Die deutsche
Frauenstimmrechtsbewegung
zwischen
Krieg und Frieden
Von
Maria Lischnewska
1915
Jm Selbstverlage : 0,50 M.
Zu beziehen : Berlin-Wilmersdorf , Kaiser-Allee
E s mag bei manchem Befremden erregen , heute , mitten im
Sturm eines großen , weltgeschichtlichen Geschehens , vom
Frauenstimmrecht hören zu sollen . Und doch , so sicher sich
im ganzen deutschen Volke Kräfte regen , die ein durchaus Neues
aufbauen wollen zum Segen der Nation , so sicher sind in politisch
denkenden Frauen die alten Forderungen lebendiger denn je , und
alles harrt der Stunde , in der das neue Deutschland , größer und
gewaltiger als jemals , seine Frauen aus Jahrhunderte alter Hörig-
keit befreien muß .
Für diesen Tag heißt es : sich vorbereiten und die letzten Eier-
schalen der Vergangenheit von sich werfen . Diesem Zweck soll auch
diese Schrift dienen , indem sie Licht auf die Vergangenheit wirft
und neue Wege weist .
Die Bahnbrecher .
Wer von der Geschichte des Frauenstimmrechts sprechen will ,
muß scharf unterscheiden zwischen der Geschichte der Jdee
und der Geschichte der Bewegung . Die Jdee ist sehr alt ,
sie reicht bis auf Plato zurück , die Geschichte der Bewegung ist jung ,
denn sie beginnt erst da , wo organisierte Frauen die Forde-
rung staatsbürgerlicher Rechte auf ihre Fahne schreiben . So haben
auch wir deutschen Stimmrechtlerinnen große Vorläufer und Träger
der Jdee gehabt : den Königsberger Bürgermeister von Hippel ,
Malwida von Meysenbug , Luise Otto-Peters , Hedwig Dohm ,
August Bebel . Sie waren alle Prediger in der Wüste . Kein
Widerklang antwortete ihnen aus den Massen , denn diese Massen
lagen tot und stumm : als Geschlechtswesen gefesselt und verbraucht .
Selbst die 1865 geschaffene Frauenbewegung wagte nicht , so gefähr-
lichen Rufern Gehör zu geben . Sie war aus der Arbeits- und
Bildungsnot der Frauen des Bürgerstandes erwachsen und glaubte
in einer noch gänzlich unpolitischen Nation sich streng aller rechtlich
grundlegenden Forderungen enthalten zu müssen . Erst drei Jahrzehnte
später , als die große Stagnation der ältern Frauenbewegung ihren
tiefsten Punkt erreicht hatte , als neue Jdeen , größere
Formen der Organisation und vor allem neue
Formen des öffentlichen Handelns bereits in der Luft
lagen , erkühnt sich der Vorstand des Vereins „ Frauenwohl ,
Berlin ‟ , die „ Bürgerpflicht der Frau ‟ in öffentlicher Versamm-
lung zur Debatte zu stellen . Frau Cauer hatte die Versammlung
berufen . Frau Lily Braun , damals noch bürgerliche Frauen-
rechtlerin , hielt den Vortrag . Das war am 2. Dezember 1894 .
Einige Zeitungen nahmen spöttisch Notiz von einer so lächerlichen
Tatsache , andere schwiegen sie völlig tot . Die Frauen aber , die die
große Tat getan hatten , waren nicht gesonnen , den Gedanken in
den kleinen , schüchternen Frauenkonventikeln jener Zeit wieder ein-
schlafen und begraben zu lassen . Sie verbreiteten den gedruckten
Vortrag nach Kräften , und durch ihn fiel mancher denkenden Frau
die Binde von den Augen . Es geschah aber noch mehr : Jn der neu
geschaffenen Zeitung „ Die Frauenbewegung ‟ wurde die Jdee von
nun an energisch vertreten , und in den befreundeten Vereinen
„ Frauenwohl ‟ ist wohl selten in jenen Tagen eine Versammlung
berufen worden , die der grundlegenden Forderung des Frauen-
stimmrechts nicht kräftigen Ausdruck gab . So war der sichere
Boden einer organisierten Gemeinschaft da und damit war die
deutsche Stimmrechtsbewegung geboren .
Bald fanden sich zu den ersten Bahnbrechern andre herzu .
Dr. Raschke , Dr. Augspurg , Lyda Gustava Heymann , Dr. Schir-
macher übernahmen die Vertretung der Jdee in der Presse , in
öffentlichen Versammlungen . Mit Schrecken hören die Vertrete-
rinnen der sozialen Frauenbewegung von diesem „ geschichtslosen
Radikalismus ‟ . Sie fürchten die kümmerlichen Zugeständnisse zu
verlieren , die man ihnen da und dort in Aussicht gestellt hatte . Mit
strengem Tadel werden die Jungen angefahren , die in der Dis-
kussion unerwartet mit dieser Forderung herauskommen . „ Was
haben Sie gemacht ? Sie haben ja vom Frauenstimmrecht
gesprochen !! ‟ Aber die nötige Energie der „ Radikalen ‟ sitzt da-
hinter . Es hilft alles nichts . Dieser Ruf verhallt nicht ungehört ,
das große Erwachen kommt in ganz Deutschland , und die Frauen
mehren sich , die den Gedanken zu Ende denken und wissen , was er
für die Kultur der Nation bedeuten könnte . Von der anderen Seite
aber heißt es , belehrend und einigermaßen mitleidig : „ Meine
Damen , bedenken Sie doch ! Dafür sind die deutschen Frauen
noch nicht reif ! Eine Sache der fernsten Zukunft ! ‟ Nun , über das
Reif sein war sicher bei den Führerinnen der Bewegung keine
Täuschung vorhanden , nur waren sie über das Reif werden
durchaus anderer Ansicht . „ Reif werden ‟ konnten die deutschen
Frauen nur , wenn ihre Augen endlich aus den engen Grenzen des
Hauses und still-bescheidener Wohlfahrtsbestrebungen auf das
Staatsganze , seine Kämpfe , seine großen Zwecke gerichtet
wurden . Nur so konnte der Wille zur Politik in ihnen er er-
wachen. Aus diesem Willen allein kann vertieftes Jnteresse und
Mitarbeit fließen . Die Entwicklungen im Arbeiter- und Bürger-
stande aber zeigten auch , daß weite Kreise der Männer das höchste
politische Recht in ganz unreifem Zustand erhalten hatten und daß
auch von ihnen das Wort Kant's galt : „ Man kann nicht zur Freiheit
reifen , wenn man nicht in Freiheit gesetzt wird . ‟
So ging denn die Arbeit kräftig weiter . Zahlreiche öffentliche
Versammlungen , auch zu politischen Fragen allgemeiner Natur ,
wurden berufen . Eine sehr wesentliche Unterstützung erfuhr die
ganze Bewegung durch die großen Wandlungen , die in der sozialen
Frauenbewegung im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahr-
hunderts vor sich gingen . Die Armut der Ziele war vorüber . Frau
Bieber-Böhm hatte den Mut gehabt , die festen , schweren Hüllen
von der tiefsten Schmach des Weibes fortzuziehen . Mit Entsetzen
starrten die ahnungslosen Frauen in den Abgrund der Prostitution .
Endlich begriffen sie , was Frauenbewegung eigentlich heißt , und
was sie will , nämlich durchaus neue Grundlagen für die vom
Manne , für Männer geschaffene Gesellschaft . So gab's ein Auf-
rütteln der alten , verträumt-idealistischen Bewegung . Die Stimm-
rechtlerinnen gingen auch auf diesem Wege führend voran . Der
Verein „ Frauenwohl , Berlin ‟ berief die ersten ominösen Versamm-
lungen zur Sittlichkeitsfrage und bald folgten andere
Städte , vor allem Hamburg , nach . Es war nicht schwer nachzu-
weisen , daß der fehlende Einfluß der Frau auf die Gesetzgebung ,
die völlige rechtliche Erniedrigung des Weibes , zu so un-
geheuerlichen Mißständen geführt hatte .
Zu dieser Stärkung der Stimmrechtsbewegung kam eine
andere , mindestens ebenso kraftvolle . Frau Cauer und Frau
Jeanette Schwerin hatten das sozialpolitische Jnteresse an der
Arbeiterinnenbewegung geweckt , und auch hier sahen
die Frauen in eine neue Welt : in eine Welt voll Not und harter
Bedrückung . Die deutsche Sozialpolitik aber hatte ihre ersten
großen Linien abgesteckt , und jeder denkende Deutsche wußte , daß
nur auf dem Boden des Gesetzes für die Arbeiterinnen Schutz und
Emporentwicklung zu hoffen sei . Es war oft ergreifend zu sehen ,
wie die bürgerlichen Frauen mit Tränen in den Augen den rein
sachlichen Berichten über Löhne und Arbeitszeit lauschten . Auch
hier , gegenüber dem harten Los ihrer Schwestern , wurde die große
Parole : „ Frauenstimmrecht ! ‟ ausgegeben und verständnisvoll
weitergetragen .
Jn der Bildungsfrage waren die Stimmrechtlerinnen
ebenso energisch tätig . Die klassische Forderung der Gegner und
lauen Freunde : „ Gleichwertig , aber nicht gleichartig ‟ wurde ent-
schieden abgelehnt und die ersten Versammlungen zur „ Gemein-
samen Erziehung der Geschlechter ‟ berufen .
So ging die Frauenstimmrechtsbewegung in die Tiefe . Aber
freilich , die Feindschaft wuchs nun auch an allen Ecken und Enden .
Eine feste organisatorische Zusammenfassung war notwendig . Da-
her wurde im Oktober 1899 in Berlin der „ Verband fort-
schrittlicher Frauenvereine ‟ geschaffen . Er nahm als
erster Frauenverband in Deutschland die Forderung des Frauen-
stimmrechts in sein Programm auf . Da jeder politische Frauen-
verein der Auflösung verfallen mußte , wurde die Forderung
auf Rat eines anwesenden Juristen vorsichtig ausgedrückt : „ Der
Verband will die Frauen zur Wertschätzung politischer Rechte , ins-
besondere des Frauenstimmrechtes , führen . ‟ Der Verband ist
dabei kräftig gediehen , obgleich seine Vereine in den Provinzen
neben den „ gemäßigten ‟ , die nie Anstoß erregten , oft einen
schweren Stand hatten . Aber sie waren der Sauerteig und
sorgten energisch für Ausbreitung des Stimmrechtsgedankens .
Der Bund deutscher Frauenvereine .
Die kräftige Agitationsarbeit , die in der Presse und in öffent-
lichen Versammlungen bisher geschehen war , hatte von Anfang an
ihre Wirkung auf die sozial arbeitenden Frauen nicht verfehlt .
Einzelne hatten die Bedeutung der neuen Jdeen erkannt und
standen den radikalen Frauen freundlich gegenüber . Die organi-
sierte Masse aber zog eine scharfe Grenzlinie und lehnte Vorträge
zum Frauenstimmrecht in ihrem Kreise entschieden ab . Noch in
der Zeit von 1900 bis 1905 konnte man es erleben , daß aus einer
Großstadt mit vielen sozial tüchtig wirkenden Vereinen , wenn man
sich anbot , über die Frauenstimmrechtsfrage zu sprechen , die Ant-
wort erfolgte : „ Wenn Sie bei uns über das Frauenstimmrecht
sprechen , zerstören Sie alles , was wir geschaffen haben . ‟ So groß
war die Angst der Organisationen .
Nun waren alle diese Vereine im Jahre 1894 zu einem natio-
nalen Verband zusammengeschlossen worden , der den Namen
„ Bund deutscher Frauenvereine ‟ erhielt . Dieser Zusammenschluß
war ein gewaltiger Fortschritt , denn einmal bekamen die kleinen ,
schüchternen Frauenkonventikel , die nie den Mut zu öffentlichem
Handeln gehabt hatten , Kraft und Mut , da sie sich in Masse zu-
sammengeschlossen fanden und außerdem kamen sie auf den großen
Tagungen des Bundes mit Frauen zusammen , die , energisch und
kraftvoll vorwärtsstrebend , vor nichts zurückschreckten und den
Dingen , die sie so scheu und oft oberflächlich betrieben hatten , an
die Wurzel gingen . Ohne die Bundestagungen wäre diese Wirkung
von Mensch zu Mensch gar nicht denkbar gewesen . Die Radikalen
nutzten diese Situation aber auch kräftig aus . Sie waren in der
Debatte und in allen geschäftsordnungsmäßigen Künsten wohl be-
wandert , und die Bundestagungen gestalteten sich oft zu einem
energischen Gefecht zwischen : „ Radikal ‟ und „ Gemäßigt ‟ . Das
wurde natürlich von den Anhängern der alten Zeit sehr un-
angenehm empfunden . Sie waren eben in ihrer Ruhe gestört , aber
viele , denen dieser Kampf erst Leben bedeutete , schätzten die Kämpfe
doch richtig ein , nämlich als Anfang einer größeren Epoche der
deutschen Frauenbewegung . Jn das erste Jahrzehnt des Bundes
fielen nun aber auch sehr bedeutungsvolle Tatsachen auf dem Ge-
biete der Organisation . Zunächst beginnt die Organisation
der berufstätigen Frauen in großem Stile , d. h. in der
Zusammenfassung der verschiedenen Gruppen über ganz Deutsch-
land bezw. über die einzelnen Bundesstaaten . Jn diesen Frauen
wird der Wille zu gesetzlicher Mitarbeit lebendig , wenn auch noch
nirgends die Organisation als solche die Forderung politischer
Rechte zum Programm erhebt . Die einzelnen aber bekennen sich
zur Stimmrechtsforderung , und zwar sehr energisch . Zu dieser
immer wachsenden , immer feiner sich ausgestaltenden Organisation
der berufstätigen Frauen , die ein Ehrentitel der deutschen Frauen-
bewegung ist , kommt die Spezialisierung der sozialen Arbeit
hinzu . Das , was heute die Welt an der militärischen Organisation
des deutschen Volkes bewundert , die Fachgliederung , das Fachwissen
und - können , wird in den ersten kampfreichen Jahren auch in der
nationalen Organisation der deutschen Frauen geboren . Für die
Bildungsfrage , den Rechtsschutz , die Sittlichkeitsfrage , die Armen-
und Waisenpflege , Kinder- und Mutterschutz , Obst- und Gartenbau ,
soziale Hilfsarbeit junger Mädchen , Förderung der gewerblichen
Ausbildung , Gefängnisfürsorge , Kampf gegen den Alkoholismus ,
Jugendpflege entstehen besondere Vereine bezw. Ausschüsse .
So geht man in die Tiefe . Weibliche Fachleute entwickeln sich und
von ihnen kann keiner an der erbärmlichen gesetzlichen Lage der
deutschen Frau vorüberschreiten . Dazu kommt die Gruppierung der all-
gemeinen Frauenvereine in Landes- und vor allem Pro-
vinzialvereinen . Diese Unterorganisationen waren es , die ,
in die kleinsten , stillsten Städtchen dringend , die Gedanken der
Frauenbewegung zu den Massen trugen , die noch ganz unberührt
waren . Man fing natürlich mit Armenpflege und Wohlfahrts-
bestrebungen an , aber allmählich konnten auch die Radikalen
kommen und von der politischen Befreiung der Frau reden . Es
darf den preußischen Provinzialvereinen der „ gemäßigten ‟ Frauen
nie vergessen werden , daß sie das solide Fundament für die Jdeen
der Großstadt schufen .
Diese großen Entwicklungen zwangen natürlich auch die
Presse , der ganzen Bewegung die gebührende Beachtung zu
schenken , denn Arbeit und Kampf der Frauen wurden allmählich ein
Faktor von öffentlicher Bedeutung . Und doch war die Macht
des Alten so groß , daß bis zum Jahre 1902 jede Kundgebung des
Bundes , geschweige denn eine Festlegung auf politische Forderungen
unterblieb . Die radikalen Frauen konnten natürlich jederzeit einen
dahingehenden Antrag stellen , mußten aber bei einem so direkten
Vorgehen eine glatte Ablehnung durch die Masse fürchten . Sie
warteten daher ihre Zeit ab . Da gab ihnen 1902 der Danziger
Verein „ Frauenwohl ‟ die lang erhoffte Gelegenheit zu einem
energischen Angriff . Dieser Verein war einst mit dem Berliner
Verein „ Frauenwohl ‟ verbunden gewesen , hatte sich losgelöst und
wollte nun den Radikalen einen Knüttel zwischen die Füße werfen .
