Erste Scene.
Menelaus und Nestor treten auf der einen Seite
aus dem Zelte, Ulysses, Achilles und Dio-
medes kommen vom Hafen her auf die Buͤhne.
Menelaus.
aufs Meer deutend, den Andern entgegen.
Noch immer tiefe Still' in Meer und Luft.
Kein Woͤlkchen schwebt am fernen Horizont
Empor, die suͤße Hoffnung uns zur lang
Ersehnten Abfahrt bringend. Freunde, loͤs't
Nicht bald ein Gott des Meeres Fesseln wieder:
Gebt Acht, die heiße Kampfbegier erloͤscht
In aller Voͤlker Brust.
Ulysses.
Schon wogt ein dumpfes
Gemurmel durch das Lager, nicht sey hold
Der Goͤtter Wille dem Beginnen, das
Uns hier in Aulis Hafen laͤngst vereint.
Die heilge Troja, dieser Ruͤstung Ziel,
Sey ja der Goͤtter Werk. Neptun, der, sie
Mit Mauern selbst umguͤrtend, einst beschirmt,
Der werd' auch jetzt nicht, was er schoͤn gebaut,
Von Feindes Hand zertruͤmmern lassen; er,
So spricht man laut und kuͤhn, will Troja retten,
Noch eh' der Griechen Heer sich eingeschifft. –
Diomedes.
In seinen Abgrund wuͤrd' er, Zorn entbrannt,
Durch Sturm begraben, was sich freventlich
Der heilgen Veste naht. –
Ulysses.
So spricht man, und
Von uns wer will mit besserm Hofnungswort
Bekaͤmpfen den erregten Zweifelssinn?
Ja taͤuschen nur mit klug erdachter List
Der Menge blinden Wahn; da, wie wir alle
Mit Unmuth sehn, kein bloßes Ungefaͤhr
Uns hier so lange ruhmlos, selbst zum Hohn
Der Unsrigen, Gefangnen gleich, am Strand
Des traͤgen Meers gefesselt haͤlt?
Nestor.
Wohl ist's
Das traurigste von allen traurigen
Geschicken, die den Feldherrn treffen moͤgen,
Wenn schon bey einer That Beginn, die das
Vertraun erheischt auf sich und ungeschwaͤchten
Muth,
Durch boͤs' und trauervolle Zeichen, statt
Der Hofnung nahen, gluͤcklichen Erfolgs,
Die Furcht der Menge leicht gewandtes Herz
Erfuͤllt. Vergeblich ruft der Feldherr dann
Zu Ruhm und Pflicht. Das scheue Volk sieht nur
Den Tod, den unvermeidlichen; es ahnet
Der Goͤtter Zorn, des Schicksals unbezwungene
Gewalt; es ist besiegt vom Feinde schon,
Eh' es einmal den blutgen Kampf begonnen.
Achilles.
Nur ungern hoͤr' ich aus so tapfrer Helden Munde,
Die mir, dem juͤngeren, an Jahren weit,
Weit an Erfahrung uͤberlegen sind,
Das bloße Klagewort erschallen. Sagt
Vielmehr, ihr Fuͤrsten, was zu thun das Maͤnner-
herz
Gebeut, es schnell zu thun gebeut bey der
Gefahr, die uns gemeinsam droht? – Wie? Soll
Unthaͤtig, schwachen Weibern gleich, die nur
Mit eitlen Worten eitel kaͤmpfen moͤgen, dem
Geschick ein Heldenheer erliegen? Wenn,
Wie ihr es ahnt, und ich es selber glauben muß,
Uns irgend einer Gottheit rachentflammter Zorn
Verfolgt, soll dann nach soviel Zaudern nichts
Geschehn, den Zorn zu wenden, den verderblichen?
Geschehen nichts, um auszusoͤhnen, was
Durch irgend eine Frevelthat verschuldet ist?
Menelaus.
Sie muß, und sey es mit dem Hoͤchsten, Besten,
Beim Zeus! getilget werden diese Schuld.
