Die ſorgloſe Behaglichkeit vieler preußiſchen Kapita-
liſten, welche ihr Vermögen lange Jahre hindurch in
Pfandbriefe und Staatsſchuldſcheine bei einem mäßi-
gen, aber ſicheren Genuß von 4 Procent Zinſen an-
gelegt hatten, wurde plötzlich dadurch geſtört, daß der
Zinsfuß gedachter Papiere auf 3½ Procent herabgeſetzt
ward, was bei den Pfandbriefen und landſchaftlichen
Obligationen in den Jahren 1836, 1838 und 39, und
dann auch bei den Staatsſchuldſcheinen zu Anfang des
Jahres 1842 geſchah Ob überhaupt der Vortheil, den Regierungen vermittelſt
der Zinsherabſetzung ihrer Staatspapiere an der Verminderung
ihrer Ausgaben erlangen, nicht gänzlich durch den Schaden ver-
nichtet wird, daß dadurch die Kapitalien ihrer Unterthanen mehr
den Obligationen anderer Länder und unſicheren Projecten zuge-
führt werden, — ſcheint noch nirgends vollkommen erwogen wor-
den zu ſein.. Sie wurden in Folge deſſen
gezwungen, ſich nach einer beſſeren Unterbringung ihrer
Gelder umzuſehen und auf dieſe Weiſe genöthigt, zu-
nächſt größere Summen als bisher theils zum Ankauf
auswärtiger, mindeſtens 4 Prozent Zinſen tragender
Staatspapiere, theils zu hypothekariſcher Anlegung,
theils aber auch zu Bau-Spekulationen, wobei es
nicht an Vorſpieglungen hoher Erträgniſſe fehlte, zu
verwenden. Um dieſe Zeit war in Preußen nur eine
Eiſenbahn, und zwar ſeine kleinſte, die Berlin-Pots-
1*
damer vollendet.Genehmigt unterm 23. Sept. 1837, eröffnet am 30. Okt. 1838. Das Kapital, was ſie abſorbirt
hatte, war im Verhältniß zum Ganzen nur gering ge-
weſen, und da die Hoffnung auf eine gute Rentabili-
tät derſelben, bei einer ſicheren Verzinſung von 5 Pro-
cent, noch ſehr belebt war, ſo befanden ſich die Aktien
dieſer Bahn (welche damals einen Cours von etwa
125 hatten) meiſtens in den feſten Händen der Ren-
tiers, und nur kleinere Summen davon kamen biswei-
len an den Börſenmarkt. Jnzwiſchen erkannte der in-
duſtrielle Sinn und Spekulationsgeiſt, nach den Er-
ſcheinungen anderer Länder, auch in Preußen immer
mehr die Nothwendigkeit zur Anlage von Schienen-
wegen und ſo hatte zunächſt der Bau der Leipzig-
Dresdener Bahn, welcher mit dem der Potsdamer
Bahn ungefähr gleichzeitig fiel, den Zuſammentritt von
Geſellſchaften für die Ausführung der Magdeburg-
Leipziger und Berlin-Anhaltiſchen Bahnen ver-
anlaßt. Schon bei den Betheiligungen an dieſen Unterneh-
mungen zeigte es ſich indeß bald, daß keineswegs das Jn-
tereſſe für die Vollendung derſelben, ſowie die Rückſicht
auf die künftige Rentabilität dieſer Schienenwege einen
Theil der Kapitaliſten bewogen habe, Zeichnungen und
Anzahlungen zu den Aktien derſelben zu machen, ſon-
dern die weit lockendere Ausſicht, die Aktien genann-
ter Bahnen, welche bereits anfingen ein begehrter
Handelsartikel zu werden und daher einen Börſencours
zu erlangen, mit Gewinn wieder zu verkaufen. Und
ſo nahm denn nun (im Jahre 1841) das eigentliche
Aktien-Geſchäft an der Berliner Börſe ſeinen An-
fang, das bis Ende 1841 nur in den Papieren der
vorgenannten Bahnen Statt fand, bis Juli 1842 aber
ſchon ſich mit auf die Aktien der inzwiſchen ausgeführten
Düſſeldorf-Elberfelder, Cölln-Aachner (Rhei-
niſchen) und Berlin-Frankfurter Bahn erſtreckte.
Das Geſchäft gewann mehr und mehr an Umfang, die
Potsdamer und Magdeburg-Leipziger Aktien hoben ſich im
ziemlich gleichmäßigen Schritte bis Ende 1842 auf un-
gefähr 26 Procent Agio, wogegen Anhaltſche nicht mehr
als 107 Procent und Frankfurter nur pari ſtanden,
während in den Aktien der Düſſeldorf-Elberfelder und
Rheiniſchen Bahn, welche nie ganz den Pariwerth
erreicht hatten, theils wegen des theuren Bau’s und
in Folge deſſen der mißlichen finanziellen Umſtände
dieſer Bahnen, theils wegen Zwiſtigkeiten in ihren
Directionen, theils aber auch wegen bedrohlicher poli-
tiſchen Verhältniſſe von Seiten Frankreichs, ein ſtarkes
Fallen (bei erſtren von 99 auf 50, bei letztren von
97 auf 81) eingetreten war. Der hierdurch entſtan-
dene Verluſt traf faſt nur die größeren Kapitaliſten der
Börſe und reiche Privatleute, welche durch urſprüng-
liche Betheiligung oder Ankauf in den Beſitz der Aktien
gekommen; doch glich ſich der Ausfall meiſtens durch die
an andern Aktien und fremden Staatspapieren erlang-
ten Gewinne aus. Jedenfalls war bis dahin durch
den Gang der Aktienpreiſe das große Publikum
gar nicht oder nur ſehr geringfügig berührt worden.
Nun aber begann im Jahre 1843 eine ganz neue
Epoche im Aktiengeſchäft. Das zu Ende des abgelau-
fenen Jahres den ſtändiſchen Ausſchüſſen vorgelegte
Geſetz über die Anlage weitrer preußiſchen Eiſenbah-
nen war mit lebhafter Theilnahme und günſtigſter Ge-
ſinnung erörtert worden, und es erſchien die Königl.
Kabinetsordre vom 22. Novbr. 1842, welche den be-
rathenen Eiſenbahnen die Staatsgarantie für ein
Zins-Minimum auf ihre Aktien zuſicherte. (Anhang I.)
Die nächſte natürliche Folge war, daß ſich die allge-
meinere Aufmerkſamkeit den Schienenwegen zuwandte.
Der bis dahin noch zweifelhaft gebliebene thätige An-
theil des Staates an der Fördrung derfelben war aus-
geſprochen, die Berliner Börſenwelt ſah darin einen
Grund, ſich noch lebhafter als bisher, den wahrſchein-
lich fortan nur Vortheil bringenden Spekulationen in
Eiſenbahn-Aktien hinzugeben und auch ein größerer
Theil des nicht kaufmänniſchen Publikums fühlte plötz-
lich Reiz und Vertrauen, ſein Geld in gedachte Pa-
piere anzulegen, um ſo mehr als inzwiſchen viele der
obenerwähnten Bauſpeculationen mißglückt waren. So
konnte denn eine bedeutende Steigerung nicht ausblei-
ben, und hatten die verſchiedenen Aktien bereits am
1. Juli folgende Courſe erreicht: Berlin-Potsdamer
139, Magdeburg-Leipziger 170, Berlin-Anhalter 138¾,
Frankfurter 124¾, Oberſchleſiſche 115½ und Stettiner
118¼. Nur Düſſeldorf-Elberfelder und Rheiniſche Ei-
ſenbahn-Papiere blieben ferner noch theilweiſe aus
oben angegebenen Urſachen im niedrigen Preiſe, wenn
ſich auch die Aktien der erſten Bahn wieder einiger-
maßen (bis 78½) gehoben hatten. Zugleich wurde
nun aber durch die Lockung des großen Gewinns bei
dem Einen, durch Neid und Jntrigue bei dem Andern,
wie auch durch das Mißtrauen ſo Mancher gegen die
angeblich zu erwartenden großen Dividenden der Bah-
nen und demgemäß gegen die Dauer der hohen Courſe,
eine lebhafte Anregung zu jenen leidenſchaftlichen Bör-
ſen-Operationen gegeben, die weniger vermittelſt des
baaren Geldes, als durch Hülfe von Zeit- und
Prämien-Geſchäften in allen möglichen Formen
den Kauf und Verkauf gedachter Papiere bewirkten,
und ſo zu den meiſt plötzlichen Schwankungen der
Courſe führten, welche das Glück eines bereits ver-
meinten Gewinnes nicht ſelten ſchnell in die gefähr-
liche Kriſis anſehnlicher Verluſte umwandelten; und
ſo war denn jetzt der Aktienhandel dem verderblichen
Spiele der Agiotage preisgegeben.
Die Berliner Börſe hatte zwar ſchon mehrere
Male ſeit den letzten 20 Jahren ähnliche Zeiten er-
lebt, unter denen namentlich die Epochen der Speku-
lationen in Oeſtreichiſchen Aktien und in Spaniſchen
Papieren ſich bemerkbar gemacht, doch trat zu dem
jetzigen Geſchäftsweſen noch ein neues Element hinzu,
deſſen höchſt nachtheiliger Einfluß ſich allmälig immer
mehr und leider bis in die jüngſte Gegenwart hinein
auf eine beſonders fühlbare Weiſe unverkennbar an
den Tag legte. Es war dies nämlich das Erſcheinen
auswärtiger Beſucher an der Börſe, die Anfangs
nur zu den Abrechnungstagen (medio und ultimo je-
den Monats) eintrafen, ſpäter aber ſich längre Zeit
in Berlin aufhielten, wohin ſie meiſtens gerade von
denſelben Eiſenbahnen ſchnell hingeführt wurden, deren
Aktien den Mittelpunkt ihrer Agiotage bildeten. Ge-
wiß wäre es heilſam geweſen, wenn die Vorſteher der
Börſe dem mindeſtens unberechtigten Treiben dieſer
fremden Spekulanten zeitig Einhalt gethan hätten,
welche erſtens materiell die Zahl der Glücksjäger an
dem Berliner Fondsmarkt vermehrten, und zweitens
durch den immer ſteigenden Umfang ihrer Zeitgeſchäfte,
durch die in Folge deſſen entſtehende unaufhörliche
Anregung gleicher oder entgegengeſetzter Operationen,
dem Haſardſpiele mit ſeinen, Ehre und Vermögen er-
ſchütternden, Leidenſchaften Thür und Thor öffneten.
Jedoch wurde dies unbegreiflicher Weiſe in keiner Art
gehindert; ja es ſchienen ſogar Viele durch die Theil-
nahme Auswärtiger am Berliner Börſenverkehr (welche
zugleich an mehreren Börſen ihr Weſen trieben) ſich
geſchmeichelt zu fühlen. Andre ſahen darin eine er-
wünſchte Vermehrung ihrer Erwerbsquellen, und ſo
erhielt das Berliner Börſen-Publikum bald eine aus
den fremdartigſten Theilen in jeder Hinſicht gemiſchte
Phyſiognomie, deren Hauptzüge das Gepräge einer
krankhaften Aufregung, der Jntrigue und Geldgier
trugen. Die verſchiedenen Partheien für das Steigen
und Fallen der Courſe, welche ſich nicht an der Börſe
beſiegen konnten, wählten nun noch eine neue Waffe
für ihre Kämpfe, nämlich die Buchdruckerpreſſe.