Jn voller Oeffentlichkeit erklärte die Vorsitzende , „ die deutschen
Frauen wollen das Frauenstimmrecht gar nicht ; diese Forderung
erheben nur einige Berliner Frauen ‟ . Es wurde sofort beschlossen ,
diesen Hieb nicht schweigend hinzunehmen , besonders da die Aeuße-
rung durch einen großen Teil der Presse gegangen war . Der
Vorstand des Bundes aber konnte nicht das Leiseste tun , denn die
Forderung stand ja nicht auf seinem Programm , und der Bund
durfte nur solche Dinge unternehmen , „ denen alle von Herzen ihre
Zustimmung gaben ‟ . Somit waren es nur die Radikalen , die
handeln konnten . Der Verein „ Frauenwohl , Berlin ‟ reichte
denn auch eine Jnterpellation für die Bundestagung in Wiesbaden
– Oktober 1902 – ein , die zunächst nur eine Beschwerde und An-
klage enthielt und die Diskussion entfesseln sollte. M. Lischnewska
war mit der Begründung der Jnterpellation beauftragt . Dann
setzte eine mehrstündige Debatte ein , die trotz aller Feindseligkeit
gegen das Vorgehen der radikalen Frauen doch eine immer
steigende Zustimmung zu dem Gedanken des Frauenstimmrechts
erkennen ließ . Die Gegner schämten sich offenbar , mit ihren Be-
denken herauszukommen , und fürchteten den Eindruck in der
Oeffentlichkeit . Die Stimmrechtlerinnen aber erkannten , daß ein
Tag erster Ordnung gekommen war und entwarfen eine Reso-
lution , die ähnliche Angriffe für immer unmöglich machen und den
Bund deutscher Frauenvereine programmatisch festlegen sollte . Sie
lautete :
„ Es ist dringend zu wünschen , daß die Bundesvereine
das Verständnis für den Gedanken des Frauenstimm-
rechts nach Kräften fördern , weil alle Bestrebungen des
Bundes erst durch das Frauenstimmrecht eines dauernden
Erfolges sicher sind . ‟
Diese heute harmlos erscheinende Resolution konnten wir
aber nicht unterzeichnen , ohne den Sieg zu gefährden . Frau
Wegener , Breslau , ganz unverdächtig des Radikalismus , als soziale
Arbeiterin geschätzt , war zur Unterzeichnung und Einbringung be-
reit , und – die Resolution ging mit großer Majorität durch .
Damit war der Bund deutscher Frauenvereine auf die Forderung
des Frauenstimmrechts festgelegt , die grundlegend ist und bleibt für
jede ernst zu nehmende Frauenbewegung . Damit war eine Brücke
geschlagen zu den Radikalen hin , die jahrelang als ein Fremdkörper
im Bunde dagestanden hatten . Aus dem Beschluß dieses denk-
würdigen Tages ergab sich aber auch , daß die kleinen sozialen Ver-
eine oder Verbände , die die Jdee der Frauenbewegung noch nicht
zu Ende gedacht hatten und doch um nationalen Verband strebten ,
gezwungen wurden , vor dem Gedanken der politischen Be-
freiung der Frau Halt zu machen und sich mit ihm auseinander-
zusetzen . Sie wissen , daß sie ein Fremdkörper sind in einer nach
vollem Bürgerrecht strebenden Gemeinschaft , solange sie die
Hemmungen in ihren eignen Reihen nicht überwunden haben .
Denen aber , die 8 Jahre lang unter Spott und Hohn gerungen
hatten , brachte dieser Tag von Wiesbaden den stärksten Beweis für
das Wachstum der Jdee in den breiten Massen der bürgerlichen
Frauen .
Vereins- und Versammlungsrechte .
Von dieser Mehrzahl spricht man heute nicht mehr , da wir
endlich zu einem einheitlichen Reichsvereinsgesetz gekommen
sind . Jn der Zeit aber , da die Stimmrechtsbewegung sich durch-
rang , gab es 26 solcher Gesetze , also für jeden Bundesstaat ein be-
sonderes ; so recht ein treues Spiegelbild der alten Bundesherrlich-
keit . Jn der Angst vor dem Staatsbürger und seinen Kollektiv-
äußerungen waren sie sich alle gleich , und nur die polizeiliche Hand-
habung förderte einige Unterschiede zutage . Der Frau gegenüber
waren sie konsequent , sowie das politische Gebiet in Frage kam .
Die Frau hatte mit der Klinke der Gesetzgebung nichts zu tun , somit
war ein politisches Vereins- und Versammlungsrecht für sie gänzlich
überflüssig , ja sogar vom Uebel . Einen Tiefpunkt erreichte das
Braunschweiger Gesetz : „ § 14. Frauenspersonen , Schüler , Lehr-
linge sind in öffentlichen Versammlungen , in welchen öffentliche An-
gelegenheiten verhandelt werden sollen , wenn sie in geschlossenen
Räumen abgehalten werden , nicht zuzulassen . ‟ An vielen
Orten wieder verbot die Polizei kurzerhand Themen , die ihr nicht
paßten . So mußten wir noch 1903 mit einer bedeutungsvollen
Tagung zur Sittlichkeitsfrage aus Hamburg „ ins freie Preußen ‟
auswandern , d. h. nach Altona gehen . Es gehörte für eine politische
Bewegung ein Studium der Schwierigkeiten dazu , um all den be-
sonderen Fallen und Fußangeln zu entgehen .
Und doch muß man , heute zurückblickend , sagen , daß all diese
gesetzlichen und polizeilichen Schikanen die Stimmrechtsbewegung
eher beflügelt als belastet haben , denn erstens war diese gesetzliche
Einschränkung der Frau ein ausgezeichnetes Agitationsmittel , ein
schlagender Beweis dafür , daß sie als völlig minderwertig von
Staates wegen mit „ Schülern , Lehrlingen und Jdioten ‟ auf eine
Stufe gestellt wurde . Dann aber hatte der Stacheldraht in
Preußen , in dem größten , führenden Staate , dem Staate , der die
kraftvollste Entwicklung der Stimmrechtsbewegung sah – eine große ,
klaffende Lücke , durch die wir ganz frisch und munter durch-
marschierten . Die Frauen waren auch hier von jeder politischen
Organisation ausgeschlossen , der Eintritt einer Frau in die poli-
tischen Männervereine hätte diese sofort zur Auflösung geführt ,
aber – die preußischen Frauen durften jederzeit öffentliche ,
politische Versammlungen berufen . Diese grobe Jn-
konsequenz war unser Glück , und sie ist weidlich ausgenutzt worden .
Freilich die Unmöglichkeit jeder politischen Organisation war
ein schweres Hemmnis . Nicht , daß in den Frauen jener Tage das
Verlangen , sich irgendeiner politischen Partei als Mitglied anzu-
schließen , lebendig gewesen wäre . Die Parteiverhältnisse waren
recht unerquicklich , und das Entgegenkommen der bürgerlichen Poli-
tiker versagte bei den einfachsten realpolitischen Fragen der Frauen-
entwicklung . Wohl aber war die Stimmrechtsbewegung selbst nichts
andres als das Streben nach eigenem politischen Leben , und
ein solches war gesichert und kraftvoll doch nur möglich in einer
politischen Organisation . Das Ausland mit seinen schon bestehenden
großen Stimmrechtsvereinen wirkte natürlich mächtig ein . Nun
hatte das Studium der 26 verschiedenen Vereinsgesetze ergeben ,
daß im Hamburger Gesetz vom 19. 5. 1893 die Frau über-
haupt nicht genannt war . Hierauf fußend , gründeten
Dr. Augspurg und Lyda Gustava Heymann am 1. Januar 1902 ,
unterstützt von wenigen radikalen Frauen , den „ Deutschen Verein
für Frauenstimmrecht ‟ , Sitz Hamburg . Den ersten Vorstand
bildeten : Dr. Augspurg , L. G. Heymann ,Frau Cauer ,
A. v. Welczeck , Dr. Charlotte Engell-Reimers , Dr. Schirmacher .
Es kann heute mit Recht bezweifelt werden , ob es praktisch
war , nur radikale Frauen in den Vorstand zu nehmen . Es waren
doch schon Frauen gemäßigter Richtung da , die man hätte heran-
ziehen können . Dann wäre die Grundlage der nunmehr organi-
sierten Bewegung eine breitere geworden . Das unterblieb , selbst-
verständlich um der jungen Organisation erhöhte Stoßkraft zu
geben .
Auf jeden Fall aber war diese Organisation mitten in den
Wirrsalen der alten Vereinsgesetze eine befreiende Tat . Viele
haben sich sofort freudig zu der ersten politischen Organisation der
deutschen Frauen bekannt . Sie konnten das um so leichter , als jede
parteipolitische Stellungnahme in den Satzungen vermieden war .
Denn diese ersten Satzungen setzen als Zweck der Organisation
„ 1. Frauen , welche im Besitz politischer oder anderer Wahlrechte
sind , zu deren Ausübung zu veranlassen ; 2. für die übrigen deutschen
Frauen , die politische Gleichberechtigung auf allen Gebieten zu er-
kämpfen ‟ .
Als im Juni 1904 die Jnternationale Vereini-
gung für Frauenstimmrecht ‟ in Berlin durch die große
amerikanische Vorkämpferin Susan Anthony gegründet wurde ,
schloß sich der deutsche Nationalbund an . Er trat damit in die heute
schon 26 Nationalverbände umfassende , immer wachsende Schar
von Frauen aller Erdteile ein , die fest entschlossen ist , das Zepter
nicht aus der Hand zu legen , bis die Frauen aller Kulturländer das
volle Menschen- und Bürgerrecht errungen haben .
Parteipolitische Einflüsse .
Es ist bereits gesagt , der deutsche Verein für Frauenstimm-
recht war auf streng neutraler Grundlage aufgebaut . Jede Frau
jeder politischen Richtung konnte ihm angehören . Er bezeigte das
vor allem dadurch , daß er in der einzigen politischen Frage , die er
programmmäßig vertrat , jede parteipolitische Festlegung vermied .
Er kämpfte für das Wahlrecht der Frau , aber nicht für eine be-
stimmte Form dieses Wahlrechts . Die Tatsache , daß es sich
bei diesem Kampf seinem innersten Kern nach um eine reine
Frauenrechtsfrage , um einen Kampf des Geschlechts handelt , kam
klar zum Ausdruck . Dieser Standpunkt ist historisch und politisch
durchaus berechtigt , insofern , als die verschiedensten politischen
Parteien nacheinander und gleichzeitig die politische Befreiung der
Frau bekämpft haben . Die Phalanx der männlichen Politiker tritt
also immer wieder geschlossen der Masse der entrechteten Frauen
gegenüber . Die Frauen aber erscheinen diesem Widerstand gegen-
über nivelliert , ohne Partei- oder Klassengegensätze , denn die
reichste Frau hat genau so wenig Staatsbürgerrecht , als die letzte
Arbeiterin . Dieser einfache Tatbestand ist von den englischen
Frauen stets in den Vordergrund gerückt und mit bewunderungs-
würdiger Selbstbeherrschung unter allen politischen Schwierigkeiten
als einziger Leitstern festgehalten worden . Nur so ist es möglich ,
daß bei Stimmrechtsdemonstrationen die Frauen der höchsten
Aristokratie neben den Textilarbeiterinnen in geschlossenem Zuge
durch die Straßen von London gehen .
Die deutsche Stimmrechtsbewegung aber erlitt vielfache
parteipolitische Einflüsse und ging sehr bald dornenvolle Pfade .
Zunächst waren die Führerinnen selbst in ganz überwiegender
Mehrzahl Demokraten von strengster Observanz . Sie sprachen
sich , sowie parteipolitische Fragen und Forderungen in den Stimm-
rechtsversammlungen erörtert wurden , nur in diesem Sinne aus .
Auf dem Gebiete des nationalen Gedankens : in Fragen der Armee
und Flotte , der deutschen Kolonialpolitik , der Polenpolitik , ebenso
in ihrer Stellung zur Wirtschaftspolitik des Reiches und zur Sozial-
politik unterschieden sie sich nicht im geringsten von der Politik der
Sozialdemokratie . Selbstverständlich stand der Frauenrechtskampf
noch im Mittelpunkt der Arbeit , aber viele Frauen , die sonst zur
Stimmrechtsbewegung gekommen wären , fühlten sich durch diesen
parteipolitischen Ton abgestoßen und blieben fern . Und doch war
diese Färbung der Bewegung nur allzu erklärlich .
Die Augen nicht nur dieser Gruppe von führenden Frauen ,
sondern noch mancher anderer , waren auf das Ausland gerichtet .
Dort waren die Universitäten geöffnet , dort war freies Vereins-
recht , dort war die Frau vollberechtigter Bürger der Kommune
oder gar des Staates überhaupt . Die wenigen akademisch ge-
bildeten Frauen hatten in Paris oder in Zürich studiert . Das
Vaterland hatte keine Stätte für solche Geister . Daher die starke
Jnternationalität der führenden Köpfe und die Hinneigung zur
Sozialdemokratie .
Den stärksten Einfluß aber übte auf die Stimmrechtlerinnen
die Tatsache des sozialdemokratischen Parteiprogramms aus . 1874
erschien August Bebel 's bahnbrechendes Buch „ Die Frau ‟ , 1875
stellte er auf dem Gothaer Parteitag den Antrag , „ die völlige
Gleichberechtigung der Geschlechter in das Parteiprogramm aufzu-
nehmen ‟ . Der Antrag wurde abgelehnt . Nach 17jährigem Kampfe
für die Jdee setzte er auf dem Parteitage zu Erfurt 1891 die Auf-
nahme des Frauenstimmrechts in das Parteiprogramm durch .
Seinem ausschlaggebenden Einfluß war es zu danken , daß nun aber
auch die politische Erziehung der Frauen in Frauenbildungs-
vereinen oder besonderen kleineren Sitzungen planmäßig in An-
griff genommen wurde , und endlich die Frauen als Delegierte
auf den Parteitagen erschienen . Das alles war nur einmal in
Deutschland , die bürgerlichen Politiker schliefen noch einen wahren
Bärenschlaf , und stellten sich , als sähen sie nichts von der größten
Revolution , die für Deutschland durch die einfache Tatsache der
Frauenarbeit herauskam . Durch das Vorgehen der Sozial-
demokratie aber lag nun auch bei uns etwas in der Luft von einer
neuen Zeit und ihren neuen Jdealen .
Auf der anderen Seite darf nie vergessen werden , daß die
Frauenbewegung und die Arbeiterbewegung Holz von einem
Stamme sind . Wenn Sombart die Arbeiterbewegung den
„ Schatten des Kapitalismus ‟ nennt , so muß man ganz dasselbe
von der modernen Frauenbewegung sagen . Jn der stillen Ab-
geschlossenheit des agrarischen Deutschland war die Frauenbewegung
unmöglich . Jn dem Jndustrie- und Welthandelsstaat ist sie mit
Notwendigkeit erwachsen . So erklärt sich sehr einfach der wachsende
Einfluß sozialdemokratischer Jdeen auf die Stimmrechtsbewegung .
Der Hauptstoß aber , der zum offiziellen Verlassen der ur-
sprünglichen politischen Neutralität führte , wurde von einer sozial-
demokratischen Führerin , Frau Clara Zetkin , geführt .
Jahrzehntelang hatte sie mit Hohn und Spott auf die bürger-
liche Frauenbewegung geblickt . Jn ihrer Partei , für die Arbeiter-
klasse , war diese „ Eigenbrödelei ‟ ganz überflüssig . Der zielbewußte
Klassengenosse vertrat alle Rechte und Forderungen der Frau . Er
hatte doch kein Brett vor dem Kopf , wie diese „ korrumpierte , ver-
altete Bourgeoisie ‟ . Allmählich aber erwachte trotz dieser schönen
Theorien das Geschlechtsbewußtsein der Arbeiterinnen . Sie sahen
die Welt , wie sie ist , nicht , wie sie programmäßig sein soll , und
forderten eine selbständige Frauentagung zur Erörterung der
Fraueninteressen in Verbindung mit dem Parteitage . Eine solche
fand zum erstenmal 1900 in Mainz statt . Damit war das alte
Prinzip offiziell verlassen , und nun war es doch ganz unvermeid-
lich , daß die Blicke der Arbeiterinnen sich auch auf ihre Kampf-
genossinnen im bürgerlichen Lager richten mußten , um auch
dort Geist von ihrem Geiste zu entdecken . Vor allem mußten sie
dann die überraschende Entdeckung machen , daß da drüben eine
kleine , mutige Schar seit Jahren für die politische Befreiung aller
Frauen kämpfte und bereits den größten Teil der bürgerlichen
Presse dieser Jdee geöffnet hatte . Das durfte nicht sein . Das war
gefährlich vom Standpunkte des Klassenkampfes aus . Die chinesische
Mauer , die ja erst unter dem ehernen Klang der Glocken dieses
Weltkrieges abgetragen worden ist , mußte bleiben .
Somit mußte die Stimmrechtsbewegung in den Augen der
Arbeiterinnen diskreditiert werden . Das wurde kurz gemacht , in-
dem Frau Zetkin auf das neutrale Programm hinwies und er-
klärte : „ Diese Frauen kämpfen gar nicht für die Arbeiterinnen , sie
fordern nur ein Damenwahlrecht . ‟ Diese Behauptung war
eine glatte Unwahrheit , denn in allen öffentlichen Versammlungen ,
die sich mit der politischen Lage der Berufsfrauen beschäftigten , war
gerade die Arbeiterin immer in den Vordergrund gestellt worden .