Denn traun, bevor von uns nicht abgewaͤlzt
Die Last des Zorns, eh' nicht getilget ist,
Was unrein klebt an unsern Haͤnden, ha!
So lange trozt noch, ungestraft, mit neuem Hohn
Des Priamiden stolzer Uebermuth,
Der Stolz des schaͤndlichsten Verfuͤhrers, der,
Fluch uͤber ihn und tausendfacher Fluch!
Sich in mein Haus nicht nur, o Schande! selbst
Sich in mein Ehbett stahl! mir raubte, die
Ich mir zum Eheweib erkoren, weh!
Und nun in Sicherheit, wie's Raͤubern ziemt,
Von seiner reichen Beute schwelgend zehrt.
Nestor.
Befuͤrchte nichts, vor allen Griechen tief,
Sehr tief gekraͤnkter Held. Sey's, daß auch jetzt
Ein Misgeschick uns von des Strebens Ziel
Entfernt: glaub mir, ich seh's im Geist, so lange
Der Ehre treu genaͤhrtes Feuer in
Der Heldenbrust von Hellas Soͤhnen lodert,
So lange gluͤht auch dir der Rache Funken
noch;
Der Sturm erwacht urploͤtzlich einst, der ihn
Zur hellen Flamme blaͤs't, die Ilium
Verzehrt.
Menelaus.
O, daß in diesem Augenblick
Sie Priam's Stadt verzehrte mit der Natterbrut,
Die er gezeugt! – Ach, Helena, glaubt mir,
Ist die Bethoͤrte nur. Zwar folgte sie
Mit leichtem Sinn der Stimme des Verfuͤhrers
In sein verhaßtes Vaterland, des eignen Hauses
Ruhmvolle Zierden lassend; doch sie waͤre
Mir treu verblieben, haͤtte nicht mit tausend
Verschmitzten Buhlerkuͤnsten ihr so schlau
Der Phrygier das schwache Weiberherz
Umstrickt.
Achilles.
Drum soll er buͤßen, was er schwer
Verschuldet hat; nicht er allein, sein ganz
Geschlecht und Volk; da er nicht dir allein,
In dir zugleich dem ganzen Hellas Schmach
Bereitet. Denn entnommen, hoff' ich, wird
Durch Suͤhn' und Opfer bald von unsern Schul-
tern,
Was jetzt uns hier so schmaͤhlig druͤckt; dann haͤlt
Uns nichts mehr auf. Verderben folgt und Rache,
Wo wir uns nahn, mit schnellem Schritt; und wenn
Es dann der hohen Goͤtter Wille ist,
Kehrt Helena, aus ihrem Wahn erwacht,
In deinen Arm zuruͤck. – Doch nun laßt uns
Zu Agamemnon gehn. Denn ihm gebuͤrts,
Der Feldherrn erstem, maͤchtigstem, zu wissen,
Was Volk und Heer, verzagend, waͤhnen, und
Mit ihm beschließen wir, was heilsam ist
Und gut.
Nestor.
Dort tritt er selbst aus seinem Zelt
Hervor. Sein Goͤttergleiches Haupt umwoͤlkt
Die finstre Sorge; doch, mit Weisheit sinnend,
Waͤlzt er vor seinem Geist der schnellen Rettung
Heilsamstes Mittel schon.
Zweite Scene.
Die Vorigen. Agamemnon aus sei-
nem Zelte heraustretend.
Agamemnon.
Was, wie es scheint,
Ihr mir zu sagen kommt, Gefaͤhrten meines
Ruhms,
Und was mir eurer Augen truͤber Blick
Verkuͤndet, das entging dem meinen nicht. –
Ihr wißt, versammelt hatten sich schon laͤngst,
Auf Menelaus Racheflehn und meinen Ruf,
Die Voͤlker Griechenlands an diesem Strand,
Auf tausend schoͤn gezierten Schiffen harrend
Dem Herrscherwort, das ihnen, hoffnungsvoll,
Befiehlt der Anker schwere Last zu lichten.
