III.
Von der in verſchiedenen Theilen der heißen Zone
am Spiegel des Meeres Statt findenden Temperatur;
von
Hrn. Alexander von Humboldt.
(Mitgetheilt von dem Hrn. Verfaſſer.)
Welche Temperatur darf man für den Aequator
annehmen? Dieſe Frage iſt neuerlich in einer Ab-
handlung aufgeworfen worden, die Hr. Atkinson
im zweiten Bande der Transactions of the Astro-
nomical Society of London (p. 137 — 183) bekannt
gemacht hat und die ſehr ſcharfſinnige Betrachtungen
über mehrere wichtige Punkte der Meteorologie enthält.
Der gelehrte Verfaſſer ſucht durch Anwendung der
Kunſtgriffe des ſtrengſten Calculs aus meinen Beobach-
tungen herzuleiten, daß die mittlere Temperatur des
Aequators zum wenigſten 29°,2 des hunderttheiligen
Thermometers (84°,5 F.) betrage, und nicht 27°,5 C.
(81°,5 F.), wie ich dieſelbe in meinem Essai sur les
lignes isothermes angenommen habe. Kirwan blieb
bei 28°,8 ſtehen; Hr. Brewster, in ſeinen clima-
tologiſchen Formeln, bei 28°,2 (Edinb. Journ. of
Science 1826. No. 7. p. 180.).
Handelte es ſich bei dieſer Erörterung um die
mittlere Temperatur einer Aequatorialzone, die den
ganzen Erdball umſchlöſſe und durch die Parallel-
kreiſe von 3° N. und 3° S. begränzt wäre, ſo müßte
man vor Allem die Temperatur des Meeres am Ae-
M 2
quator unterſuchen; denn in dieſer Zone gehört nur
ein Sechstel des Umfangs der Erdkugel dem feſten
Lande an. Die mittlere Temperatur des Meeres zwi-
ſchen den eben genannten Gränzen ſchwankt nun im
Allgemeinen zwiſchen 26°,8 und 28° C. Ich ſage im
Allgemeinen, denn hie und da findet man zwiſchen
eben dieſen Gränzen Maxima, die ſich auf Zonen von
kaum einen Grad in Breite beſchränken, und deren
Temperatur ſich unter verſchiedenen Längen auf
28°,7 bis 29°,3 erhebt. Die letztere Temperatur, wel-
che man im ſtillen Weltmeere als außerordentlich
hoch betrachten kann, habe ich im Oſten der Gallo-
pagos Inſeln beobachtet und neuerlich iſt von Hrn.
Baron Dirckinck von Holmfeldt, einem ſehr
unterrichteten Officier in der Däniſchen Marine, der
auf meine Bitte eine große Anzahl von Thermometer-
beobachtungen unter 2° 5′ N. Br. und 81°54′ öſtl. L.,
faſt unter dem Parallelkreiſe von Punta Guascama, ge-
macht hat, die Oberfläche des Waſſers zu 30°,6 gefun-
den worden. Dieſe Maxima gehören dem Aequator
ſelbſt nicht an; man beobachtet ſie bald im Norden,
bald im Süden des Aequators, oft zwiſchen
2°½ und
6° Breite. Der große Kreis, der durch die Punkte
geht, an denen das Waſſer des Meeres am wärmſten
iſt, ſchneidet den Aequator unter einem Winkel, der
ſich mit der Abweichung der Sonne zu ändern ſcheint.
Im atlantiſchen Oceane iſt man ſelbſt mehrmals von
der nördlichen gemäßigten Zone in die ſüdliche über-
gegangen, ohne in der Zone des wärmſten Waſſers
geſehen zu haben, daß das Centeſimalthermometer
über 28° geſtiegen ſey. Die Maxima ſind daſelbſt nach
Perrins 28°,2, nach Churruca 28°,7, nach Que-
vedo 28°,6, nach Rodman 28°,8, nach J. Davy
28°,1. Die Luft über dieſen Aequatorialgewäſſern iſt
1° bis 1°½ kälter, als das Meer. Es folgt alſo aus die-
ſen Thatſachen, daß, auf fünf Sechstel des Umfangs
der Erdkugel, die Aequatorialzone des Meeres wahr-
ſcheinlich nicht einmal eine mittlere Temperatur von
28°,5 beſitzt, geſchweige denn, daß ſie die von 29°,2 C.
(84°,5 F.) zeigte. Hr. Atkinson ſelbſt giebt zu
(a. a. O. p. 171), daß die Abwechslung von oceani-
ſchen und continentalen Theilen die mittlere Tempe-
ratur des Aequators zu vermindern ſtrebe. Aber indem
er ſich bloß auf die Flächen des Continents von Süd-
amerika beſchränkt, nimmt dieſer Gelehrte, je nach
den verſchiedenen theoretiſchen Vorausſetzungen,
29°,2 oder 31° für die Aequatorialzone (von 1° N. bis
1° S.) an. Er gründet dieſen Schluß auf die Thatſa-
che, daß ſchon unter 10° 27′ Breite zu Cumana die
mittlere Temperatur 27°,6 beträgt, und daß, nach
dem Geſetz der Zunahme der Wärme vom Pol zum
Aequator (einer vom Quadrate des Coſinus der Breite
abhangenden Zunahme) die mittlere Temperatur un-
ter dem Aequator zum wenigſten größer als 29°,2 C.
ſeyn müſſe. Hr. Atkinson findet dieſes Reſultat be-
ſtätigt, indem er mehrere Temperaturen, die ich am
Abhange der Cordilleren bis zu einer Höhe von 500
Toiſen beobachtet habe, auf das Niveau des Meeres
am Aequator reducirt. Aber eben bei Anwendung
der Correctionen, die er wegen der Breite und wegen
der fortſchreitenden Abnahme der Temperatur in ei-
ner Vertikalebene für nöthig hält, verhehlt er ſich
nicht, wie ſehr die Lage der Orte, auf einer mächti-
gen Hochebene oder in einem engen Thale, einen
Theil dieſer Correctionen unſicher mache. (Trans. of
the Astr. Soc. Tom. II. p. 149. 158. 171. 172. 182. 183.)
Wenn man das Problem der Vertheilung der
Wärme an der Oberfläche der Erde in ſeiner ganzen
Allgemeinheit ſtudirt und man daſſelbe von den Hülfs-
betrachtungen der Localitäten (wie z. B. der Einflüſſe
der Geſtalt, Farbe und geognoſtiſchen Natur des Bo-
dens, der des Vorherrſchens gewiſſer Winde, der Nä-
he des Meeres, der Häufigkeit von Wolken und Ne-
bel, der nächtlichen Ausſtrahlung gegen den mehr
oder weniger reinen Himmel u.ſ.w.) befreit, ſo findet
man, daß die mittlere Temperatur eines Ortes von
den verſchiedenen Arten, wie ſich der Einfluß der
Mittagshöhe der Sonne äußert, abhängig iſt. Dieſe
Höhe beſtimmt zugleich: die Dauer der halben Tages-
bögen; die Länge und Durchſichtigkeit des Theils der
Atmoſphäre, der von den Strahlen durchdrungen wird,
ehe ſie den Horizont erreichen; die Menge der abſor-
birten oder erwärmenden Strahlen (eine Größe, wel-
che mit dem, von der Ebene der Oberfläche gerechne-
ten, Einfallswinkel raſch zunimmt); endlich die Zahl
der Sonnenſtrahlen, welche ein gegebener Horizont
auffängt. Das Geſetz von Mayer, mit all den Ab-
änderungen, die man ſeit 30 Jahren daran angebracht
hat, iſt ein empiriſches Geſetz, welches die Erſchei-
nungen im Allgemeinen durch Approximation und oft
auf eine genügende Weiſe darſtellt, welches man aber
nicht gebrauchen darf, um die Zeugniſſe der unmit-
telbaren Beobachtung damit anzugreifen. Wenn die
Oberfläche der Erde, vom Aequator bis zum Parallel-
kreiſe von Cumana, eine Wüſte wäre, wie die Sahara,
oder eine gleichförmig mit Gräſern bedeckte Savanne,
wie die Llanos von Calabozo und Apure, ſo würde
ohne Zweifel eine Zunahme der mittleren Tempe-
ratur von 10°½ Breite bis zum Aequator Statt finden;
aber es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe Zunahme nie-
mals drei Viertel eines Grades des Centeſimalthermo-
meters betragen würde. Hr. Arago, deſſen wichtige
und geiſtvolle Unterſuchungen ſich auf alle Zweige
der Meteorologie erſtrecken, hat durch zahlreiche Ver-
ſuche gefunden, daß von der ſenkrechten Incidenz bis
zu einem Zenithabſtand von 20° die Menge des re-
flectirten Lichtes nahe die nämliche iſt. Er hat eben-
falls gefunden, daß die photometriſche Wirkung des
Lichtes zu Paris im Auguſtmonat vom Mittage bis
3 Uhr Nachmittags außerordentlich wenig variirte,
ungeachtet der Aenderungen in der Länge des Weges,
den die Strahlen beim Durchgange durch die Atmo-
ſphäre zurücklegten.
Daß ich die mittlere Temperatur am Aequator
in runden Zahlen auf 27°½ feſtſetzte, geſchah, um der
eigentlichen Aequatorialzone (von 3° N. bis 3° S.) die
mittlere Temperatur von Cumana (27°,7) beizulegen.
Dieſe Stadt, umgeben von dürrem Sand, unter einem
Himmel liegend, der ſtets heiter iſt und deſſen leichte
Dünſte ſich faſt niemals in Regen auflöſen, bietet ein
heißeres Climat dar, als alle Orte, die ſie umgeben
und in gleicher Höhe über der Meeresfläche liegen.
Schreitet man in Südamerika auf dem Oronoco und
Rio Negro gegen den Aequator vor, ſo nimmt die
Wärme ab, nicht wegen der Erhebung des Bodens,
welche von der Schanze San Carlos an ſehr unbe-
trächtlich iſt, ſondern wegen der Wälder, der Häu-
figkeit des Regens und der fehlenden Klarheit der
LuſtLuft. Es iſt zu bedauern, daß die Reiſenden, ſelbſt
die thätigſten, ſo wenig im Stande ſind, durch Erwei-
terung unſerer Kenntniſſe über die mittleren Tempe-
raturen, die Fortſchritte der Meteorologie zu beſchleu-
nigen. Sie verweilen nicht lange genug in den Län-
dern, deren Clima man zu kennen wünſcht; ſie kön-
nen für das jährliche Mittel nur Beobachtungen ſam-
meln, die von Anderen gemacht ſind und meiſtens an
Stunden und mittelſt Inſtrumente, die weit entfernt
ſind, genaue Reſultate zu geben. Wegen der Unver-
änderlichkeit der meteorologiſchen Erſcheinungen in
der dem Aequator zunächſt liegenden Zone iſt ohne
Zweifel daſelbſt ein kurzer Zeitraum hinlänglich, um
die mittlere Temperatur in verſchiedenen Höhen über
der Meeresfläche zu erhalten. Ich habe mich überall
mit dieſen Unterſuchungen beſchäftigt; aber das ein-
zige recht genaue Reſultat, welches ich habe erhalten
können und aus zwei Mal am Tage gemachten Beob-
achtungen abgeleitet worden, iſt das über Cumana Hinſichtlich des Grades von Vertrauen, den dieſe mittleren
Temperaturen verdienen, vergleiche man Relat. histor. Tom. I.
p. 411, 547, 631‒637, 584; Tom. II. p. 73, 418, 463; Tom.
III. p. 314‒320, 371‒382..
Die wahren numeriſchen Elemente der Climatologie
können nur von unterrichteten Perſonen beſtimmt
werden, die auf eine große Anzahl von Jahren an
verſchiedenen Orten der Erde anſäſſig ſind. In die-
ſer Hinſicht wird die geiſtige Wiedergeburt, welche
ſich in dem freien mittleren Amerika, von dem Kü-
ſtenlande bis zu einer Höhe von zwei tauſend Toiſen
auf dem Rücken und am Abhange der Cordilleren,
von dem Parallelkreiſe der Inſel Chiloe bis zu dem von
San Francisco in Neu-Californien vorbereitet, den
glücklichſten Einfluß auf die phyſikaliſchen Wiſſen-
ſchaften ausüben.
Vergleicht man das, was man vor vierzig Jahren über
die mittlere Temperatur der Aequatorialzone wußte, mit
dem, was wir gegenwärtig wiſſen, ſo erſtaunt man
über die Langſamkeit in den Fortſchritten der poſiti-
ven Climatologie. Ich kenne bis heute nur eine ein-
zige mittlere Temperatur zwiſchen 3° N. und 3° S., die
mit Genauigkeit beobachtet zu ſeyn ſcheint; es iſt die
von Saint-Louis de Maranham (2° 29′,5 ſüdl. Br.) in
Braſilien, welche der Oberſt Antonio Pereira Lago,
nach den im Jahre 1821 drei Mal am Tage (um 20h,
um 4h und um 11h) gemachten Beobachtungen, zu
27°,4 C. gefunden hat (Annaes das Sciencias, das Artes
e das Letras 1822. T. XVI. pl. 2. p. 55‒80). Dieß iſt
noch 0°,3 weniger, als die mittlere Temperatur von
Cumana. Unter 10°½ Breite kennen wir nur noch die
mittleren Temperaturen von
Batavia (6° 12′ S. Br.) 26°,9 C.
Cumana (10° 27′ N. Br.) 27°,7
Zwiſchen der Breite von 10°½ und der Gränze der hei-
ßen Zone, folgende:
Pondichery (11° 55′ N. Br.) 29°,6
Madras (13° 4′ N. Br.) 26°,9
Manilla (14° 36′ N. Br.) 25°,6
Senegal (15° 53′ N. Br.) 26°,5
Bombay (18° 56′ N. Br.) 26°,7
Macao (22° 12′ N. Br.) 23°,3
Rio Janeiro (22° 54′ S. Br.) 23°,5
Havanna (23° 9′ N. Br.) 25°,7
und, nach den Beobachtungen des Oberſten Pereira:
Maranham (2° 29′ S. Br.) 27°,4
Es ſcheint aus dieſen Angaben zu folgen, daß der
einzige Ort, deſſen mittlere Temperatur über 27°,7
hinausgeht, unter dem 12° der Breite liege. Dieß iſt
Pondichery, durch deſſen Clima aber eben ſo wenig
die ganze Aequatorialzone charakteriſirt zu werden
vermag, wie das Clima der gemäßigten Zone in Nord-
afrika durch die Oasis von Murzuk, wo der unglück-
liche Ritchie und der Kapitain Lyon verſichern, das
Reaumurſche Thermometer ganze Monate hindurch
zwiſchen 38° und 43° geſehen zu haben (wegen des
in der Luft verbreiteten Sandes?). Die größte Maſſe
der tropiſchen Länder liegt zwiſchen dem 18° und 28°
nördl. Breite, und dieſe Zone iſt es auch, aus welcher
wir, Dank ſey es den vielen reichen und Handel trei-
benden Städten daſelbſt, die meiſten meteorologiſchen
Kenntniſſe beſitzen. Die drei oder vier dem Aequator
zunächſt liegenden Grade ſind eine Terra incognita
für die Climatologie. Noch kennen wir nicht die mitt-
leren Temperaturen von Grand-Para, von Guayaquil
und ſelbſt nicht einmal von Cayenne!
Wenn man nur die Wärme betrachtet, welche
ein gewiſſer Theil des Jahres erreicht, ſo findet man
in der nördlichen Halbkugel die heißeſten Climate un-
ter den Wendekreiſen ſelbſt und ein wenig außerhalb
derſelben. Zu Abusheer(28°½ Br.) z. B. iſt die mittlere
Temperatur des Julimonats 34°. Im rothen Meere
ſieht man das Centeſimalthermometer am Mittage auf
44° und um Mitternacht auf 34°½ ſtehen. Zu Bena-
res (25° 20′ Br.) erreicht die Hitze im Sommer 44°,
während ſie im Winter bis zu 7°,2 herabſinkt.
Dieſe Beobachtungen in Oſtindien ſind mit ei-
nem vortrefflichen Six'ſchen Thermometrographen
gemacht; die mittlere Temperatur von Benares iſt
25°,2.
Die außerordentlichen Temperaturen, welche
man in dem mittägigen Theile der gemäßigten Zone,
zwiſchen Aegypten, Arabien und dem perſiſchen Meer-
buſen beobachtet, ſind gleichzeitige Wirkungen der
Configuration der umgebenden Länder, der Beſchaf-
fenheit ihrer Oberfläche, der ſteten Klarheit der von
Waſſerdämpfen ganz befreiten Luft und der Dauer
der Tage, die mit der Breite zunimmt. Zwiſchen den
Wendekreiſen ſelbſt ſind die hohen Temperaturen
ſelten und gehen im Allgemeinen zu Cumana und
Bombay nicht über 32°,8, zu Vera Cruz nicht über
35°,1. Es iſt faſt unnöthig, zu erinnern, daß in die-
ſer Notiz nur ſolche Beobachtungen aufgezeichnet ſind,
die im Schatten und fern von aller Zurückſtrahlung
des Bodens gemacht worden. Am Aequator, wo die
beiden Solſtitial-Höhen 66° 32′ erreichen, ſind die
Durchgänge der Sonne durch das Zenith um 186 Ta-
ge von einander entfernt; zu Cumana iſt die Höhe
beim Sommer-Solſtitium 76° 59′, die beim Winter-
Solſtitium 56°,5, und die Durchgänge durch das Ze-
nith (17. April und 26. Auguſt) liegen um 131 Tage
von einander. Weiter nach Norden, zu Havanna, fin-
det man die Höhe beim Sommer-Solſtitium zu 89°
41′, die beim Winter-Solſt. zu 43°23′, den Zeitraum
zwiſchen den Zenith-Durchgängen (12. Juni und 1.
Juli) 19 Tage. Wenn dieſe Durchgänge ſich nicht
mit gleicher Deutlichkeit in der Wärmecurve der
Monate erkennen laſſen, ſo liegt es daran, daß ihr
Einfluß an einigen Orten durch das Eintreten der Re-
genzeit und anderer elektriſcher Phänomene verſteckt
wird. Zu Cumana ſteht die Sonne 109 Tage, oder
genauer 1275 Stunden lang (vom 28. Oct. bis zum 14.
Febr. des folgenden Jahres) niedriger als der Aequator;
aber in dieſem Zeitraume geht das Maximum ihres
Zenithabſtandes nicht über 33°55′. Die Verlangſa-
mung des Ganges der Sonne bei ihrer Annäherung
zu den Tropen erhöht die Wärme der Orte, die ent-
fernter vom Aequator liegen, vor allem der an der
Gränze der gemäßigten und heißen Zone. Nahe an
den Wendekreiſen, z. B. Zu Havannah (23°9′ Br.), ge-
braucht die Sonne 24 Tage, um einen Grad auf jeder
Seite des Zeniths zu durchlaufen; unter dem Aequa-
tor gebraucht ſie dazu nur fünf Tage. Zu Paris (48°
50′ Br.), wo die Sonne im Winter-Solſtitium bis
zu 17°42′ hinabſinkt, iſt die Höhe derſelben im Som-
mer-Solſtitium 64°38′. Das wärmende Geſtirn ſteht
folglich zu Paris, vom 1. Mai bis zum 22. Auguſt,
während eines Zeitraums von 103 Tagen oder 1422
Stunden, eben ſo hoch, wie zu Cumana in einer an-
dern Jahreszeit. Vergleicht man Paris mit Havannah,
ſo findet man, daß am erſtern Orte, vom 26. März bis
zum 17. September, 175 Tage oder 2407 Stunden lang,
die Sonne eben ſo hoch ſteht, wie zu einer andern
Jahreszeit unter dem Wendekreiſe des Krebſes. Nun
hat, in dieſem Zeitraume von 175 Tagen, der wärm-
ſte Monat (Juli), zufolge der Regiſter im K. Obſerva-
torio zu Paris von 1806 bis 1820, eine mittlere Tem-
peratur von 18°,6, während zu Cumana und zu Ha-
vannah, wenn die Sonne ſich am erſten Orte bis zu
56°5′ und am zweiten bis zu 43°23′ geſenkt hat, der
kälteſte Monat, ungeachtet der längeren Nächte,
zu Cumana noch 26°,2 und zu Havannah noch 21°,2
als mittlere Temperatur zeigt. In allen Zonen wird
die Temperatur von einem Theile des Jahres durch
die Temperatur der vorhergehenden Jahreszeiten mo-
dificirt. Unter den Tropen ſind die Erniederungen
der Temperaturen wenig beträchtlich, weil die Erde
in den vorhergehenden Monaten eine Maſſe an mitt-
lerer Wärme empfangen hat, die zu Cumana 27°, zu
Havannah 25°,5 des hunderttheiligen Thermometers
entſpricht.
Nach ſämmtlichen Betrachtungen, die ich hier aus-
einandergeſetzt habe, ſcheint es mir keineswegs wahr-
ſcheinlich, daß die Temperatur unter dem Aequator
29°,2 erreichen könne, wie es der gelehrte und acht-
bare Verfaſſer der Abhandlung über die aſtronomiſche
Strahlenbrechung angenommen hat. Schon der Pater
de Bèze, der erſte Reiſende, welcher rieth, an den
kälteſten und wärmſten Stunden des Tages zu beob-
achten, glaubte in den Jahren 1686 und 1699, als er
Siam, Malacca und Batavia verglich, zu finden, „daß
die Wärme nicht größer unter dem Aequator ſey, als
unter 14° Breite“. Ich glaube, daß ein Unterſchied
da iſt, aber daß er ſehr klein iſt und daß er durch
den Einfluß ſehr vieler Urſachen, die gleichzeitig auf
die mittlere Temperatur eines Ortes wirken, verſteckt
wird. Die bis heut zu Tage geſammelten Beobach-
tungen geben uns nicht das Maß einer fortſchreiten-
den Temperaturzunahme zwiſchen dem Aequator und
der Breite von Cumana.