Jhr sollte in erster Linie die politische Waffe im Kampf ums
Dasein in die Hand gedrückt werden . Ja , bei der demokratischen
Parteistellung der Gründerinnen der Organisation muß es ihnen
unbedingt geglaubt werden , wenn sie erklärten , daß sie „ nie an
etwas anderes als an das allgemeine gleiche Wahlrecht zu allen
politischen Körperschaften für die Frauen gedacht hätten ‟ .
Der Hieb aber saß , und der Vorstand erwog ernstlich , wie
man den immer erneuten Angriffen ein Ende machen könne . Das
war natürlich nur möglich , wenn durch Aenderung der Satzungen
das allgemeine , gleiche Wahlrecht zum Programm-
punkt gemacht wurde .
Dahin aber drängten noch andere machtvolle Einflüsse ,
nämlich die immer wachsende Bewegung für eine Reform des
Dreiklassenwahlrechtes zum Preußischen Abgeordneten-
hause . Bereits 1893 hatten die Freisinnigen einen Antrag auf Be-
seitigung gestellt und waren dabei damals auch vom Zentrum unter-
stützt worden , freilich mehr theoretisch als praktisch . Die Tätigkeit
der Linksliberalen war infolge der zahlenmäßigen Schwäche der
Partei belanglos geblieben . Die Sozialdemokratie aber hatte das
Parlament des größten und führenden Bundesstaates mit Ver-
achtung gestraft . Die knappen Berichte der sozialdemokratischen
Zeitungen über das , was dort verhandelt wurde , sorgten dafür , daß
kein Genosse sich der Bedeutung gerade dieses Parlamentes für
Deutschland bewußt wurde . Das Wort des alten Liebknecht : „ Was
geht uns der preußische Landtag an ? Den lassen wir verfaulen ! ‟
deckte lange diese realpolitische Blöße zu . Aber auch die Sozial-
demokratie wuchs endlich in den Gegenwartsstaat mit allen seinen
realen Bedingungen hinein , die Führer erkannten den schweren
Fehler , und die Teilnahme am preußischen Wahlkampf wurde auf
dem Mainzer Parteitage 1900 beschlossen . Damit begann eine
starke Bewegung für Wahlreform in Preußen , d. h. für Beseitigung
des Dreiklassenwahlrechtes . Die Linksliberalen , die ja lange der
einsame Vorkämpfer gewesen waren , schlossen sich kräftig an , und
der ganze Kampf wurde zu einer politischen Frage erster Ordnung .
Die Debatten fluteten in den Reichstag hinüber und erfüllten die
Zeitungen aller Richtungen .
Die Stimmrechtsbewegung kann in einer solchen Zeit nicht
untätig bleiben . Sie ist ja nichts anderes als der Ausdruck des
politischen Willens der Frauen der Nation . Jrgendwie muß
sie Stellung nehmen , irgendeinen Fortschritt muß sie
zu erringen suchen . Die Erfahrungen im Auslande weisen auch
mit Entschiedenheit diesen Weg . Die finnischen und dänischen
Frauen wurden in einer Zeit großer Wahlrechtsreformen voll-
berechtigte Bürger ihres Vaterlandes , in Ungarn wurde in einer
gleichen Zeit eine kraftvolle bürgerliche Stimmrechtsbewegung ge-
boren . Die deutsche Stimmrechtsbewegung konnte zwei Wege
gehen . Sie konnte sich der auf internationalen Kongressen ver-
einbarten Formel bedienen : „ Wir fordern das Wahlrecht , das die
Männer haben oder haben werden ‟ , und sie konnte sich kurz und
entschieden den Forderungen der Demokratie anschließen . Was
nach der zweiten Richtung drängte , ist bereits entwickelt worden .
Etwas Besonderes kam hinzu . Der Deutsche Verband für Frauen-
stimmrecht nahm auch Männer als Mitglieder auf . Nur ganz
vereinzelt tat ein Mann diesen Schritt , in Berlin aber waren
v. Gerlach und Dr. Breitscheid eingetreten , und beide erlangten
unter den doch politisch noch wenig orientierten Frauen bald einen
großen Einfluß . Beide waren strenge Demokraten , damals noch
linken Flügel des Liberalismus angehörend . Beide erkannten
sofort , daß in der sich immer mehr ausbreitenden Stimmrechts-
bewegung , der zahlreiche intelligente Frauen angehörten , für die
Demokratie eine wichtige Stütze zu gewinnen war und handelten
demgemäß .
So kamen viele Einflüsse zusammen , und alle wirkten doch
nach einer Richtung und führten zu dem entscheidungsvollen Tage
von Frankfurt a. M. – Oktober 1907 – , wo der Deutsche
Verband für Frauenstimmrecht auf seiner General-Versammlung
den Beschluß faßte , die alte neutrale Grundlage der Satzungen zu
verlassen und die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts
in sein Programm aufzunehmen . Die Fassung des später so viel
umstrittenen Paragraphen lautete :
„ Der Verband erstrebt das allgemeine ,
gleiche , direkte und geheime aktive , sowie das
passive Wahlrecht für beide Geschlechter zu den
gesetzgebenden Körperschaften und den Organen
der Selbstverwaltung . ‟
Der Verband kämpft also von nun an nicht nur für das
Frauenstimmrecht , sondern auch für Ausdehnung der politischen
Rechte der Männer im demokratischen Sinne .
Sehr merkwürdig aber mutete es an , daß der neue § 3 den
ersten Absatz des alten unverändert beibehielt : „ Der
Verband steht nicht auf dem Boden einer bestimmten politischen
Partei oder einer bestimmten Richtung der Frauenbewegung . ‟
Daß dieser Vordersatz blieb und damit ein unlöslicher Wider-
spruch in die Satzungen hineinkam , zeigt , daß die Delegierten , die
dieser Neugestaltung zustimmten , ihre entscheidende Bedeutung
noch nicht übersahen .
Tatsächlich war die Entscheidung gefallen . Der Deutsche
Verband für Frauenstimmrecht hatte sich mit der Demokratie identi-
fiziert . Er stand nun schon fest gegründet da , wohlgerüstet zum
Kampfe . Die Organisation war – bereits 1904 in Erwartung des
Reichsvereinsgesetzes – vorzüglich ausgestaltet , in Landes- und
später in Provinzialverbände gegliedert worden . An vielen
Stellen waren hochbegabte , energische Frauen am Werke . Da kam
1907 diese schicksalsvolle Entscheidung .
Man kann heute – nach 21 Jahren – zurückblickend sagen :
Mit dem Jahre 1907 schließt die erste heroische Epoche der
deutschen Stimmrechtsbewegung . Die Jdee war in den breiten
Massen der gemäßigten Frauenbewegung durchgesetzt , die Presse
war erobert , selbst in mittleren und kleinen Städten waren Stimm-
rechtlerinnen zu finden , die Organisation stand achtunggebietend
da . Die Führerinnen , die das geleistet , die Spott und Hohn , Haß
und Widerwillen der Ungewordenen mit männlichem Geiste er-
tragen hatten und mit nie ermüdender Hingebung die Arbeit der
Politisierung der deutschen Frau getan hatten , werden in dem be-
freiten deutschen Frauengeschlecht die dankbare Verehrung finden ,
die sie verdienen .
Nur die Demokratie wird die Frau befreien . – ??
Wir treten nun in die zweite Epoche der deutschen Stimm-
rechtsbewegung ein . Sie ist , wie jeder einigermaßen Orientierte
weiß , von schweren innern Kämpfen erfüllt gewesen . Ehe wir
diese Kämpfe beleuchten , müssen wir uns mit dem Schlagwort aus-
einandersetzen , das nun in zahlreichen Versammlungen der Frauen
und Männer immer wiederkehrte und ein gläubiges Publikum
fand .
Das Wort : „ Nur die Demokratie wird die Frau befreien ! ‟
wurde mit dem Hinweis auf die Parteiprogramme bewiesen . Nur
hier sei die Forderung der Freiheit und Gleichberechtigung aller
Bürger zu finden . Nur hier werde alles , was Menschenantlitz trägt ,
mit gleicher Liebe und Gerechtigkeit umfangen . Nur hier gelte die
Parole : „ Alles durch das Volk , alles für das Volk . ‟ Zum Volke
aber gehörten die Frauen . Darum könne die Demokratie an der
Hörigkeit der Frau nicht vorübergehen . Sie allein habe aber
auch der Frau gegenüber Taten aufzuweisen . Jhr Sieg
allein ist zugleich der Sieg der Frau . – Das heißt doch nichts anderes
als : Das Programm der Demokratie ist mit einer gewissen inneren
Notwendigkeit mit dem Gedanken der politischen Befreiung der
Frau verbunden . Man muß das zugeben .
Prüfen wir aber die Programme der anderen deutschen
Parteien unter diesem Gesichtspunkt . Wenn wir
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den Liberalismus ins Auge fassen , so kann es sich
für uns nicht darum handeln , die Frage des Schutzzolles
oder Freihandels , das alte manchesterliche Prinzip des
laisser faire , laisser passer , zu erörtern , das die Baumwollen-
Barone schuf und den Arbeiterstand ins tiefste Elend stieß , auch nicht
darum , ob dieser oder jener Teil des Liberalismus für oder gegen
Monopole , für oder gegen Kolonialpolitik , für oder gegen Militär-
macht ist . Das sind Erscheinungen , die kommen und gehen . Wert hat
für unsere Prüfung nur der dauernde , unzerstörbare Wesens-
inhalt des Liberalismus . Das ist der Kampf für die Freiheit
des Geistes , für freie deutsche Bildung und
Kultur . Je mehr der moderne Kulturstaat zu vielen äußerlichen
Beschränkungen des Jndividuums gezwungen wird , um so mehr
wird der Liberalismus im politischen Kampfe auf dieses sein
Zentrum aller Realpolitik zum Trotz zurückgedrängt werden . Hier ,
als Hüter des Erbes eines Luther , Lessing , Schiller und Goethe ,
hat er seine großen Aufgaben . Aus diesem Erbteil kann er andere
Parteien speisen , und so kann er die Tiefe und Universalität
deutscher Bildung retten in das neue Deutschland hinein , für nach-
folgende Generationen .
Was will nun die Frau ? Sie will auch für sich die Frei-
heit des Geistes , die Möglichkeit , ihre inneren Kräfte auf
allen nationalen Bildungswegen in Rechten und Pflichten frei zu
entfalten .
Diese Forderung deckt sich durchaus mit dem Grundprinzip
des Liberalismus . Er kann also der Frau jederzeit die Hand reichen
in ihrem Streben nach Staatsbürgerrecht . Er müßte das sogar ,
weil es seinem innersten Wesen entspricht , dem helfend sich zuzu-
neigen , was aus den Tiefen zum Lichte ringt . Somit kann der
Liberalismus sehr wohl die Frau befreien , er würde sich durch eine
solche Politik nur selbst bejahen .
Kommen wir zum Zentrum . Es ist die Partei , die jahr-
zehntelang ihren Schwerpunkt außerhalb der nationalen Grenzen
gehabt hat . Die Herrschaft der Kirche auf allen Gebieten des staat-
lichen Lebens ist ihr letztes Ziel . Blind und unwahr aber wäre
jeder , der nicht anerkennen würde , daß auch diese Partei sich immer
mehr auf den Boden des Vaterlandes gestellt hat , daß sie auf dem
Gebiete der nationalen Verteidigung , der Sozialpolitik , der Wirt-
schaftspolitik , des Steuerwesens , der Handwerkergesetzgebung , ja
selbst der Kolonialpolitik eine sehr bedeutungsvolle Mitarbeit getan
hat . Sehen wir aber von dem allen hier ab und fassen nur die aus
ihrer Weltanschauung fließende Forderung der Herrschaft der
Kirche auf weltlichem Gebiete ins Auge , so liegt hier
der Fall vor , daß die Partei direkt zur politischen Betätigung der
Frau gedrängt wird . Die Frauen füllen die Gotteshäuser , die
Frauen sind zu jedem Opfer für die heilige Kirche bereit . Aus dieser
Erkenntnis heraus hat das Zentrum , das viel weniger von theo-
retischen Bedenken als von praktischen Gesichtspunkten geleitet wird ,
schon längst die Frau als politischen Agitator eingestellt . Marien-
Andachten , Predigten , Beichtstuhl , Hausbesuche , politische Flug-
blätter sorgen in Zeiten der Wahl für Aufklärung der Frau , und
nach Tausenden zählen die Männer , die auf diesem Wege dem
Zentrum sicher gewonnen wurden . Aus Gründen praktischer
Politik kann also das Zentrum nicht gegen das Stimmrecht der
Frau sein . Ja , wenn in dem großen Kampfe der Geister die Wogen
wieder einmal hoch gehen , wird es sicher zu diesem letzten Mittel
greifen und die Zahl seiner Wähler verdoppeln . Wir hören daher
auch , daß das Zentrum bereits in der Stille seine Frauen politisch
schult , und , wenn der Moment gekommen sein wird , sie als öffent-
lichen politischen Faktor einzustellen , werden wir mit Erstaunen an
ihnen die alte klerikale Schule beobachten , die schon heute in der
sozialen Frauenbewegung jeden Tieferblickenden überrascht . An
Tiefe und Geschlossenheit der Weltanschauung sind die katholischen
Frauen vielen andersdenkenden Frauen voraus . Es ist also ganz
unwiderleglich : auch das Zentrum kann die Frau befreien .
Wie steht's mit den Konservativen ? Jmmer und über-
all schleudern sie uns ihr „ Niemals ! ‟ entgegen . Sie sind die ge-
schworenen Feinde der politischen Frau . Also : gar keine Aussicht .
Sehen wir uns ihr Parteiprogramm an . Jch will hier nicht im ge-
bräuchlichen Tone von Wählerversammlungen von „ Reaktionären ‟
sprechen , sondern gern anerkennen , daß es in der konservativen
Partei eine große Anzahl Männer von freier weltmännischer
Bildung gibt , und daß die Partei als Ganzes im preußischen Ab-
geordnetenhause die glänzende Entwicklung eines höheren Bildungs-
wesens in Preußen im Bunde mit der Regierung veranlaßt hat .
Sie hatte die Majorität , sie allein konnte es . Sie drückte auch der
Volksschule in immer steigendem Maße den Charakter der Staats-
schule auf . Das ist sicher kein rückschrittliches Tun . Jhr Haupt-
gedanke aber ist : die Entwicklung einer starken Staatsgewalt .
Diesem Grundsatz würde sie alles opfern . Daher ihre Unterstützung
der Militärforderungen , der Versicherungsgesetze Bismarcks und
die Zustimmung zu den staatssozialistischen Gesetzen in Preußen
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als Ansiedlungsgesetz , Moorschutzgesetz , Wassergesetz , ebenso die
Sorge für die geradezu vorbildliche Finanzlage Preußens , denn :
Geld ist Macht .
Mit scharfem und mißtrauischem Blick aber verfolgen die
Konservativen jede Bewegung , die aus den Tiefen des Volkes auf-
steigt und auch den Anspruch auf Macht erhebt . Sofort fürchten
sie für die Grundlagen des Staates , und mit eiserner Konsequenz
erfolgt der Gegendruck . Erhaltung des Bestehenden ,
Verlangsamung jedes Fortschritts ist ihre
Losung .
Nun sahen sie sich in der politischen Frauenbewegung einer
Schar von Frauen gegenüber , die einfach alles Bestehende auf dem
Gebiete des Frauenlebens als veraltet und beseitigungswürdig be-
zeichnete , und die nichts anderes als eine Revolution der Gesellschaft
forderte . Zugleich aber gingen diese Frauen Arm in Arm mit
ihren schärfsten politischen Gegnern , den Demokraten . Kann man
es ihnen verdenken , wenn sie dieser Bewegung ihr „ Niemals ! ‟ ent-
gegenwarfen , fest überzeugt , daß sie die Erschütterung des Staates
bedeuten und die Zahl ihrer politischen Gegner verdoppeln müsse .
Dieser letzte Schluß aber ist grundfalsch , denn ihm fehlt
jede psychologische und historische Begründung . Wer in bezug auf
die zukünftige politische Stellung der Masse der Frauen ein Urteil
fällen will , muß tiefer graben . Er muß die Tatsache des Geschlechts-
charakters der Frau scharf ins Auge fassen . Eine Frau mit einem
Kinde ist eine leichtverletzliche und schwer bewegliche Organisation .