Ein guͤnst'ger Hauch des Windes schwellet schon
Gespannter Segel Busen auf; am Kiel
Der Schiffe bricht sich treibend schon mit Macht
Der dunklen Wellen schaumbedecktes Haupt;
Mit ruͤstger Eile stuͤrzen sich die Schaaren
Der Helden in der Schiffe holen Bauch;
Ein frohes Jauchzen fuͤllt das Meer, die Luft,
Und hallt vom hohen Vorgebirge wieder.
Nur noch ein einzger Ruf – und hin faͤhrt sie,
Die Flotte, brausend, durch die gruͤne Flut,
Wie Zeus, des Donnrers, Wagen durch die Wol-
ken,
Im Sturm der Rache Blitze tragend, rollt. –
Ha, Schrecken! Ploͤtzlich faͤllt, erschlafft, der Se-
gel
Gespannter Teppich ein; die Wolken fliehn;
Des Windes Hauch vergeht; die Luft wird still;
Es schweigt der Wogen holer Mund; gemach
Verziehet sich ihr reger Tanz, und vor
Uns spiegelt sich, so weit das Auge reicht,
In klarer, unbewegter Meeresflaͤche
Der Sonne nur zu heitres Angesicht.
Gefesselt liegt schon in des Hafens Bucht
Der Schiffe Schaar von neuem wieder. Wie
An jenem Ungluͤckstag, so auch noch heut,
Bewegungslos das Meer! bewegungslos
Des ewig klaren Aethers blaue Hoͤhe! –
Hoch zum Olympus steigt der Voͤlker Flehn;
Doch ihn erreicht des Flehens Stimme nicht;
Denn unerhoͤrt ist sie geblieben, und
Der Krieger lang gehaltne Hoffnung sinkt. –
Es zuͤrnt ein Gott, ihr Freunde, unserm Volke;
Doch mehr noch, als Gebet, verlangt sein Zorn
Von uns zur Suͤhne.
Nestor.
Eben deshalb, Koͤnig,
Sind wir gekommen, um mit dir zu forschen,
wer
Von den Unsterblichen es sey, den wir
Beleidiget mit arger Frevelthat?
Wer selbst der Frevler sey? Ob hier im Heere,
Ob drinnen in des Vaterlandes Flur?
So wie, durch welches Opfer, welche Weihe,
Durch welch Geluͤbde auszutilgen sey
Die Schuld? –
Agamemnon.
Ich hab's zuvor bedacht. Schon forscht
Der Seher Kalchas nach der Goͤtter Willen
Auf mein Geheiß. Durch ihn wird Phoͤbus uns
Belehren, was wir bang zu wissen streben,
Und was uns schwarz der Zukunft Nacht ver-
birgt. –
Er kommt. – Schon leuchtet uns sein heiliges
Gewand entgegen. Macht euch nun gefaßt,
Der Goͤtter hohen Rath zu hoͤren. Moͤgte
Sein weiser Mund uns nur, was Segen bringt
Und Heil, verkuͤndigen!
Dritte Scene.
Die Vorigen. Kalchas naht sich langsam
und mit Blicken der Verlegenheit.
Agamemnon.
Sey uns gegruͤßt!
Wir harren dein, erhabner Seher, dem,
Was schon geschehen ist, und wie's geschah,
Und was geschehen soll, ein Gott enthuͤllt'
In heiligen Gesichten. Oeffne nun
Den Mund, und sprich ein Wort des Trostes aus.
Kalchas.
O, daß ein Andrer euch verkuͤndigte,
Was ihr zu wissen sinnlos strebt, und euch
Zu wissen doch nicht frommt! –
Menelaus.
Wie? Scheuchst du uns
mit neuer Ungluͤckskunde noch des Trostes
Gepflegte, letzte Hoffnung fort? – Du bist
Bewegt; bang irrt dein Blick umher; gepreßt
Wird deine Brust von einer schweren Last.
Ha, noch verschließt dein heil'ger Mund uns irgend
Ein schreckliches Geheimniß, das die Seel'
Umsonst zu unterdruͤcken ringt.
