachlichtes in der Seele
zuruͤckbleiben?
Wenn die gefaͤllige Freundin dem fluͤch-
tigen Wunſche durch wiederholte Anregung
eine Geſtalt gegeben, er ausgeſprochen, ge-
wiſſermaaßen dadurch in’s Leben getreten iſt,
ſich immer dreiſtrer hervorwagt, und bei
ſtets wiederholtem Hin- und Wiederreden
rieſengroß aufſchließt, zuletzt alle Gedanken
und Empfindungen annimmt, und dennoch
unerfuͤllt bleibt, wie ſteht das ſtachelnde
Werkzeug zu dem bethoͤrten Herzen? — Es
hat nur Stacheln fuͤr dieſes! Der wohlthu-
ende Reiz iſt verſchwunden.
Man ſehe doch nur hin, was wird denn
aus den meiſten dieſer lebhaft unterhaltenen
Einverſtaͤndniſſe? Wie wenige Frauen bewah-
ren ſelbſt die bloße Luſt an den gegenſeitigen
Umgang. Mit dem Motiv iſt auch die Er-
innerung geſtorben. Wie loſe muͤſſen die
Wurzeln eingefaßt haben! Richt die leiſeſte
Spur blieb zuruͤck.
„Nun wohl,‟ — wird man entgegnen
— „was iſt denn ſo Großes dadurch ver-
ſchuldet? Das Ganze iſt ſo gut wie nicht
geweſen! — Und immer waren es huͤbſche
Stunden, die ihren Theil an der artigen
kleinen Jugendkomoͤdie hatten. Daruͤber iſt
man denn freilich ſpaͤter hinweg! Das kann
nicht anders ſein! Das iſt immer ſo gewe-
ſen!‟ Damit waͤre freilich eben noch nicht
viel fuͤr die Sache geſagt, vielleicht nur
nachgewieſen, woher die Lauheit in den aͤl-
tern Frauenkreiſen entſteht. Jn der unge-
heuern Langenweile der Erſchoͤpfung laͤßt der
Muͤde das flache Treiben, das er laͤngſt durch-
gemacht, dem er nie etwas Aechtes anfuͤhl-
te, ganz bei Seite liegen, und ſieht es
hoͤchſtens als unbedeutend an, ob es ſo iſt,
oder anders.
Dieſe Trockenheit, dieſe truͤbſte aller
Folgen ungebildeter Gefuͤhle, das iſt es, wo-
vor man junge Perſonen bei’m Entſtehen
ſogenannter Freundſchaften zu warnen hat.
Es bleibt nicht bei der einen Verwirrung!
Denn abgeſehen von dem, was die ſpaͤtere
Zukunft dem Jugendblick der Gegenwart
verhuͤllt, aus der falſchen Wahl der Freun-
din, erwaͤchſt die verkehrte Richtung zu dem
eignen Bewußtſein, zu der Welt, zu dem
Verhaͤltniß mit Maͤnnern; ein Gegenſtand,
der ein beſonderes Kapitel erfordert. —
Fuͤnftes Kapitel.
Jhre Beziehungen zu den Maͤnnern.
Jede Zeit hat ihre Phiſiognomie. Die un-
ſere iſt in den vornehmern Kreiſen nicht auf
Taͤuſchungen des Herzens geſtellt. Dieſe
Periode liegt hinter uns. Was allenfalls
noch da hineinſchillert, das geſchieht aus
letztem Reſt von Courtoiſie fuͤr das Phan-
taſtiſch-Poẽtiſche. Allein das iſt denn doch
nur die ganz gruͤne Unerfahrenheit, die dem
Aberglauben froͤhnt. Leute von gutem Ton
ſind enger als je mit der Realitaͤt ver-
maͤhlt. Es iſt ein Gegenſtand der Bildung
und ein Wahrzeichen ihrer Begruͤndnng ge-
worden, daß man dem Fabuloſem, wie dem
Reiche der Ahndungen nicht laͤnger anhange
und alles, bis auf das Labyrinth der eignen
Bruſt real beziehen lerne.
Weder Romane, noch romantiſche Traͤume
werden dem zufolge das jugendliche Gehirn
entzuͤnden. Auch glaube ich haͤtte man un-
recht gegen die hohen Jdeale zu Felde zu
ziehen, die ſonſt klugen Muͤttern ſo furchtbar
waren. Jch wuͤßte gar nicht, wie dieſe aus-
ſehen, von welcher Farbe und Gattung ſie
ſein muͤßten, um irgend wo Eingang zu fin-
den! Ein großes, weites, kuͤhnes Heldenge-
muͤth iſt ein verbrauchter Charakter, der ſich
auf der Buͤhne, wie in den Meßkatalogen
um ein Geringes finden laͤßt. Auf der an-
dern Seite gehoͤren jene uͤberaus zart ge-
ſtimmten Naturen, voll ſtiller Gluth unver-
gaͤnglicher Liebe, nicht in die Stimmung der
Zeit, von ihnen traͤumt kein Maͤdchenherz
mehr. Ueberall hat es mit den Verwirrun-
gen der Phantaſie, von dieſer Seite, ſicher-
lich keine Gefahr.
Andre Klippen finden ſich indeß auf
dem Felde der Eitelkeit, dieſem wahren
Theater der Welt, auf dem jede, auch die
nuͤchternſte Erſcheinung ihre Rolle zu ſpielen
gewiß iſt, wenn nicht poſitiv, doch negativ,
wenn nicht als Edelſtein, doch als Folie.
Die zum Theil unpaſſenden, zum Theil un-
heilbringenden Beziehungen, welche dieſe taͤu-
ſchende Feindin des weiblichen Herzens un-
mittelbar bei deſſem Erwachen, herbeifuͤhrt,
ſie ſind die bei weitem gefaͤhrlichern.
Gefallen will jedes Maͤdchen. Was
man wuͤnſcht, das glaubt man. Jſt aber
Leichtglaͤubigkeit ſchon an ſich Thorheit, ſo
iſt ſie es hier doppelt durch die Ruͤckwirkung
nach Jnnen? Denn was heißt gefallen? —
Schnell, unmittelbar einen entſcheidenden Ein-
fluß gewinnen, erſt den fremden Geſchmack,
dann den Kopf und Willen beherrſchen, das
verſteht man unter Gefallen haben. Nicht
ſowohl eine Neigung geben und theilen will
man, als eine Gewalt uͤben, ein Verhaͤltniß
begruͤnden, in welchem man als Gehuldigte
herausgehoben unter Vielen, dieſen vorgezo-
gen, einzig verehrt wird.
Schwerlich wird eine wohlgezogene, jun-
ge Porſon ſich dies ſelber, geſchweige denn
Andern, geſtehen. Zu dieſer Klarheit des
Bewußtſeins kann es gar nicht in ihr kom-
men, will ſie anders vor dem eigenen Ur-
theil beſtehen. Jhr grades, feſtes, unbeweg-
liches Weſen verraͤth auch nichts von ſo
kuͤhnen Wuͤnſchen. Sie ſteht zur Welt da,
als ginge ihr dieſe im mindeſten nichts an.
Jn der That nimmt ſie auch nur in ſo
weit Notiz von ihr, als ſie ihren Platz darin
behauptet. Ob der Platz der erſte, zweite
oder dritte ſein wird? darum handelt es ſich
freilich in der Hauptſache. Gleichwohl wird
die Frage, ſo wenig als moͤglich, in Anre-
gung gebracht. Eine dunkle Vorausſetzung
nimmt die guͤnſtigſte Antwort von Hauſe aus an.
Jn dieſem Nebel, halb bewußter, halb
unbewußter Zuverſicht, huͤllt ſich die Eitel-
keit ſo geſchmeidig ein, daß ſie faſt unſicht-
bar wird. Gewoͤhnlich ſind die Naͤchſtſtehen-
den am meiſten uͤber ihr Daſein im Jrrthum;
und ſo waͤchſt denn der Glaube an ſich mit
den Erwartungen, denen immer mancherlei
von Außen ſchmeichelt.
Was ſo ein guter weiblicher Glaube
alles fuͤr baare Muͤnze annimmt! was die
Augen alles ſehen, die Ohren alles hoͤren!
welche Folgerungen die liſtige Selbſtliebe zu
ziehen im Stande iſt, davon wuͤrde man
ſchwerlich eine Ahndung haben, wenn nicht
ſchon vor Alters her luſtige Geſchichtchen
hieruͤber im Umlauf waͤren, und jene Anek-
dote eines artigen Kindes vom Munde zu
Munde ginge, das athemlos der Mutter ei-
nen erwuͤnſchten Bewerber ankuͤndigte, und
auf die Frage, in welcher Art dieſer ſich
ausgeſprochen habe, erroͤthend erwiederte:
„geſprochen hat er gar nicht; doch gegruͤßt
haͤtte er mich faſt!‟ —
Wenn dieſe Beweisfuͤhrung auch einem
kindiſchen Verſtande zuzuſchreiben iſt, ſo darf
man doch behaupten, daß auf einem gewiſ-
ſen Punkt die Glaubensfaͤhigkeit der Frauen
die aller weichſte Kindlichkeit zu bewahren
pflegt, und ſich nur durch ein Stoßgebet an
die Vernunft gegen taͤuſchende Eindruͤcke ſi-
chert.
Man erſtaunt oͤfters, wenn man von
dem ungeheuern Effect ſo ſchnell gewelkter
Reize hoͤrt, daß nichts ihr fruͤheres Daſein
ahnden laͤßt. Die Einbildungskraft der Ma-
trone allein hat die Erinnerung davon be-
wahrt. Sie faͤrbt die fahlen Bilder bei je-
der erneueten Vorzeigung mit immer roͤtherm
Glanz, ſo daß ſie ihr ſelbſt ganz roſig an-
laͤchelten, und die oftmals traurige Jugend
ein impoſantes Anſehen gewinnt.
Von ſolchen Erfolgen kann ſich denn
freilich das redliche Bewußtſein in der Ge-
genwart nichts ruͤhmen. Dieſe nimmt ſich
ganz nuͤchtern daneben aus. Konnte ehe-
mals ſo viel fuͤr ein leidliches Aeußere ge-
ſchehen, warum nicht jetzt? Feiner, gebilde-
ter, eleganter war man doch nie als heut
zu Tage. Der Wunſch, etwas Aehnliches
zu erfahren, iſt geweckt. Mit dem Erwa-
chen verbreitet ſich zugleich ein neuer Tag
uͤber die eigne Perſoͤnlichkeit. Alle, ſebſt die
kleinſten Beziehungen, begraͤnzen ſich ſchaͤr-
fer, treten beſtimmter, bedeutender hervor,
jedes Wort hat noch einen geheimen, ver-
ſteckten Sinn; was ſonſt nichts als her-
gebrachte Formen bezeichnete, umfaßt nun
eine Welt von Empfindungen. Alle huldi-
gen im Geheim, wo ſie nicht laut zu werden
wagen.
Einmal die natuͤrliche Richtung verlo-
ren, verliert ſich der Sinn in ein Labyrinth
falſcher Vorausſetzungen. Der Wahn geht
zu der zaͤheſten Ueberzeugung uͤber. — Die
Vorſtellung des geſchmeichelten Jch, ſtehet
feſt, ſie wird eine fixe Jdee, die, gleich jeder
Ueberſpannung der Art, unheilbar bleibt.
Wuͤßten junge Perſonen, wie unglaublich
laͤcherlich ſie jedem Unbefangnen, durch den
uͤbermuͤthigen, halb ſchnoͤden, halb tragiſchem
Ernſt erſcheinen, mit dem ſie das Fluͤchtigſte
von allem, was das Leben giebt, das Wohl-
gefallen der Maͤnner aufnehmen, haͤtten ſie
eine Ahndung von der unbewegten Ruhe,
mit der ein Elegant ſich ſolch Siegesfeſt
uͤber die ſchwaͤchliche Leichtglaͤubigkeit der
Frauen bereitet, wollten, oder koͤnnten
ſie ſich uͤberzeugen, daß ihrer Perſon davon
nichts, der Convenienz Einiges, am meiſten
aber dem Charakter des Mannes von Ton,
angehoͤrt, ſie wuͤrden jeden aufſteigenden
Wahn in der Geburt erſticken.
Uebrigens kommen auch oft die armen
jungen Maͤnner ſehr ungerechter Weiſe zu
dem Rufe truͤgeriſcher Abſichtlichkeit. Es
giebt doch wirklich eine galante Geſellſchafts-
ſprache, uͤber deren Bedeutung eine conven-
tionelle Uebereinkunft ſtatt findet. Wer ſich
darauf verſteht, ſucht nicht mehr darin, als
ein Andrer hineinlegte. Das feine Gewebe
ſubtiler Beziehungen, aus denen das Weſen
der Geſellſchaft beſteht, verfluͤchtigt Gedan-
ken und Empfindungen in einem Maaße,
daß ſie aufhoͤren zu ſein, und nur durch
kuͤnſtliche Zuſammenſtellungen die Wirklich-
keit eines gemachten Daſeins erhalten. So
haben Worte einen Klang, Mienen Aus-
druck, das Benehmen, Character, und alles
das durch Geſetze aͤußerer Uebereinſtimmung
bedingt, ohne individuelle Naturnothwen-
digkeit.
Das Herz eines Juͤnglings kann voͤl-
lig ſchweigen und doch muͤſſen ſeine Lippen
ſich gewiſſermaaßen ſchmeicheld bewegen, will
er nicht uͤberfluͤſſig oder ſtoͤrend in dem Krei-
ſe da ſtehen, in welchem ihm ſein Platz an-
gewieſen iſt. Er muß loben und tadeln,
wuͤnſchen und erwarten, Witz und Thorheit
laut werden laſſen, kurz jung und froh ſein
duͤrfen, wenn die Jugend geſellig und die
Geſelligkeit jugendlich bleiben will.
Wie aber mag er vermeiden, daß aus
dem einverſtandenem Spiele nicht dennoch
Mißverſtehen erwachſe? — Die Selbſtliebe
nimmt in der Regel alles zu begraͤnzt, zu
wirklich. Das Phantaſtiſche jener Geſell-
ſchaftspoeſie, die nur bunte Schatten auf
der Oberflaͤche hingleiten laͤßt, will ſich nicht
mit den Anfoderungen an real geſtaltete
Verhaͤltniſſe vereinen. Es entſteht uͤberall
Widerſpruch, wo der Ernſt den fluͤchtigen
Scherz feſthalten will. Wer hier den erſten
unvorſichtigen Schritt thut, muß es buͤßen;
und nicht allein durch unabwendbare Taͤu-
ſchung, zuverlaͤßig auch durch das allmaͤhli-
ge Verſchieben des ganzen Charakters der
Geſelligkeit. Unwillkuͤrlich wird durch die
hineingetragene Bezugnahme jedesmaliger Per-
ſoͤnlichkeit zuerſt Entfremdung, dann Steif-
heit, und zuletzt kaltes, ſtarres Zuruͤckziehen,
von allen fruͤher geſuchten Zirkeln bei denen
entſtehen, die ſich falſch beurtheilt ſehen.
Frauen bedingen ſtets den Geiſt der
Geſellſchaft. Sie verbreiten unfehlbar Un-
befangenheit oder Befangenheit, je nachdem
ſie ihre Stellung nehmen und ſie den Maͤn-
nern geben.
Es iſt, daͤchte ich, dieſem viel zu viel
eingeraͤumt, ſie nur glauben zu laſſen, man
beſchaͤfftigte ſich noch uͤber den Augenblick
hinaus, anders mit ihnen, als der Augen-
blick ſelbſt es mit ſich bringt; allein es iſt
gewiß eben ſo nutzloſe Affectation, will
man das Anſehen nehmen, als goͤnne man
irgend einem Anweſenden nicht diejenige
Aufmerkſamkeit, auf die er Anſpruch zu
machen berechtigt iſt.
Viele Frauen glauben ihrem Rufe den
Ausdruck der abgeſchloſſenſten Kaͤlte ſchuldig
zu ſein. Sie kennen die Abſchattungen an-
genehmer Heiterkeit, allgemeiner Waͤrme des
Verſtandes, Beweglichkeit des Jnnern, freier
und gehaltener Converſation, kurz, ſie ken-
nen nichts als ſich, und was mißverſtande-
ne Begriffe weiblicher Wuͤrde, ihnen Been-
gendes anbildeten.
Dieſe Ruͤckſichten ſind es welche der Ei-
telkeit der Maͤnner die aller verderblichſte
Rahrung bieten. Braucht es ſo großer An-
ſtalten, um ſich ſicher zu ſtellen, wie bedeu-
tend muß die Gefahr von der Seite erſchei-
nen, gegen die man ſich mit ſo viel Zuruͤck-
haltung waffent! Wenn der kleine Kitzel in-
deß auch zuweilen ein Stachel mehr iſt, alle
Springfedern des Geiſtes und der Liebens-
wuͤrdigkeit in Bewegung zu ſetzen, und das
kuͤnſtliche Schild wegzudraͤngen, ſobald es
der Muͤhe werth ſcheint, ſo wird doch das
Spiel nur zu bald langweilig, und ein an-
drer Stachel, der des Hohnes und der Jro-
nie, ſpitzt ſich ſchaͤrfer und ſchaͤrfer, und
wird hoͤchſt unbequem fuͤr die, welche ihn
herausfodern.
Wozu uͤberhaupt Manier, wo die gebil-
dete Natur ſo frei und gluͤcklich leitet?
Es iſt dieſe Verwirrung des Begriffes,
welche ſo viel Verkehrtheit anrichtet, auf die
es hauptſaͤchlich ankommt.
Viele halten naͤmlich das Angebildete
fuͤr Ausbildung, Manier fuͤr wohlgezogene
Natur.
Dies iſt ſehr oft der Jrrthum einer
feinen und groͤßern Welt. Natuͤrlich fein
heißt nichts anders, in dem beſſern Sinne,
als ſeine Eigenthuͤmlichkeit ſo frei und edel
als moͤglich, in den gegebenen Schranken der
Sitte und des Anſtandes entwickeln, ſich
ſelbſt treu bleiben in dem hellern Spiegel er-
hoͤheter Erkenntniß. Erziehung ſoll nichts
als das Stoͤrende wegraͤumen, das dem
Nachſtreben ſeines Urbildes, was jeder
dunkel oder kenntlicher im Buſen traͤgt, hin-
11
derlich ſein koͤnnte. Man ſoll, kein Andrer,
das beſſere, das beſte Selbſt, ſoll man
werden. Jn dem Sinne muß wohlgezogene
Natur, Natur bleiben, und durch ſich allein
die Manier, als eine Treuloſigkeit, gegen ihr
tiefſtes Weſen ausſchließen.
Wenn Frauen daher die Aufforderung
haben, natuͤrlich und frei in dem Umgange
mit Maͤnnern zu ſein, ſo iſt nur von der
hoͤhern Freiheit, die ſtets kunſtlos iſt, die
Rede. Die Sitte bleibt ſich ihrer jeden Au-
genblick bewußt, und innerhalb ihrer Herr-
ſchaft bewegen ſich Geiſt und Gefuͤhl in
warmer, lebendiger Stroͤmung. —
Solch ein natuͤrlicher Umgang weiß
nichts von Nebenbeziehungen. Er iſt
gleich entfernt von Abſicht, wie von jener
ſtudirten Unbefangenheit, der man oͤfters den
Charakter der Naivetaͤt beilegt, gewoͤhnlich
die gezierteſte von allen Zierereien, — denn
hier iſt nichts aͤcht, — nichts was ſelbſt die
unerzogene Natur nicht wiederriefe.
Da man keine Geſellſchaft ohne gluͤck-
liche Miſchung, keine ohne Frauen und
Maͤnner denken kann, ſo beruhet die truͤbe
oder heitere Phiſiognomie eines jeden Vereins
der Art, auf Beziehungen beider Geſchlechter
zu einander. Je mehr unbequeme Preten-
tionen hier obwalten, je mehr Taͤuſchung
von der einen und der andern Seite ſtatt
findet, je trockener und kaͤlter wird das
ganze Treiben werden. Sentimale Thraͤnen
fließen laͤngſt nicht mehr, große Leidenſchaf-
ten, Noth und Tod ſind aus der Mode ge-
kommen; dagegen liegt das Eis der Re-
flexion wie eine gefaͤhrliche, glatte Flaͤche,
die niemand zu betreten wagt, zwiſchen dem
Vergnuͤgen, und der Sehnſucht danach. —
Maͤnner ſind voller Einbildung uͤber die
Einbildungen der Frauen, und dieſe ſtellen
der Gefahr, mißdeutet zu werden, eine
Schroffheit entgegen, die ihrem Umgange
das Weiche und Anziehende nimmt, was
ſo leicht getraͤumte Mißverſtaͤndniſſe ausglei-
chen wuͤrde.
Es ſei mir erlaubt, hier nur noch eine
Bemerkung hinzuzufuͤgen. — Je geringer
die innern Mittel, je mehr borgt man von
*
Außem. Wenig Herz und wenig Verſtand,
verbergen ſich ſtets hinter Stolz und ſteifer
Unzugaͤnglichkeit.