Zeitungs-Artikel (natürlich bezahlte) mußten hier be-
weiſen, wie dieſe oder jene Bahn den außerordentlich-
ſten Perſonen- und Güter-Transport hätte oder ha-
ben würde, wie ſich von ihr eine bedeutende Dividende
vorausſehen ließe, folglich ihre Aktien noch lange nicht
hoch genug ſtänden u. dergl. m. Dort mußten andre
Artikel die Ertragsfähigkeit gewiſſer Bahnen ganz be-
ſtreiten, den Werth ihrer Aktien antaſten und demnach
ihren Cours als nur künſtlich hinaufgetrieben ſchildern;
man ſuchte durch Zahlenangaben zu frappiren und in
den mannigfachſten (oft ſehr ungeſchickten, oft für den
Eingeweihten ſehr lächerlichen) Formen der Auseinan-
derſetzung durch den Schein der Unpartheilichkeit auf
die Aktienhändler einzuwirken. Der böſe Same der
Agiotage wurde dadurch leider immer mehr von dem
ſpeciellen Boden der Börſe auf den allgemeinen des
größeren Geldpublikums ausgeſtreut; der Zeitungleſende
Fabrikant, Rentier, Privatmann wurde mehr und mehr
für das Aktienweſen intereſſirt, er nahm Parthei und
wurde bald ſelbſt in ſteigender Progreſſion Anfangs
Aktienkäufer, dann Aktienſpekulant. Unläugbar war
dabei nicht ohne beſondren Einfluß die Sprache, welche
die Verfaſſer der „Börſenberichte″ in den Zeitungen
hinſichtlich des Aktienwerthes führten. Wenn ſie auch
nicht als amtlich beſtallte Perſonen betrachtet werden
konnten, ſo mußten ſie doch in den Augen der Leſe-
welt als „Sachverſtändige″ für eine Autorität gelten,
deren Anſichten maßgebend ſeien, und ſo kam es, daß
ſie, die ſich meiſtens günſtig für das Steigen der Ak-
tien ausſprachen, unbedingt zum vermehrten Ankauf
derſelben Seitens der Privatleute beitrugen. Jſt nun
auch wohl anzunehmen, daß die Raiſonnements jener
Berichterſtatter gut gemeint und wenigſtens theilweiſe
das Ergebniß eigner Ueberzeugung (gewiß aber mei-
ſtens nur der Ausdruck der Wünſche oder Ueberzeu-
gungen Andrer) waren, ſo wäre es doch auch ihre
Pflicht geweſen, oft ihre warme Beredſamkeit durch
ruhige Beſonnenheit zu mäßigen, und namentlich auch
ihre Stimme warnend vor zu großen Hoffnungen
und Spekulationen vernehmen zu laſſen, was ſie jedoch
keineswegs thaten. Jndeß darf es nicht ungeſagt
bleiben, daß gerade je mehr die Courſe ſtiegen und
das Spiel der Agiotage um ſich griff, die erſten und
renommirteſten Handlungshäuſer der Berliner Börſe,
welche ſchon immer verhältnißmäßig nur wenig ſich
dem Aktiengeſchäft hingegeben hatten, eingedenk der
Erfahrungen früherer trüben Zeiten, ſich mehr und
mehr davon zurückzogen; ſie wurden fortan von dem
Aktienhandel nur in ſoweit berührt, als ſie Aufträge
ihrer Geſchäftsfreunde darin auszuführen hatten. Un-
ter den obenerwähnten Verhältniſſen und bei der da-
durch unter dem größeren Publikum immer mehr ſtei-
genden Gewinnſucht, kamen nun inzwiſchen fernere
Eiſenbahn-Projecte in der Art zur Reife, daß hinter-
einander die erſten Einzahlungen zur Berlin-Hambur-
ger, Niederſchleſiſchen, Dresden-Görlitzer und Cölln-
Mindener Bahn geſchahen, und es ward mit ihnen
der lüſternen Menge der große Faroſaal der Quit-
tungsbogen, Jnterims- und Zuſichrungs-
ſcheine aufgethan. Schon hatten zwar die hohen
Courſe der meiſten Aktien das Reſultat gehabt, daß
von der längſt über die Börſe hinaus verbreiteten
Geldgier, nicht zufrieden mit der Spekulation in den
Preußiſchen Eiſenbahnpapieren, auch die Aktien der
Oeſtreichiſchen Nordbahn, Gloggnitzer und Mailand-
Venezianer Bahn in das Bereich der Berliner Agio-
tage mit hineingezogen worden waren, doch boten die
neuen obengenannten Quittungsbogen ein zu beque-
mes und leicht zu benutzendes Mittel möglicher Berei-
cherung dar, als daß die einmal leidenſchaftlich Be-
wegten nicht hätten ſchnell zugreifen ſollen, wo ſich
ihnen ein friſcher Nahrungsſtoff für ihre Spielſucht
zeigte. Erleichtert wurde dies beſonders dadurch, daß
bei Annahme der Zeichnungen zu den neuen Bahnen
faſt gar keine Schwierigkeiten hinſichtlich der Perſonen
gemacht wurden, und ſo war der Zudrang ſo groß,
daß z. B. bei der Sächſiſch-Schleſiſchen (Dresden-
Görlitzer) Bahn cine, die dazu veranſchlagten 6 Mil-
lionen Thaler um das vierfache überſteigende Summe
gezeichnet ward, obgleich die Sächſiſche Regierung je-
dem Jntereſſenten die ſofortige Einreichung von 10 Pro-
cent des gezeichneten Betrages bis zur definitiven Be-
theiligung auferlegt hatte; ſo daß die Erfüllung dieſer
Bedingung allerdings einen merkwürdigen Beweis von
der Kraft und Ausdehnung der Aktienliebhaberei dar-
bot. Gewiß wären nun die Courſe der Quittungs-
bogen auch gleich ſtark in die Höhe gegangen, wenn
nicht die Haupttonangeber der Agiotage zu den ur-
ſprünglichen Zeichnern gehört hätten, alſo eher mit
Gewinn zu verkaufen, als noch zuzukaufen Luſt ver-
ſpüren mußten. Deshalb hielten ſich die gedachten
Papiere noch zu Ende November nur auf einem Agio
von 2—6 Procent. Da aber erſchien am 22. De-
cember 1843 die Königl. Kabinetsordre, welche den
vom Staate garantirten Eiſenbahn-Aktien die pupil-
lariſche und depoſitalmäßige Sicherheit beilegte.
(Anhang II.) — War die Anſicht, die dieſer Verord-
nung zu Grunde lag, nun auch einerſeits wohl die
conſequente Befolgung des Princips der früher ge-
währten Zinsgarantie, ſo mußte dennoch andrerſeits
die jetzt ausgeſprochene Beſtimmung bei vielen erfah-
renen, vorſichtigen Geſchäftsmännern und Kapitaliſten
ein ernſtes Bedenken erregen, indem ſich die Frage
aufdrängte: Wenn auch für die betreffenden Papiere ein
Zinsminimum geſichert iſt, wer leiſtet eine Bürg-
ſchaft für die Unverletzbarkeit und hypothekariſche Si-
cherheit der Subſtanz, d. h. des Grundwerthes der
Eiſenbahnen ſelbſt? — Leider aber war, unzweifelhaft
ganz wider den Willen der Regierung, durch vorer-
wähntes Geſetz dem wilden Treiben der Agioteurs ein
friſcher Jmpuls gegeben. Schon hatte nämlich die
bedeutende Coursſteigerung der volleingezahlten Aktien
die ſpeculativen Manoeuvres in denſelben um Vieles
ſchwieriger gemacht, da einen Theils große Summen
dieſer Papiere bereits bei den Kapitaliſten, ſowie bei
der Bank, Unterpfandweiſe gegen baare Darlehne nie-
dergelegt waren, (was hauptſächlich mit zum Hinauf-
treiben der Courſe beigetragen,) und andren Theils ſo
manche bis dahin kauf- oder ſpekulationsluſtige Ge-
ſchäftsmänner, im Zweifel über die Zuverläſſigkeit oft
verheißener großer Dividenden und deshalb ängſtlich
geworden, bei der gefährlichen Höhe der Aktienpreiſe
nicht mehr ſo leicht als früher die Hand zu ferneren
Börſen-Operationen boten. Jetzt indeß, nach dem
Erſcheinen des neuen Geſetzes, wurde das darin vom
Staate wenn auch nur hinſichtlich einer Gattung der
Eiſenbahnpapiere ausgeſprochene Vertrauensvotum dazu
benutzt, der Agiotage neue Hülfsquellen und neue
Hülfsvölker zuzuführen. Es gelang dies um ſo ſchnel-
ler, als es nicht ſchwer ward, dem gewinnſüchtigen
großen Haufen die Anſicht beizubringen, daß alle
Quittungsbogen (ſelbſt die der nicht garantirten Bah-
nen) mehr oder minder ein gleiches Vertrauen ver-
dienten, es alſo deſto gerathener ſei, dergleichen Pa-
piere zu kaufen oder darauf zu ſpekuliren, je weniger
man bei der einſtweilen höchſtens 10 Procent betra-
genden Einzahlung, größerer Geldmittel dazu bedürfe,
man demnach bei nur geringer Gefahr anſehnliche
Summen verdienen könne, wenn, was unausbleiblich
wäre, der Cours jener Quittungsbogen ſtiege. Bald
ließen ſich überall abſichtlich nur Erzählungen von be-
deutenden Gewinnen an Aktien hören, bald ging es
von Mund zu Munde, wie Der und Jener bereits in
Quittungsbogen gute Geſchäfte gemacht habe; die
Courſe derſelben ſtiegen plötzlich um 2—5 Procente;
und nun durchbrach die ſtürmende Fluth des Publi-
kums den ſchmalen Damm, der ſie noch von dem ver-
führeriſchen Jrrgarten der Agiotage und des Aktien-
ſchwindels getrennt hatte. Jeder wollte die geprieſenen
goldnen Aepfel pflücken, Jeder Antheil haben an dem
ſelig berauſchenden — wenn auch giftähnlichen —
Opiumtrank, der ihm dort von freundlich lockenden
Händen gereicht wurde. Tauſende widerſtanden nicht
länger dem Gelüſte, dem dort, wie es ſchien ſogar ge-
ſetzlich errichteten Glückstempel ihr Opfer darzubringen,
Anfangs ihr klingendes Geld, ſpäter nur den einfachen
Federzug ihrer Unterſchriſt, womit Viele ihre Ehre,
Viele aber freilich — nichts aufs Spiel ſetzten, da
ſie in jeder Hinſicht nichts zu verlieren hatten. Hier
zogen Kaufleute einen großen Theil ihrer bis jetzt an-
deren ſicheren Geſchäften gewidmeten Kapitalien her-
aus und ſpekulirten damit in Quittungsbogen; dort
gaben Waarenhändler ihr Geſchäft, das ſie und ihre
Familien wohl ernährte, gänzlich auf und ſpekulirten
in Quittungsbogen. Doctoren, Gelehrte, Beamte,
Gutsbeſitzer, Offiziere, Fabrikanten, Handwerker, Alles
ſpekulirte; und wo noch Männer zögerten, wurden ſie
von den namentlich leidenſchaftlich für die Farobank
der Agiotage ſchwärmenden Frauen dazu angetrieben.
Man kümmerte ſich nicht darum, daß dadurch vielfach
die ruhige, friedliche Ehe, die Ordnung der Häuslich-
keit geſtört wurde, daß hier der Berufseifer erkaltete,
dort die eigentliche Erwerbsquelle zu verſiegen drohte.
Was ſchadete es, daß oft dem bewegten hoffnungs-
vollen Tage die ſchlafloſe ſorgenvolle Nacht folgte.
Gab es doch an allen Orten, in den Salons, wie
auf dem Marktplatze, früh und ſpät, nur einen allei-
nigen Mittelpunkt für das allgemeine Jntereſſe, die
Spekulation in Eiſenbahnpapieren, war doch Tauſen-
den eine Unterhaltung über andre Dinge, ſeien es
auch die erhabenſten oder ſonſt angenehmſten, faſt un-
möglich, mindeſtens ganz gleichgültig geworden. Aller
Unterſchied der Stände, der Religionen, des Alters
hatte aufgehört, und ſo konnte man in der That aus-
rufen:
Der Aktienhandel und der — Tod, ſie bau’n an einem
Reich,
Sie machen alle Menſchen ja einander plötzlich gleich.
Mit dämoniſcher Gewalt herrſchte der ſchwindelhafte,
gleißneriſche Geiſt der Agiotage über die Gemüther,
mit täuſchenden Bildern die Menge umgaukelnd, daß
dieſe, verblendet, das Unheil und Verderben nicht zu
erblicken vermochte, welches ringsumher die eine Hand
ſäete, während die andre durch Goldſtücke reizte! Jn dem Buche: Encyclopedie des chemins de fer
par Felix Tourneux (Paris 1844), einem ſehr fleißig und
Die unmäßige Spekulationsſucht Berlins (noch
beſonders genährt durch das gleichzeitige gränzenloſe
Unweſen der Agiotage an der Leipziger Börſe) hatte
mit großer Sachkunde geſchriebenen Werke, befinden ſich folgende
wahre, höchſt beherzigungswerthe Worte: Agiotage est le nom
que l’on donne aux opérations de bourse, par lesquelles
les joueurs amènent, subitement et sans motifs sérieux,
des hausses et des baisses énormes sur le prix des ef-
fets publics. L’agiotage est défendu par les lois; mais
il est si difficile, à constater régulièrement, que, la plu-
part du temps, ces speculatious honteuses échappent à
la vindicte publique. L’agiotage est la plaie de l’indu-
strie: en exploitant la erédulité publique, il engage les
capitaux à se porter sur des opérations qui n’ont au-
cune base sérieuse, et les déceptions, qui en sont la
conséquence rejaillissent sur les autres. Aprês avoir
été trop confians, les capitalistes, dupés dans leurs es-
pérances, deviennent d’une déſiance et d’une timidité
excessive, leurs bourses se ferment et le pays semble
appauvri subitement. Il en résulte, que les progrès de
l’industrie sont suspendus faute d’alimens; aucune af-
faire ne s’organise et on se laisse devancer par ses ri-
vaux. On ne saurait trop énergiquement flétrir l’agio-
tage, source de ces perturbations profondes dont nous
avons été les témoins, il y a quelques années. C’est à
lui, que nous devons d’être en arrière de quatre années
au moins sur les nations rivales dans la question des
chemins de fer. Sans doute, l’administration supérieure
a eu sa part dans ce long retard, mais il n’en est pas
moins vrai que le coup le plus funeste a été porté à
l’industrie par l’agiotage. Il ne suffit done pas de le
flétrir, il faut encore que les honnêtes gens se réunis-
sent et cherchent énergiquement par quelles réformes
législatives il serait possible de le combattre et de le
réprimer.