Kalchas.
seufzend
So ist's!
Agamemnon.
Beginne dann. Wir sind bereit, zu hoͤren;
Wir sind gefaßt. Nicht bloß der frohen Botschaft
Erharren wir; die Ahnung boͤser Schuld
Laͤßt uns vielmehr das Traurige befuͤrchten.
Das Traurigste, das Schreckliche wird ja
Von uns, verschonend, noch die Gottheit wenden.
Kalchas.
Wenn's also waͤr', erhabner Voͤlkerfuͤrst,
Wohl dir, und deinem Hause Wohl! –
Agamemnon.
betroffen
Wie? Ist's
Nicht das? Ist es noch mehr? –
Kalchas.
O jammervoll
Geschick!
Agamemnon.
Ich hab's beschlossen, Griechenland zu retten,
Zu loͤsen ihm die Fessel, womit hier
Gebunden seine Kraft erlahmt. – Wohlan!
Kalchas.
Beschließe nichts! die Reue folgt der That! –
Agamemnon.
Beim hocherhabnen, allgewaltgen Zeus!
Ich strecke meine Hand empor zu seinem
Erhabnen Wolkensitz; ich schwoͤr' es euch –
Kalchas.
ihm in die Arme fallend
Halt, Agamemnon! –
Agamemnon.
Hoͤrt, ich schwoͤr's –
Kalchas.
Halt ein! –
Agamemnon.
Bey Jovis ew'ger Majestaͤt! ich schwoͤr's –
Kalchas.
Verlorner! –
Agamemnon.
daß ich, so viel liegt an mir
Und steht in meiner Kraft, in aller Griechen Statt
Und Namen tragen will, zur Mild'rung des
Erwachten Goͤtterzorns; und daß ich eher nicht
Den Herrscherstab, den ich in koͤniglicher Hand
Bisher mit Ruhm gefuͤhrt, zum Zeichen des
Befehls hinfort ausstrecken will, bis rein
Getilgt ist das Verbrechen, und der Goͤtter
Erzuͤrntes Antlitz hold uns wieder lacht! –
Kalchas.
O Atreus ungluͤcksvoller Sohn!
Ulysses.
Jetzt zoͤgre
Nicht laͤnger, Kalchas, denn des Koͤnigs Zorn
Ist fuͤrchterlich, wenn er einmal erwacht.
Agamemnon.
bestimmt und mit fester Stimme zu Kalchas
Wer ist der Frevler unter uns, und was
Ist seine That?
Kalchas.
Du willst es, Koͤnig; nun
Es sey! – So hoͤre selbst, vernimm es dann
Mit wohlgefaßtem Muth, was selber – Du
Verschuldet hast. –
Die Uebrigen.
außer Agamemnon
Wie? – Agamemnon? –
Agamemnon.
Was?
Ich selbst?
Kalchas.
Kein Andrer.
Agamemnon.
Rasender! ich selbst?
Kalchas.
Wie ich gesagt, – du selbst. –
Agamemnon.
Rein ist mein Herz,
Und unbefleckt von Lastern diese Hand.
Kalchas.
Du irrst. Gieb Acht, daß neue Schuld dir nicht
Die alte haͤufe.
Agamemnon.
nach einer Pause
Nein, so weit ich forsche
Im Bilde des vergangnen Lebens, das
Vor meinem Geiste sich entrollt – ich finde
Der Thaten keine, die so großer Ahndung werth.
Kalchas.
Wie sich der schwache Sterbliche so leicht
Bethoͤrt!
Nestor.
O, groͤßter aller Koͤnige!
Im Leben eines Helden, eines Herrschers
Verschwindet unbemerkt und leicht und oft
Dem Auge, beim Gewuͤhl der Thaten, die
Sich draͤngen – wie im Meere, wo sich Wog'
An Woge bricht – die That, die zwar nur klein
Und unbedeutend ist an sich, doch oft
Verheerend um sich greift und waͤchst in ihrem Lauf
Und Menschenrecht und goͤttliches zerstoͤrt –
Drum forsche weiter nach, bis du sie trifst.