Dritte Abtheilung.
Einfluß der Frauen auf die Ge-
ſellſchaft.
Erſtes Kapitel.
Der Geiſt, der von ihnen ausgeht.
Wenn es ſeit Jahrtauſenden keine Frage
mehr iſt, ob die Frauen eine Gewalt beſitzen
und uͤber die Welt ausuͤben, wenn ihr un-
ſichtbarer Einfluß eben ſo gefuͤhlt als erkannt
wird, Saͤnger und Geſchichtſchreiber ihr ſtil-
les Reich an das Licht zogen, und ſelbſt die
entfernteſte Tradition dieſem durch unan-
faͤngliche Symbole huldigt, ſo iſt mit dem
Anerkennen ſolcher Gewalt doch noch nicht
alles gethan. Die Begriffe daruͤber ſind ſo
allgemein, daß ſie in’s Unbeſtimmte und Re-
belhafte hinuͤberſchwanken. Ja, man gefaͤllt
ſich, ſie in dieſer Region ſchweben zu laſſen,
und ihnen, ohne deutliche Begraͤnzung, den
Charakter der Univerſalitaͤt aufzudruͤcken.
Es iſt auch ganz gewiß, daß eben die-
ſes innerliche Sein, dieſe warme Fuͤlle ruhig
beſchraͤnkender Thaͤtigkeit, das Weſen der
Frauen ausmacht. Allein, wenn es in ſei-
ner Unendlichkeit weder durch Anſchauungen
noch Worte zu umfaſſen iſt, ſo wird es ſich
dennoch in den nothwendigen Beziehungen
auf das Leben ſelbſt, in beſtimmte Begriffe
zuſammenziehen muͤſſen.
Hier wird es nothwendig Geſtalt und
individuelle Phiſtognomie annehmen, und in-
nerhalb naturgemaͤßer Schranken, als etwas
Beſonderes erkannt werden.
Solche bedingte Richtungen des weib-
lichen Einfluſſes, ſtellt uns die Sage unter
mannigfacher Perſoͤnlichkeit dar, die einander
widerſprechend, die ſonderbarſten Gegenſaͤtze
bilden. Die Sprache hat in eben dem Sinne
die Worte Liebe, Guͤte, Milde, Verſoͤhnung
und Verzeihung, wie ſie Eiferſucht, Ver-
laͤumdung, Rache, Verherung u. ſ. w. beſitzt.
Die fruͤheſte Voͤlkerkunde zeigt, neben der
Eris und ihrem Erynoien und Harpyen Ge-
folge, eine Urania, die alles in Lichtglanz
aufloͤſt, und noch weiter hinauf, iſt die alte
Hecate, die ſchaffende, Wachsthum, Leben-
gebende, zugleich ſtrafende und raͤchende Na-
tur- und Schickſalsgoͤttinn.
Das Prinzip, von dem, was in ſeiner
ungetheilten Urſpruͤnglichkeit, erhaben und
rein iſt, wird hier noch in den Kampf irdi-
ſcher Bewegungen hineingezogen, in zwei
Haͤlften zerfallend, und als Gut und Boͤ-
ſe erſcheinen.
Der Geiſt, welcher von den Frauen
ausgeht, iſt aus eben dieſem Grunde ein
Doppelter.
Die hoͤhere, die chriſtlich romantiſche
Poeſie, hat das Prinzip ſelbſt zum Gegen-
ſtande ihrer Verherrlichung gewaͤhlt, und
das Jdeal, in urbildlicher Realitaͤt
verkoͤrpert.
Aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet,
ward die geiſtig, unſichtbare Herrſchaft des
weiblichen Geſchlechtes nur als eine Heil-
und Seegenbringende im Mittelalter aner-
kannt, woraus die veraͤnderte Stellung der
Frauen von dem Zeitpunkte heruͤber zu
uns gekommen iſt, und ſich gewiſſermaaßen
ſo erhalten hat.
Jede Wahrheit iſt durch den Mißbrauch
ihrer Form dem Anſchein der Luͤge, folglich
der Verkennung ausgeſetzt, Was zu hand-
haben iſt, damit wird geſpielt! Jegliches
nutzt ſich ab. Das Spiel mit verbruͤckeln-
dem Tand ergoͤtzt niemandem. Man erneuet
was nicht herzuſtellen iſt. Das Gefaͤß ſchafft
ſich wohl wieder. Es gefaͤllt; und wird denn
doch als etwas Gemachtes zweck- und nutzlos
bei Seite geſchoben. Die Bedeutung iſt mit
dem verſchleuderten, oder vergeſſenen Jnhal-
te verloren gegangen. So hoͤrt man den
heiligſten Jnſtitutionen Hohn ſprechen, weil
die Flaͤche wohl zu uͤberſchauen, in die Tiefe
aber ſchwer zu dringen ifl. Man fuͤhlt ſich
jetzt oft geneigt, die religioͤſe Ergebung der
Ritter gegen ihre Damen fuͤr ein phantaſti-
ſches Spielwerk der Dichter zu halten, und
ſie, als unvereinbar mit den Sitten und
dem Charakter vormaliger Zeit, in die Fa-
belwelt zu verweiſen. Und gleichwohl be-
gruͤndet ſich ihre Wahrhaftigkeit, auch oh-
ne geſchichtliche Beglaubigung, durch den
Schwung eines maͤchtigen Gefuͤhles, das nur
in dem Unausſprechlichen volles Gnuͤgen fin-
det. Die ſchoͤnſte und reinſte Erdenerſchei-
nung, in die Sphaͤre des Jdealen hinauf-
gehoben ward, als Dame des Gedankens, et-
was hoͤheres und Schoͤneres, als die ge-
woͤhnlichen Lebensverhaͤltniſſe aus menſchli-
chen Weſen machen koͤnnen. Jn ihrem Dien-
ſie, trat nun alles, was begeiſterte Liebe,
Ehre und Tapferkeit in einem Gemuͤthe wek-
ken koͤnnen, in den glaͤnzendſten Thaten her-
vor; das ſchwerſte Opfer trug ſeinen Lohn
in ſich, ja man weihete oft die Jugend wie
das Alter dem ſchoͤnerm Genuſſe, ſich in
ſeinen liebſten Wuͤnſchen verleugnet zu ha-
ben. Dies Maͤrtyrerthum des Herzens, mach-
te den Cultus der Frauen im Mittelalter zu
einem Heiligendienſt, der als ſichtbarer Ab-
glanz himmliſcher Verehrung der gebenedei-
ten Jungfrau, eine irdiſche Beziehung mit-
ten im Weltleben ſuchte. Die gegenſeitigen
Verhaͤltniſſe erhielten dadurch jene Durch-
ſichtigkeit und Verklaͤrung, die ſie weit uͤber
die Koͤrperwelt hinaushoben.
Erwaͤgt man nun andrer Seits die
wilden Ausbruͤche heißer Leidenſchaften, die
haͤufigen Gewaltthaten, ja rohe Frevel, wel-
che ein kraͤftiges, durch ſtarke und beſtimmte
Empfindungen getriebenes Geſchlecht, oftmals
veruͤbte; kann man dieſe nur durch die
ſchaͤumende Ueberfaͤlle ungezaͤhmter Naturen
gewiſſermaaßen rechtfertigen, erſcheinen Men-
ſchen, wie Handlungen, in ihren rieſigen Um-
riſſen, zu gewichtig fuͤr die verfeinte Be-
griffe der Gegenwart, um in dieſer einen
Maaßſtab des Urtheils zu |finden, ſo faͤllt
der Einfluß der Frauen, wie ein geiſtiges
Licht, in jenen Kampf ſchwerer Elemente.
Das Zarte und Heilige ſelbſt vergeſſender
Liebe durchdringt ein ungeſtuͤm bewegtes
Daſein, und lenkt den Blick uͤber die bluti-
gen Schmerzen der Erde hinaus.
Spaͤterhin, als der Glaube ſchwaͤcher,
Scharfſinn und Meditation vorherr-
ſchender wurden, die Erkenntniß, Einzelne
wie Voͤlker, den aͤußern Vortheil hoͤherm
Ruhme vorziehen lehrte, die menſchliche Ge-
ſellſchaft ſich beſſer uͤber perſoͤnliche Anfode-
rungen verſtand, die Bahnen gefuͤgiger in-
einander liefen, allgemeine Geſetze das be-
ſondre Recht bedingten, die Begraͤnzungen
weicher, die Uebergaͤnge ebner wurden, da
zog ſich die Thatkraft nach innen zuruͤck.
Der Gedanke waffnete ſich gegen den Ge-
danken, Meinungen beſtritten Meinungen,
Liſt und Behendigkeit erndteten die Lorbeern
der Krieger, man focht aus dem Kabinet
der Fuͤrſten mit glaͤnzenderm Erfolge als auf
dem Schlachtfelde. Das Leben nahm eine
andre Richtung, ritterliche Tapferkeit lebte
nur noch im point d’honneur, Politik ſi-
cherte Throne, ſie ward die Goͤttin der Zeit,
das geiſtige Empfinden hatte ſich verkoͤrpert,
die hoͤhere Liebe artete aus in Eigenliebe,
Galauterie in Gewohnheitsform.
Die Franen raͤchten indeß den allmaͤli-
gen Abfall. Sie empfanden ihn fruͤher,
als er in das Bewußtſein der Welt trat.
Das Weſenloſe, formeller Huldigung mußte
die Scheu, vor dem feinern und gewand-
term weiblichen Mitwirken in die Welthaͤn-
del weichen. Die Jntrigue ging unmittel-
bar ber Politik zur Seite. Die geiſtige Herr-
ſchaft gewann von dieſer Seite wieder, was
ſie mit der untergegangenen Poeſie der Ro-
mantik verloren hatte.
Jn den kleinen, weiblichen Haͤnden la-
gen oft die Faͤden gemiſcht, welche das
Syſtem der Weltherrſchaft lenkten. Der be-
hende Scharfſinn eines zart organiſirten Ge-
ſchlechtes, erſetzte was dieſem an Sachkennt-
niß und techniſcher Einſicht fehlte, Gabe,
das Aechte im erſten Jmpuls des Jnnern
zu erfaſſen, bewahrte den modernen Sybillen
noch lange die Stellung der Schickſalsgoͤt-
tinnen. Allein, der Geiſt der von ihnen aus-
ging glich nur zu ſehr dem der unheilbrin-
genden Schweſtern; und wenn ſie auch Kro-
nen zu ihren Fuͤßen ſahen, ſo waren ſie
doch laͤngſt von dem Azurnen Thron herab-
geſtiegen, den Engel auf ihren Kindesſchul-
tern trugen.
Mitten in dieſen Geſpinſt heißer und
verworrener Leidenſchaften, ſchlaͤgt ein Herz
in der Menſchenbruſt, das nach etwas Beſ-
ſerm verlangt, als ihm die Welt bieten
kann. Wie gepreßt und geaͤngſtet die Liebe
auch hier auf Erden werden mag, ſie hoͤrt
nicht auf durch den Einfluß der Frauen ei-
ne irdiſche Vermittelung zwiſchen ihrem
ſichtbaren und unſichtbaren Reiche zu ſuchen.
Das Licht der Poeſie war verdunkelt,
die Jntrigue geſtattete nur kuͤnſtliche Bezie-
hungen, Wahrheit blieb allein in der rea-
len Natur. Mit ihr verband ſich die Liebe,
indem ſie den Familienheerd zu einem,
ihr geweihetem, Altare heiligt.
Die Haͤuslichkeit ward von da an das
Reich der Frauen, und iſt es zum groͤßern
Theil allein geblieben. Nur durch den un-
mittelbarſten Einfluß auf das Naͤchſte wir-
ken ſie noch. Sieht nun kein Mann laͤnger
den Abglanz der Himmelskoͤnigin in ihnen,
herrſchen ſie nicht uͤber Staaten und Jnſti-
tutionen der Voͤlker, ſo ſind ſie Gebieterin-
nen verwandter Herzen, und ſchlingen ge-
heimnißvoll und ſicher, ein Band durch dieſe
hin, das nicht weniger die Welt regiert.
Jmmer bilden ſich die Geſtaltungen des
Lebens nach den Richtungen der Zeit. Die
unſre iſt vielleicht wegen ihrer allgemeinen
Vielſeitigkeit im Einzelnen beſchloſſener. —
Einen vertrauten Zufluchtsort will der
Menſch haben, wenn ihm in der ſchranken-
loſen Weite allzu unheimlich wird. Der
kleine, enge Familienkreis bietet den einzigen
Ruhepunkt fuͤr ſo viel gehaͤufte Anregungen,
fuͤr ſo getheiltes Jntereſſe, das den Jnhalt aller
Europaͤiſchen Tagesblaͤtter. mit ihren politi-
ſchen, religioͤſen und kuͤnſtleriſch-belletriſti-
ſchen Anekdoten umfaßt. Wie wollte eine
Bruſt den Vulkan, ſtets gehaͤufter Oppoſi-
tionen, ertragen, gebe es nicht Stunden des
geiſtigen Schlafs, der ſich am beſten in der
Wohnſtube abmachen laͤßt. Es iſt gar keine
Frage, je umfaſſender der Geſichtskreis fuͤr
den univerſellen Zuſammenhang der Welt-
thaͤtigkeit iſt, je haͤuslich bequemer ſtellt ſich
der Menſch zu einer ſo ungewoͤhnlich be-
wegten Welt. Man moͤchte denken, die vie-
len und großen Anſtalten, zu ſchnellerm
Wechſelverkehr ſeien nur getroffen, um ſtets
etwas Neues, etwas Andres zu erfahren.
Hat ſich denn das Wiſſen hiervon zu einem
bedeutenden Vorrath angeſammelt, ſo traͤgt
man dieſen nach Hauſe, unbekuͤmmert, was
daraus wird? Beſitzt man doch, was man
wollte. Es verhaͤlt ſich ungefaͤhr damit,
wie mit der Schnellpoſt. Die groͤßte Eil
traͤgt den Reiſenden nach ſeinem Ziele. Jſt
er da, was iſt es denn weiter? Er ißt,
trinkt, ſchlaͤft und kehrt um, mit dem Aus-
ruf: „zu Hauſe iſt es doch am beſten!‟
Daß es das wirklich ſei, daß hier Ein-
heit in die zerſplitternde Vielſeitigkeit kom-
me, das iſt Sache der Frauen. Sie nur
koͤnnen uͤber das Gefuͤhl temporaͤrer Bequem-
lichkeit hinaus, das haͤusliche Leben zu der
wahren Heimath des Geiſtes und des Her-
zens machen. Jn ihrer Raͤhe, in ihrem Um-
gange, durch ſie muͤſſen die vielfachen Zeit-
richtungen erſt eine hoͤhere, eine ewige Rich-
tung gewinnen. Von ihnen geht die Har-
monie aus, die Licht und Ordnung in dieſes
Chaos hineintraͤgt.
Es iſt nun einmal ſo, und ſoll gewiß
ſo ſein, die abſtracten, aͤtheriſchen Anſchau-
ungen im Reiche des Jdealen haben hier
ihre Wirklichkeit gefunden. Sagt man doch
wohl: ein gluͤckliches Familienleben ſei der
Himmel auf Erden. Gewiß iſt es wenig-
ſtens, daß es, in ſeiner friedlichen Ueberein-
ſtimmung, ſo empfunden wird, und die For-
men der Geſellſchaft immer mehr den Cha-
rakter des zwanglos Jntimen annehmen. —
Die geſelligen Vereine ſchließen ſich enger
und enger zuſammen, ein jeder bleibt ſeine
eigne Welt.
Wenn die Richtung an ſich als eine
Ruͤckkehr zu Einfachheit und Natur erkannt
werden muß, wenn es uͤberhaupt ganz ent-
ſchieden iſt, daß wir einen Kreis durchlau-
fen, und vieler unnuͤtzen Schritte muͤde, den
Glauben in der Hand haben, daß die goͤtt-
lichen Jnſtitutionen die einzigen wahrhaften
und unvergaͤnglichen ſind, und nur was un-
mittelbar von ihnen ausgeht, aͤchtes Daſein
geben und bewahren koͤnnen, wenn wir zu
dem Naͤchſten zuruͤckkehren, und in dem Hei-
ligſten uns begruͤnden moͤgen, ſo iſt doch
eben ſo, auf der andern Seite, nicht zu leug-
nen, daß ein immer ſtaͤrker wachſendes Be-
duͤrfniß der Bequemlichkeit die Vorliebe fuͤr
das Haͤusliche, fuͤr das Familienleben ſtei-
gert, und namentlich die Einbildungskraft ſo
zu verengen droht, daß dieſe ſehr leicht nur
fuͤr Kleinliches Raum bewahrten, und jedes
Uebergewoͤhnliche als tolles Hirngeſpinſt ver-
lachen koͤnnte.
Hier iſt es, wo der Einfluß der Frauen,
als ein herabgewuͤrdigter und noch nicht voͤl-
lig zur Uebereinſtimmung mit ſich ſelbſt ge-
brachter, einem ſchlimmen Geiſte die Herr-
ſchaft der Welt in die Haͤnde ſpielt. Oft
geſchieht das ſehr unſchuldig, und lediglich
in der Abſicht, doch auch etwas zu thun
und zu ſagen; allein wo ſich die Unbedeu-
tenheit breit machen darf, da faͤllt ſie mit
der natuͤrlichen Hinneigung zu dem Gleich-
gearteten zuſammen, und leihet dem Vor-
ſchub, was, unbekaͤmpft, das Gehaltloſe und
Nuͤchterne unabwendbar zu Tage foͤrdert.
Von den trivialen Eroͤrterungen der
taͤglichen Miſere, den Domeſticalien, und was
hier Stoͤrendes oder Unvermeidliches in die
vertraute Gewohnheit eingreift, erhebt ſich
das Geſpraͤch haͤufig nur zu Geſellſchafts-
Anekdoten, und ſolchen Mittheilungen, wie
ſie die natuͤrliche Verwandtſchaft des Men-
ſchen mit dem Augenblick, und dem, was er
die Muße Fuͤllendes bietet, mit ſich bringt.
Das Geſpraͤch geht dann ſo glatt weg auf
der Flaͤche hin, ohne Unterbrechung des Em-
pfindens und Denkens, daß ſelbſt die humo-
riſtiſche Jronie, als zu fremd und unbequem,
der gewoͤhnlichen Comerage das Feld raͤu-
men muß.
Wie in ein weiches, anſchmiegendes
Netz, ſpinnen die Frauen Bekannte, Freun-
de, Ehemaͤnner, in dieſe Gattung der Con-
verſation hinein, und halten jedes Aufſchwin-
gen der Gedanken in der Region der Wohn-
ſtube herunter.
Es iſt da ſo zwanglos vertrauet, man
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kennt keine Ruͤckſichten, kann fuͤr ſich, oder
mit Andern ſein, die Worte fallen auf gut
Gluͤck mit der Maſſe des Geſprochenen zu-
ſammen. Es verſchlaͤgt nichts, daß niemand
darauf achtet. Hier wird es nicht ſo ge-
nau genommen! Und darin liegt eben der
Reiz, der die Maͤnner anzieht.
So gluͤcklich vorbereitet, eilt dann der
Juͤngling es noch muͤheloſer mit der Geſel-
ligkeit zu haben. An dem eignen Heerde
ſchwatzt es ſich ſchon aus dem Grunde be-
haglicher, weil man nicht erſt noͤthig hat
das Geſpraͤch außer dem Hauſe zu ſuchen.
Wenn Kopf und Fuͤſſe von den Streifzuͤgen
im Felde der Neuigkeitsberichte am Thee-
tiſch ruhen, und die Memorie nur ihre letzte
Uebung halten will, ſo bietet der Sallon
der Hausfrau hierzu die naͤchſte, folglich
die erwuͤnſchteſte Gelegenheit.
So werden Ehen, wenn auch nicht im
Himmel, doch am Altare der Hausgoͤtter,
und zu Ehren ihres Cultus, geſchloſſen. Ei-
ne kleine, ſorgenloſe Unabhaͤngigkeit, in den
engſten vier Pfaͤhlen, das iſt es, was die
Philoſophie der Erfahrung als das ange-
nehme Ziel des kurzen Strebens raſch durch-
flogener Jugend aufſtellt.
Willig bieten nun die Frauen ihre Hand
zu dem, was meiſt die erſte Periode des
neuen, oder vielmehr nur perſoͤnlicher gewor-
denen Gluͤckes, fuͤllt. Die Ausſchmuͤckung
jenes kleinen, modernen Tempels, der Laren mit
allem was Elegance und Zerſplitterung des
Geſchmackes erſchwingen kann, das nimmt
von Anfang herein die ganze Thatkraft in
Anſpruch. Man putzt und ordnet und traͤgt
zuſammen, was irgend nur dem Auge ſchmei-
cheln, und den Ruf, vollendeter Uebereinſtim-
mung mit der Mode, erhoͤhen kann.