Sie wird und muß immer den Wechsel fürchten . Mit dem
Bestehenden hat sie sich eingerichtet , das Bestehende gibt ihr Sicher-
heit . Daher waren die Frauen , so weit wir zurückblicken
können , das konservative Element im Staate . Sprache , Sagen ,
Sitten hielten die Frau länger fest als der Mann , alle Sammler
und Forscher wissen davon zu berichten . Wer nun auf 25 Jahre
des Kampfes für eine grundsätzlich neue Gestaltung des Frauen-
lebens zurückblickt , der wird diese historische Erfahrung nur be-
bestätigen stätigen . Die Masse ist konservativ . Dabei ist nicht bloß die
Masse der Durchschnittsindividuen gemeint , nein , geradezu unbe-
greiflich ist es , wie oft bedeutende und denkende Frauen mit dem
völlig gleichen Haß sich gegen jeden Gedanken wenden , der den
überkommenen Zuständen an die Wurzel geht . Nur aus dem Ge-
biete des natürlichen Lebens , aus dem Geschlechtscharakter der
Frau ist eine Erklärung für diese jeden großen Fortschritt
hindernde Erscheinung zu finden . Politische Erfahrungen , die man
kontrollieren könnte , liegen nicht vor . Aus dem Auslande , das
seine Frauen zu Staatsbürgern machte , wird berichtet , daß die
Frauen für sozialpolitische Fortschritte , namentlich in
bezug auf Frauen und Kinder , Namhaftes gewirkt haben . Das
war selbstverständlich nach endlich errungenem Siege . Erst größere
Zeiträume würden ein abschließendes Urteil gestatten . Jn Deutsch-
land kämen für eine Betrachtung dieser Art nur die sozialdemo-
kratischen Frauen in Betracht . Und da muß man sagen : Wo
blieben unter den Revisionisten , die aus der deutschen Sektion der
alten revolutionären Jnternationale eine deutsche Arbeiterpartei
machen wollten , die führenden Frauen ? Frau Zetkin ver-
hielt sich streng konservativ .
Jch kann also nicht glauben , daß der leitende Grundsatz der
konservativen Partei : Erhaltung des Bestehenden , durch
Frauen-Wähler und Frauen-Abgeordnete irgendwie in Gefahr
käme . Jm Gegenteil , er würde in ihnen die durch die Natur prä-
destinierten Stützen finden . Daher kann man sehr wohl sagen :
Auch die konservative Partei kann die Frau befreien . Heute hören
das die Herren von der Rechten mit ungläubigem Kopfschütteln und
souveränem Lächeln . Sie sind aber im psychologischen Studium
der Frau genau solche tastenden Neulinge als alle anderen Parteien .
Was ergibt sich nun aus der vorstehenden Untersuchung
realer Tatsachen : doch nur das eine : Die Verwirklichung der Forde-
rung der Stimmrechtsbewegung ist nicht an eine bestimmte Partei
geknüpft . Sie kann , je nach der politisch-parlamen-
tarischen Situation , durch jede Partei , und zwar mit
Erfolg für sie selbst , geschehen . Wir werden einen sehr denk-
würdigen Beweis für diese Behauptung sofort sehen .
1908 .
Jm Winter 1907/08 legte der Reichskanzler Fürst Bülow das
lang erwartete Reichsvereinsgesetz vor . Es machte der
unerträglichen nationalen Zersplitterung auf diesem Gebiete ein
Ende , trug ein durchaus freiheitliches Gepräge , und brachte den
Frauen die Möglichkeit , politische Vereine zu gründen und in die
politischen Vereine ( Parteien ) der Männer einzutreten . Trotz
dieser großen Fortschritte , die nur der ganz würdigen kann , der
die alte Zeit der polizeilichen Schikanen , „ Segmente ‟ usw . mit-
erlebt hat , brach bei der Beratung des Gesetzes ein wütender Kampf
aus , von dem man mit Recht sagen kann : „ Rechter Hand , linker
Hand , beides vertauscht . ‟ Es war die Zeit des Bülow-Blocks , der
noch ganz ungewordenen Ehe zwischen Konservativen und Libe-
ralen . Um sie zu sprengen , verwarfen Sozialdemokratie und
Zentrum das Gesetz . Der Polenparagraph gab den Vorwand . Die
großpolnische Agitation gegen den preußischen Staat sollte nicht
im geringsten eingeschränkt werden .
Das Folgenschwerste in diesem Gesetz war die Anerkennung
der Frau als politische Persönlichkeit . Sie war endlich
herausgelöst aus der Gemeinschaft von „ Schülern , Lehrlingen und
Jdioten ‟ . Sie konnte sich nun politisch frei betätigen . Es war
der erste Schritt auf dem Wege zum Staats-
bürgerrecht .
Nun sollte man doch erwarten , daß der Deutsche Verband für
Frauenstimmrecht sich mit voller Kraft für Annahme des Gesetzes
eingesetzt hätte , denn hier stand ja ein politisches Lebensinteresse der
deutschen Frauen zur Debatte . Das Umgekehrte war der Fall .
1907 war gewesen . Der Vorstand des Verbandes folgte den Spuren
der Demokratie und lehnte das Gesetz ab . Jm Reichstage aber
hielten Konservativismus und Liberalismus , fest zusammen , nach
erbitterten Schlachten ging das Gesetz durch : Deutschland hatte ein
freies Vereinsrecht , und die deutsche Frau hatte die Möglichkeit , zu
beweisen , was sie politisch wert ist . – So sind der deutschen Frau
die ersten Ketten durch den Bund zwischen der konservativen
und liberalen Partei gelöst worden . Diejenigen , die so oft „ Nie-
mals ! ‟ gesagt hatten , sagten „ Ja ‟ , und die programmatischen
Frauenrechtler , die so oft das „ Seid umschlungen , Millionen ‟ den
Frauen verheißungsvoll zugerufen hatten , – ließen uns im tiefsten
Elend sitzen .
Das ist ein lehrhafter Vorgang für alle Zeiten . Die Jnter-
essen der allgemeinen Politik sind die entscheidenden . Die Frau
muß sehen , wie sie in dem Hin- und Herfluten der Wogen Geschäfte
macht . Auch darum braucht sie alle Parteien .
Am 15. Mai 1908 wurden der deutschen Frau die Tore zum
Eintritt in das politische Leben geöffnet , und Sozialdemokratie und
Liberalismus sorgten dafür , daß innerhalb der Partei dem Gesetz
gemäß gehandelt wurde . Satzungsänderungen , vor allem in den
Lokalvereinen , erfolgten , und politisch interessierte Frauen , die längst
im Wahlkampf tätig gewesen waren , wurden in die Vorstände ge-
wählt . Bei der Sozialdemokratie war das selbstverständlich , im
Linksliberalismus war es als ein erfreuliches Erwachen zu ver-
zeichnen . Die Nationalliberale Partei folgte langsamer , aber die
„Jungliberalen ‟ , ihr linker Flügel , veranstalteten am 15. Mai be-
sondere Versammlungen , um die Frauen festlich zu begrüßen .
Zentrum und Konservative nahmen von dem neuen Gesetz , soweit
es die Frauen betraf , keine Notiz . Sie verweigern noch heute
den Frauen den Eintritt in die Parteivereine .
Das Jahr 1908 brachte noch eine für die Stimmrechts-
bewegung bedeutungsvolle Tatsache . Nach ihrer Trennung von
der Freisinnigen Vereinigung gründeten Dr. Barth , Dr. Breitscheid ,
v. Gerlach am 25. Oktober 1908 die „ Demokratische Ver-
einigung ‟ . Die neue Partei stellte sich in fast allen Programm-
punkten auf den Standpunkt der Sozialdemokratie und hat als
deren Vortrupp besonders im Wahlkampf eine energische Tätigkeit
entfaltet . Sie proklamierte sofort das volle Staatsbürgerrecht für
die Frau , nahm also einen Standpunkt ein , den bis zur Stunde
keine bürgerliche Partei teilt . Diese Tatsache sollte das
Verhängnis der preußischen Stimmrechtsbewegung werden .
Frau Minna Cauer , Vorsitzende des Vereins „ Frauenwohl ,
Berlin ‟ , war zugleich Vorsitzende des „ Preußischen Landesvereins
für Frauenstimmrecht ‟ Die preußische Stimmrechtsbewegung hatte sich mit Ortsgruppen , Aus-
schüssen , Vertrauenspersonen ohne Satzungen durch die alte Zeit durchgeholfen .
Am 17. Februar 1908 wurde der „ Preußische Landesverein für Frauenstimm-
recht ‟ gegründet . , den sie gegründet hatte . Sie war mit dem
Führern der neuen Partei persönlich und durch Gleichheit der poli-
tischen Ueberzeugung verbunden . Für diese Jdeen hatte sie ja seit
Jahren gekämpft . Als nun die neue Gründung der Demokratischen
Vereinigung unter großem Aufwand von Geld und Agitationskraft
erfolgte , ging sie mit ihrem ganzen Anhang – und der war sehr
bedeutend – zur Demokratischen Vereinigung über . Nur ganz
wenige Frauen hielten sich zurück , traten bei der Freisinnigen Volks-
partei ein oder blieben politisch unorganisiert . Die neue Partei
hatte dadurch den großen Vorteil nicht nur der Zahl , sondern auch
den , politisch lebhaft interessierte und politisch vorgeschulte Frauen
zu gewinnen . Da es sich aber um die Masse der Stimmrechtlerinnen
handelte , wuchsen die Berliner , ja die preußische Stimmrechts-
bewegung immer mehr mit der Demokratie zusammen , und zuletzt
war die Berliner Stimmrechtsbewegung nichts anderes als die
Frauenorganisation der Demokratischen Vereinigung .
Jnnere Kämpfe .
Diese parteipolitische Festlegung wäre nun auf die Dauer
möglich und erträglich gewesen , wenn wirklich nur Demokratinnen
in der Stimmrechtsbewegung organisiert gewesen wären . Aber
das war keineswegs der Fall . Jn den verschiedenen , sich jetzt schnell
mehrenden Ortsvereinen für Frauenstimmrecht im Süden und
Norden , im Osten und Westen saßen Frauen sehr ver-
schiedener Parteirichtung , und die überwiegende Masse
war an vielen Orten parteipolitisch unentschieden und zögerte
sehr , sich voreilig festzulegen . Nun brach 1909 – mit dem Rücktritt
des Fürsten Bülow – jene Epoche politischer Erhitzung herein , die
an Schärfe der Parteigegensätze , an flammender Agitation , an Be-
schimpfung des Gegpers wohl ihresgleichen sucht . Der preußische
Wahlrechtskampf nahm immer größere Formen an , und die Frage :
„ Reichstagswahlrecht oder nicht in Preußen ? ‟ wurde zur führenden
politischen Frage . Jn diesen Kampf wurden die Stimmrechtle-
rinnen , vor allem in Preußen , mit unwiderstehlicher Gewalt hin-
eingerissen . Die Stimmrechtsbewegung hatte ja § 3 im Programm ,
sie war auf die Einführung des Reichstagswahlrechts festgelegt ,
alles andere hatte sie zu bekämpfen und abzulehnen .
Nun waren aber doch Massen da , die nur um des Frauen-
stimmrechtsgedankens an sich gekommen waren und wohl die Ab-
sicht hatten , sich zu orientieren und zu schulen , aber nichts Weiteres
mit ihrem Eintritt beabsichtigt hatten . Alte Mitglieder vom Jahre
1902 kannten satzungsgemäß keine parteipolitische Festlegung . Den
Neuen gegenüber aber wurde nicht immer mit der unbedingt not-
wendigen Ehrlichkeit verfahren . Die Führerinnen machten es wie
viele Politiker von Fach . Jn Berlin kommen sie mit ihren letzten
Zielen heraus , die Volksversammlungen der Großstadt vertragen
schon einen Puff . Die Provinzen aber sind viel empfindlicher ,
darum steckt man wohlweislich einen Teil des Parteiprogramms in
die Tasche , wenn man in die Provinzen fährt . So sprachen die
Stimmrechtlerinnen in großen Agitations- und Gründungsversamm-
lungen von der Jdee des Frauenstimmrechts , zündeten ,
rissen hin und steckten den § 3 in die Tasche . Die Eintritte
erfolgten zahlreich , das Geschäft ging glänzend . Aber das bittere
Ende kam nach . Sowie die Eingetretenen nun die Satzungen näher
ansahen oder sich politisch näher orientierten , begann der Protest
gegen die parteipolitische Forderung , und heftige , ja oft verzweifelte
Kämpfe nahmen ihren Anfang . Selbstverständlich waren auch
Frauen an der Spitze der Ortsvereine , die den Standpunkt der
Satzungen teilten . Jhnen kamen die Führerinnen nun zu Hilfe und
erklärten – vor allem Frau Cauer – jeden Widerspruch gegen das
Grundrecht des deutschen Volkes für ein Verbrechen an der Nation .
Unter solchem Beistand schlug man die Opposition nieder , und die
Führerin kam erschöpft nach Berlin zurück und sagte : „ Jch habe die
Ortsgruppe beruhigt . Sie sind wieder fest . ‟ Nur leider dauerte
die Freude nicht lange , in vier Wochen brannte die Ortsgruppe
wieder lichterloh . Welche Zähigkeit die Frauen in solchen Rechts-
kämpfen beweisen , ist kaum zu glauben . Jn einer nordischen Hafen-
stadt tobte der Kampf jahrelang . Jede Partei verfaßte eine Denk-
schrift , Flugblätter , und Nächte lang dauerten die Auseinander-
setzungen . Um 2 Uhr in der Nacht gab die ermattete 1. Vorsitzende
die Leitung an ihre Stellvertreterin , und – der Kampf ging weiter .
Die Ehemänner spielten in dem allen auch eine Rolle . Sie waren
doch nicht alle im Linksliberalismus organisiert . Rechts- und Links-
liberale bekämpften sich am Orte , und nun wurde die Frau plötzlich
und ahnungslos zum Gegner ihres Mannes . Am härtesten erging
es den nationalliberalen Frauen . Sie hatten sich innerlich längst
entschieden oder waren tatsächlich politisch organisiert . Nun sollten
sie sich Montag in ihrer Parteiorganisation gegen das Reichstags-
wahlrecht für Preußen erklären , und Dienstag wurden sie im
Frauenstimmrechtsverein durch eine Resolution für diese Wahl-
reform festgelegt . Die große Gewissenhaftigkeit des politischen Neu-
lings kam hinzu und bereitete den Frauen innere Qualen .
Da nun in Rheinland und Westfalen , wie auch in Schlesien ,
die Kämpfe und der Widerspruch besonders scharf waren , kam es
hier zu Neugründungen , vollzogen von Frauen , die ihren
Ueberzeugungen gemäß die Politik des preußischen Landesvereins
nicht mitmachen konnten und doch entschlossen waren , für das
Frauenstimmrecht zu kämpfen . So entstand 1908 der
Frauenstimmrechtsverband für Ostdeutschland , 1909 der Frauen-
stimmrechtsverband für Westdeutschland , dem der „ Norddeutsche ‟
und der „ Mitteldeutsche Verband für Frauenstimmrecht ‟ ( 1914 )
folgten . Diese Verbände sind heute in der „ Deutschen Vereini-
gung für Frauenstimmrecht ‟ zusammengeschlossen . Jhre
Satzungen sind streng neutral , sie umfassen Frauen sehr ver-
schiedener Parteirichtung und haben sich sowohl agitatorisch als auch
praktisch – bei Unterstützung der Krankenkassenwahlen und der
Wahlen der Frauen zur Angestelltenversicherung – in immer
steigendem Maße betätigt . Jhre Tendenzen sind streng national .
Sie stellen „ die Erziehung der Frauen zu tüchtigen Staatsbürgern ‟
in den Vordergrund .
Die Beziehungen der „ Deutschen Vereinigung ‟ zu dem so viel
älteren „ Deutschen Verband ‟ und vornehmlich zum „ Preußischen
Landesverein ‟ waren oft sehr gespannte . Frau Cauer führte in
ihrer Zeitung „ Die Frauenbewegung ‟ eine scharfe Polemik gegen
seine Tendenzen , und die unwahre Beschuldigung vom „ Damen-
wahlrecht ‟ wurde der neuen Organisation gegenüber wieder aus-
gegraben . Man kann aber der „ Deutschen Vereinigung ‟ nicht die
Anerkennung versagen , daß sie , trotz dieser Angriffe , eine Ver-
ständigung durch einen nationalen Zusammenschluß irgendwelcher
Art seit Jahren angestrebt hat .
Nun hatten die Kämpfe im „ Preußischen Landesverein ‟ durch
diese Neugründung eine Verschärfung erfahren insofern , als es
schon mehrere Städte gab , die mit zwei Stimmrechts-
vereinen verschiedener Tendenz beglückt waren . Einzelne Ver-
eine traten aus dem Preußischen Landesverein aus und gingen
zur Vereinigung über , der kräftig wirkende sächsische Provin-
zialverein lehnte entschieden die Aufnahme des § 3 in seine
Satzungen ab , und andere Organisationen waren durch die fort-
dauernden Kämpfe so erschüttert , daß sie sich auflösten bezw. nur
noch auf dem Papier standen .