Es lieben Reu' und offenes Gestaͤndniß
Die Himmlischen; doch dem beharrlichen,
Dem uͤbermuͤth'gen Frevler, der sein Herz
Verstockt, ist die Verzeihung fern! –
Agamemnon.
Ich finde nichts! –
Kalchas.
mit feierlicher, orakelmaͤßiger Stimme
Der Goͤtter Aug' sieht alles; Alles hoͤrt
Ihr Ohr. Gefaͤhrdet wird ihr ewig Recht,
Ihr Ruhm durch Menschenstolz und Uebermuth,
Wenn er, der Sterbliche, nicht einmal selbst
Die hohen Goͤtter gegenwaͤrtig waͤhnt! –
Agamemnon.
So hab' ich, unbewußt der Schuld, gefehlt?
Kalchas.
Du hast's. – Erinnerst du dich jenes Tages –
Bald war's nach deiner Ankunft hier in Aulis –
Als du am Rand des Haines, der Dianen,
Latonens keuscher Tochter, heilig ist,
Des scheuen Wildes Spur mit reger Lust
Verfolgtest?
Agamemnon.
Wohl gedenk' ich dieses Tages.
Kalchas.
Des Hifthorns Klang erscholl durch Berg und
Thal;
Der schnellen Hunde laut Gebell erfuͤllte
Den Forst; des ruͤstgen, muntern Jagdgefolges
Erhobnes Siegsgeschrei durchstuͤrmte rauh
Die Flur, den Hain. Das aufgeschreckte Wild
Flieht muthlos vor dir her; und das erhitzte,
Unaufgehaltne Roß reißt dich, geblendet,
Im Taumel der entflammten Leidenschaft,
Weit mit sich – in Dianens heilgen Hain.
Agamemnon.
Wie? – Zu Dianens heilgem Hain? – Dorthin
Hat nur ein boͤser Daͤmon mich getrieben! –
Kalchas.
Auf einmal sieht dein spaͤhend Aug' ein schoͤn
Geflecktes Reh auf gruͤner, kraͤuterreicher Au'.
Nichts fuͤrchtend, schuldlos, wie ein Lamm,
pfluͤckt es
Mit mildem Zahn den balsamreichen Halm.
Du hemmst des Rosses Flug, den Blick dir weidend
An dieses Thieres wundergleichem Bau,
An seines schoͤn gefleckten Felles Glanz.
Doch bald erwacht die Mordbegier in deiner Brust.
Mit lautem Schlag klopft das erregte Blut,
Du hebst den starken Arm, du schwingst den Speer,
Dein Roß springt wiehernd an, es schwirrt
Der Speer, die Hindinn stuͤrzt, und dampfend rinnt
Aus offner Brust das purpurrothe Blut.
Agamemnon.
Weh mir! Ich ahn' es schon: ich ward getaͤuscht!
Getaͤuscht, wie noch kein Sterblicher vor mir!
Ulysses.
Und diese Hindinn? –
Kalchas.
War Dianen heilig!
Agamemnon.
Dianen!
Die Uebrigen.
Weh! O dreifach Weh!
Kalchas.
Noch nicht
Genug. Drauf oͤffnest du, der stolze Sieger – denn
Fuͤrwahr, der Feind, den du erlegt, war wohl
Des Ruhmes werth – mit eitler Prahlerei
Den schnoͤden Mund. „Diana selbst„ riefst
du,
„Wuͤrd' sichrer nicht den Speer geworf-
en haben!„
Agamemnon.
Schweig, Ungluͤcksseher! schweig, ich bitte dich!
Es toͤnt in meinem Ohr von neuem wieder,
Erweckt, wie Donnerschlag, der Laͤst'rung Wort,
Das meinen Lippen damals kuͤhn, wenn gleich
Dem Herzen schuldlos, unbewußt, enteilt.
Kalchas.
