Beate und Mareile
Eine Schloßgeschichte
von
E. von Keyserling
S. Fischer , Verlag , Berlin
Erstes Kapitel
Aus dem Badezimmer erscholl ein gleichmäßiges Plätschern . Günther von Tarniff saß in seinem rotgelben Badebassin . Die lauwarme Dusche wurde in der Morgensonne ganz blank – fließendes Kristall . Das war so hübsch und angenehm , daß Günther sich nicht davon trennen konnte . Er saß da schon geraume Zeit und registrierte die behaglichen Empfindungen , die über seinen Körper hinglitten … wachsam und aufmerksam , wie er jedes angenehme Gefühl in sich zu verfolgen pflegte , als müßte aus dieser Addition sich ein Glück herausrechnen lassen .
„ Ziehen Herr Graf die neuen Weißen an ? “ fragte Peter aus dem Nebenzimmer .
„ Ja . Gefallen sie dir nicht ? “ rief Günther zurück .
„’ ne neue Mode . Wird man sehn , “ meinte Peter .
Nun mußte Günther heraus . Peter rieb ihn behutsam mit einem weichen Tuche ab . Günther pflegte seinen Körper wie ein Brahmane . Er bewunderte ihn und achtete ihn , als die Tafel , auf der das Leben viele , wichtige Genüsse zu verzeichnen hat .
„ Frau Gräfin waren schon auf , bei der Morgenandacht , “ berichtete Peter . „ Ja , bei den alten Herrschaften im Flügel ist Morgenandacht mit den Leuten vom Alten Testament , wie die Amalie sagt . “
„ Teufel . Dann sind wir hier das Neue Testament – was ? Bedeutend freche Jungfrau , die Amalie . Und du ? “
„ Gott , ich ! “ Peter zog die Augenbrauen über den kleinen Lithauer Augen empor : „ Heute bin ich dabei gewesen . So ’n mal . Sonst , der Beckmann geht nich – “
„– So – der Beckmann ist dein Dienerideal ? – Gott ! mit dem dummen Gesicht ! “
Als Peter seinem Herrn das Beinkleid reichte , nahm er ein anderes Thema auf : „ Schön is hier ! Das Haus , der Garten . Alles gehört uns ! “
„ Ja , “ meinte Günther und hielt im Ankleiden inne , um seine Bemerkung Peter eindringlich mitzuteilen : „ Wie dieser Anzug . Alles weich – lose . Nicht ? Und die Uniform war steif – und eng . Nun also . Wenn man den Dienst aufgibt und nach Kaltin zieht , dann zieht man eben die Uniform aus und dies hier an ! “
Peter war voller Bewunderung : „ Wie spitzig der Herr Graf das sagen ! Ja , so ’n Kopf , wie unser Graf ! Aber so stramm war unser Dienst nicht . “
„ Ach was , Dienst ! Das Leben , verstehst du ? Die Zeit vergeht und noch zu wenig , zu wenig … “
„ Weiber , “ half Peter ein .
„ Ja , auch das . Das ist vorüber . Hier ist Ruhe . “
„ Gott sei Dank , “ schloß Peter die Unterhaltung .
Günther war fertig und stellte sich vor den Spiegel . Er sah gut aus , er konnte zufrieden sein : die matte Gesichtsfarbe , das schwarze Haar seiner italienischen Mutter , die braunen , blanken Frauenaugen mit den langen Wimpern , die Lippen so rot wie bei Knaben , in denen die Jugend noch wie ein Fieber brennt .
„ Heute wieder wunderbar , “ meinte Peter .
„ Sie hat auf mich gewartet , “ dachte Günther , als er in den Gartensaal trat und die zwei Gedecke auf dem Frühstückstische sah . Eine behagliche Rührung ergriff ihn bei diesem
Anblick : „ Angenehm ist das – wie – wie – reine Wäsche nach der Reise ! “
Er trat auf die Veranda hinaus und blickte über die Kieswege und Blumenbeete hin . Die heiße Luft zitterte und flimmerte . Der Buchsbaum glänzte wie grünes Leder . Hinter dem Garten dehnte sich Wiesenland aus , dann niedrige Hügel , an denen die Äcker wie regelmäßige Seidenstreifen niederhingen . Unten , von der Buchsbaumhecke sah Günther seine Frau auf das Haus zulaufen . Die eine Hand hielt die Schleppe des weißen Kleides , die andere einen bunten Strauß Erbsenblüten . Ein wenig atemlos blieb Beate vor Günther stehen und lächelte . Die Gestalt schwankte leicht , wie zu biegsam .
„ Riech mal , “ sagte sie und hielt ihm den Strauß hin . „ Das riecht wie Sommerferien , nicht ? “
„ Du kannst ja laufen wie ein Jöhr , “ meinte Günther .
„ Ja , ja ! “ Beate lachte : „ Hier ist man wieder jung ; weil alles umher so schön alt ist , so alt wie – wie Kinderfrauen . “
Sie gingen in den Gartensaal . Günther streckte sich in einem Sessel aus und ließ sich Tee einschenken .
„ Gewiß ! Gut ist ’s hier , “ begann er , die Worte langsam vor sich hinschnarrend . „ Wie’s so aussieht , müßte der schon ein umgewandter Monsieur sein , der hier nicht auf seine Rechnung kommt , wie , Beating ? “
Beate schlug die Augen zu ihm auf , für das schmale , weiße Gesicht sehr große Augen , durchsichtig und graublau , mit ein wenig feuchtem Golde auf dem Grunde . Eine freundliche , ruhige Ironie lag in ihrem Blick . Das machte Günther
befangen . Er begann im Zimmer auf und ab zu gehen und angeregt zu sprechen :
„ So wie hier , das lieb ich ; ruhige , königlich preußische Schönheit . Die ewigen Großartigkeiten fallen mir auf die Nerven . Na – ja du – du bist anders . Sorrent – Luzern – das ist dir wie dein Deputat . “
„ Ja , Kaltin ist gut , “ meinte Beate .
„ Hier läßt man sich also nieder , “ setzte Günther seine Betrachtung fort . „ Das ist das Definitive – Ruhe – Abschluß . “
Beate zog die Augenbrauen empor .
„ Womit schließt du denn ab ? Jetzt fängt’s doch gerade an – unser Leben . “
„ Für euch Frauen , “ dozierte Günther mit klingender Stimme , „ für euch ist die Ehe ein Anfang – der Anfang . Für uns Männer ist die Ehe auch ein Ende . Das Frühere ist zu Ende – aus ; verstehst du ? – Frauen unserer Gesellschaft haben kein Früher . Sie haben Gouvernanten , aber keine Vergangenheit gehabt . “
„ Dieses ‚ Früher ‘ klingt ziemlich unsympathisch , “ warf Beate ein wenig gereizt ein .
Günther lachte : „ Ja , das könnt ihr nun mal nicht ändern . Ihr Ehefrauen seid immer ’ne Art Hafen . Du , Beating , bist ein hübscher , glatter , tiefer Hafen , gut ausgebaggert , man sieht bis auf den Grund . “
Beate schaute in der stillverschlossenen Art vor sich hin , die sie anzunehmen pflegte , wenn sie etwas gleichsam nicht zu sich hereinlassen wollte , es ihr zuwider war . Günther sprach schon von anderem : „ Müssen wir nicht zu unseren alten Damen hinüber ? “
„ Ja , wenn du willst . “
„ Sag , ist ’s dort noch so – so – düster ? “
„ Düster – dort ? “
„ Na ja , für dich – natürlich – da sind’s die Kinderzimmer und so . Die Zimmer sind ’s auch nicht . Ich glaube , es ist die Tante Seneïde . “
„ Tante ? “ rief Beate . „ Aber Tante Seneïde ist doch wie – wie Mondschein im Ahnensaal . “
„ So ! ist das nicht unheimlich , wenn man so ist ? “
„ Ach nein ! “ erklärte Beate . „ Weißt du , wenn der Mond durch die oberen Fenster des Ahnensaals scheint , dann ist der Fußboden ganz voll von Lichtkringel . Als Kinder setzten Mareile und ich uns da mitten hinein . Tante Seneïde ging im Saale auf und ab und sagte ihre geistlichen Lieder her . Das war so echt Kaltinsch , und das gehört Tante . “
„ So , “ meinte Günther , „ als Knabe habe ich mich gefürchtet , wenn die Leute von der kranken Komtesse sprachen . Na , jetzt soll sie mir wie Mondschein im Ahnensaal sein . Komm ! “
Zweites Kapitel
Lantin , das Stammgut der Tarniffs , grenzte an Kaltin , den Sitz der Losnitz’ . Beate und Günther waren Nachbarskinder und verwandt . Die Tarniffs und die Losnitz ’ gehörten zu dem alteingesessenen Landadel , zu den „ braungebrannten Herren , “ von denen Bismarck spricht : „ Die man morgens früh um fünf auf ihren Feldern einhergehen oder reiten sieht . “ Starke Leute , die das Leben und die Arbeit lieben , roh mit den Weibern und andächtig mit ihren Frauen umgehen und einen angeerbten Glauben und angeerbte Grundsätze haben . Der Lantiner Zweig der Tarniffs jedoch hatte durch mehrere Generationen dem Staat gute Diplomaten geliefert . Der Aufenthalt in der Fremde entrückte sie ihrem Landsitz . Die Schüler der Grumbkow , Hardenberg , Bismarck brachten etwas Fremdes in das Gleichgewicht und die ein wenig hochmütige Beschränkung der Landjunker ; neue Gedanken und Appetite komplizierten ihr Seelenleben . Dazu schlossen die Herren auf ihren diplomatischen Posten Ehen mit Ausländerinnen . Das exotische Blut nagte an den starken Nerven der märkischen Race , erhitzte und schwächte sie mit seiner Erbschaft fremder Geschlechter .
Graf Botho , Günthers Vater , war mit einer italienischen Prinzessin vermählt gewesen ; ein herrliches Geschöpf , wie Fra Sebastiano sie gerne malte : Königliche , edelsteinharte Augen , eine bleiche Gesichtsfarbe , in die sich etwas wie grünliches Gold mischt . Die schöne Römerin konnte deutsche Luft und deutsche Menschen nicht vertragen . Getrennt von ihrem Gatten lebte sie mit ihrem einzigen Kinde , dem kleinen
Günther , in ihrer Heimat . Noch jung erlag sie einem Brustleiden . Lantin hatte von seiner Herrschaft wenig gesehen . Jetzt langte Graf Botho in Lantin an mit seinem Kinde , dem Sarg seiner Frau und Komtesse Benigne , seiner alten Schwester . Der Sarg wurde in der Familiengruft beigesetzt , Benigne mit dem Kinde im Schloß eingerichtet und dann reiste Graf Botho wieder ab .
Hier verbrachte Günther seine Kindheit . Damals war es , daß er seine ersten Spiele mit Beate und Mareile , der braunen Inspektorstochter , zwischen den Levkojen und Lilienbeeten des Kaltiner Gartens spielte .
Die Baronin von Losnitz , früh verwitwet , lebte mit ihrer einzigen Tochter in Kaltin . Komtesse Seneïde Sallen , ihre Schwester , wohnte bei ihr . Irgendeine brutale Liebesgeschichte war in das stille Leben des Landfräuleins eingeschlagen und hatte es seelisch und geistig gebrochen . Jetzt lebte sie hier . Friedliche Beschäftigungen , die freundliche Narkose der Religion erhielten das Gleichgewicht dieses kranken Geistes .
Schloß Lantin wurde unterdes wieder leer . Komtesse Benigne starb , und Günther wurde in die Stadt gegeben . Lantin sah seinen Herrn zwar noch einmal , allein unter wunderlichen Umständen , wieder . Graf Botho langte mit einer fremden , schwarzlockigen Dame an . Frau Kulmann , Kastellanin und Kammerdienergattin , verstand es , ein undurchdringliches Dunkel um die Fremde zu breiten . Die Leute schüttelten die Köpfe . Begegneten sie dem Paar , dann rückten sie an den Mützen , verzogen jedoch höhnisch die Mäuler . Mankow , der Wildhüter und Vertraute des Grafen ,
erzählte abends im Waldkruge unheimliche Geschichten von der „ verfluchten Schwarzen “ . Über dem Portal des Schlosses hing in bemaltem Stein das Tarniffsche Wappen : auf dem Tartschenschilde in goldenem Felde drei schwarze Lindenblätter , darüber , auf gekröntem Stechhelm , zwischen dem offnen , goldenen Flug ein wachsender , schwarzer Brackenhals . „ Die drei herzförmigen Blätter , “ sagten die Lantiner , „ sind die drei Weiberherzen , die jeder Tarniff bricht . “ – „ Ja , “ sagte Mankow , „ und der Hund da oben , das ist der Teufel , der sie holt . Unser Alter hat sich seinen Teufel selber mitgebracht . “ Die Sache nahm kein gutes Ende : „ So verfault is unser Alter auch noch nich , “ meinte Mankow . „ Was zu doll is , is zu doll ! Das schwarze Aas hat die Reitpeitsch , die mit dem goldenen Knopf , wißt ihr , zu schmecken gekriegt . “ Eine verschlossene Kutsche brachte die Schwarze eines Morgens zur Station . Der alte Herr verschloß sich in seine Gemächer , dann reiste er ab , kam wieder , vergrub sich in seine Bücher : „ Alt is ’r , “ sagte Mankow . „ Er sagt , er hat das Leben satt . Muß der gefressen haben ! Was ? Jetzt sitzt er bei den Büchern , und das ist das Letzte . “ Ein Schlaganfall beraubte den alten Herrn seiner Füße . Stundenlang schob Kulmann ihn im Rollstuhl die Alleen des Parkes auf und ab , und das große , bleiche Greisenantlitz wackelte mißmutig und ergeben bei jeder Bewegung des Rollstuhles . Endlich kam das Ende . Kulmann hatte seinen Herrn eines Nachmittags allein im Park gelassen , um zu Hause einen Grog zu trinken . Das mochte ein wenig lange gedauert haben . Als Kulmann gegen Abend seinen Grafen aufsuchte , fand er ihn in der Herbstdämmerung tot im Rollstuhl sitzen , feucht von Abendnebeln ,
überstreut von Herbstblättern , und den goldenen Knopf der Reitpeitsche fest zwischen die Zähne geklemmt .
Günther mied das Schloß . Frau Kulmann kämpfte mit Staub und Motten und dachte an lustigere Zeiten , da sie jung war und dem seligen Herrn gefiel .
Günther erwuchs zu einem sehr glänzenden Ulanenoffizier . Er durchspähte das Leben mit leidenschaftlicher Hast nach Genüssen , als fürchtete er beständig , irgendein Genuß , ein seltenes Glück könnte ihm unterschlagen werden . Nach einigen Jahren hieß es , seiner Gesundheit halber müsse er den Dienst verlassen . Andere erzählten , seine Beziehungen zu einer hochstehenden Dame hätten seine Entfernung aus Berlin wünschenswert gemacht . Er ging nach Athen , bei der Gesandtschaft diplomatische Kenntnisse zu sammeln . Einige Winter später trafen die Jugendgespielen sich in Berlin . Frau von Losnitz wollte Beate in die Gesellschaft einführen . Günther befand sich gerade in einer Krisis , die bei solchen nervösen , allzu gierigen Lebenstrinkern gegen Ende der zwanziger Jahre einzutreten pflegt . Er war satt . Von jeher hatte er das Weib für die Verschleißerin der wichtigsten Genüsse des Lebens angesehen . Für jede Stimmung das richtige Weib zu finden erschien ihm als die bedeutsamste Kunst ; und urplötzlich war er der Weiber so müde : „ Es ist doch in der ganzen Welt immer wieder dieselbe kleine Schauspielerin mit den gemalten Augenbrauen und den geldgierigen Taubenaugen , “ meinte er . „ Ich kann Dir sagen , “ schrieb er an den Maler Hans Berkow , seinen Freund , „ ich gehe den Weibern wie einer Drehorgel , die eine zu oft gehörte Melodie spielt , aus dem Wege . Ich kann nur noch
mit den stillen , kühlen Marmordamen im Museum verkehren . “ In dieser Gemütslage mußte Beate stark auf Günther wirken . Dieses Mädchen , mit einer stilvollen Reinheit , schien ihm ein Glück zu versprechen , das ihm wirklich bisher unterschlagen worden war . „ Sie ist ja die adelige Poesie in Person , “ sagte er , denn er liebte die geschmückten Redewendungen . Einen schwungvolleren Bewerber hatte die kühle Berliner Gesellschaft noch nicht gesehen : „ Je nun ! “ sagte der Fürst Kornowitz , „ wir haben bei unseren Damen schon alle möglichen Manieren versucht , Jockeymanieren , Künstlermanieren , Dekadenzmanieren . Der Tarniff scheint die Troubadourmanier aufbringen zu wollen . Keine bequeme Manier das . “
Beate nahm Günthers Werbung in ihrer wohlerzogenen Art hin . In den Schlössern unseres Landadels wachsen noch , unter feiner berechneter Obhut , solche Mädchen von wunderbar naiver Reinheit heran . Das Gute und Schöne erwarten sie von dem Leben , wie das Selbstverständliche , und Günther erschien Beate als dieses Schöne und Gute . Im Winter verlobten sie sich , im April wurden sie getraut und im Juli des nächsten Jahres zog Günther nach Kaltin , entschlossen , dort ein glückliches Familienleben zu führen nach wohlbewährtem , altadeligem Rezepte .
Drittes Kapitel
Die alte Baronin von Losnitz saß in ihrem Voltairesessel und strickte einen blauen Kinderstrumpf . Schöne Haartrompeten , blank und weiß , rahmten das fette , weiße Gesicht ein mit den regelmäßigen Zügen . Seneïde saß am Fenster und nähte . Ihre Züge waren scharf und gezogen , die Lippen fast weiß und die Augen lagen tief in den Höhlen und gaben dem Gesichte einen kummervollerregten Ausdruck . Sie legte ihren Fingerhut mit einem lauten „ Klap “ auf den Tisch , lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen . „ Beating , “ begann sie , „ war heute wieder wie sonst . Gestern , da war etwas Fremdes in ihrem Gesichte – etwas – ich weiß nicht ? “
Die Baronin schaute ihre Schwester über die Brille hinweg an : „ Hör , Seneïdchen , du machst die Dinge gern geheimnisvoll . Für ein junges Ehepaar ist das nichts . In deiner Milchkammer rührst du auch nicht in den Töpfen herum ; du wartest doch ruhig , bis die Sahne sich absteht . Na – also ! “
Seneïde beugte sich still auf ihre Arbeit nieder .
Nun kamen Günther und Beate . Günther begann sofort die alten Damen zu bezaubern . Nichts im Leben war ihm ungemütlicher , als wenn er nicht gefiel . Bei der Toilette bemühte er sich , Peter zu gefallen , und auf der Reise dem Schaffner . „ O Mama , wie blühend du aussiehst , hübsch und sommerlich . Und Tante – Ihr Harmonium habe ich heute früh schon im Bette gehört . Geradezu heilig hab’ ich dabei geschlafen – auf Ehre . Gott , hier muß man ja gut sein . “
Dann sprachen sie von Mareile Ziepe , der Inspektorstochter . „ Oh , unsere Mareile , “ rief Günther , „ die ist groß ! Also – nicht nur die berühmte Sängerin ; sie ist die gefeiertste Schönheit der Gesellschaft – der Gesellschaft – bitte . “
Die Baronin lachte : „ Meine Mareile ! Die hatte immer eine feste Hand … Wenn man Ziepe heißt und dann … “ „ Na ja , Ziepe , “ meinte Günther , „ das hat sie abgelegt . Sie heißt Cibò ! Ist auch besser . Die Fürstin Elise kann ohne Mareile nicht leben , der Fürst Kornowitz schmachtet sie an . “
Durch die Seitentüre kam jetzt Frau Ziepe herein . Sie wollte die jungen Herrschaften begrüßen . Erhitzt und verlegen saß sie neben Beate und sprach von ihren Zwillingen . Plötzlich verklärte sich ihr Gesicht . Mareile war genannt worden .
„ Auf Ihre Tochter , “ wandte sich Günther an die Inspektorsfrau , „ sind wir alle stolz . “
„ Danke , Herr Graf , danke . “ Frau Ziepe errötete . „ Und ich hab’ mich so vor der Kunst gefürchtet . Man spricht so viel . Aber Mareiling hat Charakter , Gott sei Dank . “
„ Was tun wir ? “ fragte Günther seine Frau , als sie wieder allein in Beatens blauem Kabinett auf den weißlackierten Stühlchen saßen . „ Natürlich , beieinander sein ! “ Er nahm Beatens Hand und küßte vorsichtig jede Fingerspitze . „ Ja , was tun wir ? “ wiederholte Beate .
Günther dachte nach . „ In den Garten müssen wir , damit wir so das Sumsum des Sommers hören . Nicht ? Im Park unter den Linden muß es jetzt gut sein . Suche ein Buch heraus . So was Altmodisches , ganz Süßes , weißt du . Ich bestelle die Hängematten ? “
„ Ah ! so ist’s gut ! “ rief Günther , als sie beide unter den Linden in den Hängematten lagen . „ Nun lies , Schatz . “
Zwischen den starken Stämmen hindurch sah Günther ein Stück des Teiches mit seinen Inseln von Froschlöffel und Wasserlinsen . Libellen , kleine blanke Lichtgestalten wiegten sich in der heißen Luft . Unter den Weiden am Ufer aber saßen die Schwäne , weiße , regungslose Gebilde . Günther blickte auf die schmale , helle Gestalt neben sich in der Hängematte . Lichter und Blätterschatten huschten über sie hin : „ Gott ja ! “ dachte er , „ unsere Frauen , die sind eigen ! So ’ne kühle , klare Luft ist um sie her . Die anderen sind auch schön – o ja ! Mareile zum Beispiel , aber so das – das Festliche fehlt . “
Beate hielt inne und blickte zu Günther hinüber . „ Du hörst mir nicht zu . Woran denkst du ? “
„ Ich denke – ich denke an dich – und daß es gut ist , daß du hier in der Hängematte liegst und nicht – eine andere – Mareile oder sonst eine von den anderen . “
„ Mareile ? Warum ? “
„ Erinnerst du dich noch des Besuches der Rumpenower Kinder ? Du und Mareile hattet damals lange , dünne Backfischbeine . Wir spielten Räuber im Garten . Ich weiß nicht , wie das kam , aber Mareile und ich mußten in den Rübenkeller flüchten . Kühl war ’s da und roch feucht nach Gemüsen . Wir waren stark gelaufen , unsere Herzen schlugen laut – tap – tap . Mareile hatte ein weißes Kleid an – und nackte Schultern . Nun da – bog ich mich vor und küßte eine dieser spitzen , heißen Backfischschultern . Früher war mir das nie eingefallen . “
„ O ! wirklich ? “ warf Beate hin .
„ Ja . Sie stieß mich vor die Brust und sagte : ‚ Dummer Junge . ‘ “
„ Nun – und ? “
„ Ach nichts ! Ich dachte daran . Übrigens glaub’ ich doch , daß Mareile damals in mich verliebt war . “
„ Möglich ! “ meinte Beate ein wenig hochmütig . „ Sie sprach damals zuweilen vom Verlieben . Ich fand das lächerlich . Verlieben gehörte zur Kammerjungfer Lisette , zu Betty Ahlmeyer . “
„ Ja – ja – natürlich ! “ rief Günther , „ das war Kaltinsch – ganz echt . Na , lies nur . “ Günther schaute wieder in das Blätterdach hinauf . Ein Schwarm Mücken drehte sich wie blonder Staub in einem Sonnenstrahl . Das macht schwindelig und schläfrig .
Günther reckte sich : „ Wie schön – wie schön ! “ Er pflegte jede Lebenslage genau auf die Summe von Befriedigung hin zu prüfen , die sie ihm bot ; er stellte gern jedem Augenblick eine Zensur aus . Jetzt war er zufrieden . An dem Junggesellenleben war doch nichts Rechtes dran ! Stille , helle Zimmer , gute Menschen , diese Frau – dieses beruhigende , weiße Rätsel , an dem herumzuraten eine so friedliche Beschäftigung war – das wollte er jetzt .
Das Ehejahr in Berlin zählte nicht . Was die Liebe der Junggesellenjahre lehrt , läßt sich bei den Beaten schlecht verwenden . Da muß umgelernt werden ; das macht ungeschickt . Beate nahm dort etwas Erstauntes , bleich Ergebenes an ; als hätte sie eine Enttäuschung erlebt . Daß er diese Enttäuschung sein könnte , war für Günther kränkend und quälend
gewesen . Berlin war ohnehin für Beate nicht der rechte Hintergrund . Hier war ’s gut ! Er streckte seine Hand zu der anderen Hängematte hinüber .
„ Du hast geschlafen ? “ fragte Beate .
„ Ja , “ sagte Günther , „ und geträumt . Ein Traum , ganz weiß von dir . “
Beckmanns schwarz und goldene Gestalt stand plötzlich in all dem Grün und meldete das Frühstück .
Zur Feier der Ankunft der jungen Herrschaft fand unten im Park ein Fest für die Gutsleute statt . Nach dem Diner begaben die Herrschaften sich auf den Festplatz . Die Buchen und Kastanien am Teiche steckten voll bunter Lampen ; farbige Lichtpünktchen , verloren in all dem Schwarz ringsum . Auf dem Rasenplatze wurde getanzt . Auf einem Tische brannte eine Petroleumlampe ruhig und schläfrig , wie in einer Familienstube . Dort saßen Inspektor Ziepe und der Schulze beim Bier . Die Musikanten fiedelten einen Schleifer ; dünne , schnurrende Töne , die , wie verirrt , in die große Nachtstille hinaushüpften ; und über dem Ganzen lag der melancholische Ernst , wie er über den Lustbarkeiten des Volkes zu liegen pflegt .
Günther hielt eine Rede . Er stand auf einer Bank , machte weite Armbewegungen , wurde ganz warm von den großen Worten , die er zu den schweren Arbeitergestalten hinuntersprach , die andächtig , ein wenig schläfrig , zuhörten ; … das tat ihm wohl . Dann wurde getanzt . Peter besorgte für Günther als Tänzerin die Eve Mankow , ein großes , rothaariges Mädchen mit grellen , rotbraunen Augen in
einem runden , rosa Gesichte . Beate tanzte mit Edse Maschnap , der Galoschen und einen Stadthut trug . Edse unterhielt seine Dame . „ Ich bin zurück aus der Stadt . Na ja – der Vater hat die zweite Frau . Die sorgte für ihre Kinder , – da muß ich sehen , daß nich alles so stille – stille – verschwindet – Frau Gräfin verstehn ? “
Beate schaute zu Günther hinüber . Wie eifrig er sich mit dem großen , unangenehmen Mädchen unterhielt . Er erzählte etwas . Eve wandte sich ab , legte den Arm vor den Mund und lachte . Ja – er verstand es , jede zu nehmen ! –
Der Tanz war zu Ende . Die Herrschaften wollten vom Kahn im Teiche aus das Feuerwerk ansehn . Günther wäre gern geblieben und hätte sich an der Verehrung der Leute erwärmt . Zu imponieren ist eine so angenehme Beschäftigung ; er wagte jedoch den Vorschlag nicht ; er fürchtete , Beate würde dazu ihre ironisch erstaunten Augen machen . Auf dem Teiche war es köstlich . All die schweren , warmen Menschen mit ihrer schweren , erhitzten Lustigkeit hatten Beate mit großem Unbehagen erfüllt . Hier war es kühl und still und dunkel . Beate lag auf dem Rücken und sah in die Sterne hinauf . Günther ruderte anfangs und sprach angeregt . Dann fragte er plötzlich : „ Warum liegst du so weiß da und sagst nichts ? “
„ Ich höre lieber zu , “ erwiderte Beate . „ Das klingt sehr freundlich , “ dachte Günther , „ aber doch so ’n bißchen überlegen , als müßte man Nachsicht mit mir haben . “ Er wurde schweigsam . Beate hatte recht . Auch er wollte daliegen und seinem Empfinden lauschen . Das gehörte zu dieser
Lebenslage . Helle , wunderbar weiche Töne gingen und kamen über das Wasser , als atmete und lebte die dunkle Fläche . Günther streckte sich neben Beate aus , nahm eine ihrer kühlen Hände . Über die schwarzen Wipfel stieg eine Rakete auf ; eilig und golden stieg sie auf , immer höher , dann neigte sie sich , wie müde , und die Leuchtkugeln , ein farbiges Aufblühen , regneten nieder . Die Leute am Ufer riefen : Hurrah !
„ Ja , die ! “ meinte Günther , „ die verstehn noch zu schreien , wenn sie lustig sind . “
„ Möchtest du denn auch schreien ? “ fragte Beate .
„ Gott ! Schreien ! Nein . Ich sag’ nur , die können’s noch , wir nicht , wir sind zu – zu – stilisiert – um lustig zu sein . “
Der Mond stieg über den Ahornbäumen auf . Der Teich sprühte . Die Stengel der Froschlöffel , des Wasserknöterich , die weißen Köpfe der Wasserrose schienen größer , wie sie so unbeweglich in dem blauen Lichte standen .
Eine selige Trägheit , eine angenehme Wunschlosigkeit war über Beate gekommen . Als Günther sich auf sie niederbeugte und ihr die Lippen , die Augen küßte , ihren schmalen , ruhenden Körper in seine heißen , fiebernden Hände nahm , sagte sie : „ Ach – laß – Liebster . “
Günther wurde sofort ruhig . Er seufzte . Ach ja ! Man muß ruhig und poetisch sein . „ Dieses kühle Mondscheingesicht , “ sagte er ein wenig gereizt . Dann griff er in das Wasser , mitten in eine Gesellschaft Wasserrosen hinein und holte sich die ganze Hand voll schwerer , weißer Blütenköpfe heraus : „ So , jetzt will ich dich putzen , warte . “ Er steckte die
feuchten Blumen in Beates Haar . Beate lachte unter dem Tropfenregen . „ So ist ’s gut , “ meinte Günther , „ Schönheit – Schönheit – Schönheit , Amen . “
Beate saß in ihrem erdbeerfarbenen Nachtkleide noch auf . Amélie , das naseweise Gesichtchen rot vom Tanz , versuchte ein Gespräch .
„ Ach nee , der Maschnap , über den hab’ ich gelacht . Und die Eve , die war gut , wie ’n Pfannkuchen hat die sich gebläht . “
„ Geben Sie mir die Bücher , “ sagte Beate , und wenn die Gräfin sich die heiligen Bücher geben ließ , die Bibel und den Thomas a Kempis , dann mußte Amélie gehen .
Die Stille des alten Kaltin hatte Beate überempfindlich für jeden Eindruck gemacht . Jedes Erlebnis nahm tiefe Bedeutung an , wie Gestalten im Mondschein größer erscheinen .