Wohlgefaͤllig betrachtet ſich das ge-
lungene Werk aus jedem Winkel der glaͤn-
zenden Wohnung. Eine Weile gnuͤgt der
befriedigte Wunſch, Es ſpricht ſich leicht
und angenehm mit bewundernden Freunden.
Man fuͤhlt ſich ſo recht wohl und warm in
der eignen Wolle.
Jn Kurzen verſchiebt oder zerbroͤckelt
dann gluͤcklicherweiſe die Zeit den luftigen
*
Bau. Er muß ergaͤnzt oder wohl gar ver-
aͤndert, erneuet werden. Welch eine
Fluth gluͤcklicher Jdeen ſtroͤmen da der Phan-
taſie zu! die Unterhaltung kann gar nicht
ſtocken! Sie wird, nach dem jedesmaligen
Verhaͤltniß frivol oder beduͤrftig, das Klein-
liche auffinden, und den Frauen die Mit-
tel zufuͤhren, das Jntreſſe auf einen Punkt
feſtzuhalten, von dem die Gegenwart, mit
ihren tauſend Ruͤckſichten, ſo leicht nicht
wieder los laͤßt.
Es iſt erſtaunt, wie ſinnreich hier die
weibliche Erfindungskraft jedesmal das Zweck-
maͤßigſte ermittelt, um den etwanigen Ueber-
druß und die Langeweile, bei ſteter Wieder-
kehr des Geringfuͤgigen, durch allerlei zierliche
Stacheln und Spitzen wegzudruͤcken und
den Geiſt nachgiebig in die alte Feſſeln zu
ſchlagen, wenn es ihm wirklich einfiele, ſich
davon frei machen zu wollen. Verſtehen ſie
es recht, ſo darf kein ordentliches Geſpraͤch
in dem Kreiſe aufkommen, wo ſie regieren.
Als gute Wirthinnen haſſen ſie den unnuͤz-
zen Aufwand der Jdeen. Sie wiſſen, ſo wie
man Huͤhner und Gaͤnſe rupft, auch dem
Gedanken die Schwungfedern auszuziehn, und
ihn in kurzen muntern Spruͤngen ſeine Ca-
priolen auf ebner Erde machen zu laſſen.
Traͤfe es ſich auch, daß ein und dem an-
dern Hochgeſinnten nach einem weitern und
ſtillern Lichtkreiſe verlangte, als ihm in der
Naͤhe ſeiner Erdenſonne geworden iſt, wollte
er den Nacken wie den Blick erheben, es
giebt zwar kleine und zierliche, aber ſo un-
ermuͤdliche Finger, die immer auf derſelben
Stelle ticken, daß das Gefuͤhl durch alle
Nerven geht, dieſe endlich abgeſpannt zu-
ſammenſinken, und der gebrochene Wille den
Kopf demuͤthig auf die Bruſt fallen laͤßt.
So viel vermoͤgen die alltaͤglichen Wie-
genlieder, und der einſchlaͤfernde Dunſt haͤus-
licher Atmosphaͤre, wenn der Geiſt die
Flamme auf dem Altare verloͤſchen laͤßt,
und das heilige Feuer nur ein Kamin oder
auch wohl gar ein Kuͤchenfeuer wird.
Unter tauſend Maͤnnerherzen geht jetzt
gewiß kein einziges in einer heftigen Leiden-
ſchaft verloren, allein unzaͤhlige welken in
dem matten Hauch gleichguͤltiger, lauer Le-
bensweiſe. Und alles das, weil die Bequem-
lichkeit die Natur gar zu natuͤrlich beim
Worte nimmt. Vor nichts in der Welt
hegt man ſolche Scheu, wie vor den Erhe-
bungen des Jnnern. Jedes, was daran
ſtreift, wird als eine laͤcherliche Extrava-
gance verpoͤhnt. Deßhalb kann es dem auch
gar nicht gewoͤhnlich genug in der Welt zu-
gehn. Die uͤberreizt geweſenen Nerven dieſer
Generation haſſen, bis auf die Erinnerung,
an jene Zuſtaͤnde der Begeiſterung und des
heißen Ungeſtuͤms. Auch iſt es nicht zu
leugnen, die Criſen gewaltiger Geſchichtsum-
waͤlzungen haben ſich in unſern Tagen mit
einer Rapiditaͤt gefolgt, daß die Einbil-
dungskraft davor erſchrickt, und kaum et-
was Kuͤhneres zu erſchwingen vermag. Die
Theilnahme hat ſich an dem Außerordentli-
chen erſchoͤpft, die Gemuͤther brauchen Zeit
ſich zu ſammeln. Und wie man nach großer
Unruhe, von Außen und Jnnen, eiferſuͤch-
tig auf den endlich errungenen Genuß der
Erholung wacht, ſo glaubt man das Da-
ſein nicht eng genug umſchließen, der Phan-
taſie die Zugaͤnge nicht dicht genug verbau-
en zu koͤnnen.
Alle Extreme bedingen ſich durch ein-
ander. Aber die Flucht von dem Einen
zu dem Andern ſtellt das Gleichgewicht nicht
her. Das beruhet auch niemals auf dem
Negativen allein. Dadurch. daß man ſich
der Bequemlichkeit im Negligẽe des Haus-
costumes in die Arme wirft, fuͤhlt ſich kein
Menſch bequem, hoͤchſtens loſe und unge-
bunden, doch keinesweges in der elaſtiſchen
Haltung, welche freie und leichte Beweglich-
keit nach allen Seiten geſtattet. Es fuͤhlt
das auch im Grunde jeder. Daher die haͤu-
figen Klagen uͤber Mangel an Vergnuͤgen.
Man dedenkt nicht, daß ſich die Organe
dafuͤr in dem weichlichen Verſchwimmen
des Gewohnheits-Lebens abſtumpfen, und,
bei uͤberall mangelnder Friſche, die Freude
am wenigſten ein Jugendliches Geſicht be-
haͤlt.
Wenn es immer ſchwer ſein mag ge-
gen den Strom der Zeit zu ſteuern, ſo iſt
es in dieſer, aus ſo |vielfachen Elementen
zuſammen geſetzten Gegenwart, vielleicht
ganz unmoͤglich, ohne Umwege zum Ziele zu
gelangen. Es kann auch wirklich ſo grade
zu nichts geſchehen. Die abſichtlichen Ver-
ſuche in dieſer Art haben immer das Uebel
aͤrger gemacht.
Allein, wenn die Frauen von Welt und
Ton, Solche, welche bereits einen Einfluß
auf die Geſellſchaft im Einzelnen und Allge-
meinen haben, ein wenig mehr auf den
Geiſt achten wollten, der von ihnen auf
die Unterhaltung uͤbergeht, wenn ſie erwaͤgen
moͤchten, daß niemand danach trachtet die
Bluͤthen des Witzes, die geiſtreichen Ein-
faͤlle angenehm bewegter Laune, den Reich-
thum der Gedanken, vor ihnen auszuſchuͤt-
ten, ſondern das man auf die ungenierteſte
Weiſe ſchweigſt und an ihrer Seite mehr ru-
het, als ſitzt, und hoͤchſtens einzelne Anek-
doten hinwirft, uͤber die maͤßig gelacht und
Einiges geſagt wird, ſo ſollten ſie zu ihrem
eignen Genuß, dem gefallenen Tone einer
hellern Stimmung, ſeinem Ausgreifen freiere
und hoͤhere Schwungkraft geben. Sie
brauchen deßhalb nichts weniger als zu
kuͤnſtlichen Huͤlfsmitteln ihre Zuflucht zu
nehmen, keine Verſtandes-Coquetterie in
Thaͤtigkeit zu ſetzen, nicht kluͤger ſein wollen,
als ſie ſind, nur geſammelter, weniger in
die minutioſen Details ihrer Nuͤrnbergerei-
artigen Kunſtkammern und Schreibtiſch-
Vorrichtungen verſunken, unbekuͤmmerter um
den Tand und ruͤckſichtsvoller fuͤr die
Menſchen umher. Einfachheit im Aeuſ-
ſern geſtattet dem Jnnern allein freie und
mannigfache Bewegung. Der unbefangene
Sinn indentificirt ſich leicht mit einem an-
dern, beſſern, großartigern! Auf dies Be-
gegnen und Durchdringen der Gedanken im
Moment des Entſtehens, beruhet alle geiſti-
ge Belebung. Wie groß auch die Scheu ge-
gen dieſe ſein mag, jener Contakt des
unwillkuͤrlichen Denkens und Empfindens
zwingt dazu. Und hier ſind die Frauen
Schoͤpferinnen des Guten und des Boͤſen.
Sie duͤrfen ſich nur frei machen wollen
aus den Schlingen, mit denen ſie ſich in
ſeltſamen Verkennen des wahren Schoͤ-
nen putzen, ſie brauchen nur ſie ſelbſt zu
ſein, ſo ſind ſie voll ſo prophetiſcher Ga-
ben, daß ihr viel geſtaltetes Weſen durch
das Labyrinth aller menſchlichen Richtun-
gen dringt, und uͤberall da iſt, wo es er-
faſſen und ergreifen kann.
Jch glaube nicht zu viel zu fodern,
noch zu viel zu verſprechen, wenn ich
behaupte, der klare und großartige Geiſt der
Frauen, ſolle faͤhig ſein, auch die, auf Be-
ſonders bezogenen, und durch dies beding-
ten, Anſichten der Maͤnner aufzunehmen,
und ſie in harmoniſcher Uebereinſtimmung
mit Pflicht und Willen zu bringen. Solch
ein Reich der Harmonie iſt die Sphaͤre ih-
res Waltens. Moͤge es ſeine aͤußern Graͤn-
zen nicht uͤber die Haͤuslichkeit hinausdeh-
nen, es hat einen innern Umfang, der
weit genug iſt, den Himmel darin zu um-
faſſen. Allein der Himmel weiß nichts von
jenem, an dem die bloße Erdenduͤnſte ſo
ſchwer haͤngen, daß die Wolkendecke alles
aufflammende Leben erdruͤckt. Wie es eine
hoͤhere Liebe giebt, ſo giebt es auch ein
hoͤheres Familienleben; beides adelt
der Geiſt der Frauen.
Zweites Kapitel.
Herrſchaft der Sitten.
Es leidet, nach allem dem, keinen Zwei-
fel, daß der moraliſche Zuſtand der Geſell-
ſchaft durch die groͤßere oder geringere Ein-
wirkung der Frauen auf dieſelbe beſtimmt
werde. Auch iſt das ein Gegenſtand der
ſo haͤufig und ſo erſchoͤpfend beſprochen
worden, und eben jetzt erſt in dem Vor-
liegenden, mit der Entwickelung ſeiner ei-
genſten Bedingungen, vor allen andern
angenommen iſt, daß jedes Hinzugefuͤgte
uͤberfluͤſſig ſcheint, kaͤme es nicht doch noch
vielleicht auf die Feſthaltung des Begriffes
von dem an, was man Sittlichkeit und
Sitten nennt?
Die Letztern ſollen gewiß aus der Er-
ſtern hervorgehen. Der Grundton des Wor-
tes iſt in beiden derſelbe, und doch zerfaͤllt
die Bedeutung davon in Sein und Erſchei-
nen. Was man von dem Weſentlichen an
ſich verlangt, leidet Modificationen durch die
Form. Dieſe muß ihrer Natur nach man-
nigfaltig ſein, wie Zeit und Lebensverhaͤlt-
niſſe auf ſie agiren.
Jede verſchiedene Abſtufung geſelliger
Zuſtaͤnde hat ihre eigenthuͤmliche Phiſiogno-
mie der Sitten gehabt. Vergleichen wir die
feinſte Urbanitaͤt der Athener mit der Cour
d’amour, und der angenehmen Nachlaͤßig-
keit der Gegenwart, ſo koͤnnen wir die ſehr
frappanten Abweichungen nicht uͤberſehen,
und gleichwohl ſind die Anfoderungen an
ſittlichem Sein ſo alt und urſpruͤnglich, wie
das Bewußtwerden menſchlicher Herrſchaft
uͤber thieriſche Natur. Das ſittliche Gefuͤhl
iſt eingeboren, und voͤllig eins mit dem, ei-
ner hoͤherern Beſtimmung. Der bloße Stolz
verbietet ſchon ſich zum Sklaven niederer
Neigungen zu machen. Dies Gebot nimmt
in eben den Maaße an Gewicht zu, als die
Wuͤrde des Daſeins beſtimmter und reiner
erkannt wird. Es entſpringen daraus ſolche
Geſetze, wie ſie die thaͤtige Selbſtverleug-
nung, in Bezug auf ſich und Andre, noth-
wendig macht.
Jn dem Sinne iſt die Moral ſo alt,
wie die Welt. Die Sittlichkeit kann nicht
als ein Product der Bildung angeſehen wer-
den, da ſie der Bildung ſelbſt zum Grunde
liegt, indem ſie ſie fodert. Allein dasjenige,
was, nach Verhaͤltniß umfaſſenderm Einver-
ſtaͤndniſſes, eine Form gewinnt, wird von
dem Grade der Bildung Zeugniß ablegen.
Es iſt alſo nur das zeitlich Geſtaltete,
das in der Zeit wechſeln, ſich in ihr veredeln
oder erniedern kann. Mit dem vorſchreiten-
den Leben bleibt Vieles zuruͤck, was nicht
mitzukommen weiß. Anderes will nicht in
die erweiterte Anſicht paſſen; nur was der
Dehnbarkeit und Schwungkraft faͤhig iſt,
das waͤchſt mit der innern Entwickelung.
Die chriſtliche Religion hat auf ſolche
Weiſe die vollendeſte Umwandelung hervor-
gebracht.
Nichts von allem, was in der alten
Welt durch uͤbereinkunft angenommen, durch
Gebrauch geheiligt war, durfte uͤber den
Scheidepunkt eines neuen Daſeyns hinaus-
reichen. Das ganze Leben bekam gleichſam
eine andre Farbe.
Einen Augenblick goͤttlicher Befreiung
ſollte es geben, in welchem der gluͤhende
Athem allgemein erwachter Liebe die Schran-
ken des Geſetzes aufloͤſte, der Glaube die
Gebotserfuͤllung in ſich faßte, Anſchauung
und Gefuͤhl rein, die That ſittlich blieb.
Aus dieſer iñern und aͤußern Vergeiſtigung
entwickelten ſich die Lebensſtoffe in ſo durch-
ſichtiger Beweglichkeit, daß ſie ſelbſt nur
ein Hauch des Lichtes, das ſie durchſtroͤmte
zu ſein ſchienen. Die Koͤrperwelt trat faſt
ganz zuruͤck, und nur wiedergeboren, in
dem Gebiet des Jdealen, warfen ſie Ton-
kuͤnſtler und Dichter, ſo wie ſpaͤterhin Mah-
ler, in eine neue Wirklichkeit zuruͤck.
Wenn ſolch ein Wiederſchein des Pa-
radieſes eine Weile die Erde erhellt, ſo er-
blindet das Menſchenauge allmaͤhlig davor.
Es ſchließt ſich, und ſucht in der Dunkelheit
Erholung. Die aufgenommenen Anſchau-
ungen weichen indeß nicht ſogleich wieder.
Sie ſchweben, veraͤndert und verſchoben
zwar, doch immer noch kenntlich voruͤber,
und greifen auf irgend eine Weiſe, in Ge-
danken und Willen ein, Man moͤchte gern
die Schatten ehemaliger Wirklichkeit feſt-
halten. Man haſcht danach, und es ge-
lingt auch ſie zu ergreifen, inſofern ſich die
Umriſſe auf die Flaͤche uͤbertragen laſſen.
Ganz auf dieſelbe Weiſe zeigt uns die
Geſchichte, mit dem ſinkenden Lichte der
Religion, die Einheit zwiſchen Glauben und
Wirken geſtoͤrt. Was als friſche, lebendige
Begeiſterung in’s Leben getreten war, lebte
wirklich nur ſo lange, wie die Begeiſterung
vorhielt. Ein Scheinbild ehemaliger Liebe
und Froͤmmigkeit taͤuſchte mehr und mehr
durch Beobachtungen religioͤſer Gebraͤuche.
Dieſe wurden ſtehend. Gewohnheit ging in
Geſetzeskraft uͤber. Die Formen blieben allein
in dem Maaße, wie die innere Nothwen-
digkeit ihres Daſeins ſchwand, nahmen ſie
toͤdtliche Farbe und Verzerrung an. Es
war nicht mehr der Trieb des Herzens, der
Worte und Werke opfernde That und
hingebende Selbſtverleugnung heiſchte, das
Gebot einer Art und Weiſe war es, an die
man hielt, als Symbol fruͤherer Ueberein-
ſtimmung des Glaubens und Empfindens.
So war die Form gerettet, wenn ihre
tiefere Bedeutung laͤngſt in den Wiederſpruͤ-
chen der Gefuͤhle unterging.
Die Sitten, welche in den erhoͤheten
und verfeinten Begriffen unmittelbar ent-
ſprangen, wurden demnach immer noch be-
wahrt, als ſich die Begriffe ſelbſt ſchon in
ſich geſpaltet und verwirrt hatten. Ja,
man wachte mit immer groͤßerer Strenge
uͤber ſie, als man die Nothwendigkeit eines
aͤußern Haltes, bei dem innern Zerfallen,
mehr und mehr einſahe.
So wurde der Maasſtab deſſen, was
das Herkoͤmmliche feſtgeſtellt hatte, fuͤr die
Beurtheilung der Sitten angelegt, und dieſe,
weit mehr in die Kathegorie des Schick-
lichen als des Zartempfundenen hinge-
wieſen.
Wie der Gehalt verſchwindet, wird die
Bewegung nach Außem Manier. Sie be-
ſtimmt laͤnger kein freier Jmpuls, ſondern
ein gegebener Takt. Was dieſen unterbricht,
das verletzt, was in ihm verharrt, das er-
fuͤllt und befriedigt das Gebot der Art und
Weiſe, die nun immer herrſchender hervor-
tritt, und in der beſondern Bedeutung der
Mode einen zeitgemaͤßen Charakter an-
nimmt. —
Von dem Augenblicke an zerfallen Sitt-
lichkeit und Sitte ſo ſehr in zwei geſchiedene
Vorſtellungen, daß es Faͤlle giebt, wo der
vollkommen Geſittete ſehr unſittlich
bleibt, und der rein Moraliſche gegen die
hergebrachte Sitte verſtoͤßt.
Wie im einzelnen Menſchen, ſo bei gan-
zen Nationen. — Die Geſchichte zeigt uns
Voͤlker, die mit ſtudirter Eiferſucht auf die
Bewahrung des Conventionellen wachen, und
dennoch durch ganze Perioden ihres hiſtori-
ſchen Lebens, der Reinheit der Sitten in
Wort und That Hohn ſprechen. Wir duͤr-
fen eben ſo wenig leugnen, daß in denjeni-
13
gen Cirkeln, wo die feinſten Sitten zu einer
Art Geſellſchaftscoſtume gezaͤhlt werden, dieſe
glaͤnzende Huͤlle oft einen Wandel zudeckt,
von dem ſich das Auge der Unſchuld mit
Abſcheu zuruͤckwenden muͤßte.
Woher borgt nur der Schein den Schim-
mer, wenn das Weſen ſelbſt weder Glanz noch
Licht leihen kann? — Von einem Wahne, der
laͤngſt zerſtoͤrt iſt, an den kein Menſch mehr
glaubt, den faſt jeder verachtet, und der bei
allem dem nicht aufhoͤrt uͤber Urtheil und
Neigung zu gebieten. Die Flachheit der Mo-
de, die alles ebnet und glaͤttet, einen feinen
Lack uͤber die Riſſe und Spruͤnge des Jn-
nern legt, Elegance fuͤr Grazie, Zuverſicht
fuͤr Verſtand einſchwaͤrzt, ſie behauptet, trotz
allem was uͤber ſie geſagt iſt, und wird,
ihr Reich auf Erden; und dies einzig und
allein weil die Frauen, durch ganz unbe-
greifliche Nachgiebigkeit, da Sklavinnen wer-
den, wo ſie Herrſcherinnen ſein koͤnnten.
An ihnen liegt es lediglich, daß die
Trennung zwiſchen ſogenanntem guten Ge-
ſchmack, und aͤchtem, feinem Gefuͤhl fort-
waͤhrt, daß eine buntſchekige Gauklerin der
Wahrheit den Weg verrennen, daß der an-
erkannt beſte Ton von der nuͤchternen Red-
ſeeligkeit, die Critik der Sitten von demo-
raliſirender Frivolitaͤt ausgehen darf.
Was iſt es denn fuͤr eine Herrſchaft
der Sitten, welche juſt nur ſo viel Gewalt
uͤbt, um dasjenige fern zu halten, was dem
Rufe anerkannter Strenge Nachtheil brin-
gen koͤnnte, indeß Geſinnungen und Anſich-
ten mit dem Heiligen ſpielen, und der Ver-
ſtand das Hoͤchſte herunterreißen darf, um
ſich uͤber dieſes zu erheben?