Diana hoͤrte wohl, mit tiefem Grimme,
Ob deiner schnoͤden That, die selbst das Heilige
Nicht schonte, deiner Laͤst'rung Wort. Sie flehte
Zum hocherhabnen Zeus, zum ewgen Vater
Der Goͤtter und der Menschen, jedes Frevels Raͤ-
cher,
Nicht ungestraft zu lassen diese Schmach,
Die Schmach, die ihren Ruhm nicht nur befleckt,
Nein, jedes Gottes Ruhm. – Wie Zeus ge-
straft,
Nicht dich allein – das ganze Griechenland, –
Denn was ein Koͤnig frevelt, leiden nach
Des Schicksals ewigem Gesetz die Voͤlker –
Das wißt ihr alle nur zu gut.
Menelaus.
Ach, schon
Zu lange buͤßen wir die That! –
Agamemnon.
Du hast mein Herz gebeugt, erhabner Seher. – Hier
Der Schuldige steh' ich vor euch. Es will's
Das Schicksal so, und blind trift seine Wahl
Ein jedes Haupt in allem Volk. – Nun sag'
Auch mir das Einz'ge noch, was nur den Trost
Gewaͤhren kann in meiner Noth; sag', welch
Ein Opfer fodert sie, die keusche Goͤttinn,
Die ich unwissentlich geschmaͤht? Verlangt
Sie's? Wie? O sprich! Es sollen Hekatomben
An jedem Altar bluten. Alles Volk –
Denn mich den Feldherrn liebt es – soll Gebet
Und Flehn bei ihrem heilgen Namen senden;
Auch hochgepriesen soll er werden durch
Des heilgen Hymnus feierlichen Klang;
Der ganze Antheil, der mir von der Beute
Des Krieges, den wir jetzt beginnen, wird,
Soll ihr geweihet seyn; in Argos soll
Ein Heiligthum sich ihr erheben, und
Auf immer soll, so lange das Geschlecht
Des Atreus noch auf Erden lebt, ihr am
Altar, in ewger Jungfrauschaft, die erst
Geborne dienen mit der Unschuld nicht
Beflecktem Glanz.
Kalchas.
Entlaß mich, Koͤnig, jetzt
In Frieden; denn, was du von mir noch ferner
Begehrst zu wissen – ach! dein sonst so starkes,
Dein Heldenherz ertraͤgt es nicht.
Agamemnon.
Nein! nicht
Von hinnen, bis du Alles mir enthuͤllt!
Ich will ihn ganz, den Kelch der Leiden, leeren.
Zum Ungluͤck ist nun schon einmal ein jeder,
Von Tantalus unseligem Geschlecht
Entsproßner, ausersehn! ich will es dulden,
Sey es das Schrecklichste, was mich bedroht.
Nestor.
Versuch' nicht kuͤhn des Schicksals Grimm!
Agamemnon.
Vollende!
Kalchas.
Ahnst du das Schreckliche noch nicht? – Sagt dir
Dein Schuldbedraͤngtes Herz noch nichts? –
Pause
Vernimm,
Ungluͤcklichster von allen Sterblichen! –
Das Kind, das dir dein Weib zuerst
geboren –
Es ist zum Suͤhnungsopfer auserko-
ren! –
Agamemnon.
starrt, vor Schrecken betaͤubt, zuruͤck
O Erd' und Himmel!
Einige der Uebrigen.
mit gleichem Entsetzen
Iphigenia?
nach einer Pause
Menelaus.
Du luͤgst, Unmenschlicher! du laͤsterst kuͤhn,
Mit frevelhaftem Mund, die Gottheit selbst! –
Achilles.
zu Kalchas
Noch einmal sprich, wenn du es sinnlos wagst,
Der Unschuldvollen suͤßen Namen aus! –
Was? Iphigenia des Todes Opfer? –
Auf ewig dich verderbend trift mein Schwert
Dein eisgrau Luͤgnerhaupt, wenn einmal noch
Die Frevlerzunge den mir heilgen Namen
schmaͤht! –
Kalchas.