Sie beugte sich über den Thomas a Kempis und las : „ Mache mich stärker in der Liebe , daß ich im Innersten meines Herzens schmecken lerne , wie süß es ist , zu lieben und in Liebe aufzugehen und ganz mich zu bewegen . Singen möchte ich das Lied der Liebe … “
Draußen schüttelte ein plötzliches Wehen den Baum vor dem Fenster . Beate schaute auf , dann , wie erschöpft von dem übermächtigen Gefühle , lehnte sie den Kopf zurück . Ihr Gesicht war blaß , von der feinen Blässe der alten Rassen , die von jahrhundertelangem Stehen auf geschützten Höhen müde geworden sind . Der Ausdruck des Gesichtes war wie Lächeln und doch wie Leiden . Die braunen Zöpfe , noch
feucht von den Wasserrosen , hingen über ihre Schulter nieder . Gewiegt von einer köstlichen Schlaffheit , zuckte Beate mit den Wimpern , als blendete sie eine lichte Vision .
Eine Tür ging . Das Parkett knarrte unter Günthers leichtem Tritt . Beate schloß die Augen . Ein blasses Rot stieg ihr in die Wangen , und die Hände auf den Seitenlehnen des Sessels zitterten leicht .
Viertes Kapitel
Das Stationsgebäude lag jenseits des Dorfes auf einem schattenlosen Sandhügel . Die Mittagssonne stach sengend auf den Bahnsteig nieder . Die elektrische Glocke meldete den Schnellzug . Herr Ahlmeyer , der Stationsvorsteher , erschien , die rote Mütze im Nacken . Über ihm , im ersten Stock des Hauses , wurde ein Fenster geöffnet . Betty Ahlmeyer steckte den blonden Kopf heraus und blickte gespannt den Schienenweg hinab . So erwartete sie seit dreiundzwanzig Jahren jeden Zug .
Heute erlebte sie etwas . Als der Zug hielt , entstieg einem Wagen erster Klasse Mareile Ziepe . In einen rahmfarbenen Staubmantel gehüllt , stand sie auf dem Bahnsteig und wiegte eine kleine , rote Tasche hin und her . Ahlmeyer schoß auf sie zu : „ Fräulein Mareile – signora – nicht möglich ! Wir haben Sie nicht erwartet . “
„ So ist kein Wagen da ? “ fragte Mareile ruhig . Nein , es war kein Wagen da . Aber wollte Mareile nicht Kaffee trinken ? Wollte sie nicht Ahlmeyers Fuchs und Jagdwagen ? Nein , Mareile wollte zu Fuß gehen . „ Künstlerinnen sind unberechenbar ! “ meinte Ahlmeyer .
Mareile schlug den Fußpfad über die Heide ein . Das warme , staubige Kraut knisterte unter ihren Füßen . Es duftete schwer nach Wacholder , Wermut , Schafgarbe . Töne , wie das Schwirren einer Violinsaite , zogen über das Land . Die lichtgebadete Schläfrigkeit über den altbekannten Orten stimmte Mareile nachdenklich . Die Arbeit an ihrem Schicksal hatte ihr die Heimat so fern gerückt .
Sie war mit Beate zusammen im Schlosse erzogen worden . Schon damals erschien es ihr als das Höchste im Leben , ganz zu denen auf dem Schlosse zu gehören . Mit wunderlicher Reizbarkeit empfand sie alles , was an den Unterschied zwischen ihr und Beate gemahnte . Sie selbst verstand es zu vergessen , daß sie die Tochter des Inspektors Ziepe war , daß die anderen es nicht vergaßen , brachte Gefühlsstürme in ihr hervor , die von ihrer Umgebung kaum begriffen wurden . In solchen Krisen hatte sie es geliebt , auf die Heide hinauszulaufen , zu laufen , zu laufen , bis ihr die Wangen brannten und sie müde an einem Wacholderbusch niederfiel . Dort , platt auf das Heidekraut hingestreckt , das Gesicht in die harten Stengel gedrückt , die Zöpfe voller Mittagsfalter , hatte sie unbändig geweint , weil sie kein Baroneßchen war .
Später kam Berlin mit dem Konservatorium , das Wohnen bei der Hauptmannswitwe , der Tante Oberau , die Reisen nach London und Wien , der Ruhm , endlich die Berliner Gesellschaft , in der Mareile durch Tarniffs eingeführt wurde . „ Ich liebe sie wie meine Jugend , “ sagte die Fürstin Elise Kornowitz von Mareile , und das war viel . Das Gefühl , daß dieses königliche Wesen eine gesellschaftliche Schöpfung der Fürstin Elise und ihrer Freundinnen war , begeisterte die Aristokratinnen für Mareile .
Still und staubig lag das Land da . Überall gelber Sand ; Wiesen , Felder und Gärten lagen darauf , wie eine verblaßte Stickerei auf einem blindgewordenen Goldgrund . Die Feldgrillen schrillten am Wegrain . Mareile mußte über sie lächeln . Als Knabe hatte Günther sie damit geärgert , daß er sagte , die Feldgrillen riefen : „ Ziepe – Ziepe “ . Ja ! Alles rief hier
„Ziepe “ und schien nichts von der berühmten Mareile Cibò , der Freundin der Fürstin Elise , zu wissen . Jetzt bog Mareile in die Lindenallee , die zum Schlosse führte , ein . Hier war es kühl und schattig . Das Ping-ping einer Schmiede tönte herüber . Ein Stallknecht , die Tressenmütze im Nacken , ritt ein großes , blankes Pferd aus ; endlich das Schloß mit seiner schwarzgelben Fahne . Das war wieder Mareilens Welt . Über den sonnigen Hof ging sie zur Inspektorswohnung hinüber .
Gelber Sonnenschein lag in der kleinen Wohnstube auf den schwarz und rot gemusterten Möbeln . Auch der bekannte Geruch von Fettstiefeln und Suppe schlug Mareile entgegen . Wie still und unverändert das alles hier auf sie gewartet hatte ! Auf dem Sofa schliefen die Zwillinge Jei und Sini , die Backen rot unter dem blonden Flimmern der Haare . Sini erwachte und weinte . „ Werdet ihr die Mäuler halten ! “ rief Frau Ziepe von der Küche herüber . Sie erschien in der Türe – im kurzen Unterrock , die Ärmel aufgestreift , die nackten Füße in Pantoffeln . Sie errötete : „ Mareiling – Kind ! “ Sie breitete die nackten Arme aus , ließ sie jedoch wieder sinken . „ Nein , nein – komm’ nicht . Wie ich ausschau – was ? Ich muß den Fußboden scheuern , die Anna is so dumm . Ich komme gleich . “ Sie verschwand wieder .
Vor dem Spiegel , hinter dem die Rute der Zwillinge steckte , nahm Mareile den Hut ab . Hinter ihr trat Vater Ziepe in das Zimmer , eine schwere Gestalt in weißem Leinwandanzuge , ein rotes Gesicht in einem gelben Bartgestrüpp . „ Erschreckend , “ dachte Mareile , die ihn im Spiegel betrachtete , dann wandte sie sich ihm zu . „ Teufel , unsere
Dame , “ sagte Ziepe und küßte seine Tochter befangen auf den Scheitel . „ Wo is Mutter ? “
„ Du willst wohl deinen Kognak , Vater ? “ erwiderte Mareile . Ziepe stand breitbeinig da und sah zu , wie seine Tochter zwischen Spind und Tisch hin und her ging unter dem leisen Klirren der Armbänder . „ Hätte nicht pressiert , “ brummte er , setzte sich und aß . Er wußte nichts zu sagen und schalt die Zwillinge . „ Immer schlafen , wie die Spanferkel . “
Endlich kam Frau Ziepe im frischen Kattunkleide , die Augen voller Tränen . Ziepe fuhr sie an : „ Was , heute wieder das Scheuerweib gespielt ? Ich will das nicht . Ich hab’ kein Scheuerweib geheiratet . Wozu is das Mädchen da – Teufel auch ! “
Frau Ziepe hörte ihn nicht . „ Wie das glänzt ! “ sagte sie und strich über den Diamant in Mareilens Ohr . Ziepe erhob sich , ging , froh , seiner vornehmen Tochter aus den Augen zu kommen .
Mareile lehnte sich in die Sofaecke zurück . Die Fliegen summten an den Fensterscheiben ; die Suppe nebenan roch immer stärker . Frau Ziepe ging leise hin und her und diente ihrer Tochter , erzählte dabei von der Wirtschaft , den Herrschaften , dem Dienstmädchen . Die fünfzehnjährige Lene kam , kauerte zu Mareilens Füßen nieder und schaute andächtig zu der herrlichen Schwester auf . Das alles war rührend und lieb . Das findet man draußen in der Welt nicht . Und doch , warum ist all das so zum Weinen traurig ? dachte Mareile .
Fünftes Kapitel
Günther wollte wirtschaften . Er ging auf das Feld hinaus . Es wurde gemäht . Brusttief regten sich die Leute in den Halmen , wie in knisternder , gelber Seide . Ziepe stand dabei und schimpfte : „ Du kleines , schwarzes Aas , heißt das Setzen ? Du brauchst nur mit deiner Rotznase anzustoßen , dann purzelt die Bude um . “ Günther war sehr würdig und leutselig . „ Hier ist ungleich gemäht , “ bemerkte er . „ Haben die Leute auch zu trinken ? Ich will , daß nichts versäumt wird . “ Er schritt an den Garben entlang , durch die Atmosphäre der heißen Ähren und heißen Menschen . Von einer Garbennehmerin , die hübsche Augen hatte , ließ er sich die Ackerwinden geben , die das Mädchen auf dem Strohhut hatte . Als er jedoch weiter dem Ellernbruch zuging , war er unzufrieden . Das müßte anders sein . Er müßte anders auf seine Leute wirken . Diese gleichgültigen Augen wollte er nicht . Teufel ! Wenn man auf seine eigenen Arbeiter nicht wirkt , wo will man denn Effekt machen !
Im Ellernbruch fand Günther eine lange , bunte Gestalt im Grase liegen . Wie kam all das hierher ? Der blau und weiß gestreifte Sommerflanell , das blauseidene Hemd , der rot und blau gestreifte Gürtel ?
„ Hans Berkow , “ sagte Günther .
„ Morjen , Tarniff , “ meinte Berkow und gähnte . „ Wie geht’s ? “
„ Was machst du hier ? “
„ Siesta . Nimm doch Platz . “
Günther setzte sich auf das Moos . Was der Anblick von
Hans Berkow nicht alles an Berliner Luft mitbrachte ! „ Studien , “ berichtete Hans . „ Ich wollte euer brutales Licht studieren , dicke Bauernmädchen . Das ewige Malen von Berlinerinnen macht den Pinsel flau . “
„ Wo wohnst du ? Warum bist du nicht bei uns ? “
„ Es ist nicht angenehm , der unvermeidliche Berkow zu sein . In Berlin ist er – in Kaltin wieder . “ Das Gesicht hatte so regelmäßige Züge , daß es zuerst leer und starr erschien . Rotes Haar in kurzen Locken bedeckte wie eine Kappe den Kopf . Die enzianblauen Augen mit den roten Wimpern aber waren es , die dem Gesicht seine überraschende Schönheit gaben . „ Ich wohne in einem Waldkruge . Schöne Bäume . Auch die Familie Mankow ist malerisch . Die Tochter Eva – eine gute Studie in Rot. “
„ Dort kannst du nicht bleiben , “ meinte Günther .
„ Ja – wenn du was für mich tun willst – “ Hans blinzelte mit den roten Wimpern nachdenklich zur Sonne auf . „ Du hast da so ’n altes Schloß . Süperb vermoost . Wenn du mir gestatten würdest , dort – “
„ Aber natürlich . “
„ Danke . “
Eine Weile schwiegen beide . „ Die schöne Mareile ist heute bei euch angelangt , “ begann Hans wieder . „ Du bist gut unterrichtet , “ meinte Günther . „ Bist du deshalb hier ? “
„ Ja – auch . “ Berkow wälzte sich , wie im Bette , auf die andere Seite herum . „ Ja – Mareile ist gut – nicht ? “ sagte er langsam . „ Wenn sie sich ein wenig zurückbiegt – , dann die Linie den Busen hinauf zum Halsansatz – , das vergißt
sich nicht so leicht . Und die Arme – , als wäre sie im Peplon geboren . “
„ Du bist im Zuge , “ bemerkte Günther . Berkow zog die Augenbrauen hinauf . „ Was willst du ! Wenn der Gedanke an ein Weib uns zu beißen anfängt , wie der bekannte spartanische Fuchs aus der Geschichtsstunde – , na – dann muß was geschehen … Wenn ein Weib eine unbequeme große Rolle in unseren Vorstellungen zu spielen beginnt , ja – dann müssen wir es eben besitzen , um es loszuwerden . Kann ich auf dich rechnen ? “
„ Gewiß , gewiß , mein Alter , “ erwiderte Günther . „ Soweit bei Mareile von Rechnen die Rede ist … Sie ist unberechenbar . “
„ Ach Gott ! Die Mädchen haben ja doch alle denselben Generalnenner ! “ meinte Berkow . Günther lachte gezwungen . Der Gedanke an ein schönes Weib in Verbindung mit einem andern als ihm selbst war Günther stets zuwider gewesen .
Sechstes Kapitel
Zum Diner pflegte Mareile im Schlosse zu erscheinen . Sie war still und nachdenklich . „ Das ist die Kaltiner Luft ; in ihr wird man froh und ein wenig schläfrig , “ sagte sie . Das Leben hier ergriff die Sängerin , wie ein großes Schweigen uns ergreift , wenn wir aus lautem Lärm kommen . Am Abend saß man im Gartensaal bei der Lampe zusammen . Der Duft tauiger Blumen strömte durch die geöffnete Tür in das Gemach . Beate lag im Sessel und schloß die Augen . Den Tag über einer unruhigen , launenhaften Sinnlichkeit dienen , das macht müde . Mareile sang . Ihre Stimme klang hoheitsvoll und wunderbar erregend durch die alten , tiefberuhigten Räume . Günther lehnte in der Türe und sah auf die Rosenbüsche hinaus , die schwarz und regungslos im Mondlichte standen . Er war bewegt wie ein Knabe . Die beiden schönen Frauen , die Musik , die Mondnacht . All das machte ihn unruhig . Er hätte gewollt , daß auch Mareile ihn liebte , oder , daß auch er so singen könnte , oder – er wußte es selber nicht .
Die frischgemähten Stoppelfelder glitzerten unter der grellen Herbstsonne , die Ebereschenallee war rot von Beeren , im Schloßgarten flammten die Gladiolen , Stockrosen und Georginen . Es war Zeit , die Hühnerjagd zu eröffnen . Beckmann stand auf der Freitreppe , schützte mit der Hand die Augen und sah die Landstraße hinab , ob von der Station der Besuch käme . Der Gartensaal füllte sich mit den gewohnten Gästen . Die Fürstin Elise Kornowitz mit ihrer
gelehrten Gesellschafterin , dem Fräulein von Mikewitz , der Verfasserin eines Buches über „ Die Stellung der Frau bei den Römern “ , langten an . Die Fürstin war ein kleines , gutes Wesen . Das feine Gesichtchen weiß von Puder . Die ganz hellgrauen Augen sahen ein wenig müde unter der Wolke blonden Haares hervor . Sie trug das Haar , wie Charlotte von Stein es zu tragen pflegte , denn sie glaubte ihr zu gleichen . „ Im Äußeren und in manchem anderen , “ liebte sie zu sagen . „ Bin ich dein Goethe ? “ fragte ihr Gemahl sie mit seinem ironischen , freudlosen Lächeln . „ O nein , “ meinte die Fürstin , „ mein Goethe ist Mareiling . “ Der Fürst Kornowitz kam allein . Er reiste immer allein . „ Reisen macht unliebenswürdig , “ behauptete er , „ und geteilte Unliebenswürdigkeit ist doppelte Unliebenswürdigkeit . “ Einige Offiziere füllten den Gartensaal mit leisem Sporenklirren und dem Duft Attkinsonscher Parfüms und feinen Juchtenleders . Die Grafen Egon und Botho Sterneck von den ersten Gardeulanen , Seiner Majestät schönste Offiziere ; der Major von Tettau . Er rollte seine hervortretenden , fayenceblauen Augen , als sei ihm der gelbe Kürassierkragen zu eng , und versteckte unter dem großen , militärischen Schnurrbart ein kleines , gefühlvolles Mündchen . Leutnant von Remm , von den Königshusaren , klein und blond , errötete wie ein Primaner . Die Gräfin Blankenhagen , die die schönsten Arme der Gegend hatte , war zu Pferde vom Nachbarsgut herübergekommen . Frau von Scharf mit ihrer Agnes kamen ohnehin zu jeder Jagd , denn für Agnes , mit den blauen Marlittaugen , mußte eine Partie gefunden werden .
Als Mareile in den Gartensaal trat , verbeugten sich die
Herren sporenklirrend , sie hatten dabei alle ein blankes Flackern in den Augen . Major von Tettau murmelte : „ Donnerwetter “ und zog seinen Mund süß zusammen , als schlürfte er Marasquino . Mareile grüßte flüchtig und zerstreut . Sie lächelte der Fürstin Elise entgegen und tat , als sehe sie nur diese , aber all die begehrenden Männerblicke erregten ein wohliges Gefühl in ihr , als stände sie unter einer warmen Dusche .
Günther war sehr angeregt . „ Gut , daß sie alle da sind . Wir wollen ihnen mal zeigen , was ’ ne Ehe ist , “ sagte er zu Beate .
Es war Hühnerjagd angesagt .
Hans Berkow ging durch die tauigen Stoppelfelder dem Schlosse zu . Er dachte über Mareile nach .
Die machte ihn krank , da unter all den Männern , die auch nur sie begehrten . Und dazu dieses adelige Leben , mit seinen festen , kalten Schranken . Ja , sich einmal , wie die Burschen unten im Kruge , um sein Mädchen raufen zu dürfen , das müßte gut tun !
Vor der Freitreppe des Schlosses waren die Jäger , Waldhüter und Hunde versammelt . Oben standen die Damen , feine Figürchen , die sich bunt von dem alten , sonnbeschienenen Portal abhoben . „ Hübsch , “ dachte Berkow . „ Stil bis zu den Hunden . Dafür lassen diese Leute sich in Stücke hauen … und das steigt der Mareile zu Kopf . Verdammt . “
Günther kommandierte sehr laut , angeregt von all den Menschen , Hunden , von all dem Lärm und Licht um ihn
her . „ Egon bitte hier hinauf . Sie , meine Herren , hier bitte , Mankow , zeig’ den Weg . Renne in die Kartoffeln . Das Frühstück im Eichenwäldchen. Gut Heil ! Sanho bei Fuß . “
Günther und Berkow schlenderten quer über ein Stoppelfeld . „ Hör ’ , Hans , “ sagte Günther , „ ist der Egon Sterneck dir bei der Mareile nicht ein wenig vor ? “
Hans blieb stehen . „ Weißt du , mein Lieber , daß ihr , mit eurer Schloßerziehung , dieses Mädchen unnütz kompliziert habt ? Ja , ihr habt die eigentliche Mareile gefälscht . Möglich , daß sie ’s jetzt für ein Glück hält , in euer adeliges Regiment eingestellt zu werden ; aber die wahre Mareile kann das nicht wollen . “
„ Die will Hans Berkow ? “
„ Ja … und siehst du , ihr Blut – – das prachtvolle , wilde Plebejerblut , das spricht für mich gegen Sterneck . “
Jetzt stand Sanho , und ein Volk Hühner schwirrte auf . Die Herren schossen ; dann trennten sie sich . Hans pfiff ärgerlich seinem Hunde und streckte sich am Feldrain aus . –
Hans Berkow hatte sich studiert , wie ein geistreicher Diener seinen Herrn studiert . Er kannte seine starken und seine schwachen Seiten und all seine Mittel . Kühl und klug hatte er es stets verstanden , seine großen Appetite zu befriedigen . Hier , vor Mareile , wurde er mutlos ; sie schien etwas zu sein , das nicht für ihn bestimmt war , und doch hatte er im Leben noch nichts so stark begehrt , wie dieses Weib . Verteufelt auch !
In dem Wäldchen war der Frühstückstisch gedeckt . Die Damen trugen alle helle Sommerkleider . Die Gräfin Blankenhagen in Gelb , die schönen Arme entblößt , Agnes
Scharf , das Kind , in Rosa , die Fürstin Elise in Mattviolett . „ Wie eine Roggengarbe voll bunter Unkräuter sieht die Gesellschaft aus , “ sagte Günther . Mareile saß zwischen Egon Sterneck und dem Fürsten Kornowitz . In einem blau und rosa Musselinkleide , auf dem Strohhut blau und rosa gestreifte Rosen , „ Cibò-Rosen “ , wie sie im Modeblatt hießen , war ihre Schönheit heut wieder unmittelbar einleuchtend . Die Haut hatte einen warmen rosigen Ton , in den sich etwas wie Gold mischte . Die tokayerbraunen Augen strahlten . Jeder Mann , der Mareile ansah – bis zu den Waldhütern – , mußte lächeln . Sterneck unterhielt sie . Er sprach beständig mit einer eigensinnigen , gewaltsamen Liebenswürdigkeit , als wollte er keinem anderen Zeit lassen , Mareile anzureden . Der Fürst saß schweigend da , die trüben Augen teilnahmslos in die Ferne gerichtet , als warte er geduldig und kummervoll auf etwas .
Es war köstlich unter dem sonnenwarmen Laubdach . Lichtfunken und Blätterschatten zitterten über die Tafel hin . Große Hummeln verirrten sich in die Gläser . Baumblüten fielen in den Wein und in die Haare der Damen . Alle fühlten sich freier , einander näher , als drüben im Schloß .
Günther unterhielt sich mit der Gräfin Blankenhagen , die heute besonders wild mit ihm kokettierte . Er mußte jedoch immer wieder zu Mareile hinübersehen . Wenn die anderen einem schönen Mädchen den Hof machten , verstimmte es ihn , nicht mehr dabei , ausrangiert zu sein .
Nach dem Frühstück sollten die Damen die Herren in das Feld begleiten . Egon Sterneck nahm , als verstände es sich von selbst , Mareile für sich in Beschlag – – – und
Hans Berkow fand , daß Mareile das auch selbstverständlich fand . Ihm war der Jagdtag verdorben . Immer mußte er auf dem Felde den bunten Fleck von Mareilens Kleide neben Sternecks hoher Gestalt sehen . „ Also – sie will doch in die gräfliche Zwangsjacke ! “ knurrte er . – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Am Abend war großer Ball . Mareile hatte sich eben in ihrem Stübchen angekleidet , ein erdbeerfarbenes Kreppkleid mit schwarzen Stiefmütterchen und dunkelroten Rosen „ Sultan von Zanzibar “ . Jetzt rauschte sie die Treppe zur Inspektorswohnung hinunter . Sie wollte ihre Mutter abholen .
In der Wohnstube herrschte Dämmerung . Vater Ziepe stand am Ofen und lachte , wie er zu lachen pflegte , wenn er die Mutter ärgern wollte . „ Na , unsere Balldamen sind parat . Mutter hat sich schon seit einer Stunde dekolletiert – um mit dem Kandidaten Halm unten am Tisch zu sitzen . Die Ehre. Ha – ha . “
Mareile stand schweigend da , eine helle Gestalt , an der es seidig rauschte , leise – wie Gold – klingelte , süß duftete . Die beklommene Luft dieser Stube , in der es nach des Vaters garen Kartoffeln roch , die zankende Stimme , der säuerliche , trübe Werktag , schlugen ihr wie etwas Unreines , Feindliches entgegen , das sie und ihr Kleid beflecken wollten und denen sie entfliehen mußte . „ Komm , Mareiling , “ sagte die Mutter , „ mit dem is heute wieder nicht zu reden . “
Für die heutige Gesellschaft waren die Festräume des alten Flügels geöffnet worden : das Eßzimmer mit der Schäferszenerie an den Wänden , der grüne Bildersaal , der
auf den Wintergarten hinausführte , und der große Ahnensaal . Neben der Baronin saß die Gräfin Hochau und beobachtete mit ihrem strengen , blanken Gesicht Irma Blankenhagen , die mitten im Saal mit Egon Sterneck sprach .
„ Aha , “ meinte sie , „ es scheint endlich dazu zu kommen . “
„ Wir wollen es hoffen , “ sagte die Baronin .
Mareile trat in den Saal . Egon wandte sich sofort von seiner Dame ab und ging auf Mareile zu .
„ Das also ist Ihr Erzug , Liebe , “ sagte die Gräfin Hochau und musterte Mareile . „ Hm – charmant ! Ja – diese Damen richten viel Unheil an … das kennt man . “
„ Meine Mareile ist doch ganz anders , “ erwiderte die Baronin .
„ So ! Freut mich . Solche Aufzöglinge gelingen sonst selten , “ meinte die Gräfin .
Zum Diner führte der Hauptmann Tettau Mareile . Egon saß ihr gegenüber – mit Irma Blankenhagen . Er unterhielt sich jedoch nur mit Mareile . Das hübsche Gesicht mit seiner ein wenig starren , nordischen Regelmäßigkeit war heute erregt wie das Gesicht eines glücklichen Knaben . Die übrige Gesellschaft fühlte , daß sich hier etwas ereigne . Die Unterhaltungen wurden zerstreut . Ein jeder wollte diese beiden beobachten , die sich so kameradschaftlich miteinander beschäftigten und taten , als wären sie allein . Agnes Scharfs Augen werden immer größer , indem sie Mareile anschauten , und ihr rosa Gesicht nahm einen andächtigen Ausdruck an , als hörte sie einer Liebespredigt zu . „ Sehr rassig , das Fräulein Cibò , “ schnarrte Leutnant von Themm neben ihr . „ Rassig ? Himmlisch wollen Sie sagen , “ erwiderte Agnes verträumt . Themm errötete . „ Ja – hm – natürlich , “
murmelte er und merkte dabei , wie die Verliebtheit in die rassige Dame ihm die Kehle zuschnürte . Unten am Tische saß Frau Ziepe neben dem Kandidaten Halm . Beide schauten Mareile feierlich und schweigend an , als wären sie zu diesem Schauspiel eingeladen und genössen es jetzt still und glücklich .
Nach dem Speisen wurde getanzt . Günther als Tanzleiter war unermüdlich . Er führte die Quadrillenpromenade die breiten Treppen auf und ab und ließ auf einer Galerie ein jedes Paar vor Frau Bias , der alten Gärtnersfrau , und Frau Mandelkoch , der Mamsell , die dort schläfrig beieinandersaßen , eine Verbeugung machen . Dann mußten alle in den Garten hinaus , in die stillen , mondbeschienenen Gänge , an den schlafenden Blumenbeeten hin . Die weiße Feierlichkeit der Mondnacht strich erregend über die nackten Schultern und Arme , stieg allen wunderlich zu Kopf . Man wurde schweigsam auf diesem Gange zwischen den Tuberosen und Gladiolenbeeten , hie und da erscholl ein hysterisches Frauenlachen , Agnes Scharf bekam einen Weinkrampf , die Gräfin Blankenhagen ließ sich in einem Schattenwinkel von Botho Sterneck küssen . Egon Sterneck wich nicht von Mareilens Seite , und das erschien heute wie selbstverständlich ; das schöne Paar , das sich rücksichtslos in die Augen sah , war der beredte Ausdruck der Stimmung dieses Abends . „ Der Tarniff versteht sich auf die Behandlung der Gesellschaftsnerven , “ sagte der Graf Blankenhagen , der trotz seines weißen Kaiser-Wilhelm-Bartes mit Beate die Quadrille tanzte . „ Sie Göttliche ! “ sagte Agnes Scharf und umarmte Mareile so leidenschaftlich , als sei Mareile die Liebe in Person .
Mareile ließ sich von diesem Strom der Bewunderung
willig tragen . Sie fühlte ihre eigene Schönheit von sich ausstrahlen , wie etwas Erwärmendes und Beglückendes . Das Fazit des Abends konnte ja morgen herausgerechnet werden ; heute war Feierabend .
Als Hans Berkow sich mit Mareile zu einem Konter niedersetzte , sagte er sich : „ Jetzt muß es sein . So ist’s zu dumm . Sie wird ’s schon spüren , daß ich anders wirklich bin , als all diese stilisierten , adligen Gespenster . “ Ihnen gegenüber tanzte der Fürst Kornowitz mit der Gräfin Blankenhagen . Als sie sich zur ersten Figur erhoben , sagte Hans kurz :
„ In der nächsten Pause frage ich Sie etwas . “
Als sie wieder saßen , sagte Mareile : „ Und Ihre Frage , Herr Berkow ? “
„ Ja so – die Frage ! “ Hans begann lässig mit niedergeschlagenen Augen : „ Ich schicke also voraus , daß ich Sie liebe . Es fragt sich nur – ob – ob , “ er blickte zur Decke auf , suchte nach einem Ausdruck , ließ sich Zeit , „ ob Sie das wissen , – ob Sie das so gewollt haben ? “
„ Ja – wissen Sie das denn auch sicher , “ fragte Mareile freundlich . Sie war nicht überrascht . Es war , als müßten heute alle ihr von Liebe reden . Hans zuckte die Achseln : „ Mein Gott ! so etwas merkt man ! Unsere Leidenschaften fallen uns an . Wir können nichts dafür . Vielleicht ist ’s dieses Mal etwas Gutes , das Gute , das mich angefallen hat und so … “
Er sprach jetzt leise und eindringlich ; er schaute Mareile dabei bittend an , wie jemand , der in Not ist . „ Ich bin sonst mißtrauisch gegen Gefühle , aber dieses Mal … “
Mareile fühlte , daß er sie ansah , daß er sie zwang , aufzuschauen ,
und dann erschütterte der Ausdruck der blauen Augen sie , die so gierig ihre Gestalt tranken . Sie machten Mareile sprach- und hilflos . Es war ihr , als müßte sie mit beiden Händen nach ihren Kleidern fassen , sie halten , um nicht nackt vor diesem Blicke dazustehen .
„ Das müssen Sie doch gewollt haben , “ sagte Hans leise .
Mareile schwieg noch immer . Vor diesen heißen Augen wurde ihr feierlich zumute . „ Wir – wir beide miteinander werden anders frei sein , als die – hier , “ setzte Hans hinzu .
„ Das ist aber zu arg ! “ rief die Gräfin Blankenhagen . „ Ich bitte zu tanzen . Es ist hier keine Route . “
Als Mareile sich erhob , sagte sie – und ihre Stimme klang , als empörte sie sich gegen etwas : „ Frei ! Warum muß man frei sein ? “ Dann tanzten sie .