ſich von der Reſidenz auch in die Provinzen verpflanzt
So war denn auch in Magdeburg, Stettin, Frank-
furt a. O., Poſen, ſelbſt in den meiſten, durch die
Eiſenbahn Berlin näher gerückten, kleineren Städ-
ten, vor Allem aber in Breslau der Handel mit
Quittungsbogen wie eine allgemeine epidemiſche Krank-
heit eingeriſſen. Auch dort ſpekulirte Alles, vom Stan-
desherrn bis zum Tagsarbeiter; alle kaufmänniſchen
Branchen hatten ſich auch dort in die eine des Aktien-
geſchäfts aufgelöſt, und ſo wanderten wie in einem
organiſirten Reiche die Agenten der Agiotage unauf-
hörlich nach Berlin und von da zurück, um hier friſche
Pläne auszukundſchaften, ihre außerhalb angeſponnenen
Geſchäfte hier gewinnreich abzuwickeln, oder einen
neuen Jmpuls zu ferneren Operationen der Jobberei
zu geben. Die Berliner Börſe war dadurch noch vol-
ler, gemiſchter geworden; die Anweſenheit hunderter
von einheimiſchen Particuliers und Glücksjägern, von
fremden Spekulirenden und Abentheurern, welche, ob-
gleich vielfach die Repräſentanten der Unbildung, der
Unſitte und Unanſtändigkeit, den Beſuch der Börſe,
wenn auch unbefugt, doch leider ungehindert ſich er-
laubten, hatten dieſe zu einem großen, widerwärtigen
Markte geſtaltet, auf dem die Minorität der achtbaren
Kaufleute, der ehrenwerthen dem Treiben der Agiotage
ſich fern haltenden erſten Handelsfirmen, ein ſchon
deshalb ſehr betrübendes Bild darbot, weil dieſe an
dem ihnen geſetzlich angewieſenen Geſchäftsorte zu er-
ſcheinen gezwungen waren, obgleich ſie ihre kauf-
männiſche Würde, wie ihr Ehrgefühl jetzt dort täglich
auf empörende Weiſe verletzen ſehen mußten. Hierzu
geſellte ſich noch, daß der rieſenhaft gewachſene Um-
fang der Zeitkäufe, der nicht ſelten an einer Börſe
mehrere Millionen betrug, dieſelbe zum Sammelplatze
von faſt die Zahl der Händler erreichenden Commiſ-
ſionairen gemacht hatte, welche durch die ſo leichte
Vermittelung der Abſchlüſſe ihren Lebenserwerb ſuch-
ten und oft ſelbſt als Spekulanten auftraten. Da ſie
nun zum Theil bei der großen Concurrenz ſich in ihren
Verdienſtanſprüchen nicht befriedigt fanden, ſo manche
von ihnen aber auch in der Agiotage noch das einzige Heil
für ihre von früher her zerrütteten Verhältniſſe zu er-
blicken glaubten, ſo wählten ſie bald ſelbſt die Wein-
Bier- und Kaffeehäuſer zum Spielraum ihrer Thätigkeit;
ſo drängten ſie ſich ſogar in jede ihnen irgend bekannte
Familie, namentlich des Mittel- und Handwerkſtandes,
ein, um auch da entweder die ſchon begonnene Spe-
kulation mehr und mehr anzuſchüren, oder ſie erſt zu
erwecken. Ganz folgerecht war das Contingent der
erſten Aktien und Quittungsbogen für die Maſſe der
Spieler längſt nicht mehr ausreichend geweſen, wes-
halb denn nicht allein die Jnterimsſcheine jeder neuen
preußiſchen Bahn, ſondern auch die Papiere vieler
ausländiſchen Schienenwege, wie zweifelhaft auch ihre
Ausführung, wie precär auch ihre Ertragsfähigkeit, ja
wie unbekannt auch ihre Namen ſein mochten, mit
förmlichem Jubel als friſche Saat für die Handelsgier
begrüßt wurden. Es tauchten immer neue Projecte
anzulegender Bahnen, die oft aller ſoliden Baſis er-
mangelten, auf, ſei es auch nur, um Proviſion zu
verdienen, oder um gegen Austauſch brieflicher Con-
tracte über die möglicher Weiſe für die gemach-
2
ten Zeichnungen zu erlangende Betheiligung, ſchnell
der Agiotage einen neuen Succurs gleich einer raſch
improviſirten Freibeuterſchaar, zuzuführen. Man hörte
die Namen von Sagan-Sprottau, Sächſiſch-Bairiſch,
Steele-Vohwinkel, Bonn-Cölln, Brieg-Neiſſe, Livorno-
Florenz, Cracau-Oberſchleſiſch, Bergiſch-Märkiſch,
Hamburg-Bergedorf, Kiel-Altona, Arnheimer, Har-
lemmer, Chemnitz-Rieſa, Glogau-Poſener, Rendsburg-
Flensburg, Berbacher, Rothſchild-Copenhagen, Stral-
ſunder Als für den Bau dieſer Bahn gleichzeitig drei verſchiedene
Comités auftraten, meinte ein Witzling, das erinnere ihn an das
Wort Wallenſteins: ich muß Stralſund haben, und ſei es mit
eiſernen Ketten an dem Himmel befeſtigt., Thüringer u. ſ. w. in die Ohren ſchwirren,
und mußte ſich in Wallenſteins Lager hineinver-
ſetzt glauben! — Da erſchien unterm 11. April 1844
die Bekanntmachung des Hrn. Finanzminiſters von
Bodelſchwingh gegen die „ſtets wachſende Zahl und
Ausdehnung der in neuerer Zeit angeregten Eiſen-
bahn-Projekte, da dieſe auf Handel und Gewerbe
nachtheilig einzuwirken begönnen, indem die hierzu nö-
thigen Betriebskapitalien zum Handel mit Eiſenbahn-
Aktien verwendet würden.″ (Anhang III.) So zweck-
mäßig nun auch dieſe Verfügung einerſeits, beſonders
hinſichtlich der darin enthaltenen Warnung vor dem
Ankauf von Quittungsbogen ꝛc. nicht conceſſionirter
Unternehmungen war, ſo wurde andrerſeits doch ihre
Wirkung dadurch ſehr verringert, daß dieſelbe außer
von den durch die ſtändiſchen Ausſchüſſe berathenen
Schienenſtraßen, auch noch von ſolchen ſprach, 1) für
deren Ausführung bereits Zuſagen ertheilt ſeien, und
2) bei denen aus überwiegend allgemeinen Jntereſſen
eine Ausnahme (von der Nichtgenehmigung) nöthig
erſcheinen werde. Mindeſtens hätte die erſte Kathe-
gorie genau angegeben, und die zweite möglichſt, wenn
auch nur in genereller Andeutung der hauptſächlichen
Verbindungswege bezeichnet ſein müſſen; dann wäre
dem Zweifel und der Jntrigue der Boden genommen
worden. So aber dienten jene zwei Klauſeln gerade
der Agiotage dazu, ſie für die Lieblingsobjecte ihres
Spiels in Anſpruch zu nehmen, und jede Bahn, deren
Zuſichrungsſchein an der Börſe figurirte, für eine der
„begünſtigten″ zu erklären. Auf dieſe Weiſe wurden
durch die Bekanntmachung nur einige eben angekün-
digte neue Projecte gehemmt und zunächſt fernere ähn-
liche Pläne zurückgehalten, dagegen hatte ſie auf den
Gang der Courſe aller ſchon von den Spekulanten
mit brünſtiger Gluth erfaßten Jnterims-Aktien keinen
Einfluß; ja wenige Wochen nachher ſah man die
Agiotage an der Börſe von Berlin (analog auch in
Breslau) einen Triumph feiern, wie er wohl in der
Geſchichte des Aktienhandels noch nicht da geweſen.
Was auch die früheren Monate an wilder Geſchäfts-
gier ſchon geſehen, wurde doch alles Bisherige durch
die leidenſchaftlichſten Ausbrüche, welche im Monat
Mai 1844 zum Vorſchein kamen, weit übertroffen.
Der Leichtſinn, mit dem man die gefährlichſten Ma-
noeuvres vermittelte, und ſich in die gewagteſten Spe-
kulationen einließ, hatte eine Höhe erreicht, die nur
mit der zügelloſen (oft roheſten) Ungebundenheit in
Sprache und Benehmen auf gleichem Niveau ſtand,
2*
durch welche ſich theils die gereizte Stimmung derer,
die ſchon zu niedrigeren Courſen ihre Papiere verkauft,
oder auf das Fallen derſelben ſpeculirt hatten, theils
die geſpannte Aufgeregtheit derjenigen, die zu jedem
Preiſe Verpflichtungen zur Abnahme von ungeheuren
Summen in Zeit- und Prämienkäufen eingegangen
waren, Luft zu machen ſuchten. Während ſo an der
Börſe der ſchwindelhafte Geiſt der Agioteurs kein Mit-
tel unbenutzt ließ, um die Köpfe immer mehr mit
Glücksphantaſieen zu füllen und zu verwirren, mußten
ſich ganze Zeitungsbeilagen zu dem Unfug von Lob-
preiſungen dieſer, oder Verdächtigungen jener Bahnen
hergeben, und ſo ſah man in der zweiten Hälfte des
Mai’s das unerhörte Schauſpiel, daß für Quittungs-
bogen von Bahnen, deren Fundamental-Verhältniſſe
noch nicht geordnet oder deren erſte Erdarbeiten kaum
begonnen, deren einſtige günſtigen Reſultate noch völ-
lig in Frage ſtanden, oder die, vom Auslande projec-
tirt, ſelbſt dort kein Vertrauen genoſſen, ein bedeuten-
des Agio, theilweiſe ſogar ein höheres als für Aktien
ſchon vollendeter Bahnen bezahlt wurde. Als ſchla-
gendſte Beiſpiele mögen hier nur einige der Courſe
folgen: Bergiſch-Märkiſche Zuſ.-Scheine 121, Düſſel-
dorf-Elberfelder Aktien 98¾, Sagan-Sprottauer Quit-
tungsbogen 120¼, Magdeburg-Halberſt. Aktien 129,
Berlin-Hamburger Quittungsbogen 128, Hamb.-Ber-
gedorfer Aktien 114, Brieg-Neiſſe Q. B. 115½, Nie-
derſchleſ.-Märkiſche Q. B. 130, Oberſchleſiſche A. 129¾,
Cölln-Mindener Q. B. 120¼, Dresden-Görlitz Q. B.
125, Berlin-Stettiner A. 138½, Sächſ.-Baierſche Q. B.
119¾, Livorno-Florenz Q. B. 129½, Freiburger A.
133, Kiel-Altona A. 128¼, Oberſchleſ. Litt. B. Z. Sch.
121¾, Berbacher Q. B. 118, Mailänder Q. B. 123¾,
Thüringer Z. Sch. 122½ u. ſ. w. Die allgemeinere Ueber-
ſicht der merkwürdigen Preisſteigerungen aller namhaf-
ten Eiſenbahn-Papiere an der Berliner Börſe bietet
der Anhang IV. dieſer Schrift dar. — Je mehr jedoch
die Agiotage während der letzten Monate in zahlloſe
Familien, deren Ruhe auf beklagenswerthe Weiſe ver-
nichtend, eingedrungen war, je mehr hatte ſich die
Befürchtung bei jedem beſonnenen Kaufmanne, wie
bei jedem unpartheiiſchen Beobachter geltend gemacht,
es könne leicht dem ſo heftigen, unnatürlichen Auf-
ſchwunge der Aktien, namentlich aber der Quittungs-
bogen, eine plötzliche Reaktion folgen, welche dann un-
zweifelhaft Viele um ihr Vermögen, vielleicht auch um
ihre bürgerliche Ehre bringen würde. Es waren ein-
zelne, gewichtige Stimmen, öffentlich warnend, laut
geworden, hatten jene Wettſpiele der unüberlegten,
verführten Menge in ihrer Wirkung auf die Zuſtände
der Gegenwart geſchildert und bewieſen endlich auch
die Nothwendigkeit, daß Seitens der Regierung drin-
gend etwas geſchehen müſſe, um die Herrſchaft des
Aktienſchwindels zu zerſtören. Beſonders einſichtsvoll und kräftig ſprachen ſich darüber
mehrere leitende Artikel der Spenerſchen und Voſſiſchen Zeitun-
gen aus. Alles dies aber, ſo
wohlgemeint und richtig begründet es auch war, ging,
von den ſelbſtſüchtigen Helden der Spekulation und
dem verblendeten Haufen unbeachtet, ſpurlos an ih-
nen vorüber, und als nun ſchon in der Mitte des
Mai’s das Gerücht an die Börſe kam, es würden
vom Staate Maaßregeln gegen die Agiotage bera-
then, ſuchte man mit allen möglichen Scheingründen
und durch die einſeitigſten Discuſſionen die Unwahr-
ſcheinlichkeit eines Einſchreitens der Regierung zu be-
weiſen. Man hob das Palladium perſönlicher Han-
delsfreiheit hervor, man wollte Jedem die Verantwort-
lichkeit ſeines Thuns nur gegen ſich ſelbſt auferlegen,
nannte die Fürſorge des Staates bei den Spekulatio-
nen ſeiner Unterthanen eine unmögliche Bevormundung
u. d. m. Es gab auch Stimmen, welche meinten, ſogar bei noto-
riſch unſichren Papieren wäre ein Staatsinterdict unnöthig, da ſie
ſich ſelbſt das Todesurtheil für die Spekulation ſchriebe, wie es
z. B. hinſichtlich der Spaniſchen Obligationen der Fall geweſen.