Es iſt gewiß, und von niemanden zu
leugnen, der die eigne Erfahrung beglaubi-
gend anrufen darf, daß die Frauen durch
nichts ſo befangen werden, ihr Urtheil durch
keine andere Schlingen zu verſtricken iſt, als
durch den Schwung und die Blitze feiner
und witziger Freigeiſterei. Das Rapide gefluͤgel-
ter Gedanken, ihr blendendes Flimmern laͤßt
ſie vergeſſen, wohin dieſe ihren Flug neh-
men. Das Durcheinandergreifen und behende
Bewegen ſelbſt, ergoͤtzt das weibliche Auge;
*
dieſes weidet ſich daran, wie ſich der ket-
zeriſche Gedanke an das eigne falſche Licht
weidet.
Hierin liegt nichts Unbegreifliches. Was
einzig dem Moment Fuͤlle und Dauer geben
kann, ſind Geiſt und Gefuͤhl. Wenn das
Letztere zu beſonnener Bewachung gezwun-
gen iſt, ſucht ſein ſorgloſerer Begleiter deſto
feinern Verkehr. Nur wo ſich die Oppo-
ſitionen beruͤhren, giebt es Funken. Je
raſcher der Wirbel dieſe zuͤndet, je mehr
vergißt man den Heerd, dem ſie entſteigen.
Ein jeder ſucht Licht und Waͤrme im Le-
ben; wo er ſie findet iſt ihm wohl. Die
Stroͤmungen des Jnnern ſtocken ſo leicht!
Was ſie in Bewegung ſetzt, muß immer
willkommen erſcheinen. Geſellt ſich nun zu
der Gabe frappante Paradoxen, mit uͤber-
raſchendem Feuer aufzuſtellen, noch Anmuth
und Welterfahrung, ſo iſt ein ſolcher He-
ros du Sallons gewiß, die Gemuͤther nach
ſeinem Willen zu lenken, und ſeinen Geiſt
zu dem Geiſt der Unterhaltung zu machen.
Man wirft den Frauen vor, daß ſie
in dem Liebenswuͤrdigen oft den Unwuͤrdi-
gen beſchuͤtzen. Woher kommt das anders,
als weil die Sicherheit feiner, Sitten kuͤhn
vorwaͤrts ſchreitet, und die Sittlichkeit,
nichts außer ſich ſuchend, zuruͤckbleibt?
Oft ahnden die Frauen die Abweſenheit der
letztern kaum, entweder weil ſie beide wirklich
nicht getrennt glauben, oder auch, vergeſſen
ſie abſichtlich das Mangelnde, da der Be-
ſitz des Momentanen ſo gnuͤgend ſcheint.
Und kehren wir nun den Fall um. Laſ-
ſen wir die ſtrengſte Moral geſetzlich wal-
ten, eine Geſellſchaft aus Dienern ihrer Ge-
bote zuſammenſetzen, das vollkommneſte Ein-
verſtaͤndniß uͤber Zweck und Beruf durch-
gehends vorherrſchen, und nun dieſen be-
ſchloſſenen Koͤrper eine Thaͤtigkeit in Bezug
auf Andre geben, welcher Art wird dieſe
ſein? keine ſonſt, als eine richterlich ſtra-
fende, die im Bewußtſein des Rechtes, nur
Urtheile zu faͤllen, Sentenzen zu proclami-
ren hat. Die Einſeitigkeit abgerechnet, was
werden die Sitten bei einer ſtets ſchneiden-
den Kritik, und dem Gebieterton gewinnen,
der alle andre Stimmen uͤberſchreit?
Der Stolz traͤgt dem Fuͤrſten der Fin-
ſterniß das Paͤckchen Suͤnden gefaͤllig zu, was
der Sieg uͤber gemeinere Verlockungen ihm zu
entwenden drohte. Die Harmonie des Gu-
ten bleibt darum nicht weniger geſtoͤrt, wenn
man der Liebe nimmt, um es der Tugend
zu geben.
Jſt nun im Weſentlichen ſchon ſo we-
nig dadurch gethan, daß der nackte, oft
bittre Kern ohne die ihn umſchließende Fuͤlle
der Frucht, als einziger Genuß hingewor-
fen werde, was muß erſt der Sinn fuͤr For-
men dadurch einbuͤßen?
Betrachte man nur die trockene Kaͤlte,
welche ſich ſo leicht des belehrenden Tones
bemeiſtert! wie ſchroff im allgemeinen ein
duͤnkelvoller Verweis klingt! Was um’s
Himmelswillen, ſollte aus den unerlaß-
lichen Ruͤckſichten unter geſelligen Menſchen
werden, wenn die Einen den Meiſter ſpiel-
ten, und die Andern es dulden muͤßten?
Die Sittlichkeit ohne gefaͤllige, zeitge-
maͤße Formen eignet ſich daher eben ſo we-
nig wahres ſittliches Sein zu begruͤnden, als
die Frivolitaͤt der Mode uns dieſes vergeſ-
ſen laſſen kann. Was wird aber die noth-
wendige Durchdringung beider vermitteln?
Jm tiefſten Grunde der Seele, in hoͤch-
ſter und wahrhafteſter Beziehung gewiß nur
die Religion, die in ihrer himmliſchen Rein-
heit eben ſo ſehr das Unrecht ſcheuet, als
ſie die Tugend liebenswuͤrdig macht; in Be-
zug auf die mannigfachen aͤußern Zuſam-
menſtellungen der Geſellſchaft, aber kann
nichts als der Einfluß der Frauen, die
getrennte Gemeinſchaft des Sittlichen und
Schicklichen zu einer und derſelben Bedeutung
zuruͤckfuͤhren.
Er giebt eine ſo unwiederſtehliche Wei-
ſe das Edle und Schoͤne von den Menſchen
zu fordern, die Unſchuld iſt an und fuͤr
ſich ſo reizend, der unumwoͤlkte, ungefeſſelte
Geiſt in ſeinen freien Schwingungen ſo all-
ſeitig, ſo in die Seele dringend, daß durch
eine eigne Anziehungskraft die anmuthige
und geſcheute Frau den aͤchten guten Ton,
der, welcher das Wahre zierlich, und das
Kluge wahr ausdruͤckt, zu dem herrſchenden
machen koͤnnte, wenn ſie in ihren Umgang
alle die Waͤrme des Gemuͤthes und des Ver-
ſtandes legte, die ein lebendiger Gedanke
von ſelbſt in großartig bewegten Seelen
verbreitet.
Jn den vornehmern und eleganten Cir-
keln werden ſicher nur Frauen den Wahn
zernichten, daß eine erhabene Geſinnung mau-
vais genre, und Zartheit der Gefuͤhle, Af-
fectation ſei.
Waͤre es ihnen moͤglich, die Mode aus
dem Felde zu ſchlagen, und der Wahrheit
Raum zu ſchaffen, ſo daß dieſe ſich eigen-
thuͤmlich frei und nothwendig geſtaltete, woll-
ten ſie zu der feinern Gewandheit auch den
Umfang und die Tiefe der Jdeen geſellt wiſ-
ſen, muͤßte, um ihnen zu gefallen, die Ele-
gance zugleich den Charakter des Edlen und
Ausgezeichneten tragen, duͤrfte Witz und Laune
nie an die leiſe verſchwimmenden Graͤnzen
des Heiligen ſtreifen, waͤre der Ruf des al-
lerfeinſten Ehrgefuͤhls, einer Zartheit des Em-
pfindens in dieſem Punkte, die ein Hauch
verletzen kann, waͤre mit einem Worte der
Anſpruch auf Achtung nothwendig, um den
Liebenswuͤrdigen das Recht der Theilnahme
an jedem geſelligen Vereine zu geſtatten, die
wahre Herrſchaft der Sitten waͤre dann den
weiblichen Haͤnden zuruͤckgegeben, das Leben
wuͤrde großartiger, die Verbindungen dau-
ernder, der Taͤuſchungen weniger ſein! —
Drittes Kapitel.
Erhoͤhung des Daſeins.
Was ſoll, was kann dem Leben einzig noch
Werth geben? Was hat allein die Gewalt
uͤber das Erniedrigende irdiſcher Nothwen-
digkeit hinauszutragen? Was verſoͤhnt uns
mit dieſer, und leihet dem Gewoͤhnlichen und
Gemeinen den Adel hoͤherer Natur? wenn es
nicht die Liebe, das unverlierbare Gut des
Herzens iſt?
Die Wahrheit iſt aͤlter als die Welt.
Buͤcher, und Solche welche ſie ſchreiben, ſind voll
davon, Geſaͤnge variiren nur den einen
Ton, jede Zunge ſucht nach Worten das
Unausſprechliche zu nennen, jede Bruſt hallt
wieder in Echoklaͤngen der Begeiſterung, und
doch iſt der Glaube an das eigentliche Ge-
heimniß der Liebe verloren. Es ſind nur
noch Momente, in denen die Ahndung da-
von das Gefuͤhl widerwillen uͤberraſcht; und
wie ſonſt die Natur von ihr Gebote empfing,
ſo leihet jene nun der ehemaligen Herrſche-
rin faſt guͤtig die Hand, um ihr den Zutritt
zum Leben zu verſchaffen. Nur was ein
leibliches Erdenband verbindet, was den re-
alen Urſprung nachweiſt, ſeine Wurzeln in
die ſichtbare Heimath einſchlaͤgt, und das
Recht auf Wahrheit durch koͤrperliche Exi-
ſtenz behauptet, nur die motivirte Annei-
gung der Gefuͤhle, darf ſich, ohne Scheu ver-
hoͤhnt zu werden, das Praͤdicat der Liebe zu-
eignen. Eltern, Kinder, Gatten koͤnnen nie
genug von ihren Empfindungen reden, alles
was hierauf Bezug nimmt, findet Antwort,
ruͤhrt, intereſſirt. Je beſchloſſener, beſchraͤnk-
ter eines Menſchen Wollen und Wirken in
dieſem Kreiſe allgemein begriffener Natuͤr-
lichkeit iſt, je achtungswerther, pflichtvoller
ſteht er in der Meinung da. Es ſcheint,
die Begriffe des Heiligen und Ewigen haben
ſich hieher einzig gefluͤchtet, um, wie in fruͤ-
heſter Kindlichkeit, patriarchialiſche Erinne-
rungen zuruͤckzurufen.
Allein dieſe Zeitperiode mit der unſri-
gen verglichen, verhaͤlt ſich wie der Keim
des Saamenkornes zu der Schwere uͤberrei-
fer Frucht. Jener ſtrebt, in zuſammenge-
draͤngter Kraft, von den zarteſten Lebensban-
den geheimnißvoll gehalten, dem Lichte ent-
gegen, das ihm liebkoſend in ſeiner Wiege
ſchmeichelt. Noch fließen hier Himmel und
Erde zuſammen. Das junge Leben gehoͤrt
beiden, und liebt Einen in dem Andern. —
Spaͤter, wenn Wachsthum und Reife die
Entwickelung vollendet haben, das beſchloſ-
ſene Daſein nicht mehr außer ſich hinaus
kann, ſenkt die in Ueberſpannung welkende
Frucht ſich dem ſtillen Schooße, dem ſie ent-
ſprang, entgegen.
Es iſt nicht der friſche Ruf hellen Er-
wachens, es iſt ein melancholiſcher Seufzer,
der oft in traͤges Gaͤhnen ausartet, was
von dem Familienheerde in die Welt dringt.
Waͤre dieſe Liebe aͤchter Art, waͤre ſie
das rein Menſchliche, dem Gott ſich einver-
leibt, dem er die hoͤchſte Weihe in der Per-
ſon des Sohnes gegeben hat, ſie trennte
nicht, ſie umfaßte, verbaͤnde die Geſellſchaft.
Weshalb ſtehen denn die Familienkreiſe ne-
beneinander, ohne ſich gemeinſam zu ver-
miſchen? Weshalb erſtreckt ſich dieſelbe Em-
pfindung, die Menſchen naturgemaͤß anein-
anderknuͤpft, nicht uͤber die leibliche Schran-
ken hinaus? Jſt ihr Weſen nicht vor allem
Andern Liebe? und fuͤgt ſich dieſe den ir-
diſchen Bedingungen, oder beherrſcht ſie
ſolche durch den geheimnißvollen Zug der
Sympathie, der jedem ausgeſprochenen Ver-
haͤltniſſe vorausgehen muß?
Weit entfernt, dem hoͤchſten Gluͤcke, das
die Erde bietet, zu nahe zu treten, den Quell
zu truͤben, dem alle Geſtaltungen des Lebens
entſteigen, die ſuͤße, beſeeligende Familienliebe
herabzuziehen, will ich nur keine Goͤtzen an
ihrer Stelle erblicken, ſie ſoll weniger ſelb-
ſtiſch und eng, nicht bloß auf das augen-
blickliche Beiſammenſein bezogen, ausgrei-
fender in das buͤrgerliche und geſellige, wie
in das hoͤhere Leben erſcheinen, mit einem
Worte, ſie ſoll mehr von ihrer goͤttlichen, als
der Erdennatur an ſich tragen.
Das Kuͤchlein im eignen Neſte zu he-
gen und zu pflegen, weiß die thieriſche wie
die menſchliche Mutter. Beiden giebt Gott
das Wollen und Vollbringen. Schirmend
uͤber ſie wacht der Vater, er ſei Adler oder
Sperling, Koͤnig oder Hirt. Aber die Bruſt,
in welcher der Himmelsfunke zuͤndete, und
im Lichte der Liebe, den hoͤchſten Beruf of-
fenbarte, die Bruſt muß ſich erweitern, und
wenigſtens Ahndungen hegen, welche das
Myſterium der Welt in allen Abſchattungen
zuruͤckſpiegelt.
Wie ſoll ich an eine Gattung der
Liebe glauben, die nur von ſich weiß, und
jeden andern Wiederſchein ihres allgemeinen
Lichtquelles, verſpottet und verleugnet?
Was ſind es fuͤr Herzen, und wie ſchla-
gen ſie in in einer Frauenbruſt, die es ſelbſt
der Poeſie verargen, dem Traume ſuͤßer un-
widerſtehlicher Hinneigung der Seele eine
bildliche Wahrheit gegeben zu haben! Alles
aus dieſer Region in’s Leben Hineingetragene
ſcheint uͤbertrieben. Jede freie Beſtimmung
des Jnnern wird unfehlbar zur Fabel,
Sympathie eine Ausgeburt aberglaͤubiſcher
Thorheit, das Feſthalten eines Gefuͤhls auf
Leben und Tod, Wahnſinn, den man wie je-
des Nervenuͤbel der Zeit, mit pharmaceuti-
ſchen Mitteln curirt. Nichts iſt wahr, und
darf ſo angeſehen werden, als was eine be-
queme Gewoͤhnung den Sinnen nahe ge-
ruͤckt hat. Das Alltaͤgliche alltaͤglich geſagt,
findet unangefochtenen Glauben. Die klei-
nen Bildchen, die ſich mit feingeſchnittener
Feder recht artig radiren, und eine Reihe
von Stillleben wieder erkennen laſſen, duͤr-
fen mit vollem Recht Anſpruch auf Beifall
machen. Solcher Sammlungen giebt es nie
zu viel. Wir laſſen ſie uͤber’s Meer kom-
men, und erfahren mit immer gleichem Ent-
zuͤcken, wie man in jedem Winkel der Erde
ißt und trinkt, wie ein Kamin oder Heer-
desfeuer zu unterhalten iſt, was das Geſin-
de ſagt und thut, und welche Angewohnhei-
ten alte Haushaͤlterinnen und ergrauete
Diener haben duͤrfen.
Jſt das ſchon, wie vieles Andre in der
Welt, gut zu wiſſen, und geignet die Ver-
knuͤpfungen der Verhaͤlniſſe anſchaulich zu
machen, den Ueberblick des Allgemeinen, durch
ſpecielle Einſicht in daſſelbe zu erleichtern,
haben die harmloſen Schilderungen verſchie-
denartiger Gewohnheiten, immer ihr Jn-
tereſſantes, in ſo fern geſchichtliche Bedeut-
ſamkeit darin liegt, ſo ſollen die Mittel
doch nicht den Zweck ſelber aus dem Ge-
ſichtskreiſe verdraͤngen.
Was wollen wir am Ende mit allem
einzeln Zuſammengetragenen? Ein Ganzes
wird nur daraus, wenn es darin iſt. Man
findet nichts, wenn man nicht weiß, was
man ſucht. Ein Bild, eine Vorſtellung,
eine Jdee, von dem, was man fordert
und erwartet! muß zum Grunde liegen.
Jſt dieſe dem Bewußtſein klar, ſo ſiehet
man ſich entweder getaͤuſcht oder befriedigt.
Die Rapſodien moderner Bilderbuͤcher thun
weder das Eine noch das Andre, ſie leiſten
den Dienſt einer Laterne Magika, an der
nichts fehlt als die Magie. Wie das Le-
ben, ſo die Kunſt! Von einer ordentlichen,
tuͤchtigen Leidenſchaft, die ſtark, wie das
Herz, das ſie gebar, den Umkreis taͤglicher
Gewoͤhnung durchbricht, von den Verirrun-
gen und Bekehrungen, von Sieg und Un-
tergang hat man, die rohen Frevel niedrer
Claſſen abgerechnet, ſo wenig Beiſpiele in
der Erfahrung, daß die Einbildungskraft ſich
in dieſes Feld nicht verirren darf, will ſie
nicht den Vorwurf des Grotesken und Ueber-
triebenen auf ſich ziehen.
Jſt es Beſonnenheit oder Kaͤlte, die
ſelbſt die Jugend ſo unangefochten laͤßt?
Der Gegenſtand iſt ſchon oͤfter beruͤhrt
worden. Man ſieht aber nur ein anderes
Uebel daraus erwachſen. Die Nuͤchternheit,
einmal ſo aus dem fortgleitendem Gange
von heute und geſtern herausgeriſſen, ſieht
wirklich ſehr nuͤchtern aus. Ein halbwege
erregbares Gemuͤth friert bei ihrem Anblick.
Auch miſcht ſich Eitelkeit in das Unbehagen.
Man will den Vorwurf geringerer Fuͤhlbar-
keit nicht verdient haben. Das gebildeſte,
geiſtreichſte Zeitalter ſoll hinter keinem fruͤhern
zuruͤckbleiben. Man giebt ſich die Sporen,
Phantaſie und Empfindung auf den Culmi-
nationspunkt zarteſter Empfaͤnglichkeit hin-
aufzuzwingen. Zuſtaͤnde, Stimmungen, Ver-
haͤltniſſe werden, der Seele, wie dem Leben
angebildet, und wenn einer Seits Bequem-
lichkeit einſchlaͤfert, ſo zerſplittert anderwei-
tig Affectation wie Jlluſion die Gemuͤther,
und greift das Beſte, was im Menſchen iſt,
die Wahrheit an. Jm erſten Falle verſchlingt
die Gegenwart Erinnerung und Ahndung,
im letztern wird das Eigenthum wirklichen
Daſeins einer Schein-Exiſtenz geopfert,
in der nicht einmal ſo viel Leben iſt, daß ſie
etwas Eignes erfaͤnde, ſie ſchaͤlt die farbige
Rinde eines alten Gemaͤldes ab, und traͤgt
dieſes, in ſonderbarer Verſchiebung, auf die
enge und kleine Geſtaltungen des Momentes
uͤber.
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Jſt es nun dies, und uͤberall die un-
willkuͤhrliche Empfindung von etwas Unwah-
rem, was ſie mißtrauiſch und unglaͤubig
uͤber die Aechtheit zaͤrtlicher Gefuͤhle macht?
oder fehlt es an der Faͤhigkeit, die Liebe zu
begreifen, daß man ſie allgemein verhoͤhnt, und
ihrer nie anders, als mit einer Art trivialer
Jronie, erwaͤhnt, die faſt noch gemeiner, als
verletzlich iſt? — Jch laſſe die Antwort auf
ſich beruhen. Jn jedem Falle aber giebt es
nichts, was dem etwanigen Aufſchwunge der
Seele ſo die Fluͤgel laͤhmte, als der hoͤh-
nende Zweifel an das Ungewoͤhnliche und
Erhabene. Jſt die Luͤge nicht in der Welt,
ſo kommt ſie dadurch hinein, und nebenher
noch etwas eben ſo Schlimmes, ſchroffer
Stolz, der die Meinung verachtet. Der be-
leidigte Ernſt, welcher ſchlechten Spaß nie ver-
ſchmerzen kann, raͤcht ſich an die Plattheit
dadurch, daß er dieſe zu hoch nimmt, und
auf ſich zuruͤckgeſtemmt, der Welt Trotz
bietet. —
Die große Welt, oder die feinere Ge-
ſellſchaft, hat nun einmal ſolch jugendliches
vergnuͤgtes Geſicht aufgelegt, daß die kleinſte
Wolke tiefrer Regung ſie ſtoͤrt und ſtoͤren muß.