Der Tanz war zu Ende . Mareile eilte in den Wintergarten hinaus . Aus dem Palmenhause nebenan strömte eine heiße , duftschwere Luft herein . Mareile setzte sich auf eine versteckte Bank , die Phönixpalmen und Rhododendron umstanden . Sie fühlte sich seltsam ergriffen . Vor den Blicken und den Worten dieses Mannes war etwas in ihr geschmolzen . Verlangen und Widerwille kämpften in ihr und machten sie unglücklich . „ Nein – nein – das nicht ! “ murmelte sie . Sie lehnte den Kopf in die Blüten der Rhododendren zurück und schloß die Augen . Sie sah Egon Sternecks Gesicht vor sich , die stahlblauen , von ihr begeisterten Augen . Hier waren keine schwülen Rätsel ; nur sicheres Besitznehmen . Wer beschützt sein , wer fest und hoch stehen wollte , der mochte es bei den Augen gut haben . Dann mußte Mareile die Augen aufschlagen . Es war ihr , als sei jemand da und sähe sie an .
Der Fürst Kornowitz stand vor ihr und schaute mit seinen müden , wartenden Augen auf sie herab .
„ Hat Sie die Erklärung des Malers so stark ergriffen ? “ fragte er mit seiner leisen , heiseren Stimme .
„ Wissen Sie davon ? “
„ So etwas sieht man . “
Mareile lächelte : „ Natürlich ! Wenn man uns von Liebe spricht , das ergreift uns immer . “
Der Fürst setzte sich zu Mareile . „ Ja – ja , “ meinte er , „ natürlich , diese – jungen Herren sprechen Ihnen – von Liebe – natürlich . Und dann ist es vielleicht der eine oder der andere – und es kommt so ’ ne brave Verlobung zustande – nicht wahr ? “
„ Gewiß ! “ Mareile errötete . „ Ich will nichts anders , als eine brave Verlobung . Ich will eingereiht werden und beschützt werden , und in Reih und Glied stehen . Für die Ausnahmsgöttin , die Sie aus mir machen , bin ich viel zu feige , vor der fürchte ich mich . Ja , so ist es , lieber Freund . “
Der Fürst lachte tonlos in sich hinein . „ Ja , Sie sind klug . Sie wollen wie die andern sein . In Reih und Glied , was ? Fürchten sich vor sich , wie ? Na , Sie werden schon den Mut zu Ihren Torheiten finden . Denken Sie dann an mich . Ich bin ein alter Kerl , ich habe Sie verpaßt . Nichts zu machen ! Aber Sie haben mir ja erlaubt , Ihnen zuweilen zu sagen : ‚ Ich liebe Sie – ich liebe Sie – ich liebe Sie ! ‘ Ein kleines Almosen . Und – wer weiß – nach den großen Torheiten – wer weiß . Ich warte . “
„ Gott schütze mich ! “ sagte Mareile tonlos . Dann wurde es still in der Laube . Mareile lehnte sich zurück , griff fest in
die roten Blüten der hinter ihr stehenden Büsche , wie um ihre Hände zu kühlen , während der Fürst sie ansah – das Gesicht fahl , die Züge messerscharf , wie bei einer Leiche , die Augen , unter den schweren Lidern , vom Alter verschattet und getrübt .
Nebenan , hinter den Palmen , wurden Schritte vernehmbar . Die fette Stimme des Majors von Tettau sagte : „ Du wirst zugeben , mon cher , daß du weder so jung bist , noch so situiert , um dich bei jeder , na – sagen wir beauté , so ins Zeug zu legen . “
„ Bitte , “ erwiderte Egon Sternecks Stimme leise und gereizt . „ Darf ich fragen , was dich das … “
„ Angeht , was ? “ ergänzte Tettau . „ Na , älterer Kamerad , Verwandter . “
„ Was willst du ? “
„ Reg dich nicht auf ! “ knarrte Tettau .
„ Ich sag ja nichts . Charmante Dame , Künstlerin . Ich bin der erste , der da huldigt . Aber du affizierst dich heute so , man könnte denken – – “
„ Nun und ? “ brummte Sterneck .
„ Noch eine Frage , erlaube , “ fuhr Tettau fort . „ Kann der älteste Sterneck ein Fräulein Cibò oder Ziepe heiraten ? Nein – also ! Erlaube , ich bin gleich fertig . Du froissierst die Komtesse Irma und die Gräfin , und das geht nicht , das weißt du . Zuerst die Familie und das Regiment , dann die kleinen Passionen . Unsereiner wird nun mal mit der Kandare im Maul geboren . “
„ Ach ! Laß mich zufrieden ! “
„ Sofort . Also , mein Sohn , abgeschwenkt , es ist die höchste Zeit . Unsereiner muß Order parieren . “
Mareile war aufgestanden , bleich bis an die Lippen , die festgeballten Hände voll roter Blumenblätter . An der Saaltür mußte sie stehen bleiben , weil die Leute sich dort drängten .
„ Fräulein Mareile , “ sagte jemand neben ihr . Es war der Kandidat Halm . Seine Augen glitzerten erregt hinter den Brillengläsern und er errötete . „ Fräulein Mareile , wollen Sie nicht mit mir einen Walzer versuchen ? Sie wissen doch noch , ich walze – gut . “
„ Ach nein , “ sagte Mareile böse .
Halm rang vor Verlegenheit die Finger ineinander , daß sie knackten . „ O ! entschuldigen Sie . Natürlich – sehr natürlich . “
Mareile wandte sich ab und ging . Sie ertrug all das nicht länger . Oben in ihrem finstern Stübchen atmete sie auf . Die Stille tat gut . Durch das geöffnete Fenster kam die Nachtluft und kühlte Mareiles nackte Schultern . Der Mond stand zwischen großen , goldgesäumten Wolken und ließ alle Edelsteine an ihr aufblitzen , als sie jetzt mit leisem Rauschen vor ihrem Bette niedersank und weinte . Und deutlich klang ihr wieder Hans Berkows leise , leidenschaftliche Stimme in den Ohren : „ Wir beide . Wie frei würden wir sein ! “ –
Am nächsten Morgen schaute Mareile trübselig auf den Hof nieder . Hinter dem Gartengitter , auf dem Tennisplatz , regten sich Herren in hellen Anzügen , Damen mit weichen , bunten Kappen auf den Köpfen . Das „ out “ und „ play “ der Spielenden klang lustig herüber . Nein ! zu denen konnte sie jetzt nicht . Sie grollte ihnen . Ein kleiner Wagen hielt vor dem Schloßtor . Von Günther geleitet , trat eine blaue
Gestalt auf die Freitreppe hinaus . „ Egon – Sterneck . Er fährt zur Station , “ dachte Mareile . Sie mußte sich abwenden . „ Er pariert Order , “ sagte sie kummervoll vor sich hin . Ein unerträgliches Gefühl der Demütigung machte sie krank .
Am Nachmittage wurde ein Spazierritt nach dem Walnösee unternommen . Auf einem Hügel machte die Gesellschaft halt und lagerte sich unter den großen Tannen . Unten lag der See , ein rundes Wasserbecken , schwarz und regungslos . Es wollte nicht recht heiter werden in der Gesellschaft . Auf allen Gesichtern zeigte sich ein ruhevolles Sinnen .
„ Wollen wir wenigstens singen , wenn wir uns nichts zu sagen haben , “ sagte Günther , der solche Stimmungen nicht liebte : „ Also , Verlassen , verlassen – “
Verlassen bin i –
Wie der Stein auf der Straße ;
Kein Mensch mag mi ni .
Das war das Rechte . Alle sangen mit . Diese Klage tat ihnen wohl . Der See begann zu dampfen ; straffgezogene Nebelstreifen hingen über dem Wasser . Rehe , von dem Gesange erschreckt , flohen leidenschaftlich bellend in den Wald . Mareile saß am Rande des Abhanges , die Hände im Schoße gefaltet , die Augen voller Abendschein , und um sie her der Fürst , Remm , Tettau , Berkow . Alle dachten nur an sie , fühlten nur sie . Günther seufzte : „ Ach ja , das gehört dazu ! ein Mädchen , das uns betrunken macht . “ Warum zählte er nicht auch noch mit !
Auf dem Heimwege ritt Hans Berkow neben Mareile her . Im Walde dämmerte es bereits . Über den zerzausten Föhrenwipfeln hing ein Stück Mond im bleichen Himmel .
„ Ich spreche natürlich wieder von – von meiner Liebe , “ begann Berkow sofort . „ Ist Ihnen das unangenehm ? “
Mareile lächelte , aber es schien Berkow , als läge in diesem Lächeln etwas wie Kummer . „ Ach , Herr Berkow , Sie wissen doch , wir haben einander immer widersprochen . Ich glaubte , wir sind fast – so was – wie – wie Feinde . “
Berkow trabte eine Weile schweigend vorwärts , dann lachte er .
„ Die Gesellschaftsdame der Fürstin Elise , das Fräulein von Mikewitz , ist doch sehr gelehrt ? “
Mareile schaute verwundert auf . „ Wie kommen Sie auf die arme Mikewitz ? “
„ Daß sie die arme Mikewitz ist , wußte ich nicht , “ sagte Hans , „ aber gelehrt ist sie . Sie macht gelehrte Vergleiche . Gestern sagte sie : ‚ Der Major tanzt wie ein Mylodon . ‘ Mylodon soll ein Faultier der Tertiärperiode sein . “
„ Warum erzählen Sie das – – jetzt – so – “
„ Weil ich auch einen Vergleich wie Fräulein von Mikewitz machen möchte . “
„ Nun ? “
„ Also . Es gibt zwei Stoffe . Wasserstoff und Sauerstoff . Gut . Also diese beiden vertragen sich nicht . Kommen sie zusammen , so bleiben sie in so starker Spannung , daß sie einen sehr explosiven Stoff abgeben . Leitet man nun einen elektrischen Funken durch sie hindurch , dann explodieren
sie zwar , vereinigen sich jedoch zu einem kristallhellen , stillen Wassertropfen . “
Mareile sagte nichts . Sie waren an den Park von Lantin gekommen .
„ Was sagen Sie von meinem Gleichnis ? “ fragte Hans .
„ Gut ist es , “ erwiderte Mareile und reichte ihm ihre Hand hinüber : „ Gute Nacht . “
Hans hielt die kühle Hand fest , die wie kraftlos in der seinen lag . Er sah Mareile in das mondbeglänzte Gesicht , in die Augen mit dem schmelzenden Glanz , den Mädchenaugen annehmen , wenn das Gefühl den Willen übermannt . Er mußte lachen , so stark schüttelte ihn ein plötzliches Triumphgefühl . „ Fräulein Mareile , “ begann er , aber schon schnaufte Leutnant von Remms Stute hinter ihnen .
Am Vormittage saßen einige Damen unter der maurischen Bogenhalle im Garten und machten Handarbeit . Leutnant von Remm pendelte unablässig zwischen den Damen und der Lindenallee hin und her , wo Mareile und Hans Berkow schon eine Stunde lang auf und ab gingen .
„ Jetzt ist’s geschehen , “ meldete er .
„ Was ? So sagen Sie doch , “ drängte Agnes von Scharf .
„ Er hat ihr die Hand geküßt , “ meinte Remm und setzte sich bekümmert auf die Gartenbank .
„ Sein Sie nicht tragisch , Remm , “ sagte die Gräfin Blankenhagen , „ Fräulein Cibò kann doch nicht auf alle Leutnants Rücksicht nehmen . Ich finde unseren Maler sehr nett . “
„ Das muß so kommen , “ dozierte Fräulein von Mikewitz .
„Wenn auf sieben Meilen im Umkreise nur ein männliches und ein weibliches Individuum einer bestimmten Gattung , sagen wir einer Schneckenart , existiert , so finden sie sich doch zusammen . Die Natur will es . So auch hier . “
„ Das Fräulein wird mit ihren gelehrten Vergleichen jedesmal unpassend , “ flüsterte Frau von Scharf der Gräfin zu . –
Auf dem Schlosse war es stille geworden . Mareile und Hans Berkow waren die einzigen Gäste . Die Ziepes hatten dem Brautpaar ein Festessen gegeben . Es war schon spät , als Mareile und Hans aus der Inspektorswohnung auf den Hof hinaustraten . Sie atmeten tief auf . Die kleinen Zimmer waren so voll von Speisen und erhitzten Menschen gewesen . Die Mondnacht war sehr hell . Vom Garten duftete es süß herüber . Die Feldgrillen schrillten in den Stoppeln und vom Teiche scholl das verträumte Plaudern der Enten herauf . In der Lindenallee gingen Günther und Beate langsam auf und ab . „ Famos ! “ rief Günther dem Brautpaare zu . „ Kommt , wir machen eine Nachtrunde . “ Mareile und Beate faßten sich um die Taillen und gingen den Wiesenpfad entlang . „ Eine Zigarre , mein Alter , bitte , “ sagte Günther . „ Also – wie – wie – wie bekommt es dir ? “
Hans hob den Kopf , als wollte er den Rauch seiner Zigarre dem Monde in das Gesicht blasen .
„ Danke – gut . Außerordentliche Wesen , diese unsere Damen . Was die nicht alles an uns für wirklich halten ! Was ? “
„ Na , wir sind doch auch wirklich genug , “ meinte Günther .
„ So ? Ja – o ja ! Aber da ist doch wieder manches wirklich , an das sie nicht glauben ; in uns nämlich . Wie der Mond , kehren wir unseren Frauen immer nur eine Seite unseres Wesens zu . “
Günther wurde ungeduldig . „ Eine Seite ! Ist das nicht genug ? Und wenn ’s noch die helle ist . Auswendig brauchen die Frauen uns doch nicht zu wissen . Das unnütze Grübeln ! ’ne Frau hat man über sich ergehen zu lassen wie die Dusche oder das Schicksal , nur dann wirkt sie . “
Sie waren bis an das Eichenwäldchen gelangt . Mitten darin lag eine kleine Lichtung , ganz mondbeglänzt .
„ Ein Saal , “ rief Günther . „ Was könnten wir hier Besonderes tun ? Etwas schwören ? Nein , den Halmtanz tanzen ! Du weißt , Hans , als wir jung waren , liebte der Kandidat Halm die Mareile . Natürlich . Zu ihrem Geburtstage hatte er ein altes Tanzlied komponiert , sehr hübsch … und wir tanzten den Halmtanz danach . Also . “
Sie faßten sich an den Händen und drehten sich im Kreise , dazu sangen sie :
„ Springen wir den Reihen ,
Nun Dame mein !
Freuen uns des Maien ,
Der bei uns kehrt ein !
Der Winter , der der Heide
Brachte arge Not ,
Ist ja nun vergangen ,
Wonnig ist sie umfangen
Von Blumen rot ,
Von Blumen rot . “
Rauschend flogen die Krähen auf , die in den Kronen der Eichen geschlafen , und die Nachtraben klatschten mit ihren Flügeln . „ Sie klatschen Beifall , “ meinte Günther .
Als man sich trennte und Hans nach Lantin zurückwanderte , nahm Günther seine beiden Damen unter den Arm und zog dem Schlosse zu . An jeder Seite eines dieser schönen Wesen , die Welt blau von Mondlicht – besser wünschte er es sich nicht . Unter den Klängen von Kandidat Halms Tanzliede marschierten sie über die hellbeschienene Landstraße .
„ Springen wir den Reihen –
Nun Dame mein –
Freuen uns des Maien . “
Siebentes Kapitel
Helle Spätherbsttage . Gelb lag der Sonnenschein auf den bunten Bäumen . Unten im Obstgarten wurde die Äpfelernte vorgenommen .
Günther war abwesend .
Beate hatte sich ihren Sessel in den Obstgarten stellen lassen , wo die Sonne noch schön wärmte . Sie war guter Hoffnung und schwerfällig geworden . So saß sie gern ruhig da und sann dem Wunderbaren nach , das in ihr vorging . Vor sich sah sie ihre Mutter bei den Mägden sitzen , welche die Äpfel in große Kisten packten , und Seneïde , die ihre langen , schwarzen Arme emporstreckte , um die Körbe in Empfang zu nehmen . Der Wind trug Obstdüfte zu Beate herüber . Wenn sie emporschaute , war der Himmel hellblau und voll segelnder Sommerfäden . Alles , was sie erlebt , schien ihr dann so ferne . Es war ihr , als sei sie noch das kleine Kaltiner Mädchen und wartete friedlich auf das Schöne , das im Leben für sie bereit lag . Doch dann faltete sie plötzlich die Hände und in ihren Augen erwogte ein angstvolles Flackern . Das war die Todesfurcht , die sie jetzt zuweilen erfaßte . Seneïde kam und setzte sich zu ihr .
„ Wie geht es , Beating ? Du machst solche Augen ? “
„ Ich dachte – wenn – wenn ich das Kind nicht erlebe – wenn … “
„ Was tut das , “ sagte Seneïde heiter . „ Eine Mutter , dort oben bei Gott , kann vielleicht mehr für ihr Kind sorgen , als wir hier … “
Natürlich ! Tante Seneïde ließ auf den Tod nichts kommen , das wußte man !
Jenseits des Zaunes begannen die Stoppelfelder schon rot zu werden in der Abendsonne . Die weidenden Gänse zogen schnatternd heim , und von den Wiesen wehte es feucht herüber . „ Beating , geh hinein ! “ rief die Baronin .
Am Abend kam das Zusammensitzen im Wohnzimmer , die Gespräche über die Gravensteiner Äpfel , über Pastors und Ahlmeyers , über die Gänse und die Zeitungen , und alles bekam in diesen Gesprächen einen kleinen , friedlichen Nimbus . Die Meierin kam und berichtete vom Vieh : Kora hatte gerindert , Malo zum ersten Male gekalbt . Um zehn Uhr war die Abendandacht . Die Mandelkoch erschien mit ihrem strengen Pensionsvorsteheringesicht ; Lisette , die Kammerjungfer , die Mägde . Sie brachten etwas von der feuchten Herbstluft in den schweren , wollenen Kleidern mit und standen schläfrig da , während Seneïde das Gebet vorlas mit ihrer singenden , erregten Stimme , wie ein schwärmerisches Wiegenlied für die arbeitsmüden Leute .
Als Beckmann die Lampen im linken Flügel anzündete und Beate still und bleich im Gartensaal saß und auf Günthers Rückkunft wartete , schien es ihr , als beginne jetzt wieder eine Arbeit , zu der sie sich ein wenig müde fühlte . Und dann war Günther da . Die helle , laute Stimme tönte durch das Haus . „ Das ist hübsch ! So ’ne Frau , die einen erwartet , das ist ja ’ ne raffinierte Erfindung ! “ Draußen in Berlin hatte er sich neue Begeisterung für die „ Heiligkeit “ von Kaltin geholt , meinte er .
Eifrig machte er sich nun an das Familienleben . Er wußte genau , wie er sein wollte . „ Hör , Beating , “ sagte er beim Frühstück , „ meine Leute sollen nicht im alten Flügel bei der Andacht schmarotzen . Ich werde selbst eine Andacht halten . Ja – ich werd’ selbst eine schreiben , du sollst sehen . “
Am Vormittage ging er auf die lebhaftesten Arbeitsplätze , dort , wo es nach feuchtem Stroh , nach Teer und Fettstiefeln roch , wo er das Brummen der Maschine überschreien mußte und Augen , Nase und Haar voller Staub bekam . Das gab dann für den Abend eine angenehme Müdigkeit . Er streckte sich im Gartensaal in einem Sessel aus , sehr zufrieden mit sich selbst . „ Erzähl , Beating , “ sagte er zu seiner Frau , „ wenn du erzählst , riecht es gut wie nach weißem Flieder von Pinaut , wie deine Sachen , du erzählst so reinlich . “
Beate mußte früh zur Ruhe gehen . Günther saß noch in seinem Zimmer auf . Er las ein landwirtschaftliches Buch und warf es bald fort . Dann begann er eine Liste landwirtschaftlicher Reformen zu entwerfen . Auch das wollte nicht recht gehen . Endlich begann er die Andacht für seine Leute zu schreiben , allein es fiel ihm nichts Erbauliches ein . An den Fenstern klagte der Wind ; im Hause war es still . Wie einsam das war ! Es war Günther plötzlich , als fühlte er in dieser Nachtstunde , wie kostbare Augenblicke seines Lebens leer und ereignislos verrannen . Nein ! das war nicht zu ertragen ! Er mußte sprechen hören . Er rief Peter , der sollte ihm zuhören , ihn bewundern , ihn unterhalten .
Im Dezember fiel Schnee . Eines Morgens war das Land weiß . Die Gebäude , Zäune , das Ackergerät , alles hatte sich über Nacht mit weißen Puffen und Säumen geschmückt . Die Wohnräume erschienen größer und wie festlich im klaren , kalten Schneelichte . Das Leben im Schlosse war sehr still geworden . Es herrschte die Ruhe eines Krankenzimmers , denn Beate trug schwer an ihrer Schwangerschaft . Günther ging unruhig ab und zu . Seine Frau bleich und entstellt , wie zu einem grausamen Opfer ausersehen , vor sich zu haben , das quälte ihn . Rührung , Aufregung – gut ! das gehört zum Leben , aber dieses Mitleid , das an uns nagt , wie eine Krankheit , wozu das ? Warum konnten solche Dinge nicht schön und heiter vor sich gehen ?
Eines Abends saß die Familie , recht schweigsam , im Gartensaal beieinander . Günther machte Ringe aus dem Rauch seiner Zigarre und hing seinen unruhigen Gedanken nach . Da erschien Frau Ziepe mit frostroten Bäckchen . Das brachte ein wenig Leben in die schweigsame Stunde . Günther richtete sich angenehm auf . Frau Ziepe hatte einen Brief aus Bordighera von Mareile erhalten , und den wollte sie den Herrschaften mitteilen . Sie machte sich an das Vorlesen :
„ Ich lebe hier ganz still , “ hieß es , „ auf diesem gesegneten Felsen und besinne mich auf mich selbst . Gerade , wenn wir ruhig dasitzen und in uns hineinhorchen , dann erleben wir die seltsamsten Dinge . Nicht wahr ? Ich glaube , ich habe eine ganz neue Mareile entdeckt mit neuen Ansprüchen auf Glück und neuer Kraft für Glück . Daß Hans Berkow dazu nötig war , darüber wundere ich mich zuweilen ; aber das ist
nun mal nicht anders . Wie fern sind die armen Mädchenphantasien ! Hier wird die Seele frei und heiß . Es ist mir , als dürfte ich ein lästiges Kleid abwerfen , weil ich verstehe , daß ich schöner bin als das Kleid . Das klingt wohl alles sehr fremd in Dein armes , liebes Wohnzimmer hinein und Du lächelst über Deine wilde Tochter . “ Frau Ziepe hielt inne , lächelte , dann fuhr sie fort : „ Wie dankbar bin ich der verehrten Baronin und den lieben Schloßbewohnern für alles , was sie an mir getan . Du weißt , wie ich diese von weißen , reinen Schleiern verhangene Welt geliebt habe . Aber die Welt ohne Schleier ist doch mächtiger . Hier bekennt alles sich zu seiner eigenen Schönheit . Das steckt an . Vor mir liegt das Meer , eine Fläche von blau und violetter Seide , schwer mit Gold beschlagen ; aber Seide , die lebt , eine Seele hat , in ihrem Rauschen zu uns spricht . Das regt mich so stark auf , daß ich das Meer wie toll ansinge , es soll nicht allein schön sein . In solchen Zeiten schicke ich Hans fort , ich ertrage ihn kaum , ich muß mit der neuen Mareile allein sein . “ – So ging es noch eine Weile fort und Frau Ziepe las ausdrucksvoll , als trüge sie ein kostbares Stück Literatur vor . Jetzt war der Brief zu Ende . Frau Ziepe schaute glücklich und erwartungsvoll auf . Allein die Damen arbeiteten emsig fort , die Köpfe auf die Stickereien niedergebeugt , und eine Weile sprach niemand . „ Na , “ bemerkte die Baronin endlich , „ sie ist gesund , das ist die Hauptsache . “
„ Ja – ja – ich bin auch so dankbar ! “ murmelte Frau Ziepe . Sie war befangen und enttäuscht . Es war ihr , als stieße sie hier auf etwas Kaltes , Mareile Feindliches . „ Ja , nun will ich wieder gehen , “ sagte sie kleinlaut und schlich
niedergeschlagen über den beschneiten Hof der Inspektorswohnung zu .
Günther schritt im Gartensaale auf und ab . Mareilens Brief erregte ihn ; es wehte ihn daraus so wundersam heiß an . Wie in einer Vision sah er Mareile auf dem Felsen von Bordighera stehen und ein leuchtendes Meer ansingen , und zwar eine seltsam veränderte Mareile , wild , frei , triumphierend , die sich stolz und froh ihrer Schönheit und ihrer Sinnlichkeit bewußt wird . Daß er , Günther , das nicht besitzen konnte ! Der verdammte Hans Berkow !
„ Daß sie so schreiben kann , “ sagte Beate . Seneïde zuckte die Achseln .
„ Und die gute Ziepe liest uns das alles ganz andächtig vor , “ meinte die Baronin .
„ Und das mit dem Kleide , wie unangenehm das klingt , “ bemerkte Seneïde , „ daran ist dieser Herr Berkow schuld . “ Die Damen sahen sich an und lachten .
„ Mir , “ fuhr Günther auf , „ mir gefällt der Brief . Mareile ist ein schönes , starkes Geschöpf , und sie erfreut sich an sich selbst – und an der Welt – und an ihrer Freiheit . “
„ Ich bitte Sie , welche Freiheit ? “ warf Seneïde ein .
„ Nein , lieber Sohn , “ sagte die Baronin . „ So kann man nicht schreiben , das schickt sich nicht . “
Günther schwieg ärgerlich und setzte seine Wanderung durch das Gemach fort . Noch als alle sich zur Ruhe begeben hatten , schritt er sinnend auf und ab . Es war sehr still um ihn , nur die große englische Uhr des Eßsaales sprach zu der kleinen Bouleuhr des Gartensaales herüber . Das Parkett knackte unter Günthers unruhigen Füßen .
Warum hatte er nichts Starkes , Heißes ? Die arme Beate schloß ihre geduldigen Opferaugen gerade vor allem , nach dem er sich jetzt sehnte . Die Luft hier war dünn und kühl . Er wollte Schwüle , wollte etwas , das berauscht . War es denn aus mit dem Erleben ? Ungeduldig und feindlich dachte er an die Frauen hier , mit ihrem vornehmen Verhüllen aller schönen Nacktheit , an die Frau , deren Leib nach jeder Umarmung rein und keusch zu bleiben schien . Konnte das ihn satt machen ! – – Heute mußte er etwas tun , das ihn daran erinnerte , daß er noch jung war . In das Schlafzimmer mit der schläfrigen Ampel konnte er heute nicht hinein . Er trat an das Fenster und zog den Vorhang zurück . Der Vollmond stand am Himmel . Der Schnee flimmerte bläulich . Wie festlich und weit das aussah ! Und da sollte er , Günther , drinnen bleiben , bei den gelben Lampen , und zuhören , wie die gefräßigen Uhren ihm die ungenützten Lebensaugenblicke forttickten ? In solchen Nächten hatte er als Knabe seine ersten Liebesabenteuer unter Peters und Jagdabenteuer unter Mankows Leitung erlebt . Ja ! Das war’s ! Wilddiebsjagd bei Mondschein – wie damals ! „ Peter – Peter , “ rief Günther erregt , „ Hasenjagd im Mondschein , wie früher in Lantin . Wir fahren zu Mankow und seiner roten Eva . Spann den Braunen an . “
Als Günther mit Peter im Schlitten saß und in die Mondnacht , wie in eine blaue Glaswelt , hinausfuhr , da packte ihn die Jugendlust so stark , daß er Peter an den Pelzkragen faßte und rüttelte : „ Daß du dich nicht unterstehst , alt und schläfrig zu sein . “
„ Ich – schon nich’ – Herr Graf , “ meinte Peter .
Im Trabe ging es durch das schlafende Dorf . Hunde schlugen an , aber klagend , nicht böse , als hätte das Mondlicht auch sie gefühlvoll gemacht .
Der Schlitten bog jetzt in einen alten Kiefernbestand ein , eine weiße , stille Säulenhalle .
„ Sehr gut , “ schmunzelte Peter .
„ Ach – schweig ! “ herrschte ihn Günther an .
„ Warum denn , Herr Graf ? “
„ Weil das nicht dazu da ist , damit du es bewunderst . “
„ Aha – ich versteh’ , das is nur für Grafen . “
„ Ja . “
Sie näherten sich dem Waldkruge , indem sie an einer Wand kleiner Tannen hinfuhren , die wie mit großen Händen in kalten , weißen Handschuhen die Gesichter der Fahrenden streiften .
„ Der Mankow wird sich wundern , “ bemerkte Günther .
„ Nee , der wundert sich lange schon nich’ mehr , “ erwiderte Peter .
„ Wenn er nur zu Hause ist ! “
„ Na , dann is die Eve zu Hause . “
„ Du denkst auch nur an die Weiber . “
„ Na ja , die gehören doch dazu . “
In der qualmigen Krugstube saß der alte Mankow an einem Tische bei einer trüben Unschlittkerze . Eine Brille auf der Nase , ein rotes Tuch vor Mund und Nase gebunden , drehte er Giftpillen für die Füchse . „ Guten Abend , Alter ! “ rief Günther . Der Alte erhob sich , stand unbeweglich da , den Kopf vorgestreckt , wie ein sicherndes Wild . Er hatte
seinen Herrn erkannt und wollte nichts tun und sagen , was ein Fehler sein könnte . „ Na , Peter , mach ’s dem Alten klar , was wir wollen . Du siehst ja , wie sein Gewissen ihn beißt , “ befahl Günther . Peter und Mankow gingen hinaus . Günther wärmte sich an dem großen , qualmenden Feuer . So war ’s gut ! Hier wehte wenigstens die angenehme Luft versteckter Abenteuer , wenn man ’s nicht wie Hans Berkow haben konnte . In der niedrigen Tür der Nebenkammer stand plötzlich Eve Mankow und sah Günther unverwandt an . In ihrem kurzen , roten Rock , das rotblonde Haar wirr über dem heißen Gesichte , die nackten Arme , Schultern , Beine vom Ofenlicht beschienen , war sie eine bunte , leuchtende Gestalt in dem rußgeschwärzten Türrahmen .
„ Warum schläfst du nicht ? “ fragte Günther .
„ Ich mag nicht . “
„ Na , dann komm’ . “
Eve kam , vorsichtig , mißtrauisch , wie die Menschen des Waldes es den Tieren nachtun .
„ Willst du mit auf die Jagd ? Du kannst ja schießen . “
„ Ja , Herr . “
„ Hast du auf mich gewartet ? “
„ Ich dachte , Sie werden mal kommen . “
„ Wer sagte dir das denn ? “
„ Die Karten . “
Günther trat an Eve heran , nahm ihren Kopf in beide Hände , bog ihn zurück und küßte den breiten , roten , sehr heißen Mund . „ So ! “ sagte er , „ nun gehen wir zu den Hasen . “ Eve war blaß geworden . Sie saß einen Augenblick still da , die grellen , rotbraunen Augen wurden klar und groß ; sie
seufzte so tief , daß die rauhen Spitzen der Brüste fast das Hemd durchstechen wollten . Dann erhob sie sich und ging in ihre Kammer hinüber .