Bei der Bedeutung , die der Preußische Landesverein stets für
die nationale Organisation haben wird , war es selbstverständlich ,
daß der Deutsche Verband durch diese Kämpfe schwer er-
schüttert wurde , und der Vorstand ( Dr. Augspurg ) beschloß , doch
irgendein Milderungsmittel zu versuchen . Der Programm-
forderung sollte der parteipolitische Charakter genommen werden ,
indem man das allgemeine gleiche Wahlrecht in allen Jnstanzen
nicht mehr für „ Männer und Frauen ‟ , sondern nur noch
für Frauen erstrebte . Ein dahingehender Antrag lag der
Generalversammlung in Hamburg 1911 vor . Die Parteien platzten
scharf aufeinander , jeder Tieferblickende erkannte , daß Milderungs-
mittel nur Oel ins Feuer gossen und daß nur eine grundsätz-
liche Neuordnung den parteipolitisch geschiedenen Mitgliedern
gegenüber helfen konnte . Die Milderung wurde angenommen , die
Verpflichtung , für ein demokratisches Männerwahl recht zu
kämpfen , wurde gestrichen , nachdem sie nur vier Jahre bestanden
hatte . Die Forderung eines demokratischen Frauenwahlrechtes in
allen Jnstanzen blieb , – und der Kampf ging weiter .
Nun hatte bereits vor dieser Generalversammlung Frau
Nägeli , Hessischer Landesverein , aus Erbarmen über den ewigen
Hader in Preußen sich in den Kampf gemischt und Rückkehr zu
strenger Neutralität gefordert . Sie war es auch , die der immer
wachsenden Opposition den Namen „ Reformpartei ‟ gab . Anderer-
seits waren ebenfalls schon vor dieser Generalversammlung
einzelne preußische Stimmrechtlerinnen zu der Ueberzeugung ge-
kommen , daß man den vergiftenden Hader und die fortschreitende
Zerreißung dadurch mildern könne , daß die Frauen aller Partei-
richtungen in einem großen , ganz Deutschland umfassenden neu-
tralen Bunde zusammengefaßt würden . Sie hofften , daß ge-
meinsame Tagungen der beiden nun vorhandenen Ver-
bände allmählich ein Gemeinsamkeitsbewußtsein aller
deutschen Stimmrechtlerinnen schaffen würden . Darum brachten
M. Lischnewska , Dr. Schirmacher , Schieker , Drenkhahn 1911 in
Hamburg folgenden Antrag ein :
Kompromiß-Antrag
zu den Abänderungs-Anträgen zu § 3 .
Die Generalversammlung lehnt alle
Abänderungsanträge zu § 3 ab . Sie wählt
eine Kommission von fünf Personen , die innerhalb dreier
Monate auf folgender Grundlage Vorschläge für einen
Bund deutscher Frauenstimmrechts-Ver-
bände zu machen hat : Aufnahmefähig sind alle Ver-
bände , deren Hauptzweck die Erlangung des Frauen-
stimmrechts ist . Die Form dieser Forderung
bleibt jedem Verbande überlassen . Der
Bund vertritt Deutschland im Weltbund für Frauen-
stimmrecht .
Der Antrag war als Dringlichkeitsantrag gestellt , da voraus-
zusehen war , daß nicht die geringste Beruhigung der Kämpfe ein-
treten werde . Er fand Zustimmung und scharfen Widerspruch .
Endlich wurde er als Material dem Vorstande übergeben , damit er
ihn in der nächsten Beiratssitzung zur Beratung stelle . Bedeutungs-
voll war , daß Vorstandsmitglieder der „ Deutschen Vereinigung ‟
bei dieser Beratung anwesend waren und ihre Bereitwilligkeit zu
einem organisatorischen Zusammengehen aussprachen .
Auf dieser Tagung – Oktober 1911 – legten Dr. Augspurg
und Lyda Gustava Heymann ihr Amt im Vorstand nieder , trotzdem
sie nahezu einstimmig wiedergewählt worden waren . Jhr Aus-
scheiden hatte nicht den geringsten Zusammenhang mit den Kämpfen
um § 3 . Es handelte sich um persönliche Verwirrungen . Der Ein-
fluß beider Gründerinnen auf den Verband blieb natürlich bestehen .
Frau Marie Stritt wurde zur 1. Vorsitzenden gewählt .
Jn der Sache selbst , um die man stritt , war nichts verändert .
Die „ Milderung ‟ , daß man nun nicht mehr für die Männer ,
sondern nur noch für die Frauen das allgemeine gleiche Wahlrecht
erkämpfen wollte , wurde in Preußen gar nicht beachtet . Kampf
und Zerstörung gingen weiter . Zwei außerordentliche General-
versammlungen ( Berlin ) , eine Beiratssitzung ( Weimar ) änderten
und besserten nichts . Nach Weimar – Oktober 1912 – gaben zwei
überzeugte Demokratinnen , Frau Cauer und Frau Breitscheid , den
Kampf als hoffnungslos auf . Beide waren immer bereite Arbeits-
kräfte gewesen . Ergreifend war die Versammlung in Berlin im
November 1912 , in der Frau Cauer Abschied von dem Preußischen
Landesverein für Frauenstimmrecht nahm . Sie hatte ihn geschaffen ,
zur Blüte gebracht und den Kampf um seinen streng demokratischen
Charakter geführt . Sie schilderte ihre Arbeit , ihre Leiden und
sagte : „ Es ist mir ein Jdeal zerstört worden . Auf dem Boden des
§ 3 ist eine Organisation nicht zu schaffen . ‟
Der Tieferblickende mußte sich sagen : Hier geschieht nur , was
Bahnbrechern so oft geschah , wenn sie alt wurden . Die neue Zeit
ist da , die deutschen Frauen sind Politiker geworden . Daß sie es
sind , ist zu einem wesentlichen Teile das Verdlenst dieser Frau . Nun
versteht sie die neue Zeit nicht , weil sie ein anderes Angesicht trägt ,
als sie einst erhoffte .
Man hatte in Weimar 1912 beschlossen , „ Burgfrieden ‟ zu
halten bis zur ordentlichen Generalversammlung Oktober 1913 .
Vorher aber – 1912 – waren zwei Flugblätter erschienen , die
noch einmal den weniger Orientierten die Größe der zu erwarten-
den Entscheidung vor Augen stellten . Wir bringen darum beide .
Nr. 1 spricht die Ansichten der Reformpartei aus . Nr. 2 wurde
vom Vorstande des Deutschen Verbandes – Vorsitzende Frau
Stritt – versandt , da der neue Vorstand in seiner überwiegenden
Majorität den alten Standpunkt vertrat .
I .
15. April 1912
Thesen der Reformpartei
( Gedacht als Grundlage von Erörterungen in den Ortsgruppen . )
1. Wenn die Bevölkerung für eine schwer sich durchsetzende
Sache gewonnen werden soll ( und eine solche ist das Frauenstimm-
recht ) , so ist eine möglichst umfassende und auf breitester Basis
ruhende Organisation vonnöten . Jede Zersplitterung von Kraft
und Geld muß vermieden , alle Hilfsmittel müssen zur Erreichung
des gemeinsamen Zieles vereinigt werden .
2. Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht ist im Jahre
1902 auf solcher Basis gegründet worden . Es heißt noch jetzt in
seinen Statuten : „ Der Verband steht nicht auf dem Boden einer
bestimmten politischen Partei oder einer bestimmten Richtung der
Frauenbewegung ‟ . Dies ist der Grundsatz der absoluten Neutrali-
tät , weil er jeder Frau , gleichviel wie ihre politische Ueberzeugung
ist , die Zugehörigkeit zum Deutschen Verbande ermöglicht .
3. Jm Jahre 1907 wurde diesem Neutralitätsgrundsatz die
Forderung einer bestimmten Wahlrechtsform beigefügt , die den
heiß umstrittenen Hauptprogrammpunkt der linksliberalen Partei-
gruppen bildet . Die Frauen der weiter rechtsstehenden politischen
Parteien , der konservativen und nationalliberalen , können deshalb
dem Deutschen Verbande nicht mehr beitreten , die Frauen des
Zentrums sind schon vielfach wegen der mangelnden Neutralität
des Deutschen Verbandes ausgetreten und die Sozialdemokratinnen
gehen prinzipiell nicht mit den bürgerlichen Frauen . Wir können
uns also nur noch aus den Reihen der Fortschrittlichen Volkspartei
und der kleinen Demokraten-Vereinigung rekrutieren . Die Basis
hat sich demnach unendlich verkleinert , und wir sind dadurch partei-
politisch geworden .
4. Da viele Frauen diese parteipolitische Haltung mißbilligen
oder sie nicht teilen , so müßte eine zweite deutsche Stimmrecht-
Organisation entstehen , welche nun auf dem von uns verlassenen
Standpunkt der Neutralität steht , in den zwei Jahren ihres Be-
stehens zahlreiche Ortsgruppen gründen konnte und zirka 200 Mit-
glieder zählt . An verschiedenen Orten sind nun zweierlei Vereine ,
die sich natürlich Konkurrenz machen und sich aufzufressen drohen .
Diese Konkurrenz schadet der Sache in den Augen des Publikums
und lähmt und zersplittert die Arbeitskraft ! Gerade in den Landes-
teilen , in denen man am entschiedensten versucht hat , sich mit unserm
§ 3 , wie er ist , durchzusetzen , seine Neutralität vom rein frauen-
rechtlerischen Standpunkt aus zu verteidigen , sieht man ein , daß
es so nicht geht und daß der andauernde Prinzipienstreit die
Frauenstimmrechts-Sache herabzieht . Ueberall , wo beide Organi-
sationen Boden gewinnen wollen – und sie müssen es beide an
jedem Orte , wenn sie ihre Existenzberechtigung beweisen wollen – ,
würde man bestimmt zu gleicher Ansicht kommen .
5. Der Deutsche Verband steht vor der Frage , ob er durch das
Ausscheiden der an der satzungsgemäßen Neutralität festhaltenden
Elemente , die sehr zahlreich sind und sich ständig mehren , ganz in
das parteipolitische Fahrwasser kommen , oder durch Aenderung
oder Fallenlassen dieses später eingefügten Paragraphen an dem
ursprünglich reinen Prinzip der Neutralität festhalten will . Es
heißt jetzt : Unzweideutige Neutralität oder offene , klare Partei-
politik ! Wahrheit und Klarheit ! Spitzfindige Auslegungen sind
unserer Organisation unwürdig .
6. Die Gegnerschaft gegen § 3 , Absatz 2 bedeutet ebensowenig
ein Gutheißen des Klassenwahlrechtes wie eine Gegnerschaft gegen
das allgemeine und gleiche Wahlrecht ! Geschlechtswahlrecht und
Klassenwahlrecht sind zwei völlig verschiedene Dinge , die in keinem
Zusammenhang stehen , denn man kann das eine ohne das andere
haben . Geschlechtswahlrecht ist noch viel schlimmer als Klassen-
wahlrecht , weil es das eine Geschlecht völlig entrechtet , es zu einem
geistig niedriger stehenden stempelt . Als Geschlechtswesen müssen
sich deshalb die Frauen zusammenschließen , um gemeinsam , ohne
Unterschied , gegen den völligen Ausschluß ihres Geschlechts zu oppo-
nieren . Sind die Frauen erst einmal voll anerkannte Staats-
bürger , dann wird es ihre Pflicht sein , auf allen Gebieten ihren
Einfluß im Sinne von Gerechtigkeit , von Versöhnung und Ueber-
brückung bestehender Gegensätze geltend zu machen . Solange wir
als Frauen keine politischen Rechte haben , hat die Stellungnahme
unserer Organisation zur Wahlrechtsform absolut keinen praktischen
Wert . Wir schädigen unsere eigne Sache , ohne der Gerechtigkeit
nützen zu können .
7. Da wir diejenigen Frauen , die durch berufliche oder soziale
Tätigkeit zur Forderung des Frauenstimmrechts gelangen , die sich
aber noch keine politische Meinung gebildet haben und sich also
auch nicht für eine bestimmte Wahlform entscheiden können , in
unsere Vereine nicht aufnehmen , so berauben wir uns der Möglich-
keit , sie für die Forderung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts
zu gewinnen und treiben sie durch diese falsche Taktik in eine Organi-
sation , in der sie hauptsächlich mit teils konservativen , teils ebenfalls
noch politisch unerfahrenen Genossinnen zusammen sind , und leicht
zu Anhängerinnen eines beschränkten Wahlrechts werden . Aus
Prinzipienreiterei berauben wir uns also der Möglichkeit , praktisch
für das allgemeine und gleiche Wahlrecht zu wirken !
8. Aus all diesen Gründen erscheint es notwendig , daß die
älteste und bis jetzt größte deutsche Stimmrechts-Organisation , der
Deutsche Verband , der bis jetzt die geschultesten und bahnbrechenden
Vertreterinnen der Stimmrechtssache zu sich zählt , wieder eine
Form annimmt , die ihn befähigt , eine umfassende , kraftvolle , in
fortschrittlichem Sinne alle Neulinge leitende Organisation zu sein ,
die das um seine Gleichberechtigung ringende deutsche Frauen-
geschlecht vereinigt . Es muß so bald als möglich , ehe es zu spät ist ,
eine Form gefunden werden , die dem Deutschen Verbande die
Stellung eines umfassenden Verbandes sichert , und zu diesem
Zweck muß der Absatz 2 des § 3 wegfallen . Das Schicksal der
deutschen Stimmrechtssache hängt von den Beschlüssen in dieser
Sache ab !
9. Bei der Annahme des § 3 , Absatz 2 im Jahre 1907 war den
Frauen die Teilnahme an politischen Vereinen noch verboten . Das
neue Vereinsgesetz gibt ihnen aber jetzt die Möglichkeit , partei-
politisch zu arbeiten ( also auch für das allgemeine gleiche Wahlrecht
zu wirken ) , zeitigt aber auch , wie bereits die Erfahrung zeigt , die
Gefahr , daß um der Parteipolitik willen manche Frauen ihre
Frauenforderungen zurückstellen und dem Einfluß der Männer-
organisation erliegen . Es erscheint deshalb sehr nötig , daß in einer
zusammenfassenden Frauenorganisation die Parteipolitikerinnen
gestärkt und darauf hingewiesen werden , daß das A und O unserer
Forderungen immer die Gleichberechtigung der Geschlechter sein
muß und daß die indirekte Teilnahme an der Politik und die indi-
rekte Unterstützung parteipolitischer Forderungen erst in zweiter
Linie kommen .
Hessischer Landesverein für Frauenstimmrecht .
E. Nägeli .
Mecklenburgischer Landesverein für Frauenstimmrecht.
Cl. Schleker .
Sächsischer Provinzialverein für Frauenstimmrecht.
Fr. Baltzer .
II .
Thesen des Vorstandes .
1. Wenn die Bevölkerung für das Frauenstimmrecht ge-
wonnen werden soll , so ist es vor allen Dingen nötig , die Frauen
selbst dafür zu gewinnen . Dabei muß sich eine Frauenstimmrechts-
Organisation an die Frauen aller Klassen wenden . Vornehmlich
hat sie aber ihr Augenmerk auf die Schichten zu lenken , die das
Stimmrecht am dringendsten gebrauchen . Wer tagtäglich die un-
günstigen Wirkungen einer Gesetzgebung empfindet , wird am
stärksten den Wunsch haben , diese Wirkungen durch Beeinflussung
der Gesetzgebung zu beseitigen . Das sind vor allem die berufs-
tätigen Frauen und die Ehefrauen der Schichten , die im täglichen
Kampf um das Brot durch jede ungerechte Steuergesetzgebung , jede
Verteuerung von Lebensmitteln und Produktionsmitteln stark be-
lastet werden .
2. Wenn sich der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht auf
diese Frauen stützt , die zugleich die Masse der Frauen ausmachen ,
so muß er sich fragen , ob ihnen mit einer einfachen Uebertragung
des jeweils bestehenden Männerwahlrechts gedient ist . Er muß
die verschiedenen Wahlsysteme auf ihre Anwendbarkeit für die
Frauen prüfen , denn er kann die Masse der Frauen nicht dauernd
für ein theoretisches Recht begeistern , wenn er ihnen nicht gleich-
zeitig beweist , daß die praktische Benutzung dieses Rechts ihnen Vor-
teile bringen kann .
3. Aus dieser Ueberzeugung heraus verlangt der Deutsche
Verband für Frauenstimmrecht in seiner Satzung , die für seine
Landesvereine und Ortsgruppen verbindlich ist , das allgemeine ,
gleiche , direkte , geheime Wahlrecht . Bei jedem beschränkten , d. h.
nach Steuerleistung oder Bildung bemessenen Wahlrecht werden
gerade die berufstätigen Frauen und die Ehefrauen der mittleren
Schichten stark benachteiligt ; sie werden aber auch noch benachteiligt
gegenüber den Männern , da die Frauenlöhne ganz allgemein
niedriger sind als die Männerlöhne der gleichen Berufsschicht .