Man kann durch nichts laͤſtiger und laͤcher-
licher werden, als wenn man das Jnnre
nach Außen wendet, und das Weſen durch
die Formen des Umganges durchſchim-
mern laͤßt. Gleichwohl begegnet es jedem
Menſchen, daß bei etwanigem Dazwiſchen-
treten der Umſtaͤnde, ſeine Eigenthuͤmlichkeit,
es ſeye verletzend oder wohlthuend, beruͤhrt
werde, die augenblickliche Erſchuͤtterung ruft
die Wahrheit allzumaͤchtig an, ſie kann nicht
ſtumm bleiben, ſie verraͤth ſich. Damit dies
nun ohne ridicule abgehe, muͤſſen Spott und
Scherz die kleine Unbeſonnenheit ſelbſt be-
laͤcheln helfen. Geſchieht das mit Verſtand,
oder auch nur mit Grazie, ſo gewinnt die
geſellige Heuchelei entweder den Anſtrich des
Humoriſtiſchen, oder ſie wird intereſſant durch
das, was verfuͤhreriſche Anmuth jedwedem
Spiele mit Empfindungen leihet. Miſcht
ſich aber nuͤchterne Beſchraͤnktheit in die fal-
ſche Schaam, will ſie wieder gut machen,
was vielleicht einzig noch Gutes an ihr war,
*
ſo kommen alle die platten Gemeinplaͤtze
an’s Licht, die man bei Voltaire mindeſtens
pikanter findet.
Darf man ſich in ſolchem Falle wun-
dern, wenn der Tiefergebildete mit ſtolzem
Laͤcheln von den vornehmern Kreiſen zu-
ruͤcktritt?
Das iſt es, was die Schreier bewaff-
net, und ihnen ein Recht giebt, ihre Stim-
men zu erheben?
Muß das ſo ſein? Soll ſich wirklich
die große Welt aus der uͤbrigen heraus-
ſchneiden, wie ein beſonders Stuͤck aͤußerli-
ches Leben, das von dem innern nichts
wuͤßte, nichts wiſſen duͤrfte? Man toͤdtet,
was man außer Zuſammenhang und Folge
bringt. Sind die Faͤden erſt zerriſſen, die
das Daſein vermitteln, ſo athmet dieſes nur
noch kuͤnſtlich, und wird zur Carricatur oder
Luͤge.
Dahin ſollte es niemand, am wenigſten
die Frauen kommen laſſen, deren Beruf es
immer war, durch beſeelenden Hauch das
Daſein zu erwaͤrmen, und jede Jſolation in
ihm unmoͤglich zu machen. — Der Hauch,
der Athem des Geiſtes und der Begeiſte-
rung, der das Gleichartige, noch ehe ſich daſ-
ſelbe bewußt wird, entdeckt und anfacht, er
ſoll nur, frei von modernen Ruͤckſichten, aus-
ſtroͤmen, und eine ſuͤdlichere Athmosphaͤre
bilden, die den Bluͤthen des Gefuͤhles nicht
augenblicklichen Tod bringt. Sind gleich die
Einwirkungen des weiblichen Geſchlechtes ne-
gativ, ſo ſind ſie ſchon darum erſtaunt we-
ſentlich, daß ſie die Beſchraͤnkungen auf-
heben, die ſich dem poſitiven Hervortreten
des Geiſtigen entgegenſtellen.
Dulden moͤgen wenigſtens die Frauen,
daß das Hoͤhere in ihrer Naͤhe aufkomme,
daß ſich großartigen Neigungen entwickeln,
ein lebendiger, kraͤftiger Wille entflamme.
Sie ſollen nur den moͤglichen Enthuſiasmus
nicht gerade zu Hohn ſprechen, und es der
Jugend nachſehen, wenn ihr raſches Feuer,
uͤber die Schranke des Conventionellen hin-
auslodert.
Sie wiſſen es nicht, was ſie vermoͤgen,
wie und wodurch ſie das Daſein erhoͤhn.
Sie brauchen es auch im Einzelnen nicht
zu wiſſen, doch beachten moͤchten ſie es viel-
leicht, wie ſehr ein einziger, ſeelenvoller
Blick der Theilnahme, das ſtille Begleiten
und Ergaͤnzen entſtehender Gedanken, auf
die Richtung im allgemeinen einwirkt! Wie
die Ueberzeugung anerkannt, verſtanden zu
werden, den Jdeen Fluͤgel, dem Streben
Adlerſchwung giebt, was es heißt, den
Adel der Seele geltend zu machen, einen
Ehrendank beim Siege uͤber das Gemeine
erwarten zu koͤnnen.
Es giebt weibliche Augen, die nur auf-
ſehen duͤrfen, um mitten in den ſchwuͤlen
Dunſt eines ſtockenden Geſellſchafts-Ver-
kehrs alle Saiten der verſchloſſenen Bruſt
zugleich anzuſchlagen, und Toͤne heraufzu-
rufen, die zur begleitenden Muſik des Le-
bens werden!
Dies ſanfte Hinuͤbergleiten einer Seele
in die Andre, das iſt das Geheimniß der
Simpathie. Man begreift es nie, aber es
ergreift uns, und wo man es walten laͤßt,
da ſchafft es aus ſich heraus, und erfuͤllt
und dehnt das bildſame Daſein, weit uͤber
den Maaßſtab gewohnter Erwartung hin-
aus.
Wie viele haben einen aͤhnlichen Zu-
ſtand des Erwachens gekannt und wieder
vergeſſen! Nur die Herzen der Frauen he-
gen unſterbliche Erinnerungen. Sie koͤnnen
ſie ſo leicht in’s Leben rufen. Weshalb ſtel-
len ſie ſich vornehm und kalt zu der Welt,
wenn ſie dieſe begeiſtern und durch Liebens-
wuͤrdigkeit gewinnen koͤnnen? Jhr leichter
Fußtritt ſoll die Erde nur beruͤhren, um die
Spur anzudeuten, die zum Himmel fuͤhrt.
Weßhalb wollen ſie ſo feſt, ſo eingewurzelt
ſtehen, da doch alle Blumen nur mit fluͤch-
tigem Gruß den buntgewobenen Fruͤhlings-
Teppich ſchmuͤcken!
Vierte Abtheilung.
Wie verhalten ſich die naͤchſten und
heiligſten Pflichten zu dem Welt-
leben.
Erſtes Kapitel.
Die Gattin und Mutter.
Erſt da, wo niemand freien und ſich freien
laſſen wird, kann die große Angelegenheit
des Heirathens aufhoͤren, beſtimmend in das
Leben einzugreifen.
Dieſem Hafen, endlicher Ruhe, ſteuert
Alt und Jung, unbewußt und bewußt, in
jedwedem Stande, auf allen Flecken der
Erde, zu.
Die allermeiſten Vorrichtungen des Le-
bens ſind Bruchſtuͤcke zu dem, im Sinne ge-
tragenen, Bau haͤuslicher Begruͤndung. Von
dem erſparten Pfennig der armen Magd, die
im niedrigſten Hausdienſt ihre Bahn beginnt,
wird das redliche Treiben, ſchuldloſe Specu-
lation, die ſich ihres Erfolges ſchmeichelt.
Und was beide, der junge Freigeiſt, wie der
trockene Hageſtolz, auch kluͤgeln und vermeſ-
ſen verheißen, es kommt die Stunde, in der
ſie die Welt auf ſich ſelbſt zuruͤckweiſen, wo
nicht Menſchen, nicht Pferde, noch Hunde
ausreichen wollen, nicht Karten und Herzen
laͤnger zum Spielwerk dienen, in der die
matte Seele und die verbrauchte Geſundheit
melancholiſche Betrachtungen machen laſſen,
in ſolcher Stunde faͤllt dem Einſamen die
Stelle der Schrift auf’s Herz: „es iſt nicht
gut, daß der Menſch allein ſei.‟
Weiß er auch ſonſt nicht viel von Got-
tes Wort; dies gerade paßt auf ſeinen Zu-
ſtand, dies wirft das Gedaͤchtniß, juſt im
rechten Augenblick aus dem Wuſt fruͤherer
Erinnerungen heraus.
Er nimmt es auf, denkt nach, ſieht um
ſich her, betrachtet das wohleingerichtete
Haus, die Elegance des Geraͤthes, Spiegel
und Gardinen, Gemaͤlde und Statuen, Cri-
ſtalle und Bronzen, alles ſcheint nach der
Feeenkoͤnigin des kleinen Pallaſtes zu ver-
langen. — Zum erſtenmal duͤnken ihm die
Raͤume ſo kalt und leer, ein unwilliger
Seufzer, der ihm entſchluͤpft, hallt von den
unbeſeelten Waͤnden wieder. Der Tod ſchnei-
det ihm in die Bruſt. Es iſt beſchloſſen.
Er macht es wie Alle, er endet mit der er-
ſten, beſten Heirath! Jm Grunde waren die
Vorkehrungen ſchon laͤngſt dazu getroffen.
Er ſcheuete nur die Feſſeln, die ihm jetzt ſo
bequem vorkommen, da ſie der heimathloſen
Exiſtens doch einen Halt verſprechen!
Eben ſo ergeht es den ſtolzen, ſchnoͤden,
kalten Schoͤnen, die den Spiegel ſtets vor
ſich her zu ſchieben das Anſehen haben,
nichts ſehen, als ſich, nichts empfinden, als
ſich, und mit der wachſenden Vorſtellung ih-
rer gebieteriſchen Reize, die Welt zu ihren
Fuͤßen glauben. Sie verſchmaͤhen den Blick
auf irgend einen Gegenſtand umher zu wer-
fen, keiner ſtehet ſo hoch, daß er den Wunſch
bis zu ihnen erheben duͤrfe, und dennoch
ſchoͤpft das Selbſtgefuͤhl entzuͤckende Nahrung
aus dem Weihrauch, der ihnen von allen
Seiten entgegendampft: „ſie duͤrfen den Em-
pfindungen nur nicht Worte geben!‟ ſagt
ſich die Gehuldigte. „So halte ich ſie Alle
gefangen! Jn meiner Hand liegt ihr Loos!‟
Ein ungewoͤhnlicher Erfolg rechtfertigt
denn auch wirklich durch Wochen und Mo-
nate dieſe Ueberzeugung. An der Marmor-
glaͤtte unbeweglicher Eitelkeit, reibt ſich die
Eitelkeit Andrer, bis der Funke ſpruͤht, und
die kuͤnſtliche Gluth mancherlei von Leiden-
ſchaft und Qual und Untergang fabeln laͤßt.
Wehet dann der Wind daruͤber hin, kommt
der Herbſt, der oft den Sommer uͤbereilt,
hat ſich die Waͤrme verdampft, iſt das Herz
leer, die Bruſt oͤde, zeigt der Spiegel welke
Bluͤthen, ſo faßt die Hand nach irgend ei-
ner andern beſchuͤtzenden Hand, die geſchickt
iſt, durch die unbequeme Weite des Daſeins
einen Anhalt zu bieten.
Moͤge man ſich daher ſtellen wie man
wolle, die bloße aͤußere Ruͤckſicht bedingt, in
der Verknuͤpfung der Verhaͤltniſſe, jene Noth-
wendigkeit, ſich gegenſeitig zu ergaͤnzen, und
durch ein feſtes Band das getheilte Jntereſſe
zu einem ungetheilten zu machen. Jn allen
Staͤnden, in den niedrigern weit mehr, als
man denkt, wird eine Verbindung, die nur
unter unſichtbaren Einfluͤſſen geſchloſſen wer-
den ſollte, geſchaͤfftlich, getrieben.
Verwandte und Freunde, oft auch muͤſ-
ſige Zwiſchentraͤger, Solche, die nichts fuͤr
ſich ſchaffen und denken, und es fuͤr Andre
thun, ſie leiten die kleinen Familienintriguen
ein, die haͤufig uͤber das Geſchick ganzer
Generationen entſcheiden. Jn vielen Faͤllen
iſt es denn auch eine vorhergetroffene Ueber-
einkunft, die nur Zeit brauchte, um in’s
Leben zu treten. Der Geſchmack, wie die
Zufriedenheit einander fremdgebliebener We-
ſen, wird auf ſolche Weiſe vorherbeſtimmt,
und nicht ſelten trifft die Vorausſetzung zu.
Es fuͤgt ſich, was ſich fuͤgen muß! Die in-
nern Abweichungen gleichen ſich vielleicht
niemals aus, aber ſie hoͤren auf zur Sprache
zu kommen, wenn das Gegenuͤberſtellen ver-
ſchiedenartiger Meinungen zu nichts fuͤhrt.
Gewoͤhnung hilft daruͤber weg. Zudem tritt
auch das Jndividuelle mehr und mehr zu-
ruͤck, je beſtimmter die Theilnahme an dem
Gemeinſchaftlichen eine und dieſelbe wird.
Kleine Beduͤrftigkeiten der gemeinen Klaſſe,
und große Anforderungen der vornehmern
Welt, fuͤllen die Zwiſchenraͤume des Jnnern,
ebenen dieſes gegenſeitig, und ſchmelzen
es zuſammen, als waͤre es aus einem Guß.
Manchmal geſchieht es auch wirklich,
daß die nachbarliche Wanderung auf dem
gleichen Lebenswege das Wiſſen und Be-
kuͤmmern um einander, einer Seits Vor-
ſorge, andern Theils Dankbarkeit erweckt.
Es bequemt ſich in der That, nach einer
Folgereihe von Jahren, eine Natur, eine
Anſicht, ein Geſchmack nach dem andern.
Wie die Aehnlichkeit waͤchſt, nimmt auch
die Neigung zu, am Ende iſt es, als haͤtten
ſich die Leute von Anfang her geliebt, und
Gefuͤhle, nicht Ruͤckſichten, dieſe Ehe gegruͤn-
det.
Wer mag nun dreiſt genug ſein, zu
behaupten, daß ſei nicht Liebe, was fried-
liche Menſchen auf ſolche Weiſe treu und
innig aneinander kettet?
Jch habe viel Ehen gekannt, eine jede
aus ſehr verſchiedenen Motiven geſchloſſen,
die gleichwohl nach Ablauf von zehn und
funfzehn Jahren eine ſo große Aehnlichkeit
der Art und Weiſe hatten, daß es ſchwer
geweſen waͤre, zu beſtimmen, welcher von
allen die tiefſtere Neigung zum Grunde lag?
— Jn den Huͤtten der Landleute, wo man
gemeinhin arcadiſche Sitten und ſchaͤferliche
Liebe ſucht, werden Heirathen in der Regel
durch gefaͤllige Vermittelung gemacht. Hauſirer
und Gewerbetreibende, deren Geſchaͤfte ſie von
Ort zu Orte fuͤhren, bringen Vorſchlaͤge fuͤr
dieſen Mann oder jenes Maͤdchen mit. Sie
beſchreiben, erzaͤhlen, verhandeln ſo lange,
bis die Sache in Richtigkeit, die Heirath
zu Stande kommt. Sehr ſelten hoͤrt man
auch von Bewerbungen, in dem Sinne ei-
nes perſoͤnlich gemachten Antrages reden,
es heißt nur: ſie hat einen Vorſchlag.
Nun, und nichts deſtoweniger giebt es viel
Familiengluͤck auf dem Lande; rechtſchaf-
fenes Zuſammenhalten, herzliche Fuͤrſorge,
liebevolles Betragen, in allen, gute Wirth-
ſchaften! Die Zuneigung, welche hinterdrein
kommt, iſt nicht geringer, als die, welche
andern Ortes oft vorangeht. Man muß
glauben, die menſchliche Mangelhaftigkeit
fordere erſt das Geſetz, um nach dem die
Erfuͤllung empfangen zu koͤnnen; nothwen-
dige Schranken muͤſſen die Weſen zuvor
umſchließen, ehe ſich in dieſen, die Liebe in
freier natuͤrlicher Folge zu entwickeln vermoͤ-
ge; nicht Wahl, aͤußere Beſtimmung
bedinge jenes innerliche Beziehen der Ge-
fuͤhle, das aus Geben und Nehmen, Opfer
und Anerkennung, Gluͤck und Ungluͤck, aus
dem ganzen Wechſelverkehr des Daſeins her-
vorgeht.
Es iſt faſt in allen Verhaͤltniſſen ſo.
Erſt iſt das Verhaͤltniß da, ehe das Leben
daſſelbe lebendig ausfuͤllt.
Hierin liegt ein großer Troſt fuͤr alle
Diejenigen, welche durch unabwendbare Um-
ſtaͤnde gezwungen worden, weit mehr dem
Gebote der Nothwendigkeit, als dem Zuge
des Herzens zu folgen. Es iſt die goͤtt-
liche Hand, welche dem Bewußtſein ver-
borgen, da Sympathie entſtehen laͤßt, wo
man auf ganz entgegengeſetzten Eindruck
ſchließen mußte.
Wenn auf ſolche Weiſe ein magiſches
Band hoͤherere Kraft beurkundet, ſo darf
die Ehe an und fuͤr ſich einer geheimnißvol-
len Weihe gewiß ſein, die es unergruͤndet
und unbegriffen laͤßt, welche Anforderungen
vorausgehen muͤſſen?
Es liegt die dunkle, tief verhuͤllte Jdee
von etwas ſo Großem, unausſprechlich Er-
habenen einer alles umfaſſenden Liebe in je-
der Bruſt. Das Unermeßliche der Ahndung
allein iſt ſo fortreißend, laͤßt die Erde, mit
ihrer kleinen Gegenwart ſo tief unter ſich,
daß der Maasſtab von einem Zuſtande der
Seele, der ſo an das Ueberſchwengliche ſtreift
niemals an Empfindungen anzulegen iſt,
die ſich in die Realitaͤt hin einbilden, und
durch ſie beſtimmt werden muͤſſen. Man
ſoll ihn auch nicht anlegen. Die Erde
verliert nichts dabei, wenn man den Him-
mel ſein Recht laͤßt. Dieſer ſpiegelt ſich
freundlich in ihr zuruͤck, wird er nicht Ge-
waltſam heruntergeriſſen. Geſchieht das, ſo
verwirren ſich beide Regionen, und man iſt
in keiner zu Hauſe. Moͤge die Sonne uͤber
uns bleiben! Es giebt immer Augenblicke,
in denen uns ihr Licht beruͤhrt. Solch ein
Brennpunkt kann ſeine Gluth uͤber eine
ganze, lange Lebensbahn ausſtroͤmen, und ſie
reich und glaͤnzend machen. Aber dieſe Sil-
berſtreifen ſind auf dem dunklen Planeten zu
zaͤhlen! Meiſt bleibt es bei einzelnen war-
men Blitzen, und leidlicher Daͤmmerung am
fernen Horizonte. Dafuͤr ſind wir Erden-
kinder! Frauen lernen das auch fruͤher ein-
ſehen. Sie wachſen meiſt unter ſo vielen
Widerſpruͤchen auf, ihr laͤngrer Aufenthalt
in den haͤuslichen Umgebungen, benimmt ih-
nen die Jlluſion eines Himmelreiches auf
dieſer ſublunariſchen Welt, der chemiſche
Apparat iſt ihnen ſo nahe getreten, daß der
Effect keine Taͤuſchung hervorbringt.
Vielleicht liegt gerade hierin der Grund,
weshalb die Phantaſie junger Maͤdchen ſo
leicht einen melancholiſchen Aufſchwung nimmt.
Die Unzulaͤnglichkeit alles Jrdiſchen tritt,
15
faſt mit dem Erwachen der Seele, auf ſie zu.
Der Ernſt um ſie her macht ein unfreund-
liches Geſicht. Sie fluͤchten in ein unge-
meſſenes Reich der Gefuͤhle. Hier ſchwaͤr-
men ſie von Sympathie und Jdealen, und
wenden den Blick nur mit Wehmuth auf
das Naͤchſte zuruͤck. Der Kirchhof iſt in
ſolcher Periode ihre Heimath. Spaͤterhin
ruͤcken ſie dann weiter vor, bis in die Kirche
hinein, dicht vor den Altar. Stehen ſie
erſt hier, dann bedingt vielleicht eben ſo die
vorhergehende Stimmung, die naͤchſtfolgende.
Alle Suͤßigkeit ſeeliger Begeiſterung iſt aus-
gekoſtet. Was ſie dachten und empfanden,
das Leben hat es nicht. Hier an dem Ab-
ſchnitt einer neuen Zeitperiode werfen ſie
die loſen Traͤume hinter ſich, geben allen
Wonnen der Ahndung den Abſchied, und
verſchreiben Herz und Phantaſie der gebie-
teriſchen Wirklichkeit.
Ueber die kleine Anſtrengung hinaus,
die noch ein Paar Thraͤnchen, ein Paar
Briefe und einige ſchwermuͤthige Abendſtun-
den, im Angeſicht des geſtirnten Himmels,
koſtet, iſt denn auch die letzte Spur jedes
innern Widerſpruches verwiſcht. Von nun
an wendet ſich die Ergebene, oder Bekehrte,
der entgegengeſetzten Richtung zu, der kurze
Wahn wird durch tauſend Spoͤttereien ab-
gebuͤßt: „die Vernunft iſt in ihre Rechte
getreten!‟ ſagt man ſich ſelbſt zufrieden.