Die Jäger stellten sich am Waldrande auf , während die wenigen Treiber leise pfeifend über die beschneiten Wintersaaten gingen und die dort zur Nachtäsung versammelten Hasen dem Walde zutrieben . Eve stand neben Günther . Vor ihnen die dämmerige Fläche , auf der es wie weißer Nebel lag . Die Flintenhähne knackten ; dann Stille . Nur ein dumpfes Geräusch schlug an Günthers Ohr , wie Schritte in weichem Schnee . Das war der erregte Schlag seines eigenen Herzens . Jetzt huschten hier und dort rege Schatten über den Schnee , wunderliche , graue Gespenster mit langen Ohren , im unsicheren Lichte groß und wesenlos . Günther schoß , neben ihm schoß Eve . Nun blitzte es am ganzen Waldrande auf . „ Der hat’s gekriegt , “ sagte eine vor Erregung heisere Stimme . Es war Eve . Auf ihren Flintenlauf gestützt , lachte sie unter der alten Fuchsfellmütze ihres Vaters Günther an , daß ihre Zähne im Mondlichte blitzten .
„ Jetzt komm’ , “ sagte Günther , und die andern hinter sich lassend , gingen sie dem Waldkruge zu .
Günther liebte es jetzt , in der Dämmerstunde in seinem Zimmer zu sitzen , Rotwein zu trinken und sich von Peter von dem Waldkruge vorsprechen zu lassen .
„ Ja , ja , die Eve , “ meinte Peter , „ die is ein klarer Apfel . “
„ Unsinn , “ sagte Günther , „ hör ’ zu ! Ich will dir was von meinen Vorfahren erzählen . “
„ Bitte , Herr Graf , von Vorfahren hör’ ich sehr gern . “
„ Na also ! “ begann Günther nachdenklich . „ Vor einigen hundert Jahren war’s . Ein Graf Günther von Tarniff verließ sein deutsches verschneites Schloß und seine schöne , weiße Gräfin und zog in das gelobte Land . Nach drei Jahren kehrte er heim . Seine blonde Gräfin hatte treu auf ihn gewartet . Im Morgenlande aber hatte er in einem weißen Hause auf einem roten Felsen eine braune , schwarzäugige Gräfin zurückgelassen . “
„ Aha ! Ich versteh’ , “ warf Peter ein .
„ Gut ! Der Graf blieb drei Jahre bei seiner blonden Gräfin , da begann ihn die Sehnsucht nach den braunen Armen der Morgenländerin zu quälen und er wollte sich auf die Reise machen . Nun gab ’s schon damals Diener , die mehr sprachen , als sie sollten . So ’n Kerl hatte der Gräfin mitgeteilt , was ihren Gemahl von ihr trieb . Die schöne Frau weinte zwar , aber sie sagte zu ihrem Grafen :
„ Ich halte dich nicht . Geh deiner Sehnsucht nach . Gott gab dir ein zwiespältiges Herz ; möge dieses Herz dich auch wieder zu mir zurückführen . “
„ Bravo ! “ rief Peter .
„ Daß an dem Bravo des Peter Ruskowski der Gräfin etwas gelegen gewesen wäre , “ fuhr Günther fort , „ glaube ich kaum . Also , der Graf pilgerte in das Gelobte Land , wohnte in dem weißen Hause auf dem roten Felsen und trank sich toll und voll an der wilden Liebe seiner braunen Gräfin . Als nun die Zeit gekommen war , da ihn wieder nach Tannen , Schnee und der bleichen , blonden Frau verlangte , da tobte und schrie die braune Gräfin . „ Ich weiß ,
warum du mich verstößt . Du hast ein Weib jenseits des Meeres , und das gilt dir mehr als ich . “ Der Graf tröstete sie . Er erzählte ihr von seinem zwiespältigen Herzen , und daß auch ihre Zeit wieder kommen würde . Die Frau wurde ruhig und der Graf schlief an ihrer braunen , heißen Brust ein . Da ergriff sie den Dolch , stieß ihn dem Grafen in das Herz und schrie : „ Ich will mir meine Herzenshälfte nehmen ! “
Peter nickte nachdenklich : „ Ja , Vorfahren , die haben immer solche Geschichten . “
„ Maul halten ! “ schloß Günther die Unterhaltung .
Von nun an wartete der Braune mit dem Schlitten öfters bei Nacht hinter der verschneiten Spirrahecke . Dann jagte Günther in die Winternacht hinaus . Das erschien ihm , wie ein angenehmer Protest gegen die ruhige Ordnung des Lebens um ihn her . Auf halbem Wege zum Kruge mußte Eve ihn erwarten . Im kurzen Schafspelz , die Fuchsfellmütze über die Ohren gezogen , trat sie aus dem weißen Dickicht hervor . Das Gesicht , das Haar , die Wimpern voll kalter Tropfen ; und sie lachte , daß im Sternschein ihre Zähne blitzten .
Das kleine Hinterzimmer des Waldkruges duftete nach den Tannennadeln , die über den Boden gestreut worden waren . Im Ofen verglomm ein Feuer . Günther setzte sich auf das niedrige Bett und wärmte seine Hände am Feuer . Eve ging ab und zu ; tauchte unter in die schwarzen Schatten der Ecken ; trat wieder in den Feuerschein , bunt und leuchtend in ihrem roten Rock , ihrem roten Haar , das Fleisch blank und warm .
„ Sitz ! “ befahl Günther . „ Kehr ’ das Gesicht zum Feuer hin . Laß die Zöpfe über die Schultern hängen . So ! “
Eve gehorchte . Sie saß schweigend da , die Hände flach auf die Knie gelegt ; die runden Augen , unverwandt auf Günther geheftet , verschleierten sich feucht vor Erregung .
„ So . “ Günther war zufrieden . Das große halbnackte Mädchen , mit seiner unbekümmerten Sinnlichkeit , atmete eine ruhige , zuversichtliche Kraft , von der etwas auch auf ihn überzugehen schien . Er glaubte den nervösen , unbefriedigten Günther für einige Augenblicke los zu sein .
Durch die halbangelehnte Tür sah er in der Schankstube pelzvermummte Gestalten mit Peitschen in den Händen am Tische sitzen . Sie flüsterten und tranken Schnaps . Auf der Ofenbank schlief der Hausierer Abbe .
„ Wie war’s , als du mit dem Pankow gingst ? “ fragte Günther . Eve schwieg . „ Sprich ! “ befahl Günther .
„ Der Hund , “ sagte Eve heiser .
„ Na ja , er sagt doch – daß er dich gehabt hat – nicht ? “
Eve stand auf , ging in die dunkle Ecke des Zimmers . Günther hörte sie dort weinen .
So war’s jedesmal . Das Starke in diesem wilden Mädchen zog Günther an , aber kaum fühlte er es in seiner Gewalt , dann trieb es ihn , es zu beugen . Er mußte Eve weinen und gehorchen sehen .
„ Hierher ! “ rief Günther . Eve schwieg . „ Hierher – hierher , “ wiederholte Günther , als riefe er einen Hund . Eve kam langsam näher , das Gesicht warm und rosig vom Weinen . Die Augen richtete sie brennend , wie hungrig , auf Günther . „ Totschießen werd ’ ich den Pankow . Fuchspillen
soll er kriegen , “ murmelte sie atemlos ; dann sank sie schwer auf Günther nieder . Das Feuer verglomm . Durch das kleine Fenster schienen blanke Wintersterne ; der Wald rauschte laut .
„ Steh auf – geh – “ herrschte Günther dann plötzlich Eve an . Er stieß sie von sich , er wollte nicht mehr bleiben , er hatte es eilig , wieder in dem stillen Schlafgemach zu sein , in dem es nach weißem Flieder duftete und wo die matte Ampel über einer schlafenden , weißen Frau wachte .
Achtes Kapitel
In der Herrschaftsküche mit den blau und weißen Kachelwänden wurde die Weihnachtspastete gebacken . Herr Mieszeck , der Küchenchef , litt am Magen und war sehr nervös . Wenn er es mit Trine , der Küchenmagd , gar nicht aushalten konnte , ging er in einen kleinen Nebenraum und spielte die Flöte . In der allgemeinen Küche war es lauter . Frau Mandelkoch befahl hier . Beständig kamen Leute , die hier nichts zu tun hatten , um zu sehen , zu riechen , sich zu wärmen und die Mägde zu kneifen . Amélie , die Zofe , stand vor dem Feuer und starrte vor sich hin . Die anderen störten sie nicht , man sah sie zuweilen an und flüsterte .
Beckmann erschien in seiner schwarzgoldenen Livree , mit seinen dicken Waden und dem weißen Engländergesicht . Unnahbar durchschritt er den Raum und verschwand in der Herrschaftsküche . Amélie schaute auf , folgte ihm mit Augen , die blank vor Bewunderung wurden . Dann seufzte sie , strich ihre kleine Schürze glatt und ging hinaus . Als Beckmann den finstern Gang hinuntereilte , der zur Außentüre führte , faßte jemand ihn am Rockaufschlag und zog ihn auf die Schwelle . „ Auf dich wart’ ich , “ sagte Amélie . Beckmanns starres Gesicht verzerrte sich . „ Na – was denn ? Hier doch nich . “
„ Jawoll , “ meinte Amélie . „ Ich muß dich sprechen . “
Beckmann blieb stehen , steckte das Kinn tief in den hohen Hemdkragen und seine Waden in den weißen Strümpfen zitterten vor Kälte . „ Na – los , “ brummte er . Amélie lehnte sich an ihn , strich mit ihren kleinen roten Händen über seinen Rockärmel . „ Ich muß doch wissen , was nu sein wird . “
„ Immer die alte Jacke , “ schnarrte Beckmann , „ das Vergnügen wollt ihr , und später sind wir schuld . “
„ Wer sagt denn von Schuld , Beckmann , “ flehte Amélie . „ Ich frag’ nur , was is nu ? Die andern sprechen schon . Ich geh’ zur Frau Gräfin . “
Die weiße Lakaiennase hob sich streng zu den Sternen auf .
„ Von mir kein Wort , “ befahl er .
„ Aber Beckmann , ich muß doch sagen , wer der Vater zu dem Kind is . “ Amélie weinte nur leise .
„ Kein Wort , “ wiederholte Beckmann .
Jetzt schüttelte das Weinen den ganzen , runden Mädchenkörper .
„ Hör ’ , “ sagte Beckmann mit seiner diskreten , leblosen Dienerstimme , „ das Flennen hilft so nichts . Wenn du von mir nichts sagst – hm – verstehst du ? Wenn du mir nicht den Dienst verdirbst , nachher geb’ ich das Geld , damit du im Dorfe deine Sache abmachst . Das wird hübsch kosten . “ Amélie drängte sich noch an ihn heran , sie lächelte , nahm seine Hand und stützte ihre tränenfeuchte Wange darauf . „ Und später – Beckmann – sag’ – später ? “ hauchte sie .
„ Von später weiß ich nichts , “ meinte Beckmann kühl . „ Jetzt muß ich gehn . “ Er wandte sich ab , als bemerkte er es nicht , wie das Mädchen sich auf die Fußspitzen stellte , um mit dem Gesichte an seine schmalen , bleichen Lippen zu reichen .
Als Beckmann fort war , wischte Amélie sich mit der Schürze die Augen und starrte trübselig auf den Hof hinaus , der in der bleichen Schneedämmerung sehr still zwischen den
hohen , weißen Häusern lag . Ein grellgoldener Schein fiel auf den Schnee . Drüben bei Inspektors wurde der Weihnachtsbaum angesteckt . Amélie wandte sich ab . Das Herz war ihr voll Zorn gegen die Herrschaft , die sie fürchten mußte , und so voll von Liebe zu Beckmann , daß sie wieder weinte .
Am ersten Weihnachtstage saß Beate in ihrem Ankleidezimmer und wartete auf Amélie . Der letzte Abendschein war schon hinter den Parkbäumen verglommen . Beate war in einen leichten Halbschlummer verfallen . Als jemand in das Zimmer trat , fragte sie : „ Sind Sie es , Amélie ? Dann stecken Sie die Lampe an . “ Da es still und finster blieb , sagte Beate : „ Machen Sie doch Licht . Ich muß mich ankleiden . “
Jetzt rauschte etwas neben ihr auf den Teppich nieder , ein nasses Gesicht legte sich auf ihre Hände . „ Sind Sie’s , Amélie ? “ fragte Beate . „ Warum weinen Sie ? Haben Sie etwas getan ? “
„ Schlecht – schlecht hab’ ich getan ! “ schluchzte das Mädchen . „ Und die Schande jetzt . Was soll ich tun ? Frau Gräfin werden Erbarmen haben – verzeihen – ach ! ach ! “
Während Amélie sprach , fühlte sie , wie Beate allmählich vor ihr zurückwich , die Hand , das Knie , das Amélie umschlungen hielt , fortzog . „ Stehn Sie auf , “ sagte Beate leise , aber das geschulte Zofenohr hörte aus diesen Worten doch Strenge und Widerwillen heraus . „ Wie konnten Sie das tun – Sie wissen doch … “
Amélie schluchzte unter ihrer Schürze , die sie über den Kopf geschlagen hatte : „ Ja – ja – ich weiß . Sünde is – aber es kommt man so – “
Beate schwieg . Sie empfand Mitleid mit dem weinenden Mädchen . Mein Gott ! die Welt ist so voll Sünde und Elend ; aber sie empfand auch Groll gegen Amélie . Was hatte sie ihre unreinliche Liebesgeschichte hier zu ihr , Beate , hereinzutragen ! „ Stecken Sie das Licht an ! “ befahl Beate . Als die Lampe brannte und Beate vor dem Spiegel saß , machte Amélie sich daran , ihre Herrin zu frisieren . Sobald Beate jedoch die Hände des Mädchens in ihren Haaren spürte , bog sie den Kopf zur Seite , wie von Ekel erfaßt .
„ Lassen Sie , “ sagte sie hastig . „ Ich mach’ das selbst . Gehn Sie hinaus , gehn Sie . “
Amélie schlug wieder die Schürze über den Kopf und verließ laut jammernd das Zimmer .
Um die Zeit des Sonnenunterganges saß Beate im Ahnensaal und ruhte . Günther war abwesend . Seneïde , die Arme über der Brust verschränkt , ging im Saale auf und ab , dunkel und schmal in dem roten Lichte .
Peter brachte einen Brief . „ Aus dem Dorf , von der Amélie , “ sagte er .
„ O – von der ! “ meinte Seneïde und zog die Augenbrauen empor . Beate sah den Brief mit Widerwillen an , wie wir ein unangenehmes Insekt anschauen , und schloß dann wieder die Augen .
Später im Wohnzimmer wurde die Lampe angesteckt . Die drei Frauen saßen um den runden Tisch . Die schweren , dunkeln Vorhänge wurden vor die Fenster gezogen , die alten dunkeln Türen geschlossen . Wieder einmal schien die Außenwelt mit ihrer Unreinlichkeit und Feindseligkeit ausgesperrt
zu sein . Die Meierin kam und sprach von einer kranken Kuh . Beate öffnete widerwillig den Brief und las :
„ Gnädige Frau Gräfin , Ziepe sagt , ich darf im Dorfe nicht bleiben . Er sagt , er muß mich rausschmeißen . Ich hab nur getan , was andere Mädchen hier auch tun . Wer is denn so heilig ? Wohin soll ich denn gehn ? Wie ’n räudiges Vieh soll ich hier raus , sagt Ziepe , der so aufgeblasen ist , daß er bersten wird . Gott geb ’ es ! Ich muß raus und die Eve Mankow darf bleiben und warten , daß der Herr Graf bei Nacht zu ihr rausfährt . Und dann prahlt das freche Mensch noch damit . Das ist Sünde . Ich fahre zu meiner Tante nach Stolpe , die wird christlicher sein als die Herrschaft . Adjö . Amélie Miller . “
Beate schaute auf . Die Meierin erzählte noch von der kranken Kuh . Das Zimmer lag im Lampenschein friedlich und wohl verwahrt da … und doch etwas Fremdes , Entsetzliches war hereingekommen , war da . Beate fröstelte . Hastig mit zwei Fingern faßte sie den Brief und warf ihn in den Kamin . Wie das Papier aufflammte , wie es sich krümmte und wand ! Jetzt war nur ein wenig schwarzer Staub übrig , der eilig in den Schlot hinauffuhr . Bleich lehnte sich Beate in den Sessel zurück . So – war’s vernichtet – das – dem sie mit ihren Gedanken zu nahen – nicht wagte .
Erst als sie schlaflos im Bette lag , konnte sie dem Entsetzlichen nicht entrinnen . Sie sah beständig Eve Mankow vor sich , das große , hochbusige Mädchen , mit den grellen Augen . Ekel schüttelte sie ; Ekel vor ihrem eigenen Körper , der wie Eve nach Günther verlangte , der Günther dasselbe bot , wie Eve . – Beate fuhr auf , als müßte sie etwas abwehren ,
sich von einer quälenden Gemeinschaft befreien . „ Es ist nicht wahr ! “ flüsterte sie in das Dunkel hinein . Das beruhigte , das leuchtete ein . So etwas kann ja nicht wahr sein ! Wie konnten die Even und Amélies an ihre , Beatens , Ehe rühren ! Nein , so etwas durfte , konnte nicht in ihr Leben hinein ; das war ihr fester Wille . So etwas durfte nicht wahr sein . Und um ihre Seele ganz zu befreien , badete sie dieselbe in der Ekstase eines langen Gebetes .
Nach einer langwierigen , qualvollen Entbindung war dann endlich der Tarniffsche Erbe da . Günther küßte seine blasse Frau triumphierend auf die blasse Stirn . „ Danke – Schatz . Er hat dir Mühe gemacht – was ? Ja – so sind wir Tarniffs ; wir machen Mühe . “
Beate langte nach Günthers Hand . „ Ja – aber ihr seid gut – ihr Tarniffs – nicht ? “ sagte sie .
Günther lachte . „ Gut ? Natürlich sind wir gut , und ob ! “
„ Ein schönes , schweres Kind , “ bemerkte die Hebamme .
„ Ja , was haben Sie denn erwartet ? “ schloß Günther die Unterhaltung .
Neuntes Kapitel
Es war Mai geworden . Frau Ziepe saß müßig und gedankenvoll in ihrem Wohnzimmer . Vater Ziepe kam zum Zehnuhrfrühstück heim . „ Na , Imbiß her ! “ rief er sehr laut . Frau Ziepe holte Schnaps und Wurst , aber so vornehm und ergeben , daß ihr Mann sie fragte : „ Was is wieder los ? “
„ Mareile hat geschrieben , “ antwortete sie und machte ihr unzufriedenes Gouvernantengesicht .
„ So , unsere Malerin , “ Ziepe lachte breit . „ Stimmt ’s da nich ? Oder kommt’s Kind ? “
Dieses Lachen , der Stallgeruch , alles verletzte Frau Ziepe heute an ihrem Manne und sie wurde um so vornehmer .
„ Mein Gott ! Ich versteh’s selbst nicht recht . Es sind Nuancen . Aber mir ist so bang . “
„ Nuancen – Unsinn , Mama ! “ fuhr Ziepe auf . „ Zanken sie sich , oder läuft er zu Frauenzimmern , oder was is ? “
Frau Ziepe weinte jetzt . „ Sie schreibt von dem großen Mißverständnis ihrer Ehe und von Recht auf Freiheit – und Enttäuschung – ich weiß nicht – aber gut ist das nicht . “
„ Quatsch , “ donnerte Ziepe . „ Schreib ihr , ich hab’ dich auch enttäuscht , das is man so … und wenn eine ’nen Mann hat , soll sie ihn halten , Männer sind heutzutage rar . Das sag’ ich , Vater Ziepe , und basta . “ Er goß einen Gilka herunter und ging zu seiner Mistfuhre hinaus . –
Auch im Schloß erregte Mareilens seltsame Ehegeschichte alle . Die Gräfin Blankenhagen in einem Reitkleide in der
Art des großen Kurfürsten und in Begleitung ihrer Tochter Ida und deren Gemahls Egon Sterneck , kam eigens von Steindorf herüber , um zu sehen , was für Gesichter die Kaltiner zu Mareilens Ehegeschichte machen würden .
Tatsache war , daß Mareile ganz plötzlich ihre Ehe gelöst hatte und zu der Fürstin Elise gezogen war . Hans Berkow war im Unrecht , das stand fest . Was er getan hatte , wußte man nicht , aber für die Gesellschaft war er ein toter Mann . Um Mareile zu heben , mußte Hans Berkow sehr tief hinabgedrückt werden . Die five o’clocks der Fürstin Elise waren sehr besucht . Eine jede wollte Mareile schön und unumwunden über ihre Ehe sprechen hören . All diese Frauen , die ihre Ehen vor der Öffentlichkeit mit weißen Schleiern zu verhängen liebten , sie konnten sich an Mareilens Evangelium von der Pflicht der Empörung gegen den Mann , der die Frau nicht zur Liebe zu zwingen versteht , nicht satt hören . „ Man muß diese entzückende Frau selbst sprechen hören , “ berichtete Ida Sterneck . „ Sie sagt – wie sagt sie doch ? Sie sagte : Wenn der Mann die Frau nur so als die Schönheitslinie zu seinem Gebrauche ansieht – dann – dann entwürdigt sich die Frau . “
„ Das sind so Redensarten unserer guten Fürstin , “ meinte die Baronin .
„ Nein aber , “ drängte die Gräfin Blankenhagen , „ es müssen doch Geschichten passiert sein . Wenn eine Ehe auseinandergeht , müssen doch Geschichten da sein , nicht wahr ? “
Da begann Günther zu sprechen , spöttisch und erregt : „ Geschichten , meine gnädige Frau Gräfin , werden Sie noch
genug darüber zu hören kriegen . Daß Mareile aber keine Geschichten nötig hat , um zu handeln , das ist das Große an dieser Frau . Ja , bitte , wenn Sie in einem Brief einen Satz angefangen haben , und Sie merken , der geht so nicht weiter , der gibt keinen Sinn , dann streichen Sie ihn durch , nicht ? Na also ! Grad so macht’s Mareile . Der Anfang mit Hans Berkow gibt ihr keinen rechten Sinn . Gut , sie macht ihren Strich darüber , so ’nen dicken , schwarzen Strich , wissen Sie , mitten durch den armen Hans durch … und sie wird einen besseren Satz anfangen . “
„ Ach , sprecht nicht so von meinem armen Kinde ! “ klagte Seneïde und ihre fanatischen Augen wurden feucht .
„ Ja , eigne Sache , “ schnarrte Egon Sterneck . „ Das mit dem Strich , ganz hübsch . Nur wenn das Mode wird , ich meine bei unsern Frauen – “
„ Unsere Frauen ! “ wiederholte Günther verwundert , „ wer spricht denn von unseren Frauen ? Ich spreche doch von den Mareilen . “
„ Hm – ja so ! “
Wie einst vor einem Jahre , stieg Mareile an der kleinen Kaltiner Station aus dem Zuge . „ Wieder kein Wagen , ich bin untröstlich , Signora , gnädige Frau , “ sagte der Stationsvorsteher Ahlmeyer , „ und bei Ihrer Abneigung gegen meinen Fuchs , na ja , spatlahm , freilich … “
So wanderte Mareile denn wieder über die Heide . Die Sonne ging hinter den Hügeln unter . Ein angenehmer Wind , voll von dem Dufte der Wacholderbüsche , wehte . Mareilens Gesicht war schmaler geworden . In die hellen , blühenden
Farben hatte sich etwas wie ein bleiches Leuchten gemischt . Die Augen , die „ durstig-machenden Augen “ , wie Hans Berkow sagte , schienen größer und reicher an Licht . Das Leben hatte auf dieser Schönheit die Spuren einer erregenden Erkenntnis zurückgelassen . Ja , heute war sie eine andere als damals , heute lächelte sie still vor sich hin , als genieße sie die süße Reife der eignen Seele .
Der arme Hans ! Er hatte sie in seiner Art geliebt , wie solch’ eine morsche , abgetakelte Seele lieben kann . Sie konnte ihn nicht brauchen . Aber er hatte sie sehr stark begehrt und hatte sie ihre Sinne verstehen gelehrt , und erst , wenn ein Weib seine eigne Sinnlichkeit versteht , versteht es sich selbst . „ Weißt du , “ hatte Mareile zu Hans in Bordighera gesagt , in jenen wunderlich traumhaften Tagen des Eheanfangs , in denen Geist und Körper fiebern . „ Weißt du , warum wir Mädchen , die auf den Schlössern aufwachsen , so dumm über die Liebe denken ? Weil dort bei dem Gerede über die Liebe immer der Körper unterschlagen wird . “
„ Das will ich meinen ! “ hatte Hans geantwortet . „ Glaubst du , Diotima hätte so fein über die Liebe gesprochen , wenn sie von Tante Seneïde erzogen wäre ? “
Eine glasige , graue Dämmerung sank auf das Land nieder . In der Kirche wurde der Sonntag eingeläutet . Unten auf der Dorfstraße tobten die Kinder vor dem Schlafengehen . Blonde Köpfe und nackte Beine legten helle Flecke in die Dämmerung . Nebel erhoben sich auf den Wiesen , spannen das Land in kühle Schleierstreifen ein . Im Felde begann eine Wachtel zu schnarchen , eintönig und unermüdlich , als spräche sie im Traum von unendlichen Kornfeldern . Das
ergriff Mareile . So war ’s gut ; hier wollte sie ruhen , bis das Erlebnis kam , das ihrer würdig wäre .
Über dem Schlosse stand der Mond . Aus den Fenstern drangen Stimmen und Klaviertöne , der hübsche Lärm jenes Lebens , das Mareile einst so schmerzhaft geliebt hatte .
Die Fenster des Inspektorhauses waren dunkel . Leise öffnete Mareile die Stubentür . Das Wohnzimmer war leer . Aus dem Schlafzimmer der Kinder aber klang Frau Ziepens Stimme . Sie sang ein Wiegenlied , müde und eintönig . Behutsam ging Mareile vor . Da saß die Mutter zwischen den Betten der Zwillinge . Etwas Mondlicht fiel in die matten Augen und auf die spitzen Züge des Gesichtes . Ihr zu Füßen kauerte die fünfzehnjährige Lene im Hemde . Den Kopf auf die Knie der Mutter gestützt , schlief sie .
„ Hündchen hat den Mann gebissen ,
Hat des Bettlers Rock zerrissen – “
nahm die geduldige , freudlose Stimme wieder auf . Mareile näherte sich leise und sank dann neben ihrer Mutter nieder . „ Mareiling , “ sagte Frau Ziepe tonlos ; sie lehnte ihr heißes , eingefallenes Gesicht an Mareiles kühle Wange und weinte .
Auch Lene erwachte . Sie verstand nicht , was vorging , warum es wie Seide rauschte , warum es süß nach Orchideen duftete , warum Goldsachen im Mondlichte flimmerten , bis auch sie die Arme ausbreitete und mit dem Seufzer schlaftrunkener Kinder : „ Mareiling , “ flüsterte .
Die Baronin streichelte sanft Mareilens schönes Gesicht und sagte freundlich : „ Ja , Kind , bleib bei uns . Du gehörst zu uns . “ Von dem großen Eheevangelium war hier nicht
die Rede und Mareile tat es wohl zu schweigen . Sie wußte , hier war es Sitte , seine Not und seine Wunden rücksichtsvoll zu verdecken , um die Harmonie nicht zu stören . Der Mittsommer war eine stille Zeit . Die Jalousien an der Sonnenseite des Schlosses wurden niedergelassen . Die Zimmer lagen im Dämmerlichte wie im Schlafe , unter dem leisen Brummen der Sommerfliegen und in dem Dufte der in den Vasen welkenden Blumen . Alte Tanten aus fernen Fräuleinstiften zogen in das Schloß ein ; Tante Riecke , Tante Lolo , lange Losnitzer Feldherrennasen unter den schwarzen Spitzen des Altjungfernhäubchens . Sie füllten die Räume mit ihren verschollnen Parfüms Verthiver und Esbouquet und die Abende mit ihren verschollnen Geschichten .
Das Inspektorhaus war unerträglich ; voller Sonne , Fliegen , Suppengeruch . Mareile wanderte daher schon am Morgen , unter dem roten Sonnenschirm , über den Hof in das Schloß . Dort saß sie gern allein und müßig in der Bibliothek und sann , sann dem nach , was kommen mußte . Sie fühlte sich reich und müde , wie nach einer Ernte . Oh , sie hatte keine Eile ! Die Erlebnisse des Lebens konnten noch ein wenig warten ; jetzt wollte sie ruhen und ihre Schönheit fühlen , wie ein Rosenstock mit all seinen Knospen unbeweglich dasteht in der Mittagsonne , froh der Gewißheit des Blühens .
Günther , nervös und unruhig durch die Zimmer wandernd , blieb in der Türe des Bibliothekzimmers stehen . „ Sie sitzen hier so eigentümlich , “ sagte er zu Mareile . „ So – so – als ob Sie bei etwas Angenehmem wachhielten , das eben eingeschlafen ist . “
„ Das ist hübsch , was Sie da sagen , “ meinte Mareile .
Günther schwieg und sah sie an . „ Sie haben sich verändert . Die frühere Mareile – wenn ich so denke … “
„ War die nicht gut ? “
„ Doch , doch ! Aber solche Fräulein , die leben vor verschlossenen Türen … jedenfalls ergreifen Sie mich jetzt mehr . “
„ Das ist doch gut ? “
„ Freilich , freilich ! Aber jetzt geh’ ich mich unter die kalte Dusche stellen , “ schloß Günther . „ Reiten Sie nicht mehr ? “ fragte er im Fortgehen .
„ Jetzt nicht , “ erwiderte Mareile .
„ Singen Sie nicht ? “
„ Jetzt nicht . “
„ Ach so , ich verstehe . Sie wollen noch innere Komiteesitzung abhalten . Gut – gut ! “
Am Abend saß Mareile im Gartensaal ein wenig abseits von den andern an der geöffneten Glastüre . Die Julinacht war schwarz und voll von dem süßen Dufte der Sommerblumen . Unter der Lampe las Seneïde der Gesellschaft die Kreuzzeitung vor .
Hübsch , hübsch , dachte Mareile , aber als könnte nichts anderes , Besseres mehr kommen , so beruhigt . Sie erinnerte sich , wie sie schon als Kind zuweilen ein unwiderstehliches Sichempören gegen dieses abgeklärte , hübsche Herrschaftsleben empfunden hatte , das sie doch so liebte . Aber in solchen Stunden mußte sie nein sagen zu allen heiligen Regeln . Statt zur französischen Stunde zu kommen , war sie einmal in den Wald gelaufen , hatte im See gebadet . Unerhörte Dinge . Aber der verzweifelte Wagemut brannte so köstlich im Blute . Später kam dann die Stunde der Reue in Tante
Seneïdens Zimmer , wo die Blätterschatten lautlos über den Fußboden flirrten . „ Wollen wir beten , “ sagte Tante Seneïde . Mareile und Seneïde knieten nieder , mitten unter die Blätterschatten . Seneïde betete mit ihrer klagenden , heißen Stimme . Dieses Gebet erfüllte das Kind mit wunderlicher Erregung , Andacht war es und Märchenschauer ; leises Flügelrauschen glaubte es hinter sich zu vernehmen .