Der flüchtigſte Blick auf die Börſenberichte von London, Paris,
Amſterdam und Frankfurt a. M. kann aber belehren, daß dort,
trotz des Ruins der Finanzen Spaniens, noch jetzt ein lebhafter
Umſatz in deſſen Papieren Statt findet, dieſe alſo unzweifelhaft
auch ferner in Preußen, und namentlich während der letzten Pe-
riode, ein beliebter Gegenſtand der Agiotage geweſen wären, wenn
ſie nicht das weiſe Geſetz Friedrich Wilhelms III. v. 19. Januar
1836 daran verhindert hätte. Allerdings bedarf es für keinen vernünf-
tigen, redlichen, überlegt und ſittlich handelnden Men-
ſchen irgend eines Verbots, doch bedachte man nicht,
oder wollte es nicht geſtehen, daß es die Pflicht der
Regierung ſei, jeder mißbräuchlichen oder entarteten
Thätigkeit zum wahren Heile des Ganzen ernſtlich zu
ſteuern. — Demnach erfolgte, wenn auch nicht unvor-
hergeſehen, doch plötzlicher als Viele erwartet, die Pu-
blication des wichtigen Geſetzes vom 24. Mai
1844, die Eröffnung von Aktienzeichnungen zu Eiſen-
bahnen und den Verkehr mit den dafür ausgegebenen
Papieren betreffend. (Anhang V.) Aus der oben
entwickelten Darlegung der Börſenverhältniſſe geht
ſchon von ſelbſt hervor, daß wir mit dem Principe,
auf welchem dies Geſetz fußt, völlig übereinſtimmen.
Die im §. 1. deſſelben enthaltene Beſtimmung, welche
die unberechtigte Annahme von Einzeichnungen ver-
pönt, iſt zwar nur eine entſchiedenere Form der Mini-
ſterial-Bekanntmachung vom 11. April, doch war ſie
ſicher nach den in der Gegenwart gemachten Erfah-
rungen ebenſo nothwendig, als ſie für die Vertrauens-
würdigkeit künftiger Bahn-Unternehmungen heilſam
ſein wird. Die übrigen 4 Paragraphen beruhen gleich-
falls auf der einzigen, unſerer Ueberzeugung nach rich-
tigen Anſicht, daß man das durch die Jlluſionen der
Agiotage in ein Haſardſpiel verwandelte Aktiengeſchäft
zu einem reellen Handel, der die Waare nur für
Geld oder Geldeswerth kauft und verkauft, zurückfüh-
ren und daher alle Zeit- und Prämienabſchlüſſe für
rechtsungültig erklären müſſe. Wir können der hier
und da laut gewordenen Meinung nicht beitreten, daß,
um die Ausführung großartiger induſtrieller Pläne
namentlich der Eiſenbahnen zu bewerkſtelligen, die Spe-
kulation in jeder Geſtalt frei ſein müſſe. Haben
die Verfechter jener Meinung wohl mit offnem, un-
partheiiſchem Auge die Börſenvorgänge des letzten hal-
ben Jahres betrachtet? haben ſie nicht geſehen, wie
die Verwegenheit der Spekulanten den Umſatz aller-
dings zu chimäriſchen Summen ſteigerte, die aber
trotz ihrer coloſſalen Ausdehnung nicht im Geringſten
den Eiſenbahnen ſelbſt, ſondern nur der Gewinn-
ſucht zur Nahrung dienten? Hat wohl einer der
Tonangeber der Agiotage bei ſeinen gränzenloſen Ope-
rationen daran gedacht, dadurch den Bau, die Vollen-
dung, den Ruf der und jener Bahn zu fördern?
Konnten wohl ſo viele theils mit geringen Geldmit-
teln verſehene, theils notoriſch ganz unvermögende
Perſonen, welche durch Zeitgeſchäfte zur möglichen
eigenen Bereicherung ſpekulirten, den Eiſenbahnen
ſelbſt irgend etwas nützen? Wir appelliren an die Ge-
ſammtheit der achtbaren Kaufleute Berlins, welche es
unzweifelhaft bezeugen werden, daß die in den vorſte-
henden Fragen enthaltenen Antworten keine leeren Be-
hauptungen ſind. Allerdings giebt es auch eine Art
der Spekulation, welche der Jnduſtrie hülfreiche Hand
leiſtet. Es iſt die Spekulation derjenigen, die wirklich
zu großen Unternehmungen Kapitalien hergeben, die
ſich in den Beſitz von Papieren zu denſelben in ſo
weit zu ſetzen befähigt, ja wir möchten ſagen (obgleich
wir ſonſt kein Freund von Monopolen) ausſchließlich
berechtigt ſind, als ſie es ohne Beeinträchtigung an-
drer Geſchäftszweige, zu denen ſie einen Theil ihrer
Gelder beſtimmten, auszuführen vermögen. Dieſer eh-
renwerthen Kathegorie von Spekulanten aber, welche
in der That Gewinn oder Verluſt der betreffenden Un-
ternehmungen mittragen, welche dem Gedeihen derſel-
ben nicht allein ihre pecuniairen Kräfte, ſondern auch
nöthigenfalls ihre Einſicht und Erfahrung zu widmen
im Stande ſind, tritt das neue Geſetz keineswegs hem-
mend entgegen. Es will, kurz gefaßt, nichts anders,
als daß nur, wer Geld hat, dafür Aktien kaufe,
und wer wirklich dieſe Papiere beſitzt, ſie gegen
Geld verkaufen könne, durch welche Anordnung alſo
das Princip des ſoliden Erwerbs und Handels
wohl in keiner Hinſicht beſchränkt iſt. Warum jedoch
das Geſetz einen Unterſchied zwiſchen den Quittungs-
bogen und Partial-Obligationen einheimiſcher und
ausländiſcher Aktien-Unternehmungen macht, indem
es die Geſchäfte in Letzteren den Maklern unterſagt,
während es den Verkehr in ausländiſchen Voll-
Actien ferner geſtattet, will uns nicht einleuchten.
Entweder die Betheiligung an ſolchen fremden Papie-
ren bietet überhaupt Gefahren dar, welchen der Staat
vorbeugen will, dann mußte der Handel mit allen der-
gleichen, gleichviel ob Jnterimsſcheinen oder Aktien,
verboten werden, oder es iſt keine Gefahr, mindeſtens
(wie auch wir der Meinung ſind) keine andere oder,
größere als bei den Preußiſchen induſtriellen Obliga-
tionen, vorhanden, dann fehlt uns der Grund, warum
der Umſatz (Zug um Zug) und die Vermittlung deſ-
ſelben wie bei den einheimiſchen Quittungsbogen, nicht
auch bei den ausländiſchen frei ſtehen ſoll. — Bis
auf dieſen einen Punkt ſtimmen wir dem Geſetze voll-
kommen bei, müſſen uns indeß auch andrerſeits noch
dagegen ausſprechen, daß die Regierung daſſelbe ſo-
fort in Kraft treten ließ, wodurch unwillkürlich neu-
erzeugte Uebelſtände und Nachtheile entſtanden, die
vermieden hätten werden können, wenn das Geſetz erſt
einige Zeit, mindeſtens drei Monate nach ſeiner
Publication, in Anwendung gekommen wäre. Die
etwa eingezogenen Gutachten der Börſenvorſteher von
Berlin, Breslau ꝛc., die Zuratheziehung derſelben ſo
wie anderer erfahrener, mit der Lage der Dinge völlig
vertrauter Kaufleute und practiſcher Geſchäftsmänner
vor Emanirung des Geſetzes würden zweifelsohne
nicht allein zu dem Beſchluſſe geführt haben, daſſelbe
erſt ſpäter in Kraft zu ſetzen, ſondern auch zu der
zeitigen Anordnung von Präventiv-Maaßregeln Sei-
tens der Finanz-Jnſtitute des Staates für den mög-
lichen Fall einer nothwendig werdenden Unterſtützung
der reellen Aktienbeſitzer. Der Mangel einer ſpeciellen
Handelsbehörde in Preußen, welcher ſchon oft vom
Kaufmannsſtande hauptſächlich in Wechſelſachen und
Handelsprozeſſen ſchmerzlich beklagt wurde, war ganz
beſonders jetzt unter den obwaltenden Verhältniſſen
fühlbar geworden. Wie Schade deshalb, daß die Er-
richtung des Handelsraths und Handelsamtes,
zufolge Kabinetsordre vom 7. Juni d. J., welche von
der Geſchäftswelt mit wahrhafter Freude begrüßt
wurde, nicht früher geſchehen; die neue Behörde hätte
ihre Wirkſamkeit, die, beiläufig bemerkt, auch erſt etwa
drei Monate ſpäter — am 1. Septbr. eintritt, nicht
würdiger und heilſamer beginnen können, als mit ih-
rem gewiß practiſch zweckmäßigen Einfluß bei dem
obenbeſprochenen Aktiengeſetze. — Die Regierung hatte
den Preußiſchen Eiſenbahnpapieren jeder Geſtalt ſeit
ihrem Erſcheinen die volle Sanction ertheilt; ſie wa-
ren zu einem Handelsartikel geworden, deſſen Veräu-
ßerung in beliebiger Weiſe Jedem überlaſſen geblieben
war; das Spiel der Agiotage darin hatte man nicht
vorausgeſehen, mindeſtens in dem Maaße, als es um
ſich griff, nicht vorausſehen können; kein Verbot da-
gegen war alſo erlaſſen, während inzwiſchen die Re-
gierung durch verſchiedene günſtige Beſtimmungen für
die Eiſenbahnaktien die Luſt zur Betheiligung am Han-
del mit denſelben noch ſelbſt vergrößert hatte. Zwar
war in letztrer Zeit eine warnende Bekanntmachung
des Herrn Miniſters Bodelſchwingh erſchienen, doch
ſprach ſie ſich nur in einer einzelnen Richtung und
theilweiſe zu unbeſtimmt aus, mußte alſo die rechte
Wirkung verfehlen. Und nun erhielt plötzlich ein
Geſetz Geltung, das ſo anerkennenswerth in ſeiner
trefflichen Abſicht, doch der großen Menge der von der
Agiotage irregeführten Spekulanten, den vielen nur
verleiteten, ſonſt practiſch ganz ungeübten Privatleuten,
weder Zeit ließ, den einzig wahren Sinn des Geſetzes
zu erkennen, noch ihre eingegangenen Geſchäfte all-
mälig abzuwickeln oder diejenigen Quittungsbogen,
welche bei ihrem Kauf (vor dem Geſetz) einen beſon-
deren Reiz hatten, den ſie jetzt verloren, nach und
nach zu verkaufen. Was war die Folge davon? der
erſte Schreck ließ Viele in dem neuen Geſetze eine De-
monſtration gegen die allgemeine Vertrauenswürdigkeit
der Eiſenbahnen erblicken, andre in den Wahn verfal-
len, daß das jetzige die Zeitgeſchäfte berührende Ver-
bot künftighin den Verkauf der Quittungsbogen ſehr
ſchwierig machen werde. Von allen Seiten drängte
man ſich deshalb ſchnell zur Erledigung der Geſchäfte,
zum Verkauf der erwähnten Papiere; die frühere un-
beſonnene Verwegenheit und zügelloſe Spielſucht war
plötzlich einer allgemeinen Entmuthigung und angſt-
vollen Beſtürzung gewichen, deren auch die reicheren
Agioteurs nicht Herr werden konnten, die gern lang-
ſam ihre Verkäufe bewirkt hätten, wenn ſie nicht durch
den von ihnen ſelbſt früher aufgeregten großen Hau-
fen zum Gegentheile gezwungen worden wären. Die
Verwirrung wurde noch dazu von Einzelnen benutzt,
um eiligſt auf das Fallen der Papiere zu ſpekuliren,
indem ſie die Liefrung anſehnlicher Summen derſelben
auf einige Zeit hinaus abzuſchließen verſuchten, wel-
che ſie erſt ſpäter durch Einkauf zu weit niedrigerem
Preiſe oder nur durch Empfang großer Differenz-
beträge zu reguliren beabſichtigten. So gingen denn
die Courſe aller Quittungsbogen raſch um 7 bis
16 Procent herunter, denen auch die der meiſten Voll-
Aktien in retrograder Bewegung folgten, welche viele
Beſitzer nothgedrungen, um ihre Ausfälle an den Quit-
tungsbogen zu decken, oder um zu deren Abnahme
Geld zu erlangen, forigeben mußten. Die dadurch
entſtandenen baaren Verluſte waren ungemein groß.