„Die Thorheit kann von da nicht thoͤricht
genug geſtellt werden! —
Es iſt aber damit nicht ſo voͤllig ernſt,
als man es glaubt. Die Furcht, mit der
Gegenwart zu zerfallen, laͤßt allzu aͤngſtlich
an dieſe halten. Der Ruͤckblick waͤre ge-
faͤhrlich, deshalb wird der Geſichtskreis ver-
engt, und meiſt in eine kurze, gerade Linie
zuſammengezogen, die nur bis zu dem Naͤch-
ſten hinfuͤhrt.
Dies Ueberſchlagen von einem Aeußer-
ſten zum andern, hat den doppelten Nach-
theil, daß man die Art von Gluͤckſeeligkeit,
zu der es bei ſolcher Beſchraͤnkung kommen
kann, in ein Heer herabwuͤrdigender Klein-
lichkeiten vergraͤbt, und daß man ſich ſelbſt
zu keiner hoͤheren faͤhig macht.
*
Um ſo mehr, da die reale Geſtalt, wel-
che die Lebensbeziehungen, nach ſolchem Um-
ſchwunge annehmen, eine Doppelte iſt. Die
eine wendet ſich ganz dem geſelligen Ver-
kehr zu, und wird weltlich, die andre taucht
ſich gleichſam in Pflichtuͤbungen unter, und
wird haͤuslich. Die erſtere iſt jetzt faſt ganz
aus der Mode gekommen- Es giebt nur
noch wenige Beiſpiele, wo ſelbſt die vorneh-
mere Gattin und Hausfrau, die Zerſtreuun-
gen der Weltfreuden dem Familienleben vor-
zoͤge, und hier durch Leichtſinn oder Ver-
gnuͤgungsſucht etwas Weſentliches verſaͤumt
wuͤrde.
Gewiß liegt dem beſſern Streben die
reinere Anſicht des Berufs zum Grunde.
Das Auͤßerweſentliche muß der liebgeworde-
nen Pflichtuͤbung weichen; und nicht zu
leugnen iſt es, daß die Frauen der großen
Welt in dieſer Beziehung weit mehr leiſten,
als man es gewohnt iſt bei ihnen anzuneh-
men. Allein, wenn ſie ſo dem Zuge liebe-
voller Natur folgen, ſo gehoͤrt das Motiv
doch nicht allein der Liebe, ſondern mehr
der Erkenntniß, und der daraus erwachſen-
den Unſicherheit an.
Die Anſtrengung, zwei einander entge-
genlaufende Bahnen wechſelsweiſe mit Theil-
nahme und Freiheit zu den ſeinen zu machen,
keine ganz aus den Augen zu verlieren, eine
jede richtig zu wuͤrdigen, und ſich ſelbſt treu
zu bleiben, dies erfordert eine Regſamkeit,
und Umſicht des Geiſtes, eine Waͤrme des
Gefuͤhls und Feſtigkeit der Geſinnung, die
wahrlich mehr Bewunderung da verdient,
wo ſie ſich bewaͤhrt, als ſie Tadel erwecken
ſollte, wenn ſie ſich augenblicklich verleugnet.
Bedenkt man, was allein ſchon dazuge-
hoͤrt, eintretende Stoͤrungen bei unveraͤn-
derter Richtung und immer gleichem Zweck
der Wirkſamkeit in Uebereinſtimmung zu
bringen, wie der gewoͤhnliche haͤusliche Le-
benslauf hier ſo manche, ſchwer zu loͤſende
Aufgabe hinſtellt, ſo ermeſſen ſich die Schwie-
rigkeiten, des ſcheinbar Widerſprechendem im
Leben der Frauen aus der großen Welt,
ohne weitere Erklaͤrung.
Von allen Wegen iſt der Mittelweg der,
welcher zumeiſt verfehlt wird. Das Unbe-
queme, bald hier, bald dort ſein zu ſollen,
liegt am Tage. Deshalb neigt ſich die Na-
tur nach der Seite, wo die Anziehungskraft
am ſtaͤrkſten iſt. Jn unſern Tagen iſt es
das ſtillere, bequemere Treiben des abgeſchloſ-
ſenen Lebens, was die Neigung beſtimmt.
Die Gattin ſcheint nur fuͤr den Gatten, die
Mutter fuͤr ihre Kinder zu leben, und wirk-
lich ſpuͤrt ſich hier noch eine Waͤrme, die
anderweitig in jeglichem Verhaͤltniſſe um-
ſonſt geſucht wird.
Koͤnnte das allſeitig genuͤgen, forderte
das Beſtehen der Geſellſchaft nicht innere
Stroͤmungen des Mitempfindens, nicht das
Jntereſſe an einem Gemeinſchaftlichen,
was ſich untereinander durch tauſendfach
getheilte und verzweigte Beziehungen be-
dingt, muͤſte nicht jeder leiſten koͤnnen, um
genießen zu wollen, traͤfe nicht, ohne Aus-
nahme, allen Gliedern der einen Kette, die
gleiche Verpflichtung, durch inneres Leben
die Reibungen beweglich zu erhalten, die
den elektriſchen Jmpuls gleichzeitig von die-
ſem Punkte zu jenem mittheilt, es waͤre
ſchoͤn, ſo in der Beſchraͤnkung die ganze,
volle Welt zu bewahren.
Allein, viele Weltkoͤrper bilden nur dann
ein Univerſum, wenn ein Geiſt der Har-
monie alle nach demſelben Geſetz bewegt.
Viele Familien machen darum keine
Geſellſchaft, daß ſie neben einander exiſtiren.
Der Verkehr unter ihnen ſetzt ſie in
Beruͤhrung. Was iſt das aber fuͤr ein Ver-
kehr, wenn ſich niemand ſucht, oder doch
nur auf eine Weiſe, die nur allein die noth-
gedrungene Pflicht des Herkoͤmmlichen aus-
ſpricht!
Und doch legt uns ein goͤttliches Gebot
die Naͤchſtenliebe als das zweite, unerlaß-
liche ans Herz. Seit wann ſind denn nur
Eltern, Kinder, Geſchwiſter und der Arme
im Hospital, wie auf der Landſtraße, allein
unſre Naͤchſten! Wo bleiben die hellen, und
freundlichen Verwandtſchaften des Geiſtes
und Geſchmackes, die Bande der Geſellig-
keit, der unwillkuͤhrlichen Vorliebe, ſind ſie
alle profan, weil es ſchwierig iſt, tugend-
haft und freundlich, pflichtvoll und liebens-
wuͤrdig zu ſein? ſoll es darum keine Freu-
den der Welt mehr geben, weil die ſchwaͤch-
lichen Nerven ſich uͤberſpannen bei den An-
regungen in und außer dem Hauſe?
Das kommt davon, wenn man der Ju-
gend der Gefuͤhle ſo fruͤh den Abſchied giebt,
der Poeſie ein Hauskleid anzieht, und die
Einbildungskraft an den Stickrahmen feſſelt,
aus Furcht, ſie koͤnne die alten lockenden
Toͤne wieder anſchlagen! Wie will die Gat-
tin, wie kann die Mutter mit dem liebenden
auch ein großes Herz bewahren, das in
jedem Augenblick Raum fuͤr die umfaſſen-
dern Gefuͤhle des Gatten, die hohe Begei-
ſterung des Sohnes, die zaͤrtlichen Traͤume
der Tochter hat, wenn ſich ihr Blick nur an
dem Naͤchſten abſtumpft, und ihr alles fremd
und gleichguͤltig bleibt, was der Kreis ihrer
Erfahrungen nicht aufweiſt!
Lehren es nicht unzaͤhlige Beiſpiele, daß,
je aͤngſtlicher die phyſiſchen Bande zuſam-
mengezogen werden, je mehr auch das Gei-
ſtige entſchwindet? Wer immer beieinander
ſein will, hat ſich eigentlich nie. Es genuͤgt
zumeiſt die perſoͤnliche Naͤhe, und daß das
Geſchoͤpf der Gewohnheit nirgend anders ſei,
als wo man es haben will. Muͤtter, die
ganze Tage mit ihren Toͤchtern zuſammen-
ſitzen, wiſſen darum doch nicht ein Wort
von dem, was in derem Herzen vorgeht. —
Sie koͤnnen es nicht wiſſen, denn ſie ver-
lernten laͤngſt, ſich anders mit dem Unſicht-
baren zu beſchaͤftigen, als in ſoweit es die aͤußern
Vorſchriften der Religion heiſchen. Und wie
werden ihnen erſt die innern Stuͤrme in der
Bruſt des Sohnes entgehen! wie abentheu-
erlich und ganz unbegreiflich, muß das kuͤhne,
uͤber die abgeſtochene Graͤnze hinausſchwei-
fende Streben, der ungemeſſene Trieb nach
Thaten, der heiße Durſt, das Neue, Unge-
woͤhnliche zu ſchaffen, in den engen Kreis
des taͤglich Wiederholten hineinfallen? Koͤn-
nen in ſolchem Zeitpunkte, der unvermeidlich
eintritt, Mutter und Kinder anders, als ſich
fremd werden?
Die Liebe, ſagt man mit Recht, gleicht
alle Abweichungen aus. Ja ſie, haͤlt zu-
ſammen, aber ſie verſtaͤndigt nicht immer,
ſie ſcheuet oft das genauere Eingehen auf
das Unverſtandene, aus Gruͤnden, die ihrer
aͤngſtlichen Gewoͤhnung eigen ſind. Kinder
verſchließen ſich, Muͤtter forſchen nicht, man
laͤßt unberuͤhrt, was ohne innere Begleitung
zuſammengezogen, doch nie ineinander uͤber-
gehend, gedacht werden kann.
Welche Einwirkung findet aber da ſtatt,
wo kein hoͤheres Vertrauen obwaltet? —
Was hat man denn davon, die anver-
traueteten Pfaͤnder nicht einen Augenblick
aus den Haͤnden gelaſſen zu haben, wenn
unvermerkt die Bande feſſelnder Beduͤrftig-
keit ſich loͤſen, Geiſt und Seele davon flie-
gen, und das Herz nur dankbare Erinne-
rungen hegt?
Was iſt es fuͤr eine Liebe, deren Schwin-
gen nicht wachſen, nicht durch alle Raͤume
des Daſeins, durch alle Himmel des Ent-
zuͤckens, in die Tiefen des Schmerzens be-
gleitend tragen koͤnnen? Muß ſie irgendwo
zuruͤckbleiben, ſo hat ſie ſich ſelbſt um ihr
goͤttliches Vorrecht betrogen.
Die Gleichartigkeit des Berufes erzeugt
zwiſchen Vaͤtern und Soͤhnen, von ſelbſt eine
genaue Verwandtſchaft der Jdeeen. Sie
ruͤcken einander in dem Maaße naͤher, als
die Gattin und Hausfrau unfaͤhig wird,
ihnen zu folgen. Es ſcheiden ſich alſo, trotz
aller fruͤhern Unzertrennlichkeit, die Lebens-
wege, oͤfter noch das ſchoͤnere Leben der eng
verbundenen Familie. Die haͤusliche Gluͤck-
ſeeligkeit, in dem beſondern Sinne betrach-
tet, findet hier ihr Ende.
Durch eine ſonderbare Jſolation der
Vorſtellungen glauben ſehr viel Frauen ihre
Pflichterfuͤllung, gegen den Mann, durch
einſames Leben, gegen Kinder, durch die
phyſiſche Erziehung erſchoͤpft zu haben. Jch
rechne zu der letztern nicht allein das diaͤ-
taͤtiſche Verhalten, ſondern auch die Ausbil-
dung zu Talenten, den Tanz, den Geſang,
die Sprachen, welches alles fuͤr den Putz
und die Verſchoͤnerung der Perſon getrieben
wird. Je mehr Ordnung, Ausdauer und
Syſtem in der Regulierung dieſer aͤußern
Geſchaͤfts-Verwaltung ſtatt findet, je mehr
naͤhert nan ſich dem Jdeale, das der Mei-
nung vorſchwebt, und von ihr feſtgeſtellt iſt.
Mit einemmale, ehe es ſich dieſer oder
jener verſieht, ſprengen die Richtungen der
bisher geſetzlich verbundenen Familieneinheit
auseinander. Vater und Sohn wenden ſich
dahin. Mutter und Tochter ſtuͤrzen dem ge-
oͤffneten Thore der Welt zu. Nun iſt es,
als ſolle alles Verſaͤumte nachgeholt werden.
Jetzt gilt es, die Fruͤchte der langen Entſa-
gung zu erndten. Unerſaͤttlich werden die
Muͤtter in ſolchen Vergnuͤgen, bei denen
alle jene Talente ſich entwickeln, die ſcrupuleus
gepflegte Geſundheit und Friſche der Tochter
glaͤnzen kann. Die Fuͤße bewegen ſich kunſt-
gerecht und zierlich, die Lippen laͤcheln an-
genehm, die Wangen faͤrbt ein helles Roth,
die Augen ſenken und heben ſich, alles das
ſieht die erfreute Mutter, auch, das Hal-
tung und Toilette ihrer Aufmerkſamkeit Ehre
machen — aber — bis zu dem Geheimniß
der jungen Bruſt, was dieſe bewegt und
aͤngſtet, waß die Einbildungskraft Tage und
Naͤchte beſchaͤftigt, auf die Richtung der
Gefuͤhle Einfluß hat, das Gemuͤth, den Cha-
rakter erſchuͤttert und wendet, davon ſieht
ſie nichts, weil der Blick nur auf dem Aeu-
ßeren haftet, an die aͤußere, an die irdiſche
Begruͤndung, an Heirath, Wohlſtand, Glanz
und Auszeichnung denkt.
So fallen denn immer, auf einer ge-
wiſſen Stufe des Lebens, die beiden realen
Geſtaltungen des weiblichen Berufs wieder
zuſammen. Die haͤusliche wird mit der welt-
lichen dadurch eins, daß eine neue Haͤus-
lichkeit gegruͤndet werden ſoll, wo es ohnge-
faͤhr eben ſo zugeht, wie in der eignen,
fruͤhern.
Was erwaͤchſt aber daraus fuͤr ein Heil,
ſowohl in Bezug auf die geiſtig geſellige,
als auf die individuelle hoͤhere Bildung?
Beide bleiben Stuͤckwerk. Die geſellige
geht ganz unter, die andre zieht ſich mehr
und mehr in einen Punkt zuruͤck.
Ohne Gemeinſamkeit im Denken und
Verſtehen, ohne bewegliche Mittheilung ſtockt
der ganze Weltverkehr.
Die Frauen werden alſo wohl das
Schoͤne mit dem Nuͤtzlichen, das Jdeale mit
dem Realen durchdringen, die Region des
Ueberſinnlichen nicht ganz verlaſſen, Pflich-
ten gegen die Geſellſchaft eben ſo anerken-
nen, als deren Zuſammenhang mit dem
haͤuslichen Berufe erhalten muͤſſen, wenn ſie
nicht doch am Ende einem Wahne froͤhnend,
dem Vergaͤnglichen mehr, als dem Unver-
gaͤnglichen leben wollen.
Das erweiterte Jnnre, ein ſolches, das
faͤhig bleiben will, den erwachſenen Men-
ſchen in dem Kinde zu erkennen, den Freund
in dem Gatten zu bewahren, dies Jnnere
gedeihet nicht in dem Schlafe der Gewohn-
heit. — Wechſelwirkung bedingt allein die
Schwungkraft der Seele, das Leben
des Herzens.
Zweites Kapitel.
Die Freundin, die geſellig Gebildete Jhr Ver-
haͤltniß zu Kunſt und Literatur.
Wenn ich fruͤherhin zu behaupten wagte,
daß Freundſchaft dem weiblichen Herzen
nicht durchaus unentbehrlich ſei, ja, daß
die unwillkuͤhrliche Neigung der Gefuͤhle hier
eine andre Richtung nehme, und ein Buͤnd-
niß, dem aͤhnlich, was Maͤnner einander
verbruͤdert, ſelten, oder nie, bei Frauen an-
getroffen werde, ſo leidet der Satz an und
fuͤr ſich, wie jedes, was der ſchaͤrfern Deut-
lichkeit wegen, abſolut herausgehoben wer-
den muß, eben ſowohl Ausnahme, als Mo-
dificationen.
Es koͤnnen Zuſtaͤnde und Stimmungen
geben, in welchen der ſtaͤrker bewegten Seele
die Zugaͤnge zur Welt verſchloſſen werden,
oder die Beziehungen fruͤherer Verhaͤltniſſe
ſich verwirren, eine aͤngſtigende Dunkelheit
das Daſein verfinſtert. Sei dies innerlich
oder aͤußerlich der Fall, was ſich in ſolchen
Momenten nahe ſteht, ergreift ſich und haͤlt
zuſammen. Dies Begegnen entſcheidet dann
fuͤr lange Zeit uͤber den gegenſeitigen Ein-
fluß. und die Herrſchaft welche das ſtaͤrkere
Gemuͤth uͤber das ſchwaͤchre gewinnt.
Eine verlorene Liebe, entſchwundene,
oder ſchlummernde Hoffnungen, geſtoͤrte Ruhe
der Gefaͤhle, geahndete oder wirkliche Ge-
fahr der Stoͤrung zu erliegen, endlich, Oede
und Erſchlaffung der Phantaſie, alles das
find Jmpulſe fuͤr die Freundſchaft.
Das Beduͤrfniß, ſich ſelbſt in demje-
nigen zu ſehen und zu hoͤren, was gleichſam
ein andres Jch in uns entſtehen ließ, zwingt
zu Herzensergießungen, zu dem Ausſtroͤmen
des dunkeln, wogenden, gewaltſam brau-
ſenden Lebens. Die Bruſt, welche ſich dem
augenblicklichen Beduͤrfniſſe oͤffnet, empfaͤngt
gleichſam das Unterpfand dauernden Einver-
ſtaͤndniſſes, indem ſie ſtillſchweigend eine
Buͤrgſchaft der Treue leiſtet.
Es fuͤhlt ſich leicht heraus, daß ein
drittes Hinzugekommnes, das Band knuͤpfte.
Allein, es iſt geknuͤpft, und gleichguͤltig
bleibt es fuͤr die Folge keinesweges, wie die
Umſtaͤnde hier entſchieden.
Den Vortheil, den der ruhig Empfan-
gende durch ſeine bloße Stellung uͤber den
voraus hat, der ſich in heftiger Agitation
mitzutheilen gezwungen iſt, bedingt nicht ſel-
ten eine Autoritaͤt, welche Ueberraſchung und
Dankbarkeit nur zu willig anerkennt. Man
iſt ſich in dem geſtoͤrten Gleichgewicht ſelbſt
unklar geworden, wie ſollte man nicht die
bloße Ruhe in dem Andern fuͤr Klarheit
und Weisheit halten?
Die Rathgeberin, die auf eine oder die
andre Art beſchwichtigend eingreift, dem
Wunſche ſchmeichelt, das Gewiſſen beruhigt,
oder, im entgegengeſetztem Falle, ihr inne-
res Schwanken durch kraͤftigen Einſpruch
aufhebt, es fuͤr das Recht entſcheidet, und
ſo die ausgetretene Fluth in ihr ſtilles Bett
zuruͤcklenkt, ſie wird das Orakel der Freun-
din bleiben, die ſich ihr, ſo, oder ſo, ver-
pflichtet fuͤhlt.
Es kann ſein, daß ſie der gute Engel
einer Familie wird. Es kann auch anders
kommen.
Geſetzt, ſie ſtand der leidenſchaftlich
Bewegten, beſonnen, feſt, entſchieden,
gegenuͤber. Sie ergriff die Zuͤgel, und
wendete den abwaͤrts fuͤhrenden Lauf zu
einem Nuhepunkte hin, wo die zerſtreueten
Kraͤfte ſich ſammeln, Die Heftigkeit des
16
Eigenwillens ſich ſaͤnftigen, Natur und Noth-
wendigkeit wieder in ihre Schranken treten,
der Friede ſich ſo ziemlich herſtellen lernte
wird die Schoͤpferin eines ſolchen wieder-
gegebenen Stilllebens dabei ſtehen bleiben?
Wird ſie es nur wollen? — Sie hat eine
Gewalt geuͤbt, Was ſich dieſer unterordnete
bleibt ihr unterthan.