So siegte damals stets das Kaltiner Leben über die Empörung der kleinen Mareile . Das war vorüber ! Jetzt gehörte sie nicht mehr zu diesen guten Menschen , die ihr Lebenskapital in der Bank jenseits des Grabes anlegten .
Aber da war noch einer , dessen unruhiger Schritt zu sagen schien , daß Mareile einen Gefährten ihrer Lebensungeduld hatte . Günther ging unablässig auf und ab . Zuweilen blieb er an der Gartentür stehen und horchte hinaus , als sollte durch die Nacht etwas zu ihm kommen . „ Der wartet auch noch , “ dachte Mareile . – – – –
Es war zwei Uhr nachmittags , die schläfrigste Zeit des Tages im Schlosse . Die alten Damen im Wohnzimmer nickten über ihren Strickereien ein . Beate saß an der Wiege ihres Kindes und summte leise vor sich hin . Da schlug ein Ton in diese Stille , laut und süß . Mareile sang im Musiksaal . Wie ein seltsam schönes , fremdes Ereignis zogen die Töne durch die verschlafenen Räume .
Tante Lolo schreckte aus dem Schlaf auf . „ Mein Gott ! was gibts ? “
„ Die Mareile singt , “ sagte Tante Riecke und verzog das faltige Gesicht , als hätte sie einen Tropfen zu starken , süßen Weins getrunken .
„ Ah , unsere Nachtigall singt wieder , “ meinte die Baronin freundlich .
„ Du , Peter , “ sagte Günther , „ öffne die Türe und verschwinde , deine Gestalt stört jetzt . “
„ Ich weiß ja , “ meinte Peter .
Lange hielt es Günther jedoch nicht aus , stille dazuliegen , er mußte dem neuen Ereignisse näher sein . Er eilte in den Musiksaal , streckte sich in einem Sessel aus , schloß die Augen , hörte zu . Das war gut . Er reckte seine Glieder ordentlich vor physischem Behagen . Aber was sang sie denn ? War das nicht Isoldens Liebestod ? Es klang jedoch fremd . Das Dämmerige , die süße Tiefe dieser Klage , in der Lieben und Sterben geheimnisvoll und einträchtiglich beieinander wohnen , das fehlte . Diese Musik war eine scharfe , klare , fast böse Leidenschaft . „ Seltsam , “ dachte Günther , „ wie ein nordischer See unter einer südlichen Sonne . Ja , gerade so ! Was hat die Frau nur , um das so zu singen ? “ Er schaute sie an . Die Linien ihres Körpers bebten sachte in der Anstrengung des Gesanges . Aus dem skabiosenblauen Sommerkleide leuchtete der Nacken hervor , wie Widerschein von Gold lag es auf ihm . Ein leichter Flaum bedeckte die Arme mit winzigen Lichtstricheln . In den runden Linien dieser Arme lag so viel Irdisch-junges , lag etwas , das zum Volk gehörte , an Arbeit denken ließ .
Mareile sang :
„ Wie sie schwellen ,
Mich umrauschen ,
Soll ich atmen ?
Soll ich lauschen ?
Soll ich schlürfen ,
Süß in Düften
Mich verhauchen ?
In des Wonnemeeres
Wogenden Schwall ? “
Günther schloß wieder die Augen . Die Musik stellte mit visionärer Farbigkeit ferne , südliche Erinnerungen vor ihn hin . Rote Felsen , blonder Meersand , das Meer ein tiefblaues Atlastuch , das rauschend steife , blanke Falten schlägt . An der sonnenwarmen Felswand , auf den Sand niedergekauert , die kleine Photini , die junge Frau des alten Maoro Petros , des Zollaufsehers von Hydra . Dort wartete sie täglich auf Günther , wenn er vom Bade kam . Regungslos hockte sie , das Kinn auf die Knie gestützt , die Augen schmal und schwarz in die Helligkeit hinausstarrend , wie schöne Raubtieraugen , die auf Beute lauern . Wenn er dann vor ihr stand , zuckten die Wimpern . Er beugte sich nieder und nahm das ganze , sonnenwarme Figürchen in seine Arme . Photini lachte ein schrilles Möwenlachen . So trug er sie in einen Winkel , den die überhängenden Felsen zu einer schattigen Kammer machten . Die Wellen hatten große Sandpolster hineingespült , blank und gewässert , wie alte Brokate . Es roch nach Stein und Algen . Hier streckte Photini sich aus , ein mattgelber Elfenbeinleib , der glänzte , als flösse Honig statt Blut in seinen Adern , dann warf sie sich auf Günther , umschlang ihn mit den blanken Armen , den blanken Beinen , eidechsenwohlig zu Hause in der sinnlichen Glut , wie in der Sonnenglut an der Felswand . Günther entsann sich , wie er einmal in dieser wilden Umarmung
seine Sinne schwinden fühlte . Eine Ohnmacht überwältigte ihn . Als er zu sich kam , sah er Photinis schmale , blanke Augen über sich , ängstlich und neugierig , dann lachte sie ein wenig spöttisch , und mit der schrillen Musik ihrer Stimme rief sie „ ptochos “ , „ Armer , “ das klang mitleidig und fast verächtlich .
„ Schlafen Sie ? “ fragte Mareile . Sie hatte sich auf dem Stuhle umgewandt und lächelte Günther an . „ Sie sehn aus wie jemand , der angestrengt träumt . “
„ Tu ich auch , “ sagte Günther . „ Bei Musik träumen wir so lebhaft , wie im Fieber . Aber sagen Sie , wie singen Sie das ? “
„ Schlecht , ich weiß , “ meinte Mareile . „ Noch kann ich nicht so recht . Es kommt immer Eigenes hinein . Nun , Isolde leiht mir wohl mal ihre Musik für meine eigenen Angelegenheiten . “
„ O gewiß ! “ stimmte Günther zu . „ Sie brauchen ein Stimmungsventil . Das versteh’ ich . Wenn ’s sich in mir so rührt , dann geh’ ich zu Peter und schreie ihn an . Wunderbar haben Sie gesungen . “
Beide schwiegen einen Augenblick . Mareile schlug sinnend einige Töne an .
„ Sind Sie krank ? “ fragte sie dann . „ Sie sehn so – still aus ? “
„ Ja , Azedi . “
„ Ist das eine Krankheit ? “
„ Ja , eine Klosterkrankheit . Die Nönnchen kriegen das von zu viel Heiligkeit . Ach , das ist heilbar … Es ist so ’ne Art Katzenjammer . “
„ Was tut man dagegen ? “
„ Starke Verzückungen werden angewandt . Ein neuer Rausch , wie immer bei Katzenjammer . Aber singen Sie noch , das ist auch so ’n neuer Rausch . “
Mareile sang :
„ Du bist der ,
Nach dem ich verlangte
In frostigen Winters Frist .
Dich grüßet mein Herz
Mit heiligem Grauen . “
Günther nahm seinen Traum wieder auf . Die griechische Sonne , die roten Felsen gegen den unsagbar blauen Himmel … aber jetzt stand Mareile in alldem . Sie schaute mit den tokaierbraunen Augen den Strand entlang und wartete auf ihn . Auf ihn ! Teufel ! Das wäre etwas !
„ Hell wie der Tag
Taut es mir auf
Wie tönender Schall – “
sang Mareile .
Wie sie im Singen bebte , wie die Töne in ihr schwollen ! Plötzlich ging Günther hinaus . Er fürchtete , wunderlich auszusehen , mit dieser neuen , großen Aufregung im Herzen .
„ Da Sie wieder singen , “ sagte Günther zu Mareile , „ so reiten Sie wohl auch wieder . “
Mareile hatte nichts dawider . „ Gut ! “ bestimmte Günther . „ Ich reite heute mit Ihrem Vater aufs Vorwerk hinaus . Sie kommen also mit ! “
Am Nachmittage saß Mareile im olivgrünen Reitkleide , den niedrigen , blanken Hut auf dem Kopfe , auf der Fuchsstute . Sie liebte das Reiten . Die Freude machte ihr Gesicht rosa und kindlich .
„ Achtgeben , “ mahnte Vater Ziepe . „ Ein Pferd ist kein Klavier . “
Ein Gewitterregen war über das Land gegangen , jetzt schien die Sonne wieder zwischen den großen , metalligen Wolkenballen hindurch . Glatt und grün lagen die gemähten Wiesen da . Die Schwalben schossen ganz niedrig darüber hin .
„ Jetzt Galopp ! “ rief Mareile , „ ho – ho – Grane . “ Günther blieb neben ihr . Die Pferde nahmen a tempo einen Graben , sausten am Pfarrgarten hin , wo Betty Ahlmeyer , jetzt Pastorin Halm , Johannisbeeren abnahm und die wie in Blut getauchten Hände gegen die Sonne hielt , um den Reitern nachzuschauen . Plötzlich ließ Mareile ihr Pferd in Schritt fallen .
„ Ich kann nicht mehr , “ sagte sie atemlos . Günther legte seine Hand auf Granes Sattel , beugte sich vor , sah Mareile mit einer brennenden Bewunderung in das Gesicht . Er wollte etwas Besonderes sagen : „ Das nenn ich beieinander sein , was – – ? Alles andere bleibt zurück , kann nicht mit . Nur wir beide . “ Er sprach schnell und undeutlich vor Erregung .
Als sie im Vorwerk anlangten , stand die Sonne schon tief . Günther ritt mit Ziepe zu einer Stauwiese . Mareile setzte sich auf einen umgestürzten Schiebkarren am Feldrande . Sie fühlte sich froh . Der Ritt , und dann , aus Günthers
Augen hatte sie eben etwas angeglänzt , das sie eine Weile entbehrt hatte und das doch ihre eigenste Lebenslust war .
Die Sonne ging himbeerrot zwischen violetten Wolkenstreifen unter . Dämmerung legte sich über das Land . Ein roter Mond stand dicht über dem Horizonte . Die Arbeiter gingen auf dem Fußpfade zwischen den Feldern heim . Wo ein Bursche hinter einem Mädchen herging , da folgte Mareile ihnen mit den Augen , und wenn sie hinter den Erlen verschwanden , sagte sie sich :
„ Jetzt bleiben sie stehn . Jetzt langt er nach seinem Mädchen , “ und sie kam sich dort auf ihrem Schiebkarren plötzlich einsam und um ihr Recht an der Sommernacht betrogen vor .
Endlich kehrte Günther zurück . „ Aufs Pferd , aufs Pferd , “ rief er . „ Vater Ziepe reitet einen andern Weg . Heute ist gute , preußische Sentimentalität in der Luft , nicht ? “
Der Mond war höher gestiegen . Nebel lagen auf den Wiesen . Es roch nach Moor und feuchtem Laub . Die Frösche quarrten in den Tümpeln und die Rebhühner lockten im Klee . „ Jetzt gehen wir wieder miteinander durch – hoio ! “ rief Günther . Sie trieben die Pferde an . Anfangs ging es an jungen Kiefern hin , die mit ihren Blütenbüscheln , wie mit kleinen Affenhänden , nach Mareilens Reitkleide faßten . Dann kam der Hochwald , hohe , dunkle Stämme , vom Mondlicht silbern gestreift . Alles stürzte schnell , gewaltsam , wehend vorüber – Düfte , niederrieselnder Tau , flüchtige Bilder von Lichtungen , von weidenden Rehen , von großen , lautlosen Eulen . „ Geben Sie mir Ihre Hand , dann geht ’s besser , “ rief Günther . Sie hielten sich an den Händen ; diese Hände drückten sich , als wollten sie einander
danken . Auf einer kleinen Waldwiese stand Eve Mankow und weidete verbotnerweise dort ihre Kuh . Sie schützte mit der Hand die Augen gegen das Mondlicht und starrte ernst den beiden nach , die Hand in Hand , einen Augenblick hell beschienen , wie Traumgestalten an ihr vorüberrasten .
Auf der Chaussee hielt Vater Ziepe und wartete .
Im Schlafe leben wir weiter . Unsere Gefühle reifen dann , uns unbewußt . Günther erwachte am nächsten Morgen mit einer neuen , fertigen Leidenschaft . Beate schlief noch . Er blieb eine Weile vor ihr stehen und schaute sie aufmerksam an . Sie sah fast kindlich aus , wie sie da lag , die Stirne voller Löckchen , die Lippen halb geöffnet . Günther war gerührt . Dieses auserlesene Wesen hier , war sein , er konnte es am empfindlichsten treffen und verwunden . Wiederum freute er sich an seiner eigenen Rührung vor dieser Frau , der er untreu zu werden fest entschlossen war . Stand dort zwischen Beatens Augenbrauen nicht eine kleine aufrechte Falte , ein feiner Strich , wie mit einem Messer in die Haut geritzt ? Die mußte eine Sorge um ihn da hineingezeichnet haben ; wer sonst als er durfte solche Zeichen in dieses königliche Buch schreiben ? Nie hatte er die sanfte Klarheit dieser Frau deutlicher empfunden . Kein Begehren mischte sich bei ihrem Anblick in sein Gefühl . Der Friede , der über ihr lag , war ganz tief und rein . Ein Heiligtum , das Günther mit Bedauern zu verlassen sich anschickte .
Er ging in den Hof hinunter . Es trieb ihn , vor Mareiles Fenster eine imponierende Gutsherrentätigkeit zu entfalten . Dann ließ er Grane vorführen , um zu sehen , ob sie gut gestriegelt
sei . Grane gehörte ja jetzt zu Mareile . Plötzlich war Mareile da , in ihrem gelben Morgenkleide , unter dem rosafarbenen Sonnenschirm .
„ Ist Grane unser Ritt bekommen ? “ fragte sie . Günther hatte so intensiv an Mareile gedacht , daß ihr Erscheinen ihm selbstverständlich erschien .
„ O ! Grane ist munter , “ sagte er . „ Wollen Sie nicht meinem Surhab auch guten Morgen wünschen ? Er ist noch im Stall . Er gehört doch auch zu uns vieren ? “
„ Ja , zu uns , “ meinte Mareile lächelnd .
Sie gingen in den Stall . „ Setzen Sie sich , bis ich Grane an die Kette lege , “ sagte Günther . Eine starke Erregung bedrückte seine Stimme ; er sprach , als wäre er gelaufen . „ Hier ist’s hübsch , nicht ? Ich habe es mir hier gemütlich gemacht . Für manche Stimmungen ist dieses hier ein Kapitalort . Hier ist Andacht , finden Sie nicht ? Warten Sie ! Sprechen Sie nicht . Seien wir stille , damit Sie fühlen , was ich meine . Surhab schaut Sie an , er kennt Sie natürlich . “
Sie saßen auf rotlackierten Stühlen . Rundbogenfenster füllten den Raum mit ruhiger , weißer Helligkeit . Es roch nach Heu und Riemenzeug . Die Pferde atmeten einen feinen Dampf aus , der die Luft erwärmte . Ab und zu klirrte eine Kette , oder ein Huf schlug auf den Boden , und jeder Ton ließ über die blanken Flanken der Tiere ein Zittern hinlaufen .
Günther sah Mareile unverwandt an . „ Fühlen Sie ’s ? “ Mareile nickte . „ Es ist , “ fuhr Günther fort , „ es ist das Rasseblut , das hier niedergehalten wird . Verstehen Sie das ? Ruhig , hübsch , einförmig , still muß es hier sein . Das wilde
Blut und die feinen Nerven müssen eingeschläfert werden . Sehen Sie Surhab . Er schaut geduldig aus , so , als leide er ; verachtungsvoll ruhig , nicht ? Er weiß , er darf sich hier nicht ausgeben , weil , weil … “ Günther suchte nach Worten , er wußte in seiner Aufregung nicht mehr recht , was er sprach . „ Nun eben , weil er ein Rassepferd ist , “ ergänzte Mareile und lachte … „ weil er nicht auf die Weide gehen darf , wie die andern , und nicht arbeiten . “
Günther schlug sich mit der Hand auf das Knie . „ Das ist’s , natürlich ! Lebenslust aufspeichern , sich nicht ausgeben dürfen . Na , wenn die weißen , stillen Schlösser nicht wären und die weißen , strengen Damen und so – diese Luft – die auch weiß und still ist – Teufel – man würde sterben vor – vor Lebensverschwendung . “
Mareile schlug vor Günthers blankem , begehrendem Blick die Augen nieder , aber sie fühlte diesen Blick über sich hinstreichen , über ihre Stirn , ihre Augen , ihre Lippen . „ Sollte es sein ? “ dachte sie . Günthers Stimme wurde gedämpft , klagend . „ Aber die geduldigen Rassetiere haben auch ihre Stunden , in denen sie frei kommen . Da wird verschwendet , was aufgespart war . So bei Mondschein über die Wiese jagen , was ? Nicht schlecht ! Da vergessen Sie alles . Wenn sie wieder in den Stall kommen , dann ist ihnen die Krippe und das Heubündel fremd . Sie scheuen und steilen wie toll . Ja , das gibt ’s schon . “ Er beugte sich vor , um Mareile gierig in die Augen zu sehen . Das war jener wunderliche , fast feindliche Blick , den sie in Männeraugen kannte . Sie wurde ein wenig bleich . „ Wenn es wäre ! “ dachte sie . Sofort erfüllte sie ein starkes , inneres Frohlocken . Es war ihr , als
habe sie etwas erlangt , nach dem sie lange , lange , bis in die Kinderzeit hinein , gehungert hatte , damals , als sie am Ende der Ferien , wenn Günther fortreiste , sich in die finsteren Winkel des Hauses versteckte , um zu heulen , weil sie keine Baronesse war und nicht , wie Beate , Günther heiraten sollte . „ Wenn es wäre , “ dachte sie immer wieder . Günther sprach weiter . „ Ja , Sie Mareile , Sie können sich auch nicht gleich in den Gartensaal und die Kreuzzeitung finden , wenn wir von Mondschein und der Wiese kommen . Nicht wahr ? “ – „ Ich ! “ Mareile wollte scherzen , aber ihre Stimme hatte den fliegenden Atem des schnell schlagenden Herzens . „ Ich ! ich bin kein Rassepferd . Ich habe doch keine vornehmen , resignierten Augen . Nein , ich habe freie Weide , Gott sei Dank ! “ – „ Sagen Sie , Mareile . Ist wirklich noch was vom Landmädchen in Ihnen , so von freier Weide , wie Sie sagen ? “
Mareile errötete . „ Oh , gewiß . Ich kann arbeiten , und ich spare , und flaches Land hab’ ich nötig , um hinüberzusehen . “
„ Und doch ist was Fremdes in Ihnen , “ meinte Günther sinnend .
Mareile erhob sich . „ Gehn wir . Die Luft hier , diese Rasseluft ist beklommen . “
Sie standen noch einen Augenblick und plauderten ruhig und unbefangen . „ Sehn Sie die alte Fuchsstute dort , “ bemerkte Günther , „ die hat ihr Blut untergekriegt . Sehen Sie den Blick . Wie Tante Lolo , wenn sie die Kreuzzeitung liest . “
Mareile ging zur Heide hinab . Sie mußte nachdenken . Es lag sich gut auf dem Heidekraut mitten in dem Blinzeln und Schnurren der Mittagstunde .
Mareile verstand sich auf die Männer . Sie wußte , was jetzt in Günther vorging . Und hatte es nicht so kommen müssen ? Sie fühlte wieder in sich etwas wie den Triumph des kleinen , neidischen Mädchens von früher , das vor Beate auch mal etwas voraus haben wollte . Sie streckte sich wohlig . Schon das Gefühl , daß , wie das Evangelium sagt , wieder einmal „ eine Kraft von ihr ausgegangen “ war , machte sie froh . Liebte Günther sie , gut , dann wollte sie diese Liebe genießen . Sie war stark genug , um ihn und sich selbst in Zaum zu halten . Aber Liebe ist schön , sie sollte dauern dürfen . Oh ! sie würde schon dafür sorgen , daß daraus nicht etwas Häßliches würde . Das sollte eine Liebe werden von Mareilens eigenster Erfindung , wie die Cibò-Rosen . So ! damit war sie im reinen . Sie wühlte die Füße tiefer in die Halme , die ihr durch die seidenen Strümpfe stachen . Angenehm war es , klug , stark und schön zu sein ! Sie schloß die Augen . Das Blut pochte heiß und unruhig in ihren Adern , als wollte es sie mit einer heimlichen , frohen Botschaft wecken . Mareile griff mit beiden Händen in das Heidekraut , um sich fester an die Erde , an all das Warme , Summende , Wachsende , Zeugende zu drücken . Fern am Rande der Heide lag das Feld , eine goldene Vision . Der Duft reifer Ähren wehte herüber . Dort wurde gearbeitet . Mareile mußte die Mittagzeit verträumt haben .
Die Prassawitz’ aus Kastrow und der General Lassow waren zum Diner geblieben . Die Herren standen in der Gartentüre , steckten die Köpfe zusammen und hörten einer Geschichte des Generals zu , die nicht für Damen war . Die
Damen saßen um den runden Tisch und unterhielten sich ein wenig lässig . Den Kastrowschen Mädchen , mit den weiß und roten Pastellgesichtern , wurde es schwül in ihren enggeschnürten , weißen Besuchskleidern . Mareilens Erscheinen belebte die Gesellschaft , als läge in dem Orchideenduft , den sie verbreitete , etwas , das erregt und zu Kopf steigt . Der lange Prassawitz strich sich über seinen blonden Kaiser-Friedrich-Bart , ging auf Mareile zu und wich nicht von ihrer Seite , dabei lächelte er so einfältig entzückt , wie man , nach Günthers Behauptung , in Damengesellschaft nicht lächeln darf . Nach dem Diner setzten die Herren sich zum Whist , die jungen Damen spielten Chopinsche Walzer vor .
Mareile trat auf die Gartentreppe hinaus , sie erstickte da drinnen . Die Nacht war schwarz und lau . Ein leichtes Wehen brachte den Hauch nebeliger Wiesen , großer tauiger Flächen herüber . Mareile schritt langsam auf und ab . Sie hätte weinen können , so stark war ihr Empfinden . Unten vom Parkteich tönte der einsame Ruf eines Wasservogels herauf . Dieser Ton nahm für Mareile Bedeutung an . Er wurde zur Melodie ihrer Seele . In die schwüle , duftschwere Finsternis immer den einen Ton hineinrufen , mit dem ganzen Verlangen , das sich in der Nachtstille hervorwagt . Mareile blieb stehen , streckte ihre Arme in die Dunkelheit hinein . Sie fühlte es , Günthers Seele war bei ihr , es war , als stände er neben ihr , schnell und heiß atmend , als striche sein Verlangen wie eine warme Hand über ihren Körper . Der Mond stieg über den Parkbäumen auf und warf die Schatten tintenschwarz auf die Terrasse . „ Warum kam Günther nicht ? “ dachte Mareile . Sie stieg die Treppe
hinunter . Ein Beet voller Hyacintha candida lag da , sehr weiß in all den Schatten . Sie hörte Schritte auf dem Kies . Das war Günther , sie wußte es . Sie ging bis zu den Hyacintha candida ; dort wartete sie .
„ Warum gehn Sie allein fort ? “ sagte Günther . „ Sind Sie traurig ? “
„ Muß ich lustig sein ? “ erwiderte Mareile . „ Eine einsame Frau , die ihr Leben neu aufzubauen hat . “
„ Unsinn , “ sagte Günther , und das klang gedrückt , zerstreut , als dächte er nicht an das , was er sagte . „ Das klingt ja nach Literatur . Weiß Gott ! mir ist nicht nach Literatur zumute . Da drinnen halt ich ’s nicht aus . Die Mama übernahm meine Partie . Ihr Leben , Mareile ? Toll geliebt werden müssen Sie , das ist’s . “ Er stieß das heftig hervor . Die Spannung in seinen Zügen löste sich in ein Lächeln . Das war es , was er gedankenvoll hergetragen , nun warf er es heraus , Mareile sah es seinen Händen an , wie er es ihr hinwarf . „ Sie müssen toll geliebt werden . Da ! “
Sie nickte freundlich . Wo diese Frau einer Männerleidenschaft begegnete , da fühlte sie festen Boden unter den Füßen . „ Ja , das wäre gut , “ sagte sie einfach .
„ Ach was ! quälen Sie mich nicht , Mareile , “ brachte Günther ungeduldig heraus . „ Natürlich quälen Sie mich . Sie müssen’s doch wissen , daß ich Sie toll liebe . So was sieht man doch , fühlt man doch . “
Mareile streckte die Arme aus , um beide Hände in die weißen Blumen zu stecken . „ Wer sagt es Ihnen , daß ich das nicht gewußt ? “
„ Mein Gott , Mareile , und dann konnten Sie mich so
neben sich hergehen lassen – wie – wie – einen Kranken ? Aber das ist jetzt gleich . Sagen Sie – nein – hören Sie lieber – also meine Liebe … Gott , wie ruhig Sie sind ! “
„ Wenn ich Sie quäle , muß ich wohl gehen , “ versetzte Mareile , die Hände noch immer über die Blumen , wie über ein weißes Feuer , haltend .
„ Gehen ? “ wiederholte Günther . „ Gehen – jetzt ? Das wäre eine schlechte Tat – verstehen Sie das nicht – Mädchen – Frau ! “
„ Ja – wenn es wird , wie ich will , dann – dann – kann ich bleiben , “ meinte Mareile . Ein triumphierendes Gefühl beseelte sie . Sie glaubte auf einer gefährlichen Höhe zu stehen , auf der nur sie zu stehen vermochte . „ Ich will eine Liebe , die niemandem etwas stiehlt , verstehen Sie ? Eine Liebe , die nur Sie und ich haben . Das dürfen wir . Sie – in Ihrer Gesellschaft sind ja stark – Sie können ja kehrtmachen . Und ich , ich bin auch stark , wie man im Volke stark ist . Das kann dann schön sein . “
„ Ich weiß nicht , was das ist , “ sagte Günther leise und verwirrt . „ Was Sie wollen . So was gibt ’s wohl nicht . Aber das ist ja egal . Sagen Sie ganz einfach , daß Sie mich lieb haben . Können Sie das ? “
Mareile zog ihre Hände von den Blumen zurück und gab sie Günther , kühl und taufeucht . Ihr Gesicht war froh und ruhig , wie das Gesicht eines Menschen , der Heimatluft atmet . „ Ja – ja – das kann ich , “ sagte sie . „ Ich liebe Sie , Günther . “
Günther seufzte tief auf . „ Ah – so – ja – dann ist ’s gut . “ Eine friedliche Schlaffheit kam über ihn , wie sie am
Ende einer Angst , einer Spannung zu stehen pflegt . „ Also dann – gute Nacht – Mareile . “ Er freute sich auf den ruhigen Schlaf der Nacht .
Günther , bleich und müde , hielt es im lavendelfarbenen Wohnzimmer bei den guten , beruhigten Menschen nicht lange aus . Dort bedauerte Beate ihn und sah ihn aus hellen Augen freundlich an . Man sprach von der Ernte . Tante Lolo erzählte von längst vergangenen Ernten auf alten Familiengütern . Das Kind wurde gebracht , der kleine Went . Günther ließ ihn auf dem Knie reiten . „ Vater und Sohn , “ sagte Tante Lolo gefühlvoll ; und bei all dem dachte Günther doch immer nur : „ Wo ist Mareile ? Wo ist Mareile ? “ Er stand auf , ging eilig fort , als riefe ihn ein dringendes Geschäft .
Mareile jedoch erschien erst am Abend im Schlosse . Wenn die anderen im Gartensaal saßen , ging sie draußen auf der Gartentreppe auf und ab . Sie versuchte es , mit ihrem Willen Günther vom Whisttisch herauszuziehen . Wenn man sich liebt , muß solch ein „ Komm , komm “ doch zwingen . Die Nacht war sehr schwarz . Ab und zu leuchtete ein Wetter auf und zeigte eine blaue Glaswelt . „ Mareile , “ rief Günther in die Dunkelheit hinein .
„ Fühlten Sie , daß ich Sie zog ? “ fragte Mareile .
„ Oh ! – Gewiß ! “ Dann lachten sie beide halblaut . „ Was haben Sie den Tag über gemacht ? “ fragte Günther . „ Ach ! nicht viel ! “ Sie sprachen über kleine , alltägliche Dinge , aber die Worte glichen einem sanften Halten der Hände . Oder sie lehnten am Gitter der Veranda und versuchten es , den
Duft der Blumen zu unterscheiden . „ Die Reseden spür’ ich , die sind immer am unverschämtesten . “
„ Jetzt kommt solch ein schwerer – schwüler Duft , was ist das ? “ – „ Die Tuberosen . “ – „ Jetzt riech ich den Geisblatt – süß – süß . “ – „ Ich mag ihn nicht , er riecht nach Liebe von Pfarrerstöchtern . “ Bald jedoch wurde Günther verzagt , fast feindselig . „ Ich sehe Sie nicht , Mareile . Gehört das zu der neuen , dummen Liebe , die Sie sich ausgedacht haben ? Was ist das für eine Liebe ! “
„ Sie vergessen , lieber Freund , daß Sie hier nicht eine Schuld eintreiben , sondern ein Geschenk nehmen . “
„ Ja – ja – aber – weiß der Teufel ! “ sagte Günther kummervoll . „ Ich glaube , Sie sind nicht freigebig . Ich bin wohl nur so ’ne Vorübung des Herzens . Sie sparen für einen , der kommen soll . Ist das nicht so ? Denn sehen Sie , wenn man liebt – Teufel noch eins ! Da kommt ’s nicht darauf an , ob daraus was Trauriges oder Heiteres , was Hübsches oder was Häßliches , was Gesegnetes oder Verfluchtes wird . “
„ Nein , nein , “ meinte Mareile , „ verderben Sie mir meine Liebe nicht . Es ist doch gut , sich immer wieder zu sagen , daß wir uns lieben ? Wie wir lieben ? Immer , immer über die Seele des andern gebeugt , diese Liebe zu fühlen ? So führen wir ein Leben abseits , miteinander , allein für uns . “
Günther lachte grimmig . „ Das müssen Sie von Tante Seneïde gelernt haben . Gut , wenn ich Tag und Nacht still liegen dürfte und Sie säßen neben mir und wiederholten immer wie ein Wiegenlied : ‚ Günther , ich liebe dich ! Günther
ich liebe dich ! ‘ na , dann würde ich vielleicht verstehen , was Sie meinen – so – so – die Liebe als Morphium . “
„ Aber das tu ich , “ sagte Mareile eindringlich . „ Das ‚ ich liebe dich‘ spreche ich Tag und Nacht . Hören Sie es denn nicht ? “
Drinnen , im Gartensaal , wurde zur Abendandacht gerufen . An der Türe standen schon die Mägde mit erhitzten Backen , die Stirnlöckchen voller Lindenblüten , die Kleider verschoben und voller Geißblattduft und Tau . Tante Seneïde las die Andacht , dann wünschte man sich freundlich „ Gute Nacht “ . Ein jedes stellte sein Leben , eine wohlgeordnete , reinliche Sache , für die Nacht beiseite , sicher , es den nächsten Morgen unverändert , reinlich und nett , wieder hervorholen zu können .