Viele beſonders kleinere Kapitaliſten, Particuliers und
Gewerbtreibende wurden in ihren Vermögenszuſtänden
ſehr erſchüttert; nur Betrübniß und Sorge war auf
den Geſichtern der Betheiligten zu leſen, doch auch
ernſte Theilnahme ſelbſt in den Mienen derjenigen
Börſenmänner, welche ſich von der Agiotage nicht hat-
ten verlocken laſſen, die aber jetzt die Zerrüttung der
Menge erblicken mußten, welche ſie längſt vorausgeſe-
hen. Und was den traurigen Eindruck dieſer Zerrüt-
tung noch erhöhte, war das baldige ſchamloſe Hervor-
treten einer unmoraliſchen Geſinnung Seitens einer
leider nicht geringen Zahl von Jndividuen, die ohne
Hehl erklärten, ihre Verpflichtungen nicht erfüllen zu
wollen, und dabei Grundſätze predigten, welche das
Fundament allen commerziellen Verkehrs, Treu und
Glauben, ganz vernichten würden, wenn ſie je bei
ächten ehrenwerthen Kaufleuten Eingang finden könn-
ten. Merkwürdig war es, daß die Cenſur Zeitungsartikeln, Wir wollen über dieſe betrübende Erſcheinung,
ſowie über die mehrfach dadurch veranlaßten wider-
wärtigen öffentlichen Scenen einen Schleier fallen
laſſen, müſſen aber dagegen freudig erwähnen, daß an-
drerſeits von vielen Redlichen große Opfer gebracht
wurden, um ihren Verbindlichkeiten nachzukommen,
während der Kern der Berliner Handelswelt
— die ſämmtlichen erſten Bankhäuſer und al-
ten renommirten Geſchäftsfirmen — alſo die
eigentlichen Repräſentanten der Börſe von Ber-
lin, gänzlich außerhalb der eingetretenen Kalamität
ſtehend, auch nicht im Entfernteſten etwas von
ihrem Rufe und Vertrauen, von ihrer Solidität
und achtungswürdigen Haltung einbüßten.Es iſt um ſo unbegreiflicher und tadelnswerther, wenn
in einer kürzlich erſchienenen Brochüre (die Preuß. Eiſenbahn-Un-
ternehmungen ꝛc. von L …) unter mehreren von ſehr mangel-
hafter Kenniniß der Sache zeugenden Ausſprüchen die kecke, ganz
ungegründete Behauptung aufgeſtellt wird, durch die letzten Vor-
fälle ſei der Kredit der hieſigen Börſe ſehr erſchüttert
worden.
Faſſen wir nun die Wirkung und Folgen des be-
regten Geſetzes noch näher ins Auge, ſo zeigt ſich un-
verkennbar, daß es die Macht der Agiotage gebro-
chen. Vielen ſind über die demoraliſirende Kraft und
die gefahrvollen Täuſchungen derſelben endlich die Au-
gen geöffnet worden, ſie zogen ſich von der Spielbank,
durch bittre Erfahrung belehrt, zurück. Andre, denen
in der Verblendung der Spekulationsgier, ohne Prü-
welche geradezu die Aufforderung enthielten, man ſolle den einge-
gangenen Verbindlichkeiten nicht genügen, die Druckerlaubniß
ertheilte! —
fung, Zutrauen und Kredit geſchenkt wurde, ſtehen
jetzt in der Blöße ihres unrechtlichen Characters oder
als leere Glücksritter ohne Hab und Gut da, und ſie
können ferner höchſtens auf fremden Börſen, wo man
ihre unſaubre Thätigkeit noch nicht kennt, ihr Unweſen
fortſetzen. Der Caſſa-Handel in Eiſenbahnpapieren
vergrößerte ſich, und als zur Abwicklung der früher
eingeleiteten Geſchäfte an der Börſe nicht mehr hinrei-
chend disponible Gelder zu finden waren, gewährte die
Königl. Bank und Seehandlung eine freilich für die
ungeheuren Summen der Abſchlüſſe nicht genügende
Hülfe. Die Courſe der Aktien und Quittungsbogen
gingen, nachdem der erſte Schrecken vorüber, wieder
höher, wenn auch bei Weitem nicht auf den Stand-
punkt, wohin man ſie früher getrieben hatte, und ge-
ringere Schwankungen auf und nieder wurden von
dem reellen Kauf oder Verkauf für Geld entſchieden,
während nur wenige Zeitabſchlüſſe zwiſchen ſolchen
Perſonen geſchahen, die von ihrer gegenſeitigen Ver-
trauenswürdigkeit überzeugt waren. Bei dieſer Gele-
genheit bewies es ſich übrigens wieder, wie wir es
auch durch eine mehr als zwanzigjährige Beobachtung
des hieſigen Börſenverkehrs kennen gelernt haben, daß
das Zeitgeſchäft im Allgemeinen für den Fonds-
handel nie als durchaus nothwendig, ſondern nur
unter gewiſſen Bedingungen wünſchenswerth oder
bequemer als das Caſſa-Geſchäft erſcheinen kann. Es
wäre deshalb vielleicht dem neuen Handelsrathe zur
Erwägung anheim zu geben, ob nicht ebenfalls dem
Zeitgeſchäfte in Quittungsbogen, unter beſtimmten
Normen, welche theils für eine ſichre Baſis der Ab-
ſchlüſſe ſorgten, theils den etwa wiederkehrenden Ge-
lüſten der Agiotage eine Schranke entgegenſtellten, die
Rechtsgültigkeit beizulegen ſei. Sollten die Fürſprecher der Zeitgeſchäfte, deren es aus
verſchiedenen Gründen eine Menge giebt, mit ihrem Votum bei
der Regierung durchdringen, ſo dürfte es mindeſtens im höchſten
Grade rathſam ſein, die Zeitgeſchäfte in zwei Kathegorien zu thei-
len, in ſolche, wo die darüber ſprechenden Verträge (Schluß-
ſcheine) ein Nummernverzeichniß der verkauften Papiere enthalten,
alſo die Bürgſchaft des wirklichen Beſitzes darbieten, und in ſol-
che, wo dies nicht der Fall iſt. Jeder Vertrag der letzteren Gat-
tung müßte dann einem hohen Stempel, etwa für den nominellen
Werth der Papiere unterworfen, und deſſen Umgehung mit einer
fiskaliſchen Strafe belegt werden. — Auch an aus-
wärtigen Beſuchern, deren Element nur das Zeit- und
Differenz-Geſchäft war, hat die Börſe ſeit dem neuen
Geſetze verloren, doch können wir das durchaus nicht
bedauern, im Gegentheil dürfte das hieſige Geſchäft
ſich dadurch nur um ſo ſchneller wieder conſolidiren.
Die Theilnahme fremder Handelshäuſer am hieſigen
Verkehr wird ſicher nach wie vor dieſelbe bleiben, was
ſchon der Eigennutz (im beſſeren Sinne) gebietet; am
allerwenigſten iſt von ihnen eine Art Repreſſalie zu
erwarten, wie es manche Gegner des neuen Geſetzes
fürchten, wir möchten ſagen zu fürchten ſich den An-
ſchein geben, da Aufträge zu Kauf und Verkauf von
Berlin, Breslau u. ſ. w. nach dem Auslande notoriſch
ſchon ſeit geraumer Zeit in weit größerem Umfange
ertheilt wurden, als umgekehrt, ja z. B. die Spekula-
tion in den Obligationen und Eiſenbahnpapieren Oeſt-
reichs an der Börſe von Berlin (und anderer deut-
ſchen Städte) immer ſehr bedeutend geweſen iſt und
noch lebhaft fortdauert, während die Oeſtreichiſche Re-
gierung ihren Unterthanen all’ und jeden Handel
mit auswärtigen Papieren längſt ſtreng ver-
boten hat. So liegt denn auch in dem Geſetze vom
24. Mai, das überhaupt nicht gegen den reellen
Geſchäftsbetrieb gerichtet iſt, nirgend ein Motiv zur
Befürchtung, dieſen mit auswärtigen Börſen künftig
verringert zu ſehen; er wird ſich unbedingt ferner in
dem Maaße fortgeſtalten, wie es das innerſte Weſen
der kommerziellen Verbindungen erforderlich macht.Gewinn oder Verluſt werden ſich dabei immer nach ver-
ſchiedenen Seiten hin vertheilen, in ſofern den Geſchäften
das wirkliche Bedürfniß der Geldanlegung oder nur allgemeine
Spekulationsluſt zu Grunde liegt, und bald Handels-, bald poli-
tiſche Verhältniſſe auf die Reſultate einen Einfluß üben. Es iſt
deshalb wohl nur als eine ſanguiniſche Verirrung zu betrachten,
wenn Herr L .., der Verfaſſer der ſchon obengedachten Brochüre,
darin kathegoriſch die Meinung ausſpricht: „es läßt ſich voraus-
ſetzen, daß in der Negel bei allen merkantiliſchen Unternehmungen
mit dem Auslande gewonnen wird″ — und „die ins Ausland ge-
ſchickten Werthe kommen immer vergrößert zurück.″ Welch’ ein
Mährchen!
— Die Schwierigkeit oder gar Unmöglichkeit der Re-
gulirungen trat endlich noch am Schluſſe des Monats
Juni ganz beſonders hervor, wo hunderte von nota-
riellen Proteſten es bekunden mußten, wie theils die
Größe der Differenz, theils der böſe Wille, die Erfül-
lung vieler eingegangenen Verpflichtungen hinderten.
Daß dieſe Erſcheinung finanzielle Störungen und eine
mißmüthige Stimmung erzeugten, welche die Luſt zu
neuen Geſchäften benahm, war natürlich. Auch blieben
in Folge deſſen die Courſe gedrückt, wozu allerdings aber
beſonders die fortwährenden Aufträge zum Verkauf von
Eiſenbahnpapieren aus Breslau beitrugen, an welchem
Orte verhältnißmäßig die Abwicklung der Zeitgeſchäfte
noch ſchwieriger, und unerachtet einiger zweckdienlichen
Anordnungen der Börſenvorſteher, die Geldnoth faſt
noch größer war, als unter den Berliner Spekulanten.
— Die Nachwehen dieſer für das größere Publikum
ſo ſchlimmen Epoche werden ſehr wahrſcheinlich noch
einige Zeit bemerkbar bleiben, und die Courſe noch
wieder um viele Procente fallen, da eine anſehnliche
Menge von Papieren in den Händen ſolcher Perſonen
geblieben, welche ſie bald wieder mit Vortheil zu ver-
kaufen gedachten, ſie aber auf die Dauer zu behalten
und weitre Einzahlungen zu leiſten, nicht im Stande
ſind. — Dann aber wird ſich der Preis der Aktien
und Quittungsbogen um ſo mehr auf eine feſte, mä-
ßige Höhe ſtellen, wie ſie der nicht überſpannten
Schätzung des jetzigen oder künftigen Werthes, der
beſonnenen Handelsweiſe und den wirklichen
pekuniären Kräften entſpricht, je mehr man der
warnenden Erfahrungen der erlebten Kataſtrophe ein-
gedenk bleibt. Möge Berlin zu ſeinem Heile dieſer
niemals vergeſſen! —
Wir haben jedoch noch eins auf dem Herzen
was das ganze Wohl und Weh des Börſengeſchäfts
für die Zukunft betrifft, und worüber wir hier unſre
Gedanken an den Tag zu legen für eine unerläßliche
Pflicht halten, da wir uns von der Wahrheit derſelben
völlig durchdrungen fühlen. Wie ſchon aus der gan-
zen obigen Darlegung erſichtlich, haben wir die Ueber-
3
zeugung, daß die jetzige durch die Agiotage hervorge-
rufene Kalamität in keiner Hinſicht eine Kriſis des
Handelsſtandes, oder der eigentlichen kauf-
männiſchen Börſenwelt zu nennen ſei. Wir he-
gen jedoch die unſrer Anſicht nach wohlbegründete
Furcht, daß eine ſolche Kriſis, gleich verderb-
lich für das merkantiliſche Publikum, wie für
alle Kapitaliſten, ſchon in wenigen Jahren
durch den Verkehr in Eiſenbahnpapieren ein-
treten müſſe, wenn von Seiten des Staates nicht
hinſichtlich des weiteren Baues der Eiſenbahnen
ſelbſt hemmend eingeſchritten wird. Worauf ſich aber
unſre Meinung ſtützt, wollen wir in Folgendem zu
entwickeln verſuchen.