Es giebt, daran iſt kein Zweifel, ſchoͤne
liebende Seelen, die mit unwiederſtehlichem
Zauber Verirrte in ihr ſeliges Reich ſanf-
ter Uebereinſtimmung hinuͤberziehen, ſie ſo
halten und bewahren, und fuͤr dieſe und
jene Welt nur begluͤcken koͤnnen. Es giebt
auch Andre, die kalt und kraͤftig, zu dem
Geſetzlichen zwingen. Sie thun recht und
ſcheuen niemand. Aber ſie wollen auch ſtets
recht haben, ſie machen ihren Einfluß gel-
tend, ruͤckſichtslos fuͤr jedes, was der ge-
wonnenen Anſicht entgegen, ihr zu hoch, oder
zu unvereinbar mit ihren ſtrengen, abge-
ſchloſſenen Geboten, daſteht. — Solche,
bleiben Stoͤrerinnen der haͤuslichen Ruhe,
wie ſie dieſe immerhin zu bewahren thaͤtig
ſcheinen. — Nehmen wir an, die redlich ge-
ſonnen Vertrauete hatte dem Gatten das
Herz der Frau gerettet, er empfaͤngt es, im-
mer ein wenig von dem Froſte der Entſa-
gung geſtreift, durch die vermittelnde Hand
wieder, und nimmt es nicht mit der Waͤrme,
mit der Friſche gleich getheilter Neigung auf,
es bleiben da Luͤcken, die ſich unmoͤglich ſo-
gleich fuͤllen laſſen, wird die Naͤhe der Frem-
den, Nichtdazugehoͤrigen, dem ſtockenden Ein-
klange Freiheit laſſen, nach und nach wieder
hell und voll ineinander zu fließen? Oder
wird ſie, welche die Umgekehrte mit beiden
Haͤnden haͤlt, und ſie ſo halten zu muͤſſen
glaubt, die eingetretene Pauſen nicht fuͤllen,
nicht dazwiſchen reden, und die Aufmerkſam-
keit auf ſich ziehen zu muͤſſen waͤhnen? Un-
vermeidlich ſteht ſie ſich in Kurzem im Be-
ſitz aller der Klagen und Seufzer und Thraͤ-
nen, welche der getaͤuſchten, in ihrem Pflicht-
gefuͤhl gekraͤnkten Gattin entfallen. Wohin
ſoll dieſe fluͤchten, als zu der, welche kluͤ-
ger und ſtaͤrker als ſie, das ſchwere Opfer
heiſchte und nun auch allein Troſt und
*
Schadloshaltung dafuͤr wiſſen wird? Giebt
es aber etwas Gefahrdrohendes, ſowohl fuͤr
die Guͤte und Milde der Frau, als fuͤr die
Gluͤckſeeligkeit beider Theile, ſo ſind es die
Eroͤrterungen und Berathungen uͤber haͤus-
liche Mißverſtaͤndniſſe mit einem Dritten.
Jn dieſer Beziehung ſind die Freundſchaften
der Frauen ſelten ohne nachtheilige Ruͤck-
wirkung.
Findet nun aber gar ein Fehlgriff weit
andrer, ſtraͤflicherer Art, ſtatt, ſo naͤhmlich,
daß die zufaͤllige Vertrauete, auch die gefaͤl-
lige waͤre, beſchraͤnkte ſich dieſe Gefaͤlligkeit
ſelbſt nur auf unwiderſprochenes Anhoͤren,
iſt ſie vielleicht die Abhaͤngige, die Ohnmaͤch-
maͤchtige, muß ſie ſchweigen, um nicht den
fluͤchtigen Genuß des Augenblickes zu ver-
ſcherzen, wird weniger ihr Urtheil, als ihr
Beiſtand in Anſpruch genommen, leiſtet
ſie dieſen — wo iſt hier den Verwirrungen
ein Ziel zu ſetzen? —
Eine andre Art mißlicher Befreundung
giebt es, zwiſchen der jungen, fuͤr ſich ſelbſt,
beſcheiden Entſagenden, auf ihr beſchloſſenes
Verhaͤngniß beſchraͤnkten Frau, und dem
aufbluͤhenden, in die Welt getretenen Maͤd-
chen. Jene iſt mit den eignen Wuͤnſchen
und Erwartungen fertig, ſie hat gleichſam
einen Vorhang, zwiſchen ſich und das Au-
ßenleben gezogen; allein, was dahinter vor-
geht, bleibt ihr doch immer noch zu nahe,
um nicht davon bewegt zu werden. Sie
kennt die Bedeutung jedes Geraͤuſches, jedes
Tones, und hoͤrt in allen ſich rufen. Jetzt
langt nun gar die unerfahrene Jugend von
dort zu ihr heruͤber. Sie kann, ſie darf
nicht anders, als dieſe durch die Windungen
des Labyrinthes begleiten. Getroſt wirft ſie
ſich mit hinein. Jſt ſie doch ſicher, den Fa-
den der Erfahrung in Haͤnden zu halten,
damit findet ſich der Ausgang von ſelbſt.
So wird denn bald in dem erwachenden
Vertrauen, jedes beſprochen und ausgeſpro-
chen, was zum oͤftern gar nicht der Rede
werth iſt. Worte werden Begebenheiten, es
bilden ſich, aus leichten Vorausſetzungen,
Verhaͤltniſſe; Was man vertrauen darf, muß
geſchehen, muß uͤberall etwas ſein; dem
Wunſche Wichtiges mittheilen zu koͤnnen,
wird ſich das Unbedeutende geſchickt fuͤgen
muͤſſen, die Bekenntniſſe ſollen nicht leer und
alltaͤglich, der gute Rath ihrem Gehalte an
gemeſſen ſein. Man ſteigert ſich ſo gegen-
ſeitig. Unwillkuͤhrlich iſt die Wahrheit zur
Fiction umgebildet; das junge Kind wird
laͤcherlich, die Rathgeberin thoͤricht. Jhr
iſt die Vergangenheit zur Gegenwart, das
fremde Bekenntniß zu eigener Begebenheit
geworden? ſie traͤumt und lockt die alten
Gefuͤhle wieder hervor, unverſehens iſt ſie
mit ihrem Geſchicke zerfallen, und nicht ge-
nug, daß ſie die Hand zu mannigfachen
Mißgriffen von Seiten der Freundin bot, ſie
ſelbſt hat ſich von dem Standpunkte ver-
ſchoben, wo ſie gluͤcklich und ruhig, in einer
hellen, ihr angewieſenen Wirkſamkeit lebte.
Stoͤrungen der Art empfinden ſich oft
laͤnger nach, als man es denkt. Und doch
iſt nichts gewoͤhnlicher im Weltleben, als
hierzu Veranlaſſung zu finden und zu ge-
ben. Ueberall entſpringen, aus der bizarr
zuſammengeſetzten Verkettung der Umſtaͤnde
ſowohl, als aus den ungleich huͤpfenden
Wallungen der Gefuͤhle, Vereine, die eine
Art Charakter, durch den Namen Freund-
ſchaft, zu erwerben trachten, und auch dafuͤr
gelten. Der Gang der Zeit, und was dieſe
gerade als vorherrſchend, aus ſich entwickelt,
motivirt ſolch ein Zuſammenſchießen der Art
und Weiſe, welchem Buͤnde oder Buͤndniſſe,
ihre Geburt, wie ihren Tod zuſchreiben
muͤſſen.
Alles das, was unter dem Namen Bil-
dung begriffen wird, lenkt Geſchmack, wie
momentanes Streben, zu Gemeinſamkeit. —
Der Zufall leihet dieſer Vorſchub. Es fin-
den ſich die Neigungen auf irgend eine Weiſe
in Beruͤhrung gebracht. Das Verhaͤltniß iſt
dann auch ſogleich da!
Auf ſolche Weiſe agirt die Kunſt ge-
genwaͤrtig eben ſo auf die Gemuͤther, wie
vor mehreren Jahren die Politik.
Beide Motive, in Bezug auf die weib-
liche Beſtimmung gedacht, verdienen eine
genauere Pruͤfung.
Es ſei mir erlaubt zu behaupten, daß,
vielleicht uͤberall den Frauen, gewiß aber den
Deutſchen, jedes unmittelbare Eingreifen in
oͤffentliche, oder politiſche, Angelegenheiten
uneigentlich ſei. Mir ſcheint nichts un-
vereinbarer, als die natuͤrliche Abgeſchloſſen-
heit, das Grade und Ernſte, die wuͤrdevolle
Ruhe und Gelaſſenheit, kurz, das edel Weib-
liche deutſcher Frauen, mit jener behenden
Gewandtheit und ſchlauen Diſſimulation ge-
uͤbter Politiker, deren allſeitiger Verkehr ih-
nen allein Einſicht und Mittel zu wirklicher
That bietet. Die kleinen Pfuſchereien in der
Jntrigue ſpielen zu ſehr auf einem fremden
Felde, um erſprießlich zu ſein. Jch halte
ein ſolches Treiben, ſelbſt bei den geiſtreich-
ſten unſers Geſchlechtes, weit eher fuͤr eine
Verirrung der Eitelkeit des Herzens, als fuͤr
ein Beduͤrfniß des Charakters. Gewoͤhnlich
leihet der Verſtand dem Gefuͤhle, das ganz
etwas Anderes vermitteln moͤchte, als cos-
mopolitiſche Zwecke, einen Vorwand, ſich
mit denen in Beziehung zu ſetzen, auf deren
Gemeinſchaft es eigentlich hier ankommt. —
Frauenintrigue bleibt immer Frauen intrigue!
Das heißt, ſie hat perſoͤnliche Motive,
und will individuelle Reſultate.
Um deutlicher zu ſein, die Frau kennt
nie ein anders, als ein inneres Gefuͤhls-
leben. Sie muß dieſes in das oͤffentliche
hinuͤbertragen, und aus dem einem das An-
dre machen koͤnnen, wenn es ein wirkliches
Jntereſſe fuͤr ſie haben ſoll. So iſt ihr das
Vaterland eine Heimath der Erinnerung, ein
Schauplatz ſolcher Erwartungen, die das Ge-
ſchick des Vaters, des Gatten, des Bruders,
oder Sohnes, vielleicht auch des Freundes
umfaſſen. Es ſind Familien-, oder dem
aͤhnliche, Bande, deren Faͤden von innen aus,
in das große Gewebe politiſcher Angelegen-
heiten hineinlaufen. Alle, auch die geſchickte-
ſten Machinationen, haben individuelle Zwecke,
und bis auf die Begeiſterung fuͤr eine Mei-
nung ſchillert hier das Bild irgend eines
Jdeals der Phantaſie hindurch. Der ab-
ſtracte Begriff des Staates iſt ihnen unfaß-
lich, und fuͤr ſie nicht da.
Mit den kuͤnſtleriſchen und gelehrten
Beſtrebungen, inſofern dieſe ausſchließend
werden, iſt es ohngefaͤhr daſſelbe. Die
Jlluſion, daß der Beruf, gegen alle ur-
ſpruͤngliche Natur, ein ganz beſonderer, fuͤr
die eigenthuͤmliche Organiſation eines Jndi-
viduums, und fuͤr dieſes vorher beſtimmt
ſein ſolle, verliert alle Kraft mit dem Wech-
ſel der Anſichten und Stimmungen jener ge-
ruͤhmten Originale. Sie wird nicht aͤlter,
als die Veranlaſſung, welche ſie erzeugte.
Waͤre hierin Wahrheit, ſo wuͤrde dieſe
etwas Bleibendes ſchaffen. Wir kennen
aber wenige, oder vielleicht gar kein vollſtaͤn-
diges Kunſtwerk, das unmittelbar dem
weiblichen Genie entſprungen waͤre. Jn der
bildenden Kunſt zaͤhlt nur die Mahlerei
Schuͤlerinnen, und dieſe zeichnen ſich hoͤch-
ſtens durch Coppieen aus. — Muſicaliſche
Eompoſitionen nennen keinen, oder mir un-
bekannten, Frauennamen.
Poeſie, ſolche, die elegiſch oder idylliſch
dem Herzen entſtroͤmt, gehoͤrt auch dem Her-
zen, und wird eben ſo natuͤrlich empfunden
als geſprochen. Das Maaß innerhalb, wel-
chem ſie ſich geſtaltet, iſt der weichern und
klangreichen Frauennatur innerlich eben ſo
verwandt, als das Epos und das Trauer-
ſpiel ihr fremd bleiben. Was aber ſoll ich
von gelehrten Forſchungen und abſtracten
Combinationen, was von der ſtrengen Be-
weisfuͤhrung angenommener Syſteme ſagen?
Koͤnnen ſie ein Leben ausfuͤllen, das nur
der Duft des ſchoͤnen Fruͤhlings der Phan-
taſie erfriſchen ſoll? —
Zum Gluͤck ſind die Anſtrengungen, in
dieſem Gebiete geiſtiger Thaͤtigkeit, ſo ab-
ſchreckend, daß ſich uͤberall nur ſelten die
Kinder einer bequemen, mehr kluͤgelnden als
ergruͤndenden Zeit, dahin verirren. Am
wenigſten, aber wird man Frauen den uͤber-
fluͤſſigen Umweg machen ſehen, da ſie es
leichter haben, und den Schaum wiſſenſchaft-
licher Bildung muͤhelos von dem Allerlei
kritiſcher Zeitſchriften abſchoͤpfen koͤnnen.
Mit laͤßiger Aufmerkſamkeit, ohne ſelbſt-
thaͤtiges Erfaſſen und Vorarbeiten, kann
man die Jlluſion, ſich beſchaͤftigt zu haben,
naͤhren, ohne das Mindeſte zu ſchaffen. Es
bleibt nichts Lebendiges zuruͤck. Man hat
nur das fremde Urtheil uͤber Dinge, die
man nicht kennt. Das Meiſte wird jetzt in
Auszuͤgen dem Gedaͤchtniß beigebracht. Das
gilt vom bellettriſtiſchen, ſo wie von wiſ-
ſenſchaftlichen Werken. Zehn, zwoͤlf Seiten
herausreißen, und auf gut Gluͤck hinwerfen,
nennt man einen Blick uͤber das Ganze ge-
ben! — So wird mit den Augen allerlei
gekoſtet, ohne daß die Seele etwas davon
zu ihrer Nahrung brauchen koͤnnte. Das
artig zugerichtete Ambigû dient hoͤchſtens
dazu, einen Zuſtand lauer Uebernoſſenheit
zu erzeugen, in welchem das Verlangen nach
etwas Neuem erregt iſt. Solche Reizmittel
ſind jetzt in der Litteratur ſo gaͤnge und ge-
be, wie in der Kuͤche,
Und doch hegen Frauen, durch aͤhnliche
moderne Bande mit mehreren Andern zu-
ſammengehalten, den Glauben, ſich einem
hoͤhern Streben geweiht zu haben. Sie ge-
winnen auch den Ruf davon, da nichts in
der Welt ſo leicht iſt, als von dieſer Seite
zu imponiren. Den Genuß der Eitelkeit
abgerechnet, iſt es aber nicht mehr hiermit,
als mit jeder, an ſich, eben ſo zweckloſen
Spielerei. Sie ſehen nur ein bischen anders
dabei aus, ernſthaſt, wichtig, mit einer Mi-
ne, als warteten ſie juſt den Moment ab,
wo der Orakelſpruch ihren Lippen entſchwe-
ben ſolle.
Das Gebildetſein, in dieſem Sin-
ne, gehoͤrt zu dem allgemeiner gewordenen
Luxus der Zeit. Ohne Kunſtſinn, Kunſtur-
theile, ja, ohne Beſitz von Kunſtwerken, giebt
es keine aͤchte Elegance. Seit Frankreich,
waͤhrend der Revolution, Griechen und Roͤ-
mer wieder in die Mode brachte, lernte man
ſich drappiren und coſtumiren. Von der
eignen Porſon, die nach Modellen umgebil-
det ward, ging man zu Geraͤthen und Ge-
baͤuden uͤber. Man ſtellte ſo das Vergan-
gene dar. Mit der naͤhern Bekanntſchaft
entwickelte ſich eine Art Jdeen-Verwandt-
ſchaft in der Gegenwart. Der Sinn nahm
wirklich eine andre Richtung. Allmaͤhlig
verwandelte ſich die Scene. Die Richtung
blieb, aber ſie fand ein neues Feld, das ſie
zu ihrer Heimath machte. Der Trieb, ſich
und das Außenleben zu verſchoͤnen, ward
vorherrſchend. Hieran ſetzte man im Kur-
zen alles, Erfindung, Talent, Fleiß, Vermoͤ-
gen, Zeit und Beruf. Erſt war man an-
tik, dann romantiſch, endlich kuͤnſtleriſch.
Es iſt eine andre Gattung von Putzſucht,
die nur vor ſich ſelbſt ihre Rechtfertigung
in dem Anſtrich allgemeiner Kunſtliebe ſucht.
Fuͤr die Meiſten iſt dieſe gleichwohl weit
mehr Verfeinerung, als Erhoͤhung
des Geſchmackes. Frauen haben wohl auf
ſich zu achten, daß ſie Nachahmung und
Ehrgeiz hier nicht in ein Labyrinth verlok-
ken, wo ſie dennoch nicht von den Haus
und Familienpflichten auf unerwartete Weiſe
ganz getrennt werden.
Es waͤre muthwillige Verblendung, die
großen Vorſchritte in der Kunſt, im Allge-
meinen und Beſondern, eben ſo, wie den er-
weiterten Sinn dafuͤr, waͤhrend den letzten
Jahreszehnten, beſtreiten zu wollen. Das
ſpricht uͤbrigens fuͤr ſich allein; jede Ent-
weihung des Wahren und Aechten ſtraft
ſich durch eigene Herabſetzung. Auch wer-
den Worte dem unvergaͤnglichen Streben
nichts nehmen, nichts geben, noch ſeinen
Lauf hemmen. Er bedingt ſich durch ſich ſelbſt.
Allein, weit entfernt dem Erhabenen zu
nahe zu treten, will ich dieſes nicht, durch
die unſeelige Sucht alles und jedes zum
Spielwerk der Mode machen zu muͤſſen, zu
einem aͤhnlichen Spielwerk herabgezogen ſe-
hen. Man ſoll wirklich lieben, und nicht
mit Liebeleien Abgoͤtterei treiben.
Moͤgen Damen in ihrem Cabinet mah-
len und muſiziren, Freunde und Freundinnen
den angenehmen Zeitvertreib theilen laſſen,
das geſellige Beiſammenſein dadurch beleben,
Toͤne und Bilder wie ein glaͤnzendes Netz
uͤber das graue Alltagsleben ausſpannen,
productive Kuͤnſtlerinnen duͤrfen ſie ſo wenig
werden wollen, als Kunſtrichterinnen. Be-
ſcheidenes Urtheil iſt jedwedem eine Zierde,
doch unausſprechlich entſtellt es die Lippen
der Frau, wenn ſie ſich zu gewiſſen, trocke-
nen, beſtimmten Ausſpruͤchen oͤffnen, die doch
nur beweiſen ſollen, daß die Kritiſirende
durch That und Theorie, dem Gegenſtande
gewachſen ſei.
Jch glaube uͤberall, daß die kritiſche
Tendenz jetzt dem weiblichen Geiſte das Kalte
und Starre giebt, was faͤlſchlich fuͤr hoͤhere
Ruhe gehalten wird, und mir in genauer
Verwandtſchaft, zu dem Streben, nach maͤnn-
licher Bildung, zu ſtehen ſcheint. Wie aber
wollen ſie das ewig Schoͤne, die Jdee
aller Kunſt, erreichen, wenn ſie die Gra-
zie toͤdten? —
Die zarte Biegſamkeit aller Organe des
Empfindens wuͤrde unfehlbar durch angeſtrengte
Studien zerſtoͤrt werden, in welchem Maaße
aber muß erſt das affectirt Studirte,
eine angenommene Manier werden! wie
wird es die lebendige Eigenthuͤmlichkeit ausdoͤr-
ren! Durch einen Widerſpruch, der ſich nur
in den Bedingungen des einander Entgegen-
geſetzten aufloͤſt, lockt der moderne Kunſt-
ſinn einer Seits zu weichlicher Ueppigkeit,
zu luxurieuſer Elegance, und ſtetem Wechſel
des Genuſſes hin, wenn auf der andern
Seite, die Richtung an ſich, den Gemuͤthern
eine pedantiſch, ſyſtematiſche Falte giebt, und
ſelbſt zu einem modernen Syſteme ausartet.
So wird gedankenloſe Jdolatrie, auch
da, wo ſie hingebend ſcheint, egoiſtiſch, und
durch angemeſſene Tyrannei der Alleinherr-
ſchaft einſeitig! —
Jn dieſer taͤuſchenden oder erkuͤnſtelten
Begeiſterung entſtehen nun jene oben er-
waͤhnten Freundſchaften, welche dem Wahne
Raum geben, als koͤnne ein Verein der
Art zwiſchen der Jugend beider Geſchlech-
ter ſtatt finden, und ſeiner Natur getreu
bleiben.
Nichts iſt aber ſo truͤgeriſch als falſche
Beziehungen, unpaſſende Verhaͤltniſſe durch
ſogenannte hoͤhere Zwecke vor ſich und An-
dern rechtfertigen zu wollen. Einmal gelingt
das immer nur bis auf einen gewiſſen Punkt.