4. Mit dieser Forderung verläßt der Deutsche Verband für
Frauenstimmrecht nicht den von ihm vertretenen Neutralitäts-
standpunkt , er verletzt nicht einen der satzungsmäßig festgelegten
Grundsätze der Organisation , denn er stellt sich mit dieser Forderung
durchaus nicht „ auf den Boden einer bestimmten politischen Partei ‟ .
Man steht nicht auf dem Boden einer politischen Partei , wenn man
eine Forderung vertritt , die eine oder mehrere Parteien neben
anderen auch im Programm haben ; auf dem Boden einer Partei
stehen , heißt , sich mit dem Programm der betreffenden Partei
identisch erklären . Das tut weder der Deutsche Verband noch
irgendeine seiner Organisationen , und sie werden es nie tun . Die
Frauen aller Parteischattierungen können sich daher in ihm organi-
sieren , wenn sie soviel Gerechtigkeitssinn besitzen , daß sie allen
Frauen das Recht zugestehen , das sie für sich selbst fordern . Selbst
wenn aber einige konservative und nationalliberale Frauen sich
nicht zu einer solchen Auffassung durchringen könnten , so bliebe die
Basis des Deutschen Verbandes noch immer eine sehr große . Er
braucht sich nicht nur an die fortschrittlichen und demokratischen
Frauen zu wenden , sondern er kann und muß sich aus der Masse
der nicht parteipolitisch organisierten Frauen rekrutieren .
5. Wenn in den Thesen des Hessischen und Mecklenburgischen
Landesvereins und des Sächsischen Provinzialvereins gesagt wird ,
daß die Gegnerschaft gegen § 3 , Absatz 2 , der das allgemeine gleiche
Wahlrecht fordert , nicht ein Gutheißen des Klassenwahlrechts und
keine Gegnerschaft gegen das allgemeine gleiche Wahlrecht bedeute ,
so muß dem gegenübergehalten werden , daß jede Propaganda für
die Uebertragung eines bestehenden Wahlrechts auf die Frauen die
Bewegung für eine Reform des betreffenden Wahlrechts in der
Richtung des allgemeinen gleichen Wahlrechts lähmt . Behauptet
man aber , daß wir durch unsere präzis gefaßte Forderung politisch
nicht aufgeklärte Frauen zurückstoßen , sie dadurch vielleicht in
andere Organisationen treiben und uns so der Möglichkeit be-
rauben , sie für die Forderung des allgemeinen gleichen Wahlrechts
zu gewinnen , so ist eine solche Dialektik mindestens sehr anfechtbar .
6. Der fundamentale Unterschied zwischen den beiden
Strömungen innerhalb des Deutschen Verbandes ist , daß die eine
das rein frauenrechtlerische Moment in den Vordergrund schiebt
und als Ziel die Gleichberechtigung der Geschlechter um jeden Preis
verlangt , auch wenn diese Gleichberechtigung mit dem Manne nur
einer verschwindenden Minorität von Frauen einen Nutzen bringt ,
die andere , auf den bisherigen Grundsätzen des Verbandes fußende ,
dagegen für ein Recht kämpft , das für die Frauen wirklich einen
praktischen Wert hat , das ihnen einen tatsächlichen direkten Einfluß
auf die Gesetzgebung gewährleistet .
7. Wenn wir dieses Ziel nicht gleich erreichen , und wenn uns
statt des allgemeinen gleichen Wahlrechtes ein beschränktes gegeben
wird , so werden wir selbstredend das beschränkte Wahlrecht ausüben
und in der Richtung des gleichen Wahlrechts weiterarbeiten . Aber
3
wir wollen von vornherein das Ziel weit stecken , und wir wollen
unsern Kampf nicht dadurch schädigen , daß wir unsern Gegnern
Grund zu dem Einwand geben , wir hätten keine Ursache , Gerechtig-
keit zu verlangen , da wir selbst nicht Gerechtigkeit geben wollten .
8. Eine weitere Zersplitterung innerhalb des Deutschen Ver-
bandes wäre gewiß bedauerlich ; aber sie wird nicht unterbunden
durch ein Fallenlassen der Forderung des gleichen Wahlrechts . Nur
andere Gruppen würden absplittern , und der Kampf gegeneinander
würde nur noch schärfer werden .
9. Die Möglichkeit des Zusammenarbeitens der verschiedenen
Richtungen wird durch einen Bund der Stimmrechtsverbände ge-
geben , in dem alle bestehenden und sich in Zukunft absondernden
Richtungen vertreten sein können , ohne daß eine von ihnen ein
Prinzip aufzugeben braucht .
Der Vorstand
des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht .
So kam die General-Versammlung in Eisenach 1913 heran .
Von der Reformpartei waren Anträge aus Satzungsänderung ein-
gegangen , die strenge Neutralität für den Verband
forderten und doch den Landesverbänden das Recht gaben , bei ge-
setzlichen Vorlagen zu Wahlrechtsreformen die Frage der Form
des Wahlrechtes selbständig zu entscheiden . Der leitende Ge-
danke war : alles zusammenzuhalten und aus dem
Deutschen Verband einen „ Bund deutscher
Stimmrechtsvereine ‟ zu machen . Außerdem lagen
Anträge vor vom Hauptvorstande , die nur eine Umschreibung
des alten Paragraphen darstellten , und ein Antrag des Preußischen
Landesvereins , der ebenfalls eine „ Milderung ‟ vorschlug , indem
er sehr künstlich zwischen „ Grundsatz ‟ und „ Endziel ‟ unter-
schied . Auf beides sollten sich aber die Mitglieder verpflichten .
Endlich lag ein Antrag mehrerer Ortsgruppen vor , die alte Fassung
beizubehalten . Die Kämpfe waren schwer und ermüdend . Die beste
Kraft wurde aus beiden Seiten eingesetzt . Furchtbare persönliche
Verwirrungen fuhren dazwischen . Endlich fiel die Entscheidung .
Alle Abänderungsanträge wurden abgelehnt ,
weil keiner die satzungsmäßige Dreiviertel-
mehrheit erhielt . Zählte man aber die Stimmen der
Reformpartei und die Stimmen des Preußischen Landesvereins
zusammen , die ja beide gegen die alte Fassung gerichtet waren , so
ergab sich , daß für die alte Fassung eine Majorität im Verbande
nicht mehr vorhanden war . Der dahingehende Antrag kam daher
nicht mehr zur Abstimmung . Auch Frau Stritt hatte zuletzt für
völligen Fortfall von § 3 gestimmt und wurde doch zur 1. Vor-
sitzenden wiedergewählt .
Jrgendeine Mehrheit für einen bestimmten Kompromiß-
Aenderungsantrag war nicht zu erlangen , – folglich blieb § 3 un-
verändert bestehen .
Die Stimmung , in der die Delegierten auseinandergingen , ist
schwer zu schildern . Viele , die durch diese Hölle geschritten waren ,
wollten an jeder Zukunft verzweifeln , andere erklärten : „ Es war
ein Jena . Tiefer können wir nicht sinken . Jetzt muß Klärung und
Aufstieg kommen . ‟ Nur wenige erkannten , daß der Verband so
nie wieder zusammenkommen würde .
Die Letzteren haben recht behalten . Unter der Führung von
Dr. Augspurg und Heymann traten mehrere Hundert streng demo-
kratischer Mitglieder aus und gründeten ( 1913 ) den „ Deutschen
Bund für Frauenstimmrecht ‟ . Alte , im Kampf be-
währte Vereine gingen zu der neuen Organisation über , Landes-
vereine spalteten sich in zwei Teile : der eine ging zu dem neuen
„ Bund ‟ , der andere blieb im Verbande . Die Zerreißung und Ver-
wüstung war traurig , und doch – für viele Einzelmenschen und
für manche Orte bedeutete die Spaltung eine Erlösung .
So verging der Winter 1913/14 . Da die Austritte sich
mehrten , ergriff die Reformpartei im Frühjahr 1914 die
Jnitiative . Sie hatte seit 1911 für nationale Einigung gearbeitet
und beschloß nun , die Gründung eines Bundes deutscher Stimm-
rechtsvereine anzubahnen . Sie berief nach Vorberatungen mit den
Führerinnen der Verbände eine Einigungskonferenz in Düsseldorf
am 4. Oktober 1914 . Die Einladung lautete :
Berlin , April 1914 .
Bureau Kalischer
Wilmersdorf
Duisburger Straße 9 .
Sehr geehrte Frau !
Seit Jahren wird die deutsche Stimmrechtsbewegung von
parteipolitischen Kämpfen erschüttert , die einen immer heftigeren
Charakter annehmen , zu Austritten aus den bestehenden Ver-
bänden und zur Gründung neuer Organisationen führen .
Nach der Eisenacher Tagung ( Oktober 1913 ) , zu der wir
wieder vergeblich mehrere Vermittlungsanträge gestellt hatten , sind
wir fest überzeugt , daß diese ganze Entwicklung eine historische
3*
Notwendigkeit ist , die fortschreiten wird mit der parteipolitischen
Organisation und Stellungnahme der Frau .
Blickt man aber von einer höheren Warte auf diejenigen , die
sich mit der größten Erbitterung bekämpfen , um zum Schluß jedes
Gefühl der Solidarität , jedes Bewußtsein von der umfassenden
Größe des Stimmrechtsgedankens zu verlieren , so muß man in
diesen selbstmörderischen Kämpfen ein Zeichen alter deutscher
Nationalschwäche und zugleich eine schwere Gefahr für unsre große
Sache erblicken ! Noch sind wir hinter fast allen Kulturländern im
Punkte „ politische Rechte ‟ zurück , noch kehrt uns die Masse der
deutschen Frauen verständnislos den Rücken . Noch geht die Masse
der Männer aller Schichten in alten , engen Traditionen hin .
Da brauchen wir Solidarität , Geschlossenheit , festes Zu-
sammenstehen im Kampfe . Keine der Organisationen , die heute
bestehen , kann uns diese notwendige Einheit geben .
Darum müssen wir sie schaffen durch den Zusammenschluß
aller Richtungen in einem Bunde deutscher Stimmrechtsvereine .
Hier soll jeder als Mitkämpfer freudig und herzlich willkommen
sein , mag er von diesem oder jenem parteipolitischen Grundsatz aus
den Kampf für die Befreiung der Frau führen . Nur eins soll
bindend sein für alle , und das ist die Forderung und Durchsetzung
des Frauenstimmrechts im Reiche , Bundesstaat und Gemeinde .
Wo und wie sich die einzelnen Vereine außerdem organi-
sieren , – ob nach bestimmten Parteiprinzipien , oder in geo-
graphischen Verbänden – , ist durchaus ihre Sache . Der Bund
greift nicht ein in diese Dinge , er will nicht zerstören , er will
sammeln und stärken .
Zur Erörterung dieses Planes , der der deutschen Stimm-
rechtsbewegung eine neue und große Zukunft sichert , laden wir Sie ,
sehr geehrte Frau , ein .
Eingehende Verhandlungen mit führenden Persönlichkeiten
aus allen Organisationen haben uns überzeugt , daß viele , die der
Stimmrechtssache seit Jahren dienen , mit uns den Wunsch nach
Einigung und gemeinsamer Arbeit haben .
Die Tagesordnung der Konferenz wird folgende sein : 1. Er-
öffnungsansprache . Frau Emma Nägeli . 2. Referat über das
Thema : Warum brauchen wir die nationale Geschlossenheit der
deutschen Stimmrechtsbewegung , und was könnte ein Bund der
deutschen Stimmrechtsvereine leisten ? Maria Lischnewska.
3. Beratung über einen Satzungsentwurf . ( Er geht im Mai den
Teilnehmern der Konferenz zu. ) 4. Wahl eines „ Einigungs-
Ausschusses ‟ , der die weitere Arbeit in die Hand nimmt und die
Gründungsversammlung des Bundes beruft .
Die Konferenz wird den Charakter einer streng vertraulichen
Besprechung haben und wird von etwa 40 Frauen besucht sein .
Wir hoffen , daß es den deutschen Stimmrechtlerinnen gelingt ,
die Einigung zu vollziehen , ehe sie die Ehre und Freude haben , den
„ Jnternationalen Kongreß für Frauenstimmrecht ‟ Ein solcher war für 1915 in Berlin geplant , und der „ Deutsche Ver-
band ‟ hatte sich trotz seiner traurigen Lage entschlossen , ihn zu empfangen . zu empfangen .
Wir erbitten Jhre Antwort , sehr geehrte Frau , damit wir
wissen , ob wir auf Jhre Teilnahme rechnen können .
Cäcilie Aulhorn , Lichterfelde . Bernhardine Behrens , Hamburg .
Minna Bahnson , Bremen. Dr. med. Bornstein , Leipzig . B. Buchthal ,
Dortmund. Mg. Binder , Eisenach . Anna Crüwell , Annaberg i. Erzgeb .
Eleonore Drenkhahn , Altona . Fanny Goetz , Leipzig . A. Grünstein ,
Eisenach . Luise Gerson , Aschersleben. M. Heidenreich , Chemnitz.
Dr. phil. Maria Kado , Lichterfelde. Kath. Elfr . Kollmann , Leipzig .
Martha Kloß , Leipzig . Bertha Kalischer , Berlin-Wilmersdorf .
Wilhelmine Lohmann , Bielefeld . Maria Lischnewska , Berlin-
Wilmersdorf . Luise Mayberg , Bochum . B. Mosbacher , Bochum.
El. Mühr , Eisenach . Emma Nägeli , Mainz . Therese Paulssen ,
Eisenach . E. Rüter , Bielefeld . Reinecke , Eisenach . Clara Schleker ,
Marlow . Franziska Schmidtmann , Aschersleben . Anna Schulz -
Blensdorf , Dortmund . Käthe Schirmacher , Marlow . Marie
Souchay , Cannstadt . Jsabella Sommer , Eisenach . Philippine
Wolff-Arndt , Leipzig. E. Wolf , Eisenach .
Führende Frauen aus allen drei Verbänden , d. h. aus dem
Deutschen Verband für Frauenstimmrecht , der Deutschen Vereini-
gung für Frauenstimmrecht und dem Deutschen Frauenstimmrechts-
bund , hatten ihre Teilnahme zugesagt , – da kam der Welt-
krieg . Er schlug alle parteipolitischen Türen zu ,
auch die des Frauenstimmrechts .
Mit Aufbietung aller Kräfte gingen die Stimmrechtlerinnen
zur sozialen Kriegshilfe über . Sie haben auf diesem Gebiete ,
wo immer sie zur Arbeit antraten , ihrem Volke wesentliche Dienste
geleistet , denn sie verfügten ja über eine nicht geringe Zahl im
öffentlichen Leben geschulter Frauen . Vom „ Frauenstimmrecht ‟
war es also nach außen hin stille geworden . Der Arbeits-Ausschuß
der Reformpartei aber , der ja zur Veranstaltung einer Einigungs-
konferenz eingesetzt worden war , war fest entschlossen , den ge-
waltigen Aufschwung des nationalen Bewußtseins für Erreichung
seines großen Zieles zu benutzen . Er begann mit neuen Verhand-
lungen bereits Weihnachten 1914 , und nach großen Schwierigkeiten
( viele fürchteten ein Wiedererwachen des Haders ) konnte er am
25. Mai 1915 tatsächlich die erste Einigungs-
konferenz nach Berlin berufen .
Führende Mitglieder aller drei Verbände waren – natürlich
nicht als Delegierte , sondern als Privatpersonen – anwesend und
saßen zum erstenmal an gemeinsamem Tische zu fachlicher Arbeit .
Die Verständigung gelang über Erwarten gut . Man entschied sich
für einen nationalen Zusammenschluß in der Form eines
Kartells . Die Satzungen für ein solches wurden beraten und
folgende Resolutionen angenommen :
1. Resolution .
Die Konferenz sieht in den Kämpfen , die die
deutsche Stimmrechtsbewegung gespalten haben , eine
notwendige Folge des Eintritts der Frau in die partei-
politische Arbeit , die durch das Vereinsgesetz von 1908
gegeben war . Die parteipolitische Mitarbeit der Frau
kann zum starken Hebel für die Stimmrechtsbewegung
werden . Sie wird es aber nur dann , wenn eine Zu-
sammenfassung aller Verbände vorhanden ist , welche
die nationale Geschlossenheit der ganzen Bewegung er-
möglicht . Die Konferenz fordert die Gründung eines
Kartells deutscher Stimmrechtsvereinigungen , und ihre
Teilnehmer verpflichten sich , für dieses Ziel energisch
zu wirken .
2. Resolution .
Die Konferenz empfiehlt nach eingehender Er-
örterung die ihr vorgelegten Kartellsatzungen als
brauchbare Grundlage für die Vorberatungen der
einzelnen Verbände . Sie betont aber ausdrücklich , daß
das Kartell deutscher Stimmrechtsvereinigungen nur
dann Wirkungskraft entfalten kann , wenn eine
dauernde gemeinsame Arbeit und gemeinsame Tagungen
stattfinden .