In dem engen Bette der Ziepeschen Logierstube verbrachte Mareile jetzt seltsam erregte Nächte , voll wacher Träume . Die nackten Arme unter dem Kopf verschränkt , starrte sie mit weit offenen Augen vor sich hin . Das Fensterkreuz schnitt den Himmel in enge Vierecke voll schwarzer Nacht oder voller Sterne , oder es ging ein Regen nieder , eine erfrischende , tröstende Musik . Und Mareilens Gedanken , ihr Fühlen nahmen eine köstliche Eintönigkeit an . Immer wieder das feste an ihn Gebundensein , und jeder Nerv ihres Körpers nahm an diesem Gedanken Anteil . „ Er und ich . Er und ich . “ Sie spürte es , wie er dort drüben im Schloß nach ihr verlangte , wie sie in das Blut des geliebten Mannes ihre Wärme goß . „ Er und ich . “ Schön waren diese schlaflosen Nächte mit ihrem einen Gedanken . Wenn die Fensterscheiben
endlich im Morgenlichte weiß wurden und im Hof unten die Stalltüren knarrten , dann wandte Mareile ihr Gesicht traurig der Wand zu . Sie war mit ihrem einen Gedanken noch lange nicht fertig .
„ Die gnädige Frau ist zum See runter , “ meldete Peter . „ Sah sehr gut aus . “ Das war jetzt Peters Geschäft . Er mußte stets wissen , was Mareile tat , um es Günther zu melden .
Mareile war heute früher als sonst zum See hinuntergegangen , um zu baden . Der See war voller Sonnenschein . Der nächtige Regen hatte das Wasser ein wenig getrübt , es grau und undurchsichtig , wie Seide , gemacht . Mareile stand im Wasser , ließ sich von ihm heben und wiegen . Ringsum zitterte das Licht . In den blanken Schilfinseln schnatterten die Enten . Wie das Leben all dies trug und wärmte ! Man hat nichts dazu zu tun – nehmen – genießen – immer nur dem dunkeln , geliebten Gesetze des Lebens nachgehen . Das machte Mareile heute still und froh . Regungslos im Wasser stehend fühlte sie , wie der See sich an ihren heißen Körper schmiegte , mit kleinen , grünen Wellen nach ihren Brüsten griff , als verlange auch er nach ihr .
Als Mareile später den Ellernbruch entlang nach Hause ging , fand sie Günther dort stehen und warten . In seinem dunkelblauen Radfahreranzug , einen Strohhut auf dem Kopfe , sah er heute besonders jung aus . „ Wie ein hübscher , böser Junge , “ dachte Mareile .
„ Ich warte hier auf Sie , “ rief er ihr zu .
„ Das ist hübsch , “ sagte Mareile . Günther ging neben ihr
her . „ Hübsch ! “ wiederholte er , „ ich dachte , Sie vermeiden mich am Tage . Sie haben mich auf Abendration gesetzt . “ Mareile hörte wohl den Groll heraus , der in Günthers Stimme kochte . „ Ja , aber heute kommen Sie mir recht , “ sagte sie einfach .
„ Recht oder nicht , “ meinte Günther . „ Ich kam , um Ihnen zu – sagen ; ja – es geht so nicht . Ich halte es nicht aus , nur so – so – ’n Turnreck für Ihr Herz zu sein – für – für Ihre Kunst zu lieben – was weiß ich . Das ist alles verteufelt dummes Zeug . “ Wirklicher Zorn lag jetzt in seinen Sammetaugen . Mareile wurde ein wenig bleich ; ruhig sagte sie : „ Ja , dann ist es wohl aus . “
„ Aus ! “ Günther lachte böse . „ Sprechen Sie doch keine Gemeinheiten . Wie kann es aus sein ? Man muß doch wissen , was man ist . Irgendwelche Schloßideen sind Ihnen angeflogen . Sie sind nun mal keine weiße , tugendhafte Frau . Sie sind Mareile , Sie zahlen bar . Aber plötzlich wollen Sie so ’n Gemisch von Mareile und Fürstin Elise und Tante Seneïde sein . Das ist unmoralisch . Wollen Sie was von mir ? Gut – was wollen – Sie ? Ich tue alles . “
Mareile senkte den Kopf und hörte schweigend zu . Wie Peitschenhiebe traf sie die Brutalität von Günthers Worten . Dennoch wünschte sie , er solle weiter sprechen . Die gewaltsamen Worte taten ihr wohl , schnürten ihr die Kehle zusammen , ließen ihr das Blut heiß in die Schläfen steigen .
„ Warum sagen Sie nichts ? “ fragte Günther ein wenig kleinlaut . „ Jetzt hab’ ich Sie natürlich beleidigt ? Sie fürchten sich vor mir . “
Mareile sah auf . Sie war selbst erstaunt über den ruhig überlegten Ton , mit dem sie sagte :
„ O nein ! Ich fürchte mich nicht . “
„ Wollen Sie mit mir heute reiten ? “ Günther beugte den Kopf , um Mareile unter den Hut zu sehen . „ Sie wollen nicht ? Sehn Sie … “
„ Doch , warum nicht ? “ erwiderte Mareile und lächelte ; sie zwang sich zu diesem Lächeln , denn ihre schöne Sicherheit war fort . Günther aber triumphierte . Er schwenkte seinen Hut , rief : „ Haio ! dann ist ja alles gut ! “
Um drei Uhr ritten sie aus . Die Sonne stach durch leichte , graue Wolken . Es war windstill und schwül . Unter den Hufen der Pferde erhoben sich Staubwolken . Grane , von Fliegen belästigt , war unruhig , Mareile mußte achtgeben . Günther gab ihr kurze Verhaltungsmaßregeln : „ Wenn sie ausfällt , die Peitsche . “ – „ Gut im Zügel halten . “ Mareile war niedergeschlagen . Alles schien ihr bedrückend und feindlich : der heiße Staub , die großen Schnaken , das Schrillen der Feldgrillen . Sie wollte hübsche Gedanken denken , aber diese ließen sich nicht rufen . Eines nur lebte in ihr , niedrig , staubig , wie die Wegwarte am Feldrain , eines nur , ein freudloses , bohrendes , dumpfes Verlangen , von Günther genommen zu werden – nur das … Sie schaute zu Günther hinüber . Sein Gesicht trug einen müden , gequälten Ausdruck . „ Wir sind alle traurig , “ dachte Mareile , „ der Wald und Günther und Grane und ich . “
Als sie einen Abhang hinabritten , spürten sie den kühlen Hauch des nahen Sees . Da lag er vor ihnen , schwarz und regungslos , eine stumme Trauer .
„ Steigen wir hier ab ? “ fragte Günther .
„ Wie Sie wollen , “ erwiderte Mareile . Es lag ein demütiges Gehorchen in ihrem Ton , so daß Günther erstaunt aufblickte . Er half ihr vom Pferde , band die Tiere an einen Baum . Mareile starrte währenddessen gedankenlos auf den See , sah einer schwarzen Taucherente zu , die langsam , wie ein kleines , einsames Fahrzeug über das Wasser schiffte . Plötzlich stieß der Vogel seinen Ruf aus , so schrill und angstvoll , daß Mareile erschrocken fragte : „ Was hat er ? “
Günther stand neben ihr , sehr bleich , mit unruhig flimmernden Augen .
„ Mareile , “ begann er leise , kummervoll , „ wir können nicht mehr . “ Sie stand vor ihm , die Arme hingen schlaff an ihr nieder . Sie verstand ihn wohl ! Sie wiederholte : „ Nein , wir können nicht . “ Da nahm Günther sie in seine Arme …
Die Sonne schien schon schräg durch die Zweige , als Günther und Mareile noch am See beisammen waren . Er lehnte den Rücken gegen eine Tanne und rauchte eine Zigarette ; sie lag in dem Moos und starrte zu den Baumwipfeln auf . „ Also heruntergeholt ! “ sagte sie klagend vor sich hin , „ jetzt ist sie so ’n gewöhnliches Ding , wie – wie – wir’s überall finden – in allen Gesindestuben . “ Ungeduldig warf Günther die Zigarette fort und nahm Mareilens Hände , die schwer und heiß in den seinen lagen . „ Sprichst du von unserer Liebe ? Na , das verbitte ich mir . Erstens gleicht eine Liebe nie irgendeiner anderen Liebe . Und dann unsere ! So was hat es noch nie gegeben ; die ist einzig . “
„ Ja , du bist jetzt der Herr , “ erwiderte Mareile . „ Was Du aus ihr machst , das wird sie sein . “
„ Froh sein , Schatz , “ mahnte Günther . Auf seinem Gesicht glänzte wieder zuversichtliche , eigensinnige Lebensfreude . „ Wir müssen an unsere Feste glauben , wenn wir sie feiern wollen . Gott ! wir wollen unsere Liebe schon herausputzen . Mit allem Schönen wollen wir sie füttern , nicht ? Wir , zwei solche Prachtmenschen ; kluge Köpfe mit Rosen umwunden ; na , das soll eine Liebe werden ! “
Mareile lächelte , lehnte ihren Kopf an Günthers Schulter und weinte . Er ließ sie weinen . Erst wenn ein Weib um seinetwillen geweint hatte , fühlte er es ganz als sein Eigentum . Rote Abendlichter hingen in den Zweigen . Lange Züge von Wildenten schwirrten pfeifend über den See . Am jenseitigen Ufer standen äsende Rehe , feine , rote Figürchen am schwarzen Wasser .
„ Wir müssen heim , “ sagte Günther , „ die andern warten . “
Mareile fuhr auf . „ Die andern , die sind auch alle noch da – das Diner – und die Tanten – und – und … “
„ Da sind sie , “ tröstete Günther , „ aber weißt du , nur so ganz verschwommen . Wirklich sind eigentlich – nur du und ich . “
Am Ende des Lantinschen Parkes , dort , wo der Wildpark anfing , lag auf einer kleinen Insel des Teiches ein Pavillon , mit geschweiftem , chinesischem Dache . Die Leute nannten ihn die Türkenbude und erzählten sich seltsame Geschichten , die in alten Zeiten die Türkenbude mit angesehen haben sollte . Jetzt war der Raum verwahrlost . Die chinesische
Tapete hing in Fetzen von den Wänden , Fledermäuse schliefen hinter ihr ihren Tagesschlaf , die rosa Vorhänge waren verschossen , die Couchette und die Sessel mit den goldenen Beinchen wackelten . In einer Vitrine schliefen staubige Bücher und Vögel aus kleinen Muscheln geformt . Ein roher Küchentisch stand mitten unter den altersschwachen Sachen . An der Wand hing ein Pastellbild , der Kopf einer blonden Frau . Der untere Teil des Gesichtes war fortgewischt , aber an den harten , grellblauen Augen sah man noch , daß der Mund gelächelt hatte . Diesen Ort hatte Günther für seine Zusammenkünfte mit Mareile gewählt . Die Mittagstunde , wenn es auf den Feldern und Wegen still wird , war ihre Liebesstunde .
Günther lag auf der Couchette , rauchte und wartete . Das Fenster zum Walde hin stand offen . Das Hämmern eines Spechtes , der Wachtruf eines Hähers , das Schnalzen der Fische im Teich klangen herein . Ein Lufthauch trug den Duft des Mooses , der Schwämme und Heidelbeeren ins Zimmer . – Günther streckte sich . Oh ! die köstliche Luft seiner Liebesstunde ! Neben ihm stand eine Flasche und ein venezianisches Glas . Es war griechischer Wein , jener Santoriner vino santo , der ihn an Photini und die Liebesstunden auf Hydra erinnerte . Frau Kulmann , die alte Kastellanin , froh , wieder die Hüterin eines herrschaftlichen Geheimnisses zu sein , hatte eine weiße Salatschüssel voller Zentifolien auf den Tisch gestellt .
Günther dachte immer wieder : „ Mareile – Mareile – Mareile . “ Seltsam kühn sind doch die Weiber ! Mareile , die Musterfrau der Fürstin Elise , Mareile , die eben noch in
Reih und Glied mit Beate , Seneïde marschierte , sie ließ plötzlich alles fallen , so mit einem Ruck , wie sie es liebte , ihre Kleider an sich niedergleiten zu lassen , um in ihrer schönen Nacktheit ihm zu gehören . Teufel auch ! – Aber er wurde ungeduldig . Das Warten verlor seine Feierlichkeit . Kleinliche , unangenehme Gedanken kamen : an Verheimlichen , Verstecken , die ganze unreinliche Buchführung einer solchen Liebe .
Endlich knirschte der Kies unter dem Fenster ; die Türklinke ließ ihr alterschwaches Knarren vernehmen und Mareile war da . Mit ihr durch die Türe kam ein wenig von dem hellen Widerschein des Wassers in das Zimmer und flirrte an den Tapeten hin . Günther blieb regungslos liegen . Die starke Spannung seines Wesens löste sich in glückliche Wunschlosigkeit . Nun war alles gut ! Mareile schloß sorgsam die Türe , zog die Vorhänge vor das Fenster . Dann stand sie da , streifte die langen Handschuhe von den Armen und sah Günther an . Ein Lächeln stieg von ihren Lippen in ihre Augen hinauf . Sie trug ein Kleid von gelbrotem , spanischem Musselin , die milde Farbe trockner Rosenblätter . Ein orientalischer Gürtel aus bunten Metallfäden hielt es zusammen . Auf dem Kopfe saß der geschweifte Sommerhut aus blankem , gelbem Stroh wie ein Riesenchrysanthemum . Günther wollte etwas sagen , Mareile jedoch legte ihren Finger auf ihre Lippen und machte „ Sst “ . Sie löste die Schnalle ihres Gürtels , der mit hellem Klirren zur Erde fiel ; dann rauschten die Kleider , indem sie niederglitten , – ein seidiges – leises Rauschen . Einen Augenblick stand Mareile still , hob die Arme empor , als täte die Nacktheit ihr wohl ,
dann ging sie zu Günther hinüber , beugte sich auf ihn nieder , drückte ihren Mund auf seine Lippen , wie ein heißes Siegel , und Günther , bleich vor Erregung , schloß die Augen , lag da , begraben unter diesem warmen , fiebernden Frauenleibe .
Und welch ein Glück war es , nach solch einer Liebesstunde dazuliegen , satt und müde , und zuzusehen , wie Mareile durch die Rosadämmerung des Raumes hin und her ging , den Vorhang ein wenig von dem Fenster zog , um das schwere , goldene Nachmittagslicht hereinzulassen .
„ Ihr Frauen , “ sagte Günther langsam , „ Ihr seid nicht auszudenken . “
„ Ihr Frauen ! “ wiederholte Mareile , „ das gibt ’s nicht . Jede Frau ist für sich da und kommt so nicht wieder . Wie die Wolken , weißt du . Eine Wolke ist auch nur so für den da , der sie gerade sieht . Also , wozu nachdenken ! “ Sie lächelte dabei , die Arme hoch in den Sonnenschein emporhebend .
„ Ja , ja , “ meinte Günther behaglich , „ über sich hingehen lassen , eine Welle , eine blanke , warme Welle , “ wiederholte er und ließ die Worte klingen .
Mareile streckte sich jetzt in dem alten Sessel mit den goldenen Beinen aus . Die Füße legte sie auf den verblichenen roten Schemel . Günther liebte diese schmalen Füßchen mit den geschweiften Sohlen ; sie waren lebendig und ausdrucksvoll , wie Füße der Dorfkinder , die an Freiheit gewohnt , mit den langen Zehen geschickt nach den Kieseln im Bache fassen . Um die Fußgelenke und um die Arme trug Mareile glatte , goldene Reife . Günther hatte sie ihr gegeben . Auf jedem Reif stand der Vers des Hohen Liedes : „ Du bist schön ,
meine Freundin . “ Mareile legte ihre Hand in die Zentifolien der weißen Schale und schloß die Augen . Das war der Augenblick , in dem Günther , von seinem Ruhebette aus , Fragen zu Mareile hinüberzuwerfen liebte , wunderlich unumwundene Fragen . Es ergötzte ihn , rücksichtslos in diese Frauenseele hineinzufassen .
„ Sag ’ , Schatz , wenn du jetzt an das Schloß denkst , an Seneïde , an die Tanten , an die Lampe im Gartensaal , wie siehst du das ? “
„ Ich sehe sie – sehr – sehr weit . Wie durch ein umgekehrtes Opernglas , ganz klein , ganz unwirklich . “
„ Nun , und Vater Ziepe , die Inspektorsstube ? “
„ O , die sind deutlicher , näher . “
„ Wirklich ? “
„ Ja – seit einiger Zeit sind sie näher als – als das Schloß . “
„ Hm – “
Mareile lächelte ihren Gedanken zu :
„ So muß es doch sein , Liebster , nicht ? Wir , du und ich , wir haben unser Leben zusammengetan , eine Kasse . Und nun ist es stark und spricht ganz laut . Wir haben nur seine Stimme in den Ohren , verstehst du ? Alles andere ist klein , unecht . Es gibt doch so alte Bilder : Ganz vorne steht ein Mensch , oder es stehen zwei beisammen , groß , farbig , ganz deutlich . Die leben ; und hinter ihnen stehen Häuser und Bäume , und Menschen gehen über Brücken oder reiten auf Wegen , aber ganz klein , ganz bunt , eine Spielzeugwelt , unwirklich . Siehst du , so . “
Günther lachte . „ Gut , gut ! Du und ich , sonst nichts . “ Er wiegte sich in diesen Worten : „ Du und ich . “
„ Ja , ja , du und ich , “ wiederholte Mareile mit der verträumten Musik ihrer Stimme . Dann schwiegen sie . Große Hummeln sangen am Fenster vorüber . Die Sonnenstrahlen schienen rötlich und schräg in das Zimmer , und die großen , roten Kugeln der Zentifolien in der weißen Salatschüssel füllten welkend den Raum mit ihrem süßen Duft .
„ Und Hans Berkow , kommt er noch zuweilen in deine Gedanken ? “ fragte Günther Mareile , als er eines Tages wieder auf dem Ruhebette lag und Mareile im Sessel vor der Schüssel voller Zentifolien saß . Er sah unter den halb geschlossenen Lidern zu ihr hinüber und wartete , wie diese Frage auf das ruhige Bild ihm gegenüber wirken würde .
„ O , den – den sehe ich nicht mehr , “ erwiderte Mareile träge .
„ Aber du sahst ihn doch früher – ganz groß – im Vordergrunde , “ meinte Günther .
„ Groß ! “ wiederholte Mareile nachdenklich , „ nein , der war immer schattenhaft , unwirklich . “
„ Und doch , “ warf Günther ein .
Mareile zuckte die Achseln . „ Mein Gott , ja ! Er machte euch anderen Opposition , das gefiel mir damals . Und dann , eure Erziehung – dort , – die macht den Körper dumm . Er weiß ja nicht , was er wollen soll … und so . “ Mareile nahm eine Rose aus der Schüssel und spielte mit ihr wie mit einem roten Ball . „ Hans Berkow “ , fuhr sie sinnend fort , „ verstand gut alles , was an mir zu sehen war . Wunderschön fühlte man sich , wenn er einen ansah . “
„ Und dann ? “ drängte Günther .
„ Dann – dann ? Ja , er hatte diesen Schönheitsappetit ; aber sich selber schön machen , sich für mich ein wenig Mühe geben , das konnte er nicht , ebensowenig , wie er seinem Pudding gefallen wollte . Er wollte so ’n Raffinierter sein , aber ich weiß nicht , es klebte an ihm doch etwas von ärmlichen Bierstuben mit Papierservietten und unreinlichen Kellnerinnen . “
„ Und dann ? “ forschte Günther .
Mareile lächelte mitleidig einem fernen Bilde zu . „ In Venedig war’s . Ein grauer Morgen . Alles grau , der Himmel und das Wasser . Ich stand am Fenster und schaute hinaus . Mir war zumute wie als Kind , wenn Beate und die anderen ausgefahren waren und ich war nicht mitgenommen worden . Da rief Hans aus dem Nebenzimmer : ‚ Mareile , Mareile . ‘ Du weißt , er schnarrt das r so häßlich . Das klang wie : ‚ Her – her zu mir – meine Sache – meine Speise – mein Imbiß – ich habe Appetit . ‘ Da wußte ich es , daß ich ihn nicht mehr ertragen würde . “ Sie begann , langsam die Rose , mit der sie spielte , zu zerflücken . Wie Blut rannen die roten Blätter über ihre Finger in ihren Schoß . „ Der arme Hans ! Gott , wie wurde er häßlich ! Hungrige können so häßlich sein . Aber das ist vorüber . “ Sie stand auf . Die Rosenblätter regneten von ihrem Schoß an ihren Gliedern nieder . Sie setzte sich zu Günther , strich mit der Hand über seine Brust , ließ sie auf seinem Herzen ruhen . „ Sprich du jetzt , “ sagte sie .
„ Von dir , “ murmelte Günther wie im Traum . „ Von dir könnte ich eine Ewigkeit sprechen . Dich fühle ich ganz … Betty Halm , die ist ein Hauskleid – und Beate ist ein Sonntagskleid – du bist anders – Ihr – dein Geschlecht
– seid kostbare Träume – kostbar und vergänglich ; nur für Festtage da – für heiße Stunden ganz voller Licht – für die Dämmerstunden sind die andern da , die stillen , weißen Frauen … aber ihr , ihr müßt vergehen , wenn ihr nicht glücklich seid . “ Mareile lächelte . Günthers Worte taten ihr wohl . Sie wollte dieses kostbare , vergängliche und unverantwortliche Festtagswesen sein , das keinen Montag erleben konnte . Dann war es gut . Ziepens „ lütte Mareile “ , die gerne Baronesse wäre , die Inspektorstochter , die der Gräfin den Herrn stiehlt , all das war dann nicht mehr da .
„ Ja – ja , “ sagte sie mit der tragischen Musik ihrer Stimme . „ Aber wenn wir da sind , sind wir alles . “ Sie beugte sich auf Günther nieder , der die Augen schloß , bleich , fast ohnmächtig vor übergroßer Erregung .
Mit dem ersten flüggen Volke Rebhühner langten das Ehepaar Sterneck und der Major von Tettau in Kaltin an . Der Major meinte , wenn er sein erstes Rebhuhn im Jahr nicht in Kaltin schösse , dann fielen ihm die Bestien in dem Jahre nicht .
Es war vor dem Diner . Abendlicht lag über dem Garten . Der Duft der Reseden und Tuberosen mischte sich mit dem Dufte der Pflaumen und Frühbirnen . Die Herren und Damen , schon für das Diner angekleidet , gingen noch ein wenig zwischen den Blumenbeeten auf und ab. Seneïde und Beate standen auf der Veranda und schauten in den Garten hinab . Unten gingen Mareile und Günther eine Allee von Georginen entlang . Hübsch waren die hohen Pflanzen mit ihren weinroten Blumen ; dazwischen Stockrosen ,
wie Pyramiden von zerknitterter , verschossener Seide . Mareile trug ein schwarzes Kleid , das ganz voll schwarzer Schmelzen war . „ Das ist hübsch , “ dachte Beate ; dieses Bild erregte in ihr jedoch ein scharfes , fast quälendes Interesse . Sie strengte die Augen an , um den Ausdruck der Gesichter erkennen zu können .
„ Wie schaust du aus , Beating ? “ rief Seneïde . Bei den geringfügigsten Anlässen hatte Seneïde die Art so aufzuschrecken , angstvoll , als sähe sie ein Kind im Fenster des vierten Stockes stehen , bereit herabzustürzen .
„ Ich ? “ sagte Beate . „ Aber Tante , du erschreckst einen ja . Ich geh’ noch zu Went hinüber , “ fügte sie hinzu , als sei das das Mittel gegen etwas , das sie angefallen hatte .
Am Abend , als der Mond rund über den Parkbäumen stand , sollte eine Kahnfahrt unternommen werden . „ Das zu versäumen , wäre barbarisch , “ schnarrte Tettau . „ Man hat doch auch seine Poesie im blauen Blut , nicht , meine Damen ? “
Wie ein gespenstischer Tag lag die Mondhelle über dem Garten . Die Damen legten einander die Arme um die Taillen , hoben die Gesichter zum Monde auf und sprachen in Ausrufen . Die Herren folgten . „ Hören Sie , Tarniff , “ meinte Tettau , „ superbes Weib , die Frau Berkow . Donnerwetter ! Aber gut , daß wir dem Egon die Zügel anzogen ; ’ ne adlige Ehefrau , das is sie nu mal nich . “
„ Überhaupt keine Ehefrau , “ bemerkte Günther .
„ So ! Na ja , der Berkow , dummer Kerl , unsympathisch . Aber hören Sie , ich könnte nicht so wochenlang ruhig neben dieser Frau leben . Ehe – ganz schön ; aber es gibt beauté’ s , die einen geradezu zu Dummheiten zwingen . “
Günther lachte . „ Lieber Major , ich bin kein Engländer , der von jeder hübschen Sache ein Stück abbrechen und in die Tasche stecken muß . “
Tettau seufzte . „ Da kann ich nur sagen : O ! meine Jugend ! “
„ Na , Major , zerschmelzen Sie nicht , “ höhnte Günther .
Im Kahne saß Mareile an der Spitze . „ Die einzige , die dem Monde den Rücken zukehrt , “ dachte Beate gereizt . „ Nicht sehen , aber gesehen werden , “ dachte Ida Sterneck . Große Helligkeit lag über dem Wasser , oben das weiße Licht , das Wasser weiß von Licht . „ Man kommt sich vor , “ meinte Tettau , „ wie eine Fliege , die in den Milchtopf gefallen ist . “
„ Bravo , Major ! “ rief Günther . „ Milch , natürlich , von einer goldenen Kuh , die silberne Milch gibt . “
„ Jetzt muß Frau Berkow singen , “ schlug Sterneck vor .
„ Natürlich ! “ meinte der Major , „ für uns Deutsche ist eine Kahnfahrt ohne Gesang Sünde . Aber , gnädige Frau ich bitte um etwas , das ins Blut geht , wie ganz heißer Kaffee , café double mit fine champagne . “
Mareile sang :
„ O komm zu mir , wenn durch die Nacht
Wandelt der Sterne Heer ,
Dann fährt mit uns , in Mondespracht ,
Die Gondel übers Meer . “
Die eine Hand ließ sie leicht über das Wasser hinstreichen . Die Schmelzen ihres Kleides glänzten , als flösse dunkeles Wasser an ihrer Gestalt nieder .
Sterneck wiegte sich vor Behagen . Tettau schwoll ordentlich vor Gefühlsseligkeit ; sein gelber Kragen wurde ihm zu eng . Nur die beiden Frauen flüsterten und lachten . „ Sieh die Augen des Majors , “ sagte Ida , „ sie sind so süß , daß sie kleben ! Ach ! und mein Egon ! “ Eine Feindseligkeit gegen Mareile stieg in ihnen auf . „ Wie sie den Zucker ausgießt ; das ist schon degoutant , “ sagte Ida bitter .
Das Lied war zu Ende . Günther erklärte , man müsse nach Hause . Er wollte Mareile , sein Wunder , das er die andern hatte anstaunen lassen , wieder an sich nehmen ; die begehrenden Augen der anderen Männer machten ihn nervös . Auf dem Heimwege flüsterte Günther Mareile zu : „ Ich muß dich heute nacht sehen . “ Mareile nickte . Die Feindseligkeit der beiden anderen Frauen bewog sie , zu dieser Unvorsichtigkeit „ ja “ zu sagen .
Im Gemüsegarten stand eine kleine Hütte , die zur Aufbewahrung von Gartengeräten , Blumentöpfen und Sämereien benutzt wurde . Dort trafen sich Günther und Mareile . Durch das kleine Fenster drang etwas Mondlicht in den Raum . Eine Fledermaus , die sich hier herein verirrt hatte , kreiste unablässig unter dem Dache . Alldas atmete schwere Traurigkeit , daß die Liebenden sich eng aneinander drängten , im Fieber der Sinne Schutz suchten .
Mareile jedoch fing an zu klagen . Jetzt also begann die Feindschaft derer , die in Reih und Glied stehen . O ! sie kannte das , wenn die Worte den Ton einer Türe annehmen , die höflich vor uns geschlossen wird . „ Ja , häßlich ist es , hier unter ihnen zu leben . Ich betrüge sie , diese vornehmen Damen . Ja , wenn wir unsere Liebe so hinausschreien dürften , das wäre was , aber so . “
Günther ärgerte sich . Warum verdarb sie ihm die Liebesstunde ? „ Warum mußt du heute so sein ? “ sagte er traurig und enttäuscht ; da weinte Mareile in ihrer stillen Art ; die Tränen flossen reichlich , wie Kindertränen , aus den unbewegten Augen . „ Verzeih ! “ sagte sie , „ aber heute ist alles so freudlos . “ Dann schmiegte sie sich eng an ihn . „ Nimm mich , “ flüsterte sie . Das Mondlicht rückte langsam an der Wand hin ; dann nach einer Weile , als Mareile hinschaute , war es fort ; ein graues Licht drang durch das Fenster . Draußen ertönte ein fernes , gläsernes Klingen – die Lerche .
„ Wir müssen heimgehen , “ sagte Mareile . In dem verdrossenen Morgenlichte standen die Liebenden einander gegenüber , gramvoll , wie zwei Sünder . In diesem Augenblicke lebte in ihnen nichts mehr von der Poesie ihrer Liebe . Schweigend gingen sie an den Gemüsebeeten hin , die grau vom Tau lagen ; und sie lehnten sich in der Melancholie dieser Morgendämmerung aneinander , als beugte sie ein Gram . Günther war über die Hintertreppe in sein Zimmer hinaufgeschlichen . Trotz der frühen Stunde hörte er Schritte , ferne Stimmen im Schloß . Jetzt näherten die Schritte sich seiner Türe , Beate erschien auf der Schwelle in ihrem langen Nachtkleide . Sie war ruhig , ein wenig befangen . „ Da bist du , “ sagte sie , „ ich war schon einmal hier . “
„ Ich war draußen , “ brachte Günther unsicher heraus , „ die Nacht war schön . Ich konnte nicht schlafen . “
Beate unterbrach ihn , immer noch befangen , als wollte sie schnell über etwas hinwegkommen . „ Ach so ! Ja , aber die Mama ist krank . Es ist schlimm , glaube ich . Ich habe nach dem Doktor geschickt . “
Günther warf sich mit Eifer auf die praktische Frage . „ Wer ist gefahren ? Die Braunen soll man nehmen . “
„ Frau Ziepe wollte das besorgen , “ berichtete Beate .