England, das ſeit 200 Jahren der Leiter des
Welthandels geworden, das jetzt den allgemeinen mer-
kantiliſchen Völkerverkehr durch allein 27000 Handels-
ſchiffe (ſeine nahe an 900 betragenden Dampfboote
und faſt zahlloſe Menge kleinerer Fahrzeuge ungerech-
net) vermittelt, hat dadurch einen Reichthum erwor-
ben, der, wenn man die unendlich vielen Erſcheinun-
gen überblickt, durch die er ſich im politiſchen, indu-
ſtriellen und ſocialen Leben kund giebt, an die rieſen-
haften Schätze der orientaliſchen Wundererzählungen
erinnert. Das National-Vermögen Großbrittaniens,
welches zu Anfang dieſes Jahrhunderts auf 900 Mil-
lionen Livres Sterling, im Jahre 1810 auf 1270
Millionen berechnet wurde, hatte im Jahre 1842
(nach der Angabe Porter’s in ſeinem mit der fleißigſten Gewiſſenhaftigkeit bearbeiteten) die ſtaunenerregende
Höhe von 1820,000,000 Lſt. erreicht! Es war dem-
nach England, dieſem goldreichen Handelsfürſten der
Erde, mit der Kröſusſchaar ſeiner Kaufleute und Grund-
beſitzer, mit dem Gewinnquell ſeiner jährlich wachſen-
den Manufakturen und Fabriken, mit dem unverſieg-
lich fruchtbaren Schooße ſeiner Erz- und Kohlen-Lä-
ger, mit dem hohen Werthe ſeiner Kolonien, und be-
ſonders noch mit der raſtloſen Thätigkeit ſeines Vol-
kes, leichter als irgend einem Staate, ſich den größten
Unternehmungen der kommerziellen Spekulation und
der Jnduſtrie zu widmen. Was es darin erdacht und
ausgeführt, iſt meiſtens von ſo koloſſaler Natur, daß
es mit Recht die Bewundrung der Welt erregte; der
Umfang ſeines ungeheuren Kapitals geſtattete ihm
nicht allein, im eignen Lande die großartigſten Werke
zu gemeinnützigen und Handels-Zwecken zu ſchaffen,
ſondern auch noch dem Auslande bedeutende Summen
zu Anleihen, Kanälen, Bergwerken ꝛc. zuzuwenden. Nach den vereinigten Staaten Nordamerikas gingen allein
in den letzten 5 Jahren von England, theils als Darlehn, theils
als Betriebskapital für Kanäle, Eiſenbahnen und Banken, über
35 Millionen Lſt. (Porter.)
Und was hat nun dieſes reiche Großbritta-
nien bisher im Gebiete der Eiſenbahnen voll-
führt? Nachdem der erſte größere engliſche Schienen-
weg, die Bahn von Liverpool nach Mancheſter, in den
Jahren 18\frac{27}{30} erbaut worden, haben ſich gegenwärtig,
Werke: „Fortſchritte Großbrittaniens vom Anfange des 19. Jahr
hunderts‟, dem auch mehrere andre der obigen Zahlennotizen ent-
lehnt ſind.
3*
alſo während eines Zeitraums von 14 Jahren, die
ſämmtlichen Haupteiſenbahnen Englands,
Schottlands und Jrlands auf eine Strecke
von 367 Preußiſchen Meilen ausgedehnt. Nach v. Reden (in ſeinem gediegenen Werke „die Eiſen-
bahnen Deutſchlands‟) betragen die ſämmtlichen Britiſchen
Schienenwege 412 D. Meilen.
(Anhang VI.)
Wir wollen nun dagegen unſre Heimath betrach-
ten. Es bedarf wohl keiner weitläuftigen Auseinan-
derſetzung, daß Deutſchland weder durch ſeine geo-
graphiſche Lage, noch durch ſeine Natur- und Fabrik-
Erzeugniſſe, noch durch ſeine kommerziellen Beziehun-
gen jemals im Stande war, ſolche Reichthümer zu
erwerben, welche ſich irgend mit denen Englands ver-
gleichen ließen. Hat auch der ſprüchwörtlich gewor-
dene, ausdauernde Fleiß ſowie die niemals arbeit-
und müheſcheue Betriebſamkeit des Deutſchen viele
ſeiner Erwerb- und Jnduſtriezweige, z. B. die Land-
wirthſchaft, den Bergbau, das Fabrikweſen, zu einer
hohen Trefflichkeit geſtaltet, ſo ſind deren Erträgniſſe
doch bisher nur ſo groß geweſen, daß er damit, wie
ein guter Haushalter, ſich und die Seinigen anſtändig
ernähren, und das von den Vätern ererbte mäßige
Vermögen bewahren, höchſtens es allmälig, wenn auch
nicht bedeutend, vermehren konnte. Seinen ſonſt ſicher
ſehr gewinnreichen größeren Unternehmungen traten
die häufigen Partikular-Jntereſſen der einzelnen Deut-
ſchen Staaten ſtörend entgegen, ſeinen kaufmänniſchen
Spekulationen fehlte die großartige Grundlage des
überſeeiſchen Verkehrs, und ſo blieb er faſt nur auf
den, allerdings auch in vielfacher Hinſicht recht ein-
träglichen Binnenhandel angewieſen. Den National-
Reichthum Deutſchlands, England gegenüber, anzuge-
ben, mangelt es uns an zuverläſſigen Quellen, auch
iſt eine Berechnung deſſelben, welche ſelbſt der Wirk-
lichkeit ſich nur annähernde Reſultate erreichen wollte,
äußerſt ſchwierig. Jndeß mögen Angaben verwandter
Art, nämlich die nachſtehenden über die jährlichen
Staatseinkünfte einen ungefähren Maaßſtab für das
Vermögensverhältniß darbieten. Sie betragen in den
ſämmtlichen Staaten Deutſchlands
etwa 114,000,000 Thlr.
in den Deutſchen Provinzen
Oeſtreichs ......................... 43,000,000 -
zuſammen Die Summe derſelben wird in von Reden’s geiſtvoll
und gründlich geſchriebenem Lehrbuche: „Allgemeine vergleichende
Handels- und Gewerbs-Geographie ꝛc., Berlin, Enslin 1844‟ auf
159,118000 Thlr. (einſchließlich 2½ Millionen von Luxemburg
und Holſtein) angegeben. ..... 157,000,000 Thlr.
während ſich die Einnahmen
Großbrittaniens 1836 auf 50
Millionen Lſt., alſo etwa auf 337,500,000 -
beliefen.Jm letzten Jahre 18\frac{43}{44} waren ſie bis zu 52,547000 Lſt.
geſtiegen. Und was hat nun Deutſchland im Ei-
ſenbahnweſen gethan oder iſt es zu thun be-
ſchäftigt? — Die erſte größere (mit Dampfkraft be-
ſahrene) Deutſche Eiſenbahn, die Berlin-Potsdamer,
wurde 1838 gebaut, und gegenwärtig hat die Länge
der vollendeten und im Bau begriffenen Haupt-
Schienenwege Deutſchlands, einſchließlich derer in
den Deutſchen Provinzen Oeſtreichs, (ſiehe Anhang
VII.) ſchon ............................. 612,52 Meilen
erreicht; rechnet man hierzu noch an-
dre bereits conceſſionirte, in einer Aus-
dehnung von ......................... 92,50 -
ferner die wichtigſten der von Staats-
wegen zunächſt projektirten, nothwendi-
gen Eiſenſtraßen, nämlich die Oſtpreu-
ßiſche mit ................................... 70 Meilen
und die Würtembergiſchen Bahnen mit 87 -
ſo dürfte Deutſchland nach einigen Jahren bereits
über 860 Meilen Eiſenbahn vollendet haben v. Reden giebt die Geſammtzahl der Deutſchen Eiſenſtra-
ßen (wobei die Oſtpreußiſche und Würtembergiſchen Bahnen nicht
inbegriffen ſind) auf 894 D. Meilen an; Profeſſor Egen ſchätzt
ſie ſogar auf 1200 Meilen (ſiehe Seite 44)., falls
die Geldmittel dazu vorhanden oder verfügbar ſind,
welche für die erſteren 705 Meilen 210,930,000 Thlr.,
für die letzteren 157 Meilen noch etwa 50,000,000
Thlr., daher zuſammen an 260 Millionen Tha-
ler betragen werden! Deutſchland hat alſo, un-
geachtet des Mißverhältniſſes zwiſchen ſeinem und dem
britiſchen Reichthum, ungeachtet der großen Summen,
welche es für die unabwendbaren Bedürfniſſe der Co-
lonial-Produkte, für die Erhaltung ſeiner Jnduſtrie,
für die Verbeſſrung ſeiner Landſtraßen Preußen hat z. B. auf ſeinen 5070 Quadratmeilen noch
nicht mehr als 1614 Meilen Chauſſee. (Malinowsky, Gewerbe-
blatt 1814). und Waſ-
ſerverbindungen, für die Wohlfahrt ſeiner Gewerbe,
für die Ernährung ſeiner Armen, jährlich nöthig hat,
ungeachtet der vielen Millionen Thaler, welche es zur
Anlage der Eiſenbahnen für Lokomotiven, Schienen
u. ſ. w. ſchon nach England ſenden mußte und ferner
theilweiſe dorthin und nach Belgien wird verausgaben
müſſen Erſt kürzlich ſind wieder in Seraing 25 Lokomotiven für
Deutſche Schienenſtraßen beſtellt worden, und auf den Deutſchen
Bahnen überhaupt befinden ſich jetzt unter zuſammen 296 vorhan-
denen und beſtellten Lokomotiven, 239 aus ausländiſchen Werk-
ſtätten., — in faſt dem halben Zeitraume doch
über das Doppelte der Zahl wie Großbrita-
nien, ſchon an Eiſenbahnen (zum kleineren Theile)
erbaut und (zum größeren Theile) jetzt zu bauen im
Sinne. — Welche Uebereilung, welche Ueberſchätzung
der eignen Kräfte! Man könnte ſagen, daß England
nur deshalb weniger Eiſenbahnen gebaut habe, weil
dort die Meile durchſchnittlich mehr denn dreimal ſo
viel koſte, als in Deutſchland. Jmmerhin, doch ver-
geſſe man nicht, daß dies nur in dem hohen Werth
des britiſchen Grund und Bodens und in den theuren
Ausgaben, welche dort für jede Bill zur Genehmi-
gung einer Bahn gemacht werden müſſen Die Parlamentsbill für die Bahn von London-Southamp-
ton (South-Weſtern) kam auf 31000 Lſt., die der London-Bir-
mingham auf 90,000 Lſt. und die der Great-Weſtern auf 150,000
Lſt. zu ſtehen. (Mac-Culloch.), liegt,
daß alſo, wie groß auch die dafür verwendeten Sum-
men ſind, dieſe doch ſämmtlich im Lande blei-
ben, folglich dem Staatsreichthum und dem Privat-
vermögen nicht entzogen werden, ſondern der allge-
meinen Geldcirkulation angehörig bleiben. Andrerſeits
könnte man auch einwenden, daß in Deutſchland jedes
einzelne Land ſeine beſondre Finanzverwaltung und
viele mächtige damit in Verbindung ſtehenden Jnſtitute
habe, es alſo in der Geſammtheit gewiß eine nicht
geringe Zahl kluger, umſichtiger Adminiſtratoren be-
ſitze, welche in ihrem einzelnen Bereiche die ihnen zu
Gebote ſtehenden pekuniären Mittel durch geſchickte
und beſonnene Operationen, unterſtützt von dem dem
Papiergelde erworbenen Vertrauen, unendlich zu ver-
vielfältigen wüßten; es ſeien demnach auch in Deutſch-
land viel größere Summen für wichtige Unternehmun-
gen, alſo auch für den Bau der Eiſenbahnen vorhan-
den oder zu beſchaffen möglich, als man nach allge-
meiner Schätzung glaube. Dies aber ſelbſt zugeſtan-
den, wird Jeder, der die gewaltige Organiſation der
Bank von London kennt, einräumen müſſen, daß
ſie durch das rieſenhafte Kapital, worüber ſie gebietet,
durch den außerordentlichen Umfang ihrer Geſchäfte
und der ihrer Filialbanken, durch die muſterhafte Ord-
nung ihrer Einrichtungen, ſowie vor Allem durch die
Einheit ihrer Operationen, eine Geldmacht bildet,
welche in dem, was ſie ſelbſt zu leiſten und auszufüh-
ren, oder in dem Beiſtande, den ſie Andern zu erwei-
ſen vermag, unerreichbar großartig daſteht. Sie
hält die unermeßlichſten Summen in einem ſteten Zu-
ſammenhang, ſie konzentrirt ſie, und ſo auch die
gewinnreichen Produkte derſelben, während in Deutſch-
land die Kapitale der verſchiedenen Staaten und
Bankinſtitute ſich vereinzeln, und ſo auch ihre Ge-
winne ſich vereinzeln und zerſplittern. — Wir müſſen
auch der Meinung derjenigen entſchieden widerſprechen,
welche ſich über die Millionen, die zum Behuf des
Eiſenbahnbaus außer Landes gingen und noch gehen,
durch den Glauben beruhigen, Deutſchlands Export
wäre größer als ſein Jmport, es bekäme alſo für ſeine
verſchickten Gelder ein noch höheres Aequivalent wie-
der; dies iſt keineswegs der Fall, wie ſich Jeder aus
den Deutſchen und Engliſchen Zollregiſtern überzeugen
kann. Nachſtehende Zahlen mögen für uns ſprechen. Laut den
dem britiſchen Parlamente vorgelegten Papieren betrug der amt-
lich ermittelte Werth der in England
von Preußen und dem übrigen
Deutſchland 1831 eingeführten
Waaren ꝛc. ................ Lſt. 2,884,267 15 ſh. 8 p.
und der von England
nach Preußen und dem übrigen
Deutſchland 1831 ausgeführ-
ten Waaren ꝛc................ Lſt. 10,302,930 3 - 11 -
Sollte ſich nicht aber ſpäter das Verhältniß für Deutſchland gün-
ſtiger geſtellt haben? Dem iſt leider nicht ſo, wie man ſchon aus
den vielfach in den letzten Jahren lautbar gewordenen und als
begründet erwieſenen Klagen über den leidenden Zuſtand der Deut-
ſchen Haupt-Jnduſtriezweige ſchließen kann. Doch wir wollen
auch Deutſche Quellen für unſre Anſicht citiren. Nach Diete-
rici (ſtatiſtiſche Ueberſicht der wichtigſten Gegenſtände des Ver-
kehrs und Verbrauchs im Preußiſchen Staate und im Deutſchen
Zollverein, Berlin, Mittler 1842) betrug die Eingangsſteuer
des Zollvereins in den Jahren 1836, 1837, 1838 und 1839 zu-
Betrachten wir nun noch eine Erſcheinung, die
ſich ebenfalls in England als Folge ſeines Welthan-
dels und des großen Jntereſſes darbietet, welches alle
Völker an der induſtriellen Thätigkeit Großbritaniens
nehmen; wir meinen den dortigen enormen Waaren-
und Perſonenverkehr. Es iſt natürlich, daß dieſer
auch den Engliſchen Eiſenbahnen zu Gute kommt, und
durch die ihnen zugeführten höheren Einnahmen im
gleichen Maaße mit dazu beiträgt, das Geld dort in
lebendigem Umlaufe zu erhalten. Auch hinſichtlich die-
ſes Punktes tritt Deutſchland hinter England zurück.