Halt ein, verwegner Juͤngling, daß nicht auch
Dein Haupt der Goͤttinn zornentbrannte Rache
treffe,
Die euch durch meinen Mund befiehlt! –
Nestor.
Weh! Weh!
So will die grausam Zuͤrnende das Liebste,
Was Goͤtter Menschen je gewaͤhrten; von
Dem Vater selbst das Kind des Herzens sich
Geweiht zum blutgen Opfer sehn! –
Agamemnon.
Weh mir!
Und weh euch Allen, die ihr graunvoll mich
Umsteht, und mein Geschick mit Freundes Herzen
theilt!
Durch mich, durch mich, durch meine Vaterhand
Faͤllt Iphigenia, des Todes Opfer! –
Kalchas.
An dem Altare blutet selber sie –
Die Goͤttinn ist versoͤhnt; gestillt die Rache;
Das Heer fuͤhrst du vor Ilium; eroberst
Die Stadt nach zehn muͤhvollen Jahren; raͤchst
Den Bruder, raͤchst den Gatten, raͤchst das Vater-
land,
Und kehrst, mit ewgem Ruhm bedeckt und hoch
In aller Voͤlker Mund gepriesen, wieder heim.
Agamemnon.
Hoͤrt ihr's, um diesen jammervollen Preis!
Kalchas.
Ist dir zu schwer das Opfer, mehr noch werth
Dein Kind, denn aller Goͤtter Huld – nun wohl,
So bleibst du heim; das Heer zieht hin gen Troja;
Der Sieg ist – zweifelhaft – und neigt er sich
Doch endlich zu uns her, so traͤgt ein anderer,
An deiner Statt gewaͤhlter Feldherr
Des Ruhmes ewig gruͤnen Lorber heim.
So spricht durch meinen Mund Diana selbst
Zu dir.
Achilles.
fuͤr sich
Es kann nicht seyn! – Nein; ich ertrag
Es nicht! – es darf das Ungeheure nicht
Geschehen! –
Agamemnon.
Iphigenia!
Kalchas.
Wie ihr
Es kuͤhn von mir verlangtet, hab' ich euch
Der Goͤtter hohen Rathschluß nun enthuͤllt. –
zu Agamemnon
Ich fuͤhle mit dir deinen Schmerz; er ist
Gerecht. Wie ich ihn lindern soll, das weiß
Ich nicht. Du bist ein weiser, großer Held;
Du bist noch mehr – auch Mensch. Mir Schwa-
chen ziemt
Es nicht, zu rathen, wo der Gott in dir,
Was Recht vor Goͤttern ist und Menschen, dir
Allein gebieten mag. – Ich gehe; doch
Zuvor das Eine noch. Geschehe, was
Da will; was aber soll geschehn, vertraͤgt
Den Aufschub nicht; jedwede Zoͤg'rung bringt
Dir und dem Vaterlande neue Pein –
er geht
Agamemnon.
Warum, ihr Grausamen, verlangt ihr nicht
Mich selbst? Warum nicht mich, den Frevler?
ach!
Warum das unschuldvolle Kind? –
Kalchas.
indem er sich noch einmal wendet
O mit
Den Goͤttern, den gerechten, den allweisen,
Mit ihnen hadre nicht. – Sie wollens – das
Sey dir genug. Das Reine nur vermag
Zu tilgen die unreine, schnoͤde That! –
er geht ab
Fuͤnfte Scene.
Agamemnon.
nachdem er sich gesammelt
O ihr erhabnen Maͤchte, die ihr des
Olympus Hoͤh'n bewohnt, die Voͤlker, wie
Die Koͤnige, mit einem Zepter gleich
Beherrscht; die ihr, was hoch ist, fallen, und,
Was niedrig ist, sich laßt erheben; die
Ihr gebt dem Maͤchtigen den Uebermuth,
Der ihm mit eigner Hand die Grube graͤbt,
Worin er faͤllt; die ihr dem Weisen gebt,
Was ihn begluͤckt, dem Schwachen Staͤrke zu
Der Tugend Werk, und dem Verlaßnen Huͤlfe,
Dem Flehenden Erhoͤrung; – gebt, o sendet
In meine Brust nur einen schwachen Strahl
Von eurer Weisheit ewgem Licht, damit
Sich mir der dunkle Pfad erhellen moͤge,
Den ich im Labyrinthe des Geschicks
Betreten soll! – Denn ausgebreitet liegt
Vor mir des Ungluͤcks grauenvolle Nacht.
Wohin den Blick ich wende, nur erscheint
Die finstre Wuͤste. Kein ersehntes Licht
Winkt freundlich mir, nach langer Reise, durch
Des Lebens Dornenpfade suͤße Ruh. –
Laut toͤnt der Rache Ruf, die meinem Hause,
Die meinem griechschen Vaterlande wieder
Verlorne Ehre geben soll und Ruhm. –
Hier harrt ein Heer, das ich versammelt selbst,
Das meiner Herrscherstimme sich, auf meinen Ruf,
Vertraut. Dort glaͤnzt des Sieges Lorber mir
Auf Troja's Truͤmmern; dort erwartet mein
Ein großer Ruhm, der mich und mein Geschlecht
Verherrlichen, erheben wird. – Doch hier –
Hier seh' ich – weh! – vom eignen Blut be-
spritzt
Und rauchend den Altar! – von Vaters Hand
Geschlachtet das geliebte Kind! – In mein
Herz dringt der Opferstahl, und ewig wird
Die Wunde bluten, die ich selbst mir schlug! –
Er versinkt in tiefes Nachdenken
Zwar daͤmmert mir ein mattes Hoffnungslicht
Aus des Orakels Spruch entgegen; – leben soll
Die sonst dem Tod Geweihte – leben; –
Soll –
Wenn neue Tuͤcken nicht das Schicksal ihr
Ersinnt, nicht unaufhoͤrlich sie verfolgt –
In Liebe fuͤhren an des Helden Arm,
Dem schon in Mars Gefilden Lorber gruͤnt,
Soll fuͤhren sie ein Leben, wie es einst
Die Goͤtter selbst gelebt, da sie noch auf
Der Erde wandelten. –
mit immermehr steigendem Affect bis ans Ende
Doch ich – der Vater! –
Ich, der einst war ein hochgepries'ner Koͤnig
Vor dem Argiver Volk, zu dem mit Hofnung
Und sicherem Vertraun das ganze Hellas
Erhob den sehnsuchtsvollen Blick, – ich, der
Ihm, in der Noth, zur Rettung Huͤlfe schwur,
Ich soll, dem zweifelhaften, truͤgerischen Gluͤck
Es uͤberlassend, ruhmlos, wie ein feiger
Entflohner Miethling, leben, o der Schande!
In des verrathnen Vaterlandes Schooß! –
Flieh, Agamemnon! fliehe vor dir selbst!
Flieh vor dem Anblick deiner Tochter! Nur
Zum Zeugniß eigner Schmach wirst du ihr Da-
seyn dir
Verewigen; mit eigner Hand wirst du
Auf ihre Stirn der Schande Brandmaal druͤcken;
Auf ewig wird sie seufzen, jammern muͤssen,
Das Agamemnon sie gezeugt, der einst
So hochbegluͤckte – nun verworfne Koͤnig! –
O Schicksal, deine Hand liegt schwer auf mir!
Woher die Kraft, die mich erhaͤlt? Woher
Der Muth, der mir das Schrecklichste zu tragen
Vergoͤnnt? – Wohin ich sehe, nur die Klippe,
Die meines Gluͤckes Schiff zerschellt! wohin
Ich fliehe, nur der offne Schlund, der mich
Und meinen schoͤnen Ruhm so tief begraͤbt! –
Ihr Goͤtter, wollt ihr euer Werk nicht ganz ver-
derben,
So zeigt mir einen Weg aus dieses Irrsals Nacht!
Durch deinen Blitz laß, Donnerer, mich lieber
sterben,
Eh' ich, was schaͤndlich ist, vor mir und euch voll-
bracht! –