Ein kurzer Protokollbericht ist bald darauf von den Vor-
ständen der drei Verbände allen angeschlossenen Ortsgruppen zu-
gesandt worden . Wie immer auch die Zukunft sich gestalten möge ,
der Gedanke einer neutralen Organisation , die alle umschließt ,
die doch letzten Endes zum gleichen Ziele streben , hat durch die
Konferenz eine starke Förderung erhalten . Man hatte sich aufs
glücklichste verständigt , und das wird auch weiterhin geschehen ,
wenn die Leitung sich über die Parteien zu erheben
vermag .
Jnzwischen ist vom Vorstand der „ Deutschen Vereinigung ‟ ,
also der streng neutralen Organisation , eine gemeinsame Aktion
„ im Jnteresse des kommunalen Wahlrechts ‟ angeregt worden . Am
13. Juni fanden die ersten Beratungen statt , die aber – soweit
bisher zur öffentlichen Kenntnis gelangt ist – nur zwischen
der „ Deutschen Vereinigung ‟ und dem „ Deutschen Verband ‟ statt-
finden . Jrgendwelche Ausscheidung irgendeines Verbandes
würden wir im Jnteresse des nationalen Gedankens aufs tiefste
bedauern . Mit Fehmgerichten gegen Andersdenkende kann die
neue Zeit nicht geschaffen werden .
So stehen die Dinge heute , Anfang September 1915 . Die
General-Versammlungen , die zu dem Einigungsgedanken Stellung
nehmen sollen , stehen bevor . Der Winter 1915/16 wird über die
Zukunft der deutschen Stimmrechtsbewegung entscheiden .
Aufgaben der Zukunft .
Wie immer sich die Zukunft der Stimmrechtsbewegung ge-
stalten mag , ganz neue Aufgaben treten nach dem Friedensschluß
an sie heran . Diese Aufgaben aber müssen schon jetzt vorbereitet
werden , bei uns genau so , wie in anderen politischen Organi-
sationen , die entschlossen sind , in dem größeren Deutschland ihre
Kulturaufgaben zu erfüllen .
Die heroische Epoche der deutschen Stimmrechts-
bewegung schloß mit dem Jahre 1907 . Einer solchen Epoche pflegt
eine ganz anders geartete zu folgen . Die Jdee hat sich in den
Köpfen durchgesetzt , nun folgt die stille , gründliche Klein-
arbeit . Diese Epoche ist für unsere Bewegung ausgeblieben , da
heftige Kämpfe an ihre Stelle traten . Was aber eine solche Epoche
planvoll geleitet , bedeuten könnte , erkennen wir , sobald wir
einen Blick auf die soziale Frauenbewegung werfen . Als
allgemeine Jdeen nach den verschiedensten Richtungen geklärt
waren , begann die Vertiefung , die Teilung der Arbeit auf allen
Gebieten , die Ausbildung von Fachleuten , von Spezialisten . Dieser
großartigen und gesunden Entwickelung der im „ Bunde deutscher
Frauenvereine ‟ zusammengeschlossenen sozial arbeitenden Frauen
haben wir zum guten Teil die offizielle Anerkennung der deutschen
Frauenbewegung zu verdanken . Auf diesen sozial arbeitenden
Fachleuten standen wir , vollkommen sicher , als der Krieg ausbrach .
Sie mußten mit genialem Griff zusammengefaßt werden – und
für Leitung und Ausführung standen in Hunderten von Städten
Fachleute für die verschiedensten Gebiete zur Verfügung . Ob
das Gebiet , das Kriegshilfe forderte : Arbeitsnachweis , Säuglings-
pflege , Mutterschutz , alkoholfreie Soldaten-Wirtschaften , Zentrali-
sierung der Speisung des Arbeiter- und Mittelstandes , Wohnungs-
fürsorge , Kinderhorte , soziale Krankenpflege , Armenpflege ,
Jugendpflege , Schaffung von Kriegswerkstätten hieß , – über-
all waren weibliche Fachleute da , die zufaßten und zahlreiche
Hilfskräfte anleiteten . Diese Entwicklung ist aber auch in Deutsch-
land unbedingt geboten . Der Weltkrieg wird in Ost und West und
auf dem Meere mit einer bewunderungswürdigen fachlichen Durch-
bildung des einzelnen Mannes , mit einer technischen Speziali-
sierung gewonnen , die niemand uns nachmachen kann .
Jn dieser Beziehung steht es mit der Stimmrechtsbewegung
schlecht . Jch verkenne natürlich nicht , daß da und dort Ansätze zu
politischer Fachbildung gemacht worden sind . Aber ein Plan
lag nicht vor , eine allgemeine und zwingende Aufgabe
wurde in dieser Arbeit nicht gesehen . An diesem Punkte also
müssen wir einsetzen , wenn uns die große Stunde des politischen
Wahlrechts nicht unvorbereitet treffen soll , wie einst den Arbeiter-
stand . Diese Arbeit müssen wir tun , um die politischen Verhält-
nisse , die wir beeinflussen müssen , auch wirklich als politische
Fachleute zu verstehen . Das ist eine Hauptaufgabe der Stimm-
rechtsvereine nach dem Kriege , sie kann aber auch überall sofort
in Angriff genommen werden . Die Frage ist nur : Wie ?
Nun kann man ja den Vortragszyklen und Einzelvorträgen
das Wort reden . Auf diesem Wege ist auch die Arbeit in ver-
schiedenen Vereinen versucht worden . Leider hat man sich dabei
auf die innere Politik , vor allem auf die Sozialpolitik , beschränkt . Die
letztere lag den Frauen aus ihrer sozialen und kommunalen Arbeit
her ganz besonders . Die äußere Politik kam gar nicht
in Betracht . Gewöhnlich fand man sich mit ihr durch Vor-
träge im Sinne der Friedensgesellschaften und mit entsprechenden
Resolutionen ab . Von einer der Führerinnen der sozialen
Frauenbewegung fiel sogar das Wort : „ Die Frauen sollen sich um
die innere Politik kümmern , die äußere sollen sie den Männern
überlassen . ‟ Diese Auffassungen dürften durch die harten Er-
fahrungen des Kriegsjahrs einen gründlichen Wandel erfahren
haben . Auch die Frauen haben jetzt nach außen blicken ge-
lernt , sie erkennen Gesinnung und Machtmittel der Feinde , zugleich
auch die tausend Fäden , die jeden Kulturstaat mit den anderen
verbinden , und sie wissen nun auch , daß Deutschland sich durch-
ringt zur Vorherrschaft in Europa , ja zur ersten Kulturmacht der
Welt . Hier müßten die Stimmrechtsvereine anknüpfen und für
gründliche Orientierung in der Auslandpolitik sorgen . Jch meine
dabei nicht , daß Männer diese Vorträge halten müssen . Schon
die Geldfrage macht das unmöglich . Die Stimmrechtlerinnen
können und sollen sich selbst helfen . Die politische Literatur über
Ausland-Fragen hat in dieser Zeit eine große Bereicherung er-
fahren , die glänzendsten Köpfe und bedeutendsten Gelehrten haben
historisch-politische und wirtschaftspolitische Studien von bleibendem
Wert veröffentlicht . All dieses Material ist zu Preisen zu haben ,
die es jedem zugängig machen . Eine denkende Frau kann sich also
ohne große Schwierigkeiten sicher orientieren . Die Aufgabe der
Vorstände wäre nur , die Arbeit so zu verteilen , daß sich für jedes
Gebiet , d. h. mindestens für jede Großmacht , möglichst 2 bis 3 gut
geschulte Vertreterinnen heranbilden . Das läßt sich in einigen
Jahren wohl erreichen . Die Früchte aber treten sofort zutage ,
denn man hat nun Referentinnen für politische Diskussionsabende .
Daß der Vorstand für das nötige Kartenmaterial sorgt , ist un-
erläßlich . Wer aber fürchtet , daß auf diesem Wege nur ein
schülerhafter Dilettantismus herauskommt , irrt sehr . Auch in die
deutsche Familie sind endlich die politischen Diskussionen ein-
gezogen , Mann , Frau , Kinder , alles liest die Zeitungen mit
brennendem Jnteresse . Die Stimmrechtlerinnen lesen verschiedene
Tageszeitungen , eine politische Bibliothek des Vereins könnte die
Arbeit unterstützen , und so wird sich bald ein reifes und begründetes
Urteil heranbilden .
Jch habe das Studium der Auslandpolitik an die Spitze
gestellt , weil es auf diesem Gebiete gar zu jämmerlich aussieht .
Selbstverständlich bin ich der Ansicht , daß auch auf dem Boden der
inneren Politik noch Unendliches zu tun ist . Was wissen die
Stimmrechtlerinnen von Schulpolitik , Agrarpolitik , Steuerpolitik ,
dem Staatseisenbahnwesen , Polenpolitik , Bergwesen , Stand des
inneren und äußeren Marktes , Handelsverträgen , Kolonialpolitik ,
Geschichte unserer Flotte ? Kaum einige Brocken sind ihnen zu-
geflogen . Nur sehr wenige lesen während der parlamentarischen
Tagungen die Reichstags- und Landtagsverhandlungen täglich
und gründlich . Die Leitartikel ihrer politischen Zeitung inter-
essieren sie weniger , als etwa literarische und künstlerische Berichte .
Jch bin durch sechsjährige Erfahrung im Verein der liberalen
Frauen von Groß-Berlin zu der Ueberzeugung gekommen , daß
die ungeheure Aufgabe : aus Frauen Politikerinnen zu
erziehen , nur auf dem Wege regelmäßiger Dis-
kussionsabende zu lösen ist . Wer politisch interessiert ist ,
kommt ; er kommt auch wöchentlich regelmäßig . Hier gilt es vor
allem , den Ereignissen des Tages zu folgen . Kurze , einfache Be-
richte über die bedeutendsten Ereignisse der Woche im Aus- und
Jnlande stellen die feste Tagesordnung dar . Die Berichte über
die Reichstags- und Landtagsverhandlungen nehmen einen breiten
Raum ein . Erscheint ein ganz neues Gebiet , z. B. das Reichs-
getreidemonopol , die letzten Forderungen Chinas an Japan , die
Loslösung Jtaliens vom Dreibunde , so wird ein historischer Rück-
blick als Einleitung gegeben . Dieselben Fragen kehren dann in
den Tagesereignissen in der Beleuchtung der politischen Zeitungen
fortgesetzt , ja dauernd wieder , werden also immer wieder er-
örtert , und so bildet sich Einsicht und Urteil . Besonders interessierte
Mitglieder erscheinen dann schon mit Ausschnitten und sind dank-
bar , wenn ihnen Schriften zu weiteren Studien empfohlen werden .
Hat man nun noch Spezialvertreter für einzelne Staaten ge-
wonnen , so vertieft sich die Arbeit stetig . Jch denke hierbei an
wöchentliche Diskussionsabende während des ganzen Winters .
Durch diese mühevolle Arbeit des Vorstandes wird ein
Großes erreicht werden : die Stimmrechtlerinnen werden ge-
zwungen werden , sorgfältig und gründlich politische
Zeitungen zu lesen . Jst dieser Anfang da , so entwickelt sich
alles Weitere fast von selbst . Das politische Jnteresse erwacht , es
wächst von Monat zu Monat , und endlich ist der Mensch mit allen
Kräften seines Wesens dem hinreißenden Spiel der Kräfte ver-
schrieben , die ja nichts anderes darstellen als das Werden der Ge-
schichte der Gegenwart . Nun wird man vielleicht einwenden , daß
viele Frauen zu so eingehenden politischen Studien keine Zeit
hätten , und daß viele unserer Männer weit von einem so intensiven
Jnteresse entfernt sind . Beides ist richtig . Wir Frauen aber
können nicht auf die unpolitische Masse der Männer blicken , wir
müssen unsere Kräfte zusammenfassen , Führer , Pioniere , politische
Fachleute ausbilden , denn wir sind eine vorwärtsschreitende
Armee , die Neuland erobern will und muß . Erfüllt die Stimm-
rechtsbewegung diese Aufgabe , so gleicht sie dem deutschen General-
stabe , der , wenn die Schlacht entbrennt , den Sieg schon zum guten
Teil in der Tasche hat !
Nun wird manche Stimmrechtlerin besorgt fragen : Wo
bleiben bei dieser intensiven Facharbeit die Kräfte für die Propa-
ganda der Jdee ? Jch glaube , in diesem Punkte können wir sicher
sein . Wer durch die Stimmrechtsorganisation durchgegangen ist ,
ist fest im Punkte : Frauenrecht . Er wird aber auch aus dem
Studium des politischen Lebens tausendfach bestärkt werden in
dem , was wir alle wollen : Vollberechtigte Mitarbeit der Frau da ,
wo die Geschicke des Volkes gemacht werden . So brauchen wir
Schwächung unserer vorwärtsstrebenden Energie nicht zu fürchten .
Besondere Propaganda-Kommissionen sind ja auch schon an
vielen Orten eingesetzt .
Nun ist es selbstverständlich , daß die Stimmrechtsbewegung ,
wenn sie Politikerinnen ausbilden will , nicht an der großen Er-
rungenschaft von 1908 vorübergehen kann . Der Weg in die poli-
tischen Parteien ist für viele Tausende von Frauen frei . Daß
politisch interessierte und innerlich bereits entschiedene Frauen in
die Parteiorganisationen ihrer Ueberzeugung gemäß
eintreten , ist selbstverständlich . Die Organe des politischen Lebens
sind da , und sie sind , bald mehr , bald weniger entscheidend . Sieht
man die Sache nur so , nämlich einfach praktisch an , so wäre sogar
eine politische Pflicht zum Eintritt in irgendeine Partei-
organisation gegeben . Denn , die Suggestion aus Wahlversamm-
lungen , daß eine Partei den gesamten Kulturinhalt eines
modernen Kulturvolkes zu umfassen vermöchte , ist doch wohl auch
in Deutschland gerichtet . Die Kräfte der Kultur sind unübersehbar
vielfältig , so müssen auch die Formen vielfältige sein . Eine aber
wird doch jeder als die ihm gemäßeste finden können . Den Frauen
ist die Freiheit der Wahl der Partei zurzeit noch beschränkt , da so-
wohl Konservative als Zentrum keine Frauen aufnehmen . Am Niederrhein sind zur Zeit der letzten Reichstagswahlen
„ Zentrums-Frauenorganisationen ‟ ins Leben gerufen worden , die dem Partei-
vorstand unterstanden . Diese Anfänge sind während des Krieges nicht aus-
gebaut worden . – Einige Jahre vor dem Kriege ist eine Vereinigung konservativer
Frauen ins Leben getreten , die , im engen Anschluß an die geordnete Partei-
leitung , sich zum Ziele gesetzt hat , die Arbeit der konservativ gerichteten Frau
in Haus und Gesellschaft zu erweitern und zu vertiefen . An eine politische
Betätigung aber denkt diese Vereinigung nicht .
Dennoch sind Hunderttausende von Frauen fest entschieden auch
für diese Parteien , sie „ rechnen sich ‟ eben zum Zentrum , zur kon-
servativen Partei . Doch können heute nur Sozialdemokratinnen
und liberale Frauen sagen , was das Leben innerhalb der Partei
für sie bedeutet hat . Man kann das kurz sagen : Einsicht in das
innere Getriebe , in die Technik des politischen Lebens , Vertiefung
der politischen Bildung und ein kameradschaftliches Gefühl , das in
Sieg und Niederlage sich dauernd stärkt . Man kann auch nicht in
Abrede stellen , daß das Verständnis der Männer für die Forde-
rungen der Frau als Frau durch die Mitarbeit der Frauen langsam
wächst . Wer aber seinen Eintritt in die Partei als Geschäft
ansieht , d. h. als eine Unternehmung , bei der für die Stimmrechts-
bewegung etwas zu machen wäre , der dürfte schwere Ent-
täuschungen erleben . Viele deutschen Männer quälen sich noch
immer mit der mittelalterlichen Frage herum : „ Hat die Frau eine
Seele ? ‟ Vielleicht schafft der Krieg eine Wandlung . Die Last einer
Jahrtausende alten Tradition liegt auf den Männern . Dazu kommt ,
daß wir , um mit Schiller zu reden , „ das langsamste Volk ‟ sind .
Trotz der Schwierigkeit der parteipolitischen Arbeit , von der
Außenstehende sich kaum einen Begriff machen , sollten durch-
gebildete Stimmrechtlerinnen in möglichst großer Zahl in die
Männerparteien eintreten . Jhnen haftet die Charakterschwäche
politischer Neulinge nicht an , die leicht in Gefahr kommen , Recht
und Würde der Frau zu verraten , nur um die Harmonie in der
Partei nicht zu stören . Charaktervolle Frauen , die in Arbeit und im
Wahlkampf ihren Mann stehen , werden sicher allmählich die alten
Anschauungen der Männer erschüttern und ein neues Denken herauf-
führen . Die Hauptsache aber ist und bleibt : auch hier werden sie
sich zu Politikern bilden .