Jm Jahre 1842 betrugen die Einnahmen der briti-
ſchen Bahnen zuſammen nahe an 5 Millionen Livres
ſammen ................................... 73,478,868 Thlr.
die Ausgangsſteuer während deſſelben Zeit-
raums .................................... 1,970,279 -
es blieb dem Vereine alſo durch den Ein-
gangszoll ein Gewinn von ............... 71,508,589 Thlr.
Ueberſehen wir nun nicht, daß allerdings zugleich zollfrei erpor-
tirt wurden ungefähr .................... 60,400,000 Centner
davon ab zollfrei eingeführt etwa ..... 4,400,000 -
folglich zollfreie Mehrausfuhr ........... 56,000,000 Centner
und rechnen für dieſe Quantität ſelbſt einen möglichen Zoll von
¼ Thlr. pro Centner (obgleich es im Tarif ein Minimum von
\frac{1}{24} Thlr. giebt), ſo würde dieſer ſich auf 14 Millionen Thaler be-
laufen, es iſt alſo der Werth der in den Zollverein mehr im-
portirten Gegenſtände noch immer ſo beträchtlich hoch anzuneh-
men, daß von ihm in den 4 Jahren 57,500,000 Thlr. als Ein-
gangsſteuer, oder durchſchnittlich jährlich über vierzehn
Millionen Thaler eingingen. — Wie weit ſind wir daher noch
von der Erfüllung des ſchönen Traumes entfernt, weniger Geld
für unſre Bedürfniſſe dem Auslande zahlen zu müſſen, als von
ihm zu empfangen!
Sterling (33,000,000 Thlr.), die der Deutſchen Schie-
nenwege 4,628,000 Thlr. Bis dahin waren aller-
dings von letztren erſt etwa halb ſo viel Meilen, als
von jenen in der Benutzung. Jm Mai d. J. wurden
auf ungefähr 150 Meilen der befahrenſten Eiſenbah-
nen, in England 220,470 Lſt., alſo 1,488,173 Thlr.,
in Deutſchland 427,625 Thlr. eingenommen (ſiehe An-
hang VIII.). Der Monat Juni, die Hauptzeit der
Reiſenden, brachte dort noch viel beträchtlichere Reſul-
tate zum Vorſchein, welche das Mißverhältniß der
Bahneinkünfte Deutſchlands gegen die britiſchen noch
in einem höheren Grade hervortreten ließen. Jm Juni hatten nämlich dieſelben Engliſchen Bahnen
244,093 Lſt. (1,647,627 Thlr.), die Deutſchen dagegen nur
426,436 Thlr. eingenommen, es ergab ſich alſo gegen den Mai
in England ein Mehrbetrag von 159,454 Thlr., in Deutſch-
land eine Mindereinnahme von 1189 Thlr. (Mining-Jour-
nal und Dampfer.) —
Wir beſtreiten keineswegs, daß, je weiter erſt das Netz
der Eiſenſtraßen ſich über die Deutſchen Länder erſtrek-
ken, und eine in die andre eingreifen wird, deſto mehr
durch den bedeutend ſteigenden Perſonen- und Güter-
Transport auch die Erträge der Deutſchen Bahnen
noch über das Verhältniß der vergrößerten Meilenzahl
hinaus zunehmen werden. Die weſentlichen Bedin-
gungen hierzu ſind indeß ohne Zweifel ein gedeihlicher
Zuſtand des Handels und der Gewerbe, ein ungeſtör-
tes Geſchäftsleben und eine unverkümmerte Reiſeluſt.
Möge man es deshalb ja verhüten, daß ſich Deutſch-
land dieſer Bedingungen nicht durch eigne Schuld über
kurz oder lang beraubt ſehe; und dieſe Gefahr dürfte
uns ſicher drohen, wenn nicht die Uebereilung, die
bisher bei den Deutſchen Eiſenbahn-Unternehmungen
geherrſcht, und die Ueberſchätzung der Deutſchen
dazu vorhandenen Geldmittel, ehe es zu ſpät, erkannt
wird. Wir können nicht umhin, bei dieſer Gelegenheit einen
Aufſatz des Herrn Profeſſors Egen in Elberfeld theilweiſe zu be-
leuchten, welchen derſelbe in der erſten diesjährigen Liefrung der
Verhandlungen des Vereins zur Befördrung des Gewerbfleißes in
Preußen, unter dem Titel: „Ueber die Erfolge der Deutſchen Ei-
ſenbahn-Unternehmungen als Finanzſpekulation‟ hat abdrucken laſ-
ſen. So tüchtig und werthvoll nämlich dieſer Aufſatz in techni-
ſcher Beziehung iſt, ſo unhaltbare Anſichten, irrige Darſtellungen
und Schlußfolgerungen enthält er hinſichtlich mehrerer weſentlichen
Punkte, welche Zahlen-, finanzielle und kommerzielle Verhältniſſe
betreffen. Hat auch der Herr Redakteur ſelbſt ſchon auf einige
Jrrthümer der Abhandlung hingewieſen, ſo iſt doch die Nothwen-
digkeit um ſo dringender, das Unbegründete mehrerer Stellen
darin nachzuweiſen, je mehr der Aufſatz, des achtbaren Verfaſſers
und des Blattes wegen, worin jener veröffentlicht worden, an
Bedeutſamkeit gewonnen und Berückſichtigung bei höheren Behör-
den gefunden haben möchte. — Wir haben es hier nur mit dreien
Stellen zu thun. — Herr Pr. Egen berechnet die in Deutſchland
vollendeten, im Bau befindlichen und zunächſt für den Ausbau be-
ſtimmten Eiſenbahnen auf ungefähr 1200 Meilen, welche etwa
300 Millionen Thaler koſten würden, und ſagt, nachdem er dies
Bahnnetz genau detaillirt, Folgendes: „Mag der Zweck, welcher
mit einem Aufwande von 300 Millionen Thaler erreicht werden
ſoll, noch ſo wichtig und groß ſein, ſo verdient dennoch die Frage
volle Berückſichtigung: welcher Theil von dieſer beträchtlichen
Summe geht verloren, oder mit andern Worten, welcher Theil
der Summe wird unverzinſt bleiben? Trägt die ganze verwendete
Summe ihre landesüblichen Zinſen (?), ſo ſieht man leicht ein, Wir begreifen wahrhaft die unendliche
Wichtigkeit der Eiſenbahnen, wir wünſchen aufrichtig
unſrem Vaterlande die möglichſt vollſtändige, doch mit
daß dann das Land nur in den beiden Fällen ein wirkliches Opfer
brächte, wenn ein großer Theil des Anlagekapitals außer Landes
ginge, oder wenn andern Geſchäftszweigen das benöthigte Kapital
entzogen würde. Der Umtauſch einer Valuta gegen eine andre
von völlig gleichem, oder wohl gar größerem Werthe macht nicht
arm, und konſumirt nicht disponible Geldkräfte. (Natürlich zuge-
ſtanden.) Es iſt alſo ſchon nach dieſer Betrachtung gar nicht zu
beſorgen (?), daß die Deutſchen Länder nicht die Mittel aufbringen
werden, die projektirten Eiſenbahnlinien zur Ausführung zu brin-
gen (??). Bisher wurden freilich die meiſten Schienen und Lo-
komotiven für Deutſche Eiſenbahnen aus dem Auslande bezogen.
Zum Bau und Betriebe von 1200 Meilen Eiſenbahn ſind für
30 Millionen Thaler Schienen und für 20 Millionen Thaler Lo-
komotiven erforderlich. Jm Jnlande entſtehen immer mehr tüch-
tige Werkſtätten für den Bau der Dampfwagen und für das Aus-
walzen der Schienen. Nimmt man an, daß die Hälfte aller
Dampfwagen und Schienen aus dem Auslande bezogen werden,
ſo geht dadurch in einem Zeitraum von etwa 15 Jahren den
Deutſchen Landen ein Kapital von 25 Millionen Thaler (iſt das
nicht ein großer Theil des Anlagekapitals?) verloren, welches, in
Betracht der vielfach größeren Summen, die jährlich
dem Auslande für Fabrikate aus Deutſchland zuflie-
ßen, gar nicht fühlbar werden wird.‟ Dieſe Stelle ent-
hält einen in der That äußerſt leichtfertigen Troſt, der keines gu-
ten Staatsökonomen würdig iſt, welchem es ſchwerlich je in den
Sinn kommen wird, ein Land dadurch über eine neue große
Ausgabe zu beruhigen, daß es ſchon ältere und viel größere
jährlich zn beſtreiten habe, wobei es alſo auf eine mehr nicht
ankommen könne. Herr Egen will Deutſchland über den Verluſt
der 25 Millionen mit einer 15jährigen Täuſchung hinweghelfen,
doch am Ende wird das Reſultat, die große verausgabte Summe,
daſſelbe bleiben, und gar ſehr fühlbar werden. Der gute,
bedächtige Finanzier hält gewiß jedes Unternehmen, bei dem er
Beſonnenheit geſchehende Erwerbung dieſes für die
Entwicklung der Völker ſo einflußreichen Gutes, kön-
einen anſehnlichen Verluſt vorausſieht, gleichviel ob dieſer mit
einem Male oder nach und nach zu tragen iſt, für ſehr bedenk-
lich, und dürfte ſich unzweifelhaft um ſo weniger ſchnell darüber
zufrieden geben, wenn ſeiner Beſorgniß, ob er die für das ganze
Unternehmen erforderlichen großen Mittel, welche möglicherweiſe
ihm einen mäßigen Zins bringen möchten, zu beſchaffen im
Stande ſei, nur willkürliche, wenn auch gutgemeinte „Betrachtun-
gen‟ ohne Beweisgründe entgegengeſtellt werden, wie es in dem
beſprochenen Aufſatze geſchieht.
Ferner ſtellt Hr. Prof. Egen die Anlagekapitale von 17 fer-
tigen Deutſchen Eiſenbahnen zuſammen, zählt dagegen die Sum-
men auf, welche die Aktien derſelben zum damaligen Courſe (der
Aufſatz wurde im Oktober 1843 geſchrieben) werth waren, und
folgert daraus, daß der auf dieſe Weiſe ſich gegen den Nominal-
werth der Aktien ergebende Ueberſchuß (von 7,661,670 Thlr. auf
ein Kapital von 63 Millionen Thaler) ein Gewinn für das
Deutſche Nationalvermögen ſei. Er ſagt nämlich: „Weit
entfernt alſo, daß die Geldmittel Deutſchlands durch die bisheri-
gen Eiſenbahnbauten geſchwächt ſein ſollten, wie viele Unkundige
(sic!) dies annehmen, ſind dieſelben, ſelbſt abgeſehen von der
Steigerung des Grundbeſitzwerthes, vielmehr um 12 Procent ver-
mehrt worden. Von dem obigen Gewinne fallen 5¼ Millionen
auf Preußiſche Bahnen.‟ — Wir können Preußen zu dieſem Ge-
winne nicht Glück wünſchen, weil derſelbe nämlich gar nicht
vorhanden iſt. Wie kommt Herr Egen zu dieſem ſeltſamen
Rechnen-Exempel? Der Cours der Eiſenbahnpapiere iſt ein ſtets
ſchwankender, von den disponiblen Geldkräften, Launen, Liebhabe-
reien und Agiotage-Jntriguen der Börſenmänner abhängender.