Und dann liegt eine Hauptgefahr darin, daß
man, auf irgend eine Weiſe aus dem Gleich-
gewicht hinausgekluͤgelt, nicht wieder hinein
kann. Wird das Naturgemaͤße im Leben
verſchoben, ſo zupft und ſtuͤtzt und dehnt
man ein halbes Menſchenalter daran, ohne
17
es wieder zurecht zu bringen. Und verſcho-
ben ſind und bleiben jederzeit ſolche Verbin-
dungen, welche das Einverſtaͤndniß uͤber eine
Meinung, eine Anſicht, augenblicklich ſchlie-
ßen laͤßt. Es fallen Vorſtellungen und Be-
griffe oftmals zuſammen, ohne daß ſich im
tiefſten Grunde der Seele die mindeſte Ver-
wandtſchaft finden laͤßt. Dieſelbe Vorliebe
fuͤr Dies und Jenes, gemeinſames Bewun-
dern oder Verwerfen, kurz, Aehnlichkeit des
Geſchmackes, oder eine gewiſſe Art zunftge-
maͤßer Farbe der Zeitbildung koͤnnen wohl
aͤußere Vermittler werden zu naͤherer Be-
kanntſchaft, allein von dieſer, zu jenem
Bunde der Geiſter, von dem die Jugend
mehr traͤumt als weiß, iſt noch ein weites
Stuͤckchen Weg zu machen, den die Phanta-
ſie ſehr leicht, doch niemals das Leben uͤber-
fliegt.
Das Letztere geht ſeinen Gang zur
Ewigkeit Schritt vor Schritt, durch alle
Pruͤfungen und Aufgaben eines wirklichen,
Laͤuterung bezweckenden Daſeins.
Solche, die gemeinſchaftlich die Bahn durch
laufen, muͤſſen ſich ergaͤnzen, unterſtuͤtzen
einander tragen und heben koͤnnen. Alles
dies bedingt vertrauten Wechſelverkehr. Man
ſoll ſich ſehen, ſprechen, in jedem Augenblick
in Verhaͤltniß zu einander treten duͤrfen,
ohne andre, naͤhere, heiligere Pflichten da-
durch zu verletzen. Wunſch und Vorſatz ha-
ben ein wirkliches Ziel auf Erden wie ei-
nen hoͤchſten Zweck uͤber dieſe. Die Dauer
der Gemeinſchaft will, muß, ihre Nah-
rung aus dem gegenſeitigem Austauſche der
Empfindungen und Gedanken ziehen. Theil-
nahme, und Aufopferung ſind die Elemente
ihrer organiſchen Regſamkeit, kurtz, das
Lebendige will auch hier das Leben.
Welch eine Falle wird nun dem weiblichen
Herzen, der Ruhe der Gattin, der Wuͤrde
der Mutter geſtellt, hat ſie einen exêntriſchen
Traume zu ehren, die natuͤrliche Richtung
gegen eine kuͤnſtlich gezwungene vertauſcht?
Setzen wir den Fall, der beſſere, hoͤher-
geſinnte, der edlere Mann begegnete dem
ſchoͤnen weiblichen Herzen auf wohlthuende,
erhebende Weiſe in den Verſchlingungen des
*
geſelligen Treibens. Umſtaͤnde, wie aͤußere
Veranlaſſungen fuͤhren ſie wieder und wie-
der zuſammen. Sie begegneten ſich ſo oft,
ſie glauben den Wink des Geſchickes nicht
laͤnger verkennen zu duͤrfen, ſie ſchließen den
Bund ſtiller, anſpruchloſer, ewiger Freund-
ſchaft. Wie ſteht von da der Mann, ent-
weder zu der Unvermaͤhlten, welche nie ſein
werden kann, oder zu der Vermaͤhlten, die
ſchon das Eigenthum eines Andern iſt?
Was das Gefuͤhl beſchleichen; was
ploͤtzlich in einer Bruſt da ſein kann, ohne
Vorahndung und Bewußtſein, das iſt das
Gefahrbringendſte von allem Verlockenden
der großen und beſchraͤnktern Welt. Hier
gilt kein Bekaͤmpfen und Abwehren. Der
Feind iſt da. Jn laͤſſiger Traͤumerei hat
man ihn kommen ſehen, mit ihm verkehrt,
ohne ihn zu erkennen, Es hilft nichts, das
unrechte Wort fuͤr die wahre Bedeutung ein-
ſchwaͤrzen zu wollen. Ueberhaupt iſt wenig
mehr vom Willen die Rede. Gewohnheit
ſagt man mit Recht, wird zur andern Na-
tur. Man hat ſich in ein Gefuͤhl, in einen
Zuſtand der Seele hineingewohnt. Das
fremde Leben umſchließt das eigne, urſpruͤng-
liche, wie ein Kerker, in dem nicht anders
Frieden zu finden iſt, als daß man ſein
Elend feſt und klar anſieht, es erkennt, und
laͤnger keiner Taͤuſchung Raum gebend, weiß:
man liebt wo man nicht lieben ſoll.
Jeder irdiſche Verkehr iſt von dem Au-
genblick an abgebrochen. Was einzig be-
ſtehen kann, das rettet ſich zu andern
Raͤumen, und findet ein Leben in ſich.
Beſteht nichts mehr nach der Trennung? ſo
war es uͤberhaupt nichts, und die Phantaſ-
terei beſtraft ſich durch kalte Veroͤdung
des Herzens. Jn keinem Fall aber wird
der Wahn einer Verbindung fortdauern koͤn-
nen, die ſo fremd und verwirrend in das
Zuſammenklingen haͤuslicher Harmonie ein-
griff.
Was ſoll uͤberhaupt da der zweite
Freund und Vertraute, wo der Erſte nur
der wahre und beſte ſein darf? — Freund-
ſchaft ſucht und findet ihre Nahrung in der
Welt, Liebe uͤber der Welt. Sie geraͤth
in keinen Wiederſtreit mit der Pflicht, denn
ſie gedeiht nur im Einklange mit Allem.
Deshalb kann die verklaͤrte Neigung
von der verblendeten befreien. Wenn
ſie ſich aber auf ſolche Weiſe aus einem
Heer verwirrter Gefuͤhle errettet, ſo ſteht
doch dies Mittel nicht jedem zu Gebote!
und thoͤricht bleibt es, den Boden unter
ſeinen Fuͤßen aufzuwuͤhlen, in der moͤgli-
chen Vorausſetzung, man werde fliegen ler-
nen.
Schwingen, die uͤber die Erde hinaus-
tragen ſollen, wachſen nur dem, der ſie ſchon
hat. Die hoͤhere Liebe entwickelt ſich da
nicht, wo keine Anlage zum Erhabenen vor-
handen iſt. Auf den Troſt hin, man duͤrfe
nur die Hand danach ausſtrecken, um es
auch ſogleich mit Haͤnden zu greifen, ſoll
keiner die ehrenwerthen, geſetzlichen Bande,
die ihm ſo gluͤcklich das Gleichgewicht be-
wahrten, auflockern. Mit einem Worte, die
ganz gewoͤhnliche weibliche Coquetterie ſoll
nicht das Feierkleid des Enthuſiasmus und
der Begeiſterung anziehen. Jhr Spiel mit
Gefuͤhlen betruͤgt ſie um das einzige Gefuͤhl,
was ihr bleiben kann.
Noch einmal, welche andre Freundſchaft
wird gegen die aushalten, welche mit dem
Leben verwachſen, und in ſeinen mannig-
fachen Verzweigungen bedingt iſt? Es ſtellt
ſich leicht ein Verhaͤltniß hoͤher an, weil es
freier, unbeduͤrftiger daſteht, allein aus eben
dem Grunde iſt es auch loſer.
Die Gattin empfing den Freund am
Altar. Wo hofft ſie den treuern zu finden?
Die Erfahrung lehrt es. Die vielgeſtaltete
Erde bietet das Neue, das beſſere nicht.
Hier gnuͤge das Geſetz; der Glaube weiß,
wo die Erfuͤllung bluͤhet.
Drittes Kapitel.
Die Liebevolle und Fromme.
Beide Beziehungen umfaſſen die ganze Auf-
gabe weiblicher Beſtimmung, ſowohl in der
Hauptſtadt wie in der Provinz, im Pallaſte
wie in der Huͤtte. Eine bedingt auch die
Andre. Man kann eben ſo gut ſagen: das
Leben giebt nur Leben, als fromm ſein und
lieben koͤnnen, ſei Eins. Es iſt mit der
Faͤhigkeit des Liebens eben ſo wenig etwas
Allgemeines, als mit der Froͤmmigkeit. Die
bloße Natur giebt ſie nicht. Dieſe kann nur
Mittel und Werkzeug werden, durch indi-
viduelle Beziehungen den Funken anzuſchla-
gen und in’s Leben zu rufen. Natuͤrliche
Gefuͤhle ſind unmittelbarer Ausfluß und
Wiederſchein der Liebe, doch nicht ihr We-
ſen ſelbſt. Der Strahl, welcher ſo oder ſo
faͤllt, und ſich in dem aͤußern Gegenſtande
abſpiegelt, kann gebrochen und geſchwaͤcht
werden, der Glanz in ſeiner vollen Reinheit
gedacht, iſt vollſtaͤndig und immer derſelbe.
Leidenſchaftliche oder zaͤrtliche Gemuͤther
ſind darum noch nicht liebend. Die goͤtt-
liche Freundlichkeit der Seele, die
alles erhellet und beſchwichtiget, was ſie,
beruͤhrt, jener Hauch duldender und verzei-
hender Guͤte, die ſanfte Freude und der un-
widerſtehliche Schmerz ſtiller Ergebung, das,
was jeder empfindet und keiner nennt, das
Himmelslicht zweier Menſchenaugen, die zu-
gleich Morgen- und Abendſterne, Leben und
Sehnſucht uͤber das Leben hinaus,
geben, dieſe Fuͤlle des Daſeins, ſie iſt das
Weſen der wahrhaft Liebevollen.
Aus welchem Quell aber ſchoͤpft ſie den
Strom immer gleicher Waͤrme? Was un-
terhaͤlt in ihr die Regſamkeit, das unwill-
kuͤhrliche Verſtehen und die ruͤhrende Theil-
nahme?
Mit dem beſten Willen eine aͤhnliche
Stimmung in ſich zu erzeugen, immer gut,
liebreich, ſanft, mit Allen einverſtanden zu
ſein, bringt es kein Menſch von ſelbſt ſo
weit. Man quaͤlt ſich, trotz aller Willens-
kraft, zwiſchen vergeblicher Anſtrengung und
dem Aerger uͤber ſich und Andre halbtodt,
es iſt und bleibt doch Stuͤckwerk. Der rechte
Guß aus dem Jnnern, bricht nur momentan
hervor, um gleich wieder zu ſtocken.
Engel, ſagt man, werden geboren.
Freilich! aber welche troſtloſe Beſtimmung,
wenn kein Sieg den Kampf belohnen koͤnnte!
Mittel und Wege ſind Jedem gegeben. Ein
frommes Herz iſt ein Schatz auf Er-
den. Wem er gegeben ward, der ſoll
ihn hegen als das koͤſtlichſte von allen Guͤ-
tern, welche die reichſte und ſchoͤpferiſchte
Phantaſie dem menſchlichen Verlangen vor-
ſpiegeln kann?
Alle goͤttliche Gaben kommen uns,
wir wiſſen nicht wie? Auch die hoͤchſte. Oft
wird dieſe unter wirren und aͤngſtigenden
Traͤumen in unſre Hand gelegt. Wir haben
ſie empfangen. Wir werden uns deſſen mit
Entzuͤcken bewußt. Jſt es gleichwohl mit
dem großen, unermeßlichen Geſchenke mehr,
als eine Pruͤfung, ob wir deſſen wuͤrdig ſind?
Erkennen wir ſeinen Werth genug, um ihn
uͤber alles Andre hochzuhalten? Wird nicht
bald den unruhig umhergreifenden Haͤnden
entgleiten, was ſie achtlos und laͤſſig zu be-
wahren vergaßen?
Eine ſchoͤne Natur-Anlage, der reine
Einklang eines harmoniſch geſtimmten Jnnern,
angeborne Guͤte, Sanftmuth und Freund-
lichkeit koͤnnen geſtoͤrt, unterbrochen, miß-
geleitet werden, ſo daß von allen den ur-
ſpruͤnglichen Grundzuͤgen nichts als ein ver-
worrenes Gemiſch zuruͤckbleibt. Es doͤrrt
jedweder Lebensquell aus, wenn er von den
verborgenen Stroͤmungen abgeſchnitten, nur
aͤußern Zufluß erwartet. Man begegnet
haͤufig Leuten, die an ſich guthmuͤthig, doch
in den meiſten Beziehungen lau, nichtig, er-
muͤdend ſind, und ſo hoͤlzern zu andern Men-
ſchen ſtehen, daß ihr Umgang eine Laſt, wenn
nicht gar ein tiefergehendes Ungluͤck iſt.
Andrer Seits finden wir heftige, eigen-
willige, leidenſchaftliche Gemuͤther, die Welt
und Mitmenſchen, das ganze Univerſum,
wenn es ſein koͤnnte, nur auf ſich ſelbſt zu
beziehen ſcheinen. Man nennt ſie Egoiſten,
und geht ihnen aus dem Wege. Nun, und
mit allem dem treffen wir nach einer Reihe
von Jahren wieder mit ihnen zuſammen,
ſo finden wir ſie ganz und gar veraͤndert.
Ein ernſtes, tragiſches Geſchick hat ſie erzo-
gen. Sie mußten ſo viel vergeſſen lernen.
Sie endeten damit, ſich ſelbſt zu vergeſſen.
Unbefangen und freier im Jnnern traten ih-
nen Gott und die Menſchen naͤher. Sie
waren liebend und liebenswuͤrdig geworden.
Unbeſchreibliches hatten ſie verloren, Uner-
meßliches wieder gewonnen!
So kann man alſo das ſchon Beſeſſene
einbuͤßen, und das Mangelnde erwerben.
Es wird als eine Beglaubigung der
Bildung angenommen, und begruͤndet den
Ruf der Klugheit, daß man ſeine Schaͤtze
zu mehren verſtehe. Wiſſen und Vollbrin-
gen laͤuft in der Welt ohngefaͤhr hierauf
hinaus. Niemand zweifelt auch, daß zur
Feſthaltung und Begruͤndung eines Daſeins
eine ſolide Baſis gehoͤre. Die Wahrheit
hiervon, ſpringt auch dem Beſchraͤnkteſten
in’s Auge. Sollte es nun, nach allem dem
weniger klug, weniger nuͤtzlich ſein, ſich bei
Zeiten ein ſolches Vermoͤgen zu erwer-
ben, das wirklich alles vermag, deſſen ver-
borgene Lebensadern durch das ganze Ge-
triebe geiſtiger und weltlicher Thaͤtigkeit hin-
durchlaufen, immer groͤßere Schaͤtze herbei-
fuͤhren, und den Beſitz derſelben gegen Feu-
er und Waſſer, gegen Bankerut, gegen Um-
ſchlagen und Fallen der Papiere ſicherte?
Der Satz, wie er hier ſteht, beantwor-
tet ſich von ſelbſt.
Allein, es kommt fuͤr Viele noch darauf
an, ob ein ſo unerſchoͤpfliches Beſitzthum
wirklich exiſtire? und was, als ein ſolches,
anzuerkennen ſei?
Wenn die Erfahrung, wenn das Leben nicht
daruͤber Auskunft giebt — der Tod iſt ein Ver-
kuͤndiger, deſſen ſchauerlichen Ausſpruͤchen
man ſelten widerſteht. Er, der alles zerbricht,
was ihm von Anfang her verſchrieben war,
der die zarte Bluͤthe wie die gewelkte Frucht
mit gleicher Unerbittlichkeit abſtreift, er, der kalte
Vollſtrecker unerforſchlicher Rathſchluͤſſe, den
nicht Kunſt nicht Wiſſenſchaft beſiegt, der dem
Staͤrkſten nicht weicht, er ſchrumpft zuſam-
men und verſchwindet wie ein Schatten, hebt
die flehende Liebe ihre Schwingen, und fluͤch-
tet zu dem Thron des Erbarmers. Hier iſt
ewiges Leben, hier iſt Troſt, Erſatz und
der Beſitz des geliebten Verlornen, dem der
Tod nichts mehr anhaben kann.
Gott nimmt nur um zu geben. Wer
bittet der empfaͤngt.
Wer ſollte nicht bitten wollen? — Und
doch kann es nicht ein jeder, zu jeder Zeit.
Viele muͤſſen erſt dazu gezwungen werden.
Der Froſt wechſelnder Tages- und Jahres-
zeiten legt ſeine kalte Rinde uͤber den Strom
der Empfindungen. Dieſe ſtocken und ſte-
hen, bis der Schreck ploͤtzlicher Gewitter-
ſchauer die Decke ſprengt, und aͤngſtigende
Stuͤrme die zitternde Fluth hin und her
treiben. Wie verlangt da das erſchuͤtterte
Jnnere die Sonne des Friedens im klaren
Spiegel aufnehmen zu koͤnnen! Wie beruͤhrt
ihr erſter, warmer Strahl die bebende Welle!
Was regt ſich nicht alles in dem Aufruhr
des Entſetzens! Muß aber die ſanfte Guͤte das
widerſpenſtige Herz durch Schmerzensbande
an ſich ziehen? — Und erwirbt man nur
durch Opfer den Himmel der Seeligkeit? —
Es giebt ſtillere, unſichtbare Opfer, die auch
dahin fuͤhren. Das taͤgliche Leben fordert ſie. Sie
wollen freudig gebracht ſein. Frauen erwerben
das Bleibende nur durch Uebung jener geraͤuſch-
loſen Aufopferung, zu derem Vollbringen ih-
nen Engel, auf ihr Gebet, geſandt werden.
Die Froͤmmigkeit iſt vielfach angegriffen
worden, weil der Wunſch ſie zu beſitzen eine
Art und Weiſe annahm, und Manier ward.
Sie ſelbſt iſt aber von ſo durchſichtiger,
allſeitiger Natur, daß ſie gar nicht erſchei-
nen, daß ſie nur ſein kann.
Jede Eroͤrterung ihrer Eigenthuͤmlichkeit
verwirrt dieſe. Ein Hauch ſtoͤrt die Ein-
wirkung des Lichtes!
Wer aber je den heiligen Athem, einer
frommen Seele in ſich eingehen fuͤhlte, den
durchdrang das ſuͤßeſte Beben der Allgegen-
wart der Liebe. Er ſucht weiter nicht nach
dem Quell ihres Urſprunges.
Religion haben und uͤben, faͤllt mit
dem Begriff von Froͤmmigkeit im Allgemei-
nen zuſammen. Jn dieſem Sinne koͤnnen
Juden und Muhamedaner gewiß ſehr fromm
ſein. Die Chriſtliche Froͤmmigkeit beruhet
aber hauptſaͤchlich auf jenem geheimnißvollen
Vermoͤgen der Umwandlung des ſichtba-
rem und unſichtbarem Sein, durch den
Glauben. Sie umfaßt jede Richtung,
und verſchmaͤhet ſo wenig in das Außen-
wie in das Jnnenleben einzugehen. Durch
ſie wird das Unſchoͤne liebenswuͤrdig, das
Ungluͤck ein Seegen mehr, die Anſtrengung
ein Genuß, der Schmerz ein Ruf zur Ver-
ſoͤhnung, und jede freudige Gabe ein unver-
dientes Geſchenk, deſſen Werth der beſchei-
dene Sinn mit demuͤthiger Hingebung dop-
pelt empfindet. Sie duldet keinen Unfrie-
den, keine Leere, keine Bitterkeit in der Bruſt
in welcher ſie einheimiſch iſt. Verdruß und
uͤble Laune ſchwinden bei dem Aufblick zu
dem, der ewig heiter, das Haͤrteſte ohne
Murren erfuhr. Neid und Mißgunſt ſind
unvereinbar mit dem Bewußtſein, weit mehr
zu beſitzen, als man verdient. Wo ſie auf-
blitzen, druͤcken ſie Schaam und Reue nie-
der. Keine entſtellende Leidenſchaften, kein
Hader und Unwille, keine Haͤrte, kein Stolz
kann demzufolge den Einklang einer ſchoͤnen
Seele, den Zauber eines harmoniſchen Aeu-
ßern bei wahrer Froͤmmigkeit ſtoͤren.
Was ſoll ich alſo den Frauen anders zu
dem einzigen Bildungsmittel empfehlen, als ſich
in den Strom des hoͤchſten Lebens zuruͤck-
zutauchen, und hier in dem verjuͤngendem Ae-
ther, Anmuth, Grazie, Geiſt, Witz, beruͤck-
ſichtigende Guͤte und nachſichtsvolle Freund-
lichkeit, kurz den Schmuck der Schoͤnheit,
und dieſe ſelbſt, den geſelligen und in-
nern Werth, in unverwelklicher Dauer, mit
in das Leben zuruͤckzubringen.