„ Frau Ziepe ? “
„ Ja , ich ließ sie wecken . “
Beate sprach leise , als wäre sie noch im Krankenzimmer , und sehr geschäftsmäßig , dann wandte sie sich schnell ab und ging . Günther stand mitten im Zimmer und sann . Es war ja doch möglich , daß er in der Nacht spazieren ging , nicht wahr ? Aber Beates kaltes , scheues Gesicht ? Und Frau Ziepe ? War die nicht Mareile begegnet ? … Ach , diese verfluchte Welt ! Jetzt kam das Krankenzimmer und Beates stillerstaunte Augen und Tante Seneïdes Todesbegeisterung , lauter Dinge , für die er nicht geschaffen war !
Ein Schlaganfall hatte die Baronin getroffen , und sie schwebte in ernster Gefahr . Die Gäste reisten ab . Beate und Seneïde gingen leise im Krankenzimmer ab und zu . In der Bibliothek saß der alte Hausarzt Dr . Joller , suchte in den Zeitungen nach neuen Gemeinheiten der Franzosen und wartete , daß er gerufen würde . „ Hören Sie , Graf , “ rief er den unstät durch die Zimmer irrenden Günther an , „ die Natur unserer alten Dame – großartig ! Die Nieren , die Lunge , das Blut – tadellos ! Das ist Rasse ! Ein Schlaganfall ist ein Unglück . Schließlich gehört der Tod auch zum Leben , nichts zu machen ! Aber solche Nieren , solche Lungen mit ins Grab zu nehmen , da kann man stolz darauf sein . Die Verdauung und das Herz halten bei unseren Damen nicht weit . Der Magen muß alles aufnehmen , was Herr Miespeck kocht , und das Herz , das muß mit jedem Quark mitfühlen . “
„ So , so , Doktor , “ sagte Günther zerstreut und nahm wieder sein unruhiges Hin- und Hergehen durch die leeren , sonnigen Zimmer des neuen Flügels auf . Als er Mareile dort traf , sagte er flehend : „ Ich muß wieder unsere Stunde dort – bei uns haben . Nur Krankenstubendämmerung ertrage ich nicht . “
„ Ja , die müssen wir haben , “ erwiderte Mareile ernst . So trafen sie sich in der Türkenbude .
„ Zieh die Vorhänge vor das Fenster , “ befahl Günther , „ von draußen kommt Traurigkeit herein . “ Die Liebenden drängten sich fest aneinander , sie wagten kaum , sich aus den Armen zu lassen , denn dann fielen unangenehme Gedanken sie an ; Mareile sprach vom Schloß , von der Zukunft . Günther schloß müde die Augen . „ Ach , so seid ihr Frauen . Für die Zukunft einhamstern . Was kommen wird ? Ich weiß es nicht ! Natürlich wird die Zukunft grau und unangenehm sein . Aber jetzt sind wir beieinander . Bitte , sei nicht bitter und enttäuscht und Mareile Ziepe ! Nein , du findest heute nicht den Ton . Sprich heute nicht . Nimm dort das verstaubte kleine Buch und lies . Das sind Bücher , in denen frühere Mareilen gelesen haben , wenn sie hier auf Tarniffs warteten . “
Mareile nahm den kleinen Band zur Hand . Auf dem rosa Einband stand „ Lucinde “ . „ Oh ! “ sagte Mareile , „ hier hat eine frühere Mareile etwas angestrichen . “
„ Lies , lies . “
Mareile las : „ Vernichten und Schaffen , eins und alles ; und so schwebe der ewige Geist ewig auf dem ewigen Weltstrom der Zeit und des Lebens und nehme jede kühnere
Welle wahr , ehe sie zerfließt . “ Mareile hielt inne . „ Weinst du ? “ fragte Günther mit geschlossenen Augen . Neben ihm rauschte es . Mareile war am Ruhebette niedergesunken und legte ihren Kopf auf seine Brust . „ Kühnere Welle , “ wiederholte Günther wie im Traum .
Beate verließ das Krankenzimmer . Die Mutter schlief . Neben ihr , auf dem Sessel , das Gesangbuch aufgeschlagen auf den Knien , schlief auch Seneïde .
Beate ging in den neuen Flügel hinüber , durch die Zimmer , in denen die hübschen , blanken Dinge in dem klaren Septemberlichte das stumme , selbstzufriedene Leben der Sachen lebten , das traurige Menschen noch trauriger macht . Sie stellte sich an das Fenster und schaute in den Garten hinaus . Die grellen Herbstblumen brannten auf den Beeten . Der Buchsbaum war ganz blank in der Sonne . Dort unten , wo der wilde Wein am Holzbogen den Garten von der Wiese abschließt , tauchte ein Figürchen auf , hell und klein in der Ferne auf dem Hintergrunde des bunten Lebens . Mareile war es , in ihrem mattfarbenen Mantel , den gelben Hut auf dem Kopfe . „ Hübsch , “ dachte Beate , „ wie ein laterna-magica -Bildchen auf roter Wand . Sie will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald . “ Dann war sie fort ; aber ein zweites Bildchen tauchte auf der roten Laubwand auf , klein und hell. Günther war es , im grauen Sommeranzug , den Strohhut auf dem Kopfe . „ Er will wohl unten durch das kleine Tor hinaus in den Wald , “ kommentierten Beatens Gedanken mechanisch ; dann gab es ein Stutzen in den Gedanken , ein hastiges Arbeiten . Mareile
geht in den Wald hinaus . Günther folgt ihr . Also , sie treffen sich im Walde . Wie eine bestimmte Nachricht erreichte das ihr Bewußtsein . Schnell , wie nur ein Frauenverdacht sich ein farbiges Bild ausmalt , sah sie alles vor sich . Jetzt sind sie bei den Ellern , jetzt am Teich . Dabei fühlte es Beate : das , was sie jetzt sah und ahnte , war nicht neu , lange schon hatte ein Wissen darum auf dem Grunde ihrer Seele geruht ; alles , was dafür sprach , lag klar und scharf vor ihr , und sie ging es durch , wie eine Aufgabe , die sie schon einmal gewußt hatte . Sie hatte nur nicht sehen wollen , hatte den Kopf abgewandt und war an alldem vorübergeeilt , schnell und scheu , wie an einem Zimmer , in dem etwas Entsetzliches ihrer wartet . Aber jetzt – jetzt ! Sie legte beide Hände an ihre Schläfen und zog sie mit einer Bewegung unendlichen Jammers langsam über die Wangen herab ; dann holte sie geschäftig ihren Hut und Sonnenschirm und ging in den Garten hinunter , auf die kleine Pforte im Park zu . Fremdartige Gedanken kamen ihr während des Ganges und verlangten nach Worten , wie Beatens Lippen sie nie ausgesprochen hatten ; nichts war grausam und haßerfüllt genug . Und an dieser fremderregten Beate gingen die altbekannten Heimatsbilder vorüber , als gehörten sie zu einem andern Leben und zu einer anderen Beate : der Gemüsegarten , der Teich mit den kleinen , blanken Enten , vor der Schmiede stand Kaspar und ließ die alte Stute beschlagen . Vom Feldwege aus sah Beate Mareilens Hut und Günthers Gestalt im Walde verschwinden . „ Nein , ich habe sie nie lieben können . Immer war etwas an ihr , das mir gegen den Geschmack ging . Verlogen war sie und schlecht und grausam . Wie sie
den armen Halm quälte und dann Hans Berkow – und jetzt Günther . Alle mußte sie haben . “ An Günther dachte Beate nicht , nur an Mareile , die sie betrogen , an Mareile , die sie gekränkt , an Mareile , die sie erniedrigt hatte . Was wagte diese Inspektorstochter ? Ein Dienstbote mit Dienstbotenheimlichkeiten ! Dabei schritt sie eilig vorwärts . Sie mußte jenen nach . Jetzt war sie im Walde . Über ihr rauschten Wipfel . Ein Häher stieß einen Ruf aus , als schrie er durch den Wald : „ Sie kommt . “ Da war die große Linie des Wildparkes , an deren Ende , mitten im grellblauen Wasser , die Türkenbude stand . Günther und Mareile waren fort . Beate blieb stehen . Eine plötzliche Erschlaffung kam über sie . Etwas raschelte neben ihr am Haselnußstrauch . „ O Gott ! Nur jetzt kein Mensch ! “ fuhr es Beate durch den Sinn , und sie errötete , als würde sie auf einer schlechten Tat ertappt . Unter dem Strauch am Boden hockte Eve Mankow . Das rote Haar flimmerte in der Sonne und hing wirr auf das breite , erhitzte Gesicht nieder . „ Natürlich , “ dachte Beate , „ die muß auch da sein . Die gehört ja auch zu dem Entsetzlichen , das ich erlebe . “ Eve streckte die Hand aus , eine kurze , braune Hand , wie Beate deutlich bemerkte , an der die harte Haut glänzte . Sie wies auf das Häuschen im Teich . „ Da , “ sagte Eve kläglich , „ da drin sind sie . Da sind sie immer . Ich weiß . Ich warte jeden Morgen hier . “ Beatens Blicke ruhten einen Augenblick auf dem Häuschen , in dessen Fenster ein verblichener , roter Vorhang wehte , dann kam eine große Angst über sie , Angst vor dem kauernden Mädchen , vor dem Häuschen mit seinem verhangenen Fenster . „ O Gott ! nur fort ! “ Sie wandte sich und lief den Waldweg hinab . Erst
am Waldrande blieb sie stehen , um Atem zu schöpfen . Sie lehnte sich an eine Tanne , glitt an dem großen , rauhen Stamme nieder und weinte , nicht das stille Weinen der Erwachsenen , es war das Weinen böser Kinder , das das Gesicht verzieht und entstellt , und dabei jammerte sie leise : „ Was soll ich tun ! Was soll ich tun ! “
Als Beate in der Nacht am Bette ihrer Mutter wachte , legte die Kranke ihre Hand auf Beatens Hand , eine Hand weich wie welkende Malvenblätter ; und sie begann zu sprechen , leise und mühsam : „ Beating – es kommt viel vor – ich weiß – nie fortgehn – nie . Die armen Männer sind so unruhig – ich weiß . Warten müssen wir – warten , – sie kommen doch zu uns . Du glaubst nicht , – wieviel wir – vergessen können . Und dann kommt Friede – ich weiß – ich weiß . “ Die Stimme wurde schwächer , versiegte . Beate weinte , aber in ihr empörte sich etwas gegen die Worte der Sterbenden . „ Warten ? “ Auf wen ? Günther ? Wußte sie denn , wer dieses Gespenst dort in der Türkenbude hinter dem verblichenen Vorhange war ? Die anderen konnten kommen – und ihr , ihr Eigentum und ihren Frieden nehmen , und sie mußte vergessen – warten ? „ Ich weiß – ich weiß “ hatte die Mutter gesagt . Hatte denn auch dieses Leben solche dunkle , unbegreifliche Stellen gehabt ? Beate sah ihren Vater vor sich , den Greis mit dem strengen Elfenbeingesicht über der leichtgebeugten Gestalt . Eine etwas bedrückende Luft von Ehrfurcht umwehte ihn . Die Kinder wurden in seiner Gegenwart still und scheu . Als er gestorben war , sprach die Mutter von ihm , „ dem lieben Papa “ , mit dem
Stimmton , den sie sonst für heilige , sonntägliche Dinge hatte . Und doch ! „ Pfui ! “ sagte Beate vernehmlich in die Nacht hinein ; dabei schreckte sie auf , sah das bleiche Gesicht in den Kissen an . Die Mutter lag mit offnen Augen da und schaute geduldig vor sich hin , wie Menschen es tun , die auf den Tod warten . Jetzt sagte sie etwas . Beate beugte sich vor . „ Mareile – fort ; es ist besser – “ sagte die Kranke und seufzte .
Beate lehnte sich in ihren Stuhl zurück . Mareile mußte fort , das war es . Morgen wollte sie sie fortschicken , fortjagen , wie einen Dienstboten , wie Amélie , und Günther sollte es wissen . Hier war wieder ein Wollen , ein Entschluß , auf dem Beate ausruhen konnte ; sie brauchte nicht mehr ratlos um die Not herumzuirren . Das Blut der alten Rasse , die von Schonung und Zucht geschwächten Instinkte fanden nicht mehr die Kraft zu einem Zorn , der fortreißt und wohltut . Aber hier war ein Entschluß – etwas wie Pflicht und Ordnung schaffen , das beruhigte sie . Also morgen . Aber noch war es lange nicht morgen , noch brauchte sie nicht zu handeln . Sie schloß die Augen . „ Warten , warten , ich weiß , “ klang es ihr wie ein trauriges Wiegenlied in die Ohren . Ein Gefühl unendlicher Einsamkeit legte sich schwer auf ihre Seele . In der Müdigkeit der Nachtwache wurde das Gefühl zum Bilde : helles Nebelgrau über dem herbstlichen Garten und dem verlassenen Hause . Oben in dem grauen Himmel ein Zug Raben , große , schwarze Vögel , die unablässig ihre Kreise zogen . Und auf dem feuchten Wege , vom Nebel umsponnen , eine einsame Frau mit einem Kinde . Ja , das Kind ! Wenn ihre Gedanken sich der kleinen , blonden Gestalt
näherten , dann bekam das Leben wieder Gestalt und Sinn . Zuweilen horchte sie gespannt auf die Uhr , auf das geschäftige Ticken , das wie der Ton kleiner Füße klang , die eilig , eilig dem entsetzlichen Morgen zuliefen . Dann wurde das Licht der Nachtlampe blasser . Roter Schein drang durch die Vorhänge . Seneïde kam Beate ablösen . Beate ging in den Garten , schritt dort lange an der Buchsbaumhecke entlang , auf und ab . Als sie Mareile über den Hof kommen sah , kehrte sie in den Gartensaal zurück , bleich von ihren Kämpfen und Gebeten , die Hände voll feuchter , weißer Astern . Mareile wollte sich nach der Kranken erkundigen . In ihrem elfenbeinfarbenen Morgenkleide , rote Skabiosen im Gürtel , mit den gut ausgeschlafenen , klaren Augen , erschien sie Beate wie triumphierend in ihrer Kraft und Schönheit .
„ Wie war die Nacht ? “ fragte Mareile .
„ Ruhig , “ erwiderte Beate und schaute auf die Astern nieder ; als sie dann aufblickte , mußte Mareile etwas Seltsames in Beates Zügen gelesen haben , denn ihre Augen wurden groß und rund vor erschrockenem Erstaunen , und dann hatte sie verstanden . Die beiden Frauen , die ihre Kindheit miteinander verlebt , kannten die Bedeutung eines jeden Zuckens auf dem Gesichte der andern .
„ Du mußt fort , Mareile , gleich fort von hier , “ sagte Beate scharf und kalt . Mareile breitete die Arme aus in einer großen , trauervollen Bewegung , wie nur sie sie wagen konnte ; dann begann sie leise und schnell zu sprechen : „ Ja , ich geh . Das ist dein Recht . Das mußte kommen . Das ist dein Recht . Aber sieh , das kannst du nicht verstehn , in meiner Art hab’ ich auch recht … “
„ Bitte , “ unterbrach Beate sie . „ Sprich nicht . Ich ertrag’ es nicht . Geh Recht – ! Eine wie du hat kein Recht . “
Mareiles Augen wurden durchsichtig und golden , dann wandte sie sich um und ging , sie lief fast aus dem Zimmer .
„ Gott , sind solche Augen entsetzlich ! “ dachte Beate . So etwas , wie sie jetzt empfand , mußte derjenige fühlen , der zum ersten Male eine Wunde schlägt , wenn das fremde Blut warm über seine Hände fließt . Beate besorgte dann ihre Morgengeschäfte , prüfte den Speisezettel des Herrn Miespeck , sah nach Went , legte die Astern auf den Frühstückstisch ; brachte die hübsche , harmonische Lebensmaschine in Gang . Endlich hörte sie die Türen gehen , hörte Günthers lustige Stimme . Er hielt Peter einen Vortrag . „ Ja , allen gehört er , “ dachte Beate , „ Eve und Mareile und Peter . Von allen will er bewundert und geliebt sein . Was war er ? Ein Phantom , an das er selbst und sie , Beate , und die andern glaubten und doch nicht zu fassen war . “ Bis in die Seele hinein fror es Beate bei diesem Gedanken . Günther kam .
„ Guten Morgen , Herz , “ rief er . „ In der Nacht ist nichts passiert , hör’ ich . Gott , siehst du bleich aus ! Eine schöne , weiße Mumie . “ Er beugte sich auf Beate nieder , um sie zu küssen . „ Jetzt , “ sagte sich Beate und sie begann zu sprechen in dem harten , kalten Ton , der ihr selbst fremd klang : „ Ich , ich wollte dir sagen , Mareile verläßt Kaltin , heut . Ich – ich habe sie fortgeschickt . “
Günther errötete , dann machte er eine Handbewegung , die „ Nichts zu machen “ bedeuten sollte . Es wurde still im Gemach ; Günther schritt auf und ab . Er fühlte sich sehr elend . Er empfand Mitleid um sich , mit Mareile , mit Beate .
Jetzt sprechen , viel sprechen , große Worte , die guten , pathetischen Klang hatten , bei denen sich weite Bewegungen machen ließen , eine Szene , das war die Rettung . „ Ich frage nicht weiter . Du mußt vielleicht so handeln . Dir scheint es wohl , als sei dir großes Unrecht geschehen . Was ? “ Beate schwieg . „ Gut ! Ich bin im Unrecht , ich gestehe es zu . Einer gewöhnlichen Frau hätte ich nichts mehr zu sagen . Von dir kann ich verlangen , daß du mich trotz allem auch verstehst . “
Beate zog die Augenbrauen empor und sagte : „ Ich bin eine gewöhnliche Frau . Ich versteh’ dich nicht . “
Günther wurde durch den Widerspruch wärmer : „ Doch , doch ! Du verstehst mich . Du weißt , daß ich dich liebe , wie du bist und weil du so bist , und daß ich zuweilen Sehnsucht haben kann – nach – nach heißem Blut – nach Leidenschaft – nach – nach … nun mein Gott , nach allem , was du nicht geben kannst und sollst . “
Das Blut stieg Beate in das schmale , kummervolle Gesicht . Ihre Augen wurden feucht und böse . Sie sprach heiser und mühsam : „ Und wer … wer sagt dir – daß ich nicht auch heißes Blut habe … daß ich nicht auch … , “ sie kam nicht weiter . Mit beiden Händen bedeckte sie ihr Gesicht . Sie schämte sich . Die arme geknechtete , verleugnete Sinnlichkeit wollte sich wehren , aber sie schämte sich davor , sich selbst zu bekennen . Beate weinte : „ Sprich nicht . Ich kann es nicht hören . Was soll ich tun ! “ klagte sie .
„ Soll ich gehn ? “ fragte Günther kleinlaut . Beate nickte . Da verließ er das Gemach , leise , als fürchtete er einen Schläfer zu wecken .
An einem nebelgrauen Oktobermorgen starb die alte Herrin von Kaltin . Beate kniete bleich und tränenlos am Bette der Sterbenden . Günther stand mit gebeugtem Kopfe am Bettende . Seneïde kniete mitten im Zimmer , die Hände betend erhoben . Große Begeisterung schüttelte ihren Körper . Die Nähe des Todes berauschte sie . Die Türen zu dem Saal nebenan standen weit offen , und dort knieten die Dienstboten des Hauses . Alle waren sie da , die breiten , ruhigen Gestalten mit dem schläfrigen Ausdruck , den große Andacht den Gesichtern der Leute aus dem Volke zu geben pflegt . Ab und zu schlich der eine oder der andere an die Türe , um neugierig auf die alte Frau zu sehen , die atemlos dort ihre letzte Arbeit verrichtete .
Wie schwere , feierliche Traurigkeit lag es in dieser ernsten Stunde über dem alten Schloß , über den leeren Zimmern , über Garten und Hof , die wie verlassen schienen ; selbst die Hunde , von der Stille und Leere ringsum traurig und schläfrig gemacht , streckten sich seufzend auf der Freitreppe aus .
Zehntes Kapitel
Beate war im Schlosse mit ihrem Kinde allein . Günther war in Berlin . Er hatte es zu Hause nicht ausgehalten . Schuldgefühl , eine ergebene , bleiche Frau , Traurigkeit in allen Winkeln , das war mehr , als er ertragen konnte . Dazu das quälende Verlangen nach Mareile . Jeder Nerv in ihm hungerte nach ihr . Ein Narr wäre er , wollte er so weiter leben ! Er rief Peter und ließ die Koffer packen . „ Mach ’ schnell , “ befahl er , „ morgen um 7 Uhr 30 geht ’s nach Berlin ! “ und seine Stimme klang wieder hell und lebenslustig .
Seneïde mußte in eine Heilanstalt gebracht werden . Die Aufregung der letzten Zeit war zu stark für ihre kranken Nerven gewesen . Sie fühlte die Krankheit nahe , etwas Dunkeles , Unheimliches , das sich eng um ihr Bewußtsein zusammenschob . Hilflose Angst lag in ihrem Blick . Unablässig ging sie in dem großen , leeren Ahnensaal auf und ab . Beate hörte beständig den rastlosen Schritt , begleitet von dem leisen Rauschen der Schleppe des langen Trauerkleides , und die klagende Stimme , die Bibelsprüche hersagte : „ Laß mich eine kleine Weile , daß ich ausweine meinen Schmerz , ehe ich in das Land gehe , da es stockdickfinster und Nacht des Todes ist . “
Eines Morgens hielt die große , schwarze Kutsche vor der Türe . Frau Bier stand auf der Treppe und wartete auf Seneïde , um sie fortzubringen . Seneïde ließ sich teilnahmslos zum Wagen führen . Nur als ihr Blick auf Beate fiel , murmelte sie klagend : „ Beating – bleibt allein im
Sturm . Beating bleibt allein in der Wüste . Armes , armes Beating . “
Das Leben im Schlosse ging seinen gewohnten Gang . Beckmann schmückte den Eßtisch wie einen Altar . Miespeck klopfte seine Steaks und spielte die Flöte . Die Hunde lagen auf der Hoftreppe und schauten die Allee hinunter , ob nicht Besuch käme . Wenn Beate sich im Eßsaal fröstelnd zu ihrem Mahle niedersetzte , von Beckmann bedient , dann hätte sie sich vor sich selber fürchten können , so gespenstisch erschien ihr alles . Am Tage , im nüchternen Lichte , unter den gewohnten Beschäftigungen , da konnte das Weiterleben noch als selbstverständliche Sache erscheinen ; aber es kamen die Abende , wenn die Stimmen im Hause verstummten , draußen der Hofhund in die Nacht hinausbellte und die Möbel in den Zimmern leise zu knacken begannen , als flüsterten sie miteinander ; dann erwachte in Beate wieder das ermattende , unfruchtbare Herumraten an ihrem Schicksal . Warum mußte das sein ? Warum wurde ihr alles genommen ? Ihre Jugend bäumte sich gegen ihr Schicksal auf . Sie wollte jung sein , leben – wie die anderen . Die anderen , die mit dem heißen Blut , die , von denen Günther gesprochen hatte , die durften rücksichtslos lieben und genießen und sündigen . Sie begann in ihrer vor Einsamkeit fiebernden Seele gegen die Gesetze sich aufzulehnen , unter die sie sich ihr ganzes Leben hindurch gebeugt . Alles , nur dieses stumme Verkümmern nicht ! Und doch , wenn ihr Körper nach Günther verlangte , nach ihm schrie , dann hätte sie ihn schlagen mögen . Wie die Even , die Mareilen sollte ihr Körper nicht fühlen . Und alldas kam wunderlich deutlich mit Stimmen , Bildern , Gesichtern ;
es sprach und rief und stritt in ihr , bis sie todmüde , als käme sie aus einem Kampfe , ihr Zimmer aufsuchte , um schwer und traumlos zu schlafen .
Der November brachte starken Frost . Das Land war wie von Glas umsponnen . Die Bäume bogen sich unter der Kristallast . Der Gärtner band Seile an die Obstbäume und ließ sie von den Dorfbuben schütteln , dann regnete es klirrend von den Zweigen . Alles atmete auf , als Schnee kam . Die weiche , weiße Decke war doch behaglicher als die blanke Glaswelt .
Eines Tages hielt der Schlitten der Gräfin Blankenhagen vor dem Schloß . Die Gräfin selbst und die Fürstin Elise entstiegen ihm . Die lange , bedeutungsvolle Umarmung der Fürstin verletzte Beate . Sie war heute der Gräfin Blankenhagen für ihre laute , burschikose Lustigkeit dankbar . Man sprach von der Nachbarschaft . Immer noch wurde in Grumbnitz schlecht gewirtschaftet , immer noch war Frau von Hallen auf Ternin eine geborne Lehmann , immer noch fand Frau von Scharf für Agnes keine Partie . Nach dem Diner setzte die Gräfin sich an das Klavier . Sofort griff die Fürstin Elise nach Beatens Hand , ihre Augen wurden feucht , und sie flüsterte leidenschaftlich :
„ Meine Beate ! Glaubst du , ich – – wir alle – könnten das ruhig mit ansehn , was hier vorgeht ? “
„ Ihr ? “ wiederholte Beate . Alles in ihr schloß sich vor dieser Berührung , alles in ihr rief : Wache stehn . Niemand einlassen !
„ Du weißt , “ fuhr die Fürstin fort , „ nächst dir leide ich
bei alledem am tiefsten . Aber Leiden ! Mein Gott ! Die kann keiner uns abnehmen . Nicht wahr , mein Herz ? Aber hier … nein , sage nichts ! Wir wissen , was hier vorgeht . “
„ Was wißt ihr ? “ fragte Beate feindselig . Sie entzog der Fürstin ihre Hand , rückte von ihr fort . Die Fürstin weinte . Aus ihren hellblauen Augen rannen schnell kleine , blanke Tränen . „ Was Schmerz ist , das weiß ich , “ meinte sie . „ Enttäuscht werden ist ja mein Gewerbe . Aber davon ist jetzt nicht die Rede . Dir helfen , das ist jetzt unsere Aufgabe . Hier , in der ganzen Gesellschaft sehn wir deine Sache als unsere Sache an . Wir stehn alle auf deiner Seite , da kannst du ruhig sein . Auch alle unsere Herren . Blankenhagen sagte gestern : „ Der Tarniff muß zur Ordnung gerufen werden . “ Glaub’ mir , etwas gesellschaftlicher Druck richtet viel aus . Das verstehn die Männer . Ich sag’ dir , Beating , Mitleid für dich und Entrüstung gegen die andere sind jetzt sozusagen die Leidenschaften unserer Gesellschaft . Von nichts anderem wird gesprochen . “
Beate kniff die Lippen fest aufeinander und machte ein böses Gesicht . Sie hörte mehr den eignen grollenden Gedanken als dem zu , was die Fürstin sprach . Was wollten all diese Menschen mit ihrem schamlosen Mitleid ? Warum ließen sie sie nicht in Ruhe ? Kannten sie denn nicht die Keuschheit der großen Leiden ? Wußten sie denn nicht , daß nur die niedrigsten Menschen am Wege sitzen und den Vorübergehenden ihre Wunde zeigen ? O Gott , wären sie doch fort , diese mitleidigen Seelen !
„ Wenn du willst , mein Herz , “ klang wieder der Fürstin bedauernde Stimme an Beatens Ohr . „ Wenn du willst ,
so bleib ich bei dir . Oder du kommst zu mir mit deinem Jungen . Aber fort mußt du von hier . Es wird noch alles gut . Wir werden dich schon verteidigen . “
Beate fuhr auf . Sie wurde ganz heiß vor Zorn . „ Nein , Elise , wir verstehn uns nicht . Fort soll ich aus meinem Hause ? Warum ? Mich wollt ihr verteidigen ? Gegen wen ? Mich braucht niemand zu verteidigen . Mich kann niemand verteidigen . “
„ Beating – Herz – so versteh’ doch ! “ warf die Fürstin ein , aber Beate wollte nicht verstehn . „ Was ihr wißt und sprecht , weiß ich nicht . Ihr könnt und sollt nichts wissen . Weil ich vielleicht leide , glaubt jeder die Finger in das Wasser stecken zu dürfen , das ich trinken muß . Ich brauche keinen . Ich habe niemandem gerufen . Ich – ich will allein sein . “ Schnell und leise die Worte hervorzustoßen , tat wohl . Die Fürstin machte ein erstauntes und empfindliches Gesicht ; als Beate jedoch schwieg , schmiegte die kleine Frau ihren Kopf verschüchtert an Beatens Schulter .
„ Ja – ja , Beating , “ flüsterte sie , „ ich weiß – ich weiß , – so bist du – so mußt du sein . “
Als die Damen fort waren , begab Beate sich in den alten Flügel zurück , und ihre Einsamkeit erschien ihr heute wie eine Zuflucht .
Elftes Kapitel
In Berlin wohnte Günther bei seinem Oheim , dem alten Grafen Eberhardt von Tarniff . Der Greis war ganz vereinsamt , dazu halb gelähmt . In einem Rollstuhl ließ er sich in den Zimmern und Korridoren seines Hauses in der Wilhelmstraße umherfahren , oder er saß am Fenster und schaute hämisch und unzufrieden auf die Straße hinab . Er hatte das Leben genossen . „ Was an Pläsier zu haben war , nahm ich mit , “ pflegte er zu sagen . Jetzt war die Welt langweilig . Die Jungen waren Duckmäuser und taten nichts , worüber die Alten einmal lachen konnten . „ Na , der Günther , “ meinte er , „ der stellt noch hin und wieder was an , über das es sich zu reden lohnt . “
Jetzt war Günther der Gast seines Oheims , nachdem er für zwei Monate verschwunden gewesen war . Man wollte ihn in Cannes , in Biarritz mit der schönen Frau Cibò-Berkow gesehen haben . Allerhand Gerüchte über ihn und Mareile beschäftigten die Berliner Gesellschaft sehr stark .
Mareile nahm eine Wohnung in der Bülowstraße . Ihre vornehmen Verbindungen hatte sie vergessen , als wären sie nie dagewesen . Sie wollte jetzt nur ihrer Kunst und ihrer Liebe leben . Eine frische , friedliche Luft sollte sie umwehen . Nichts von der schwülen Luxusatmosphäre der Damen , die außerhalb der Gesellschaft stehen . Günther , ja , auf den war ihr Leben jetzt gebaut . Ihn behalten , war ihre Aufgabe , denn sonst hatte alles , was sie getan und gewagt , keinen Sinn . Und sie verstand zu halten , was ihr gehörte , mit dem zähen Eigentumsgefühl der Bauern , ihrer Vorfahren .
Noch war sie jedem Nerv , jedem Blutstropfen in Günther ein Lebensbedürfnis . Aber schon der Gedanke , daß das anders kommen könnte , nagte in schlaflosen Nächten an Mareilens selbstbewußtem Herzen .