Hente iſt er hoch, morgen wieder niedriger, je nachdem die Maſſe
der Käufer oder Verkäufer ſich in der Majorität befindet. Hier
werden Aktien durch alle möglichen Mittel der Spekulanten feſt-
gelegt (mit dem techniſchen Ausdrucke: eingeſperrt), nur um
ſie momentan dem Börſenumſatz zu entziehen, und ihren Cours
nen uns aber nach der obigen Auseinanderſetzung
nur von der Ueberzeugung durchdrungen erklären, daß
dadurch gewaltſam zu ſteigern, — und der Cours geht plötzlich
viele Procente in die Höhe; dort hat Einer vielleicht nur 5000
Thlr. gewiſſer Aktien zu verkaufen, er benimmt ſich ungeſchickt, er
bietet ſie Vielen an, es iſt zufällig kein Liebhaber dafür da, und
der Cours iſt mit einem Male um Vieles niedriger als den Tag
vorher, ja ſelbſt oft als eine Viertel-Stunde früher an einer und
derſelben Börſe! Und dieſer Courswerth mit ſeiner entſchiedenen
Unſicherheit und Unbeſtändigkeit, mit ſeinen häufig ganz illuſori-
ſchen Urſachen, ſollte die Grundlage ſür einen Calcul bilden kön-
nen, der den erhöhten Geldreichthum der Geſammtheit be-
weiſen möchte? Nimmermehr. Welch’ glänzender Gewinn wäre
dem Herrn Egen erſt erſchienen, wenn er ſeine Rechnung ein
halbes Jahr ſpäter angeſtellt hätte, wo er ſtatt der von ihm zu
Grunde gelegten Courſe gar 15 bis 25 Procent höhere finden
konnte. Wie aber iſt es mit dem ſogenannten Gewinne, wenn
die Aktien wieder, wie es geſchehen, um 10 Procent und mehr
gefallen? Wo blieb dann der Gewinn? Angenommen, irgend ein
großes politiſches Ereigniß würfe die Eiſenbahnpapiere plötzlich
auf pari herunter, was nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit
liegt, und es machte dann Jemand einen ähnlichen Calcul wie
Herr Egen, wäre etwa dann das Nationalvermögen wieder auf
ſeine urſprüngliche Höhe reducirt? konſequent geurtheilt, unbedingt
ja; doch das Ganze iſt ein Trugſchluß. Niemals kann der Stand
der Aktien einen Maaßſtab für das reelle Vermögen des Landes
abgeben; nicht einmal die Zinſen der Papiere, welche durchſchnitt-
lich wieder verzehrt werden, ſondern nur die Dividenden können
als wirkliche Bereicherung der Aktienbeſitzer betrachtet, und ſo nur
aus ihnen die Zunahme des allgemeinen Vermögens gefolgert
werden. Eine weitre Erörterung über die Ertragsfähigkeit der
Bahnen liegt außer dem Zweck dieſer Schrift, doch mögen wir
nicht unterlaſſen, einen Ausſpruch Mac-Culloch’s, eines der
vortrefflichſten Statiſtiker und der praktiſchſten Kenner des Ge-
ſchäftslebens, hier anzuführen, den er in ſeinem Dictionary of
die Furcht, es werde das zeither beobachtete
Verfahren ſowohl den ferneren Bau der
commerce and navigation gethan. Er erwähnt der gewiß
nicht unbedeutenden Dividende der Liverpool-Mancheſter Bahn
von 8½ Procent (ſpäter ſtieg ſie auf 10 Procent) und fährt fort:
„Dieſe Thatſache iſt wahrlich nicht beſonders geeig-
net, die ſchwindelnden Berechnungen der jetzt (und das
war ſchon 1834!) von allen Seiten auftauchenden Ei-
ſenbahn-Projekte zu rechtfertigen.‟ — Wir dürfen end-
lich noch eine Behauptung des Herrn Egen nicht unberührt laſ-
ſen. Nachdem er, wie oben gedacht, von den gewonnenen Sum-
men richtig 5¼ Millionen Thaler Preußen zugetheilt, ſagt er:
„Da ein großer Theil dieſes Gewinnes der Berliner
Börſe und ihren Geſchäftsfreunden zugegangen iſt, ſo er-
klärt ſich hieraus zur Genüge ihre Vorliebe für Geſchäfte in Ei-
ſenbahn-Aktien, die man mit großem Unrechte mit dem Namen
Börſen-Schwindelei bezeichnet hat.‟ Ach, wo ſind doch dieſe
goldnen Berge der Berliner Börſe zu erblicken! Obgleich wir ſeit
Jahr und Tag den Schauplatz jener „Vorliebe‟ beſucht, ſind uns
die gewonnenen Millionen nirgends zu Geſichte gekommen. Wir
müſſen glauben, wenn wir die Berliner Kaufherren danach fragen
wollten, von jedem derſelben die freilich betrübende Antwort zu
erhalten, er ſei (wie der Poet in Schillers „Theilung der Erde‟)
bei der von Herrn Egen erzählten Goldvertheilung zu ſpät er-
ſchienen. Wohl heißt es zu Zeiten an der Börſe, beſonders
wenn die Spekulationswuth ihr Spiel treibt, daß viele Tauſende
von All’ und Jedem gewonnen ſeien; erkundigt man ſich
dann, wer denn die errungenen Summen verloren habe, ſo
fehlt der genügende Beſcheid, man hilft ſich mit Ausflüchten;
hier, daß der eine große Gewinn aus anderſeitigen einzelnen klei-
neren, dem Betheiligten wenig fühlbaren Verluſten entſtanden
ſei; dort, daß ein neuer Spekulant ſelbſt bei dem höheren, alſo
für andre ſchon gewinnbringenden Kaufpreiſe noch zu dem be-
treffenden Papiere Vertrauen habe, u. dergl. m. Das Räthſel
aber, daß, wo Großes gewonnen wird, nicht auch Großes verlo-
Schienenwege, als die daran nothwendige
Theilnahme der Kapitaliſten in Deutſchland
beeinträchtigen, eine wohlbegründete ſei. Je wei-
ter die Vollendung der in Angriff genommenen Strek-
ken vorrückt, je mehr wird ſich bei jeder der erforder-
lichen Einzahlungen der Mangel der disponiblen Geld-
ſummen Seitens der Beſitzer der Quittungsbogen an
den Tag legen; entweder dieſe oder die Aktien der fer-
tigen Bahnen werden zu jedem Preiſe verkauft, oder
noch mehr Summen als bisher, welche anderweitig in
Handels- und Jnduſtriezweigen ſicher angelegt waren,
dieſen entzogen werden müſſen, um mit immer größe-
ren Opfern die Anſprüche der Eiſenbahn-Direktionen
zu befriedigen. Trotzdem wird von Tage zu Tage die
Unzulänglichkeit der pekuniären Mittel ſich immer
mehr kundgeben, und endlich dann eine den ganzen
Handelsſtand und die eigentlichen Kapitali-
ren gegangen ſein ſollte, bleibt ungelöſt. Kein Wunder, daß auch
dieſelbe Geſammtheit, welche ſich als Gewinnerin pries, bei Reak-
tionen plötzlich die allgemeine Klage über unendliche Verluſte er-
tönen läßt; mit einem Male hat Jeder verloren, Niemand
gewonnen. Das iſt auch jetzt das Feldgeſchrei der der Agiotage
verfallen geweſenen Menge, und Keiner weiß zu ſagen, wo die
erſt kürzlich verſchwenderiſch geſpendeten Hunderttauſende ſo plötz-
lich ein Ende genommen, ja wie es möglich war, daß man noch
Geld zugeben mußte, um die Verluſte zu decken. — Auf die
letzte Bemerkung des Herrn Egen haben wir durch einen großen
Theil dieſer Schrift ſchon geantwortet, und ſind von ſeiner Wahr-
heitsliebe und Einſicht überzeugt, daß er, falls er wie wir Augen-
zeuge der Vorgänge an der Berliner Börſe während der von uns
geſchilderten Zeit geweſen wäre, das entartete Geſchäft ſelbſt mit
dem erwähnten rechten Namen bezeichnen würde.
4
ſten treffende allgemeine Kriſis eintreten, welche
um ſo beklagenswerther ſein möchte, als ſie nicht al-
lein durch übergroße Verluſte vielen Tauſenden die
tiefften Wunden ſchlagen, ſondern auch in Folge deſ-
ſen ſelbſt eine, ſämmtliche noch nicht vollendete Bah-
nen äußerſt gefährdende, Stockung hervorbringen dürfte.
Wie der Baum, um neue Blätter, Zweige und Früchte
zu gewinnen, ſo bedarf auch das Geld zu ſeiner Re-
generation und Vermehrung, der Zeit und der Pflege;
keine gewaltſame Operation kann es dauernd erhalten,
und furchtbar ſtörend rächt ſich in allen Lebenskreiſen
die maaßloſe, unbedachte Vermindrung ſeiner Kräfte!
— Noch iſt es vielleicht möglich, jener großen Geld-
Kataſtrophe vorzubeugen, oder ſie wenigſtens in ihrer
Wirkſamkeit zu ſchwächen, wenn die hohen Deutſchen
Regierungen:
1. in den nächſten 3 bis 5 Jahren durchaus kei-
nem einzigen neuen Eiſenbahn-Unter-
nehmen ihre Zuſtimmung ertheilen;
2. den Direktionen der im Bau begriffenen Bahnen
die langſamere Vollendung derſelben anem-
pfehlen, jedenfalls aber ihnen die Einziehung
jeder noch nicht dringend zu den An-
lagekoſten benöthigten Rate von den Jn-
habern der Quittungsbogen unterſagen Es iſt von großer Wichtigkeit, daß Millionen von Tha-
lern nicht früher, als es durchaus erforderlich, dem öffentlichen
Verkehre entzogen werden, und daher höchſt nothwendig, die Auf-
merkſamkeit der Behörden auf dieſen Punkt beſonders hinzulenken. und
3. die Ausführung aller künftigen Schie-
nenwege ſelbſt übernehmen.
Die Nothwendigkeit der letztren Maaßregel iſt ſchon
ſeit längrer Zeit immer einleuchtender geworden; die
Erfahrung, Umſicht und Kontrolle der Regierungen,
die klare Kenntniß der ihnen zur Verfügung ſtehenden
Kapitalien, die Benutzung der vielen ihnen im höhe-
ren Grade als den Privatgeſellſchaften zugänglichen
Hülfsquellen, endlich ihre hohe heilige Aufgabe, das
Wohl aller ihrer Unterthanen gleichmäßig und nicht
von ſpeciellen Jntereſſen beeinträchtigt, zu fördern, lei-
ſten eine genügende Bürgſchaft dafür, daß nur durch
ihre Handhabung und Fürſorge das bewunderns-
werthe Werk des Friedens, die Eiſenbahnen, in heil-
ſamer innerer Uebereinſtimmung, in ganzer unzerſtük-
kelter Vollſtändigkeit, den Völkern verliehen werden
wird. Belgien hat dieſem Prinzipe von Anfang an
gehuldigt, in Frankreich macht es ſich ebenfalls im-
mer mehr und mehr geltend, und ſelbſt in England
erheben ſich jetzt die gewichtigſten Stimmen für daſ-
ſelbe. Auch auf Deutſchem Boden iſt Oeſtreich
ſchon mit kluger Bedachtſamkeit dazu geſchritten, den
Bau der Eiſenſtraßen als Staats-Unternehmen zu be-
handeln, zum Theil auch Hannover, Bayern, Ba-
den und Braunſchweig; mögen die übrigen Deut-
ſchen Regierungen recht bald dieſem Beiſpiele folgen!
— Was die andern beiden obigen Vorſchläge betrifft,
ſo ſind ſie allerdings nur als die Aeußerung unſrer
unmaaßgeblichen Meinung von dem, was uns am
Zweckmäßigſten zu ſein ſcheint, zu betrachten; doch he-
gen wir die Zuverſicht, daß die aus dem Aktienweſen
hervorgegangenen Uebelſtände im Rathe der Deutſchen
Fürſten mit Weisheit und Gründlichkeit zur Erwä-
4*
gung kommen, und werden wir darum freudig jede
Anordnung derſelben begrüßen, die auch in dieſer Hin-
ſicht das Wohl des Volkes in Schutz zu nehmen be-
ſtimmt iſt. Vor Allem aber leben wir der Gewißheit,
daß die oft bewährte Sorgfalt der Preußiſchen Re-
gierung diejenigen Beſchlüſſe faſſen wird, welche die
Erreichung des vorgedachten ſchönen Zieles im Auge
haben. Und ſo bethätige ſich jetzt wie immerdar in
unſerm Preußenlande, wo unerſchütterte Liebe und
Treue den erſt jüngſt von Gott ſo wunderbar ge-
ſchirmten König mit ſeinen Völkern verknüpft, daß
dieſe heiligſten Regungen des Herzens einem hellen
Geiſtesleben entſtammen, deſſen Wahlſpruch lautet:
Erſt männlich geprüft, dann muthig vor-
wärts! —