Denken wir uns nun das Zentrum und die konservative
Partei den Frauen erschlossen , in jedem Lager denkende , politisch
geschulte Frauen organisiert , so wäre zur Erringung unseres letzten
Zieles nichts notwendiger als eine machtvolle , neutrale
Stimmrechtsbewegung . Selbst wenn dann noch weitere
parteipolitische Stimmrechtsorganisationen da sein sollten , die
Einzelströme würden , wenn die Befreiung der Frau zu einer
aktuellen politischen Frage wird , zusammenfließen und kraftvoll
zusammenwirken , wie es im Auslande noch immer der Fall war .
Die Frage aber nach der Form des Wahlrechts würde uns
sicher nicht trennen . So wie die Norwegerinnen , die Englände-
rinnen einer Vorlage zustimmten , die zunächst nur einem Teil
der Frauen das Wahlrecht gab , so würden auch wir eine Be-
schränkung hinnehmen müssen . Daß ein unsoziales Wahlrecht der
Frau in Deutschland geschaffen werden sollte , ist unmöglich . Wir
haben heute – sehr niedrig geschätzt – 10 Millionen haupt-
beruflich erwerbstätiger Frauen . Jhre Zahl wird nach dem Kriege
rapide steigen , denn es werden Männer fehlen und Arbeits-
aufgaben von ungeheurer Größe daheim und in den eroberten Ge-
bieten erwachsen . Diese Aufgaben bewältigt die Hälfte der
Nation nicht . Die Frau muß überall in Reih und Glied treten
als Träger der nationalen Produktion . Hier liegt die Verpflichtung
für eine sozial denkende Regierung , und die haben wir . Diesen
Millionen kann nicht dauernd die politische Waffe im Kampf ums
Dasein vorenthalten werden . Ja , es steht zu erwarten , daß einem
kräftig ausgesprochenen Willen der Gesamtheit
gegenüber die Regierung selbst die Jnitiative ergreifen und
die große Revolution der politischen Befreiung der Frau selbst voll-
ziehen wird . Es ist ja eine geschichtliche Tatsache , daß bei uns die Re-
volutionen von oben gemacht werden . Die Gesetzgebung des
Freiherrn vom Stein , die staatsrechtlichen Taten Bismarcks im
Jahre 1866/67 und endlich die Einleitung und Durchführung der
deutschen Sozialpolitik gehören zu den größten Revolutionen der
Geschichte .
Die Aufgabe der Stimmrechtsbewegung ist es , für einen
solchen Tag , der kommt , ihre Scharen zu mehren , fest zusammen-
zuhalten und sie so zu erziehen , daß sie von einem einheitlichen ,
nationalen Willen erfüllt sind . Man kann – ein be-
kanntes Wort umwandelnd – sagen : „ Wer die Mütter hat , hat
die Zukunft . ‟ Haben wir Frauen , die zu praktischem
Denken erzogen sind , vergiftende Theorien ablehnen und jederzeit
bereit sind , dem Ganzen die Opfer zu bringen , die es fordern darf ,
so wird ihre politische Befreiung ein Denkstein werden in der
Kulturgeschichte der Nation .
Die erste Frucht des Friedens .
Die Frage ist nun , was den Frauen werden soll , was sie
fordern müssen , wenn die große Neuorientierung der deutschen
Politik beginnt . Alle politischen Faktoren bereiten sich auf diesen
Tag vor . Die Frauen aber sind längst ein politischer Faktor , den
keine Staatsregierung außer acht lassen kann . Mit welchen Zahlen
sie sich eingliedern in alle Gebiete der Arbeit , ist bekannt . Nicht
völlig bekannt aber war , was sie bedeuten könnten in der
Prüfungsstunde des Krieges , in der es um Sein oder
Nichtsein der Nation geht . Ob wir auf die Frauen im Roten
Kreuz , im Vaterländischen Frauenverein , im Nationalen Frauen-
dienst blicken , auf die Lehrerinnen mit ihren schweren Arbeits-
bedingungen und großen Kriegshilfsleistungen , auf die Angestellten
im Verkehrswesen und im Handel – immer der gleiche , selbst auf-
opfernde Dienst .
Aber es geschah noch mehr . Die Männerplätze
wurden leer : hinter dem Pfluge , in den Knaben-Gymnasien , in der
ganzen Breite des gewerblichen Lebens – und ohne Zaudern rückten
die Frauen ein und taten Männer-Arbeit und Männer-
dienst mit nie wankendem Eifer , mit Würde , mit ruhiger Selbst-
verständlichkeit . Ja , es ist längst ein öffentliches Geheimnis , daß
die Versorgung unserer Millionenheere ganz unmöglich gewesen
wäre , wenn nicht eine gewaltige Armee von Frauen in die
Rüstungsfabriken eingezogen wäre und hier in Tag- und Nacht-
schichten ihren schweren Dienst getan hätte . Was diese Arbeite-
rinnen geleistet haben in der Hingebung der letzten Kraft , wenn sie
nach Hause kamen und niemand ihnen Pflege und Nahrung bot ,
versteht nur der , der den Arbeiterhaushalt kennt . Und wenn die
Frauen von der Großmutter bis zum Schulkind nicht jeden
Familienkreis in eine Strickwerkstatt verwandelt hätten , so
will ich doch sehen , worauf unsere Soldaten marschiert wären .
Dem Staatsminister Dr. Delbrück aber war es vorbehalten , dieser
Armeen zu gedenken , die in Stadt und Land das Ganze trugen ,
wenn er am 21. August 1915 im Reichstag sagte :
„ Am schwersten tragen unter diesen Verhältnissen die kleinen
Produzenten und Konsumenten , die zurückgebliebenen Frauen , die
ohne männliche Hilfe sich durchschlagen . ( Bravo ! ) Der stille
Heldenmut , mit dem die Bauernfrau draußen im Lande mit ihren
Kindern und wenigen weiblichen Arbeitskräften die Scholle bestellt
wie im Frieden ; der stille Heldenmut , mit dem die Arbeiterfrau
unter schwierigen Verhältnissen sich und ihre Kinder durchringt ,
wird im deutschen Vaterlande nicht vergessen werden ! ( Lebhafter
Beifall . ) Die Frauen , die auf diese Weise im Dienste des Vater-
landes tätig sind , die füllen die Schützengräben des wirtschaftlichen
Kampfes ; wir werden ihrer so wenig vergessen , wie derer , die
draußen ihre Pflicht tun , und wir sind uns alle einig darüber , daß
es unsere erste Pflicht ist , ihnen bis an die Grenze des Möglichen
beizustehen . ( Lebhafter Beifall . ) ‟
Das soll ein Wort sein , und es ist gut , daß es von dem ver-
antwortlichen Leiter der inneren Politik ge-
kommen ist .
Können wir nun angesichts dieser Tatsachen noch länger in
der rechtlichen Unmündigkeit bleiben , in der wir uns be-
finden ? Sollen wir auch weiterhin mit Bitterkeit auf die
schwedischen , norwegischen , dänischen , englischen Frauen blicken ,
die seit Jahren das kommunale Wahlrecht besitzen , also
doch vollberechtigte Bürger ihrer Gemeinde sind ? Jch meine ,
das wäre nicht anständig , denn es blamiert die deutsche Frau vor
der ganzen Welt . Es schädigt aber auch das Ansehen Deutschlands
im Auslande . Für dieses Wahlrecht sind die Frauen
durchaus reif . Sie wissen ganz genau , was sie auf kommunal-
politischem Gebiete wollen . Sie dienen der Gemeinde auch seit
Jahrzehnten in Unterricht , Bureaudienst , Armen- und Waisen-
pflege , Krankenpflege und freiwilliger sozialer Arbeit aller Art .
Von einem „ Sprung ins Dunkle ‟ kann nur ein Unwissender reden .
Dazu kommt , daß vornehmlich auf kommunalpolitischem Gebiete
die großen Aufgaben der neuen Zeit gelöst werden müssen : die
Neuordnung der Volksernährung , die Be-
kämpfung des Alkoholismus , die Wohnungs-
fürsorge , die Berufsbildung der gewerblich
tätigen Frau und die Vermehrung des Be-
völkerungszuwachses . Das kann man nicht machen
ohne die Frau . Die Frauen wieder gütigst „ heranzuziehen ‟ , wie
der unschöne Ausdruck heißt , geht nicht . Dabei bleiben sie ewig die
Geduldeten und werden nicht die Heimatberechtigten in der Ge-
meinde , deren überwiegende Einwohnerzahl sie ausmachen .
Es wird also die Aufgabe der Stimmrechtsbewegung sein ,
mit aller Energie in die Arbeit für das kommunale Wahlrecht ein-
zutreten , und zwar in allen Bundesstaaten gleichzeitig und
nach einem übereinstimmenden Plane .
Bei diesem Arbeitsplan ist scharf zu unterscheiden zwischen
der Werbearbeit , die in Stadt und Land zur Aufklärung der Be-
völkerung , zur Gewinnung der Landtagsabgeordneten , in der
Presse , bei Staatsbehörden gemacht werden muß , und einer
anderen , die den innersten Kern trifft und nur in sorgfältigen
Beratungen gelöst werden könnte ! Für die erstere haben wir zahl-
reiche Kräfte , und jeder Bundesstaat kann die Aufgabe lösen ; für
die zweite : die Festlegung des kommunalen Wahlrechtes , das wir
brauchen , müßte ein Ausschuß von weiblichen Politikern ,
Juristinnen und sozial arbeitenden Frauen eingesetzt werden .
Dieser Ausschuß wäre natürlich überflüssig , wenn die Forde-
rung einfach hieße : „ Ausdehnung des heutigen kommunalen Wahl-
rechtes auf die Frauen ‟ . Die Aufgabe dieses Ausschusses aber
müßte es meiner Ansicht nach sein , zu prüfen , ob den Jnteressen
der Frau auf diesem Wege wirklich am besten gedient ist , und
hier sollten die wenigen bereits in den Parteien der Männer ge-
schulten Frauen das Wort erhalten . Die Sache liegt nämlich so :
wenn das Wahlrecht der Männer einfach auf die Frauen übertragen
wird , so müssen männliche Stadtverordnete , und zwar : Zentrums-
leute , Liberale , Sozialdemokraten Platz machen . Nur an
ihrer Stelle kann die Frau einrücken . Wer nun weiß , wie
bei den Stadtverordnetenwahlen um jeden Mann gerungen
wird , um diese oder jene der Partei schädliche Konstellation zu ver-
meiden , der wird sehr zweifelhaft dieser Form der Rechts-
entwicklung der Frau gegenüberstehen . Zehn Jahre können wir
arbeiten , um 3 oder 4 Frauen selbst in großen Städten in die
Stadtverordneten-Versammlung zu bringen . Es ist doch aber jedes
Wahlrecht nicht Selbstzweck , sondern Mittel zur Erreichung
eines Kulturzweckes . Wie können wir unsere Kultur-
zwecke am besten erreichen ? Das ist die große Frage .
Nun ist gewiß richtig , daß schon das aktive Wahlrecht der
Frau Fortschritte bringen müßte , denn die Frauen als
Wähler würden den Männern eine stärkere Vertretung ihrer
Jnteressen aufnötigen . Jmmer und überall aber muß es das
Streben der Frau sein , die Vertretung ihrer Jnteressen selbst in
die Hand zu nehmen und die überkommene Vormundschaft abzu-
werfen . Weiter ist zu bedenken , daß , je direkter und selbst-
ständiger der Fraueneinfluß auf die Entwicklung der Stadt ist ,
um so sicherer werden wir unsere Kulturideale ver-
wirklichen .
Zu diesem Zwecke scheint mir ein besonderes Frauen-
wahlgesetz unerläßlich . Jch denke mir dieses Gesetz aufgebaut
auf der Bestimmung , daß die Stadtverordnetensitze in einem ganz
bestimmten mäßigen Prozentsatz vermehrt werden müssen .
Diese neu geschaffenen Sitze dürfen nur von Frauen besetzt
werden . Nur die Frauen üben das Wahlrecht für diese
Sitze aus .
Damit wäre nach zwei Seiten hin Großes erreicht . Zunächst
bliebe das Frauenwahlrecht nicht auf Jahrzehnte hin ein nur
aktives , es könnte also sofort positive Kulturresultate zeitigen .
Dann aber wäre die Entscheidung über die weiblichen Kandidaten
in die Hand der Frauen gelegt , und diese hätten die Möglichkeit ,
die kommunalpolitischen Fachleute , die sie in ihrer sozialen
Arbeit längst entwickelt haben , an die richtigen Plätze zu bringen .
Nehmen wir an , daß in einer Großstadt auch nur 10 solcher Stadt-
verordnetensitze geschaffen würden , so könnten geschulte Vertrete-
rinnen der Armen- und Waisenpflege , des Volks- und höheren
Schulwesens , des Fortbildungsschulwesens , des Mutterschutzes ,
der Ernährungsfrage , der Nüchternheitsbewegung , der Wohnungs-
fürsorge , der Krankenpflege sofort ihre Arbeit an verantwort-
licher Stelle für die Frau , für die Familie , für die Stadt-
gemeinde beginnen . Das muß angestrebt werden .
Daß die Frauen aller Schichten sich ohne großen Kampf ver-
ständigen werden über die Auswahl der Kandidatinnen , kann man
nach der glücklich gelungenen Zusammenarbeit in der Kriegshilfe
wohl hoffen . Keiner von uns wird die Arbeiterin missen wollen ,
und die Arbeiterinnen wieder haben einsehen gelernt , daß unter
den vorgebildeten Frauen des Bürgerstandes viele sind , die die
Jnteressen der Arbeiterinnen als ihre Jnteressen ansehen und ver-
treten .
Nicht zu unterschätzen wäre auch , daß die Frauen beim Ein-
tritt in die politische Arbeit der Kommune dem Hader der Wahl-
kämpfe der Männer ferner gerückt würden . Die Frauen können
ruhiger , weniger mitfortgerissen , das innere Parteigetriebe in
unseren Stadtverordneten-Versammlungen studieren und sich
genau orientieren , ehe sie handeln . Diese Schonzeit ist ihnen , um
der Sache willen , dringend zu wünschen .
Das Gesetz aber müßte die Bestimmung enthalten , daß es
nach 15 Jahren einer Revision unterworfen
werden muß . Dann möge die Erfahrung das Wort haben .
Jch denke dabei , daß die Frauen nach dem heutige heutigen Kommunal-
wahlrecht mit seinen drei Abteilungen wählen . Jede Neuordnung
hier ruft Parteikämpfe herauf , die den Charakter eines Frauen-
wahlgesetzes fälschen würden . Wir kennen diese Dinge aus dem
Auslande . Unser Jnteresse ist : Es bleibt alles , wie es ist ; das
Neue ist allein : die Frau in der Stadtverordneten-Versamm-
lung . Nur darum geht der Kampf .
Daß den Ehefrauen , die ja heute nicht selbständig Steuern
leisten , ein Wahlrecht gegeben werden müßte , ist notwendig in Rück-
sicht auf die Bedeutung der Familie und in Rücksicht auf die Massen
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hauptberuflich erwerbstätiger Ehefrauen . Ein Vorbild aber für
diese Sachlage ist in dem Wahlrecht der „3-Mark-Männer ‟ im
preußischen Landtagswahlrecht gegeben . Es scheint mir für den
Anfang , der ohne Konzessionen nie möglich ist , durchaus
erträglich , wenn auch die Millionärs-Gattin in der dritten Ab-
teilung wählen würde , denn bei diesem Wahlrecht der verheirateten
Frau bleibt stets zu bedenken , daß die Stimmen der Familie durch
dasselbe mindestens verdoppelt werden .
Wer diesen Vorschlag durchdenkt , wird seine Bedeutung nicht
verkennen . Ein Durcharbeiten im einzelnen wäre die Aufgabe des
Ausschusses , der eingesetzt werden müßte . Dann erst , wenn die
Arbeit getan ist , müßten die weitesten Kreise der organisierten
Frauen zur Aeußerung versammelt werden . Die weiblichen
Berufsorganisationen haben hier ein wichtiges Wort mitzusprechen ,
ehe an die Staatsbehörden herangetreten werden kann . Sie müssen
mit uns die gleiche Forderung einmütig erheben .
Jn der Einleitung , Vorbereitung und Durchführung dieser
ganzen Arbeit hat die Frauenstimmrechtsbewegung ihre erste große
realpolitische Aufgabe zu erfüllen . Jst sie einig , so wird das
Werk gelingen , denn die Zeit ist günstig . Schon liegen als Vor-
boten des Friedens viele Dinge in der Luft , die bisher unmöglich
schienen . Durch alle deutschen Herzen aber geht die Forderung
nach einem Frieden , der das alte Unvergängliche : deutsche Tiefe
und deutsche Freiheit des Geistes treu bewahren und doch ganz
neue , viel größere Formen des nationalen Lebens schaffen soll .