Günther lebte in dem grauen , herbstlichen Berlin ein wildes Junggesellenleben , das ihm selbst zuwider war . Allein , was sollte er mit einem Leben anfangen , in welchem er weder rückwärts noch vorwärts zu schauen wagte ? Er spielte und trank . Der einzige Zweck dieses Daseins war Mareile . Sie war für ihn das wirkungsvollste Betäubungsmittel . Er liebte sie , wie wir unsere Sünde lieben , und es kränkte ihn , daß sie ruhig , stark , harmonisch sein wollte . Krank am Leben , wie er , sollte sie sein . Sie sollte sich für ihn verderben , wie er sich für sie verdarb .
„ Ich weiß nicht , “ sagte er eines Nachmittags , als er in Mareilens Wohnzimmer saß und verstimmt auf die Straße hinabschaute , „ zuweilen ist’s bei dir so – so – “
„ Sag ’s nur , “ meinte Mareile und lächelte . Ihr Wollenkleid in sterbendem Grün , mit großen , fliederfarbenen Mohnblüten gemustert , stimmte hübsch zu dem verschleierten Novembertage . Günther suchte nach dem rechten Wort . „ Wie – wie ein Sonntagnachmittag bei einer Majorswitwe . “ Er wollte Mareile ärgern , aber sie strich ihm nur leicht über das Haar und sagte : „ Du Armer ! “ Das machte Günther weich .
„ Ach , wollen wir fortgehen – irgendwohin , wo es still und heiß und blau mit Gold besetzt ist . “
Mareile schüttelte den Kopf .
„ Warum ? “ fragte er böse .
„ Weil ich arbeiten muß , “ meinte sie .
„ Arbeiten ? Warum ? “
„ Um Geld zu haben . “
„ Geld ? Warum nimmst du nicht meines ? “
„ Weil ich eine selbständige Welle bin , wie das alte Buch in der Türkenbude sagt . “
Günther seufzte : „ Die Liebe müßte eine schöne , tödliche Krankheit sein . Man liebt sich – und man weiß – das Ende kommt dann und dann , – und die Liebe wird immer hastiger – man hat Eile , sie ganz zu genießen . Nur noch zwei Tage – noch eine Nacht . Aber so … “
Mareile setzte sich auf Günthers Schoß . Er tat ihr leid , und doch freute sie sich daran , wieviel stärker sie als dieser Mann war , und wie fest sie ihn hielt . Das machte ihn ihr noch lieber . „ Warum , “ sagte sie und lächelte noch immer , als spräche sie freundlich zu einem Kinde , „ warum soll die Liebe nicht das Leben sein ? Sie ist da . Wir gehn unseren Geschäften nach – leben unsern Werktag – aber wir wissen , sie ist da – sie wartet auf uns . Erinnerst du dich des Gefühles , das wir am Sonnabend nachmittag hatten . “
„ Ja – ja – das war famos ! “
„ Sieh – so ’n Gefühl gibt die Liebe dem ganzen Leben , immer wartet ein Festtag auf uns . “
„ Ja , aber dann , die verfluchten Sonntagabende , “ wandte Günther ein . Seine trübe Laune wollte nicht weichen . „ Ja , ihr seid klug , ihr Ziepes . Man tut seine Arbeit , hat seinen Bechstein , sein Galléglas , seinen Grafen , seine Liebe , Ordnung muß sein . “
Mareile erwiderte nichts , sie wandte nur ihre Arme fester um Günthers Nacken und küßte ihn , küßte ihn so
lange , bis seine Augen wieder den glücklichen Glanz eines süßen Rausches annahmen . Das war ihr letztes Argument gegen seine bösen , schwarzen Stunden .
Da kam ein Ereignis , das Günther ein wenig anregte . Eines Abends setzte er sich im Klub in das Kaminzimmer zu den alten „ Junggesellen “ . Graf Halken , Major von Tettleben , Baron Schibowitz ; ältliche Herren , die es liebten , in der Kaminecke Böses von den Weibern zu reden . Günther saß hier in sich gekehrt und hörte den verblichenen Abenteuern der alten Schwerenöter zerstreut zu . Aus dem Spielzimmer schlenderte der Fürst Kornowitz heran , lehnte sich an den Kaminsims und schien in seiner teilnahmlosen , gefrorenen Art dem Gespräche zu folgen . Tettleben besprach einen traurigen Fall , der gerade in der Lebewelt Aufsehen erregte . „ Die berühmte ‚ blonde Mary ‘ . Sie wissen , die mit dem Botticellikopf – hatte Wechsel , die ein Husarenleutnant ihr ausgestellt , brutal beigetrieben . Der junge Mann hatte sich eine Kugel vor den Kopf geschossen . Na – ja – natürlich , was soll er tun ? Immer das bekannte Geschäft von Abraham und Moses , Wechsel – und prolongiert – und wieder Prozente – und dann wird die Falle zugeklappt und aus ist’s . Und mit den Engelaugen ist das anders mörderisch als bei Abraham und Moses – was ? “ Die Herren schüttelten die Köpfe : „ Nein , so was ! “ – „ Was sagen Sie dazu , lieber Fürst ? Saftiges Frauenzimmer das ! “ – „ Ich ? “ meinte der Fürst . Er sprach leise und heiser , als kümmerte es ihn nicht , ob die Hörer ihn verstanden oder nicht . „ Die jungen Herren haben die Damen , die sie verdienen . Moses und Abraham sind ja auch , wie diese Herren sie brauchen . Da scheint mir
alles in Ordnung . Nur , wenn so edlere Frauengestalten in die Hände unserer kleinen Lebemänner fallen , dann ist’s ärgerlich . Und das kommt vor . Sie werden bemerkt haben , daß Hunde sich mit Vorliebe die schönsten Statuen aussuchen , um stehen zu bleiben und das Bein aufzuheben . “
„ Nein , das hab’ ich noch nicht bemerkt , “ murmelte Graf Halke verwirrt . Keiner wußte was mit diesem Ausfall anzufangen . Als Kornowitz der Gesellschaft den Rücken wandte , um langsam in das Spielzimmer zurückzukehren , folgte Günther ihm hastig . „ Wissen Sie , Fürst , “ begann er , „ Ihr ethischer Vortrag da eben hat mir nicht sonderlich gefallen . “
„ Das ist wohl möglich , “ erwiderte der Fürst . Das bleiche Gesicht mit den Zügen , die scharf wie die eines Leichengesichtes waren , blieb regungslos , die bleifarbenen Augen sahen Günther teilnahmlos an .
„ Wie meinen Sie das ? “ fuhr Günther auf .
„ Ganz , wie es beliebt , “ sagte Kornowitz und setzte seinen Weg zum Spielzimmer fort . Günther schaute dem gebeugten Rücken mit den zwei blanken Kammerherrenknöpfen am Frack mit einem Gefühle des Hasses nach , das in seiner Energie wohltat und erwärmte . Dann mußte er Sterneck und Tettau aufsuchen , um sie zum Fürsten zu schicken . Das Beraten und Besprechen , die Beschäftigung mit den hübschen , handlichen Gesetzen des Ehrenhandels waren für Günther ein Genuß . All das gab dem Leben wieder Gehalt , verlieh Mareile , Günther selbst , seiner Liebe neuen Wert .
Den Abend vor dem Duell war Günther bei Mareile ausgelassen wie ein Knabe ; dann kam eine angenehme , weiche Stimmung über ihn . „ Setz dich dort auf den Sessel , “
sagte er und ließ die goldene Schnalle an Mareilens Gürtel springen . „ Ganz wie in der Türkenbude . So . Die Füße auf den Schemel . Hier sind rote Rosen , die kannst du wieder zerpflücken . Dann hängen die Blätter wie Blutstropfen an dir . Ja – so . Und ich liege hier . “ Er streckte sich auf den Teppich aus , streichelte die nackten Füßchen mit den Goldreifen . „ So ist es gut . “
„ Ist etwas geschehen ? “ fragte Mareile . „ Du bist heute anders . Nicht , Liebster ? Als wäre etwas Schweres von dir abgefallen . Ja – wirklich – heut ist es wie dort in Lantin . “
„ Ja – ja ! “ meinte Günther . „ Es gibt Festzeiten – und wieder Alltagzeiten mit der endlosen Reihe der langweiligen Trinitatissonntage . Unsere Liebe hat eben einen Festtag . Das ist doch nicht so wunderbar . Nun , reg’ dich nicht . Bleibe so . Gott ! Du wirkst auf mich heute so mächtig – ich ertrage es kaum . Von dir strömt es in mein Blut hinein , immer heißer , – das schmerzt , so schön ist das . Sag’ – schmerzt es dich auch , all diese heiße Kraft auszugießen – sag’ – “
„ Ja – ja , “ flüsterte Mareile . „ Nimm , nimm alles ! “ Sie beugte sich über ihn und küßte ihn mit den Frauenlippen , die in der höchsten , hingebenden Erregung wie heiße Rosenblätter werden , als sei die Haut , die das Blut umschließt , zu einem feinen , kaum merkbaren Schleier geworden .
Frühmorgens weckte Sterneck Günther . Günther streckte sich . „ Schon Dienst ? “ fragte er .
„ Ja , Fürstendienst , “ meinte Sterneck .
„ Ach ja , unser Fürst ! Mir wird sein , als müßte ich auf ein Ahnenbild schießen . “
Der Reif lag wie feine Asche auf den leeren Straßen , die Günther und Sterneck durchfuhren . Die Kähne standen auf der Spree im Nebel groß und schwarz auf einem Tintenfluß . Fröstelnd drückte Günther sich in die Wagenecke . Die leeren Straßen waren ihm zuwider ; er wünschte schon draußen in der Vorstadt zu sein , wo die Leute auf sind , wo die Milchwagen und Gemüsekarren über das Pflaster rattern . Günther sah Kaltin vor sich , sehr deutlich , mit dem gelben Sonnenlicht auf den Fenstern , die Levkojenbeete des Gartens , Beate in einem weißen Kleide , einen Strauß Astern in der Hand . Sterneck sprach von Dachsbauen und Teckeln . Jetzt fuhren sie langsam durch den Sand . Die Luft wurde freier und schneidender .
Am Waldrande standen die Wagen der anderen Herren . Tettau mit zwei Ärzten , der Fürst mit Graf Halke . Ein wenig mißmutig hüllten sie sich in ihre Mäntel , wie Leute , die nicht ausgeschlafen haben . Man begab sich in den Wald . Als die geeignete Stelle gefunden war , begannen die Herren die Entfernung zu messen . Günther saß wartend auf einem Baumstumpf . Vor ihm , auf einer Föhre , hockte ein Eichhörnchen . Das spitze , kleine Gesicht mit den roten Püscheln an den Ohren blinzelte freundlich und ironisch auf Günther nieder . Das machte ihm Spaß . Endlich meldete Sterneck , alles sei bereit . Günther legte seinen Mantel ab . „ Der da , “ meinte er , „ wird sich wundern , was wir mit unseren Dummheiten bei ihm wollen . “
„ Die Eichkatze da ? “ fragte Sterneck . „ Na , die haben auch ihre Affären . Jeder Kreatur ihre Mensur . “
„ Das ist ja ’n Vers ! “
„ Teufel , ja ! Das kommt mir so zuweilen . “
Die Herren stellten sich auf ihre Plätze . Ein jeder dachte in diesem Augenblicke nur daran , die Zeremonie möglichst korrekt zu erledigen . Während der Unparteiische Probe zählte , sah Günther den Fürsten an . Das Gesicht war aschfarben wie immer , die Augen sahen teilnahmslos und schläfrig vor sich hin , die Lippen bewegten sich kaum merklich . „ Sollte er gerade eine Pfefferminzpastille saugen , wegen seines schlechten Magens ? “ dachte Günther und nahm sich vor , später mit den Kameraden darüber zu lachen . Jetzt das Kommando , – aufgepaßt . Günther wollte eben abdrücken und zog die Pistole an dem dünnen Bein des Fürsten entlang , als er den schwachen Knall der Pistole seines Gegners hörte ; zugleich traf ihn irgendwo ein Schlag . „ Was nun ? “ dachte er , „ jetzt nur stehn bleiben – “ – – Jemand , sehr weit schien ihm , fragte : „ Wo sitzt es ? “ Günther antwortete , aber seltsam , seine Stimme hatte keinen Klang . Dann war es , als schneite es , große , sehr blanke Flocken fielen nieder – immer schneller – immer schneller …
In dem Tarniffschen Hause in der Wilhelmstraße lag Günther krank . Die Kugel war auf der Seite in den Körper gedrungen . Die Ärzte erklärten den Fall für bedenklich . Der Kranke lag in hohem Fieber . Wirre Vorstellungen hetzten ihn ; wie Sträflinge , die ihren Wärter besiegt haben , schlüpften sie aus den verborgensten Winkeln des Gehirns hervor , riefen durcheinander , stritten sich . Rätsel gab es , die gelöst sein wollten und doch unlösbar waren . Und all das hatte Eile , das wogte und drängte . Dann plötzlich wurde
es still . Günther sah das Zimmer mit der grünverhangenen Lampe , auf dem Sessel nebenan saß ein fremdes , schwarzes Figürchen mit einer weißen Haube . „ Ist es Nacht ? “ fragte er . „ Abend , “ antwortete eine fremde , sanfte Stimme . Das schwarze Figürchen kam und gab ihm etwas zu trinken . Günthers Blicke irrten im Zimmer umher . „ Ja – Wilhelmstraße – Berlin , “ sagte die fremde Stimme . „ Ja – Berlin , “ wiederholte er matt und wie enttäuscht .
Denselben Abend , als der alte Graf Eberhardt sich im Rollstuhl den hellerleuchteten Korridor auf und ab fahren ließ , was er seine Motion nannte , ließ sich Frau Cibò-Berkow melden . Das erfreute ihn . Er empfing Mareile mit seinem liebenswürdigen , lange nicht gebrauchten Lebemannslächeln : „ Welche Ehre , meine Gnädige ! Ich weiß , der Besuch gilt nicht mir altem Krüppel , aber man profitiert , wo man kann . “
„ Ich wollte Nachricht von Ihrem Neffen , “ sagte Mareile geschäftsmäßig .
Der Graf lächelte galant : „ Beruhigen Sie sich , meine Gnädige , wir liefern ihn Ihnen schon wieder neuaufpoliert ab . Vorlaut sind unsere jungen Leute genug , aber daß sie uns alten das Sterben wegschnappten , das hoffe ich doch nicht . “
„ Ich will ihn sehn , “ versetzte Mareile . Der Graf kicherte : „ Na , jetzt wird er sich nicht besonders präsentieren . “ Aber Mareile wiederholte ernst : „ Bitte , ich will ihn sehn . “
Der Graf wurde ärgerlich . „ Ja , ja , das Sentiment ist jetzt Mode . Na , schließlich ist ’s Ihr Drama , Sie sind sozusagen die Verfasserin – ha – ha . Johann , führe die gnädige Frau hinauf . “
Im Krankenzimmer herrschte Dämmerlicht . Es roch nach Jodoform . Mareile atmete beklommen . Das waren Licht und Luft , in denen sie am schwersten zu leben vermochte . Die Diakonissin sagte vorwurfsvoll : „ Er schläft . “ Mareile nickte und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bette . Im Zimmer herrschte wieder die schwere , drohende Stille . Das schmale , weiße Gesicht in den Polstern erschien Mareile so fremd . Sie weinte leise ; sie sehnte sich nach dem ihr bekannten Günther , nach seinem hübschen , leichtsinnigen Gesichte … Diesen Günther mußte sie wieder haben , sie hatte ihn sich mit aller Rücksichtslosigkeit gegen andere und gegen sich selbst erkämpft . Wurde er ihr genommen , was war ihr Leben dann ? Etwas Formloses , etwas , das schweigt und droht , wie diese Krankenstube . Er mußte leben . Sie fühlte es körperlich , wie ihr Lebenswille auf den bleichen Schläfer überströmte , warm , stark , als brächen in ihr die heißen Bäche des Lebens auf , um ihn zu überschwemmen . Günther regte sich . Mareile beugte sich auf ihn nieder . „ Willst du trinken ? “ fragte sie . Er nickte . Seine Augen sahen mit dem müden , freudlosen Blick der Kranken vor sich hin , ohne Mareile zu erkennen . Sie gab ihm zu trinken . Das Rauschen des Kleides , der Orchideenduft mußten ihm auffallen , er sah Mareile an . „ Ja , ich – ich bin’s , “ flüsterte sie . Sie beugte ihr Gesicht nah auf das seine nieder , strahlte ihn mit ihren Augen an , ungeduldig , ihn aus der Ferne seiner Träume zurückzuholen . „ Mareiling , “ sagte er und lächelte matt ; aber gleich wieder schloß er die Augen , und das Gesicht nahm wieder den ältlichen , mißmutigen Ausdruck an ; dabei rückte er ein wenig von Mareile fort .
Die Nachtstunden verrannen . Die Straße war verstummt . Die Uhren schlugen durch das stille Haus . Es mochte vier Uhr sein , als Günther wieder zu trinken verlangte . Mareile bediente ihn . Günther sagte etwas , Mareile verstand ihn nicht . „ Was sagst du , Liebster ? “ mußte sie fragen ; da wiederholte er es ungeduldig : „ Ist Beate noch nicht da ? Warum kommt sie nicht ? “ Da Mareile nicht antwortete , ließ er mutlos und enttäuscht seinen Kopf zurücksinken und schloß die Augen . Als der Morgen über den Dächern zu grauen begann , stahl Mareile sich lautlos aus dem Krankenzimmer . Was half es ihr ? Nahm der Tod ihn nicht von ihr , so tat es das Leben ; sie mußte der anderen Platz machen .
Beate saß unterdessen im Wagen des Zuges , der sie nach Berlin brachte . Es war heiß und beklommen darin . Hinter den befrorenen Fensterscheiben stand eine schwarze Nacht , in welche die Lokomotive ihre Wolken goldener Funken hinauswarf . Zwei ältliche Damen im Coupé sprachen von einer Bertha , einem Schwiegersohn , der eine Emilie nicht verstand .
Gleich nach Empfang des Telegramms , das Günthers Verwundung meldete , war Beate abgereist . Günther war krank – sie mußte zu ihm , das war klar und selbstverständlich ; hier brauchte Beate nur mit Mitleid und Pflicht zu rechnen , und das verstand sie . Jetzt , in der Stille dieser Nachtfahrt aber , wagten sich seltsame Gedanken hervor . Sie waren schlecht , und Beate fürchtete sich vor ihnen – allein , sie waren da und gehörten zu ihr . Stirbt Günther , dann – ja dann war ihr Leben wieder verständlich und klar . Wents
Leben drohte kein Schatten mehr . Sie floh vor diesem Gedanken ; aber er kam immer wieder . Das Stampfen des Zuges sprach davon , deutliche Bilder kamen ; der Katafalk im Ahnensaal , Blumen , Kerzen , deren Flammen bleich und durchsichtig im weißen Schneelichte standen , das durch die hohen Fenster einfiel . Sie selbst im Trauerkleide , Went auf ihren Knien , einsam in dem alten Kaltin , das wieder seinen Frieden und seine Heiligkeit zurückgewonnen hatte . Beate fuhr auf . Gott , was war es denn , das in ihr so denken , so fühlen durfte ? Aber kaum schloß sie die Augen , so kamen die Bilder wieder .
Frühmorgens langte Beate in Berlin an . Im Hause in der Wilhelmstraße schlief noch alles . Sie ließ sich in das Krankenzimmer führen , und dort , auf demselben Stuhl , den Mareile eben verlassen hatte , wartete sie auf Günthers Erwachen . Als er seine Augen aufschlug , sah er Beate an , anfangs teilnahmlos , dann jedoch kam ein zufriedener Ausdruck in das hagere Gesicht . „ Näher , “ flüsterte er , seufzte einen tiefen Seufzer der Erleichterung und drückte seinen Kopf tiefer in die Kissen , als könnte er nun ruhig einschlafen . Beate rückte näher heran . Alles Fremde in ihr war fort . Ihre Seele wandelte wieder auf bekannten , reinen Pfaden .
Günthers Krankheit zog sich lange hin . Die Ärzte fürchteten die Folgen der Verwundung . Günther nahm Beatens Pflege freundlich und wie etwas selbstverständlich ihm Zukommendes entgegen . Das Leben ging wieder seinen hübschen , geordneten Gang . Stundenlang , wenn sie Günthers Schlaf bewachte , konnte Beate müßig in das Flirren der großen , weißen Flocken hinaussehen . Die weiße Decke ,
die sich über die große Stadt breitete , gefiel ihr , so wollte sie es , kühl und rein ; verwischen und verdecken . Mädchenträume von Liebe und Glück , einst beunruhigend wie Frühlingsnächte , schienen jetzt sehr fern . Sie wollte sichere , reine Wege , wollte die Luft , die zu atmen sie gewohnt war .
Als nach einigen Wochen das Ehepaar Tarniff von der Kaltiner Station nach dem Schlosse fuhr und die erleuchteten Fenster zwischen den verschneiten Bäumen in der Winterdämmerung ihnen entgegenleuchteten , da war es Beate , als hörte sie die Stimme ihrer Mutter , die mühevolle Stimme der Sterbenden , die die Worte eintönig und langsam sich folgen läßt , als spräche sie mit jemandem , der weit fort ist . „ Warten – warten – sie kommen zurück . “ So war es . Er war gekommen , wund , vom Leben besudelt und gebrochen .
Es war Frühling geworden . Günther saß in seinem Zimmer am Fenster und schaute hinaus . Er war müde . Die Frühlingsluft griff seinen geschwächten Körper an . Die nassen Wege blitzten in der Sonne . Der Teich glitzerte hartblau . Die Enten trieben sich auf dem Hof umher und freuten sich , daß die ganze Welt ein Tümpel war . Das interessierte Günther alles . Ein angenehmes Herren- und Eigentumsgefühl stieg von diesem Hofe zu ihm auf . Es war , als schnatterten die Enten im Chor : „ Dein – dein . “
Peter kam und überreichte einen Brief . „ Ein Junge aus Lantin hat ihn gebracht . Er wartet auf Antwort . “
Gleichgültig öffnete Günther den Brief , dann nahm sein Gesicht einen erschrockenen , gequälten Ausdruck an .
„ Was stehst du und guckst mir auf die Nase ? “ fuhr er Peter an . „ Aha ! “ dachte Peter und ging .
Der Brief enthielt wenige Zeilen von Mareilens Hand . „ Ich bin in unserem Häuschen , und ich erwarte Dich heute abend . Was auch wird , ich muß dich sehn . “ Günther legte den Brief vor sich auf den Tisch und schaute wieder auf den Hof hinaus . Aus diesen Schriftzügen schlug ihm jene schwüle Liebesluft entgegen , die ihn einst so beglückt hatte und die zu atmen ihm jetzt weh tat . Es war ihm , als wollte jemand ihn aus der Ruhe seines kühlen Zimmers hinauslocken auf eine abenteuerliche , heiße Wanderschaft . Schon der Gedanke daran machte ihn müde . Nein , nur das nicht . Er konnte nicht zu Mareile gehen . Er wollte ihr schreiben . Natürlich mußte es ein Wort sein , das wie das Schlußwort einer Tragödie klang ; etwas wie ein schwerer , schwarzer Vorhang , der auf ihre Liebesgeschichte niederfällt . Gut ! Aber was denn ? Er fühlte sich so faul ! Eben noch hatte er so gemütlich den Enten zugeschaut , und nun kam dieses . Er ging an den Schreibtisch und begann zu schreiben : „ Liebe Mareile ! Ein großer Mann hat gesagt … “ – Er besann sich . Welcher große Mann – und was hat er gesagt ? Das war nichts . Er zerriß das Blatt . „ Liebe Mareile ! “ begann er wieder . „ Alles , was wirklich schön ist – welkt – die Blume , die Jugend – die – … “ Unsinn , wieso ? Wütend zerriß er wieder das Blatt . Gott , wie reich an Bildern und kostbaren Gedanken war er früher gewesen , und jetzt nichts . Wie war das doch – das mit den Festtagen des Lebens – und mit der Dämmerung , für die die stillen , weißen Frauen sind . Daraus ließ sich vielleicht etwas machen . – Nebenan
im Wohnzimmer wurde ein Tanz auf dem Klavier gespielt . Das war Beate , die für Went zum Tanz aufspielte . Günther sah dem gerne zu . Es war zu hübsch , wenn so das blonde Figürchen , von den Enden der breiten , roten Schürze umflattert , sich langsam im Sonnenschein drehte .
„ Ach was ! “ sagte er sich und schrieb eilig : „ Liebe Mareile ! Wenn ich nicht komme , so ist es , weil ich glaube , daß es besser für dich und für mich ist . Die Erinnerung an das Glück , welches du mir gegeben , wird mir mein Leben hindurch ein teurer Schatz sein. G. “ Er überlas das Geschriebene , verzog die Lippen . „ War das glatt ! Na , nichts zu machen . “
Mareile war von der vorletzten Station vor Kaltin in einem Mietwagen in Lantin eingetroffen . Frau Kulmann freute sich , wieder etwas Geheimnisvolles unter der Hand zu haben . Sie setzte Mareile eine Mahlzeit vor , ging in die Türkenbude , um ein wenig abzustäuben , und füllte die weiße Salatschüssel mit Anemonen und Himmelschlüsseln .
Mareile saß in dem Türkenhäuschen und wartete . Die jungbelaubten Birken dufteten stark zu ihr herein . Im Walde rief der Kuckuck . Ihr Gesicht hatte eine strenge , fast scharfe Reinheit der Linien erhalten , die es älter erscheinen ließ . Sie war ganz ruhig . Sie war gekommen , ihr Eigentum wieder an sich zu nehmen , und hielt sich für stark genug dazu . Günther konnte ohne sie nicht leben ; wer sie besessen hatte , mußte krank vor Verlangen nach ihr sein und konnte sich nicht mit den bleichen Beaten zufrieden geben . Er wäre fast für sie gestorben . Er gehörte ihr . Er würde kommen .
Es raschelte im Gemach . Mareile schaute auf . Da stand
der rothaarige Junge des Hirten , lachte über das ganze , erhitzte Gesicht und hielt ihr einen Brief hin . Mareile las die flüchtig hingeworfenen Zeilen , dann legte sie das Blatt auf das Fensterbrett . Sie schaute sich nach dem Jungen um , aber er war fort . Er hatte sich gefürchtet , „ weil die Dame so weiß im Gesichte geworden war , “ berichtete er der Frau Kuhlmann Kulmann .
Lange saß Mareile unbeweglich da . Die Sonne ging unter . Zwischen den Stämmen des Waldes glomm ein rotes Feuer . Über den Wipfeln ließ sich der pfeifende Flug der Wildenten hören , die vom See zu den Waldtümpeln zogen .
Mit weit offnen Augen starrte Mareile in den Abend hinaus , Augen , die nichts zu sehen schienen , nur die Strahlen der Abendsonne widerspiegelten und mit der Dämmerung dunkler wurden . Große Tränen rannen dabei über das regungslose , weiße Gesicht .
Anfangs war es ein hilfloses , schmerzhaftes Vermissen , das sie quälte , ein unerträgliches Verlangen nach Günther . Es fror sie nach seinem begehrenden Blick . Ein jammervolles Gefühl der Verlassenheit sank schwer auf sie nieder . Von außen ertönte eine Stimme : „ Guten Abend , gnädige Frau ! “ Eve Mankow stand vor dem Fenster , stützte den Arm auf den Fensterrahmen und schaute zu Mareile hinein . Einen starken Duft von jungem Birkenlaub brachte sie mit , denn ihr alter Strohhut war ganz mit Birkenzweigen besteckt . Die grellen , runden Augen musterten Mareile neugierig . „ Guten Abend , Eve , “ erwiderte Mareile . Die Gegenwart des großen rothaarigen Mädchens tat ihr wohl .
„ Er is nich gekommen ? “ fragte Eve .
„ Nein , “ sagte Mareile mechanisch .
Eve nickte . „ Ich wußte , er wird nich kommen . So is schon . Die da im Schloß hat ihn nu wieder . “ Eve schwieg eine Weile und sann , dann fragte sie : „ Was werden Sie tun ? Werden Sie ins Wasser gehn ? “
„ Ins Wasser ? “ wiederholte Mareile , „ warum fragst du das ? “
Eve zuckte mit den breiten Schultern . „ Na so . Ich wollte auch ins Wasser , als Sie ihn mir wegnahmen . “
Aufmerksam beugte Mareile sich zu dem Mädchen hinaus . „ Sag ’ , Eve , wie – wie war das ? “
„ Na ja , “ berichtete Eve , „ als er mit Ihnen ging … ich hockte dort unter dem Haselnußstrauch , wenn Sie mit ihm hier drinnen waren . Ja , na zuerst dacht’ ich , ich schieße Sie tot . “
„ Aber ? “ fragte Mareile gespannt .
„ Man will – man will , “ meinte Eve , „ na , und dann is die Courage nich da . “
„ Und das mit dem Wasser ? “
Eve lachte . „ Ja , da wollt’ ich auch rein . Zum schwarzen Auge ging ich . Sie wissen , das runde , schwarze Wasser unten im Sumpf . In der Mitte is es tief – tief . Nacht war’s . Und der Mond war hell . Na ja ! wenn’s dunkel is , dann gruselt’s einem vor solchen Geschichten . Da ging ich nu – rein . Am Anfang ging ’s ganz gut . Das Wasser kam kalt an die Beine . Aber wie ’s nu tiefer wurde und das Wasser an den Bauch und die Brust rauf wollte , nee – nee – da – “ Eve schwieg .
„ Da ? “ fragte Mareile .
„ Ich konnt ’s nicht . Sterben , nee , das versteh ich nich . “
Eve schüttelte sich , so daß die Birkenzweige um ihren Hut schwankten .
Die Dämmerung war vollends auf den Wald herabgesunken . Die Nebel stiegen aus den Wassern auf und spannen sich langsam über die Wiesen hin . „ Gute Nacht , “ sagte Eve leise und verschwand in den schwarzen Büschen . Mareile sann lange noch in die Dunkelheit hinein , bis alles um sie her wunderlich gespenstisch und unwirklich schien – ihr Leben – das Schloß – Günther – sie selbst . Ein Fiebertraum mit grellen Bildern , die ihr weh taten – und dann sah sie wieder die rote Eve im Mondschein in das schwarze Wasser steigen . Mareile begann sich zu fürchten .
Es war schon Nacht , als Mareile das Parkhaus verließ . Große Sterne hingen in den wirren Schöpfen der Föhren . Der Wald rauschte gleichmäßig und sachte , daß es wie der Atem eines starken , schlafenden Lebens klang . Mareile blieb stehen und lehnte sich an eine Tanne , drückte ihre Wange an den Stamm , der kühl war und nach Harz duftete . Dort am Ende der langen Waldlinie , ganz fern , lag Schloß Lantin mit seinen erleuchteten Fenstern , ein kleines , blankes Spielzeug , in all der ruhigen Dunkelheit . „ Sterben , das versteh ich nicht “ – hatte Eve gesagt . Nein , sterben , das verstand auch Mareile nicht , und noch um die dort . O nein ! Und sie erhob ihre kleine , festgeballte Faust drohend gegen das blanke Spielzeug dort unten in der Ferne .
Ende
Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig