Der Goͤtterkrieg .
D ie Titanen ſind das Empoͤrende , welches ſich
gegen jede Oberherrſchaft auflehnt ; es ſind die
unmittelbaren Kinder des Himmels und der
Erde , deren weit um ſich greifende Macht keine
Grenzen kennet , und keine Einſchraͤnkung duldet .
Jupiter aber hatte ſich den Weg zu der Al-
leinherrſchaft ſchon gebahnet , indem er die hun-
dertaͤrmigen Rieſen , Kottus , Gyges , und
Briareus , und die Cyklopen , die unter dem
Uranos und Saturnus gefangen gehalten wur-
den , aus ihrem Kerker befreiet , und dadurch den
Donner und Blitz in ſeine Gewalt bekommen
hatte .
Die neuern Goͤtter , mit dem Jupiter an
ihrer Spitze , verſammleten ſich auf dem Olymp ;
die Titanen ihnen gegenuͤber auf dem Othrys , und
der Goͤtterkrieg hub an . — Zehn Jahre dauerte
ſchon der Kampf der neuern Goͤtter mit den Tita-
nen , als der Sieg noch unentſchieden war , bis
Jupiter ſich den Beiſtand der hundertaͤrmigen
Rieſen erbat , die ihm die Befreiung aus ihrem
Kerker dankten .
Als dieſe nun an dem Treffen Theil nahmen ,
ſo faßten ſie ungeheure Felſen in ihre hundert
Haͤnde , um ſie auf die Titanen zu ſchleudern ,
welche in geſchloſſenen Phalangen in Schlachtord-
nung ſtanden . Als nun die Goͤtter auf einander
den erſten Angriff thaten , ſo wallte das Meer
hoch auf , die Erde ſeufzte , der Himmel aͤchzte ,
und der hohe Olymp wurde vom Gipfel bis zur
Wurzel erſchuͤttert .
Die Blitze flogen ſchaarenweiſe aus Jupi-
ters ſtarker Hand , der Donner rollte , der Wald
entzuͤndete ſich , das Meer ſiedete , und heißer
Dampf und Nebel huͤllte dle die Titanen ein .
Kottus , Gyges , und Briareus ſtanden
voran im Goͤttertreffen , und mit jedem Wurf
ſchleuderten ſie dreihundert Felſenſtuͤcke auf die
Haͤupter der Titanen herab . Da lenkte ſich der
Sieg auf die Seite des Donnerers . Die Tita-
nen ſtuͤrzten nieder , und wurden ſo weit in den
Tartarus hinabgeſchleudert , als hoch der Himmel
uͤber der Erde iſt .
Nun theilten die drei ſiegreichen Soͤhne des
Saturnus das alte Reich der Titanen unter ſich ;
Jupiter beherrſchte den Himmel , Neptun das
Meer , und Pluto die Unterwelt . Die hundert-
aͤrmigen Rieſen aber bewachten den Eingang zu
dem furchtbaren Kerker , der die Titanen ge-
fangen hielt .
Jupiters Blitz beherrſchte nun zwar die Goͤt-
ter , allein ſein Reich ſtand noch nicht feſt . Die
Erde ſeufzte aufs neue uͤber die Schmach ihrer
Kinder , die im dunkeln Kerker ſaßen . Mit den
Blutstropfen befruchtet , die ſie bei der Entman-
nung des Uranos in ihrem Schooße aufnahm ,
gebahr ſie in den phlegraͤiſchen Gefilden die him-
melanſtuͤrmenden Giganten mit drohender Stirn
und Drachenfuͤßen , bereit die Schmach der Tita-
nen zu raͤchen .
Zu Boden geworfen , waren ſie nicht be-
ſiegt , denn mit jeder Beruͤhrung ihrer Mutter
Erde gewannen ſie neue Kraͤfte . — Por-
phyrion und Alcyoneus , Oromedon und
Enceladus , Rhoͤtus und der tapfre Mi-
mas huben am ſtolzeſten ihre Haͤupter empor ;
ſie ſchleuderten Eichen und Felſenſtuͤcke mit ju-
gendlicher Kraft gen Himmel , und achteten
Jupiters Blitze nicht .
In dem hier beigefuͤgten , nach einem der
ſchoͤnſten Werke des Alterthums verfertigten
Umriß , heben die maͤchtigen Soͤhne der Erde ,
unter Jupiters Donnerwagen zu Boden geſtreckt ,
dennoch gegen ihn ihr drohendes Haupt empor . —
Macht iſt gegen Macht empoͤrt — einer der er-
habenſten Gegenſtaͤnde , den je die bildende Kunſt
benutzte .
Daraus , daß in den mythologiſchen Dichtun-
gen die Giganten den Goͤttern entgegengeſetzt
werden , ſieht man auch , daß die Alten den Goͤt-
tern keine ungeheure Groͤße beilegten . Das
Gebildete hatte bei ihnen immer den Vorzug vor
der Maſſe ; und die ungeheuren Weſen , welche
die Phantaſie ſich ſchuf , entſtanden nur um von
der in die hohe Menſchenbildung eingehuͤllten Goͤt-
terkraft beſiegt zu werden , und unter ihrer eigenen
Unfoͤrmlichkeit zu erliegen .
Gerade die Vermeidung des Ungeheuren ,
das edle Maaß , wodurch allen Bildungen ihre
Grenzen vorgeſchrieben wurden , iſt ein Haupt-
zug in der ſchoͤnen Kunſt der Alten ; und nicht
umſonſt drehet ſich ihre Phantaſie in den aͤlte-
ſten Dichtungen immer um die Vorſtellung , daß
das Unfoͤrmliche , Ungebildete , Unbegrenzte , erſt
vertilgt und beſiegt werden muß , ehe der Lauf der
Dinge in ſein Gleis koͤmmt .
Die ganze Dichtung des Goͤtterkrieges ſcheint
ſich mit auf dieſe Vorſtellung zu gruͤnden . Ura-
nos oder die weitausgebreitete Himmelswoͤl-
bung ließ ſich noch unter keinem Bilde faſſen ;
was die Phantaſie ſich dachte , war noch zu
weit ausgebreitet , unfoͤrmlich und geſtaltlos ;
dem Uranos wurden ſeine eigenen Erzeugun-
gen furchtbar , ſeine Kinder , die Titanen , em-
poͤrten ſich gegen ihn , und ſein Reich entſchwand
in Nacht und Dunkel .
Der Name der Titanen zeigt ſchon das
weit um ſich Greifende , Grenzenloſe , in ihrem
Weſen an , wodurch die Bildungen , welche ſich
die Phantaſie von ihnen macht , ſchwankend
und unbeſtimmt werden . Die Phantaſie flieht
vor dem Grenzenloſen und Unbeſchraͤnkten ; die
neuen Goͤtter ſiegen , das Reich der Titanen
hoͤrt auf , und ihre Geſtalten treten gleichſam
in Nebel zuruͤck , wodurch ſie nur noch ſchwach
hervorſchimmern .
An der Stelle des Titanen Helios oder des
Sonnengottes ſteht der ewig junge Apoll mit
Pfeil und Bogen . Unbeſtimmt und ſchwankend
ſchimmert das Bild vom Helios durch , und die
Phantaſie verwechſelt in den Werken der Dicht-
kunſt oft beide mit einander . So ſteht an der
Stelle des alten Oceanus , Neptun mit ſeinem
Dreizack , und beherrſcht die Fluthen des Meers .
Demohngeachtet aber bleiben die alten Gott-
heiten noch immer ehrwuͤrdig , denn ſie waren
den neuern Goͤttern nicht etwa wie das Ver-
derbliche und Haſſenswuͤrdige dem Wohlthaͤtigen
und Guten entgegengeſetzt ; ſondern Macht em-
poͤrte ſich gegen Macht ; Macht ſiegte uͤber Macht ,
und das Beſiegte ſelbſt blieb in ſeinem Sturz
noch groß .
So wie man ſich nehmlich unter dem Reiche
der Titanen und unter der Herrſchaft des Sa-
turnus , der ſeine eigenen Kinder verſchlang , noch
das Grenzenloſe , Chaotiſche , Ungebildete dachte ,
worauf die Einbildungskraft nicht haften kann ;
ſo verknuͤpfte man doch wieder mit dieſer Vorſtel-
lung von dem Ungebildeten , Umherſchweifenden ,
und Grenzenloſen , das keinem Zwange unterwor-
fen iſt , den Begriff von Freiheit und Gleichheit ,
der unter der Alleinherrſchaft des Einzigen , der
mit dem Donner bewafnet war , nicht mehr ſtatt
finden konnte .
Man verſetzte daher das goldene Zeitalter un-
ter die Regierung des Saturnus ; welcher , nach-
dem er in dem Goͤtterkriege ſeiner zerſtoͤrenden
Macht beraubt war , nach einer alten Sage , dem
Schickſal der uͤbrigen Titanen , die in den Tarta-
rus geſchleudert wurden , entfloh , und ſich in den
mit Bergen umſchloſſenen Ebenen von Latium
verbarg , wohin er das goldene Zeitalter brachte ,
indem er in einem Schiffe auf dem Tiberſtrome ,
beim Janus anlangte , und mit ihm vereint , die
Menſchen mit Weisheit und Guͤte beherrſchte .
Dieſe Dichtung iſt vorzuͤglich ſchoͤn , wegen
des Ueberganges vom Kriegeriſchen und Zerſtoͤren-
den , zum Friedlichen und Sanften . Waͤhrend
daß Jupiter noch immer in Gefahr der Herr-
ſchaft entſetzt zu werden , ſeine Blitze gegen die
Giganten ſchleudert , iſt Saturnus fern von
dem verderblichen Goͤtterkriege in Latium ange-
langt , wo unter ihm ſich die gluͤcklichen Zeiten bil-
den , die nachher in den Liedern der Menſchen als
ein entflohenes Gut beſungen , und vergeblich zu-
ruͤck gewuͤnſcht wurden .
So iſt er auf einer alten Gemme , wovon
hier der Umriß beigefuͤgt iſt , mit der Senſe in der
Hand , auf einem Schiffe , wovon nur der Schna-
bel oder das Vordertheil ſichtbar iſt , abgebildet ,
neben dem Schiffe ſieht man einen Theil einer
Mauer und eines Gebaͤudes hervorragen , wahr-
ſcheinlich weil an den Ufern der Tiber vom Sa-
turnus , die alte Stadt Saturnia auf den nach-
maligen Huͤgeln Roms erbauet wurde .
Auf die Weiſe iſt nun Saturnus bald ein
Bild der alleszerſtoͤrenden Zeit , bald ein Koͤnig ,
der zu einer gewiſſen Zeit in Latium herrſchte .
Die Erzaͤhlungen von ihm ſind weder bloße Alle-
gorien , noch bloße Geſchichte , ſondern beides zu-
ſammengenommen , und nach den Geſetzen der
Einbildungskraft verwebt . Dieß iſt auch der
Fall bei den Erzaͤhlungen von den uͤbrigen Gott-
heiten , die wir durchgaͤngig als ſchoͤne Dichtun-
gen nehmen , und durch zu beſtimmte Ausdeu-
tungen nicht verderben muͤſſen . Denn da die
ganze Religion der Alten eine Religion der Phan-
taſie und nicht des Verſtandes war , ſo iſt auch
ihre Goͤtterlehre ein ſchoͤner Traum , der zwar
viel Bedeutung und Zuſammenhang in ſich hat ,
auch zuweilen erhabene Ausſichten giebt , von dem
man aber die Genauigkeit und Beſtimmtheit der
Ideen im wachenden Zuſtande nicht fordern
muß .
Ob nun Jupiter gleich die Titanen in den
Tartarus verbannt , und uͤber die Giganten zuletzt
die Inſeln des Meeres mit rauchenden Vulkanen
gewaͤlzt hatte , ſo war dennoch ſein Reich noch nicht
befeſtigt ; denn die Erde zuͤrnte aufs neue uͤber die
Gefangenſchaft ihrer Kinder , und gebahr , nach-
dem ſie ſich mit dem Tartarus begattet hatte , den
Tiphoͤus , ihren juͤngſten Sohn .
Das furchtbarſte Ungeheuer , das je aus der
dunkeln Nacht emporſtieg ; deſſen hundert Dra-
chenhaͤupter mit ſchwarzen Zungen leckten , und
mit feurigen Augen blitzten ; das bald verſtaͤndli-
che Laute von ſich gab , und bald mit hundert
verſchiedenen Stimmen der Thiere des Waldes
heulte und bruͤllte , daß die Berge davon wieder-
hallten .
Nun waͤre es um die Herrſchaft der neuen
Goͤtter gethan geweſen , wenn Jupiter nicht
ſchleunig ſeinen Blitz ergriffen , und ihn unauf-
hoͤrlich auf das Ungeheuer geſchleudert haͤtte , ſo
lange bis Erd’ und Himmel in Flammen ſtand ,
und der Weltbau erſchuͤttert ward , ſo daß Pluto ,
der Koͤnig der Schatten , und die Titanen im
Tartarus uͤber das unaufhoͤrliche Getoͤſe erbebten ,
das uͤber ihren Haͤuptern rollte .
Der Sieg uͤber dies Ungeheuer wurde dem
Jupiter am ſchwerſten unter allen , und drohte
ihm ſelber den Untergang . Er freute ſich daher
dieſes Sieges nicht , ſondern ſchleuderte den Ti-
phoͤus , als er zu Boden geſunken war , trauer-
voll in den Tartarus hinab .
Denn dem Herrſcher der Goͤtter , drohte ſtets
Gefahr , nicht nur von fremder Macht , ſondern
auch von ſeinen eigenen Entſchließungen . So
weißagte ihm , als er ſich mit der weisheitbegabten
Metis , einer Tochter des Oceanus vermaͤhlt
hatte , ein Orakelſpruch , daß ſie ihm einen Sohn
gebaͤren , und daß dieſer zugleich mit der Weis-
heit ſeiner Mutter , und der Macht ſeines Vaters
ausgeruͤſtet , die Goͤtter alle beherrſchen wuͤrde .
Um dem vorzubeugen zog Jupiter die weis-
heitbegabte Metis mit ſchmeichelnden Lockungen
in ſich hinuͤber , und gebahr nun ſelbſt die Mi-
nerva , welche bewafnet aus ſeinem Haupte her-
vorſprang . — Eine aͤhnliche Gefahr drohte ihm
noch einmal , da er ſich mit der Thetis begatten
wollte , von der ein Orakelſpruch geweißagt hatte ,
ſie wuͤrde einen Sohn gebaͤhren , der wuͤrde
maͤchtiger als ſein Vater ſeyn .
So fuͤrchtet ſich in dieſen Dichtungen das
Maͤchtigſte immer vor noch etwas Maͤchtigerm .
Bei dem Begriff der ganz unumſchraͤnkten Macht
hingegen hoͤrt alle Dichtung auf , und die Phantaſie
hat keinen Spielraum mehr . Man muß daher
die Verſtandesbegriffe auf keine Weiſe hiemit ver-
mengen , da man uͤberdem , eins dem andern un-
beſchadet , jedes fuͤr ſich abgeſondert , ſehr wohl
betrachten kann .
In der folgenden Zeit wurden ſogar zwei
Soͤhne des Neptun , die derſelbe mit der Iphi-
media , einer Tochter des Aloeus erzeugte , und
welche daher die Aloiden hießen , dem Jupiter
furchtbar . Ihre Namen waren , Otus und
Ephialtes ; ſie ragten im Schmuck der Jugend
und Schoͤnheit mit Rieſengroͤße zum Himmel em-
por , und drohten den unſterblichen Goͤttern , in-
dem ſie Berge auf einander thuͤrmten , auf den
Olymp den Oſſa , und auf den Oſſa den Pelion
waͤltzten , um ſo den Himmel zu erſteigeu erſteigen , welches
ihnen gelungen waͤre , wenn ſie die Jahre der
Mannbarkeit erreicht haͤtten . Aber Apollo er-
legte ſie mit ſeinen Pfeilen , ehe noch das weiche
Milchhaar ihr Kinn bedeckte .
Selbſt die Sterblichen wagten es alſo ſich ge-
gen die Goͤtter aufzulehnen , welche daher auch
eiferſuͤchtig , auf jede hoͤhere Entwickelung menſch-
licher Kraͤfte waren ; jede Ueberhebung auf das
ſchaͤrfſte ahndeten , und den armen Sterblichen
anfaͤnglich ſogar das Feuer mißgoͤnnten . Denn
die Menſchen mußten noch den Haß der Goͤtter
gegen die Titanen tragen , weil ſie von einem Ab-
koͤmmling derſelben , dem Prometheus , gebildet
und ins Leben hervorgerufen waren .
Die Bildung der Menſchen .
S o untergeordnet iſt in dieſen Dichtungen der
Urſprung der Menſchen , daß ſie nicht einmal den
herrſchenden Goͤttern , ſondern einem Abkoͤmm-
linge der Titanen , ihr Daſeyn danken .
Denn Prometheus , welcher die Menſchen
aus Thon bildete , war ein Sohn des Japet , der
außer ihm noch drei Soͤhne erzeugt hatte , den
Atlas , Menoͤtius , und Epimetheus , die alle
den Goͤttern verhaßt waren .
Japet , der Stammvater der Menſchen ,
lag ſchon vom Jupiter mit den uͤbrigen Titanen
in den Tartarus hinabgeſchleudert ; ſein ſtarker
Sohn , Menoͤtius , wurde wegen ſeiner den Goͤt-
tern furchtbaren Macht , und uͤbermuͤthigem Stolz ,
von Jupiters Blitz erſchlagen , in den Erebus hin-
abgeſtuͤrzt . Dem Atlas legte Jupiter die ganze
Laſt des Himmels auf ſeine Schultern ; den Pro-
metheus ſelber ließ er zuletzt an einen Felſen
ſchmieden , wo ein Geier unaufhoͤrlich an ſeinem
Eingeweide nagte ; und den Epimetheus ließ
er das Ungluͤck uͤber die Menſchen bringen .
So verhaßt war den Goͤttern das Geſchlecht
des Japet , woraus der Menſch entſprang , auf
den in der Folge die unzaͤhligen Leiden ſich zuſam-
menhaͤuften , wodurch er die Schuld des ihm
mißgoͤnnten Daſeyns vielfach buͤßen mußte .
Prometheus befeuchtete die noch von den
himmliſchen Theilchen geſchwaͤngerte Erde mit
Waſſer , und machte den Menſchen nach dem
Bilde der Goͤtter , ſo daß er allein ſeinen Blick
gen Himmel empor hebt , indeß alle andern Thiere
ihr Haupt zur Erde neigen .
Den Goͤttern ſelber alſo konnte die Phantaſie
keine hoͤhere Bildung als die Menſchenbildung bei-
legen , weil nichts mehr uͤber die erhabene auf-
rechte Stellung geht , in welcher ſich gleichſam die
ganze Natur verjuͤngt , und erſt zum Anſchauen
von ſich ſelber koͤmmt .
Denn die Strahlen der Sonne leuchten , aber
das Auge des Menſchen ſiehet . — Der Donner
rollt , und die Stuͤrme des Meeres brauſen , aber
die Zunge des Menſchen redet vernehmliche Toͤne . —
Die Morgenroͤthe ſchimmert in ihrer Pracht , aber
die Geſichtszuͤge des Menſchen ſind ſprechend und
bedeutend .
Es ſcheint als muͤſſe die unermeßliche Natur
ſich erſt in dieſe zarten Umriſſe ſchmiegen , um
ſich ſelbſt zu faſſen , und wieder umfaßt zu werden .
Um die goͤttliche Geſtalt abzubilden gab es nichts
Hoͤheres , als Aug’ und Naſe , und Stirn und
Augenbraunen , als Wang ’ und Mund und Kinn ;
weil wir nur von dem , was lebt und dieſe Geſtalt
hat , wiſſen koͤnnen , daß es Vorſtellungen habe wie
wir , und daß wir Gedanken und Worte mit ihm
wechſeln koͤnnen .
Prometheus iſt daher auf den alten Kunſt-
werken ganz wie der bildende Kuͤnſtler darge-
ſtellt , ſo wie auch auf dem hier beigefuͤgten Um-
riß , nach einem antiken geſchnittenen Steine , wo
zu ſeinen Fuͤßen eine Vaſe , und vor ihm ein
menſchlicher Torſo ſteht , den er , ſo wie jene , aus
Thon gebildet , und deſſen Vollendung er zum
einzigen Augenmerk ſeiner ganzen Denkkraft ge-
macht zu haben ſcheint .
Als es dem Prometheus gelungen war , die
goͤttliche Geſtalt wieder außer ſich darzuſtellen ,
brannte er vor Begierde , ſein Werk zu vollenden :
und er ſtieg hinauf zum Sonnenwagen , und zuͤn-
dete da die Fackel an , von deren Gluth er ſeinen
Bildungen die aͤtheriſche Flamme in den Buſen
hauchte , und ihnen Waͤrme und Leben gab .
So iſt er hier zum zweitenmal abgebildet ,
ſitzend mit der Fackel in der Hand , uͤber der ein
Schmetterling ſchwebt , welcher den beſeelenden
Hauch andeutet , wodurch die todte Maſſe belebt
wird . Der bildende Kuͤnſtler iſt zum Schoͤpfer
geworden ; ſeine Bildungen werden ihm gleich .
C
Daß Prometheus ſelbſt ein Schoͤpfer goͤttli-
cher Bildungen wurde , daruͤber zuͤrnte Jupiter ,
und dachte darauf , wie er die Menſchen verder-
ben wollte . Als daher Prometheus einſt einen
Stier ſchlachtete , und um den Jupiter zu verſu-
chen , das Fleiſch und die Knochen jedes in eine
Haut gewickelt beſonders legte , damit Jupiter
waͤhlen moͤchte , ſo waͤhlte dieſer mit Fleiß den
ſchlechtern Theil , um wegen des Betruges auf
den Prometheus zuͤrnen zu koͤnnen , und ſeinen
Zorn an den Sterblichen auszulaſſen , die er nun
ploͤtzlich des Feuers beraubte .
Denn an dem Prometheus ſelber ſeinen Haß
auszuuͤben wagte Jupiter damals noch nicht ; er
ſuchte ihm nur ſein Werk zu verderben ; aber auch
dies gelang ihm nicht ; denn Prometheus , der
den Jammer der Menſchen nicht dulden konnte ,
ſtieg wiederum zum Sonnenwagen , und entwen-
dete aufs neue den aͤtheriſchen Funken , den er in
dem Marke der roͤhrichten Pflanze verbarg , und
ihn den Sterblichen vom Himmel wiederbrachte .
Als nun Jupiter von fern den Glanz des
Feuers unter den Menſchen erblickte , ſo dachte er
aufs neue , wie er ſie durch ihre eigene Thorheit
ſtrafen wollte ; waͤhrend daß Prometheus fortfuhr
die Menſchen alle nuͤtzliche Kuͤnſte zu lehren , welche
der Gebrauch des Feuers moͤglich macht , und was
die groͤßte Wohlthat war , ihnen den Blick in die
Zukunft benahm , damit ſie unvermeidliche Uebel
nicht voraus ſehen moͤchten .
Dem Jupiter alſo gleichſam zum Trotz ſuchte
Prometheus ſeine Menſchenſchoͤpfung und Men-
ſchenbildung zu vollenden , ob er gleich ſelber wuß-
te , daß er dereinſt ſchrecklich wuͤrde dafuͤr buͤßen
muͤſſen . — Dieß ungleiche Verhaͤltniß der Men-
ſchen zu den herrſchenden Goͤttern gab nachher den
Stoff zu den tragiſchen Dichtungen , deren Geiſt
in den folgenden Zeilen athmet , worin ein Dich-
ter unſerer Zeiten den Prometheus , im Nahmen
der Menſchen , deren Jammer er in ſeinem
Buſen traͤgt , redend einfuͤhrt .
Prometheus .
B edecke deinen Himmel , Zevs ,
Mit Wolkendunſt ,
Und uͤbe , dem Knaben gleich ,
Der Diſteln koͤpft ,
An Eichen dich und Vergeshoͤhn Bergeshoͤhn ;
Mußt mir meine Erde
Doch laſſen ſtehn ,
Und meine Huͤtte , die du nicht gebaut ,
Und meinen Herd ,
Um deſſen Gluth
Du mich beneideſt .
C 2
Ich kenne nichts aͤrmers
Unter der Sonn’ als euch Goͤtter !
Ihr naͤhret kuͤmmerlich
Von Opferſteuern
Und Gebetshauch
Eure Majeſtaͤt ,
Und darbtet , waͤren
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Thoren .
Da ich ein Kind war ,
Nicht wußte wo aus noch ein ,
Kehrt’ ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne , als wenn druͤber waͤr ’
Ein Ohr zu hoͤren meine Klage ,
Ein Herz wie mein’s
Sich des Bedraͤngten zu erbarmen .
Wer half mir
Wider der Titanen Uebermuth ?
Wer rettete vom Tode mich
Von Sklaverey ?
Haſt du nicht alles ſelbſt vollendet ,
Heilig gluͤhend Herz ?
Und gluͤhteſt jung und gut ,
Betrogen , Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben ?
Ich dich ehren ? Wofuͤr ?
Haſt du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen ?
Haſt du die Thraͤnen geſtillet
Je des Geaͤngſteten ?
Hat nicht mich zum Manne geſchmiedet
Die allmaͤchtige Zeit ,
Und das ewige Schickſal
Meine Herrn und deine ?
Waͤhnteſt du etwa ,
Ich ſollte das Leben haſſen ,
In Wuͤſten fliehen ,
Weil nicht alle
Bluͤthentraͤume reiften ?
Hier ſitz’ ich , forme Menſchen
Nach meinem Bilde ,
Ein Geſchlecht , das mir gleich ſey ,
Zu leiden , zu weinen ,
Zu genießen und zu freuen ſich ,
Und dein nicht zu achten ,
Wie ich !
Goͤthe .
Nun ließ aber Jupiter , der uͤber den Raub
des Feuers noch immer zuͤrnte , eine weibliche Ge-
ſtalt von Goͤtterhaͤnden bilden , die er mit allen Ga-
ben ausgeſchmuͤckt , Pandora nannte , und ſandte
ſie mit allen verfuͤhreriſchen Reitzen , und mit einer
Buͤchſe , worin das ganze Heer von Uebeln , das
den Menſchen drohte , verſchloſſen war , zum Pro-
metheus , der bald den Betrug erkannte , und dieß
gefaͤhrliche Geſchenk der Goͤtter ausſchlug .
Da konnte Jupiter ſeinem Zorn nicht laͤnger
Einhalt thun , ſondern ließ den Prometheus ,
fuͤr ſeine Klugheit zu buͤßen , an einen Felſen
ſchmieden ; und das Ungluͤck kam demohngeachtet
uͤber die Menſchen ; denn der unvorſichtige Epime-
theus , des Prometheus Bruder , ließ ſich , ob-
gleich gewarnt , durch die Reitze der Pandora
bethoͤren , welche , ſobald er ſich mit ihr vermaͤhlt
hatte , die Buͤchſe eroͤfnete , woraus ſich ploͤtzlich
alles Unheil uͤber die ganze Erde , und uͤber das
Menſchengeſchlecht verbreitete .
Sie machte ſchnell den Deckel wieder zu , ehe
noch die Hofnung entſchluͤpfte , welche , nach Ju-
piters Rathſchluß , allein zuruͤck blieb , um einſt
noch zu rechter Zeit , den Sterblichen Troſt zu ge-
waͤhren . Die verfuͤhreriſchen Reitze zu der ſinn-
lichen Luſt , brachten alſo auch nach dieſer Dich-
tung zuerſt das Ungluͤck uͤber die Menſchen . Der
thoͤrichte Epimetheus vereitelte bald die vorſehende
Weisheit des Prometheus . Vernunft und Thor-
heit waren ſogleich bei der Bildung und Entſte-
hung des Menſchen miteinander im Kampfe .
Prometheus duldete nun an den Felſen ge-
ſchmiedet , in ſeiner Perſon , die Qualen des
Menſchengeſchlechts , das ihm ſeine Bildung dank-
te ; die immerwaͤhrende Unruhe , und die raſtloſe
ſtets unbefriedigte Begier der Sterblichen . — Es
iſt der vom Jupiter geſandte Geier , der dem Pro-
metheus an der immer wieder wachſenden Leber ,
dem Sitz der Begierden , nagt .
So iſt dieſer Dulder fuͤr die Menſchheit abge-
bildet , die Haͤnde auf den Ruͤcken gefeſſelt ,
ſitzend , an den Felſen geſchmiedet mit dem Geier
auf dem Knie . —
Die vier Abbildungen auf der hier beigefuͤgten
Kupfertafel , geben einen vollſtaͤndigen Ueberblick
von dieſer Dichtung der Alten : Prometheus bil-
det den Menſchen ; er raubt die aͤtheriſche Flam-
me ; Pandora , ſitzend , eroͤfnet die Buͤchſe , wor-
aus das Ungluͤck uͤber die Menſchen koͤmmt ; und
Prometheus duldet an den Felſen geſchmiedet .
Nachdem aus der Buͤchſe der Pandora ſich
das Ungluͤck uͤber die Menſchen verbreitet hatte ,
ſchickte Jupiter eine Suͤndfluth , welche das Men-
ſchengeſchlecht vollends vertilgte , ſo daß niemand
uͤbrig blieb , als ein einziges Paar , Deukalion ,
ein Sohn des Prometheus , und Pyrrha , eine
Tochter des Epimetheus , deren ſchwimmender Na-
chen , ſich auf dem Berge Parnaſſus niederließ ,
wo ein Orakel der Themis war , das ſie wegen
der Zukunft um Rath befragten .
Und das Orakel that den Ausſpruch , ſie ſoll-
ten , um die einſame Erde wieder zu bevoͤlkern ,
mit verhuͤlltem Antlitz , die Gebeine ihrer Mut-
ter hinter ſich werfen . Sie deuteten dieſen ge-
heimnißvollen Ausſpruch auf die Steine , welche
ſie als die harten und feſten Theile ihrer Mutter
Erde hinter ſich warfen , und gleichſam von der
wunderbaren neuen Bildung ehrfurchtsvoll ihre
Blicke wegwandten .
Und als ſie ſich umſahen , war aus den har-
ten Kieſelſteinen ein neues Geſchlecht der Men-
ſchen entſproſſen , deren harte Herzen keine Ge-
fahr und keine Drohung ſcheuen ; die kuͤhn das
Meer beſchiffen ; den wilden Stuͤrmen trotz bie-
ten , und in der blutigen Feldſchlacht dem Tod’ ins
Angeſicht ſehen .
Es iſt merkwuͤrdig , daß in dieſen alten Dich-
tungen der Urſprung der Menſchen immer ſchon
ihre Anlage zum Unbiegſamen , Harten und
Kriegeriſchen in ſich faßt . So mußte Kadmus in
dem einſamen Boͤotien , auf den Befehl der Goͤtter ,
die Zaͤhne des von ihm erlegten Drachen in die
Erde ſaͤen , um ſeine gefallenen Krieger zu erſetzen .
Und aus dieſer Saat des Kadmus keimten
geharniſchte Maͤnner auf , die ihre Schwerdter
gegen einander kehrten , und eher vom Streit
nicht ruhten , bis nur noch fuͤnfe von ihnen uͤbrig
waren , die dem Kadmus beiſtanden .
In dieſe Bilder huͤllte die Phantaſie der Al-
ten die Entſtehung der Menſchen ein , die im ewi-
gen Zwiſte mit ſich ſelber von außen oder von in-
nen , die Spitze ihrer inwohnenden Kraft gegen
ſich ſelber kehren , und gleichſam mit angeſtammter
Grauſamkeit , in ihr eigenes Eingeweide wuͤthen .
Die Qualen des Prometheus dauerten daher
ſo lange , bis ein Sterblicher durch Tapferkeit und
unuͤberwindlichen Muth ſich den Weg zur Unſterb-
lichkeit und zum Sitz der Goͤtter bahnte , und das
Menſchengeſchlecht mit dem Jupiter gleichſam wie-
der ausſoͤhnte . — Es iſt Herkules , Jupiters und
Alkmenens Sohn , der endlich mit ſeinen Pfeilen
den Geier toͤdtet , und mit Jupiters Einwilligung
den Prometheus von ſeiner langen Qual befreiet .
Allein die goldenen Jahre der Sterblichen
verſetzte die Phantaſie in jene Zeiten hin , wo
noch kein Jupiter mit dem Donner herrſchte , un-
ter die Regierung des Saturnus , wohin man ſich
alles laͤngſt Vergangene , die graue Vorzeit dach-
te , die zwar gleich dem Saturnus , der ſeine Kin-
der verſchlang , die voruͤberrollenden Jahre in Ver-
geſſenheit begrub , aber auch keine Spur von blu-
tigen Kriegen , zerſtoͤrten Staͤdten , und unter-
jochten Voͤlkern zuruͤckließ , welches den Hauptſtoff
der Geſchichte ausmacht , ſeitdem die Menſchen
anfingen , ihre Begebenheiten aufzuzeichnen .
Wie die Goͤtter lebten die Menſchen damals ,
als noch Freiheit und Gleichheit herrſchte , in Si-
cherheit , ohne Muͤhe und Sorgen ; und von den
Beſchwerlichkeiten des Alters unbedruͤckt . Die
Erde trug ihnen Fruͤchte , ohne muͤhſam bebaut zu
werden ; unwiſſend was Krankheit war , ſtarben
ſie , wie von ſanftem Schlummer uͤbermannt ;
und wenn der Schooß der Erde ihren Staub auf-
nahm , ſo wurden die Seelen der Abgeſchiedenen ,
in leichte Luft gehuͤllt , die Schutzgeiſter der Ueber-
lebenden .
So ſchildern die Dichter jene goldnen Zeiten ,
worauf die Phantaſie , von den geraͤuſchvollen
Scenen der geſchaͤftigen Welt ermuͤdet , ſo gern
verweilt . — Nachher aber wurden die Sterbli-
chen die Muͤhebeladenſten unter allen Geſchoͤpfen ,
und die Dichter ſchildern die Arbeit und Beſchwer-
den des kummervollen Lebens der Menſchen immer
im Gegenſatz gegen den ſorgenfreien Zuſtand der
ſeeligen Goͤtter .
Um die Fluͤchtigkeit und Vergaͤnglichkeit des
Lebens zu bezeichnen , wurde zum dankbaren An-
denken des Prometheus in Athen ein ſchoͤnes Feſt
gefeiert ; ihm war nemlich in einiger Entfernung
von der Stadt ein Altar errichtet , von welchem
man bis zur Stadt einen Wettlauf mit Fackeln
hielt . Wer mit brennender Fackel das Ziel er-
reichte , trug den Preis davon . Der erſte , deſſen
Fackel unterwegens ausloͤſchte , trat ſeine Stelle
dem Zweiten , dieſer die ſeinige dem Dritten ab ,
und ſo fort ; wenn alle Fackeln verloͤſchten , ſo
trug keiner den Sieg davon .
Die Alten liebten in ihren Dichtungen vor-
zuͤglich den tragiſchen Stoff , wozu das Verhaͤltniß
der Menſchen gegen die Goͤtter , ſo wie ſie es ſich
dachten , nicht wenig beitrug . Auf die armen
Sterblichen wird wenig Ruͤckſicht genommen ; ſie
ſind den Goͤttern oft ein Spiel : ihnen bleibt nichts
uͤbrig , als ſich der eiſernen Nothwendigkeit ,
und dem unwandelbaren Schickſal zu fuͤgen ,
deſſen Oberherrſchaft ſich uͤber Goͤtter und
Menſchen erſtreckt .
Die Nacht und das Fatum ,
das
uͤber Goͤtter und Menſchen herrſcht .
A ls Jupiter einſt auf den Gott des Schlafs er-
zuͤrnt war , ſo huͤllte dieſen die Nacht in ihren
Mantel , und Jupiter hielt ſeinen Zorn zuruͤck ,
denn er fuͤrchtete ſich , die ſchnelle Nacht zu
betruͤben .
Es giebt alſo etwas , wovor die Goͤtter ſelber
Scheu tragen . Es iſt das naͤchtliche geheimniß-
volle Dunkel , worin ſich noch etwas uͤber Goͤtter
und Menſchen Obwaltendes verhuͤllt , das die Be-
griffe der Sterblichen uͤberſteigt .
Die Nacht verbirgt , verhuͤllt ; darum iſt ſie
die Mutter alles Schoͤnen , ſo wie alles Furcht-
baren .
Aus ihrem Schooße wird des Tages Glanz
gebohren , worin alle Bildungen ſich entfalten .
Und ſie iſt auch die Mutter :
Des in Dunkel gehuͤllten Schickſals ;
Der unerbittlichen Parzen Lacheſis , Klotho
und Atropos ;
Der raͤchenden Nemeſis , die verborgene
Vergehungen ſtraft ;
Der Bruͤder Schlaf und Tod , wovon der
eine die Menſchen ſanft und milde beſucht , der
andre aber ein eiſernes Herz im Buſen traͤgt . —
Sie iſt ferner die Mutter der ganzen Schaar
der Traͤume ;
Der fabelhaften Hesperiden , welche an den
entfernteſten Ufern des Oceans die goldne Frucht
bewahren ;
Des Betruges , der ſich in Dunkel huͤllt ;
Der haͤmiſchen Tadelſucht ;
Des nagenden Kummers ;
Der Muͤhe , welche das Ende wuͤnſcht ;
Des Hungers ;
Des verderblichen Krieges ;
Der Zweideutigkeiten im Reden , und
Des Meineides .
Alle dieſe Geburten der Nacht ſind dasjenige ,
was ſich entweder dem Blick der Sterblichen ent-
zieht , oder was die Phantaſie ſelbſt gern in naͤcht-
liches Dunkel huͤllt .
Eine hier beigefuͤgte Abbildung der Nacht , wie
ſie den Tod und den Schlaf in ihren Mantel huͤllt ,
und aus einer Felſengrotte zu ihren Fuͤßen , die
phantaſtiſchen Geſtalten der Traͤume hervorbli-
cken , iſt von dem neuern Kuͤnſtler , der die Um-
riſſe zu dieſem Werk gezeichnet , nach einer Be-
ſchreibung des Pauſanias entworfen .
Pauſanias erzaͤhlt nemlich , daß er auf dem
Kaſten des Cypſelus auf der einen Seite deſſelben ,
die Nacht in weiblicher Geſtalt abgebildet geſehen ,
wie ſie zwei Knaben mit verſchraͤnkten , oder uͤber
einander geſchlagenen Fuͤßen in ihren beiden Armen
hielt , wovon der eine weiß , der andre ſchwarz
war ; der eine ſchlief , der andere zu ſchlafen
ſchien .
In der hier beigefuͤgten Abbildung iſt der
Tod durch eine umgekehrte Fackel und der Schlaf
durch einen Mohnſtengel bezeichnet . Die Nacht
ſelbſt iſt , als die fruchtbare Gebaͤhrerin aller Din-
ge in jugendlicher Kraft und Schoͤnheit dargeſtellt .
So iſt ſie auch auf einer antiken Gemme , de-
ren Umriß ebenfalls hier beigefuͤgt iſt , abgebildet ,
wie ſie unter dem umſchattenden Wipfel eines
Baumes , dem Morpheus und ſeinen Bruͤdern
Mohn austheilet . Der bildende Traumgott Mor-
pheus , ein Sohn des Schlafs , ſteht in ſchoͤner
jugendlicher Geſtalt vor ihr , und empfaͤngt den
Mohn aus ihren Haͤnden , indeß die Bruͤder des
Morpheus , ebenfals Goͤtter der Traͤume und Kin-
der des Schlafes , hinter ihr gebuͤckt gehen , um
die uͤbrigen von ihr ausgeſtreueten Mohnſtengel
aufzuleſen .
Man ſieht , wie die Alten das Dunkle und
Furchtbare in reitzende Bilder einkleideten ; und
wie ſie demohngeachtet fuͤr das hoͤchſte Tragiſche
empfaͤnglich waren , indem ſie ſich unter dem von
der Nacht gebohrnen unvermeidlichen Schickſal
oder dem Fatum das Hoͤhere Obwaltende dach-
ten , deſſen altes Reich , und deſſen dunkle Plaͤne
weit außer dem menſchlichen Geſichtskreiſe liegen ;
Deſſen Spuren man in dem vielfaͤltigen Jam-
mer laß , der die Menſchheit druͤckt ; indem man
das Unbekannte ahndete , unter deſſen Macht
die untergeordneten Kraͤfte ſich beugen muͤſſen
und ein wunderbares Gefallen ſelbſt an der Da-
ſtellung ſchrecklicher Ereigniſſe , und verwuͤſten
Zerſtoͤrung fand , indem die Einbildungskraft n
Vergnuͤgen ſich in das Gebiet der Nacht und
oͤden Schattenwelt verirrte .
Demohngeachtet ſtellt ſich uns in den ſchoͤn en
Dichtungen der Alten kein einziges ganz haſſen s
und verabſcheuungswuͤrdiges Weſen dar . — Die
unerbittlichen Parzen , welche die Nacht gebohren
hat , und ſelbſt die raͤcheriſchen Furien , ſind im-
mer noch ein Gegenſtand der Verehrung der
Sterblichen .
Selbſt die Sorgen und der druͤckende Kum-
mer gehoͤren in der Vorſtellungsart der Alten mit
zu dem Gebiet des dunkeln Obwaltenden , daß die
ſtolzen Wuͤnſche der Sterblichen hemmt , und dem
Endlichen ſeine Grenzen vorſchreibt .
Alle dieſe furchtbaren Dinge treten mit in der
Reihe der Goͤttergeſtalten auf , und werden nicht
als ausgeſchloſſen gedacht , weil ſie ſich in dem
nothwendigen Zuſammenhange der Dinge
mit befinden .
Dieſer nothwendige Zuſammenhang der Din-
ge oder die Nothwendigkeit ſelber , welche die
Griechen Eimarmene nannten , war eben jene
in furchtbares Dunkel gehuͤllte Gottheit , welche
mit unſichtbarem Scepter alle uͤbrigen beherrſchte
und deren Dienerinnen die unerbittlichen Parzen
w aren .
Klotho haͤlt den Rocken , Lacheſis ſpinnt
d en Lebensfaden , und Atropos mit der furchtba-
en Scheere ſchneidet ihn ab .
Die Parzen bezeichnen die furchtbare , ſchreck-
che Macht , der ſelbſt die Goͤtter unterworfen
ſind , und ſind doch weiblich und ſchoͤn gebildet ,
ſpinnend , und in den Geſang der Sirenen ſtim-
mend .
Alles iſt leicht und zart bei der unbegrenz-
ten hoͤchſten Macht . Nichts Beſchwerliches , Un-
behuͤlfliches findet hier mehr ſtatt ; aller Wider-
ſtand des Maͤchtigern erreicht auf dieſem Gipfel
ſeine Endſchaft .
Es bedarf nur der leichteſten Beruͤhrung mit
den Fingerſpitzen , um den Umwaͤlzungen der Din-
ge ihre Bahnen , dem Maͤchtigen ſeine Schran-
ken vorzuſchreiben . Es iſt die leichteſte Arbeit
von weiblichen Haͤnden , wodurch der geheim-
nißvolle Umlauf der Dinge gelenkt wird .
Das ſchoͤne Bild von dem zart geſponnenen ,
mit der leichteſten Muͤhe zerſchnittenen Lebensfa-
den iſt durch kein andres zu erſetzen . — Der Fa-
den reißt nicht , ſondern wird abſichtlich von der
Hand der Parze mit dem trennenden Eiſen durch-
ſchnitten . — Die Urſache des Aufhoͤrens liegt in
der Willkuͤr der hoͤhern Maͤchte , bei denen das
ſchon feſt beſchloſſen iſt , was Goͤtter und Men-
ſchen noch zu bewirken oder zu verhindern ſich be-
muͤhen .
Vergeblich wuͤnſcht Jupiter , dem Fatum zuwi-
der , ſeinem Sohne Sarpedon im Treffen vor
Troja , das Leben zu erhalten . Weh mir , ruft
er aus , daß mein Sarpedon jetzt , nach dem
Schluß des Schickſals , durch die Hand des
Patroklus fallen muß ! und ob er nun gleich dem
Fatum zuwider ihn gerne retten moͤchte ; ſo muß
es ſich doch ſo fuͤgen , daß er auf den Rath der
Juno , ihn erſt durch die Hand des Patroklus fal-
len laͤßt , und ihn dann dem Tode und dem ſuͤßen
Schlummer uͤbergiebt , die ihn in ſeine Heimath
D
bringen , wo ſeine Freunde und Bruͤder ihn
beweinen .
Dem Ulyſſes iſt vom Schickſal beſtimmt , nach
der Zerſtoͤrung von Troja zehn Jahre umher zu
irren , und ohne ſeine Gefaͤhrten , nach vielen Kum-
mer , in ſeine Heimath wieder zuruͤckzukehren . —
Und gerade da , wo alles am angenehmſten und
einladendſten ſcheinet , lauert immer die meiſte Ge-
fahr ; wie in dem ruhigen Hafen der Laͤſtrigonen ;
bei dem Geſange der Sirenen , und beim Zauber-
trank der Circe . —
Ulyſſes mag das Ziel ſeiner Wuͤnſche noch ſo
nahe vor ſich ſehen , ſo wird er doch immer wieder
weit davon verſchlagen ; ſeine Thraͤnen und ſeine
heißeſten Wuͤnſche ſind vergebens , — bis endlich ,
da es das Schickſal will , die Phaͤazier , auf
ihrem Schiffe , ihn ſchlafend in ſeine Heimath
bringen .
An die Vorſtellung von den Parzen ſchloß ſich
in der Phantaſie der Alten das Bild von den raͤ-
cheriſchen Furien an , und dieſe beiden Dichtungen
gehen zuweilen unmerklich ineinander uͤber .
Auch die quaͤlenden Furien ſind furchtbare ,
ſchreckliche und dennoch verehrte geheimnißvolle
Weſen ; aus den Blutstropfen , welche bei der
erſten Gewaltthaͤtigkeit , bei der Entmannung des
Uranos die Erde auffing , erzeugt ; mit Schlan-
genhaaren , und Dolchen in den Haͤnden ; uner-
bittliche Goͤttinnen , den Frevel und das Unrecht
zu ſtrafen .
In aͤhnlicher Geſtalt , wie die erſte Figur ,
nach einem antiken geſchnittenen Steine aus der
Stoſchiſchen Sammlung , auf der hier beigefuͤg-
ten Kupfertafel , mit dem Dolch und fliegendem
Haar , ſcheint man ſich zuweilen dasjenige gedacht
zu haben , w a s man das feindſeelige Schickſal ,
oder das ſchwarze Verhaͤngniß nannte , und
womit man den erhabenen Begriff der Nothwen-
digkeit noch nicht verknuͤpfte , in welchem ſich al-
les in Harmonie aufloͤßt , und das Schreckenvolle
verſchwindet .
Lacheſis , diejenige von den Parzen , welche
den Faden ſpinnt , und irgendwo die ſchoͤne Toch-
ter der Nothwendigkeit genannt wird , iſt hier ,
ebenfalls nach einem geſchnittenen Steine aus der
Stoſchiſchen Sammlung , in jugendlicher Schoͤn-
heit abgebildet , ſitzend und ſpinnend , einen Ro-
cken vor , den andern hinter ſich , und zu ihren
Fuͤßen eine komiſche und eine tragiſche
Maske .
Da man ſelten Abbildungen von den Parzen
findet , ſo hat dieß Denkmal aus dem Alterthum
einen deſto groͤßern Werth ; und das Bedeutende
in dieſer Darſtellung macht daſſelbe doppelt anzie-
hend . Die tragiſche und komiſche Maske zu den
Fuͤßen der Parze iſt eine der gluͤcklichſten Anſpie-
D 2
lungen auf das Leben , wenn man einen Blick
auf daſſelbe mit allen ſeinen ernſten und
komiſchen Scenen wirft , wozu der zarte jung-
fraͤuliche Finger der hohen Schickſalsgoͤttin den
Faden drehet , indem die einen ihr nicht wichti-
ger als die andern ſind .
Auf eine aͤhnliche Weiſe , in ruhiger Stellung ,
ſich auf eine Saͤule ſtuͤtzend , in der Linken den
Rocken ſorglos haltend , und gleichſam mit dem
Schickſalsfaden ſpielend , iſt die Parze noch
einmal auf einem andern geſchnittenen Steine in
der Stoſchiſchen Sammlung abgebildet , wovon
der Umriß ebenfalls hier beigefuͤgt iſt .
Dieſe ruhige Stellung der hohen Schickſals-
goͤttin , womit ſie auf die weitausſehenden Plane
gleichſam laͤchelnd herabſieht , iſt eine vorzuͤglich
ſchoͤne Idee des alten Kuͤnſtlers , von dem ſich dieſe
Bildung herſchreibt . — Waͤhrend daß Goͤtter
ihre ganze Macht , und Sterbliche alle ihre Kraͤfte
aufbieten , um ihre Endzwecke und Abſichten durch-
zuſetzen , haͤlt die hohe Goͤttin , ſpielend den Faden
in der Hand , an welchem ſie die Umwaͤlzungen
der Dinge , und die ſtolzeſten Entwuͤrfe der Koͤni-
ge lenkt . —
Die alten Goͤtter .
D ie Scheidung zwiſchen den alten und neuen
Goͤttern giebt den mythologiſchen Dichtungen ei-
nen vorzuͤglichen Reitz . Die alten Gottheiten
ſind , wie wir ſchon bemerkt haben , gleichſam in
Nebel zuruͤck getreten , woraus ſie nur noch ſchwach
hervorſchimmern , indeß die neuen Goͤtter in dem
Gebiete der Phantaſie ihren Platz behaupten , und
durch die bildende Kunſt beſtimmte Formen erhal-
ten , in welche ſich die verkoͤrperte Macht und Ho-
heit kleidet , und ein Gegenſtand der Verehrung
der Sterblichen in Tempeln und heiligen Hainen
wird .
Durch die alten Gottheiten aber ſind die
neuen gleichſam vorgebildet . — Das Erhabene
und Goͤttliche , was immer ſchon da war ,
laͤtzt die Phantaſie in erneuerter und jugendlicher
Geſtalt , von unſterblichen oder von ſterblichen
Muͤttern , wieder gebohren werden , und giebt
ihm Geſchlechtsfolge , Nahmen und Geburtsort ,
um es naͤher mit den Begriffen der Sterblichen
zu vereinen , und mit ihren Schickſalen zu ver-
weben .
Weil demohngeachtet aber die Phantaſie ſich
an keine beſtimmte Folge ihrer Erſcheinungen bin-
det , ſo iſt oft eine und dieſelbe Gottheit , unter
verſchiedenen Geſtalten , mehrmal da . Denn die
Begriffe vom Goͤttlichen und Erhabenen waren
immer ; allein ſie huͤllten ſich von Zeit zu Zeit in
menſchliche Geſchichten ein , die ſich , ihrer Aehn-
lichkeit wegen , ineinander verlohren , und laby-
rintiſch verflochten haben ; ſo daß in dem Zauber-
ſpiegel der dunkeln Vorzeit , faſt alle Goͤtterge-
ſtalten , gleichſam im vergroͤßernden Wider-
ſcheine , ſich noch einmal darſtellen ; welches
die Dichter wohl genutzt haben , deren Einbildungs-
kraft , durch den Reitz des Fabelhaften in dieſer
dunkeln Verwebung mehrerer Geſchichten , einen
deſto freiern Spielraum fand .
Amor .
Iſt der aͤlteſte unter den Goͤttern . Er war
vor allen Erzeugungen da , und regte zuerſt
das unfruchtbare Chaos an , daß es die Finſter-
niß gebahr , woraus der Aether und der Tag her-
vorging .
Der komiſche Dichter Ariſtophanes fuͤhrt dieſe
alte Dichtung ſcherzend an , indem er die Voͤgel
redend einfuͤhrt , wie ſie alle den geheimnißvollen
urſpruͤnglichen Weſen Fluͤgel beilegen , um ſie
dadurch ſich aͤhnlich zu bilden , und ihren eigenen
erhabenen Urſprung in ihnen wieder zu finden .
Sie laſſen daher den Amor ſelbſt ehe er das
Chaos befruchtet , aus einem Ei hervorgehen .
Die ſchwarzgefluͤgelte Nacht , heißt es , brachte
das erſte Ei in dem weiten Schooße des Erebus
hervor , aus dem nach einiger Zeit der reitzende
Amor , mit goldenen Fluͤgeln verſehen , hervor-
kam , und indem er ſich mit dem gefluͤgelten
Chaos vermaͤhlte , zuerſt das Geſchlecht der Voͤgel
erzeugte .
Man ſieht alſo , daß dieſe Dichtungen , von
den komiſchen Dichtern eben ſowohl ſcherzhaft , als
von den tragiſchen Dichtern tragiſch genommen
wurden ; weil man ſie einmal als eine Sprache
der Phantaſie betrachtete , worin ſich Gedanken
jeder Art huͤllen ließen , und ſelbſt die gewoͤhnlich-
ſten Dinge einen neuen Glanz und eine bluͤhende
Farbe erhielten .
Die Dichtung vom Amor bleibt auch ſelber
noch in der ſcherzhaften Einkleidung des komiſchen
Dichters ſchoͤn . — Dieſer aͤlteſte Amor iſt vorzuͤg-
lich der erhabene Begriff von der alles erregenden
und befruchtenden Liebe ſelber . — Unter den
neuen Goͤttern wird Amor von der Venus ge-
bohren , und Mars iſt ſein Erzeuger . — Es iſt
der gefluͤgelte Knabe mit Pfeil und Bogen . —
Die Wirkung von ſeinem Geſchoß ſind die ſchmer-
zenden Wunden der Liebe — und ſeine Macht iſt
Goͤttern und Menſchen furchtbar .
Die himmliſche Venus .
Sie iſt das erſte Schoͤne , was ſich aus Streit
und Empoͤrung der urſpruͤnglichen Weſen gegen
einander entwickelt und gebildet hat . — Saturnus
entmannet den Uranos . Die dem Uranos entnom-
mene Zeugungskraft befruchtet das Meer ; und aus
dem Schaume der Meereswellen ſteigt Aphrodite ,
die Goͤttin der Liebe , empor . In ihr bildet ſich die
himmliſche Zeugungskraft zu dem vollkommenen
Schoͤnen , das alle Weſen beherrſcht , und welchem
von Goͤttern und Menſchen gehuldigt wird .
Unter den neuen Goͤttern iſt Venus eine
Tochter des Jupiter , die er mit der Dione einer
Tochter des Aether erzeugte . — Sie traͤgt unter
den Goͤttinnen den Preis der Schoͤnheit davon . —
Sie iſt mit dem Vulkan vermaͤhlt , und pflegt mit
dem Mars , dem rauhen Kriegsgott , verſtohlner
Liebe .
Die Vorſtellungen von den Goͤttern ſind er-
habener , je dunkler und unbeſtimmter ſie ſind ,
und je weiter ſie in das Alterthum zuruͤcktreten ;
ſie werden aber immer reitzender und mannichfal-
tiger je naͤher das Goͤttliche mit dem Menſchlichen
ſich verknuͤpft ; und jene erhabenen Vorſtellungen
ſchimmern dennoch immer durch , weil die Phan-
taſie die Zartheit nnd Bildſamkeit des Neuen mit
der Hoheit des Alten wieder uͤberkleidet .
Aurora .
Hyperion , ein Sohn des Himmels und der
Erde , erzeugte mit der Thia , einer Tochter des
Himmels , die Aurora , den Helios , und die
Selene . Anſtatt des Helios und der Selene tre-
ten unter den neuen Goͤttern Apoll und Diana
auf . Aurora aber ſchimmert , ſelbſt unter den neu-
en Gottheiten , in urſpruͤnglicher Schoͤnheit und
Jugend hervor .
Sie vermaͤhlt ſich mit dem Aſtraͤus aus dem
Titanengeſchlechte , einem Sohne des Krius ,
und gebiehrt die ſtarken Winde , und den Mor-
genſtern . — Man ſiehet , daß ſie zu den alten
Goͤttergeſtalten gehoͤrt , die eigentlich als erhabene
Naturerſcheinungen betrachtet wurden , und
welche die Einbildungskraft nur gleichſam mit we-
nigen großen Umriſſen , als zu Perſonen gebil-
dete Weſen darſtellte . — Sie erſcheint in der
Fruͤhe , aus der dunkeln Luft , mit Roſenfingern den
Schleier der Nacht aufhebend , und leuchtet den
Sterblichen eine Weile , und verſchwindet wieder
vor dem Glanz des Tages .
Helios .
Der Lenker des Sonnenwagens iſt ebenfalls
eine von den Goͤttergeſtalten , die nur durch we-
nige große Umriſſe , als zu Perſonen gebildete
Weſen dargeſtellt ſind . Denn es iſt immer die
leuchtende Sonne ſelbſt , welche in den Bildern
vom Helios durchſchimmert .
Das Haupt des Helios iſt mit Strahlen um-
geben . Er leuchtet den ſterblichen Menſchen und
den unſterblichen Goͤttern . Er ſiehet und hoͤret
alles , und entdeckt das Verborgene . Ihm waren
auf der Inſel Sicilien die feiſten Rinder heilig , die
ohne Hirten weideten , und an denen er ſich ergoͤtz-
te , ſo oft er am Himmel aufging und unterging .
Als die Gefaͤhrten des Ulyſſes einige dieſer
Rinder geſchlachtet hatten ſo drohte der Sonnen-
gott , daß er in den Orkus hinabſteigen , und
unter den Todten leuchten wolle , wenn Jupi-
ter den Frevel nicht raͤchte . Und Jupiter zer-
ſchmetterte bald das Schiff des Ulyſſes , deſſen Ge-
faͤhrten alle ein Raub der Wellen wurden .
Zuweilen fuͤhrt der Sonnengott auch von den
Titanen , aus deren Geſchlechte er war , den Nah-
men Titan ; und von ſeinem Erzeuger , mit dem
er in den alten Dichtungen zuweilen verwechſelt
wird ; den Nahmen Hyperion , der das Hohe
und Erhabene bezeichnet .
Unter den neuen Goͤttern heißt der Lenker
des Sonnenwagens Apollo , und iſt ein Sohn
Jupiters , der ihn und die Diana mit der Latona
erzeugte , die aus dem Titanengeſchlechte eine Toch-
ter des Coͤus und der Phoͤbe war .
Dieſer Apollo iſt eine bis auf die feinſten Zuͤge
ausgebildete Goͤttergeſtalt , von der Phantaſie
mit dem Reitze ewiger Jugend und Schoͤnheit ge-
ſchmuͤckt ; der fernhintreffende Gott , den ſilbernen
Bogen ſpannend , und der Vater der Dichter , die
goldne Zitter ſchlagend .
Da nun Apollo nicht zu gleicher Zeit auf Er-
den der Gott der Dichtkunſt und der Tonkunſt
ſeyn , die Goͤtter im Olymp mit Saitenſpiel und
Geſang ergoͤtzen , und auch den Sonnenwagen len-
ken kann ; ſo ſcheint es , als habe die Phantaſie
der Dichter , den Apollo und Helios ſich zu einem
Weſen gebildet , daß ſich gleichſam in ſich ſelbſt
verjuͤngt , indem es im Himmel als leuchtende
Sonne von Alters her auf und untergeht , und
auf Erden in jugendlicher Schoͤnheit , neu ge-
bohren , wandelnd , mit goldenen Locken , ein
unſterblicher Juͤngling , die Herzen der Goͤtter und
Menſchen mit Saitenſpiel und Geſang erfreuet .
Selene .
Das Geſchaͤft der Selene oder der Luna , eben-
falls einer Tochter des Hyperion , iſt , mit ihrem
ſanften Scheine die Nacht zu erleuchten . — Un-
ter den neuen Gottheiten heißt diejenige , welche
den Wagen des Mondes lenkt , Diana , und iſt
eine Tochter des Jupiter , die er , ſo wie den Apollo ,
mit der Latona erzeugte .
Diana iſt gleich dem Apoll mit Koͤcher und
Bogen abgebildet ; denn ſie iſt zugleich die Goͤttin
der Jagd . In ihr hat ſich die Tochter Hype-
rions verjuͤngt , mit der ſie , ſo wie Apollo mit
dem Helios , gleichſam ein Weſen ausmacht ; in-
dem ſie am Himmel von Alters her , als Luna ,
allnaͤchtlich den Wagen des Mondes lenkt , und
auf Erden in jugendlicher Schoͤnheit neu geboh-
ren , von ihren Nymphen begleitet , mit Koͤcher
und Bogen einhergeht , und in den Waͤldern ſich
mit der Jagd ergoͤtzt .
So wie Selene und Helios , von dem Titanen
Hyperion , ſind Apollo und Diana , vom Jupiter
erzeugt , der die Titanen verdraͤngt hat , und von
dem ſich nun die Reihe der neuen Goͤttererzeugun-
gen herſchreibt , weswegen er der Vater der
Goͤtter heißt .
Hekate .
Der Titane Coͤus erzeugte mit der Phoͤbe ,
einer Tochter des Himmels , außer der Latona auch
die Aſteria . Dieſe vermaͤhlte ſich mit dem Per-
ſes einem Sohne des Titanen Krius , und ge-
bahr ihm die Hakate , welche , obgleich aus dem
Geſchlecht der Titanen entſproſſen , vom Jupiter
vorzuͤglich geehrt wurde .
Denn ſie gehoͤrt zu den naͤchtlichen geheim-
nißvollen Weſen , deren Macht ſich weit erſtreckt .
Sie iſt zugleich eine Art von Schickſalsgoͤttin , in
deren Haͤnden das Loos des Menſchen ſteht ; ſie
theilt nach Gefallen Sieg und Ruhm aus ; ſie
herrſcht uͤber Erde , Meer , und Luͤfte ; den neu-
gebohrnen Kindern giebt ſie Wachsthum und Ge-
deihen ; und alle verborgenen Zauberkraͤfte ſtehen
ihr zu Gebote .
Auch dieſe alte geheimnißvolle Gottheit laͤßt
die Phantaſie in der Geſtalt der naͤchtlichleuch-
tenden Diana ſich verjuͤngen , und mit dieſer
gleichſam neu wieder gebohren werden . — Die
neue Gottheit , worauf Gedanke und Einbildung
einmal haftet , zieht das Aehnliche und Verwand-
te in ſich hinuͤber , und uͤberformt es in ſich .
Oceanus .
Ein Sohn des Himmels und der Erde , ver-
maͤhlte ſich mit der Tethys , einer Tochter des Him-
mels , und erzeugte die Fluͤſſe und Quellen . Er
nahm an dem Goͤtterkriege keinen Antheil ; dem-
ohngeachtet aber iſt er unter die alten Gottheiten
zuruͤckgewichen , die durch die Verehrung der neuen
Goͤtter gleichſam in Schatten geſtellt ſind .
Denn als Jupiter die Titanen beſiegt hatte ,
ſo theilte er ſich mit ſeinen Bruͤdern , dem Neptun
und Pluto , in die Oberherrſchaft , ſo daß Jupiter
den Himmel , Neptun das Meer , und Pluto
die Unterwelt beherrſchte .
Neptun iſt alſo der Koͤnig uͤber die Gewaͤſſer ,
und des Oceanus wird ſelten mehr gedacht ; ob-
gleich die aͤußerſten Grenzen der Erde , da wo nach
der alten Vorſtellungsart , die Sonne ins Meer
ſank , das eigentliche Gebiet des alten Oceanus
ſind , das aber gleichſam zu entfernt liegt , als daß
die Phantaſie darauf haͤtte haften koͤnnen .
Neptun hingegen bezeichnet die Meeresflu-
then , in ſo fern ſie mit Schiffen befahren werden ,
und er entweder Stuͤrme erregt , oder mit ſeinem
maͤchtigen Dreizack die Meereswogen baͤndigt .
Darum wurden ihm allenthalben Tempel erbaut ,
Altaͤre geweiht , und Opfer dargebracht .
Als Juno einſt , bei dem Kriege vor Troja , um
den Jupiter zu uͤberliſten , ſich den Liebeeinfloͤßen-
den Guͤrtel der Venus erbat , ſo that ſie es unter
dem Vorwande , ſie wolle ſich dieſes Guͤrtels be-
dienen , um an den Grenzen der Erde , bei dem
Oceanus und der Tethys , von denen ſie zu der
Zeit des Saturnus liebevoll gepflegt und erzogen
ſey , einen alten Zwiſt , wodurch dies Goͤtterpaar
ſchon lange entzweiet waͤre , beizulegen . —
Dieſe beiden alten Gottheiten werden alſo wie
ganz entfernt von der Regierung und den Geſchaͤf-
ten der neuen Goͤtter dargeſtellt ; und ihrer nur ge-
dacht , indem ihre alten Zwiſte der Juno zum
Vorwande dienen , den Guͤrtel der Venus zu er-
halten , womit ſie den Jupiter uͤberliſten will .
Die Oceaniden .
Die Soͤhne und Toͤchter des Oceanus ſind
die Fluͤſſe und Quellen . Die Toͤchter des Oceans
werden von dem erſten tragiſchen Dichter der
Griechen aufgefuͤhrt , wie ſie den Prometheus ,
der an den Felſen geſchmiedet iſt , beklagen , und
uͤber die Tyrannei des neuen Herrſchers der Goͤt-
ter mit ihm ſeufzen .
Metis .
Eine Tochter des Oceans vermaͤhlte ſich mit
dem Jupiter ; allein ſie ward ihm furchtbar , weil
ſie einen Sohn gebaͤhren ſollte , der uͤber alle Goͤt-
ter herrſchen wuͤrde . — Jupiter zog ſie in ſich hin-
uͤber und gebahr ſelbſt von ihr die Minerva aus
ſeinem Haupte .
Eurynome .
Eine Tochter des Oceans vermaͤhlte ſich eben-
falls mit dem Jupiter , und gebahr ihm die Gra-
zien Aglaja , Thalia , und Euphroſine , de-
ren Augen Liebe einfloͤßen , und die freundlich un-
ter den Augenbraunen hervorblicken .
Styx .
Die geehrteſte unter den Toͤchtern des Oce-
ans , die mit dem Pallas aus dem Titanenge-
ſchlechte , einem Sohne des Krius ſich vermaͤhlte ,
und ihm die maͤchtigen Soͤhne , Kampf und Sieg ,
Gewalt und Staͤrke gebahr .
Auf den Rath ihres Erzeugers ging die Styx
mit ihren Soͤhnen , in dem Goͤtterkriege , zu dem
Jupiter uͤber ; und ſeit der Zeit haben ihre Soͤhne
beſtaͤndig beim Jupiter ihren Sitz .
Gewalt und Staͤrke mußten auf den Be-
fehl des Jupiter den Prometheus zu dem Felſen
fuͤhren , woran er geſchmiedet wurde . Jupiter
ſiegte mit Liſt uͤber die Titanen , indem er die
ſtaͤrkſten von ihnen zu ſeiner Parthei zu ziehen
wußte .
Die drei Soͤhne des Titanen Krius , Pallas
mit der Styx , Perſes mit der Aſteria der Mut-
ter der Hekate , und Aſtraͤus mit der Aurora
vermaͤhlt , treten in Dunkel zuruͤck , und die
folgenden Dichtungen ſcheinen vorauszuſetzen ,
daß ſie in dem Goͤtterkriege , gegen den Jupiter
geſtritten , und mit ihrem Erzeuger und den uͤbri-
gen Titanen in den Tartarus geſchleudert ſind .
Bei dieſen Titanen im Tartarus und bei der
furchtbaren Styx , dem unterirdiſchen Quell , deſſen
Waſſer im naͤchtlichen Dunkel vom hoch ſich woͤl-
benden Felſen traͤufelt , und den Fluß bildet , uͤber
welchen keine Ruͤckkehr ſtatt findet , ſchwoͤren die
Goͤtter den ſchrecklichen unverletzlichen Schwur ,
von deſſen Banden keine Macht im Himmel und
auf Erden befreien kann .
Die hohen Goͤtter koͤnnen nur bei dem Tiefen
ſchwoͤren , wo Nacht und Finſterniß herrſcht , wo aber
auch zugleich die Grundfeſte der Dinge iſt , auf
der die Erhaltung des Daſeyns aller Weſen beruht .
Denn da , wo ſich die ſchwarze Styx ergießt ,
iſt der finſtre Tartarus mit eherner Mauer um-
ſchloſſen , und von dreifacher Nacht umgeben .
Hier iſt es , wo die Titanen im dunkeln Kerker
ſitzen . Hier ſind aber auch zugleich nach der alten
Dichtung die Grundſaͤulen der Erde , des Meeres
und des geſtirnten Himmels .
Hier an den entfernten Ufern des Oceans iſt
auch die unaufhoͤrlich mit ſchwarzen Wolken bedeckte
Wohnung der Nacht ; und Atlas der Sohn des
Japet ſteht davor , mit unermuͤdetem Haupt und
Haͤnden die Laſt des Himmels tragend . Da , wo
Tag und Nacht einander ſich ſtets begegnen , und
niemals beiſammen wohnen .
E
Hier war es auch , wo Kottus , Gyges , und
Briareus in den Tiefen des Oceans ihre Behau-
ſung hatten , und den Eingang zu dem Kerker der
Titanen bewachten .
Mnemoſyne .
Auch dieſe ſchoͤne Bildung der Phantaſie ge-
hoͤrt zu den alten Gottheiten ; denn ſie iſt eine
Tochter des Himmels und der Erde . Ihr ſchoͤ-
ner Nahme bezeichnet das Denkende , ſich Zuruͤck-
erinnernde , welches in ihr aus der Vermaͤhlung
des Himmels mit der Erde entſtand . — Sie blieb
jungfraͤulich unter den Titanen , bis Jupiter ſich
mit ihr vermaͤhlte , und die Muſen mit ihr er-
zeugte , die den Schatz des Wiſſens unter ſich
theilten , den ihre erhabene Mutter vereint beſaß .
Themis .
Auch dieſe war eine Tochter des Himmels und
der Erde , welche Prometheus bei dem tragiſchen
Dichter , der ihn leidend darſtellt , ſeine Mutter
nennt , die ihm , wie auch die Erde , als eine Ge-
ſtalt unter vielen Nahmen , die Zukunft weis-
ſagte .
Wir haben ſchon bemerkt , daß die alten Goͤt-
ter noch durch Rath und Weißagung Einfluß hat-
ten . Die Erde ſelber war das aͤlteſte Orakel , und
an dieſe ſchloß ſich am naͤchſten die Themis an ,
welche nach der Ueberſchwemmung der Erde , dem
Deukalion und der Pyrrha , auf dem Parnaß ,
den ſchon angefuͤhrten Orakelſpruch ertheilte , ſie
ſollten , um das Menſchengeſchlecht wieder herzu-
ſtellen , die Gebeine ihrer Mutter mit verhuͤlltem
Antlitz hinter ſich werfen .
Die Themis lehrte den Prometheus in die
Zukunft blicken , und da die Titanen in dem Goͤt-
terkriege ſeinem Rath nicht folgten , ſo ging er mit
ihr zum Jupiter uͤber , dem er durch klugen Rath
die Titanen beſiegen half , wofuͤr dieſer ihn nach-
her mit Schmach und Pein belohnte .
Mit der Themis aber vermaͤhlte ſich Jupiter ,
und erzeugte mit ihr die Eunomia , Dice , nnd
Irene , welche auch Horen genannt wurden ;
Goͤttinnen der Eintracht befoͤrdernden Gerechtig-
keit und Gefaͤhrtinnen der Grazien , welche eben-
falls Toͤchter des Jupiter , Hand in Hand ge-
ſchlungen , ein ſchoͤnes Sinnbild wohlwollender
Freundſchaft ſind .
Themis ſelber behauptet auch unter den neuen
Gottheiten , als die Goͤttin der Gerechtigkeit
ihren Platz . So wie ſie dem Prometheus die
Zukunft enthuͤllte , nahm ſie ſich auch der Men-
ſchen an , die ſein Werk waren , und durch die
Befolgung ihres Orakelſpruchs nach der Deukalio-
E 2
niſchen Ueberſchwemmung , aufs neue aus har-
ten Steinen wieder gebildet wurden . — Auch
erwaͤhnen die alten Dichtungen der Aſtraͤa einer
Tochter der Themis , die von den Schutzgoͤttinnen
der Sterblichen am laͤngſten bei ihnen verweilte ,
bis ſie zuletzt gen Himmel entfloh , da der Frevel
der Menſchen uͤberhand nahm , und weder Ge-
rechtigkeit noch Scheu mehr galt .
Weil die Themis dem Jupiter die Zukunft
oder den Schluß des Schickſals enthuͤllte , ſo laͤßt
eine beſondere Dichtung auch die Parzen Lacheſis ,
Klotho und Atropos , die Toͤchter der alten Nacht ,
vom Jupiter wieder erzeugt , und von der Themis
gebohren worden . Die Parzen ſind alſo in dieſen
Dichtungen eine doppelte Erſcheinung , einmal als
Toͤchter der alten Nacht und als Dienerinnen des
Schickſals , uͤber den Jupiter weit erhaben ; und
dann als Toͤchter des Jupiter , die nach dem
Willen des Schickſals , ſeine Rathſchluͤſſe voll-
ziehen .
Die doppelten Erſcheinungen der Goͤtter-
geſtalten , ſind in dieſem traumaͤhnlichen Gewebe
der Phantaſie nicht ſelten ; was vor dem Jupiter
da war , wird , da der Lauf der Zeiten mit ihm
aufs neue beginnt , noch einmal wieder von ihm
erzeugt , um ſeine Macht zu verherrlichen , und
ihn zum Vater der Goͤtter zu erheben . — Die
Dichter haben von jeher das Schwankende in die-
ſen Dichtungen zu ihrem Vortheil benutzt , und
ſich ihrer als einer hoͤhern Sprache bedient , um
das Erhabene anzudeuten , was oft vor den trun-
kenen Sinnen ſchwebt , und der Gedanke nicht faſ-
ſen kann .
Pontus .
Die Erde erzeugte aus ſich ſelber den Uranos
oder den Himmel , der ſie umwoͤlbet ; die hohen
Berge mit ihren waldigten Gipfeln ; und den
Pontus oder das unfruchtbare Meer ; hierauf
gebahr ſie erſt , indem ſie ſich mit dem Himmel
vermaͤhlte den entfernten grundloſen Ocean .
Den Pontus oder das mittellaͤndiſche be-
kannte befahrne Meer , traͤgt die Erde , ſo wie die
Berge , gleichſam in ihrem Schooße , das heißt in
dieſer Dichtung , ſie hat dieſe großen Erſcheinungen
aus ſich ſelbſt erzeugt ; und aus den aufſteigenden
Nebelduͤnſten hat ſie den umwoͤlbenden Luftkreis
um ſich her gewebt .
Da aber , wo der Himmel ſich gleichſam mit
ihr vermaͤhlt , indem ſeine Woͤlbung auf ihr zu
ruhen ſcheint , am aͤußerſten weſtlichen Hori-
zonte , wo die Sonne ins Meer ſinkt , breitet
ſich erſt in weiten Kreiſen der unbekannte unbe-
grenzte Ocean um ſie her , der nach der alten Dich-
tung , aus der Beruͤhrung oder Begattung des Him-
mels und der Erde gebohren ward .
Der Pontus oder das Meer , das die Erde
in ihrem Schooße traͤgt , vermaͤhlte ſich mit ſeiner
Mutter Erde , und erzeugte mit ihr den ſanften
Nereus , den Thaumas , die Eurybia , die ein
eiſernes Herz im Buſen traͤgt , den Phorkys und
die ſchoͤne Ceto .
Nereus .
In dem Nereus gab die Dichtung der ſanf-
ten ruhigen Meeresflaͤche Perſoͤnlichkeit und Bil-
dung . Er iſt wahrhaft und milde , und vergißt
des Rechts und der Billigkeit nie ; liebt Maͤßigung
und haßt Gewalt . Mit ruhigem Blick ſchaut er
in die Zukunft hin , und ſagt die kommenden
Schickſale vorher .
Ein Dichter aus dem Alterthum fuͤhrt ihn
redend ein , wie er bei Wind und Meeresſtille ,
dem Paris , welcher die Helena aus Griechenland
entfuͤhrt , das Schickſal von Troja vorher verkuͤn-
digt .
Er vermaͤhlte ſich mit der Doris , der ſchoͤ-
nen Tochter des Ocean ; und dieſes Goͤtterpaar ,
ſich zaͤrtlich umarmend , und auf den Wellen des
Meeres ſanft emporgetragen , iſt eines der ſchoͤn-
ſten Bilder der Phantaſie aus jenen Zeiten , wo
man den großen unuͤberſehbaren Maſſen ſo gern
Form und Bildung gab . — Nereus , der Gott
der ruhigen Meeresflaͤche , erzeugte mit der Do-
ris , der Tochter des Ocean :
Die Nereiden .
Ihrer iſt eben ſo wie der Toͤchter des Ocean
eine große Zahl . — Das wuͤſte Meer wurde
durch dieſe Bildungen der Phantaſie ein Aufent-
halt hoher Weſen , die da , wo Sterbliche ihr
Grab finden wuͤrden , ihre glaͤnzende Wohnung
hatten , und von Zeit zu Zeit ſich auf der ſtillen
Meeresflaͤche zeigten , welches zu reitzenden Dich-
tungen Anlaß gab .
So ſtieg einſt Galatea , eine Tochter des
Nereus , aus den Wellen empor , welche der Rieſe
Polyphem erblickte , der ſich ploͤtzlich vom Pfeil
der Liebe verwundet fuͤhlte , und ſo oft ſie nachher
ſich zeigte , ihr ſein Leid vergeblich klagte .
Thetis , eine Tochter des Nereus , welche
mit der Tethys , einer Tochter des Himmels und
Vermaͤhlten des Oceans , nicht zu verwechſeln iſt ,
wurde , eben ſo wie die Metis , dem Jupiter , der
ſich mit ihr vermaͤhlen wollte , furchtbar , als ihn
die Prophezeihung ſchreckte : ſie wuͤrde einen Sohn
gebaͤhren , der wuͤrde maͤchtiger als ſein Vater
ſeyn .
Durch die Veranſtaltung der Goͤtter wurde
ſie daher mit dem Koͤnige Peleus vermaͤhlt , der
den Achill mit ihr erzeugte , welcher maͤchtiger als
ſein Vater wurde ; denn die Thetis tauchte ihn in
den Styx , wodurch er , ausgenommen an der
Ferſe , woran ſie ihn hielt , unverwundbar ward ,
aber auch gerade an dieſer einzigen verwundbaren
Stelle , in dem Kriege vor Troja , die toͤdtliche
Wunde empfing .
Noch ſagt die Dichtung , daß dieſe Thetis
einſt , da die neuen Goͤtter den Jupiter binden
wollten , und der wahrſagende Nereus ihr dieß
entdeckte , den hundertaͤrmigen Briareus aus der
Tiefe des Meers hervorrief , der ſich neben den
Donnerer ſetzte , worauf es keiner der Goͤtter
wagte , die Hand an den Jupiter zu legen .
Mit der Amphitrite , einer Tochter des Ne-
reus , vermaͤhlte ſich Neptun ; ſie tritt alſo unter
den neuen Gottheiten majeſtaͤtiſch auf , und wird
abgebildet , wie ſie gleich dem Gott , dem ſie ver-
maͤhlt iſt , den maͤchtigen Dreizack in der Hand
haͤlt , und die wilden Fluthen baͤndigt .
Von funfzig Toͤchtern des Nereus ſind die
Nahmen aufgezeichnet , allein nur wenige unter
ihnen ſind in die fernere Geſchichte der Goͤtter
verflochten ; die uͤbrigen machen das Gefolge glaͤn-
zend , wenn Theris oder Amphitrite aus dem Meer
emporſteigt .
Thaumas .
Das Staunen und die Verwunderung
uͤber die großen Erſcheinungen der Natur , iſt aus
dem Meer erzeugt , und wird , obgleich nur mit
wenigen Umriſſen , in dem Thaumas , einem
Sohne des Pontus als perſoͤnlich dargeſtellt .
Thaumas vermaͤhlt ſich mit der Elektra , ei-
ner Tochter des Ocean , und erzeugt mit ihr die
bewundernswuͤrdigſte Erſcheinung , den viel-
farbigten Regenbogen , der wegen der Schnellig-
keit , womit ſeine Fuͤße die Erde beruͤhren , indeß
ſein Haupt noch in die Wolken ragt , unter dem
Nahmen Iris , als die Botin der Goͤtter dar-
geſtellt wird , die in der neuen Goͤttergeſchichte
zum oͤftern handelnd wieder auftritt .
Thaumas mit der Elektra erzeugte auch die
ſchnellen gefluͤgelten Harpyen , Aello und Ocy-
pete , den Sterblichen ein Schrecken , die , gleich
den reißenden Wirbelwinden , dem Meer entſtei-
gen , und unaufhaltſam ihren Raub mit ſich hin-
wegfuͤhren .
Eurybia .
Eine Tochter des Pontus , die ein eiſernes
Herz im Buſen traͤgt , und mit dem Titanen
Krius ſich vermaͤhlt , dem ſie die ſtarken Soͤhne ,
Aſtraͤus , Pallas , und Perſes gebiehrt ; ſie iſt
eine dunkle Erſcheinung , die in Nacht zuruͤcktritt .
Phorkys und die ſchoͤne Ceto
oder
die Erzeugung der Ungeheuer .
Phorkys , ein Sohn des Pontus , erzeugte
mit der ſchoͤnen Ceto , einer Tochter des Pontus :
Die Graͤen : Dino , Pephredo , und Enyo ;
die ewigen alten drei ſchwanenweißen Jungfrauen ,
die von ihrer Geburt an grau waren , nur einen
Zahn und ein Auge hatten , und an den aͤußerſten
Grenzen der Erde wohnten , wo die Behauſung
der Nacht iſt , und wo ſie nie von der Sonne ,
noch von dem Lichte des Mondes beſchienen
wurden .
Die Gorgonen , Schweſtern der Graͤen ,
mit furchtbarem Antlitz und Schlangenhaaren ,
Euryale , Stheno , und Meduſa .
Den Drachen , der an den außerſten Gren-
zen der Erde die goldenen Aepfel der Heſperiden
bewacht .
Aus dem Blute der Meduſa , da ſie vom Per-
ſeus enthauptet wurde , ſprang Chryſaor mit gold-
nem Schwerdte , und der gefluͤgelte Pegaſus
hervor .
Chryſaor vermaͤhlte ſich mit der Kallirhoe , ei-
ner Tochter des Oceans , und erzeugte mit ihr den
dreikoͤpfigten Geryon und die Echidna , halb
Nymphe mit ſchwarzen Augen und bluͤhenden Wan-
gen , und halb ein ungeheurer Drache ; mit dieſer
erzeugte Typhaon , ein heulender Sturmwind :
Den dreikoͤpfigten Hund Cerberus ;
Den zweikoͤpfigten Hund Orthrus ;
Die Lernaͤiſche Schlange ;
Die feuerſpeiende Chimaͤra , mit dem Ant-
litz des Loͤwen , dem Leib der Ziege , und dem
Schweif des Drachen , — und zuletzt gebahr die
Echidna , nachdem ſie ſich mit dem Orthrus be-
gattet hatte ,
Den nemaͤiſchen Loͤwen , und
Die raͤthſelhafte Sphinx mit dem jungfraͤuli-
chen Antlitz und den Loͤwenklauen .
Dieß iſt die Nachkommenſchaft des Phorkys
und der ſchoͤnen Ceto . — Die Erzeugung der Un-
geheuer endigt ſich mit der Geburt des Geheim-
nißvollen und Raͤthſelhaften , worin die alten
Ausſpruͤche und dunkeln Sagen der Vorzeit gehuͤl-
let ſind . —
Und ſo wie die Nacht die Mutter des Ver-
borgenen , Unbekannten iſt , wie z. B. der Heſpe-
riden , die an den entfernteſten Ufern des Oceans
die goldnen Aepfel bewahren ; ſo laͤßt die Phan-
taſie die Ungeheuer , wie z. B. den Drachen , der
dieſe goldene Frucht bewacht , dem Meer ent-
ſtammen .
Allein dieſe Ungeheuer entſtehen nur , um in
der Folge die Tapferkeit und den Muth zu pruͤfen ,
und von Goͤtterentſtammten Helden beſiegt zu
werden , die durch kuͤhne Thaten ſich den Weg
zur Unſterblichkeit bahnen .
Die Fluͤſſe .
Auch den Fluͤſſen gab die Einbildungskraft
Perſoͤnlichkeit . — Sie gehoͤren als Soͤhne des
Oceans zu den alten Gottheiten , und ſind zum
Theil in die folgende Goͤttergeſchichte als handeln-
de Weſen mit verflochten , wie z. B. Skaman-
der , Achelous , Peneus , Alphaͤus , Ina-
chus .
Die Bildung der Flußgoͤtter giebt zu ſchoͤnen
Dichtungen Anlaß ; der Stammvater eines Volks ,
z. B. deſſen Urſprung nicht weiter zu erforſchen iſt ,
heißt der Sohn des Fluſſes , an welchem ſeine
Nachkommen wohnen . Durch dieſe Dichtungen
knuͤpfte die lebloſe Natur ſich naͤher an die Men-
ſchen an , und man dachte ſich gleichſam naͤher mit
ihr verwandt .
Proteus .
Ein Sohn des Oceans und der Tethys ; der
Huͤter der Meerkaͤlber ; welcher gleich der geheim-
nißvollen Natur , die unter tauſend abwechſeln-
den Geſtalten den forſchenden Blicken der Sterb-
lichen entſchluͤpft , ſich in Feuer und Waſſer , Thier
und Pflanze verwandeln konnte , und nur denen ,
die unter jeder Verwandelung ihn mit ſtarken
Armen feſt hielten , zuletzt in ſeiner eigenen Geſtalt
erſchien , und ihnen das Wahre entdeckte .
Chiron .
Schon Saturnus pflog einer verſtohlnen Liebe
mit der Philyra , einer Tochter des Flußgottes
Aſopus . Indem er ſich mit ihr begattete , ver-
wandelte er ſich , um die eiferſuͤchtigen Blicke der
Rhea zu taͤuſchen , in ein Pferd , und erzeugte
mit der Philyra den Chiron , der halb Menſch
halb Pferd , dennoch Schaͤtze hoher Weisheit in
ſich ſchloß , und in der Folge der Erzieher von Koͤ-
nigen und Helden ward , die ihm ihre Tugenden
und ihre Bildung dankten .
Atlas .
Unter den Nachkommen der Titanen iſt Atlas
einer von den großen Goͤttergeſtalten , die in die
Folge der fabelhaften Geſchichte zum oͤftern wieder
verflochten werden : Jupiter vermaͤhlte ſich mit
ſeiner Tochter der Maja , und erzeugte mit ihr
den Merkur , welcher daher ein Enkel des Atlas
heißt .
Nemeſis .
Sie iſt , wie die Parzen , eine Tochter der
Nacht ; ſie hemmet Stolz und Uebermuth , ſtraft
und belohnt nach gerechtem Maaß , und ahndet
verborgnen Frevel . Sie gehoͤrt unter den alten
Gottheiten zu den hohen geheimnißvollen Weſen ,
die von Goͤttern und Menſchen mit Ehrfurcht be-
trachtet werden . Und unter den neuen Goͤttern
behauptet ſie bleibend und herrſchend ihren Platz .
Prometheus .
Der Weiſeſte unter den Titanen , deſſen
ſchoͤpferiſcher Genius die Menſchen bildete , hat ,
wie die meiſten alten Gottheiten , nur noch durch
Weißagung und Rath in die Folge der Goͤtterge-
ſchichte Einfluß ; ſeine große Erſcheinung tritt in
Nebel zuruͤck .
Die menſchenaͤhnliche Bildung
der Goͤtter .
W ir haben ſchon bemerkt , daß die Phantaſie ſich
eben ſowohl ihre Goͤtter nach dem Bilde der
Menſchen , als ihre Menſchen nach dem
Bilde der Goͤtter ſchuf . —
Das Unendliche , Unbegrenzte , ohne Ge-
ſtalt und Form , iſt ein untroͤſtlicher Anblick . —
Das Gebildete ſucht ſich an dem Gebildeten
feſt zu halten . — Und ſo wie dem Schiffer , der
Land erblickt , ſein Muth erhoͤhet , und ſeine Kraft
belebt wird ; ſo iſt fuͤr die Phantaſie der troͤſtliche
Umriß einer Menſchenbildung das ſichere Steuer ,
woran ſie auf dem Ocean der großen Erſcheinun-
gen der Natur ſich feſt haͤlt . —
Dieß Gefuͤhl war bei den Alten vorzuͤglich
lebhaft . — Die unendlichen Maſſen , die den
Menſchen umgeben , Himmel , Erd’ und Meer ,
erhielten in ihrer heitern Imagination Bildung
und Form . — Man ſuchte die Zartheit des Ge-
bildeten , mit der Staͤrke des Ungebildeten zu
vereinen ; und gleich wie in dem hohen aufrechten
Koͤrperbau des Menſchen , die Feſtigkeit des Eichen-
ſtammes ſich mit der Biegſamkeit des zarten Halms
verknuͤpft ; ſo verband ſein ſchoͤpferiſcher Genius
auch mit der Staͤrke des tobenden Elements , und
mit der Majeſtaͤt des rollenden Donners , die
Zuͤge der redenden Menſchenlippe , die winken-
den Augenbraunen , und das ſprechende Auge . —
Jupiter .
Die Bildung , welcher die ſchaffende Phan-
taſie den Donner in die Hand gab , mußte uͤber
jede Menſchenbildung erhaben , und doch mit ihr
harmoniſch ſeyn ; weil eine denkende Macht be-
zeichnet werden ſollte , die nur durch Zuͤge des re-
denden Antlitzes ausgedruͤckt werden kann ; und
bis zu dem Gipfel hub die bildende Kunſt der Grie-
chen , durch ihren Gegenſtand ſelbſt geheiligt , ſich
empor ; daß ſie menſchenaͤhnliche , und doch uͤber
die Menſchenbildung erhabene Goͤttergeſtalten
ſchuf , in welchen alles Zufaͤllige ausgeſchloſſen ,
und alle weſentlichen Zuͤge von Macht und Hoheit
vereinigt ſind .
So wie nun aber der Begriff der Macht in
der Vorſtellungsart der Alten von ihren Goͤttern
und Helden faſt immer der herrſchende iſt ; ſo iſt
auch in ihren erhabenſten Goͤtterbildungen der
Ausdruck der Macht das Ueberwiegende .
G 2
Jupiters ſchweres Haupt , aus dem die Weis-
heit gebohren ward , ſenkt ſich vorwaͤrts uͤber ; —
es waltet uͤber den Wechſel der Dinge ; — es
waͤgt die Umwaͤlzungen . — Doch zieht die ewig
heitre Stirn ſich nie in ſinnende Falten .
Am unbeſchraͤnkteſten iſt die Macht des Don-
nergottes ; — es iſt die mindermaͤchtige Juno ,
die den Jupiter uͤberliſtet ; — und Merkur der
Goͤtterbote , der nur die Befehle der hoͤhern
Maͤchte vollzieht , iſt der Liſtigſte unter den Goͤt-
tern .
Auch ſtellt die bildende Kunſt der Alten den
Jupiter am haͤufigſten dar , wie er gleichſam in
ſeiner ganzen Macht ſich fuͤhlt , und dieſer Macht
ſich freut . — So iſt er auf der hier beigefuͤgten
Kupfertafel , nach dem Abdrucke einer antiken
Gemme in der Lippertſchen Daktyliothek , ſitzend
abgebildet , den Donner in der Rechten , den
Zepter in der Linken , und den Adler zu ſeinen
Fuͤßen .
Auf eben dieſer Kupfertafel befindet ſich noch ,
ebenfalls aus der Lippertſchen Daktyliothek , der
Umriß einer Buͤſte des Jupiter , mit dem Mantel
bekleidet , und mit der koͤniglichen Binde um das
Haupt ; daneben ein Jupiterskopf mit Widder-
hoͤrnern ; und unten zur Gegeneinanderſtellung ,
ein geſchleierter Saturnuskopf , mit einer Kugel auf
demſelben , und einem ſichelaͤhnlichen Zepter , der
im Nacken hervorragt .
Der Kopf mit Widderhoͤrnern bezeichnet den
Jupiter Ammon , der in Lybien , wo er Orakel-
ſpruͤche ertheilte , unter dieſer Geſtalt verehrt
wurde .
Und in dieſer Bildung tritt ſelbſt Jupiter un-
ter die alten Goͤttergeſtalten zuruͤck , wo er ,
nicht mit dem Donner bewafnet , nur weißa-
gend ſeine Gottheit offenbart , obgleich die bilden-
de Kunſt der Alten auch in dieſe Darſtellung den
Ausdruck der Macht des Donnergottes zum Theil
uͤbertragen hat .
In dem geſchleierten Saturnuskopf aber tritt
eine alte in Schatten zuruͤckgewichene Goͤtterge-
ſtalt im Gegenſatz gegen die neue herrſchende
auf . — Es iſt der ſeines alten Reichs entſetzte
Erzeuger des Jupiter ; den aber die Sterblichen
noch immer , als den Stifter des goldnen Zeital-
ters , unter einer ſanftern und mildern Geſtalt
verehrten .
Bart und Haupthaar ſind beim Jnpiter Jupiter be-
zeichnend in Anſehung der inwohnenden Kraft und
jugendlichen Staͤrke , welche in den dichtgekraͤuſel-
ten Locken ſich zuſammendraͤngt .
„ Er winket mit den ſchwarzen Augenbrau-
„nen ; — er ſchuͤttelt die ambroſiſchen Locken auf
„ſeinem unſterblichen Haupte , — und der Olymp
„erbebt . — “
Bei dem aͤlteſten Dichter ſpricht Jupiter ſel-
ber , indem er den uͤbrigen Goͤttern drohet , auf
folgende Weiſe , die Macht ſeines Weſens aus :
Eine goldne Kette will ich aus meiner Hand vom
Himmel zur Erde ſenken ; verſucht es , all’ ihr
Goͤtter und Goͤttinnen , und haͤngt das Gewicht
eurer ganzen vereinten Macht an dieſe Kette ; es
wird euch nicht gelingen , den hoͤchſten Jupiter
vom Himmel zur Erde herabzuziehen ; dieſer aber
wird die Kette , mit leichter Hand , und mit ihr
Erd’ und Meer gen Himmel heben , und ſie
an ſeinem hohen Sitz befeſtigen , daß die
Welt an ihr ſchwebend haͤngt .
Hieraus erhellet deutlich , daß man ſich zu
dem erhabenſten Begriff vom Jupiter das umge-
bende Ganze ſelber als Urbild dachte . — Da
ſich nun in dem Begriff dieſer Umgebung alles
veredelt ; was Wunder denn , daß man die Hel-
den , deren Erzeuger man nicht wußte , Soͤhne
des Jupiter nannte , der in taͤuſchenden Verwand-
lungen ſie mit ihren Muͤttern erzeugte . —
Denn mit dieſer Gottheit , die das Spielende
und Zarte , ſo wie das Majeſtaͤtiſche und Hohe in ſich
vereinte , und ſelber ſich in tauſend Geſtalten huͤllte ,
konnte die Phantaſie noch frei in kuͤhnen Bildern
ſcherzen ; ſie durfte ſich mit an die goldne Kette
haͤngen , den Jupiter vom Himmel herab zu ziehen ;
ſo wurde ſie ſelber zum Himmel empor gezogen . —
Und hier iſt es , wo demohngeachtet die Gott-
heit uͤber die Menſchheit , ſelbſt in dieſen Dichtun-
gen , uͤberſchwenglich ſich emporhebt . — In den
folgenden Zeilen hat ein neuer Dichter dieſen Ab-
ſtand ganz im Geiſte der Alten beſungen :
Graͤnzen der Menſchheit .
W enn der uralte ,
Heilige Vater
Mit gelaſſener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Ueber die Erde ſaͤ’t ,
Kuͤß’ ich den letzten
Saum ſeines Kleides ,
Kindliche Schauer ,
Treu in der Bruſt .
Denn mit Goͤttern
Soll ſich nicht meſſen
Irgend ein Menſch .
Hebt er ſich aufwaͤrts ,
Und beruͤhrt
Mit dem Scheitel die Sterne ,
Nirgends haften dann
Die unſichern Sohlen ,
Und mit ihm ſpielen
Wolken und Winde .
Steht er mit feſten ,
Markigen Knochen
Auf der wohlgegruͤndeten ,
Dauernden Erde ;
Reicht er nicht auf ,
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen .
Was unterſcheidet
Goͤtter von Menſchen ?
Daß viele Wellen
Vor jenen wandeln ,
Ein ewiger Strom :
Uns hebt die Welle ,
Verſchlingt die Welle ,
Und wir verſinken .
Ein kleiner Ring
Begraͤnzt unſer Leben ,
Und viele Geſchlechter
Reihen ſich dauernd
An ihres Daſeyns
Unendliche Kette .
Goͤthe .
Nichts Hoͤheres aber konnte man ſich denken ,
als den umwoͤlbenden Aether , in welchem alle
Bildungen und Geſtalten ruhen ; dieſer war da-
her auch Jupiters hoͤchſtes Urbild . — So ſang ein
Dichter aus dem Alterthum : Du ſiehſt den er-
habenen ungemeſſenen Aether , der mit ſanf-
ter Umgebung die Erd’ umfaßt ; den ſollſt
du fuͤr die hoͤchſte Gottheit , du ſollſt fuͤr Ju-
piter ihn halten !
Juno .
Unter der Juno dachte man ſich das Erhabne
mit der Macht vereinte Schoͤne . — Der Juno
hohes Urbild war der Luftkreis , welcher die
Erde umgiebt ; dieſer vermaͤhlte ſich mit dem
ewigen Aether , der auf ihm ruht . —
In der vom Glanz der Sonne durchſchimmer-
ten Atmoſphaͤre bildet ſich der vielfarbigte Regen-
bogen . Dieſer iſt wiederum das Urbild der ſchnel-
len Goͤtterbotin , welche die Befehle der Juno
vollzieht . Es iſt die glaͤnzende Iris , eine Toch-
ter des Thaumas , welche , wenn ſie in den Wol-
ken ſteht , die Gegenwart der hohen Himmels-
koͤnigin verkuͤndigt .
Der Regenbogen ſpiegelt den majeſtaͤtiſchen
Schweif der Pfauen , die den Wagen der Juno
in den Wolken ziehn . — Alles iſt uͤbereinſtim-
mend in dieſer ſchoͤnen Dichtung ; die Harmonie
des Ganzen wird durch kein einziges Bild geſtoͤrt .
Die erhabene Juno heißt die herrſchende ,
großaͤugigte , weißarmigte ; — es iſt nicht
ſanfter Reitz der Augen , der ihre Bildung zeich-
net ; ſondern Ehrfurcht einpraͤgende Groͤße —
und von dem uͤbrigen Umriß dieſer Goͤttergeſtalt
beruͤhrt die Dichtkunſt nur die Schoͤnheit des
maͤchtigen Arms .
So wie nun aber gleich den Stuͤrmen , die
das Meer aufregen , die Eiferſucht der Juno den
Dichtungen Leben einhaucht ; ſo ſind ihr Urbild
auch die tobenden Elemente , wovon das ganze
Spiel der menſchlichen Leidenſchaften im Kleinen
ein Abdruck iſt .
Die Elemente ſind im Streit ; ſie zuͤrnen in
Ungewittern , verdraͤngen und unterdruͤcken ein-
ander ; berauben und raͤchen ſich . — Der Felſen
kracht im tobenden Meere , und unter dem Wind-
ſtoß heult die Welle . — Dieß alles aber beſchraͤnkt
ſich nur auf die niedre Atmoſphaͤre .
Ueber dieſer iſt alles bleibend und regelmaͤs-
ſig . — Alles hat Raum genug ; — im ſtillen
Aether vollenden die Weltkoͤrper ihre Bahnen , und
nichts verdraͤngt , nichts hemmt das andre . —
Krieg und Empoͤrung ſind erſt da , wo das
ungemeſſene Ganze ſich in die kleinern Punkte zu-
ſammendraͤngt , wo es ſich aneinanderreibt , ſtoͤßt
und lebendig wird . — Da iſt die immerwaͤhrende
Werkſtatt der Bildung und Zerſtoͤrung ; aber auch
der Sitz der Wehklage , des Zorns , des Jam-
mers . — Da muß Hektor fallen ; — Hekuba
muß ihr Haar zerraufen , — und Troja ein Raub
der Flammen werden . —
Aber der Gipfel des hohen Olymp ragt uͤber
die Wolken in den umwoͤlbenden Aether empor . —
Dahin verſetzt die Einbildungskraft den Wohnſitz
der ſeeligen Goͤtter , die , ſelbſt uͤber Sorgen
und Ungemach erhaben , bei frohem Saitenſpiel ,
den ſuͤßen Nektar ſchluͤrfen , und laͤcheln , daß ſie
der muͤhebeladenen Sterblichen wegen ſich ent-
zweien konnten .
So knuͤpft die Phantaſie die menſchenaͤhnli-
che Geſtalt der Goͤtter beſtaͤndig wieder an ihr
himmliſches Urbild an . — Der Schwan in Ledas
Schooße umwoͤlbt im blauen Aether Erde , Meer ,
und Luft . — Juno , die Koͤnigin , umſtroͤmt den
Erdkreis in dem zarten durchſichtigen Nebeldunſte ,
worin der Regenbogen mit glaͤnzenden Farben
ſpielt . —
Als Juno ſich einſt empoͤrte , hing Jupiter
in dem Luftkreiſe , den ſie ſelbſt beherrſchte , ſchwere
Amboße an ihre Fuͤße . — Das Hohe und Erha-
bene mußte die Schmach des Niederziehens
dulden — und alle Himmliſche trauerten bei dem
Anblick . —
Da wir nichts Uebermenſchliches kennen , ſo
konnte mit den erhabenen aus der Natur genom-
menen Bildern auch nur das Menſchliche ſich ver-
knuͤpfen . — Es iſt daher als ob die Menſchheit
ſelber in dieſen Dichtungen ſich naͤher mit der gros-
ſen Natur verwebte , und ſich in ſuͤßen Traͤumen
an ſie anſchmiegt .
Juno bezeichnet nun in einer hoͤhern Sprache
die hohe Gebietende , uͤber den ſanften Liebreitz
ſelbſt erhabene Schoͤnheit . — Als Juno den Ju-
piter mit Liebreitz feſſeln wollte , ſo mußte ſie erſt
den Guͤrtel der Venus leihen , deren ſanftere
Schoͤnheit ſchon vorher den Preis davon trug , als
der Hirt auf Idas Gipfel den kuͤhnen entſcheiden-
den Ausſpruch that .
Da nun Juno ſich ſchmuͤckt , dem Jupiter zu
gefallen , ſo ordnet ſie , in ihrem Schlafgemach ,
ihr glaͤnzendes Haar in Locken ; ſie ſalbet ſich mit
dem Oehle der Goͤtter , wovon der Wohlgeruch ,
ſobald es nur geregt wird , vom Himmel bis zur
Erde ſich verbreitet .
Sie zieht ihr goͤttliches Kleid an , das von
der Minerva ſelbſt gewebt iſt , und hakt es auf
der Bruſt mit goldenen Haken zu . — Sie um-
guͤrtet ſich mit ihrem Guͤrtel , und bindet an ihre
Fuͤße die glaͤnzenden Schuhe ; den Guͤrtel der Ve-
nus aber verbirgt ſie in ihrem Buſen . —
So vollendet ſich dieſe ſchoͤne Dichtung , in-
dem ſie von ihrem hohen Urbilde allmaͤlig nieder-
ſteigt , und bei der Darſtellung der Koͤnigin des
Himmels , auch nicht den kleinſten weiblichen
Schmuck vergißt . — Auf der hier beigefuͤg-
ten Kupfertafel befindet ſich im Umriß , nach
antiken geſchnittenen Steinen aus der Lippert -
ſchen Daktyliothek , außer einem Kopf der Juno ,
noch eine Abbildung von ihr , wo ſie der bilden-
de Kuͤnſtler , ſitzend auf Jupiters Adler , den
Zepter in der Hand , und einen Schleier uͤber ſich
ſchwebend haltend , ihr Haupt mit Sternen um-
geben , gleichſam auf dem Gipfel ihrer Hoheit ,
darſtellt .
Apollo .
Das erſte Urbild des Apollo iſt der Sonnen-
ſtrahl in ewigem Jugendglanze . — Den huͤllt
die Menſchenbildung in ſich ein , und hebt mit ihm
zum Ideal der Schoͤnheit ſich empor , wo der Aus-
druck der zerſtoͤrenden Macht ſelbſt in die Har-
monie der jugendlichen Zuͤge ſich verliert . —
Die hohe Bildung des Apollo ſtellt die ewig
junge Menſchheit in ſich dar , die gleich den Blaͤt-
tern auf den immergruͤnenden Baͤumen ; nur
durch den allmaͤligen Abfall und Zerſtoͤrung
des Verwelkten , ſich in ihrer immerwaͤhrenden
Bluͤthe , und friſchen Farbe erhaͤlt .
Der Gott der Schoͤnheit und Jugend , den
Saitenſpiel und Geſang erfreut , traͤgt auch
den Koͤcher auf ſeiner Schulter , ſpannt den ſilber-
nen Bogen , und ſendet zuͤrnend ſeine Pfeile , daß ſie
verderbliche Seuchen bringen , oder er toͤdtet auch
mit ſanftem Geſchoß die Menſchen .
Unter den Dichtungen der Alten iſt dieſe eine
der erhabenſten und liebenswuͤrdigſten , weil ſie
ſelbſt den Begriff der Zerſtoͤrung , ohne davor zu-
ruͤckzubeben , in den Begriff der Jugend und
Schoͤnheit wieder aufloͤßt , und auf die Weiſe dem
ganz Entgegengeſetzten dennoch einen harmoni-
ſchen Einklang giebt .
Daher ſcheint auch die bildende Kunſt der
Alten in der ſchoͤnſten Darſtellung vom Apollo ,
die unſre Zeiten noch beſitzen , ein Ideal von
Schoͤnheit erreicht zu haben , die alles Uebrige in
ſich faßt , und deren Anblick , wegen des unend-
lich Mannichfaltigen , was ſie in ſich begreift , die
Seele mit Staunen erfuͤllt .
Apollo und Diana ſind die verſchwiſterten To-
desgoͤtter , — ſie theilen ſich in die Gattung : —
Jener nimmt ſich den Mann , und dieſe das
Weib zum Ziele ; und wen das Alter beſchleicht ,
den toͤdten ſie mit ſanftem Pfeil ; damit die
Gattung ſich in ewiger Jugend erhalte , waͤh-
rend daß Bildung und Zerſtoͤrung immer gleichen
Schritt haͤlt .
Gleich den vom Vater der Goͤtter geſandten
Tauben , die vor der gefahrvollen Scylla vorbei-
fliegend , beſtaͤndig eine aus ihrer Mitte verlieren ,
die vom Jupiter ſogleich erſetzt wird , damit die
Zahl voll bleibe ; macht auch ein Menſchenge-
ſchlecht unmerklich dem andern Platz , und wer
von Alter und Schwachheit uͤbermannt , entſchlum-
mert , den hat in der Dichterſprache Diana oder
Apollo mit ſanftem Pfeil getoͤdtet .
Daß dieß die Vorſtellungsart der Alten war ,
erhellet aus ihrer Sprache . — Das kleine gluͤck-
liche Eiland , wo ich gebohren bin , erzaͤhlt der
Hirt Eumaͤus dem Ulyſſes , liegt unter einem ge-
ſunden wohlthaͤtigen Himmelsſtrich ; keine ver-
haßte Krankheit raft da die Menſchen hin ; ſon-
dern wenn nun das Alter da iſt , ſo kommen Diana
und Apoll mit ihrem ſilbernen Bogen , und toͤdten
die Menſchen mit ihrem ſanften Pfeil . —
Wenn Ulyſſes in der Unterwelt den Schatten
ſeiner Mutter fraͤgt , wie ſie geſtorben ſey ; ſo giebt
ſie ihm zur Antwort : mich hat nicht Dianens
ſanfter Pfeil getoͤdtet , auch hat mich keine
Krankheit dahin geraft ; ſondern mein Verlan-
gen nach dir , und mein Kummer um dich , mein
Sohn , haben mich des ſuͤſſen Lebens beraubt .
Wenn aber der Gott mit dem ſilbernen Bo-
gen auf das Heer der Griechen zuͤrnend , eine Peſt
in ihr Lager ſchickt , die ploͤtzlich Mann auf Mann
dahin raft , das unaufhoͤrlich die Scheiterhaufen
der Verſtorbenen lodern ; ſo ſchreitet er wie die
Nacht einher , ſpannt den ſilbernen Bogen , und
ſendet die verderblichen Pfeile in das Lager der
Griechen .
Allein der jugendliche Gott des Todes zuͤrnt
nicht immer ; der , deſſen Pfeil verwundet , heilt
auch wieder ; — er ſelbſt wird unter dem Nah-
men der Heilende mit einer Hand voll Kraͤuter
abgebildet ; — auch zeugte er den ſanften Aeſku-
lap , der Mittel fuͤr jeden Schmerz und jede
Krankheit wußte ; und ſelbſt durch ſeine Kunſt
vom Tod’ erretten konnte .
Gleichwie nun in den wohlthaͤtigen und ver-
derblichen Sonnenſtrahlen , und in der befruchten-
den und Verweſung bruͤtenden Sonnenwaͤrme , das
Bildende mit dem Zerſtoͤrenden ſich vereint , ſo
war auch hier das Furchtbare mit dem Sanften in
der Goͤttergeſtalt verknuͤpft , die jene Strahlen und
jene Waͤrme , als ihr erhabnes Urbild in ſich faßte .
Daher giebt dieſen Troſt ein Dichter aus dem
Alterthum , indem er das Gemuͤth zu ſanfter Freud ’
aufheitert : „ wenn du jetzt trauern mußt , ſo wird
es nicht ſtets ſo ſeyn ! Nicht immer ſpannt
Apollo den Bogen , zuweilen weckt er auch
aufs neue wieder zum Saitenſpiel die ſchwei-
gende Muſe ! “
Bei allen dieſen Dichtungen ſchimmert das
Bild vom Helios durch ; — es iſt der erfreuende
Sonnenſtrahl , welcher das Herz zu Saitenſpiel
und Geſang belebt . — So ehrte Aurora den
Memmon , ihren fruͤh verſtorbenen Sohn , indem
ſeine metallene Gedaͤchtnißſaͤule in Aegypten , ſo
oft die Strahlen der aufgehenden Sonne ſie be-
ruͤhrten , mit ſanftem Klang ertoͤnte .
Aber es iſt auch der alles entdeckende , alles
enthuͤllende Strahl , der in dem wahrſagenden
Apollo ſich verjuͤngt . — Eben eine ſolche verjuͤngte
Erſcheinung iſt Apollo der Hirt ; denn nach der
alten Dichtung wurden ſchon die Heerden , die
ohne Hirten weiden , von der allſehenden Son-
ne gehuͤtet .
Alle dieſe großen Bilder aber fuͤgen ſich in
zartere Umriſſe , da Apollo vom Jupiter erzeugt ,
und von der ſanften Latona gebohren wird . — er
weidet die Heerden des Admet ; begeiſtert die
wahrſagende Pythia ; und fuͤhrt die Choͤre der
Muſen an . — Nach ſeiner Geburt entwickelt ſich
ſchnell die in ihm wohnende Goͤtterkraft .
Auf Delos entwindet er ſich dem Schooß der
Mutter . — Die hohen Goͤttinnen Themis , Rhea ,
Dione und Amphitrite , ſind bei ſeiner Geburt
zugegen ; — ſie wickelten ihn in zarte Windeln ; —
allein er ſog die Bruſt der Mutter nicht ; — ihm
reichte Themis Nektar und Ambroſia dar . —
H
Und als ihn nun zum erſtenmal die Goͤtter-
koſt genaͤhrt , da hielten ſeine Bande ihn nicht
mehr ; auf ſeinen Fuͤßen ſtand der bluͤhende Goͤt-
terknabe , und auch das Band der Zunge war ge-
loͤſt : Die goldne Zitter , ſprach er , ſoll meine
Freude ſeyn , der gekruͤmmte Bogen meine Luſt ,
und in Orakelſpruͤchen will ich die dunkle Zukunft
prophezeihen . —
Und als er dieß geſagt , ſo ſchritt er ſchon als
ewig bluͤhender Juͤngling majeſtaͤtiſch uͤber die
Berge und Inſeln einher ; er kam zur felſigten
Pytho , und ſtieg von da zum Olymp hinauf ,
ſchnell wie ein Gedanke , in die Verſammlung
der uͤbrigen Goͤtter . — Da herrſchte auf einmal
Geſang und Saitenſpiel ; die Grazien und die
Horen tanzten , und die Muſen ſangen mit wech-
ſelnden Stimmen , die Freuden der ſeeligen Goͤt-
ter , und den Kummer der Menſchen , die
kein Mittel finden , dem Tode und dem
Alter zu entgehen . —
Als er nun vom Olymp herabſtieg , ſo toͤdtete
er den Drachen Python , auf dem Fleck , wo
kuͤnftig ſeine Orakelſpruͤche ſich uͤber den Erdkreis
verbreiten ſollten .
Den getoͤdteten Drachen ließ die Sonne in
Verweſung uͤbergehen ; von dieſer Verweſung
ward er Python , und Apollo ſelbſt von dieſer
That der Pythiſche benannt . — Hier ſtand auf
einem hohen Felſen der Tempel des Apollo ; und
uͤber der Oefnung einer Hoͤhle ſtand der Dreifuß ,
auf welchem die Prieſterin ſaß , die auch den Nah-
men Pythia fuͤhrte , und durch deren Mund der
Gott die Zukunft offenbarte .
So iſt er auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel
nach einem antiken geſchnittenen Steine , der als
ein Meiſterwerk der griechiſchen Kunſt beruͤhmt iſt ,
abgebildet , wie er auf dem Haupte der Pythia ,
welche die Opferſchaale in der Hand haͤlt ,
ſeine Leyer ſtimmt . — Er floͤßte der Prieſterin ,
die ſeine Goͤtterſpruͤche verkuͤndigen ſollte , ſelber
die himmliſchen Harmonien ein , die ihr den Blick
in die Zukunft gaben .
Die andre Abbildung des Apollo , ebenfalls
nach einer antiken Gemme , ſtellt ihn dar , auf
einen attiſchen Pfeiler gelehnt ; in der Linken den
Bogen ; die Leyer zu ſeinen Fuͤßen . — Man
ſieht in ihm den Gott , den , nach des Dichters
Ausdruck , der blitzende Bogen ſchmuͤckt , der aber
auch den Choͤren der Muſen ſich zugeſellt , und
der die zerſchellten Glieder durch heilende Kunſt
erquickt . —
Neptun .
So wie die hohen Goͤttergeſtalten Pontus ,
Oceanus , und Nereus in Schatten zuruͤckge-
wichen ſind , ſteigt nun in herrſchender Majeſtaͤt
H 2
Neptun empor , den maͤchtigen Dreizack in der
Hand , womit er die empoͤrten Wogen ebnet , daß
auf der ſtillen Meeresflaͤche ſich ſanfte Furchen
bilden .
Was ſchnell ſich fort bewegt , ergoͤtzt den
Herrſcher der Waſſerwogen ; zu Lande lenkt er
Roß und Wagen ; und auf dem Meere ſind die
ſchnellen Schiffe ſeine Luſt . — Er ſchlug die Erde
mit ſeinem Dreizack , da ſprang das Roß her-
vor . —
Mit der Meduſa erzeugte er den gefluͤgelten
Pegaſus , der noch aus ihrem Blute hervorſprang ,
als ſie vom Perſeus enthauptet ward . — Ceres
verwandelte ſich in ein Pferd , um ſeiner Umar-
mung zu entfliehen , allein er verfolgte ſie in aͤhn-
licher Geſtalt , und zeugte mit ihr den Arion das
edelſte , mit der Schnelligkeit des Windes begabte
Roß , das Koͤnige und Helden trug , und bei den
Kampfſpielen in Griechenland ſeinen Reiter ab-
warf , und ſelbſt fuͤr ſich den Preis davon trug .
Wir ſehen in dieſen Dichtungen die Thierwelt
mit der Goͤtterwelt immer nahe verknuͤpft . —
Das Thier wird als ein hohes Sinnbild der Na-
tur betrachtet , worin die Gottheit ſelbſt ſich wie-
der darſtellt . In der aͤgyptiſchen Goͤtterlehre huͤll-
te die Gottheit ſich in lauter Thiergeſtalten , wel-
ches in einer ſinnreichen Dichtung heißt , die Goͤt-
ter waͤren aus Furcht vor den Giganten nach
Aegypten geflohen , und haͤtten dort ſich alle in
Thiere verwandelt .
Obgleich mit dem Donnergott von einem Va-
ter erzeugt , iſt dennoch Neptun , gleich dem Element ,
das er beherrſcht , die untergeordnete Macht . —
Da Iris in dem Kriege vor Troja dem Neptun die
Drohung des Jupiter uͤberbringt ; er moͤge ſich ja
mit des Donnerers Macht nicht meſſen , und ablaſ-
ſen den Griechen beizuſtehen ; ſo antwortet ihr der
Erderſchuͤttrer : „ Jupiter ſey ſo maͤchtig er wolle ,
ſo hat er doch ſehr ſtolz geredet ! ſind wir nicht alle
drei vom Saturnus erzeugt , und von der Rhea
gebohren ? iſt nicht unter uns das Reich getheilt ?
Er mag ſeine Soͤhne und Toͤchter , aber nicht mich
mit ſolchen Worten ſchrecken ! “ — Iris ſtellt ihm
vor : „ den aͤltern Bruder ſchuͤtzt die Macht
der Erynnen ! “ Und Neptun giebt dem Donn-
rer nach , und ſagt die ſanften Worte : „ Du haſt
ſehr wohl geſprochen , o Goͤttin , und es iſt gut ,
wenn auch ein Bote das Nuͤtzliche weiß . “
Das Urbild des Neptun iſt die ungeheure
Waſſerflaͤche , die gleichſam auf das Erhabene
zuͤrnt , und es ſich gleich zu machen ſtrebt . —
Als die Griechen in der Belagerung von Troja
nahe am Ufer des Meeres um ihre Schiffe eine
Mauer , zu einem Bollwerk gegen die Feinde er-
richtet hatten ; ſo zuͤrnte Neptun daruͤber und be-
klagte ſich beim Jupiter : „ Der Ruhm dieſer
Maner Mauer , ſagte er , wird ſich verbreiten , ſo weit
ſich das Licht erſtreckt ; der meinigen aber , die ich
einſt dem Lamedon um Troja erbaute , wird man
vergeſſen ! “
Da antwortete ihm Jupiter : „ o du großer
Erderſchuͤttrer ; mich ſollt’ es nicht wundern ,
wenn ein andrer , nicht ſo maͤchtiger Gott , ein
ſolches Werk ſich anfechten ließe ; aber dein Ruhm
verbreitet ſich ja ſchon ſo weit ſich das Licht er-
ſtreckt , — und du wirſt ja , ſo bald die Griechen
hinweg ſind , die Mauer ins Meer verſenken , und
die Ufer mit Sand bedecken , daß keine Spur von
ihr uͤbrig bleibt . — Mit dieſen Worten verwieß
Jupiter dem Neptun dieſe Art von kindiſcher Miß-
gunſt gegen ein Werk der ſterblichen Menſchen .
Allein es iſt das zuͤrnende Element , und ſeine
gleichſam kindiſche gedankenloſe Macht , die durch
den Mund der Goͤtter ſpricht ; wenn nun die Dich-
tung dem tobenden Elemente Bildung und Sprache
giebt , ſo druͤcken ſeine Worte auch die Natur ſeines
Weſens aus ; das Wort bezeichnet ſelbſt die unbe-
huͤlfliche Macht , und ſinkt wieder unter die
Menſchenrede herab , in welcher der leichte Ge-
danke herrſcht .
Auch die Erzeugungen des Neptun ſind groͤß-
tentheils ungeheuer . — Die Aloiden , ſeine
Soͤhne , welche auf den Olymp den Oſſa waͤlzten ,
wurden ſelbſt dem Jupiter furchtbar . — Den
ungeheuren Polyphem , einen Sohn des Neptun ,
hatte der klugheitbegabte Ulyſſes ſeines Auges
beraubt ; von der Zeit an verfolgte Neptun den
Ulyſſes mit unverſoͤhnlichem Haß .
Er vereitelte ihm ſo lang er konnte die Ruͤck-
kehr in ſein Vaterland ; und da dieſe nach dem
Schluß des Schickſals dennoch zuletzt erfolgen
mußte , ſo nahm er an dem unſchuldigen Schiffe
der gaſtfreien Phaͤacier , die den Ulyſſes nach
Ithaka gebracht hatten , ſeine Rache , indem er
es auf der Ruͤckkehr in einen Fels verwandelte .
So gefahrvoll war es , ſelbſt fuͤr den Guͤnſt-
ling der Minerva , die ungeheure Macht des
ſtarken Elementes , und was mit ihr verwandt
war , zum Zorn gereitzt zu haben . —
Als einſt die Muſen auf dem Helikon Geſang
und Seitenſpiel ſo maͤchtig ertoͤnen ließen , daß
alles rund umher belebt ward , und ſelbſt der Berg
zu ihren Fuͤßen huͤpfte . — Da zuͤrnte Neptun
und ſandte den Pegaſus hinauf , daß er dem zu
kuͤhn gen Himmel ſich Erhebenden Grenzen ſetzen
ſollte ; als dieſer nun auf dem Gipfel des Helikon
mit dem Fuße ſtampfte , war alles wieder in dem
ruhigern , ſanftern Gleiſe , und unter ſeinem
ſtampfenden Fuße brach der Dichterquell hervor ,
der von des Roſſes Tritt die Hippokrene heißt .
Im Kriege vor Troja ſaß Neptun auf der
Spitze des waldigten Samos , und ſahe dem Tref-
fen zu . — Er zuͤrnte heftig auf den Jupiter ,
daß er den Trojanern Sieg gab . — Er ſtieg vom
Berge hinunter ; der Berg erbebte unter ſeinem
Fußtritt . — Drei Schritte that er vorwaͤrts , und
mit dem vierten war er in Aege , wo tief im
Meere ſein Pallaſt iſt . —
Er beſtieg ſeinen Wagen , und fuhr auf den
Wellen daher . — Die Heere der Waſſerwelt ſtie-
gen empor , und erkannten ihren Koͤnig . — Das
Meer wich ehrfurchtsvoll zu beiden Seiten , —
und ſchnell flog der Wagen des Gottes , daß die
eherne Axe unbenetzt blieb . —
In dem zornigen Blick des Neptun mahlt ſich
das tobende Element ; — ſo iſt er auf der hier
beigefuͤgten Kupfertafel , nach einem antiken ge-
ſchnittenen Steine aus der Lippertſchen Daktylio-
thek im Umriß abgebildet ; in der Rechten den
Dreizack haltend , und mit der erhobenen Linken
die Zuͤgel zuſammenfaſſend , woran er die ſtolzen
Roſſe vor ſeinem Wagen lenkt , waͤhrend daß ſein
Gewand im Sturmwinde flattert . —
Auf eben dieſer Kupfertafel iſt Neptun , nach
einer andern Gemme aus Lipperts Daktyliothek ,
noch einmal abgebildet , wie er mit dem ganzen
Gewicht ſeiner Macht , den Dreizack auf der
Schulter , die Hand auf den Ruͤcken haltend , aus
dem Meere auf einen Felſen ſteigt . —
Die Dichtkunſt ſowohl als die bildende Kunſt
ſtellt zwar den Koͤnig der Gewaͤſſer in aͤhnlicher
Majeſtaͤt , wie den Jupiter dar ; nur bleibt der
Ausdruck von Macht und Hoheit immer unterge-
ordnet . —
Es iſt nicht die ruhige , erhabene , mit dem
Wink der Augenbraunen gebietende Macht , mit
deren Laͤcheln ſich der ganze Himmel aufheitert ,
und welche nur ſelten zuͤrnen darf , weil ſie am
wenigſten beſchraͤnkt iſt . — Vielmehr iſt beim
Neptun der Ausdruck des Zorns der herrſchen-
de . — Er ſchilt die Winde , die auf die Veran-
laſſung der Juno ohne ſeinen Wink die Wellen des
Meeres aufthuͤrmten ; und ſein quos ego ! wo-
mit er ſie bedrohet , iſt dasjenige , deſſen Ausdruck
die bildende Kunſt , auch in neuern Zeiten , am
oͤfterſten verſucht hat .
Minerva .
Als die blauaͤugigte Goͤttin aus Jupiters un-
ſterblichem Haupte mit glaͤnzenden Waffen hervor-
ſprang , ſo bebte der Olymp ; die Erd’ und das
Meer erzitterte ; und der Lenker des Sonnenwa-
gens hielt ſeine ſchnaubenden Roſſe an , bis ſie die
goͤttlichen Waffen von ihrer Schulter nahm .
Aus keiner Mutter Schooß gebohren , war
ihre Bruſt ſo kalt , wie der Stahl , der ſie
bedeckte . — Sie naͤherte ſich dem maͤnnlich
Großen , und weiblicher Zaͤrtlichkeit war ihr Bu-
ſen ganz verſchloſſen .
Der Mangel an weiblicher Zaͤrtlichkeit aber iſt
mit Zerſtoͤrungsſucht verknuͤpft , welche ſtets mit
jenem in gleichem Grade zunimmt . — Es iſt die
ſanfte Venus , die nur aus Liebe zum Adonis mit
ihm die Rehe verfolgt ; die kaͤltere Diana findet
an der Jagd und an der Zerſtoͤrung ſelbſt ſchon
ihre Luſt , indeß ſie doch zuweilen noch mit ver-
ſtohlner Zaͤrtlichkeit ſich an Endymions Schoͤnheit
weidet .
Der kalten jungfraͤulichen Minerva aber iſt
jedes Gefuͤhl von Zaͤrtlichkeit und ſchmachtender
Sehnſucht fremd ; — ſie findet daher auch gleich
dem Kriegesgott am Schlachtgetuͤmmel und an zer-
ſtoͤrten Staͤdten ihr Ergoͤtzen , nur daß ſie nicht
von jenem die rauhe Wildheit hat , weil ſie zugleich
die friedlichen Kuͤnſte ſchuͤtzt .
Zuruͤckſchreckende Kaͤlte macht den Haupt-
zug in dem Weſen dieſer erhabenen Goͤtterbildung
aus , wodurch ſie zur grauſamen Zerſtoͤrung ,
und zur muͤhſamen Arbeit des Webens , zur
Erfindung nuͤtzlicher Kuͤnſte , und zur Lenkung
der aufgebrachten Gemuͤther der Helden , gleich
faͤhig iſt .
Als Achill im Begriff war gegen den Aga-
memnon ſein Schwerdt zu ziehen , ſo ſtand ploͤtz-
lich , ihm allein nur ſichtbar , die blauaͤugigte Goͤt-
tin hinter ihm , mit ſchrecklichem Blick — bei
ſeinem gelben Haar ihn faſſend — und hielt mit
weiſem Rath den jungen Held zuruͤck , — daß er
am ſilbernen Griff ſein Schwerdt wieder in die
Scheide druͤckte .
So iſt die himmliſche Pallas mitten im Krie-
ge ſelbſt noch Friedensſtifterin . — Die wilde Bel-
lona hingegen , welche mit fliegendem Haar , die
Geißel in der einen , die Waffen in der andern
Hand , den Wagen des Kriegesgottes lenkt , iſt
eine untergeordnete Goͤttergeſtalt . In ihr iſt nicht
die erhabene Friedensſtifterin , die Erfinderin der
Kuͤnſte noch mitten im wuͤthenden Treffen ſicht-
bar ; ſondern nur die raſende Wuth ; die Grau-
ſamkeit ; die Mordluſt ; und die Zerſtoͤrung fuͤr
ſich allein .
Daß in Minervens hoher Goͤtterbildung , ſo
wie beim Apollo , das ganz Entgegengeſetzte ſich
zuſammenfindet , macht eben dieſe Dichtung ſchoͤn ,
welche hier gleichſam zu einer hoͤhern Sprache
wird , die eine ganze Anzahl harmoniſch ineinan-
der toͤnender Begriffe , die ſonſt zerſtreut und ein-
zeln ſind , in einem Ausdruck zuſammenfaßt .
So iſt Minerva die verwundende und die hei-
lende ; die zerſtoͤrende und die bildende ; eben die
Goͤttin , welche am Waffengetuͤmmel und an der
tobenden Feldſchlacht ſich ergoͤtzt , lehrt auch die
Menſchen die Kunſt zu weben , und aus den Oli-
ven das Oehl zu preſſen .
Die furchtbare Zerſtoͤrerin der Staͤdte , wett-
eifert mit dem Neptun nach weſſen Nahmen die
gebildetſte Stadt , die je den Erdkreis zierte , ge-
nannt werden ſollte ; und als der Koͤnig der Ge-
waͤſſer mit ſeinem Dreizack das kriegeriſche Roß
hervorrief , ſo ließ ſie den friedlichen Oehlbaum
aus der Erde ſproſſen , und gab der Stadt , worin
die Kuͤnſte bluͤhen ſollten , ihren ſanftern Nahmen .
Die Wildheit des Kriegeriſchen war bei dieſer
Goͤttergeſtalt durch ihre Weiblichkeit gemildert , und
die Weichheit und Sanftheit des Friedens und
der bildenden Kuͤnſte , lag unter der kriegeriſchen
Geſtalt verdeckt . — Was man ſich ſelten zuſam-
mendenkt , und was in dieſem ſchoͤnen Ganzen
der Natur doch eingehuͤllt noch ſchlummert , das
rief die hohe Dichtung in eine einzige vielumfaſ-
ſende Goͤttergeſtalt herauf , und hauchte dem neu
ſich bildenden Begriffe Leben ein .
Ohngeachtet des Entgegengeſetzten ſtoͤrt doch
keins der Bilder , welche dieſe Dichtung in ſich
vereinigt , die Harmonie des Ganzen . — Alles
deutet auf kalte uͤberlegende Weisheit , welche nie
die Stimme der Leidenſchaft hoͤrt , und zugleich in
das Zuruͤckſchreckende der gaͤnzlichen Unzaͤrtlichkeit
ſich einhuͤllt .
Das verſteinernde Haupt der Meduſa drohet
auf dem Schilde , welcher Minervens Bruſt be-
deckt ; — es iſt der duͤſtre freudenloſe Nachtvo-
gel , der uͤber ihrem Haupte ſchwebt . — Sie ſel-
ber iſt es , die den duldenden , ſtandhaften , kal-
ten , und verſchlagenen Ulyſſes in Schutz nimmt ,
und die aufgebrachten Helden zur Kaltbluͤtigkeit
zuruͤckruft . —
Auch wird in dieſen Dichtungen die ſanftre
kriegeriſche Macht der ungeſtuͤmern als uͤberlegen
dargeſtellt . Da nemlich in dem Kriege vor Troja
zuletzt die Goͤtter ſelber , nachdem ſie die Parthei
der Griechen oder Trojaner nahmen , ſich zum
Streit auffordern ; ſo tritt der wilde Kriegsgott
Mars gegen die ſanftre und erhabnere Pallas auf ,
und rennt mit ſeiner Lanze wuͤthend gegen ihren
Schild an , wogegen ſelbſt Jupiters Blitze nichts
vermoͤgen .
Sie aber tritt ein wenig zuruͤck , und hebt mit
ſtarker Hand vom Felde einen ungeheuren Grenz-
ſtein auf , den ſchleudert ſie gegen die Stirne des
Kriegesgottes , daß er darnieder faͤllt , und ſieben
Joch Landes deckt . —
Demohngeachtet aber laͤßt die Dichtung auch
die Zuͤge dieſer maͤnnlichſtarken erhabnen Goͤttin
ganz leiſe wieder ins Weibliche uͤbergehen . —
Denn da ſie die Floͤte erfunden hatte , und in der kla-
ren Fluth ſich ſpiegelnd , ſahe , daß durch das Blaſen
ſich ihr Geſicht entſtellte , ſo warf ſie die Floͤte
weg , die Marſyas nachher zu ſeinem Ungluͤck
fand .
Auch war ſie , gleich der Juno , eiferſuͤchtig ,
daß Venus den goldnen Apfel , als den Preis der
Schoͤnheit , aus Paris Hand erhielt . Sie ruhte
gleich der Juno nicht eher , bis Troja in Flam-
men ſtand , des Priamus Geſchlecht vertilgt , und
ihre Rache befriedigt war . — Die Goͤtterbildung
wird menſchenaͤhnlich , und ſtellt die Rachſucht
ſelbſt , wegen der Macht , mit der ſie ausgeuͤbt
wird , in hoher dichteriſcher Schoͤnheit dar .
Eine einfache und ſchoͤne Darſtellung der Mi-
nerva im Bruſtbilde , nach einem antiken geſchnitt-
nen Steine aus der Lippertſchen Daktyliothek , befin-
det ſich auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel ; und
darunter das Haupt der Meduſa , wie es die Alten
gebildet haben , ſo daß es groß in ſeinen Zuͤgen und
ſchrecklich , dennoch ſchoͤn iſt . —
Dieß Haupt , vom Koͤrper abgeſondert , macht
in ſeinen großen Zuͤgen gleichſam fuͤr ſich ein Gan-
zes aus , und ſtellt ſich wie eine furchtbare Erſchei-
nung dar ; — ſo fuͤrchtet Ulyſſes in der Unterwelt
als ſich die Schatten ſchaarenweiſe zu ihm draͤn-
gen , daß Proſerpina endlich das Haupt der
Gorgo ihm entgegen ſenden moͤchte , und eilet ,
dem toͤdtlichen Anblick zu entfliehen .
Mars .
Auch dem Furchtbaren und Schrecklichen ,
dem verderblichen Kriege ſelber , gab die Einbil-
dungskraft der Alten Perſoͤnlichkeit und Bildung ,
und milderte ſelbſt dadurch den Begriff des Wil-
den und Ungeſtuͤmen , das durch die Heere wie
ein Wetter hinfaͤhrt ; Wagen zertruͤmmert ; Hel-
me zerſchellt ; den Tapfern wie den Feigen , im
wirbelnden Sturme zu Boden wirft ; und uͤber der
grauenvollen Verwuͤſtung triumphiert .
Die menſchenaͤhnliche Bildung , worin die
Dichtung dieſe furchtbare Erſcheinung huͤllte , und
ſie dem Chor der ſeeligen Goͤtter zugeſellte ; gab
nun dem Krieger auch ein hohes Urbild , das uͤber
ihm in Majeſtaͤt gehuͤllt war , und das er durch
Kuͤhnheit und Tapferkeit nachahmend in ſich uͤber-
trug .
Demohngeachtet verliert ſich zuweilen in den
Dichtungen die menſchenaͤhnliche Bildung des
Mars wieder in den Begriff des ſtreitenden
Heers . — Als er ſelbſt im Treffen vor Troja ,
mit Huͤlfe der Minerva , von dem tapfern Dio-
medes verwundet wurde , ſo bruͤllte er wie zehn-
tauſend Mann im Schlachtgetuͤmmel , — und
Furcht und Entſetzen kam die Trojaner und
Griechen an , als ſie den ehernen Kriegsgott
bruͤllen hoͤrten . — Dieſer aber erſchien dem
Diomed wie naͤchtliches Dunkel , das vor dem
Sturme hergeht , als er in Wolken gehuͤllt zum
Himmel aufſtieg .
Und als er nun hier beim Jupiter ſich beklagte ,
ſo ſchalt ihn dieſer mit zuͤrnenden Worten : be-
laͤſtige mich nicht mit deinen Klagen , Unbeſtaͤn-
diger , der du mir der verhaßteſte unter allen Goͤt-
tern biſt , die den Olymp bewohnen . — Denn
du haſt nur Gefallen an Krieg und Streit — in
dir wohnet ganz die Gemuͤthsart deiner Mut-
ter , — und waͤrſt du der Sohn eines andern
Gottes und nicht mein Sohn , ſo laͤgſt du laͤngſt
ſchon tiefer , als Uranos Soͤhne liegen .
Die Unbeſtaͤndigkeit des Mars , welche ihm
auch Minerva vorwirft , die ihn einen Ueber-
laͤufer ſchilt , der es bald mit dem einem Heer ,
bald mit dem andern haͤlt , iſt wiederum der Be-
griff des Krieges ſelber , den die Dichtkunſt hier
als ein Weſen darſtellt , das gleichſam um ſein
ſelbſt willen da iſt , unbekuͤmmert , wer uͤberwun-
den wird oder ſiegt ; wenn nur das Schlachtge-
tuͤmmel fortwaͤhrt .
So zuͤrnen die erhabenern und eben deswe-
gen auch ſanftern Gottheiten , Minerva und Jupi-
ter auf den ungeſtuͤmen und unbeſtaͤndigen Mars , —
der aber demohngeachtet als ein hohes Weſen ſei-
nen Sitz unter den himmliſchen Goͤttern hat , und
dem auf Erden Tempel und Altaͤre geweiht ſind .
Auch wußte der wilde Mars mit ſeinem ju-
gendlichen Ungeſtuͤm die ſanfte Venus ſelbſt zu feſ-
ſeln , die ihrem Gatten dem kunſtreichen bildenden
Vulkan , den zerſtoͤrenden Kriegsgott vorzog , mit
dem ſie ein verſtohlnes Liebesbuͤndniß knuͤpfte . —
Aus dieſem verſtohlnen Buͤndniß des Sanf-
ten mit dem Ungeſtuͤmen , entſtand Harmonia ,
der Venus ſchoͤne Tochter , die mit Kadmus , dem
Stifter und Erbauer von Theben , ſich ver-
maͤhlte . —
Auf der Untreue der Venus verweilt die bil-
dende Kunſt der Alten und ihre Dichtkunſt gern . —
Vulkanus zuͤrnt vergeblich ; die Schoͤnheit bindet
ſich an kein Geſetz ; ſie iſt uͤber allen Zwang erha-
ben ; und das verderbliche Jugendliche , iſt ,
was ihr wohl gefaͤllt .
So wie nun Venus mit Zaͤrtlichkeit den Krie-
gesgott feſſelt ; ſo haͤlt Minerva ihn mit Weis-
heit von ſeinem Ungeſtuͤm zuruͤck . — Denn als
einſt Jupiters drohendes Verbot den Goͤttern un-
terſagt hatte , in den Krieg der Trojaner und
Griechen ſich zu miſchen , und Mars vernahm ,
ſein Sohn Askalaphus ſey erſchlagen ; ſo ließ er
ſeine Diener , das Schrecken und das Entſetzen
die Pferde vor ſeinen Wagen ſpannen , und legte
ſeine leuchtenden Waffen an .
Zuͤrnt nicht , ihr Goͤtter , ſprach er , daß ich
den Tod meines Sohnes raͤche , wenn Jupiter
J
ſelbſt auch ſeine Blitze auf mich ſchleudert . — Da
ſprang Minerva zu , riß ihm den ehernen Spieß
aus ſeiner ſtarken Hand , den Helm vom Haupte ,
den Schild von ſeiner Schulter . — Raſender ,
ſprach ſie , willſt du uns alle ins Verderben ſtuͤr-
zen , wenn aufs hoͤchſte Jupiters Zorn gereitzt
iſt ! — Laß ab zu zuͤrnen , denn mancher iſt er-
ſchlagen , der ſtaͤrker war als dein Sohn , und
mancher Staͤrkere wird noch fallen ; — wer kann
die Sterblichen vom Tode befreien ! — ſo ſprach
ſie , und brachte den Mars zu ſeinem Sitz zuruͤck .
Wer ſieht nicht , durch alle dieſe menſchenaͤhn-
lichen Darſtellungen der Goͤtter , die großen Bilder
und Gedanken durchſchimmern , welche dieſen Dich-
tungen Hoheit und Wuͤrde geben ; — es ſind im-
mer die Begriffe von wilder Zerſtoͤrung , Sanft-
heit des Erhabenen , hohem Reitz des Schoͤnen ,
und von lenkender Weisheit , die auf mannichfal-
tige Weiſe ineinander ſpielen , und unter der Decke
des Menſchenaͤhnlichen ſich verhuͤllen .
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt nach
einem antiken geſchnittenen Steine aus der Lippert-
ſchen Daktyliothek , der Kriegesgott abgebildet ,
wie er , ſich mit der Rechten ſtuͤtzend , und Spieß
und Schild in der Linken tragend , vom Gipfel
des umwoͤlkten Olymps herniederſteigt . — Auf
eben dieſer Tafel iſt Venus mit dem Liebesgott ,
ebenfalls nach einem antiken geſchnittenen Steine ,
im Umriß abgebildet .
Venus .
Man verehrte in dieſer reitzenden Goͤtterge-
ſtalt , den heiligen Trieb der alle Weſen fort-
pflanzt . — Die Fuͤlle der Lebenskraft , die in die
nachkommenden Geſchlechter ſich ergießt . — Den
Reitz der Schoͤnheit , der zur Vermaͤhlung an-
lockt ; — ſie war es , welche den Blick der Goͤtter
ſelbſt auf Jugend und Schoͤnheit in ſterblichen
Huͤllen lenkte , und triumphirend ihrer Macht ſich
freute , bis auch ſie erlag , dem bluͤhenden Anchi-
ſes ſich in die Arme werfend ; von welchem ſie
Aeneas , den goͤttergleichen Held gebahr . —
So wie nun aber jener ſanfte wohlthaͤtige
Trieb , auch oft verderblich wird , und uͤber ganze
Nationen Krieg und Unheil bringt , ſo ſtellt die
ſanfteſte unter den Goͤttinnen , ſich in den Dich-
tungen der Alten , auch als ein furchtbares We-
ſen dar .
Sie hatte den Paris , der ihr vor allen Goͤt-
tinnen den Preis der Schoͤnheit zuerkannte , das
ſchoͤnſte Weib verſprochen ; nun ſtiftete ſie ſelbſt
ihn an , dem griechiſchen Menelaus ſeine Gattin ,
die Helena , zu entfuͤhren , und floͤßte dieſer ſelbſt
zuerſt den Wankelmuth und die Treuloſigkeit in
den Buſen ein .
J 2
So hielt ſie dem Paris ihr Wort , ganz unbe-
kuͤmmert , was fuͤr Zerſtoͤrung und Jammer dar-
aus entſtehen wuͤrde . — Im Kriege vor Troja
huͤllte ſie den Paris , als Menelaus im Zweikampf
ihn toͤdten wollte , in naͤchtliches Dunkel ein , und
fuͤhrte ihn in ſein duftendes Schlafgemach , wo
ſie ſelber die Helena zu ihm rief . —
Und als dieſe , ihre Schuld bereuend , ſich wei-
gerte , der Liebesgoͤttiu Ruf zu folgen , ſo ſprach
Venus mit zuͤrnenden Worten : Elende ! reitze
mich nicht , damit ich nicht eben ſo ſehr dich haſſe ,
als ich bis jetzt dich liebte . — Unter den Troja-
nern und Griechen ſtifte ich dennoch verderblichen
Hader an , dich aber ſoll ein unſeeliges Schickſal
treffen ! —
Und nun laͤßt die gebietende Venus , dem
rechtmaͤßigen erzuͤrnten Gatten gleichſam zum
Trotz , den wolluͤſtigen Paris die Freuden der
Liebe genießen . — Wenn nun dieſe Goͤttergeſtalt
zugleich die kalte Weisheit der Minerva , oder den
Ernſt der Themis , in ſich vereinte , ſo wuͤrde ſie
freilich nicht ſo ungerecht , um die verderbliche
Luſt eines einzigen Lieblings zu beguͤnſtigen , der
alles verwuͤſtenden Zerſtoͤrung , die ſie dadurch ver-
anlaßt , ruhig zuſehn .
Dann waͤre ſie aber auch nicht mehr aus-
ſchließend die Goͤttin der Liebe ; ſie bliebe kein
Gegenſtand der Phantaſie ; und waͤre nicht mehr
die hohe dichteriſche Darſtellung desjenigen , was
in der ganzen Natur mit unwiderſtehlichem Reitze
unaufhoͤrlich fortwirkt , unbekuͤmmert , ob es Spu-
ren blutiger Kriege oder gluͤcklich durchlebter Men-
ſchenalter hinter ſich zuruͤck laͤßt . —
Ueberhaupt iſt es das Mangelhafte , oder die
gleichſam fehlenden Zuͤge , in den Erſcheinungen
der Goͤttergeſtalten , was denſelben den hoͤchſten
Reitz giebt , und wodurch eben dieſe Dichtungen
ineinander verflochten werden .
Der hohen Juno mangelt es an ſanftem Lieb-
reitz ; ſie muß den Guͤrtel der Venus borgen . — Die
uͤberlegende Weisheit fehlt dem maͤchtigen Krieges-
gotte ; Minerva lenkt ſeinen Ungeſtuͤm .
Venus beſitzt den hoͤchſten Liebreitz ; aber Mi-
nerva , der es ganz an weiblicher Zaͤrtlichkeit man-
gelt , iſt ihr an Macht weit uͤberlegen . Im Tref-
fen vor Troja , wo zuletzt die Goͤtter ſelber ſich
zum Streit auffordern , und Venus den Trojanern ,
Minerva den Griechen beiſteht , giebt Minerva
der Venus , die dem Mars zu Huͤlfe eilt , mit
ſtarker Hand einen Schlag auf die Bruſt , daß
ihre Knie ſinken ; und Minerva ſagt triumphie-
rend : moͤgen doch alle , die den Trojanern beiſte-
hen , der Venus an Tapferkeit und Kuͤhnheit glei-
chen !
Als Venus vom Diomed in die Hand ver-
wundet gen Himmel ſtieg , und bei ihrer Mutter
Dione uͤber die verwegene Kuͤhnheit der Sterbli-
chen ſich beklagte ; ſo ſpottete Minerva ihrer mit
den Worten : gewiß hat Venus irgend eine ſchoͤne
geſchmuͤckte Griechin uͤberreden wollen , daß ſie ih-
ren geliebten Trojanern folgen moͤchte , und beim
Liebkoſen hat ſie ſich in die goldene Schnalle die
zarte Hand geritzt .
Da laͤchelte der Vater der Goͤtter und Men-
ſchen , rief die Venus zu ſich , und ſprach zu ihr
mit ſanften Worten : Die kriegeriſchen Geſchaͤfte ,
mein Kind , ſind nicht dein Werk ; die Freuden
der Hochzeit zu bereiten , iſt dein ſuͤß Geſchaͤft ;
laß du nur fuͤr das wilde Kriegsgetuͤmmel Mars
und Minerva ſorgen !
So ſcherzte in dieſen Dichtungen der Alten
die Phantaſie in kuͤhnen Bildern , mit der Gott-
heit , die ſie ſich in den kleinſten Zuͤgen nach dem
Bilde der Menſchen ſchuf , und dennoch die groͤß-
ten und erhabenſten Erſcheinungen der alles um-
faſſenden Natur beſtaͤndig zu ihrem hohen Urbilde
nahm .
Die Horen empfangen die Venus , wenn
ſie , nach der alten Dichtung , dem Meer ent-
ſteigt ; ſie ziehen ihr goͤttliche Kleider an , ſetzen
ihr aufs unſterbliche Haupt die goldene Krone ;
ſchmuͤcken ihr mit goldenem Geſchmeide Hals und
Arme ; und haͤngen blitzende Ohrgehaͤnge in
ihre durchloͤcherten Ohren ; — ſo mahlt ſich
bis auf den kleinſten weiblichen Schmuck das Bild
der hohen Goͤttin aus . —
Der Venus waren vom Jupiter die Gra-
zien zugeſellt — in ihrem Gefolge waren die Lie-
besgoͤtter , — vor ihren Wagen waren Tauben
geſpannt . — Alles iſt ſanft und weich in dieſem
Bilde ; — doch iſt der Liebesgott mit Bogen und
Pfeil bewafnet , und ſtellt die furchtbare Macht
ſeiner himmliſchen Mutter , der alles beſiegenden
Goͤttin , in ſich dar . —
Diana .
Drei himmliſche Goͤttinnen ſind uͤber die
Macht der Venus erhaben . — Minerva , welche
dem Kriege vorſteht , und nuͤtzliche Kuͤnſte die
Menſchen lehrt . — Die jungfraͤuliche Veſta ,
welche bei Jupiters Haupte ſchwur , ſich nie einem
Manne zu vermaͤhlen — und Diana , mit dem
goldenen Bogen , die ſich der Pfeile freut , an
ſchattigten Waͤldern ihre Luſt hat , und an der
Verfolgung der ſchnellen Hirſche ſich ergoͤtzt . —
Als Jupiter , den ſie ſchmeichelnd bat , ihr
den jungfraͤulichen Stand vergoͤnnte , ſo nahm ſie
Pfeil und Bogen , zuͤndete ihre Fackel bei Jupi-
ters Blitzen an , und ging , von ihren Nymphen
begleitet , hoch in den Waͤldern einher , und auf
den ſtuͤrmiſchen Gipfeln . —
Sie ſpannt den goldenen Bogen , und ſendet
die toͤdtlichen Pfeile ab ; die Spitzen der Berge
zittern . — Vom Aechzen des Wildes ertoͤnt der
Wald , — hoch uͤber alle ihre Nymphen ragt die
Goͤttin mit Stirn und Haupt empor , und wen-
det ihr Geſchoß nach allen Seiten .
Doch vergißt die hohe Goͤttin auch im Ge-
tuͤmmel der Jagd des himmliſchen Bruders nicht . —
Und wenn ſie gnug mit Jagen ſich ergoͤtzt hat , ſo
ſpannt ſie den goldnen Bogen ab , und eilet nach
Delphi , zu dem Sitze des leuchtenden Apollo , —
da haͤngt ſie ihren Bogen auf , und fuͤhrt die
Choͤre der Muſen und Grazien an , welche das
Lob der himmliſchen Latona ſingen , die ſolche Kin-
der gebahr . —
Als die Schweſter des Apollo ſchimmert Dia-
na am hellſten hervor , weil dieſer ſeinen Glanz
mit auf ſie wirft — ſo wie ſie mit ihm vereint ,
die Kinder der Niobe mit ſchrecklichen Pfeilen toͤd-
tet ; ſo richtet ſie auch mit ihm vereint ihr ſanftes
Geſchoß auf die Geſchlechter der Menſchen , die
gleich den welkenden Blaͤttern , der bluͤhenden
Nachkommenſchaft allmaͤlig weichen .
Nach einer ſchoͤnen Dichtung uͤbte ſich Diana
zu dieſem Geſchaͤft zuerſt an Baͤumen , dann an
Thieren , und zuletzt an einer ungerechten Stadt ,
wo ſie die Menſchen mit verderblichen , Krankheit
und Seuchen bringenden Pfeilen erlegte .
Das Urbild der Diana iſt der leuchtende
Mond , der kalt und keuſch in naͤchtlicher Stille
uͤber die Waͤlder ſeinen Glanz ausſireuet . — Dieſe
Keuſchheit der Diana ſelber aber iſt ein furchtbarer
Zug in ihrem Weſen . — Den Jaͤger Aktaͤon , der ſie
im Bade erblickte , ließ ſie , in einen Hirſch verwan-
delt , von ſeinen eigenen Hunden zerriſſen , ihrer
jungfraͤulichen Schamhaftigkeit ein ſchreckliches
Opfer werden .
Und als eine Prieſterin der Diana ihren Tem-
pel durch die Annahme der Beſuche ihres gelieb-
ten Juͤnglings in demſelben entweihte , beſtrafte
die Goͤttin das ganze Land mit Peſt und Seu-
chen , bis man das ſchuldige Paar ihr ſelber zum
Opfer brachte . — Ihr widmeten ſich die Jung-
frauen , die das Geluͤbde der Keuſchheit thaten , deſ-
ſen Verletzung ſie mit grauſamen Strafen raͤchte .
Wenn Jungfrauen , die dieß Geluͤbde thaten ,
ſich dennoch , ihren Entſchluß bereuend , vermaͤhlen
wollten , ſo zitterten ſie vor Dianens Rache , und ſuch-
ten die zuͤrnende Goͤttin mit Opfern zu verſoͤhnen .
Diana und Venus waren die allerentgegen-
geſetzteſten unter den himmliſchen Goͤttergeſtal-
ten . — Demohngeachtet wurden beide verehrt . —
Die ausſchweifende Luſt der einen , und die Keuſch-
heit der andern war uͤber Lob und Tadel der Sterb-
lichen weit erhaben , die eine wie die andre , gleich
wohlthaͤtig und gleich furchtbar .
Als aber die maͤchtige Diana in dem Treffen
vor Troja , die maͤchtigere Juno zum Streit
aufforderte , ſo fuͤhlte ſie die ſtarken Arme der Ver-
maͤhlten des Donnergottes . — Das Wild auf den
Bergen , ſprach Juno , kannſt du toͤdten , aber
nicht mit Maͤchtigern ſtreiten !
Darauf faßte ſie die beiden Haͤnde der Diana
an dem Gelenke in ihre Linke zuſammen , nahm mit
der Rechten den Koͤcher von Dianens Schulter , und
ſchlug ſie damit auf beide Wangen , daß die Pfeile
zur Erden fielen — und gleich der furchtſamen Taube
vor dem Habicht , floh die ſonſt ſo maͤchtige Goͤttin
weinend davon , und ließ ihren Koͤcher zuruͤck , wel-
chen Latona wieder aufhob , und die zerſtreueten
Pfeile wieder auflaß .
So menſchenaͤhnlich auch dieſe hohen Goͤtter-
geſtalten handeln , iſt dennoch dieſe Dichtung groß
und ſchoͤn , ſobald man ſie nicht einzeln , ſondern
im Sinn des Ganzen dieſer Dichtung nimmt . —
Derſelbe furchtbare Koͤcher , aus welchem die
toͤdtlichen Pfeile ſich uͤber das Geſchlecht der
Sterblichen verbreiten , iſt ein leichtes Spielwerk
in den Haͤnden der erhabenen Juno , die ihn als
ein Werkzeug braucht , den Uebermuth der Min-
dermaͤchtigen zu beſtrafen , deren erroͤthende Wan-
ge , von einer ſtaͤrkern Hand die Schlaͤge des raſ-
ſelnden Koͤchers fuͤhlt , mit welchem ſie ſonſt furcht-
bar einhergeht . — Es giebt kein treffenderes Bild
der tief gedemuͤthigten weiblichen Macht als dieß .
Der weiſere Apoll antwortet dem Neptun , der
ihn zum Streit auffordert : warum ſollte ich mit
dir der elenden Sterblichen wegen fechten , die
gleich den Blaͤttern auf den Baͤumen , nur eine
Zeitlang dauern , und bald verwelken ! — Laß
uns vom Kampf abſtehen ; ſie moͤgen unter einan-
der ſich ſelbſt bekriegen !
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich eine Abbildung der Diana nach einem antiken
geſchnittenen Steine , wo ſie , im aufgeſchuͤrzten
Kleide , auf einen attiſchen Pfeiler gelehnt , in
ruhiger Stellung ſteht , den Koͤcher und Bogen
auf der Schulter , und als die Erleuchterin der
Nacht mit einer Fackel in der Hand , welche ſie
auszuloͤſchen im Begriff iſt .
Hinter ihr ragt ein Berg hervor , welcher ſie
als die Goͤttin bezeichnet , die auf den waldigten Gip-
feln einhergehend , die Spur des Wildes verfolgt .
Auf eben dieſer Kupfertafel befindet ſich auch
eine Abbildung der Ceres nach einem antiken ge-
ſchnittenen Steine . — In der Rechten haͤlt ſie
eine Sichel , in der Linken eine Fackel , die ſie auf
dem Aetna anzuͤndete , um ihre geraubte Tochter
in den verborgenſten Winkeln der Erde zu ſuchen .
Zu ihren Fuͤßen ſchmiegen ſich die Drachen , die
ihren Wagen zogen .
Ceres .
Unter den drei hohen Goͤttinnen , die vom
Saturnus erzeugt , und von der Rhea gebohren
ſind , iſt Juno allein die Koͤnigin des Himmels . —
Ceres und Veſta ſind auf Erden wohlthaͤtige
Weſen , wovon die eine den naͤhrenden Halm her-
vorruft ; die andre ſelbſt jungfraͤulich , dennoch
den Schooß der Erde mit heiliger fruchtbarmachen-
der Waͤrme durchgluͤht .
Mit der Ceres erzeugte der Vater der Goͤtter
die jungfraͤuliche Proſerpina , welcher des Lichtes
ſuͤßer Anblick nur kurze Zeit gewaͤhrt war — denn
nur zu bald wurde Jugend und Schoͤnheit ein
Opfer des unerbittlichen Orkus . —
Da ſie in ſorgenfreier Unſchuld mit ihren Ge-
ſpielinnen auf der Wieſe Blumen ſammlet , ſchlingt
ſchon der Koͤnig der Schrecken die ſtarken Arme
um ſie her , und hebt die umſonſt ſich ſtraͤubende
auf ſeinen mit ſchwarzen Roſſen beſpannten Wa-
gen . —
Zuͤrnend und mitleidsvoll verſucht die Nymphe
Cyane die ſchnaubenden Roſſe aufzuhalten . —
Pluto aber ſtampft mit ſeinem zweizackigten Zepter
von Ebenholz den Boden , und oͤfnet ſich mitten
durch die Kluͤfte der Erde zu ſeinem unterirdiſchen
Pallaſt einen Weg .
Ceres aber , da ſie den Raub ihrer Tochter
vernimmt , unwiſſend wer ſie entfuͤhrte , zuͤndet
auf dem flammenden Aetna ihre Fackel an , ſetzt
ſich auf ihren mit Drachen beſpannten Wagen ,
und ſucht ihre Tochter in den verborgenſten Win-
keln der Erde , wohin kein Strahl der Sonne
drang . — Sie ſucht die Nacht zu erleuchten ; das
Verborgene aufzudecken ; um das Verlohrne
und Entſchwundene , was ihr ſo nah ver-
wandt iſt , wieder ans Licht zu bringen . —
Nachdem ſie ihre Tochter nun vergebens auf
der ganzen Erde geſucht hatte , ſo kam ſie endlich
in Eleuſis , einem Flecken in Attika , ermuͤ-
det an . —
Mit der Macht der Gottheit verknuͤpft die
ſchoͤne Dichtung menſchliches Leiden . — Die
erhabene Goͤttin war jammervoll — ſie ſetzte ſich
betruͤbt auf einem Steine nieder — bis der gaſt-
freie Celeus ſie in ſeine Wohnung einlud , ohnge-
achtet ſein Haus voll Trauer war , weil ſein ge-
liebter Sohn in letzten Zuͤgen lag .
Die Goͤttin nahm an dieſer Trauer Theil ,
weil ſie den Schmerz uͤber den Verluſt eines Kin-
des in ſeiner ganzen Groͤße ſelber kannte . — Nun
aber that ſie , was als Goͤttin ihr ein Leichtes
war ; ſie machte des Celeus Sohn geſund .
Auch wollte ſie die Unſterblichkeit dem bluͤ-
henden Knaben ſchenken , indem ſie ihn alle Nacht
auf ihrem Schooße in Flammen huͤllte , um alles
Sterbliche an ihm zu tilgen ; bis durch den unge-
ſtuͤmen Schrei , und durch die unzeitige Furcht der
Mutter , welche die Ceres einſt bei dieſem Geſchaͤft
belauſchte , auch dieſer Wunſch der Goͤttin verei-
telt ward .
Dennoch ſetzte ſie ihrer Wohlthaͤtigkeit keine
Schranken ; ſie gab dem Triptolemus des Ce-
leus aͤlterm Sohne , einen Wagen mit fliegenden
Drachen beſpannt , und ſchenkte ihm den edlen
Waizen , daß er ihn auf der ganzen Erde mit vol-
len Haͤnden ausſtreuen , und Seegen allenthalben
ſeine Spur begleiten ſollte .
Endlich entdeckte nun auch der Ceres die all-
ſehende Sonne den Aufenthalt ihrer Tochter , —
da forderte ſie die gewaltſam Geraubte zuͤrnend
vom Orkus wieder , — und Jupiter ſelber bewil-
ligte Proſerpinens Ruͤckkehr , unter der Bedin-
gung , daß von der Koſt in Plutos Reiche ihre
Lippe noch unberuͤhrt ſey .
Proſerpina aber hatte dem Reitz nicht wider-
ſtanden , aus einem Granatapfel einige Koͤrner zu
verzehren , — nun war ſie dem Orkus eigen , und
konnte keine Ruͤckkehr hoffen .
Dennoch bewirkte ihre maͤchtige Mutter , daß
ſie nur einen Theil des Jahres beim Pluto ver-
weilen durfte , den andern aber wieder auf der
Oberwelt des himmliſchen Lichts genoͤſſe , damit
die liebende Mutter ſich alljaͤhrlich der wiederge-
fundenen Tochter freue .
Durch alle dieſe Dichtungen ſchimmern die
Begriffe von der geheimnißvollen Entwickelung
des Keims im Schooß der Erde , von dem innern
verborgenen Leben der Natur hervor . — Es giebt
keine Erſcheinung in der Natur , wo Leben und
Tod , dem Anſehen nach , naͤher aneinander
grenzen , als da , wo das Saamenkorn , dem Auge
ganz verdeckt , im Schooß der Erde vergraben , und
gaͤnzlich verſchwunden iſt ; und dennoch grade auf
dem Punkte , wo das Leben ganz ſeine Endſchaft
zu erreichen ſcheint , ein neues Leben anhebt .
Durch den ſanften Schooß der Ceres pflanzen
ſich bis in das dunkle Reich des Pluto die himmli-
ſchen Einfluͤſſe fort . — Pluto heißt auch der ſty-
giſche oder unterirdiſche Jupiter ; und mit ihm
vermaͤhlt ſich des himmliſchen Jupiters reitzende
Tochter , in welcher die Dichtung die entgegen-
geſetzten Begriffe von Leben und Tod zuſammen-
faßt , und durch welche ſich zwiſchen dem Hohen
und Tiefen ein zartes geheimnißvolles Band
knuͤpft .
Auf den Marmorſaͤrgen der Alten findet
man oft den Raub der Proſerpina abgebildet , —
und bei den geheimnißvollen Feſten , welche der
Ceres und der Proſerpina gefeiert wurden , ſcheint
es , als habe man grade dieß Aneinandergrenzen
des Furchtbaren und Schoͤnen , zum Augenmerk
genommen , um die Gemuͤther der Eingeweihten
mit einem ſanften Staunen zu erfuͤllen , wenn das
ganz Entgegengeſetzte ſich am Ende in Harmonie
aufloͤßte . —
An die Vorſtellung vom Ackerbau , welche
den Menſchen nachher ſo gewoͤhnlich und alltaͤglich
geworden iſt , knuͤpften ſich in jenen Zeiten , wo
man noch die Gaben der Natur gleichſam unmit-
telbar aus ihrer Hand empfing , erhabne und
ſchoͤne Begriffe an ; — es war die Menſchheit
und ihre hoͤhere Bildung ſelber , die man in
dieſer einfachen Vorſtellung wiederfand , unter
welcher man ſich auch die ganze Natur mit ihren
wunderbarſten abwechſelnden Erſcheinungen dach-
te , und ſich an dieſelbe unter allen ihren Ge-
ſtalten , ſo nahe wie moͤglich anſchloß .
Unter den hohen Goͤttergeſtalten iſt Ceres
eine der ſanfteſten und mildeſten ; demohngeachtet
ließ ſie auch den Eryſichthon , welcher an einem
ihr geweihten heiligen Haine Frevel veruͤbte , ihre
furchtbare Macht empfinden . — Sie ſelber warnte
ihn zuvor , da er im Begriff war die heilige Pap-
pel umzuhauen ; als er aber dennoch den grauſa-
men Hieb vollfuͤhrte , ſo mußte er fuͤr ſein Ver-
gehen gegen die alles ernaͤhrende Goͤttin , mit
ewig nicht zu ſtillendem Hunger , buͤßen .
Und als ſie ihre verlohrne Tochter auf dem
ganzen Erdkreis ſuchend , einſt lechzend und ermat-
tet in eine Huͤtte einkehrte , wo ſie begierig trin-
kend , von einem Knaben verſpottet ward , ſo
duldete ſie die Schmach nicht , ſondern beſprengte
den kindiſchen Frevler mit Waſſertropfen , der
ploͤtzlich in eine Eidexe verwandelt , von der furcht-
baren Macht der Goͤttin ein Zeuge ward .
Vulkan .
Das Muͤhſame und Beſchwerliche der Arbeit
in der mit Rauch und Dampf erfuͤllten Werkſtatt ,
zuſammengedacht mit der erhabnen Kunſt , die
unermuͤdet hier mit ſchaffendem Geiſte wirkt ,
huͤllte die Phantaſie der Alten in eine eigene hohe
Goͤtterbildung ein , bei welcher alle Kraft ſich in
den maͤchtigen Arm vereint , der den gewaltigen
Hammer auf dem Ambos fuͤhrt , indeß die gelaͤhm-
ten Fuͤße hinken .
Wetteifernd mit dem Jupiter hatte Juno den
Vulkan , wie dieſer die Minerva , aus ſich ſelbſt
gebohren und erzeugt . — Jupiter aber ſchleuderte
ihn vom Himmel hinab ; er ſollte in den glaͤnzen-
den Reihen des hohen Goͤtterchors nicht aufge-
nommen ſeyn . —
Der Rauch , der ſchwarze Dampf , die halb-
erſtickte Flamme , vereinte ſich mit dem reinen
K
Aether nicht , und widerſtrebte dem Begriff von
Klarheit , Schoͤnheit , und hoher Goͤtterwuͤrde . —
Die Haͤßlichkeit Vulkans iſt ihm ein bittrer Vor-
wurf .
Und dennoch nahm die Phantaſie auch dieſe
Goͤtterbildung unter den Glanz des Hohen und
Himmliſchen , durch den Weg des Komiſchen
wieder auf . — Die ſeeligen Goͤtter gerathen in
ein unendliches Lachen , wenn der hinkende Vul-
kan das Amt des Ganymed verwaltend , und ſelbſt
uͤber ſein Gebrechen ſcherzend , den mit Nektar
gefuͤllten Becher in der Verſammlung der Goͤtter
umherreicht . —
Die kuͤhne Einbildungskraft der Alten aber
wußte das Komiſche ſelber wieder mit Goͤtter-
macht und Hoheit , und einer uͤber alles Menſch-
liche erhabnen Wuͤrde zu umkleiden , wodurch ſie
eine Schattirung mehr erhielten , die ihren Dich-
tungen einen unnachahmlichen Reitz giebt .
Der Hinkende , wegen ſeiner Haͤßlichkeit vom
Himmel geſchleuderte Sohn der Juno , welcher
unbehuͤlflich das Amt des zarten Ganymed verrich-
tet , iſt in der mechaniſchen Kunſt vortreflich ; bei
dieſer ſchaden ihm die gelaͤhmten Fuͤße nicht ; auch
ſchmaͤlert ſein Sturtz vom Himmel die Macht und
Hoheit nicht , wodurch er ein Gegenſtand der Ver-
ehrung der Voͤlker wird .
In ſeiner Schmiede fuͤhrt er auf dem Ambos
mit maͤchtigen Schlaͤgen ſelbſt den Hammer ; —
aber Luft und Feuer ſtehen ihm zu Gebote . — Die
Blaſebaͤlge athmen auf ſeinen Wink , und hauchen
die Flamme ſchwaͤcher oder ſtaͤrker an ; — jeder
ſeiner Gedanken fuͤhrt ſchnell mit Goͤtterkraft ſich
aus , und unter ſeinen bildenden Haͤnden tritt ma-
jeſtaͤtiſch das Werk hervor .
Ihm iſt es ein Leichtes ſeinen Bildungen Le-
ben einzuhauchen ; — er ſchmiedet zwanzig Drei-
fuͤße auf goldenen Raͤdern rollend , welche auf
ſeinen Wink in die Verſammlung der Goͤtter ge-
hen und wiederkehren . — Auch hat er ſich goldne
Maͤgde gebildet , die Leben und Bewegung haben ,
und ihn im Gehen ſtuͤtzen . —
Wenn er aus ſeiner Schmiede tritt , ſo traͤgt
er ein koͤniglich Gewand und Scepter ; — auch
iſt in ihm die hohe bildende Kunſt , obgleich in un-
anſehnliche Geſtalt verhuͤllt , doch mit der Schoͤn-
heit ſelbſt vermaͤhlt ; — durch dieſe Vermaͤhlung
mit der Venus aber , erhaͤlt das Komiſche in den
Zuͤgen der Goͤtterbildung des Vulkan den hoͤch-
ſten Reitz , weil auch die Eiferſucht ſich dazu ge-
ſellt . —
Das kuͤnſtliche Netz , welches der eiferſuͤchtige
Gatte um den Mars und die Venus ſchmiedet ,
und alle Goͤtter herbeiruft , um uͤber ſein Ungluͤck
ſich zu beklagen , iſt in den Dichtungen der Alten
K 2
unter Goͤttern und Menſchen zu einer beluſtigen-
den Fabel geworden , wodurch der finſtre Ernſt ge-
mildert , und das Gemuͤth zu frohem Laͤcheln auf-
geheitert wird .
In der Goͤtterbildung des Vulkan aber findet
ſich das ganz Entgegengeſetzte zuſammen , was
die Alten vorzuͤglich in ihren Dichtungen liebten ;
in ihm vermaͤhlt ſich die Haͤßlichkeit mit der Schoͤn-
heit ſelber ; — das Komiſche iſt in ihm mit Wuͤrde ;
die Schwachheit mit der Staͤrke , die Laͤhmung
des Fußes mit der Kraft des maͤchtigen Arms ver-
eint . — Es iſt , wie wir ſchon bemerkt haben ,
gleichſam das Mangelhafte , oder die fehlenden
Zuͤge , wodurch auch dieſe Goͤttergeſtalt ſich an die
uͤbrigen anſchließt .
Wie hoch aber die Kunſt das Eiſen zu ſchmie-
den von den Alten geſchaͤtzt wurde , erhellet auch
aus dieſer Dichtung , wo ſie unter allen Kuͤnſten
allein das ausſchließende Geſchaͤft eines Gottes
iſt , der ſelber mit in dem Rathe der hohen Goͤt-
ter ſitzt .
Ob nun gleich Vulkan erſt unter den neuen
Goͤttern auftritt , ſo ſchimmert dennoch auch ſein
Urbild unter den alten Goͤttergeſtalten dunkel her-
vor ; — die Kureten oder Korybanten , welche
den Jupiter auf der Inſel Kreta bewachten , wa-
ren nach einer alten Sage , ſeine Abkoͤmmlinge ;
auch war er einer der aͤlteſten oder die aͤlteſte unter
den Aegyptiſchen Gottheiten .
Die Kureten machten ſchon ein Getoͤſe mit
Waffen , die von Eiſen geſchmiedet waren . — Die
Cyklopen hatten ſchon vorher , ehe Jupiters Reich
begann , in den Hoͤhlen der Erde den Blitz und
den Donner bereitet , und die Erde ſelber hatte
ſchon eine Sichel geſchmiedet , womit Saturnus
ſeinen Erzeuger entmannte .
Auch waren eine Art geheimnißvoller Goͤtter-
bildungen aus dem hoͤchſten Alterthum , welche
unter dem Nahmen der Kabiren in Aegypten und
Samothracien verehrt wurden , nach einer alten
Sage , Soͤhne oder Abkoͤmmlinge des Vulkan ,
deſſen Erſcheinung hiedurch auf einmal weit zuruͤck-
tritt , und in den Nebel der grauen Vorzeit ſich
verhuͤllt .
Schoͤn und bedeutend iſt es in dieſen Dich-
tungen , daß die bildenden Goͤtter einander huͤlf-
reich ſind . — Als Prometheus die Menſchen bil-
dete , ſo ſtanden Minerva und Vulkan ihm bei . —
Vulkan aber mußte nachher ſelber auf Jupiters
Befehl den Prometheus an den Felſen ſchmieden ,
welches er nach der Darſtellung des tragiſchen
Dichters , da er dem Donnerer nicht widerſtreben
durfte , mit lautem Jammer that .
Auch wuͤnſchte Vulkan , obgleich vergeblich ,
ſich mit der Minerva zu vermaͤhlen . — Und als
er gewaltſam ſich ihrer zu bemaͤchtigen ſuchte ,
wurde , waͤhrend daß er mit der Goͤttin kaͤmpfte ,
die Erde von ſeiner Zeugungskraft befruchtet , und
gebahr den Erichthonius mit Drachenfuͤßen ,
den Minerva ſelbſt in Schutz nahm , und ihn den
Einwohnern ihrer geliebten Stadt Athen zum
Koͤnige ſetzte , wo er , um ſeine ungeſtalten Fuͤße
zu verbergen , den vierraͤdrigen bedeckten Wagen
erfand . —
Die Drachengeſtalt und Drachenfuͤße bezeich-
nen in dieſen Dichtungen faſt immer das der Erde
entſproſſene , mit der Erde nah verwandte , — ſo
bildet die Phantaſie die himmelanſtuͤrmenden Gi-
ganten , als Kinder der Erde mit Drachenfuͤßen ;
und auch der Wagen der Ceres , die die Erde be-
fruchtet , iſt mit Drachen beſpannt .
Ganz menſchenaͤhnlich ſtellt die Dichtung
den Gott der Flammen dar , wie er , um die The-
tis zu empfangen , die zu ihm koͤmmt , um fuͤr
ihren geliebten Sohn Achilles einen neuen Schild
und Ruͤſtung zu erbitten , ſich mit dem naſſen
Schwamme , erſt Bruſt und Nacken , Geſicht und
Haͤnde waͤſcht , um mit dem Schmutz der Arbeit
nicht vor der beſuchenden Goͤttin zu erſcheinen .
Als er aber in dem Treffen vor Troja auf den
Befehl ſeiner Mutter ſich mit ſeinen Flammen dem
Flußgott Skamander widerſetzte , der mit ſeinen
anſchwellenden Fluthen den Achill verfolgte ; ſo be-
gann ein furchtbarer Kampf zwiſchen den beiden
entgegengeſetzten Elementen . Zuerſt verbrannte
Vulkan das Feld mit allen Todten ; — dann richte-
te er die leuchtende Flamme gegen den hochaufſchwel-
lenden Strom , daß das Schilf an ſeinen Ufern
verbrannte , das Waſſer ſiedete , und die Fiſche ge-
aͤngſtiget wurden . — Da flehte der Flußgott die
Juno um Erbarmung an , — und Vulkan ließ
ab ihn zu aͤngſtigen , da ſeine Mutter es ihm be-
fahl , und zu ihm ſprach : hoͤre auf , es iſt nicht
billig , daß ein unſterblicher Gott der ſterbli-
chen Menſchen wegen ſo gequaͤlt werde !
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich im Umriß nach antiken geſchnittnen Steinen
aus der Lippertſchen Daktyliothek , außer einem
Kopf des Vulkan , noch eine Abbildung deſſelben ,
wie er einen Pfeil ſchmiedet , und ihm zur Seite
Venus mit dem Kupido ſteht , der nach den Pfei-
len greift , die Venus in der Hand haͤlt .
Veſta .
So wie Vulkan die zerſtoͤrende , und auch die
bildende Flamme , das verzehrende Feuer , und
die alles zerſchmelzende Gluth bezeichnet ; ſo iſt der
Veſta hoͤheres Urbild das heilige gluͤhende Leben
der Natur , das unſichtbar mit ſanfter Waͤrme ,
durch alle Weſen ſich verbreitet .
Es iſt die reine Flamme in dem keuſchen Bu-
ſen der hohen Himmelsgoͤttin , welche als ein er-
habnes Sinnbild auf dem Altar der Veſta loderte ,
und wenn ſie verloſchen war , nur durch den elek-
triſchen , durch Reibung hervorgelockten Funken ,
ſich wieder entzuͤnden durfte .
Unter dieſem hohen Sinnbilde wurde das um-
gebende Ganze ſelber in ſeinem geheimſten Mittel-
punkte verehrt , wo Geſtalt und Bildung aufhoͤrte ,
und der runde , umwoͤlbende Tempel , mit dem
Altar und der darauf lodernden Flamme , ſelbſt
das Bild der inwohnenden Gottheit war .
Dieſer uralte Gottesdienſt verflochte ſich auch
in das ſchoͤne haͤusliche Leben der Alten : Man
dankte der Veſta jede wohlthaͤtige Wirkung des
Feuers , die auf Erhaltung und Ernaͤhrung ab-
zweckt . — Sie war es , welche die Menſchen
lehrte , ſich auf dem heiligen Heerde die naͤhrende
Koſt zu bereiten .
Auch das Haͤuſerbauen lehrte Veſta die Men-
ſchen , — und ſo wie das umgebende Ganze
ſelber ihr Tempel war , ſo war auch die ſchuͤtzende
Umgebung des Menſchen ihr wohlthaͤtiges Werk ,
das ihr die Sterblichen dankten ; denn der Ein-
tritt zu jeglichem Hauſe und der Vorhof waren
ihr heilig .
Es war ein reines dankbares Gefuͤhl bei den
Alten , wodurch ſie jede einzelne Wohlthat der
Natur , unter irgend einem bezeichnenden Sinn-
bilde beſonders anerkannten ; — es war eine
ſchoͤne Idee , der heiligen Flamme , welche
wohlthaͤtig den Menſchen dient , gleichſam
wieder zu pflegen , und unbefleckte Jung-
frauen , als die heiligſten Prieſterinnen , ih-
rem immerwaͤhrenden Dienſte zu weihen .
Fuͤr das Feuer , welches allenthalben den
Menſchen nuͤtzt , gab es auch einen Fleck , wo es
nie durch den Gebrauch zu menſchlichem Beduͤrfniß
herabgezogen , ſtets um ſein ſelbſt willen loderte ,
und die Ehrfurcht der Sterblichen auf ſich zog .
Wenn die Kunſt der Alten es wagte , die
Veſta abzubilden , ſo trug die geheimnißvolle Goͤt-
tin eine Fackel in der Hand , aber der keuſche
Schleyer huͤllte dennoch ihre Bildung ein . — Auf
der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet ſich eine
Abbildung der Veſta , nach einem antiken geſchnit-
tenen Steine aus der Lippertſchen Daktyliothek ,
die aber ſo zuſammengeſetzt , und raͤthſelhaft iſt ,
daß man leicht ſieht , der Kuͤnſtler habe vorzuͤglich
nur das Geheimnißvolle in dem Begriff von die-
ſer Gottheit ſelbſt bezeichnen wollen .
Pluto oder der ſtygiſche Jupiter , der auch
Jupiter Serapis heißt , ſitzt auf einem Throne ,
und legt , in der Linken den Scepter haltend , ſeine
Rechte auf eine gefluͤgelte Thiergeſtalt . — Zu ſei-
ner Linken ſteht Harpokrates , der Gott des Still-
ſchweigens , mit dem Finger auf dem Munde ,
und zur Rechten die geſchleierte Veſta mit der
Fackel in der Hand . Auch haͤlt Harpokrates ein
Horn des Ueberfluſſes . — Lauter Sinnbilder des
Tiefen , Verborgenen , Geheimnißvollen ,
im Innerſten der Natur , woraus ſich unaufhoͤr-
lich Leben und Fuͤlle ergießt .
Unter der Abbildung der Veſta mit der Fackel ,
denkt man ſich eine aͤltere Veſta , welche mit der
Erde einerlei iſt , die unter mannichfaltigen Nah-
men auch dieſen traͤgt . — Allein die aͤhnlichen
alten und neuen Goͤttergeſtalten verlieren ſich in
den Dichtungen der Alten ineinander ; und da die
Erde , als eine der alten Gottheiten unter den
neuen herrſchenden Goͤttern nicht mit auftritt , ſo
ſcheint ſie in der Veſta , wie Helios im Apollo ,
ſich gleichſam verjuͤngt zu haben , und wohnt in ihr
dem Rath der himmliſchen Goͤtter bei .
Auf eben dieſer Kupfertafel befindet ſich auch ,
nach einem ſchoͤnen antiken geſchnittenen Steine ,
eine Abbildung des Merkur , der als der Gott
der Wege den Altar , worauf ein antiker Mei-
lenzeiger ſteht , mit ſeinem Stabe beruͤhrt . Auf
dem Altare liegt ein Stab , zum Zeichen , daß die
Reiſenden dem Merkur , wenn ſie die Reiſe voll-
bracht , ihre Wanderſtaͤbe weihten . — Zum Zei-
chen der Sicherheit der Wege , windet ſich der
friedliche Oehlzweig um die Meilenſaͤule . Merkur
traͤgt auf dem Haupte den gefluͤgelten Hut , und
iſt mit einem kurzen Mantel bekleidet .
Merkur und Veſta waren beide die Menſchen
lehrende wohlthaͤtige Weſen , und der Geſang ver-
eint ihr Lob . In allen Haͤuſern und Pallaͤſten
der Goͤtter und der Menſchen hat Veſta ihren
eignen Sitz , und ihre alte Ehre ; — der erſten
und der letzten Veſta wird bei jedem Gaſtmahle
ſuͤßer Wein mit Ehrfurcht ausgegoſſen . —
Der Sohn des Jupiter und der Maja , der
Bote der Goͤtter mit dem goldenen Stabe , der
Geber vieles Guten , bewohnet mit der Veſta die
Haͤuſer der Sterblichen , und beide ſind einander
lieb , weil beide , in ſchoͤner Uebereinſtimmung ,
nuͤtzliche Kuͤnſte lehren . —
Merkur .
In dieſe leichte Goͤtterbildung huͤllte die Phan-
taſie der Alten die Begriffe von ſchneller Erfin-
dungskraft , Liſt , und Gewandtheit ein , die
ſich ſowohl in der taͤuſchenden Ueberredung ,
als in dem leicht vollfuͤhrten ſcherzenden Dieb-
ſtahl zeigte , woruͤber ſelbſt der Beraubte , wenn er
die kuͤhne Schalkheit wahrnahm , laͤcheln mußte . —
Schalkheit und Liſt iſt hier mit der Macht der
Gottheit und mit Unſterblichkeit gepaart , — denn
nichts war unheilig in der Vorſtellungsart der
Alten , was aus dem mannichfaltigen Bildungs-
triebe der Natur hervorging , und , wenn gleich
durch ſich ſelber ſchadend , dennoch den Stoff des
Schoͤnen und Nuͤtzlichen in ſich enthielt .
Die Phantaſie ſetzt ihren Goͤttergeſtalten kei-
ne Schranken , — ſie laͤßt bei jeglicher den herr-
ſchenden inwohnenden Trieb in ſeinem weiteſten
Umfange ſpielen , und fuͤhrt ihn gern bis auf
den Punkt des Schaͤdlichen hin ; eben weil in
dieſen Dichtungen die großen Maſſen von Licht
und Schatten , und die furchtbaren Gegenſaͤtze
in der Natur ſich zuſammendraͤngen , die ſonſt das
Auge nur zerſtreut und einzeln wahrnimmt ; und
weil gewiſſermaßen jede Goͤttergeſtalt , das We-
ſen der Dinge ſelbſt , aus irgend einem erhabe-
nen Geſichtspunkt betrachtet , in ſich zuſammen-
faßt .
In dieſer Ruͤckſicht iſt die Dichtung vom Mer-
kur eine der ſchoͤnſten und vielumfaſſendſten . —
Er iſt der behende Goͤtterbote — der Gott der
Rede — der Gott der Wege — in ihm ver-
juͤngt ſich das ſchnelle gefluͤgelte Wort , und
wiederholt ſich auf ſeinen Lippen , wenn er die
Befehle der Goͤtter uͤberbringt . —
Darum iſt auch ſein erhabenſtes Urbild die
Rede ſelber , welche als der zarteſte Hauch der
Luft ſich in den maͤchtigen Zuſammenhang der
Dinge gleichſam ſtehlen muß , um durch den Ge-
danken und die Klugheit zu erſetzen , was ihrer
Wirkſamkeit an Macht abgeht . —
Auch lieh die Phantaſie der Alten gern dem
Worte Fluͤgel , weil es vom ſchnellen Hauch be-
gleitet erſt hoͤrbar wird ; und wenn der Laut nicht
uͤber die Lippen kam , ſo war ihr ſchoͤner Aus-
druck : dem Worte fehlten die Fluͤgel .
Die Zunge der Opferthiere war dem Merkur
geweiht ; Milch und Honig brachte man dem Gott
der ſanft hinſtroͤmenden Unterredung dar . — Aus
ſeinem Munde ſenkte ſich , nach einer dichteriſchen
Darſtellung , vom Himmel eine goldne Kette nie-
der , bis zu dem lauſchenden Ohre der Sterblichen ,
die der ſuͤße Wohllaut von ſeinen Lippen mit
maͤchtigem Zauber lenkte . —
Unwiderſtehlich iſt ſeine Macht , den Zwiſt zu
ſchlichten , das Streitende zu verſoͤhnen , und das
Mißtoͤnende harmoniſch zu verbinden . — Dem
Schooß der Mutter noch nicht lange entwunden ,
ſchlug er mit ſeinem goldnen Stabe zwiſchen zwei
erzuͤrnte miteinander ſtreitende Schlangen , —
und dieſe vergaßen ploͤtzlich ihrer Wuth , und wik-
kelten ſich vereint , in ſanften Kruͤmmungen um
den Stab , bis an die Spitze , wo ihre Haͤupter
in ewiger Eintracht ſich begegnen .
Es giebt kein ſchoͤneres Sinnbild , um die
Verſoͤhnung und den Frieden , ſo wie die harmo-
niſche Verbindung des Widerſtreitenden und Ent-
gegengeſetzten zu bezeichnen , als dieſen Schlangen-
umwundenen Stab , der , in der Hand des Goͤt-
terboten , der Herold ſeiner Macht iſt .
Nichts iſt reizender als die dichteriſchen Schil-
derungen der Alten von der ſchnell ſich entwickeln-
den Goͤtterkraft , die gleichſam lange vorher ſchon
war , und nun in verjuͤngter Geſtalt aus dem
Schooß der Mutter neu gebohren , die Fuͤlle ihres
Weſens , welche ſie in ſich ſpuͤrt , nicht lange durch
Windeln und durch die Wiege beſchraͤnken laͤßt .
Waͤhrend daß Juno ſchlief , hatte Jupiter in
verſtohlner Umarmung mit der holden Maja den
Merkur in einer ſchattigten Hoͤhle erzeugt . —
Und als die Zeit der Entbindung da war , ſo wurde
am fruͤhen Morgen der Goͤtterknabe gebohren ,
am Mittag ſchlug er ſchon die von ihm ſelbſt er-
fundene Laute , und am Abend entwandte er die
Rinder des Apollo .
Die Laute erfand er , da er am erſten Mit-
tage ſich aus der Wiege ſtahl , und indem er uͤber
die Schwelle trat , eine Schildkroͤte ihm entgegen
kam , deren umwoͤlbende Schaale ihm ſogleich
ein ſchickliches Werkzeug ſchien , um von dem
Klange darauf geſpannter Saiten wiederzutoͤ-
nen . —
Wenn du todt biſt , ſprach er zu der Schild-
kroͤte , dann wird erſt dein Geſang anheben . —
Und als er ihr nun das Leben geraubt hatte , und
die Umwoͤlbung leer war , ſpannte er ſieben aus
Sehnen geflochtene miteinander toͤnende Saiten
daruͤber , und ſchlug ſie mit dem klangentlockenden
Staͤbchen , jeden einzelnen Ton verſuchend , der tief
im Bauch der Woͤlbung wiederhallte .
Nun konnte er auch der Luſt zu ſingen nicht
widerſtehen , und beſang , die Laute ſchlagend ,
was nur ſein Auge erblickte ; die Dreifuͤße und
Gefaͤße in ſeiner Mutter Hauſe ; aber er ſang
auch ſchon mit hoͤherm Schwunge , Jupiters Lie-
besbuͤndniß mit der holden Maja , als ſeiner eige-
nen Gottheit Urſprung .
Als nun am Abend die Sonne ſich in den
Ocean tauchte , war er ſchon auf den Piraͤiſchen
Gebirgen , wo die Heerden der unſterblichen Goͤt-
ter weiden . Funfzig entwandte er von Apollos
Rindern , und trieb ſie mit manchem liſtigen
Kunſtgriff uͤber Berg und Thal , daß niemand die
Spur des Raubes entdecken konnte , wenn nicht
ein Greis , der auf dem Felde grub , den Knaben
mit den Rindern vor ſich her bemerkt , und ihn
dem Apollo verrathen haͤtte .
Als er nun am Alpheusſtrome zwei von den
Rindern geſchlachtet , und ſie ſich ſelber geop-
fert hatte , ſo loͤſchte er wieder das Feuer aus ,
verſcharrte die Aſche in den Sand , und warf die
Schuh von gruͤnern Reiſern , womit er die Fuß-
ſtapfen unkenntlich zu machen geſucht , in den
voruͤberſtroͤmenden Alpheus , damit auch hier ſich
keine Spur mehr zeige .
Dieß alles that er bei Nacht und hellem
Mondenſchein . —
Als nun der Tag anbrach , da ſchlich er ſich
leiſe wieder in die Wohnung ſeiner Mutter , und
legte ſich in die Wiege , die Windeln um ſich her ,
die Laute , als ſein liebſtes Spielwerk , mit der
Linken haltend .
Und als nun Apollo wegen der geraubten
Rinder zuͤrnend kam , ſo ſtellte ſich der Raͤuber , als
ob er in der Wiege in ſuͤßem Schlummer laͤge ,
die Laute unterm Arme . Apollo drohte , ihn in
den Tartarus zu ſchleudern , wenn er nicht ſchnell
den Ort anzeigte , wo die entwandten Rinder
waͤren .
Da antwortete der liſtige Knabe mit den Au-
gen blinzelnd : wie grauſam redeſt du , Latonens
Sohn , einen kleinen Knaben an , der geſtern
gebohren iſt , und dem ganz andre Dinge lieb
ſind , als Rinder hinwegzutreiben ; der ſich nach
ſuͤßem Schlummer , und nach der Bruſt der
Mutter ſehnt ; und deſſen Fuͤße viel zu weich und
zart ſind , als daß ſie rauhe Pfade betreten
koͤnnten . — Doch will ich bei meines Vaters
Jupiters Haupte ſchwoͤren , daß ich die Rinder
weder ſelber entwandt habe , noch den Thaͤter
weiß .
Und als ſie nun beide , um ihren Streit zu
ſchlichten , vor dem Vater der Goͤtter auf dem
Olymp erſcheinen , ſo bringt zuerſt Apollo wegen
der entwandten Rinder ſeine Klage vor . —
Merkur aber ſtand in Windeln da , um durch ſein
zartes Alter ſelbſt die Klage zu widerlegen .
Seh’ ich denn wohl , ſo ſprach er zum Jupiter ,
einem ſtarken Manne gleich , der Rinder hinweg-
zutreiben vermag ? — Gewiß ſollſt du , mein
Erzeuger ſelbſt , die Wahrheit von mir hoͤren : ich
lag in ſuͤßem Schlummer , und habe die Schwelle
unſrer Wohnung nicht uͤberſchritten ; — du weißt
auch ſelber wohl , daß ich nicht ſchuldig bin ; doch
will ichs auch durch den groͤßten Schwur betheu-
ern ; und jenem einſt ſein grauſames Wort ver-
gelten ; du aber ſtehe dem juͤngern bei !
So ſprach Merkur mit den Augen blinzelnd ,
und Jupiter laͤchelte uͤber den Knaben , daß er
ſo ſchoͤn und klug den Diebſtahl zu leugnen
wußte . —
Zugleich befahl er dem Merkur , den Ort zu
zeigen , wo die Rinder verborgen waͤren . Als
dieſer nun Jupiters Befehl gehorchte , ward auch
Apollo wieder mit ihm verſoͤhnet ; und die vom
Merkur erfundene Laute war der Verſoͤhnung
Unterpfand .
Denn als der Gott der Harmonien ganz ent-
zuͤckt den lieblichen Ton vernahm , der faͤhig iſt ,
L
Liebe und Freude und Schlummer zu bewirken ,
gewann er auch den klugen Erfinder lieb , und
ſprach : die Erfindung ſey der funfzig geraubten
Rinder werth ! — Da ſchenkte ihm Merkur die
Laute , und Apollo war uͤber den Beſitz des koſt-
baren Schatzes hocherfreut ; damit ihm dieſer
aber vollkommen geſichert ſey , ſo bat er den Mer-
kur , ihm noch bei dem Styx zu ſchwoͤren , daß
er die ſanft ertoͤnende Laute ihrem nunmehrigen
Beſitzer nie wieder entwenden wolle .
Apollo ſchenkte nachher dem Merkur den gol-
denen Stab , der alle Zwiſte ſchlichtet ; — jetzt
aber kehrten die beiden Nahverwandten Hand
in Hand geſchlungen zum Olymp zuruͤck ; es war
die Kunſt , die ein ſchoͤnes Band zwiſchen ihnen
knuͤpfte , und Jupiter freute ſich ihrer Eintracht . —
Merkur wird nun der Goͤtterbote ; — er iſt
die behende Macht — das ſchnell ſich Bewe-
gende unter den hohen Goͤttergeſtalten , die gleich-
ſam feſt gegruͤndet in ihrer Majeſtaͤt , den ſchnellen
erfindungsreichen Gedanken vom Himmel zur
Erde ſenden , und wenn er wiederkehrt , ihn in
ihrem hohen Rath aufnehmen .
Auch die Kunſt zu ringen , und durch Be-
hendigkeit der Staͤrke uͤberlegen zu ſeyn , lehrte
Merkur die Menſchen . Alles , wodurch der zarte
Gedanke , ſich in der Dinge geheimſte Fugen
ſtehlend , des maͤchtigen Zuſammenhangs Meiſter
wird , iſt das Werk des leichten Goͤtterboten .
Er ſtieg vom hohen Olymp ins Reich des
Pluto nieder . — Die Seelen der Verſtorbenen
fuͤhrt er mit ſeinem Stabe der oͤden Schattenwelt ,
der dunkeln Behauſung der Todten zu ; er ſelber
ſteigt wieder zum Olymp empor , wo ewiger Glanz
und Klarheit herrſcht . —
Die Erde .
Obgleich die Erde , die den umwoͤlbenden
Uranos aus ſich gebahr , und ſich mit ihm ver-
maͤhlte , unter die uralten uͤber Bildung und Form
erhabenen Erſcheinungen , worauf die Phantaſie
noch nicht haften kann , zuruͤcktritt ; ſo hat den-
noch die bildende Kunſt verſucht , auch dieſe Goͤt-
tergeſtalt durch allegoriſche Darſtellung zu be-
zeichnen .
So iſt auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel ,
nach einem antiken geſchnittenen Steine , die alles
ernaͤhrende Erde gebildet , in ruhiger Stellung
am Boden ſitzend , und mit ihrer Rechten den
Stamm eines Baums umfaſſend , deſſen Zweige
ſich uͤber ihrem Haupte ausbreiten . Neben ihr
liegt ein Horn des Ueberfluſſes ; mit der Linken
beruͤhrt ſie die neben ihr ruhende Himmelskugel ;
vor ihr ſteht die Siegesgoͤttin ; und unter dem
L 2
Bilde zweier kleinen weiblichen Figuren , welche
Gefaͤße in den Haͤnden tragen , bringen die wech-
ſelnden Jahreszeiten der ſeegnenden Mutter ihre
Gaben dar .
Von der Goͤttin Cybele , unter welchem
Nahmen Rhea , eine Tochter der Erde , und des
Saturnus Vermaͤhlte , als die große Mutter
oder die Mutter aller Goͤtter verehrt ward , be-
findet ſich auf eben dieſer Tafel eine Abbildung
nach einem antiken geſchnittenen Steine aus der
Stoſchiſchen Sammlung ; wo die maͤchtige Goͤttin
dargeſtellt iſt , auf einem Loͤwen reitend , das
leuchtende Geſtirn zu ihrer Rechten ; zu ihrer Lin-
ken den gehoͤrnten Mond ; die Handpauke nah
am Haupte haltend , und gleichſam auf das Ge-
toͤſe lauſchend .
Cybele .
In dieſer fremden Goͤttergeſtalt , die Phry-
giſchen Urſprungs war , verjuͤngte ſich die Dich-
tung von der Rhea , welche , da ſie den Jupiter
gebohren , ſtatt ſeiner einen eingewickelten Stein
dem Saturnus zu verſchlingen gab , und heimlich
auf der Inſel Kreta das Goͤtterkind erziehen ließ ,
um welches die Korybanten mit ihren Waffen ein
wildes Getoͤſe machten , damit Saturnus nicht
die Stimme des weinenden Kindes hoͤrte .
An dieſe alte Sage knuͤpften ſich die Begriffe
von Entſtehung und Erzeugung des Gebildeten
an . — Es war die Mutter aller Dinge , wel-
che die zerſtoͤrende Obermacht zu taͤuſchen , das
zarte Gebildete vom Untergange zu retten , und
es heimlich und ſorgſam zu pflegen wußte ; ſo wie
die allbefruchtende Natur es mit dem zarten
Keime macht , den ſie im Schooß der Erde vor
Wind und Stuͤrmen ſchuͤtzt .
So war das Urbild der Cybele die große
Erzeugungskraft , die alle Naturen baͤndigt ; den
Loͤwen zaͤhmt ; den Schooß der Erde befruchtet . —
Man dachte ſie ſich , als die Beherrſcherin der Ele-
mente ; den Anfang aller Zeiten ; die hoͤchſte Him-
melsgoͤttin ; die Koͤnigin der Unterwelt ; und ſel-
ber als das Urbild jeder Gottheit , die wegen der
immer herrſchenden , erzeugenden und gebaͤhren-
den Kraft , in ihr ſich weiblich darſtellt .
Ob aber gleich dieſe Goͤttin auf einem mit
Loͤwen beſpannten Wagen , und mit einer Mauer-
oder Thurmkrone auf dem Haupte abgebildet wur-
de , wodurch ihre alles baͤndigende Macht , und
zugleich ihre Herrſchaft uͤber den mit Staͤdten
beſaͤeten Erdkreis dargeſtellt werden ſollte ; ſo war
doch dieſe Abbildung gleichſam nur eine aͤußere
Ueberkleidung ihres unbegreiflichen geſtaltloſen
Weſens , welches man ſich grade unter dem Un-
foͤrmlichen am ehrwuͤrdigſten dachte . —
Im Tempel der großen Mutter in Peſſinunt
war es ein kleiner ſchwarzgrauer , unebener , ſpitziger
Stein , an welchem die Idee von Geſtalt und
Form am wenigſten haften konnte , der die
verehrte Mutter der Dinge bezeichnete . —
Es war derſelbe Begriff von dieſem hohen
Weſen , das ſich auch in die Geſtalt der aͤgypti-
ſchen Iſis huͤllte , auf deren Tempel geſchrieben
ſtand : ich bin alles , was da iſt , was da
war , was da ſeyn wird , und meinen
Schleier hat kein Sterblicher aufgedeckt .
So verehrt nun dieſe große Goͤttin ſelber
war , ſo veraͤchtlich waren groͤßtentheils ihre Prie-
ſter , an welchen ſie dafuͤr , daß ſie ſich ihr gleich-
ſam zu ſehr naͤhern wollten , eine furchtbare
Rache nahm . —
Die Prieſter der Cybele entmannten in ihrer
fanatiſchen Wuth ſich ſelber , und geißelten und
zerfleiſchten ſich . — Sie liefen in wilder Begei-
ſterung mit fliegendem Haar umher , das Haupt
in den Nacken und von einer Seite zur andern
werfend . — Die hohe Goͤttin ſahe den Trupp
entmannter Weichlinge gleichſam triumphierend
in ihrem Gefolge . —
Es war die uͤppigſte , ausſchweifendſte , ſich
ſelbſt uͤberſtroͤmende und in zerfleiſchende Wuth
ausartende Lebensfuͤlle , welche den Zug der
großen Erzeugerin , der maͤchtigen Loͤwen-
baͤndigerin allenthalben begleitete .
Die große Mutter ſelber aber blieb ſtets ver-
ehrt . — Der Gottheit ſchadete die Raſerei ihrer
Prieſter nicht , — und der Begriff von ihr be-
hielt unter allem Mißbrauch ihrer Hoheit , ſeine
urſpruͤngliche Erhabenheit , indem man in ihr ,
unter jeder Benennung , nichts anders als die
allerzeugende , allbefruchtende und allbelebende
Mutter Natur , ſelbſt verehrte .
Bachus .
Obgleich von ſterblichen Muͤttern gebohren ,
ſind Bachus und Herkules dennoch dem Chore der
himmliſchen Goͤtter zugeſellt . Bachus aber iſt
demohngeachtet die hoͤhere Goͤttergeſtalt — in ihm
offenbart ſich gleich die ganze Fuͤlle ſeines Weſens ,
und er hat unmittelbar unter den himmliſchen Goͤt-
tern ſeinen Sitz , wozu ſich Herkules durch un-
uͤberwindlichen Heldenmuth den Weg erſt bahnen
muß .
Dieſer tritt daher auch in den Dichtungen der
Alten erſt unter den goͤtteraͤhnlichen Helden auf ,
indeß ſich Bachus gleich dem Chor der Goͤtter an-
ſchließt . —
Des Bachus hohes Urbild war die innre
ſchwellende Lebensfuͤlle der Natur , womit ſie dem
Geweihten begeiſternden Genuß und ſuͤßen Tau-
mel aus ihrem ſchaͤumenden Becher ſchenkt . —
Der Dienſt des Bachus war daher , ſo wie der
Dienſt der Ceres , geheimnißvoll ; — denn beide
Gottheiten ſind ein Sinnbild der ganzen wohlthaͤ-
tigen Natur , die keines Sterblichen Blick um-
faßt , und deren Heiligthum keiner ungeſtraft ent-
weiht . —
Die Dichtung von der Geburt des Bachus
ſelber enthaͤlt einen hohen Sinn . — Die eifer-
ſuͤchtige Juno verleitet Semelen zu dem thoͤrich-
ten Wunſche , in Jupiters Umarmung auch ſeine
Gottheit zu umfaſſen , — ſie fordert vom Ju-
piter erſt den unverletzlichen Schwur , ihre Bitte
zu erfuͤllen , und nun verlangt ſie , daß er in ſei-
ner wahren Goͤttergeſtalt bei ihr erſcheinen ſolle —
Jupiter naͤhert ſich ihr mit ſeinem Donner , ſie
aber wird , vom Blitz erſchlagen , ein Opfer
ihres vermeſſenen Wunſches . —
Den jungen Bachus reißt der Donnergott
aus der Mutter Schooße , und verbirgt ihn , bis
zur Zeit der Geburt in ſeine eigene Huͤfte . —
Das Sterbliche wird zerſtoͤrt , ehe das Unſterbliche
hervorgeht . — Die Menſchheit kann den
Glanz der Gottheit nicht ertragen , und wird
vor ihrer furchtbaren Majeſtaͤt vernichtet . —
Merkur trug nun den jungen Bachus zu den
Nymphen , die ihn erziehen ſollten , und die In-
ſeln und Laͤnder ſtreiten ſich um den Vorzug , die
wohlthaͤtige Gottheit , welche die Menſchen den
Weinbau lehrte , in ihrem Schooße gepflegt zu
haben .
Als Knaben ſtellen die Dichtungen den Bachus
dar , wie er gleichſam halb in ſuͤßem Schlummer
taumelnd , noch nicht die ganze Fuͤlle ſeines We-
ſens faßt , und vor den Beleidigungen der Men-
ſchen furchtſam ſcheint , — bis ſich auf einmal
durch wunderbare Ereigniſſe ſeine furchtbare Macht
entdeckt .
Lykurgus , ein Koͤnig in Thracien , verfolgte
die Pflegerinnen des Bachus auf dem Berge Nyſa
und verwundete ſie mit ſeinem Beile . — Bachus
ſelber warf ſich vor Schrecken ins Meer , wo ihn
die Thetis in ihre Arme aufnahm , die ehemals
auch den Vulkan bei ſich verbarg , als Jupiter
ihn vom Himmel geſchleudert hatte . — Lykurgus
aber wurde fuͤr ſeinen Frevel von den Goͤttern mit
Blindheit beſtraft , und lebte nicht lange mehr ,
denn er war den unſterblichen Goͤttern ver-
haßt . —
Als Seeraͤuber einſt den Bachus , den ſie fuͤr
den Sohn eines Koͤnigs hielten , in Hofnung eines
koſtbaren Loͤſegelds , entfuͤhren und binden woll-
ten , ſo fielen dem laͤchelnden Knaben die Banden
von ſelber ab ; und da ſie dennoch ſeine Gottheit
nicht erkannten , ſo ergoß ſich erſt ein duftender
Strom von Weine durch das Schiff ; dann breitete
ſich ploͤtzlich bis zum hoͤchſten Segel ein Weinſtock
aus , an welchem ſchwere Trauben hingen ; um
den Maſtbaum wand ſich dunkler Epheu ; und mit
Weinlaub waren alle Ruder bekraͤnzt . —
Auf dem Verdeck des Schiffes aber zeigte ſich
ein Loͤwe und warf die grimmigen drohenden
Blicke umher . — Da ergriff die Frevler Angſt
und grauenvolles Entſetzen ; zur Flucht ſtand ih-
nen kein Weg mehr offen ; ſie ſprangen vom
Schiffe ins Meer , wo ſie ſich ploͤtzlich als Delphi-
nen kruͤmmend , Zeugen von der Macht der alles
beſiegenden Gottheit wurden .
Pentheus , ein Koͤnig in Theben , der gleich
dem Bachus ein Enkel des Kadmus war ,
und der Verehrung der neuen Gottheit , welcher
alles Volk Altaͤre weihte , ſich ſpottend widerſetzte ,
mußte , gleich den Frevlern auf dem Schiffe , des
Weingottes furchtbare Macht empfinden .
Unter der Geſtalt eines Juͤnglings aus dem
Gefolge des Bachus erſchien der Gott ihm ſelber ,
und warnte ihn durch die Erzaͤhlung von dem
Schickſal , das die frevelnden Maͤnner traf , die
den maͤchtigen Pflanzer der Reben , auf ihrem
Schiffe gebunden entfuͤhren wollten .
Pentheus , noch mehr vom Zorn entbrannt ,
ließ den vermeinten Juͤngling ins Gefaͤngniß wer-
fen , und zu ſeiner Marter und Hinrichtung die
grauſamen Werkzeuge bringen . —
Ploͤtzlich ſtuͤrzte das Gefaͤngniß ein , der Gott
ſchuͤttelte ſeine Banden ab ; und Pentheus , der
voll raſender Wuth , auf dem Berge Cythaͤron ,
die Prieſterinnen des Bachus verfolgte , ward von
ſeiner eigenen Mutter und ihren Schweſtern , die
in der wilden Begeiſterung , ihn fuͤr einen Loͤwen
anſahen , in Stuͤcken zerriſſen , und ſein Haupt
im Triumph emporgetragen .
Der Zug des Bachus in Indien iſt eine ſchoͤ-
ne und erhabne Dichtung . — Mit einem Krie-
gesheer von Maͤnnern und Weibern , das mit
freudigem Getuͤmmel einherzog , breitete er ſeine
wohlthaͤtigen Eroberungen bis an den Ganges
aus . — Er lehrte die beſiegten Voͤlker hoͤhern
Lebensgenuß , den Weinbau , und Geſetze . —
In ſeiner Goͤtterbildung verehrten die Sterb-
lichen das Hohe , Freudenreiche des Genuſſes ,
was in die menſchliche Natur verwebt iſt , als
ein fuͤr ſich beſtehendes hohes Weſen , das in der
Geſtalt des ewig bluͤhenden Knaben , Loͤwen und
Tyger baͤndigt , die ſeinen Wagen ziehen , und im
goͤttlich ſuͤßen Taumel , unter dem Schall der
Floͤten und Trommeln , vom Aufgange bis zum
Niedergange durch die Laͤnder aller Nationen tri-
umphierend ſeinen Einzug haͤlt .
In drei Jahren vollendete Bachus ſeinen
ſiegreichen , die Voͤlker der Erde begluͤckenden Zug ,
zu deſſen Andenken ſtets nachher , ſo oft drei Jahre
verfloſſen waren , die Feſte gefeiert wurden , an
denen das freudige Getuͤmmel , womit der Zug
des Bachus begleitet war , aufs neue von den
Bergen widerhallte . —
Die Prieſterinnen des Bachus mit zerſtreu-
tem Haar , auf den Bergen umher ſchweifend ,
erfuͤllten die Luft mit dem Getoͤſe ihrer Trommeln ,
und mit ihrem wilden Geſchrei : Evohe Ba-
chus ! —
Der drohende Thyrſusſtab in ihrer Hand , an
dem die farbigten Baͤnder wehten , waͤhrend daß
unter dem Fichtenapfel ſich oben die verwundende
Spitze barg , bezeichnete den ſchoͤnen Feldzug , wo
das Furchtbare und Kriegeriſche , unter Geſang
und Floͤtenſpiel verborgen lauſchte . —
Dieſe begeiſterten Prieſterinnen des Bachus ,
welche auch Bachantinnen hießen , ſind ein erhab-
ner Gegenſtand der Poeſie . — Eine Bachantin
iſt gleichſam uͤber die Menſchheit erhaben . — Von
der Macht der Gottheit erfuͤllt , ſind die Grenzen
der Menſchheit ihr zu enge . —
So ſchildert ein Dichter aus dem Alterthum
die Begeiſterte , wie ſie auf dem Gipfel des Ge-
birges , den ſie bewußtlos erſtiegen hat , auf ein-
mal vom Schlummer erwacht , und nun den
Hebrus und das ganze mit Schnee bedeckte Thra-
zien vor ſich liegen ſieht . — Die Gefahr iſt ſuͤß ,
ruft der Dichter aus , dem Gott zu folgen , der
mit gruͤnendem Laube die Schlaͤfe umkraͤnzt
hat . —
Eben dieſe Anſtrengung aller Kraͤfte , dieß
Emporſtreben in der wilden furchtbaren Begeiſte-
rung iſt es , wodurch dieß Bild ſo ſchoͤn wird .
Auch das Alter wird in dem Gefolge des Ba-
chus berauſcht vom Lebensgenuß und taumelnd mit
aufgefuͤhrt . — Auf ſeinem Eſel reitet der alte
Silen mit ſchwerem Haupte , von Satyrn und
Faunen geſtuͤtzt , und macht in dem jugendlichen
Gemaͤhlde den reitzendſten Kontraſt .
Ohngeachtet dieſes Laͤcherlichen wurde Silen
in den Dichtungen der Alten , als ein hohes We-
ſen dargeſtellt . — Ihm wird eine hohe Kenntniß
goͤttlicher Dinge zugeſchrieben , und ſeine Trun-
kenheit ſelber wurde ſinnbildlich auf den hohen
Taumel , worin ſein Nachdenken uͤber die erha-
benſten Dinge ihn verſetzte , gedeutet . — Auch
war er nebſt dem weisheitbegabten Chiron , der
Erzieher des jungen Bachus .
Zwei Hirtenknaben binden einſt den trunke-
nen , ſchlummernden Silen , — weil ſich ein
Gott , den Sterbliche im Schlummer binden koͤn-
nen , durch die Gewaͤhrung einer Bitte loͤſen
muß ; — ſchalkhaft mahlt die Nymphe mit dem
Saft der Beeren des Trunknen Schlaͤfe roth , —
und da nun Silen erwacht , ſo fordern die Hirten
nichts weiter als ein Lied von ihm zum Loͤſegelde .
Und nun ertoͤnet hohe Weisheit von den Lip-
pen , die der Nektartrank der ſuͤßen Trauben
netzte . — Er ſingt der Dinge Entſtehung , und
ihren wunderbaren Wechſel . — Die Hirten lau-
ſchen entzuͤckt auf den Geſang , und halten dieſes
Lied ihrer hoͤchſten Wuͤnſche werth . —
Auch dieſe ſchoͤne Dichtung zeigt , wie die
Alten das Komiſche ſelber wieder mit Wuͤrde zu
uͤberkleiden wußten , und einen Vereinigungspunkt
fuͤr lachenden Scherz und himmliſche Hoheit fan-
den , der uns entſchwunden ſcheint . — In Elis
in Griechenland hatte Silen einen eigenen Tempel ,
wo man ihm goͤttliche Ehre erzeigte . —
Der ſchalkhaft laͤchelnde Faun , der boshaft
ſpottende Satyr gehoͤrten mit in das Gefolge des
Bachus , worin ſich alles vereinigte , was bei
jugendlicher Schalkhaftigkeit und frohem Leicht-
ſinn durch eine hoͤhere Natur , uͤber die Sorgen
und Pflichten der Sterblichen erhaben , und durch
menſchliche Beduͤrfniſſe auf keinen Grad der
Maͤßigung beſchraͤnkt war .
Denn in dem hohen Sinnbilde , welches den
froͤlichen Genuß des Lebens ſelbſt bezeichnet , der
uͤber den ganzen Erdkreis ſich mittheilend und ver-
breitend , keine Grenzen kennt , mußte auch die
Darſtellung des hoͤchſten Genuſſes unbeſchraͤnkt
ſeyn , und alles das ſich in der Dichtung zuſam-
menfinden , was , wenn es wirklich waͤre , die
Menſchheit zerſtoͤren wuͤrde . —
Denn freilich iſt es die Allgewalt des Genuſ-
ſes , die furchtbar uͤber den Menſchen wandelt ,
und eben ſo wohlthaͤtig wie ſie iſt , auch wieder
Verderben drohet . —
Eben der Dichter aus dem Alterthum , wel-
cher mit hoher Begeiſterung das Lob des Bachus
ſingt , ermahnt daher die Trinker , des blutigen
Zanks ſich zu enthalten , — und fuͤhrt zum war-
nenden Beiſpiel das Gefecht der Centauren und
Lapithen an , welche vom Wein erhitzt des gaſt-
freundſchaftlichen Mahls vergaßen , und von wil-
der Mordluſt hingeriſſen , im raſenden Getuͤmmel
gegeneinander ſtuͤrmten , bis die Leichname der Er-
ſchlagnen den Boden deckten .
Ohngeachtet dieſer drohenden Gefahr war
aber dennoch hoher Lebensgenuß , und ſelbſt die
wilde Freude , bei den Alten in der Reihe der
Dinge mitgezaͤhlt , und von den Feſten der Goͤtter
nicht ausgeſchloſſen . — Das Leben war ein ſaft-
voller Baum , der ungehindert in Aeſte und
Zweige emporſchoß , und den auch ſeine uͤppigen
Auswuͤchſe nicht entſtellten .
Bis zu der hellſten Flamme wurden die Lei-
denſchaften angefacht , und hielten dennoch alle
gleich maͤchtig , ſich die mehrſte Zeit einander im ſchoͤ-
nen Gleichgewicht . — Heldenruhm , Triumphe ,
frohlockende Geſaͤnge , und hohe Lebensfreuden , wa-
ren im immerwaͤhrenden Gefolge : durch dieſen ſuͤßen
Wechſel wurde das Gemuͤth ſtets offen und frei er-
halten ; geheime Wuͤnſche und Gedanken durften
noch unter keiner Larve von falſcher Beſcheidenheit
und Demuth ſich verſtecken . —
Sobald man ein Bachanal ſich ohne Ueppig-
keit denken wollte , wuͤrde es aufhoͤren , ein Ge-
genſtand der Kunſt zu ſeyn ; denn gerade die
Wildheit , das Taumeln , das Schwingen des
Thyrſusſtabes , die Ausgelaſſenheit , der Muth-
wille , macht das Schoͤne bei dieſen frohen Weſen
aus , die nur in der Einbildungskraft ihr Daſeyn
hatten , und bei den Feſten der Alten in einer
Art von Schauſpiel dargeſtellt , den duͤſtern Ernſt
verſcheuchten .
Auf den Marmorſaͤrgen der Alten findet man
haͤufig Bachanale abgebildet . — Um ſelbſt noch
hier den Ernſt mit frohem Laͤcheln , die Trauer
mit der Froͤhlichkeit zu vermaͤhlen , iſt gerade der
Punkt gewaͤhlt , wo Tod und Leben auf dem Gip-
fel der Luſt am naͤchſten aneinander grenzen . —
Denn der hoͤchſte Genuß grenzt an das Tragi-
ſche , — er droht Verderben und Untergang , — das-
ſelbe , was die Menſchengattung , mit jugendlichem
Feuer beſeelet , untergraͤbt und zerſtoͤrt ſie auch . —
Da nun durch das frohe Getuͤmmel des Ba-
chus die hoͤchſte Fuͤlle der Luſt bezeichnet werden
ſoll , ſo iſt ein gemaͤßigtes Bachanal kein Bacha-
nal ; eben ſo wie eine ſanfte Juno keine Juno ;
ein ehrlicher Merkur kein Merkur ; ein enthaltſamer
kalter Jupiter kein Jupiter ; und eine dem Vulkan
getreue Venus keine Venus iſt . —
In der Goͤttergeſtalt des ewig jungen Bachus
verjuͤngten ſich nun auch , ſo wie bei den uͤbrigen
Goͤttern , die aͤhnlichen Erſcheinungen , welche die
Vorwelt in dunkle Sagen huͤllte . —
Demohngeachtet gab es noch einen Indiſchen
oder Aegyptiſchen Bachus , welcher baͤrtig darge-
ſtellt wurde , und deſſen Abbildung man nicht ſel-
ten unter den alten Denkmaͤlern findet . — Die
goldnen Hoͤrner auf dem Haupte des Bachus ,
welche die bildende Kunſt der Griechen verſteckte ,
oder ſie nur ein wenig hervorſcheinen ließ , geben
dieſer Dichtung ebenfalls ein Gepraͤge des hohen
Alterthums , wo das Horn auf die erhabenſten
Begriffe von inwohnender wohlthaͤtiger Goͤtter-
kraft , und unbeſiegter Saͤrke Staͤrke deutet . —
Unter den Thieren iſt der gefleckte Panther
dem Bachus geweiht ; — es iſt die Wuth , die
Grauſamkeit ſelber , welche durch ihn gezaͤhmt
wird , und ſich zu ſeinen Fuͤßen ſchmiegt .
Der immergruͤnende Epheu , die Schlange ,
die ſich verjuͤngt , indem ſie ihr Fell abſtreift , ſind
M
ſchoͤne Sinnbilder der nie verwelkenden Jugend ,
worin die Goͤttergeſtalt des Bachus dem Apollo
gleicht , nur das die bildende Kunſt der Alten den
Bachus weicher und weiblicher , mit ſtaͤrkern Huͤf-
ten , darſtellt . —
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich eine Abbildung des Bachus nach einem ſchoͤ-
nen antiken geſchnittenen Steine aus der Lippert-
ſchen Daktyliothek : Bachus ſitzt auf einem Wa-
gen , der von zwei Panthern gezogen wird ; auf
den Panthern ſitzen Liebesgoͤtter , von denen der
eine die Floͤte ſpielt . Das Grauſame und Wilde
ſchmiegt ſich unter die Herrſchaft des Sanften
und Froͤlichen .
Auf eben dieſer Tafel iſt auch Silen nach
einem antiken geſchnittenen Steine abgebildet , in
ſeiner Rechten eine Hippe , und mit der Linken
ſich auf eine Leyer ſtuͤtzend . — Ein ſchoͤnes Sinn-
bild des hohen Taumels , der in harmoniſche Ge-
ſaͤnge uͤberſtroͤmt .
Die heiligen Wohnplaͤtze der Goͤt-
ter unter den Menſchen .
D ie Phantaſie der Alten ließ ihre Dichtungen ,
uͤber der Wirklichkeit ſchwebend , allmaͤlig ſich vom
Himmel zur Erde niederſenken . — Sie heiligte
die Plaͤtze , wo , nach der Sage der Vorwelt , die
junge Gottheit neugebohren , zuerſt in jugendlichem
Glanz hervortrat ; oder wo ein Land oder eine
Inſel ſo gluͤcklich war , in ihrem Schooße ein
Goͤtterkind zu pflegen . —
Sie weihte auch die Oerter , wo in Orakel-
ſpruͤchen die Gottheit ihre Gegenwart offenbarte ;
und jeder Platz , den irgend eine Gottheit , nach
der alten Sage , zu ihrem Lieblingsaufenthalte
ſich waͤhlte , ward in der Dichterſprache zu einem
ſchoͤnen Nahmen , an welchen ſich der Begriff der
Gottheit ſelber knuͤpfte , die unter irgend einer be-
ſondern bedeutenden Geſtalt auf dieſem Fleck ver-
ehrt ward .
Nun fand die Einbildungskraft ſo viele Ruhe-
punkte , worauf ſie ſich heften konnte , als Tempel
waren , welche die Menſchen den uͤber den Wolken
M 2
thronenden Goͤttern weihten , die oft zu ihnen
herniederſtiegen , und in ihre geringſten Angele-
genheiten ſich mit zaͤrtlicher Sorgfalt miſchten .
Kreta .
Auf dieſem Eilande ſenkte ſich , durch irgend
eine in Dunkel gehuͤllte Veranlaſſung , zuerſt die
kuͤhne Dichtung nieder , welche den hoͤchſten Ju-
piter auf dem Ida mit der Stimme des neuge-
bohrnen Kindes weinen , und nach der ſuͤßen
Nahrung und Pflege ſich ſehnen ließ . —
In der Diktaͤiſchen Grotte wurde das Goͤtter-
kind erzogen , und durch das Getoͤſe , welches die
Korybanten machten , wurden , nach einer arti-
gen Dichtung , die Bienen herbeigelockt , die den
Jupiter mit ihrem Honig naͤhrten , dem auch die
Tauben in ihrem Schnabel uͤbers Meer Ambroſia
zufuͤhrten , indeß die Ziege Amalthea mit ihrer
Milch ihn ſaͤugte .
Auch legte man dem Jupiter von dem Berge ,
wo ſeine Kindheit gepflegt war , den Zunahmen
des Idaͤiſchen bei . — Bei Troja war ein Berg ,
der auch den Nahmen Ida fuͤhrte , — der Gar-
garus war dieſes Berges hoͤchſter Gipfel ; — hier
uͤberſah Jupiter das Schlachtfeld der Griechen und
Trojaner , und wog mit der furchtbaren Waage
wechſelsweiſe Sieg und Tod den ſtreitenden Hee-
ren zu .
Dodona .
In dem Dodoniſchen Walde , in Epirus ,
welches vormals Chaonien hieß , und wo die aͤlte-
ſten Bewohner der Erde , nach der Sage der Vor-
zeit , von Eicheln lebten , war ein Orakel des
Jupiter .
Dieß Orakel war das aͤlteſte in Griechenland .
Aus Theben in Aegypten , entflohen , nach der
uralten Dichtung , zwei Tauben des Jupiter , wo-
von die eine ſich nach Lybien , die andre nach
Dodona wandte , um Jupiters Rathſchluͤſſe den
Menſchen kund zu thun .
Unter dem ſchoͤnen Bilde der redenden Taube
ſtellt die alte Dichtung die wahrſagende Prieſterin
dar , welche zuerſt in den Wald von Epirus kam ,
und die unaufmerkſamen Menſchen auf das ſanfte
Gemurmel eines Quelles lauſchen lehrte , der den
Fuß einer Eiche netzte , und deſſen wechſelnden
Toͤnen ſie eine geheime Deutung auf die Zu-
kunft gab .
Nachher wurden auf dieſem Fleck zwei Saͤu-
len errichtet ; auf der einen ſtand ein ehernes Bek-
ken ; auf der andern die Bildſaͤule eines Knaben ,
mit einer metallenen Ruthe , die der Wind bewe-
gen konnte , und welche , ſo oft ſich nur ein Luͤft-
chen regte , an das helltoͤnende Becken ſchlug .
Aus dem Getoͤne des Erztes wurde nun , wie
vorher aus dem Murmeln des Quelles , die dunkle
Zukunft prophezeit . — Es war der wechſelnde
Hauch der alles umſtroͤmenden Luft , deren gehei-
me Sprache man durch das ſanftberuͤhrte Metall
zu vernehmen lauſchte . — Es war die umgebende
ſprachloſe Natur , womit der Menſch ſich gleich-
ſam in vertraute Geſpraͤche einzulaſſen , und kuͤnf-
tige Ereigniſſe , die ſich in ihr bilden , von ihr
zu erforſchen wuͤnſchte .
Die Deutung aus einem zufaͤlligen Getoͤne
iſt der natuͤrlichſte Anfang der Orakelſpruͤche , weil
das Gemuͤth ohnedem geneigt iſt , dem Klange ,
den das Ohr vernimmt , die Wuͤnſche des Herzens
unterzulegen , die gern aus jedem Geraͤuſche wi-
derhallen . — Auch war es kein Wunder , daß die
Sehnſucht , irgend einen Wunſch ſo gut als er-
fuͤllt zu wiſſen , ſich willig taͤuſchen ließ .
Selbſt aus den Hoͤhlungen der Baͤume in dem
dodoniſchen Walde ließen die Prieſter ihre Orakel-
ſpruͤche hoͤren , welches die Dichtung in die Fa-
bel kleidet , daß die dem Jupiter geweihten Eichen
ſelbſt geredet , und die Zukunft enthuͤllet haben . —
Die immer thaͤtige Phantaſie ſuchte auch hier das
Lebloſe zu beleben . — Die gegenwaͤrtige Gottheit
erfuͤllte den ganzen ihr geweihten Hain , und jedes
Rauſchen des Blattes war bedeutend .
Delos .
Die Laͤnder und Inſeln zittern , auf denen La-
tona den fernhintreffenden Apoll gebaͤhren will ; —
kein hervorragendes Eiland wagt es , den Gott in
ſeinem Schooße zu tragen . — Bis Latona end-
lich das rauhe unfruchtbare Delos beſteigt , und
ihm verſpricht , daß ein Tempel auf ſeinem felſig-
ten Boden erbauet werden ſoll , zu welchem alle
Voͤlker Geſchenke und Hekatomben bringen wer-
den , wenn es den fernhintreffenden Gott in ſeinen
Schooß aufnimmt .
Da ſchwebte Delos zwiſchen Freude und
Furcht , daß , wenn ſein Nahme gleich zu ewigen
Zeiten glaͤnzte , der Gott , ſobald er das Licht er-
blickte , es wegen ſeines rauhen Bodens verach-
ten , und in den Abgrund des Meeres zuͤrnend
verſenken moͤchte . Latona mußte mit dem unver-
letzlichen Schwur der Goͤtter dem beſorgten Eilande
ſchwoͤren , daß auf ihm der erſte Tempel dem
Apollo erbaut werden , und auf ſeinem Altar be-
ſtaͤndig die Opferflamme lodern ſolle .
Und nun war Delos hocherfreut , daß der
fernhintreffende Gott es zu ſeiner Wiege waͤhlte . —
Denn Reichthuͤmer ſtroͤmten nun von allen Seiten
dem unfruchtbaren Eilande zu , — und die Jung-
frauen von Delos ſangen einen Lobgeſang , worin
alle Voͤlker ihre eigenen Worte und ihre eige-
nen Toͤne wieder zu hoͤren glaubten ; ſo har-
moniſch war des Liedes Klang .
Auch fuͤgte das gluͤckliche Delos ſeinen Nahmen
dem Nahmen des Gottes bei . — Von dem felſigten
Berge Cynthus auf Delos , den der Gott mit dem
ſilbernen Bogen oft beſtieg , hieß er der Cynthi-
ſche , von Delos ſelber , der Deliſche Apoll .
Delphi .
Am Abhange des Parnaſſes war ſchon in den
aͤlteſten Zeiten eine Hoͤhlung in der Erde , woraus
ein betaͤubender Dampf aufſtieg , der diejenigen ,
welche ſich der Oefnung naͤherten , in eine Art von
Wahnwitz verſetzte , worin ſie zuweilen wie im
begeiſternden Taumel , ſich ſelber unbewußt , von
hohen Dingen ſprachen , entfernte Begriffe anein-
ander knuͤpften , und eine Art von dunkler Dich-
terſprache redeten , die eben ſo wie das Murmeln
des Baches , oder wie der Klang des Dodoniſchen
Erztes , auf mannichfaltige Weiſe gedeutet werden
konnte .
In den aͤlteſten Zeiten war es die Erde ſel-
ber , welche hier unmittelbar ihre Orakelſpruͤche
ertheilte . — Zu den Zeiten des Deukalion war es
Themis , eine Tochter des Himmels und der
Erde , welche hier die dunkle Zukunft und den
Schluß des Schickſals den Sterblichen offen-
barte . —
Apollo toͤdtete den Drachen Python , der dieß
Heiligthum bewachte , und bemaͤchtigte ſich ſelber
des Platzes , wo er von nun an durch die begei-
ſterte Prieſterin , die von dem getoͤdteten Drachen
Pythia hieß , in Orakelſpruͤchen ſeine Gottheit
offenbarte .
Als Apollo nun hier ſein Heiligthum gruͤnden
wollte , erblickte er von fern ein ſegelndes Han-
delsſchiff aus Kreta , — ploͤtzlich ſprang er ins
Meer und warf ſich in der Geſtalt eines ungeheu-
ren Delphins in das Schiff der Kretenſiſchen
Maͤnner , — und zwang es , vor allen Kuͤſten und
vor Pylos , wohin es ſegeln ſollte , vorbei , in
den Hafen von Kriſſa einzulaufen , wo er den
Maͤnnern ploͤtzlich in ſeiner majeſtaͤtiſchen Juͤng-
lingsgeſtalt erſchien , und ihnen verkuͤndigte , daß
ſie nie in ihr Vaterland wiederkehren , ſondern in
ſeinem Tempel als Prieſter ihm dienen wuͤrden .
Und die Kretenſer folgten mit Lobgeſaͤngen
dem anfuͤhrenden Gotte zu ſeinem Heiligthum ,
an dem felſigten Abhange des Parnaſſes . — Als
ſie aber die unfruchtbare Gegend erblickten , fleh-
ten ſie zum Apoll um Huͤlfe gegen Armuth und
Mangel ; — dieſer blickte ſie laͤchelnd an , und
ſagte : o ihr thoͤrichten Menſchen , die ihr euch ſel-
ber Sorgen macht , und muͤhſame Arbeit aus-
ſinnt , vernehmt ein leichtes Wort : hier halte ein
jeder das Opfermeſſer in ſeiner rechten Hand , und
ſchlachte unaufhoͤrlich Opfer , die hier von allen Sei-
ten aus allen Laͤndern zuſtroͤmen werden . —
Nun wurde Delphi nahe am Tempel des
Apollo erbauet , und ſeine Einwohner wurden
reich und gluͤcklich , wie der untruͤgliche Gott ge-
weißagt hatte . —
Ueber der dampfenden Hoͤhle ſtand der gol-
dene Dreyfuß , auf welchen ſich die Pythia ſetzte ,
wenn ſie drei Tage gefaſtet , den Saft aus den
Blaͤttern des Lorbeerbaums geſogen , und im Ka-
ſtaliſchen Quell ſich gebadet hatte .
Dann wurde ſie von den Prieſtern mit Ge-
walt ins Heiligthum gefuͤhrt . — Sobald ſie auf
dem Dreifuße ſaß , und der aufſteigende begeiſtern-
de Dampf auf ſie zu wirken anhub , ſtraͤubte ſich
ihr Haar empor ; ihr Blick wurde wild ; der
Mund fing an zu ſchaͤumen ; Zittern ergriff ihren
ganzen Koͤrper . —
Sie arbeitete mit Gewalt ſich loszureißen ,
und ihr Geheul erſcholl im ganzen Tempel . —
Bis nach und nach einzelne abgebrochene Laute der
Sprache uͤber ihre Lippen kamen , — die jeder
Deutung faͤhig , von den Prieſtern aufgezeich-
net , und zu Orakelſpruͤchen im abgemeſſenen Sil-
benfall gebildet wurden . — Indeß man die ohn-
maͤchtige Pythia in ihre Zelle fuͤhrte , wo ſie nur
langſam von der Ermattung ſich erhohlte .
Es war gleichſam die Gegenwart des Gottes ,
welcher die Pythia ſelbſt erfuͤllte , deſſen Joch ſie
kaͤmpfend und ſich ſtraͤubend von ſich abzuſchuͤtteln ,
und ſeiner uͤberwaͤltigenden Macht , ſo lange ſie
konnte , zu widerſtehen ſuchte , bis ſie endlich be-
ſiegt die eingehauchten Goͤtterworte ausſprach —
und kraftloß niederſank . —
Wenn die Pythia auf dem Dreifuße ſaß , ſo
war ſie von den Prieſtern des Heiligthums ganz
umgeben . — Zwei Prieſterinnen hielten die Un-
geweihten ab , ſich ihr zu naͤhern . — Das Hei-
ligthum ſelber war mit Lorberzweigen ganz ver-
deckt ; und ſelbſt der angezuͤndete Weihrauch huͤllte
alles in eine Wolke , wie in geheimnißvolles Dun-
kel ein , das keine frevelnde Neugier zu erforſchen
wagte . —
Auch wuͤrde ſich die Sehnſucht der Sterbli-
chen , daß es wirklich einen Blick fuͤr ſie in die
Zukunft geben moͤchte , dieſe Taͤuſchung ungern
haben nehmen laſſen , wenn einer auch den Vor-
hang haͤtte hinwegziehen wollen ; — denn das ,
woruͤber man das Orakel fragte , waren groͤßten-
theils ſehnſuchtsvolle Wuͤnſche fuͤr die Zukunft ,
wozu man die Uebereinſtimmung der Gottheit
erflehte . — Und die Taͤuſchung der ganzen Scene
ſelber , worin ſich der zweideutige Ausſpruch huͤllte ,
war doch dichteriſch ſchoͤn . —
Argos .
Juno nennt unter ihren geliebten Staͤdten
Argos ſelbſt zuerſt . — Da ſie den Jupiter an-
liegt , die Zerſtoͤrung des ihr verhaßten Troja ihr
endlich zu gewaͤhren , ſo ſucht ſie gleichſam mit
ihm einen Tauſch zu treffen .
Drei Staͤdte , ſagt ſie , ſind mir unter allen die
liebſten : Argos , Sparta , und Mycen ; dennoch
geb’ ich ſie gern , ſo bald du willſt , dir Preis , wenn
nur die Mauern von Troja endlich ſtuͤrzen !
Das Fatum , das uͤber alles waltet , laͤßt die
Zerſtoͤrung ihren ungehemmten Schritt gehen . —
Der hohe Goͤtterwille ſelber fuͤgt ſich ſeinen Pla-
nen , und den Goͤttern ſelber iſt nichts ſo theuer
und koſtbar , das nicht ein Opfer wird , ſobald
ſein Ziel herannaht . —
In Argos wurden der Juno die Heraͤen ge-
feiert , die von ihrer griechiſchen Benennung
Hera den Nahmen fuͤhrten , wobei die Prieſterin
der Juno , wie im Triumph , auf einem Wagen
zum Tempel der Goͤtter fuhr , und eine Heka-
tombe von weißen Rindern ihr zum Opfer
brachte .
Die Goͤttin wurde hier vorzuͤglich in ihrer
oberſten Prieſterin verehrt , — an welche Ver-
ehrung ſich die ſchoͤne Erzaͤhlung vom Kleobis und
Biton knuͤpft , deren kindliche Ehrfurcht gegen ihre
Mutter , eine Prieſterin zu Argos , ſich ſo weit
erſtreckte , daß ſie den Wagen ihrer Mutter , deſſen
Geſpann von weißen Rindern nicht ſchnell genug
herbeizuſchaffen war , ſelber fuͤnf und vierzig Sta-
dien weit , bis zum Tempel der Juno zogen ; wo
ſie auf das Gebet ihrer Mutter , daß die Goͤttin
ihnen das wuͤnſchenswertheſte Gluͤck ertheilen
moͤchte , nach einer frohen Mahlzeit ſanft ent-
ſchlummerten , und aus dem Schlummer nicht
erwachten .
Olympia .
Hier ſenkte ſich die erhabene Idee von dem
Olympiſchen Jupiter durch die bildende Kunſt des
Phidias vom Himmel zur Erde nieder . —
Jeder Ausdruck von Majeſtaͤt und Wuͤrde
vereinigte ſich in dieſem Meiſterwerck der Kunſt , —
man ſahe den Gott , mit deſſen Laͤcheln ſich der
Himmel aufheitert — und der mit dem Wink ſei-
ner Augenbraunen , und mit dem Nicken ſeines
Hauptes den großen Olymp erſchuͤttert .
Die Bildſaͤule war in koloſſaliſcher Groͤße aus
Gold und Elfenbein verfertigt ; — in der Rech-
ten hielt der Gott eine Viktoria , in der Linken den
kuͤnſtlich gearbeiteten Zepter , auf deſſen Spitze ein
Adler ſaß . — Auf dem goldenen Mantel waren
die mannichfaltigen Gattungen der Thiere und
Blumen in ſchimmernder Pracht gebildet .
Der Thron des Gottes glaͤnzte von Gold und
Edelſteinen — zu Jupiters Haupt und Fuͤßen , und
an den Waͤnden des Tempels waren faſt alle my-
thologiſchen Dichtungen der Alten in erhabener Ar-
beit dargeſtellt . — Die Majeſtaͤt der ganzen Goͤt-
terwelt umgab den Thron und die Bildſaͤule des
Jupiter , die von dem Fußboden bis zum Gewoͤlbe
des Tempels reichte .
Bei Olympia wurden auch dem Jupiter zu
Ehren alle vier Jahre die Olympiſchen Spiele
gefeiert . Der Zwiſchenraum von einer Feier die-
ſer Spiele bis zur andern hieß eine Olympiade ,
und in ganz Griechenland bediente man ſich dieſer
Zeitrechnung nach Olympiaden , weil die Olympi-
ſchen Spiele die allgemeinſte Aufmerkſamkeit auf
ſich zogen , und unter allem , woran ſich die Ein-
bildungskraft bei der Ruͤckerinnerung feſthalten
konnte , das Glaͤnzendſte waren .
Den Tempel des Olympiſchen Jupiters umgab
ein heiliger Hain , worin die Bildſaͤulen der Ueber-
winder in den Olympiſchen Spielen , von den
beruͤhmteſten Meiſtern verfertigt , errichtet wa-
ren . — Die Menſchheit ſchloß ſich in der Vereh-
rung ihrer eigenen Wuͤrde vertraulich an die Gott-
heit an .
Athen .
In dieſer Lieblingsſtadt der Goͤttin der bilden-
den Kuͤnſte erhob ſich der Geiſt bis zu dem hoͤch-
ſten Schwunge der Gedanken , wo die Menſch-
heit , in den darſtellenden Werken der Kunſt ſich
ſpiegelnd , gleichſam erſt ſich ſelbſt bewußt wurde ,
da ſonſt ein Geſchlecht nach dem andern in einer
Art von dumpfer Betaͤubung die kurze Spanne
des Lebens durchtraͤumte , und keine Spur von ſich
zuruͤckließ .
Die Panathenaͤen , welche hier der Minerva
zu Ehren gefeiert wurden , waren ein ſchoͤnes Feſt ,
worin die ganze Stadt , durch Wetteifern in den
Kuͤnſten , ſich gleichſam von neuem der Goͤttin hei-
ligte .
Auch war die Bildſaͤule der Goͤttin in ihrem
Tempel zu Athen , gleich der des Olympiſchen Ju-
piters , aus Gold und Elfenbein verfertigt , ein
Werk des Phidias , in welches ſich auch hier die
Majeſtaͤt der Gottheit vom Himmel zur Erde nie-
derſenkte .
Cypern .
Hier trugen die Wellen die Goͤttin der Liebe ,
als ſie aus dem Schaume des Meers emporſtieg ,
ſanft ans Ufer . — Auf dieſer anmuthigen Inſel
waren ihr ganze Staͤdte , Haine , Tempel , und
Altaͤre geweiht .
Ihr Lieblingsſitz war Paphos , wo man in
ihrem Tempel von allen Seiten Geſchenke dar-
brachte , und Geluͤbde that . — Von der Vereh-
rung , womit hier alle Voͤlker der Goͤttin der
Schoͤnheit huldigten , hieß ſie die Koͤnigin von
Paphos . — Von Amathunt und Idalium in
Cypern fuͤhrte ſie die dichteriſchen Nahmen Idalia
und Amathuſia .
Gnidus .
Nach Gnidus wallfahrtete man aus den ent-
fernteſten Laͤndern , um in der Venus des Praxi-
teles die in alle Weſen Liebe einhauchende Gott-
heit zu verehren , welche durch die bildende Kunſt ,
in menſchlicher Geſtalt dem Auge ſichtbar gemacht ,
in einem offenen Tempel , dem Blick der Sterbli-
chen enthuͤllet , da ſtand , und die Bewunderung
aller Voͤlker auf ſich zog .
Cythere .
Auf dieſem Eilande war der aͤlteſte Tempel
der Venus in Griechenland . — Der Begriff von
der Goͤttin ſelber war mit ihrem Aufenthalt auf
Cythere ſo oft zuſammengedacht , daß beide Nah-
men zu einem wurden , und in der Dichterſprache
die Goͤttin der Liebe Cythere heißt .
Lemnos .
Auf der Inſel Lemnos , wo es haͤufige Erd-
beben und feuerſpeiende Berge gab , und in dem
dampfenden Aetna in Sicilien , wo von dem
Feuer , das ſich vergebens einen Ausweg ſuchte ,
zum oͤftern ein unterirdiſcher Donner erſcholl ,
ließ die Dichtung in den Hoͤhlen der Erde die
maͤchtigen Hammerſchlaͤge der Cyklopen in der
Werkſtaͤtte des Vulkan ertoͤnen .
Auch nahm die Inſel Lemnos den Gott der
Flammen in ihrem Schooße auf , da Jupiter , wie
einen Blitzſtrahl ihn vom Himmel ſchleuderte . —
Lemnos blieb dem Vulkan geweiht , indem der
Begriff von ſeiner Goͤtterbildung vorzuͤglich auf
dieſem Fleck ſich an die Erde knuͤpfte .
Epheſus .
Ganz Aſien wetteiferte , um den Tempel der
Diana von Epheſus zu ſchmuͤcken , in welchem die
Bildſaͤule der Goͤttin mit vielen Bruͤſten ſtand ,
um die alles ernaͤhrende Natur anzudeuten , die
man ſich hier unter dem Bilde der Diana dachte ;
ſo wie man zum oͤftern in einer Goͤttergeſtalt ,
deren Nahme einmal herrſchend geworden war ,
die Verehrung der uͤbrigen aufnahm , und ſie ſich
zu einer Art von Pantheon ſchuf .
N
Aus den entfernteſten Laͤndern wurden Wall-
fahrten zu dem Tempel der Diana von Epheſus
angeſtellt , welcher als einer der erhabenſten Goͤt-
terſitze zugleich durch ſeine aͤußere Pracht , die
das Werk vieler Koͤnige war , die Sterblichen zur
Verehrung der inwohnenden Gottheit einlud .
Thracien .
Der Hauptſitz der Verehrung des Kriegesgot-
tes iſt Thracien , wohin die Dichtkunſt uͤberhaupt
das Wilde , Grauſame und Ungeſtuͤme verſetzt .
So warf Diomedes , ein Thracier und ein Sohn
des Mars die Fremden , deren er ſich bemaͤchtigen
konnte , ſeinen Pferden vor , von denen ſie zer-
fleiſcht und verzehrt wurden . Er uͤbte dieſe Grau-
ſamkeit ſo lange , bis Herkules ihn erſchlug .
Ein Sohn des Mars und ein Thracier war
auch Tereus , welcher die Philomele ihrer Zunge
beraubte , damit ſie die Frevelthat , die er an ihr
veruͤbte , nicht entdecken moͤchte . —
Der ſtuͤrmende Boreas hatte nach den Dich-
tungen der Alten ſeine Wohnung in Thracien ,
weswegen die Menſchen , die jenſeit wohnten , die
Hyperboreer hießen ; die Bachantinnen , unter
dem Nahmen der Biſtoniden , mit Schlangenkno-
ten in ihr Haar geſchlungen , ſchweiften auf dem
Thraciſchen Gebirge umher .
Demohngeachtet war Thracien auch das Va-
terland des Orpheus , der durch ſeinen Geſang und
durch die Toͤne ſeiner Leyer die Wildheit der Thiere
des Waldes zaͤhmte , und Baͤume und Felſen ſich
bewegen ließ .
Durch ſein maͤchtiges Saitenſpiel ließ ſelbſt
der Orkus ſich bewegen , ihm ſeine Gattin Eury-
dice zuruͤckzugeben , nur ſollte er nicht eher nach
ihr ſich umſehen , als bis er ſie wieder auf die
Oberwelt zum Anblick des Tages und des himmli-
ſchen Lichts gebracht . —
Da ſie nun bald der oͤden Schattenwelt ent-
ſtiegen waren ; ſo zog die zaͤrtliche Beſorgniß , und
der zweifelnde Gedanke , ob ſein geliebtes Weib
ihm wirklich folge , den Blick des Gatten , ihm
ſelbſt faſt unbewußt , ein einzigesmal zuruͤck , und
nun war Eurydice auf immer fuͤr ihn verlohren , —
ihr Bild verſchwand in Nacht und Dunkel , — und
ſeine ganze ſuͤße Hofnung war ein Traum .
Die Freude ſeines Lebens war nun entflo-
hen ; — die Leyer ſchwieg ; — das wuͤtende Ge-
ſchrei der Bachantinnen erſcholl auf dem thraci-
ſchen Gebirge ; — ſie zuͤrnten auf den Dichter ,
dem nach Eurydicens Verluſt das ganze weibliche
Geſchlecht verhaßt war ; — von den ſchrecklichbe-
geiſterten Maͤnaden zerfleiſcht und in Stuͤcken ge-
riſſen ward der Goͤtterſohn ein Opfer ihrer raſen-
den Wuth . —
N 2
Arkadien .
In den mythologiſchen Dichtungen der Alten
erſcheint Arkadien nicht ganz in dem reitzenden
Lichte des ſuͤßen Schaͤferlebens , deſſen Scenen
die neuere Dichtkunſt faſt immer in dies Land ver-
ſetzt , und mit deſſen Nahmen ſich ſchon etwas
Sanftes und Einladendes in dieſer dichteriſchen
Vorſtellungsart verknuͤpft .
Bei den Alten hingegen war mit der Idee
von der Einfachheit der Sitten bei den Arkadiern
zugleich der Begriff von einer gewiſſen Rohheit
und Traͤgheit verbunden , die man den Bewoh-
nern dieſes Hirtenlandes zuſchrieb . — Auch war
es nicht das ſanfteſte Klima , was in Arkadien
herrſchte , vielmehr war es wegen ſeiner gebirgig-
ten Lage rauher , als die umliegenden Gegenden .
Daß aber die Hirtengoͤtter , nach der Sage
der Vorzeit , hier vorzuͤglich ihre Gegenwart
offenbarten , und hier ſogar ihren Urſprung
hatten ; daß die alten Dichtungen auf dem Berge
Cyllene in Arkadien ſelbſt die neugebohrne Goͤt-
tergeſtalt des Merkur zuerſt hervortreten ließen . —
Dieß gab der gebirgigten Gegend , wo die Nacht
des Waldes uͤberdem die Goͤttergeſtalten , welche
die Einbildungskraft ſich ſchuf , gleichſam in Dun-
kel huͤllte , eine vorzuͤgliche Heiligkeit . — Der
Nahme des Landes und die Nahmen der einzelnen
Berge , die es in ſich faßt , wurden in der Dichter-
ſprache der Alten bedeutungsvoll , indem ſie den
Aufenthalt hoͤherer Weſen unter den ſterblichen
Menſchen bezeichneten .
Phrygien .
In einer Gegend von Phrygien war es , wo
nach der ſchoͤnen alten Dichtung Jupiter und
Merkur unerkannt unter den Menſchen umher-
wandelten und ihre Thaten pruͤften .
Als ſie eines Abends , wie ermuͤdete Reiſende ,
eine Herberge ſuchten , blieben die Thuͤren der
Reichen und Beguͤterten ihnen verſchloſſen . —
Philemon und Baucis , ein paar bejahrte Ehe-
leute , nahmen die Wandrer gaſtfreundlich in
ihre arme Huͤtte auf .
Die alte Baucis war beſchaͤftigt , ihre ein-
zige Gans zu greifen und zu ſchlachten , um die
willkommenen Gaͤſte , ſo gut es in ihrem Vermoͤ-
gen ſtand , zu bewirthen . — Die Gans aber ent-
floh , und ſuchte Schutz unter Jupiters Fuͤßen ,
der ihr das Leben rettete ; worauf die Goͤtter ſich
zu erkennen gaben , und das fromme Ehepaar auf
einen benachbarten Huͤgel fuͤhrten , von welchem
ſie die Verwuͤſtung uͤberſehen konnten , womit die
Goͤtter die Hartherzigkeit der Bewohner dieſer
Gegend ſtraften .
Die Haͤuſer und Pallaͤſte der Reichen wur-
den ein Raub der Ueberſchwemmung , indeß die
arme gaſtfreundliche Huͤtte noch immer aus den
Fluthen hervorragte , und zum Erſtaunen ihrer
alten Bewohner ſich in einen praͤchtigen Tempel
verwandelte .
Als nun Jupiter den gaſtfreundlichen Alten
befahl , ſich eine Gabe von ihm zu erbitten , ſo
war Philemons und Baucis hoͤchſter Wunſch : in
jenem neuentſtandenen Tempel , dem Jupiter , dem
Beſchuͤtzer des Gaſtrechts , und dem Belohner
der Gaſtfreundſchaftlichkeit , zu opfern , und ſein
Prieſterthum zu verwalten .
Dieſe Bitte ward ihnen gewaͤhrt , und noch
ein Wunſch verſtattet ; — allein dem gluͤcklichen
Paar blieb nichts mehr zu wuͤnſchen uͤbrig , als :
beide zu gleicher Zeit zu ſterben . — Auch dieß
geſchah . Zwei Baͤume , eine Eiche und eine
Linde , die den Tempel beſchatteten , wurden noch
lange nachher zum Andenken des frommen Paars
Philemon und Baucis genannt .
In dieſen und aͤhnlichen Sagen der Vorwelt
erkannte und verehrte man die furchtbare und
wohlthaͤtige Macht der Gottheit . — Dem gaſt-
freundſchaftlichen Jupiter wurden allenthalben
Altaͤre errichtet . — Die ankommenden Fremden
ſtanden unter ſeinem Schutze ; — einen Gaſt-
freund betrachtete man als heilig und unverletz-
lich ; — man verehrte unter den Gaͤſten und
Fremdlingen die Goͤtter , welche ſelber zum oͤftern
vom Himmel herabgeſtiegen waren , und unter
dieſer Geſtalt den Menſchen ſich offenbart
hatten .
Das Goͤtteraͤhnliche Menſchen-
geſchlecht .
A ls Neſtor , welcher zwei Menſchenalter durch-
lebt hatte , und nun ſchon im dritten uͤber Pylos
herrſchte , in der Belagerung von Troja den
Streit des Achilles und Agamemnon zu ſchlichten
ſuchte ; ſo leitete er ſeine Rede mit der Erinne-
rung ein , daß er mit ſtaͤrkern Maͤnnern gelebt
habe , als das jetzige Zeitalter ſie hervorbringe ;
mit einem Caͤneus , Dryas , Pirithous und
Theſeus , mit denen niemand von den jetzigen
Menſchen es wagen wuͤrde , ſich in einen Wett-
kampf einzulaſſen , — und daß dieſe dennoch ihn
gehoͤrt , und ſeinen Rath befolgt haͤtten . —
Achilles und Agamemnon moͤchten dieſerwegen
ein Gleiches thun .
So ſchildert Neſtor die Helden vor dem Tro-
janiſchen Kriege ; und der Dichter der Iliade ſel-
ber ſchildert wiederum die Helden im Trojaniſchen
Kriege , wie ſie die Menſchen ſeiner Zeit an
Staͤrke uͤbertrafen . —
Hektor , ſagt er , ergriff einen Stein , den
zwei der ſtaͤrkſten Maͤnner zu unſern Zeiten nur
mit Muͤhe vom Boden auf den Wagen zu heben
vermoͤchten , — den ſchleuderte Hektor mit leichter
Muͤhe gegen das Thor der griechiſchen Mauer ,
daß mit einemmale die Thuͤren aus ihren Angeln
ſprangen .
Die Menſchen , welche zuerſt vom Prome-
theus aus Thon gebildet , den herrſchenden Goͤt-
tern verhaßt , des Feuers beraubt , durch mehrere
Ueberſchwemmungen bis auf wenige vertilgt wur-
den , und da ſich dennoch ihr Geſchlecht fort-
pflanzte , Jahrhunderte hindurch in dumpfer Be-
taͤubung gleich den Thieren des Feldes lebten ,
arbeiteten ſich allmaͤlig aus dieſem dumpfen Zu-
ſtande durch eigne Anſtrengung heraus , und
wurden durch edles Selbſtbewußtſeyn und durch
die Anwendung ihrer inwohnenden Kraͤfte den
unſterblichen Goͤttern aͤhnlich . —
Die Menſchheit lernte in den Goͤtteraͤhnlichen
Helden , die aus ihr entſtammten , ſich ſelber
ſchaͤtzen , und ihren eigenen Werth verehren . —
Auch wurde nun die Gottheit gleichſam den Men-
ſchen wieder verſoͤhnt . — Die Goͤtter nahmen an
den Begebenheiten und Schickſalen der Menſchen
immer naͤhern Antheil . — Das Goͤttliche und
Menſchliche ruͤckte in der Einbildungskraft immer
naͤher zuſammen , bis endlich in dem Kriege vor
Troja ſich die Goͤtter ſogar in das Treffen der
Menſchen mit einließen , und von Sterblichen
verwundet wurden . —
Keine Benennung koͤmmt daher auch haͤufiger
in der Dichterſprache der Alten vor , als die des
Goͤtteraͤhnlichen oder des Goͤttergleichen , wo-
mit die Helden der Vorzeit geruͤhmt und der Adel
der Menſchheit geprieſen wird .
Perſeus , Kadmus , Herkules , Theſeus ,
Jaſon ſind die beruͤhmteſten Heldennahmen . —
Die Geſchichte des Perſeus huͤllt ſich am meiſten
in dunkle Fabeln ein , und tritt am weiteſten in
das entfernte Alterthum der Heldenzeit zuruͤck .
Um des Perſeus irdiſche Abſtammung zu ver-
folgen , ſteigen wir wieder bis zum alten Ina-
chus hinauf , mit deſſen Tochter Jo Jupiter in
Aegypten den Epaphus erzeugte . — Die koͤnig-
liche Tochter des Epaphus , Lybia , gebahr von
Neptuns Umarmung den Belus und Agenor . —
Belus erzeugte den Danaus und Aegyptus .
Danaus ſchifte nach Griechenland , um ſeine
Anſpruͤche auf das von ſeinem Ahnherrn Inachus
ihm angeſtammte Koͤnigreich Argos gegen den
Gelanor , der damals dieſe Gegend beherrſchte ,
zu behaupten .
Das Volk ſollte den Ausſpruch thun , und
waͤhrend es noch unſchluͤſſig war , fiel ein Wolf in
eine Heerde von Kuͤhen und beſiegte den Stier ,
der ſie vertheidigte .
Dieſe unvermuthete Erſcheinung nahm man
von den Goͤttern als ein Zeichen an , daß der
Fremde und nicht der Einheimiſche herrſchen
ſolle ; — man ſchrieb dieß Zeichen dem wahrſagen-
den Apollo zu , welchem Danaus wegen der Sen-
dung des Wolfes , unter dem Nahmen des Lyci-
ſchen Apollo , einen Tempel erbaute .
Danaus lehrte die Argiver Brunnen graben ,
und groͤßere und bequemere Schiffe bauen . — Nach
der alten Sage hatte er funfzig Toͤchter , ſo wie
ſein Bruder Aegyptus funfzig Soͤhne . —
Die funfzig Soͤhne des Aegyptus kamen nach
Griechenland , um mit den Toͤchtern des Danaus
ſich zu vermaͤhlen . — Dem Danaus aber war
geweißagt worden , daß einer ſeiner Tochtermaͤn-
ner ihn der Herrſchaft entſetzen wuͤrde .
Die alten Koͤnige fuͤrchteten , wie die alten
Goͤtter , ihre eigenen Kinder und Nachkommen . —
Danaus befahl ſeinen Toͤchtern , die ſich mit den
Soͤhnen des Aegyptus vermaͤhlten , ihre Maͤnner
in der erſten Nacht zu ermorden , welches ſie tha-
ten , bis auf die Hypermneſtra , die , mit ihrer
eigenen Gefahr , den Lynceus , ihren geliebten
Gatten , entfliehen ließ .
Eine , ſagt ein Dichter aus dem Alterthum ,
eine unter vielen , ihres geliebten Juͤnglings werth ,
hinterging mit glorreicher Liſt des Vaters Grau-
ſamkeit , und ewig glaͤnzt ihr Ruhm .
Steh auf , rief ſie dem ſchlummernden Gat-
ten zu , damit nicht , ehe du es vermutheſt , ewi-
ger Schlaf dich druͤcke ! fliehe meinen Vater , und
meine blutduͤrſtigen Schweſtern , die ihre Maͤn-
ner , wie junge Loͤwenbrut , zerreißen . —
Mein Herz iſt aus weichern Stoff . — Dich
toͤdten kann ich nicht , und werde dich nicht in die-
ſen Mauern gefangen halten . Mag mein Vater
mich mit ſchweren Ketten belaſten , weil ich mit-
leidsvoll des Gatten ſchonte , oder mag er mich
in die oͤdeſte Wuͤſte verjagen !
Geh , wohin dich Fuͤße und Winde tragen ,
ſo lange Venus und die Nacht dich ſchuͤtzt ; geh
unter gluͤcklichen Zeichen ! und aͤtze , meiner einge-
denk , dereinſt auf meinen Grabſtein deine Klag '
um mich !
Lynceus entfloh , aber er kehrte wieder ; denn
Danaus wurde mit ſeiner Tochter ausgeſoͤhnt ,
und von dem treuen Paare Lynceus und Hyper-
mneſtra ſtammten Perſeus und Herkules , die
goͤttergleichen Helden ab . Die grauſame That
der uͤbrigen Toͤchter des Danaus blieb nicht unbe-
ſtraft ; — ſie mußten noch in der Unterwelt fuͤr
ihren Frevel buͤßen .
Abas , ein Sohn des Lynceus , herrſchte
nach ſeines Vaters Tode uͤber Argos , und hinter-
ließ zwei Soͤhne , den Proͤtus und Akriſius ,
die ſich zu verſchiedenen Zeiten einander die Ober-
herrſchaft ſtreitig machten . — Perſeus war des
Akriſius Enkel .
Perſeus .
Akriſius befuͤrchtete wieder Verderben von
ſeinen Nachkommen . — Ihm war geweißagt
worden , daß einer ſeiner Enkel ihn toͤdten wuͤr-
de ; — er verſchloß daher ſeine einzige Tochter ,
die Danae , in einen ehernen Thurm , um die
Weißagung zu vereiteln .
Allein durch eine Oefnung in dem Dache
ſenkte ſich Jupiter in einem goldenen Regen in
Danaens Schooß hernieder , und erzeugte mit ihr
den Perſeus , welchen Akriſius , ſobald er geboh-
ren war , nebſt der Mutter , in einem zerbrechlichen
Nachen , den Wellen uͤbergab .
Die wohlthaͤtigen Meergoͤttinnen nahmen den
Goͤtterſohn mit ſeiner Mutter ſanft in den Schooß
der Waſſerwogen auf , und ließen den Nachen an
dem Strande der kleinen Inſel Seriphus auf dem
griechiſchen Meere landen , wo Polydektes , der
Beherrſcher der Inſel , Mutter und Kind auf-
nahm , und fuͤr die Erziehung des jungen Perſeus
ſorgte .
Und nun nahete die Zeit heran , wo die Un-
geheuer , welche die Nacht oder das ungeſtuͤme
Element aus ſeinem Schooße gebohren hatte , von
den aufkeimenden Helden beſiegt , und der Erd-
kreis von ſeinen Plagen befreiet werden ſollte .
Die erſte und kuͤhnſte That , welche Perſeus ,
ſobald er die angeſtammte Goͤtterkraft in ſich fuͤhl-
te , unternahm , war , das Verderben bringende ,
verſteinernde Haupt der Meduſa von ihrem Koͤr-
per zu trennen , und dieſer Schreckengeſtalt ſich
ſelber zu bemaͤchtigen .
Mit dem unſichtbarmachenden Helm des
Orkus ; den Fluͤgeln des Merkur ; und dem Schil-
de der Minerva , von den Goͤttern ſelber ausgeruͤ-
ſtet , unternahm er die kuͤhne That mit wegge-
wandtem Blick , indem er das Bild der ſchlum-
mernden Meduſa erſt in dem Spiegel ſeines
Schildes ſahe , und Minerva unſichtbar den Arm
ihm lenkte , damit er nicht ſeines Ziels verfehlte .
Als nun Perſeus den toͤdlichen Hieb vollfuͤhrt
hatte , ſo ſeufzten und aͤchzten Stheno und Eury-
ane , die beiden unſterblichen Schweſtern der
Meduſa , ſo laut uͤber dieſen Anblick , und das
Ziſchen der Schlangen auf ihren Haͤuptern toͤnte
ſo klaͤglich in ihr Aechzen , daß Minerva , dadurch
geruͤhrt , eine Floͤte erfand , wodurch ſie die Vor-
ſtellung dieſer traurigen Toͤne , durch verſchiedene
Arten des Schalls ſie nachahmend , wieder
zu erwecken ſuchte . — Mitten im furchtbaren
blutigen Werke ſchimmert die Goͤttin der Kuͤnſte
hervor . —
Mit dem Neptun hatte Meduſa das Heilig-
thum der Minerva entweiht ; darum hatte dieſe
ihren Tod beſchloſſen . — Demohngeachtet ſprang ,
vom Neptun erzeugt , der gefluͤgelte Pegaſus aus
ihrem Blute hervor , der , auf den Befehl der Goͤt-
ter , die Ueberwinder der Ungeheuer , den Perſeus ,
und nach ihm den Bellerophon trug .
Mit dem verſteinernden Haupte , in der
Hand , ſchwebte nun Perſeus uͤber Meer und
Laͤndern . — Den Atlas , der ihm den Zugang zu
den Gaͤrten der Hesperiden verſagte , verwandelte
er durch den Anblick des Meduſenhauptes in ein
Gebirge , das nachher ſtets den Nahmen dieſes
Sohnes des Japet fuͤhrte .
Nach dieſer erſten Ausuͤbung ſeiner Macht ,
die ihm der Beſitz des Hauptes der Meduſa ver-
lieh , ſahe Perſeus auf die Phoͤniziſche Kuͤſte hin-
unterblickend ein Maͤdchen , an einen Felſen ge-
ſchmiedet , und ein Ungeheuer , ſie zu verſchlingen ,
aus dem Meer aufſteigend , indeß ihre Eltern ver-
zweiflungsvoll die Haͤnde ringend am Ufer ſtan-
den . —
Perſeus ſtuͤrzte ſich auf das Ungeheuer nieder ,
das gerade ſeinen Raub zu verſchlingen im Be-
griff war , und befreiete die ſchoͤne Andromeda ,
welche den Zorn der beleidigten Gottheit , uͤber die
Vermeſſenheit ihrer Mutter zu verſoͤhnen , als ein
ſchuldloſes Opfer , da ſtand . —
Denn Kaſſiopeja , die Mutter der Andromeda
und Gemahlin des Cepheus , hatte es gewagt ,
den maͤchtigen Nereiden an Schoͤnheit ſich gleich
zu ſchaͤtzen , — und nun verheerten Plagen das
Land , die nach dem Orakelſpruch des Jupiter
Ammon nicht eher aufhoͤren ſollten , bis Andro-
meda , von einem Seeungeheuer verſchlungen , den
Frevel der Mutter gebuͤßt haͤtte .
Die Eltern der Andromeda , welche ſelber
Zeugen ihrer Rettung waren , vermaͤhlten mit
Freuden dem edlen Perſeus ihre Tochter . — Phi-
neus aber , des Cepheus Bruder , dem Andromeda
vorher verſprochen war , trat bei dem Vermaͤh-
lungsfeſte mit bewafneten Maͤnnern in den Hoch-
zeitſaal , und drang wuͤthend auf den Perſeus ein ,
den nur das Haupt der Meduſa retten konnte ,
indem er ſeinen Freunden zurief , ihr Antlitz hin-
wegzuwenden , und den Phineus mit ſeinem Ge-
folge verſteinerte .
Nach dieſen Thaten fuͤhrte Perſeus ſeine
Vermaͤhlte nach Seriphus , wo er den Poly-
dektes und ſeine Mutter wieder ſahe . — Ge-
gen den Polydektes ſelber , der ihm aus Furcht
nach dem Leben ſtand , mußte er das ver-
ſteinernde Haupt der Meduſa kehren , und
dieſer mußte in Fels verwandelt fuͤr ſeinen feigen
Argwohn buͤßen .
Da nun Perſeus erfuhr , daß ſein Ahnherr
Akriſius vom Proͤtus ſeines Koͤnigreichs beraubt
ſey , ſo eilte er großmuͤthig , ſtatt ſich zu raͤchen ,
mit ſeiner Mutter und ſeiner Vermaͤhlten nach
Griechenland , um den Akriſius in ſein Reich wie-
der einzuſetzen .
Er uͤberwand und toͤdtete den Proͤtus , und
uͤbergab dem Akriſius wieder die koͤnigliche Wuͤrde ,
der nun in ſeinem gefuͤrchteten Enkel , ſeinen
Freund und Wohlthaͤter , voll Dank und Freude
umarmte .
Allein der tragiſche Ausgang lauerte dennoch
im Hinterhalte ; das Schickſal , welches mit den
Hofnungen der Menſchen ſpielt , hatte bei dieſem
verfuͤhreriſchen Anſchein , die alte Drohung noch
nicht zuruͤckgenommen .
Perſeus , welcher wußte , wie ſehr Akriſius
an der Geſchicklichkeit ſeines Enkels in jeder Leibes-
uͤbung ſich ergoͤtzte , wollte ihm eines Tages von
ſeiner Fertigkeit eine Probe ablegen . — Die un-
gluͤckſeelige Wurfſcheibe fuhr aus der ſtarken Hand ,
und flog , wie vom boͤſen Daͤmon gelenkt , dem
Akriſius an das Haupt , der todt darnieder ſank .
Hieruͤber brachte Perſeus ſeine uͤbrigen Tage
in Schwermuth zu , indem er unverſchuldet ſich
O
dennoch einen Vatermoͤrder ſchalt . — Der Aufent-
halt in Argos ward ihm unertraͤglich . —
Er bewog den Sohn des Proͤtus zu einem
Tauſche ſeiner Laͤnder , und als er Argos verlaſſen
hatte , ſo fand er auch in Tyrinth , der Haupt-
ſtadt des andern Reiches , noch keine Ruhe , ſon-
dern baute , um des Vergangnen ſo wenig wie
moͤglich ſich zu erinnern , die neue Stadt My-
cene . —
Das Haupt der Meduſa wurde vom Perſeus
der Minerva geweiht , die es in die maͤchtige
Aegide , ihren leuchtenden Schild , verſetzte , wo
es ein bedeutendes Symbol ihrer furchtbaren
Macht , und der zuruͤckſchreckenden Kaͤlte , als
des Hauptzugs in ihrem Weſen , wurde .
Perſeus ſelber und die Hauptperſonen aus
ſeiner Geſchichte , Andromeda , Kaſſiopeja , u.
ſ. w. , ſind in den Dichtungen der Alten unter die
Geſtirne verſetzt , welche noch itzt dieſen Nahmen
fuͤhren .
Auf die Weiſe wurden im eigentlichen Sinne
die Helden des Alterthums bis an den Himmel
erhoben , und ihren Nahmen das daurendſte und
glaͤnzendſte Denkmal geſtiftet . —
Unter den Kindern , welche Perſeus mit der
Andromeda erzeugte , war Alcaͤus , der Vater
des Amphitryo , der mit der Mutter des Her-
kules vermaͤhlt war ; — Elektryo war der Va-
ter der Alkmene , die mit dem Amphitryo ver-
maͤhlt war , und vom Jupiter den Herkules ge-
bahr . — Ein dritter Sohn , Nahmens Sthe-
nelus , war der Vater des Euryſtheus , der
Mycene beherrſchte , und welchem Herkules die-
nen mußte .
Obgleich dem Perſeus auch an einigen Orten
Tempel und Altaͤre errichtet waren , und er der
aͤlteſte unter den beruͤhmten Helden der Vorzeit iſt ,
ſo war dennoch der glaͤnzendſte Ruhm dem Herku-
les aufgeſpart , der die groͤßten Muͤhſeeligkeiten des
Lebens trug , und vom Haß der Juno von Kind-
heit an verfolgt „ ſich endlich durch ausharrende
Geduld den Weg zur Unſterblichkeit und zum Sitz
der Goͤtter bahnte . —
Des Perſeus Ruhm und Thaten wurden durch
Alkmenens Sohn verdunkelt , dem man allenthal-
ben Tempel und Altaͤre erbaute , und ihn , nachdem
er ſeine Laufbahn auf Erden , mit Ruhm gekroͤnt ,
vollendet hatte , den Goͤttern des Himmels
zugeſellte .
Die Heldenrolle des Perſeus aber iſt liebens-
wuͤrdiger , und hat bei ihrem grauen Alterthume
viel Aehnliches mit dem Rittermaͤßigen der neuern
Zeiten . —
Eine ſchoͤne und bedeutende Abbildung des
Perſeus , nach einem antiken geſchnittenen Steine ,
befindet ſich auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel ,
O 2
wo er ſtehend dargeſtellt iſt , das Schwerdt in der
rechten Hand , das Haupt der Meduſa mit der
Linken auf den Ruͤcken haltend . — Dieſe Dar-
ſtellung faßt gleichſam die ganze Dichtung von dem
Haupte der Meduſa in ſich , weil ſie am deutlich-
ſten die furchtbare Kraft deſſelben bezeichnet , wo-
durch der Held , der deſſen Anblick ſelbſt vermied ,
und es nur gegen ſeine Feinde kehrte , unuͤberwind-
lich war .
Auf eben dieſer Tafel iſt Bellerophon ab-
gebildet , mit Helm und Spieß bewafnet , auf
dem gefluͤgelten Pegaſus in den Luͤften reitend ,
mit der Chimaͤra den Kampf beginnend , welche
die bildende Kunſt nicht ganz in der ungeheu-
ren Geſtalt , womit ſie die Dichtung ſchildert ,
darſtellt . —
Bellerophon .
Eben der Proͤtus , der ſeinen Bruder Akri-
ſius des Reichs entſetzt hatte , und der zuletzt vom
Proͤtus , dem Enkel des Akriſins , uͤberwunden
und getoͤdtet ward , gab auch dem Bellerophon ,
durch einen falſchen Verdacht gereitzt , den erſten
Anlaß zu ſeinen Heldenthaten .
Bellerophon war nemlich ein Enkel des Siſy-
phus , welcher Korinth erbaute , und ſelbſt ein
Urenkel des Deukalion und ein Sohn des Aeo-
lus war , von dem der Aeoliſche Heldenſtamm in
manchen Zweigen der fuͤrſtlichen Geſchlechter Grie-
chenlands ſich ausbreitete .
Wegen einer Mordthat mußte Bellerophon
aus Korinth entfliehen , und nahm zum Proͤtus
ſeine Zuflucht , der damals uͤber Argos herrſchte ,
und ſein Verbrechen ausſoͤhnte .
Des Proͤtus Vermaͤhlte war Antea , eine
Tochter des Koͤnigs Jobates in Lycien . Eine zaͤrt-
liche Leidenſchaft , die ſie gegen den Juͤngling faßte ,
und welche dieſer ſtandhaft von ſich wieß , ver-
wandelte ſich in Haß . — Sie forderte ſelbſt den
Proͤtus zur Rache gegen den Bellerophon auf , den
ſie mit ſchwarzem Trug beſchuldigte , daß er ſie
zur Untreue habe verleiten wollen .
Dem Proͤtus waren die Rechte der Gaſt-
freundſchaft zu heilig , als daß er ſelbſt den Bellero-
phon haͤtte toͤdten ſollen ; er ſchickte ihn nach Lycien
zum Jobates , dem Vater der Antea , mit ei-
nem Briefe , welcher den Auftrag enthielt , an
dem Uebringer das ihm angeſchuldigte Vergehen
durch deſſen Tod zu raͤchen .
Allein Jobates las erſt dieſen Brief , nachdem
er den Bellerophon ſchon gaſtfreundlich bewirthet
hatte , und ſcheute ſich ebenfalls in ihm das hei-
lige Gaſtrecht zu verletzen ; — er ſtellte daher
den Tod des Fremden dem Zufall heim , indem er
ihn zu den gefahrvollſten Unternehmungen ſandte ,
wobei ſein Untergang unvermeidlich ſchien .
Unter den Ungeheuern , die von dem Phor-
kys und der ſchoͤnen Ceto abſtammen , und wovon
die ſchrekliche Gorgo ſchon vom Perſeus uͤberwun-
den iſt , tritt nun die feuerſpeiende Chimaͤra ,
mit dem Kopfe des Loͤwen , dem Leib der Ziege ,
und Schweif des Drachen in dieſer Dichtung auf ,
um Bellerophons Heldenmuth zu pruͤfen , und von
des Siſyphus tapfern Enkel beſiegt zu werden , zu
welcher That die Goͤtter den Pegaſus , der den
Perſeus trug , auch ihm gewaͤhrten .
Aus den Luͤften kaͤmpfte er nun mit dem Un-
geheuer , daß er , nach einem fuͤrchterlichen Streite ,
endlich uͤberwand . —
Es ſind lauter unnatuͤrliche Erzeugungen , wel-
che von den Goͤttern und Helden nach und nach
aus der Reihe der Dinge hinweggetilgt werden ; —
es ſcheint faſt als ſollten dieſe Dichtungen anſpie-
len , daß Traum und Wahrheit , Wirklichkeit und
Blendwerk gleichſam lange vorher miteinander im
Kampfe lagen , ehe die Dinge ſich in der Vorſtel-
lung ordnen konnten , und ihre feſte und bleibende
Geſtalt erhielten . — Das Werk der Helden war
es , die unnatuͤrlichen Erſcheinungen und Blend-
werke zu verſcheuchen , und Ordnung , Licht und
Wahrheit um ſich her zu ſchaffen . — Die Sphynx
ſtuͤrzte einen jeden von dem Felſen , der ihr Raͤth-
ſel nicht loͤſen konnte ; kaum hatte Oedipus es auf-
geloͤßt , ſo ſtuͤrzte ſie ſich ſelbſt herab . —
Nicht genug , daß Bellerophon die Chimaͤra ;
die Peſt des Landes , uͤberwunden hatte , mußte
er auch noch die Feinde des Jobates , die tapfern
Solymer und die Amazonen bekriegen ; und als
er auch von dieſer Unternehmung ſiegreich zuruͤck-
kehrte , lauerte noch im Hinterhalt ein Trupp von
Lyciern auf ihn , die ihn ermorden ſollten .
Als er auch dieſe ſchlug und der drohenden Ge-
fahr aufs neue entging ; ſo erkannte Jobates end-
lich , daß der Held aus goͤttlichem Geſchlechte
ſey , vermaͤhlte ihm ſeine Tochter , und theilte ſein
Koͤnigreich mit ihm . —
Allein auch dieſes Heldengluͤck war nicht von
Dauer . — Als Bellerophon , ſeiner Siege froh ,
ſich einſt mit dem gefluͤgelten Pegaſus in die Luͤfte
ſchwang , und ſich dem Sitz der Goͤtter naͤhern
wollte , ſo ſtuͤrzten ihn dieſe ſo tief herab , als
hoch er geſtiegen war ; — ſie ſchickten eine Bremſe ,
deren Stich den Pegaſus raſend machte , der hoch
in der Luft ſich baͤumend ſeinen Reiter abwarf .
Der , welcher vorher ein Liebling der Goͤtter
war , ſchien ihnen von nun an verhaßt zu ſeyn . —
Sein niederbeugender Fall und Kummer uͤber
haͤusliches Ungluͤck kuͤrzte ſeine Tage , — einſam ,
vor den Menſchen verborgen , uͤberließ er ſich ganz
der finſtern Schwermuth , bis ihn ſein Gram
verzehrte .
Herkules .
Der erſte tragiſche Dichter der Griechen laͤßt
den Prometheus , der an den Felſen geſchmiedet
der ungluͤcklichen Jo ſeine Leiden klagt , die Ge-
burt ſeines Befreiers , des Herkules , vorher ver-
kuͤndigen .
Jo , welche in eine Kuh verwandelt , durch
Junos Eiferſucht auf dem ganzen Erdkreiſe in
raſender Wuth umhergetrieben wurde , kam nehm-
lich auch in die einſame Gegend , wo Prometheus
duldete , der alle ihre Schickſale ihr enthuͤllte , und
ihr kund that , einer ihrer Nachkommen , der
dreizehnte von ihr , werde ſein Erretter ſeyn .
Die dreizehn in ununterbrochener Geſchlechts-
folge aber ſind Jo , Epaphus , Lybia , Be-
lus , Danaus , Lynceus , Abas , Akriſius ,
Danae , Perſeus , Alcaͤus , Alkmene , Her-
kules .
Zwei der furchtbarſten Erzeugungen des Phor-
kys und der ſchoͤnen Ceto ſind ſchon vom Perſeus
und Bellerophon uͤberwunden ; — allein die groͤß-
ten Thaten ſind dem Herkules aufgeſpart , der Un-
geheuer beſiegen , Tyrannen beugen , und ſelbſt der
Ungerechtigkeit des Donnergottes ein Ziel ſetzen
muß , indem er den Prometheus , der fuͤr ſeine den
Menſchen erwieſenen Wohlthaten noch immer
buͤßen mußte , endlich von ſeiner Qual befreit .
In die irdiſche Abſtammung des Herkules
hatten die Parzen ſein kuͤnftiges Schickſal ſchon
verwebt , — zum Herrſchen gebohren , wurd’ er
durch die Macht der Fuͤgung gezwungen , zu ge-
horchen , und ſeine glorreichſten Thaten auf den
Befehl eines Schwaͤcheren , der ihn fuͤrchtete , zu
vollfuͤhren .
Elyktrio , Sthenelus , Alcaͤus , Meſtor , wa-
ren die Soͤhne des Perſeus . Elyktrio folgte dem
Perſeus in der Regierung zu Mycene . Die Kin-
der des Alcaͤus waren Anaxo und Amphitryo . —
Mit der Anaxo vermaͤhlte ſich Elyktrio , der zu
Mycene herrſchte , und erzeugte mit ihr Alkme-
nen , die Mutter des Herkules . —
Amphitryo , der Sohn des Alcaͤus , welcher
wegen ſeiner Schweſter Anaxo dem Elyktrio nun
doppelt verwandt war , lebte an deſſen Hofe , und
hatte die ſicherſte Hofnung , in der Regierung ihm
zu folgen ; weil Elyktrio ſeine Tochter Alkmene ,
die naͤchſte Erbin ſeines Reiches , mit dem Am-
phitryo zu vermaͤhlen ſchon feſt beſchloſſen hatte .
Allein ſchon ſchwebte der ungluͤckliche Zufall
naͤher , der dem Amphitryo ſeine Ausſichten ver-
eitelte , und in der Folge auf das Schickſal des
Herkules einen daurenden Einfluß hatte . — Ta-
phius nemlich , ein Enkel des Meſtor , eines
Sohns des Perſeus , errichtete auf der Inſel
Taphos eine Pflanzſtadt , deren Bewohner ſich
wegen der weiten Entfernung von ihrem Vater-
lande auch Teleboer nannten .
Nach dem Tode des Taphius machte deſſen
Sohn und Nachfolger Pterelaus , wegen ſeiner
Abſtammung vom Meſtor , einem Sohne des Per-
ſeus , Anſpruͤche auf ſeinen Antheil an der Erb-
ſchaft von Mycene , und ſchickte ſeine Kinder da-
hin , um ſeine Forderung geltend zu machen .
Als Elyktrio ſich weigerte etwas herauszuge-
ben , ſo verwuͤſteten die Soͤhne des Pterelaus mit
ihrem Volke das Land , und fuͤhrten des Koͤnigs
Heerden hinweg . — Die Soͤhne des Elyktrio ver-
ſammelten nun auch ein Heer , und ließen ſich mit
den Soͤhnen des Pterelaus in ein Treffen ein ,
worin die Anfuͤhrer von beiden Theilen umkamen ,
ſo daß von den Soͤhnen des Elyktrio nur der ein-
zige Lycimnus , und von den Soͤhnen des Ptere-
laus nur der einzige Everes uͤbrig blieb .
Elyktrio , um den Tod ſeiner Kinder zu raͤ-
chen , uͤberließ ſeiner Tochter Alkmene und dem
Amphitryo die Regierung , mit dem Verſprechen ,
dem Amphitryo ſeine Tochter zu vermaͤhlen , ſo-
bald er von den Teleboern ſiegreich zuruͤckkehren
wuͤrde . —
Er kehrte ſiegreich zuruͤck , und brachte auch
die Heerden wieder , welche die Feinde ihm geraubt
hatten . Amphitryo , nun ſeines Gluͤcks gewiß ,
eilte ihm freudenvoll entgegen , und als von der
wiedereroberten Heerde eine Kuh entſpringen woll-
te , warf Amphitryo mit einer Keule nach ihr —
und traf den Elyktrio , welcher todt darnieder fiel .
Dieſer ungluͤckliche Zufall war es , der den
Amphitryo des Koͤnigreichs Mycene beraubte ,
und zugleich zu dem kuͤnftigen Schickſal des Her-
kules den erſten Grund enthielt . — Denn obgleich
die That des Amphitryo unvorſetzlich war , ſo lud
ſie doch den Haß des Volks auf ihn . —
Sthenelus , der Bruder des erſchlagenen Elyk-
trio , bemaͤchtigte ſich daher mit leichter Muͤhe der
Oberherrſchaft uͤber Mycene ; und Amphitryo fluͤch-
tete nach Theben , wohin ihm Alkmene folgte .
Kreon , der zu Theben herrſchte , nahm beide in
Schutz . Alkmene aber wollte ſich mit dem Am-
phitryo nicht eher vermaͤhlen , bis er , um den
Tod ihrer Bruͤder zu raͤchen , die Teleboer aufs
neue bekriegt und den Pterelaus uͤberwunden
haͤtte .
Amphitryo trat mit dem Cephalus , Eleus ,
und einigen andern benachbarten Fuͤrſten in ein
Buͤndniß , um die Inſeln der Taphier oder Tele-
boer zu bekriegen . — Pterelaus wurde beſiegt ,
und Amphitryo ſchenkte die eroberten Inſeln ſei-
nen Bundesgenoſſen , wovon die eine , welche noch
itzt Cefalonia heißt , von dem Cephalus ihren Nah-
men Cephalene erhielt .
Alkmenens Reitze hatten indeß den Donner-
gott von ſeinem hohen Sitze herabgezogen . — In
der Geſtalt des Amphitryo , der nun ſiegreich zu-
ruͤckkehrte , genoß er ihrer Umarmung , und ver-
laͤngerte zu einer dreifachen Dauer die Nacht ,
worin er den Herkules mit ihr erzeugte . —
Unbeſchadet der Ehrfurcht gegen das Goͤttliche
und Erhabene , benutzten die komiſchen Dichter
der Alten dieſen Stoff , indem ſie das laͤcherliche
Verhaͤltniß des wahren Amphitryo gegen den Ju-
piter in der Geſtalt deſſelben auf der Schaubuͤhne
darſtellten , und beide darauf erſcheinen ließen . —
Die komiſche Muſe der Alten durfte es ſich erlau-
ben , in dergleichen kuͤhnen Darſtellungen ſelbſt
mit dem Donnergott zu ſcherzen , der zu den Toͤch-
tern der Sterblichen ſich herabließ .
Dem Amphitryo , der auf Alkmenen zuͤrnte ,
gab Jupiter endlich ſelber , um ihn zu beſaͤnftigen ,
ſeine Gottheit zu erkennen ; und indeß Alkmene
nun zugleich mit dem Herkules und mit einem
Sohne des wirklichen Amphitryo ſchwanger war ;
und dem Sthenelus , der zu Mycene herrſchte ,
ebenfalls ein Sohn gebohren werden ſollte , gieng
Folgendes im Rathe der Goͤtter vor :
An dem Tage nehmlich , an welchem Herkules
gebohren werden ſollte , ſprach Jupiter ruͤhmend
in der Verſammlung der Goͤtter : Heute , alle ihr
Goͤtter und Goͤttinnen , verkuͤndige ich euch ,
wird aus dem Geſchlechte der Menſchen , das
von mir abſtammt , ein Held gebohren werden ,
der uͤber alle ſeine Nachbaren herrſchen wird !
Liſten erſinnend ſprach die hohe Juno : ich
zweifele dennoch an der Erfuͤllung deiner Worte ,
wenn du nicht mit dem unverletzlichen Schwur der
Goͤtter ſchwoͤrſt , daß derjenige , welcher heute
aus dem Geſchlechte der Menſchen , das von dir
abſtammt , gebohren wird , uͤber alle ſeine Nach-
baren herrſchen ſoll .
Kaum hatte Jupiter den unverletzlichen
Schwur gethan , als Juno den Olymp verließ ,
und ſchon in Argos war , wo die Vermaͤhlte des
Sthenelus erſt im ſiebenten Monathe mit dem
Euryſtheus ſchwanger gieng , deſſen Geburt die
maͤchtige Juno ſchnell befoͤrderte , obgleich die Zahl
der Monden noch nicht voll war . — Alkmenens
Niederkunft aber hielt ſie auf , und kehrte nun
triumphirend zum Olymp zuruͤck .
Nun iſt ſchon der Held gebohren , ſprach ſie
zum Jupiter , der die Argiver beherrſchen wird . —
Er iſt aus dem Geſchlechte der Menſchen , das
von dir abſtammt ; denn es iſt Euryſtheus , ein
Sohn des Sthenelus , deſſen Vater Perſeus dein
Erzeugter war . Keinem Unwuͤrdigen iſt alſo das
verheißne Koͤnigreich beſchieden .
Da nun Jupiter ſeinen Schwur nicht zuruͤck-
nehmen , und ſich an der Juno nicht raͤchen konnte ,
ſo ergriff er die Ate , oder die Schaden ſtiftende
Macht , welche eine Tochter Jupiters , und ſel-
ber mit in der Reihe der Goͤtter war , bei
ihrem glaͤnzenden Haar , und ſchleuderte ſie vom
Himmel zur Erde herunter , mit dem unverbruͤch-
lichen Schwur , daß ſie nie zum Olymp zuruͤck-
kehren ſolle , — ſeitdem wandelt ſie uͤber den Haͤup-
tern der Menſchen einher , und ſaͤet , wo ſie kann ,
Verderben und Zwietracht aus ; — wenn daher
Streitende ſich verſoͤhnten , ſo ſchoben ſie auf die
Ate den Anfang ihres Zwiſtes .
Das Schickſal ſelber hatte dem Herkules die
haͤrteſten Pruͤfungen zugedacht , welche Goͤtter und
Menſchen nicht hintertreiben konnten . Euryſtheus
war nun durch den Schwur des Jupiter zum
Herrſcher gebohren ; und durch eben dieſen Schwur
gebunden , konnte Jupiter ſeinen geliebten Sohn
von der harten Dienſtbarkeit nicht befreien . —
Alkmene gebahr zwei Soͤhne , den Herkules
vom Jupiter , und den Iphikles von ihrem
Gemahl Amphitryo . Wer von beiden der
Sohn des Donnergottes ſey , offenbarte ſich
ſchon , da noch ein hohler Schild , den Am-
phitryo vom Pterelaus erbeutet hatte , die Wiege
der Kinder war , und Juno zwei Schlangen ſchick-
te , die den Herkules toͤdten ſollten , der ſie mit
ſeiner zarten Hand in der Wiege erdruͤckte .
Nun legte Jupiter , da er einſt die Juno ſchlum-
mernd fand , den Herkules ihr an die Bruſt , und die-
ſer ſog ihr unbewußt die Goͤttermilch . — Als aber
Juno erwachte , ſo ſchleuderte ſie den kuͤhnen Saͤug-
ling weit von ſich hinweg , und verſchuͤttete auf des
Himmels Woͤlbung die Tropfen Milch , die ihrer
Bruſt entfielen , und deren Spur die Milchſtraße
bildete , auf welcher die Goͤtter wandeln .
Die Dichtung wird hier koloſſal ; der Luft-
kreis ſelber , durch welchen die Sterne ſchimmern ,
tritt als der Juno erſtes Urbild auf , und faͤrbt
ſich von der Milch , welche den Bruͤſten der hohen
Himmelskoͤnigin entſtroͤmte ; — jenes Urbild wur-
de vorausgeſetzt , wenn die Dichtung den weißlich-
ten Streif am Himmel die Milch der Juno nennt .
Auf Jupites Befehl mußte Merkur nun den
Herkules ſeinen Erziehern uͤbergeben , die ihn in
den kriegeriſchen ſowohl als in den ſanften Kuͤnſten
unterwieſen . Unter den Lehrern und Erziehern
des Herkules waren ſelbſt Goͤtterſoͤhne ; in der
Muſik unterwieß ihn Linus , ein Sohn des Apollo ;
Chiron , der weiſe Centaur , in der Arznei- und
Kraͤuterkunde . — In den kriegeriſchen Kuͤnſten
waren die beruͤhmteſten Helden der damaligen
Zeit , in jedem beſondern Fache , ſeine Lehrer .
Da nun Herkules unter dieſen Beſchaͤftigun-
gen zu den Juͤnglingsjahren gekommen war , be-
gab er ſich einſt , uͤber ſein kuͤnftiges Schickſal nach-
denkend in die Einſamkeit , und ſetzte ſich in Be-
trachtungen vertieft auf einem Scheidewege nie-
der . — Hier war es , wo die Wolluſt und die
Tugend ihm erſchienen , wovon die erſtre ihm jeg-
lichen Genuß einer frohen ſorgenfreien Jugend an-
bot , wenn er ihr folgen wollte , — die letztre ihm
zwar muͤhevolle Tage verkuͤndigte , aber in der
Zukunft Ruhm und Unſterblichkeit verhieß , wenn
er ſie zur Fuͤhrerin waͤhlte .
Die Tugend ſiegte in dieſem Wettſtreit ; der
Juͤngling folgte ihr mit ſicherm Schritte , feſt
entſchloſſen , jedes Schickſal , das ihm bevorſtehe ,
mit Muth und Standhaftigkeit zu tragen , ſich
keiner Laſt zu weigern , und keine Arbeit , ſey ſie
noch ſo ſchwer , zu ſcheuen . —
Die Eiferſucht der Juno , die nicht ruhte ,
hatte ſchon dem Amphitryo ſelber Furcht und Arg-
wohn eingehaucht , der den jungen Herkules an
den Hof des Euryſtheus nach Mycene ſchickte ,
wo ihm von Zeit zu Zeit die gefaͤhrlichſten Unter-
nehmungen und die ungeheuerſten Arbeiten aufge-
tragen wurden , die ſeinen Muth und ſeine Stand-
haftigkeit auf die hoͤchſte Probe ſetzten .
Als nun Herkules auf ſeiner Reiſe das Orakel
zu Delphi wegen ſeines kuͤnftigen Schickſals frag-
te ; ſo gab die Pythia ihm zur Antwort : zwoͤlf
Arbeiten muͤſſe er auf des Euryſtheus Befehl voll-
enden , und wenn er dieſe vollendet habe , ſey
ihm die Unſterblichkeit beſtimmt . —
Des Herkules letzte Duldung und
ſeine Vergoͤtterung .
Schon lange hatte ein Orakelſpruch dem Her-
kules geweißagt , daß er den Tod von keinem
Lebenden , ſondern nur von einem Todten befuͤrch-
ten duͤrfe . — Dieſe Prophezeihung war nun ihrer
Erfuͤllung nahe . —
Auf dem Vorgebirge Cenaͤum von Euboaͤ ,
errichtete Herkules , nach dem Siege uͤber den
Eurytus , dem Jupiter Altaͤre , und war die
Opferthiere zu ſchlachten im Begriff , als Lichas
ihm das Geſchenk der Dejanira uͤberbrachte .
Herkules freute ſich des Geſchenks , und zog
ſogleich das Kleid als einen feſtlichen Schmuck
zum Opfer an ; brachte nun eine Hekatombe den
Goͤttern dar , und ließ die Flamme von den Altaͤ-
ren gen Himmel lodern ; als ploͤtzlich das Gewand
wie angeleimt an ſeinem Koͤrper klebte , und Zu-
ckungen durch alle ſeine Glieder fuhren . — Es
war das Gift der Hydra , die er ſelbſt erlegt hatte ,
das nun ſein Innerſtes verzehrte .
Er rief dem ungluͤcklichen Lichas , der ihm
das Kleid gebracht , und ſchleuderte ihn , da der
Schmerz in ſeinem Eingeweide wuͤthete an einen
Felſen , an welchem ſein Schaͤdel zerſchmettert
ward . — Mitten in ſeinen Qualen ließ Herkules
ſich nach Trachina bringen . — Kaum aber hatte
Dejanira die Wuͤrkung ihres Geſchenks vernom-
men , ſo gab ſie verzweiflungsvoll ſich ſelbſt den
Tod .
Hyllus , ein Sohn des Herkules , den er
mit der Dejanira erzeugte , ſtand ihm in ſeinen
Qualen bei , und brachte auf ſeinen Befehl ihn
auf den Berg Oeta , wo Herkules auf dem lodern-
den Scheiterhaufen ſeine Leiden durch einen frei-
willigen Tod zu enden beſchloſſen hatte , indem er
zugleich dem Hyllus ſeine geliebte Jole empfahl ,
und Pfeile und Bogen ſeinem treuen Gefaͤhrten ,
dem Philoktet , des Paͤas Sohn , zum Erbtheil
hinterließ .
Als Herkules nun den Scheiterhaufen beſtie-
gen hatte , und die lodernde Flamme ihn umgab ,
da heiterte ſich ſein Antlitz auf ; — Er hatte die
Leiden der Menſchheit ausgeduldet , und ihre
Schwaͤchen abgebuͤßt ; — die ſterbliche , den
Schmerzen unterworfene Huͤlle fiel von ihm
ab ; — ſein Schattenbild ſank nur zum Orkus
nieder ; — ſein eigenes Selbſt ſtieg in die Ver-
ſammlung der Goͤtter zum Olymp empor . —
Juno war verſoͤhnt , — und Hebe , die Goͤttin
der ewigen Jugend , ward nach des Schickſals
Schluß , dem neuen Gott vermaͤhlt .
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befinden
ſich nur zwei Abbildungen vom Herkules . Die
erſte , nach einem antiken geſchnittenen Steine ,
ſtellt ihn als Juͤngling dar , wie er den Nemaͤi-
ſchen Loͤwen erdruͤckt ; die andre , ebenfalls nach
einer antiken Gemme , wie er nach vollendeter
Laufbahn , von ſeiner vollbrachten Arbeit ausruht .
Kaſtor und Pollux .
Oebalus , ein Koͤnig in Lacedemon , aus
einem Zweige vom alten Stamme des Inachus
entſproſſen , erzeugte den Tyndareus , der ihm in
der Regierung folgte , und mit der Leda , einer
Tochter des Theſtius ſich vermaͤhlte .
Die Schoͤnheit der Leda zog den Jupiter von
ſeinem Sitz herab ; er ſenkte ſich an den Ufern
des Eurotas in der Geſtalt eines Schwans zu
ihr hernieder , oder nahm vielmehr ſeine Zuflucht
in ihrem Schooße , indem die Venus in der Geſtalt
eines Adlers ihn verfolgte .
Leda , die zugleich vom Jupiter und vom
Tyndareus ſchwanger war , gebahr zwei Eier , wo-
von das eine den Kaſtor und Pollux , das andre
die Klytemneſtra und Helena in ſich einſchloß .
Von den Kindern der Leda , die aus den
Eiern hervorgingen , waren Pollux und Helena
aus Jupiters Umarmung , Kaſtor und Klytem-
neſtra aber vom Tyndareus erzeugt . — Unſterblich
waren Pollux und Helena , Kaſtor und Klytem-
neſtra aber ſterblich .
Ohngeachtet der Verſchiedenheit ihrer Abſtam-
mung waren Kaſtor und Pollux unzertrennlich . —
Beide waren tapfer und heldenmuͤthig ; und beide
waren in edler Leibesuͤbung geſchickt ; Kaſtor vor-
zuͤglich in der Kunſt zu reiten und Pferde zu baͤn-
digen ; Pollux in der Kunſt zu ringen .
Kaſtor und Pollux waren auch die Zeitgenoſ-
ſen der beruͤhmteſten Helden , und begleiteten die
Argonauten auf ihrer Fahrt nach Colchis , wo
Pollux unterwegens den Amykus , einen Sohn
Neptuns , der jeden Fremden zum Gefecht mit
Streitkolben hohnſprechend aufzufordern pflegte ,
im Zweikampf ſchlug .
Auch ſahe man einſt auf dieſer Fahrt , bei ei-
nem ſchrecklichen Sturme , zwei Flammen uͤber den
Haͤuptern des Kaſtor und Pollux lodern , als der
Sturm ſich legte ; — worauf man dieſe beiden
Feuer , ſo oft ſie nachher den Schiffern auf dem
Meere im Sturm erſchienen , Kaſtor und Pollux
nannte , und von ihnen Rettung und Huͤlfe ſich
verſprach .
Ueberhaupt richtete man in den groͤßten Ge-
fahren , ſowohl zu Waſſer als zu Lande , an den
Kaſtor und Pollux ſein Gebet , welche man beide
unter dem Nahmen der Dioskuren oder der Soͤhne
des Jupiters , als den Nothleidenden zu jeder Zeit
gewaͤrtige , huͤlfleiſtende Weſen , vor allen andern
ehrte .
Da ſie von dem Argonautenzuge wiederkehr-
ten , hatte Theſeus ihre Schweſter die Helena ,
welche nachher dem Paris folgte , entfuͤhrt , und
ſie ſeiner Mutter Aethra in Aphidnaͤ zur Aufſicht
uͤbergeben . — Kaſtor und Pollux eroberten die
Stadt , befreieten ihre Schweſter , und nahmen
die Mutter des Theſeus als Gefangene mit ; ver-
uͤbten aber nicht die mindeſte Gewaltthaͤtigkeit in
der Stadt noch in dem Attiſchen Gebiete . — Dieſe
ſchonende Großmuth war es , weswegen die
Athenienſer ſie vorzuͤglich ehrten . — Die ſcho-
nende Guͤte , welche die Heldenthaten des Kaſtor
und Pollux begleitete , floͤßte den Sterblichen das
vorzuͤgliche Zutrauen ein , womit man ſie nachher
als Rettung und Huͤlfe gewaͤhrende Goͤtter ehrte .
Aber auch die Treue , womit dieß unzertrenn-
liche Paar ſich ſelber einander in Gefahren bei-
ſtand , machte die goͤttergleichen Helden den
Menſchen zum Gegenſtande der Lieb’ und des Ver-
trauens , und iſt zugleich einer der ſchoͤnſten Zuͤge ,
welche die Dichtung in das glaͤnzende Zeitalter der
Helden eingewebt hat .
Als nehmlich Kaſtor und Pollux um die Toͤch-
ter des Leucippus , Phoͤbe und Ilaira , ſich be-
warben , und erſt mit ihren Nebenbuhlern , den
Soͤhnen des Aphareus , Idas und Lynceus ,
jeder um ſeine Geliebte kaͤmpfen mußten , wurde
Lynceus zwar vom Kaſtor getoͤdtet , Kaſtor ſelber
aber , der nicht unſterblich war , vom Idas
uͤberwunden und erſchlagen .
Ob nun Pollux gleich den Tod ſeines Bruders
an dem Idas raͤchte , ſo konnte er dennoch den
Todten nicht wieder aufwecken ; und flehte dem
Jupiter , ihm ſelber das Leben zu nehmen , oder
zu vergoͤnnen , daß er mit ſeinem Bruder ſeine
Unſterblichkeit theilen duͤrfe .
Jupiter gewaͤhrte die Bitte , und Pollux ſtieg
nun wechſelnd den einen Tag mit ſeinem Bru-
der ins Schattenreich hinab , um ſich des andern
Tages unter dem Antlitz des Himmels wieder mit
ihm des Lebens zu erfreuen .
Dem Kaſtor und Pollux waren haͤufig Tem-
pel und Altaͤre geweiht . — Die Einbildungskraft
ließ ſie zuweilen in großen Gefahren den Sterbli-
chen erſcheinen . — Dann waren es zwei Juͤng-
linge auf weißen Pferden , in glaͤnzender Waffen-
ruͤſtung , mit Flaͤmmchen oder Sternchen uͤber
ihren Haͤuptern .
So wurden ſie gemeiniglich abgebildet , ent-
weder nebeneinander reitend , oder nebeneinander
ſtehend , und jeder ein Pferd am Zuͤgel haltend ,
mit geſenkten Lanzen , und Sternchen auf den
Haͤuptern .
Auf dieſe letztre Art ſind ſie auch auf der hier
beigefuͤgten Kupfertafel nach einem antiken ge-
ſchnittenen Steine abgebildet . Auf dieſer Kup-
fertafel befinden ſich , ebenfalls im Umriß , nach
einer antiken Gemme , die bloßen Koͤpfe des Ka-
ſtor und Pollux mit den Sternchen daruͤber .
Jaſon .
Jaſon war aus dem Aeoliſchen Heldenſtamme
entſproſſen , aber kein Goͤtterſohn ; und Juno ſel-
ber , welche die Soͤhne des Jupiter mit ihrem Haß
verfolgte , nahm ihn in ihren Schutz . —
R
Aeolus , Deukalions Enkel , der in Theſ-
ſalien herrſchte , erzeugte den Salmoneus , Si-
ſyphus , Athamas , und Kretheus . — Sal-
monens wurde von Jupiters Blitz erſchlagen ;
Siſyphus mußte in der Unterwelt fuͤr ſeine Macht
auf Erden buͤßen , und Athamas ſtarb in Raſerei .
Tyro , eine Tochter des Salmoneus , gebahr ,
ehe ſie vermaͤhlt wurde , von Neptuns Umar-
mung den Pelias , und Neleus . — Und da ſie
mit ihres Vaters Bruder , dem Kretheus ſich ver-
maͤhlte , gebahr ſie ihm den Aeſon , der ſeinem Vater
in der Regierung folgte , und welcher Jaſon , den
goͤttergleichen Helden , mit der Alcimede erzeugte .
Pelias aber , des Aeſons Bruder von muͤtter-
licher Seite , beraubte dieſen ſeines Throns , ohne ihn
demohngeachtet aus Jolkos zu verjagen , welches
der Sitz der Koͤnige von Theſſalien war . — Den
Jaſon aber , da er kaum gebohren war , ſuchte
Pelias als einen ihm gefaͤhrlichen Sproͤßling von
Aeſons Hauſe , aus dem Wege zu raͤumen .
Aeſon und Alcimede , welche die Abſicht des
Tyrannen merkten , ſtreuten aus , daß Jaſon
krank , und bald darauf , daß er geſtorben ſey ,
indeß daß ſeine Mutter ihn auf den Berg Pelion
zu dem weiſen Chiron brachte , welcher , obgleich
in ungeheurer Geſtalt , halb Menſch halb Pferd ,
in jeder Wiſſenſchaft erfahren , ſich in ſeiner ein-
ſamen Grotte der Erziehung der jungen Helden
annahm ; und unter deſſen Leitung auch Herkules
ſeine edle Laufbahn antrat .
Als Jaſon zu den Juͤnglingsjahren gekommen
war , und ſchon der maͤnnliche Muth in ſeiner
Bruſt erwachte , gieng er , nach dem Ausſpruch
des Orakels , mit der Haut des Leoparden uͤber
ſeinen Schultern , und mit zwei Lanzen bewafnet ,
nach Jolkos an des Pelias Hof .
Dem Pelias aber war geweißagt , er ſolle vor
dem ſich huͤten , der einſt mit einem Schuh , und
mit dem andern Fuß entbloͤßt vor ihm erſcheinen
wuͤrde . — Als nun Jaſon auf dem Wege nach
Jolkos uͤber den Fluß Anaurus zu gehen im Be-
griff war , erſchien ihm Juno in der Geſtalt einer
alten Frau , und bat , ſie uͤber den Fluß zu tra-
gen . — Als Jaſon ſie hinuͤbertrug , blieb ihm der
eine Schuh im Schlamme ſtecken , und nun erſchien
er alſo mit dem einen Fuße entbloͤßt in Jolkos
vor dem Pallaſte des Pelias , der bei ſeinem An-
blick mit Schrecken und Beſtuͤrzung an den Aus-
ſpruch des Orakels dachte .
Auf die Frage , wer er ſey , forderte Jaſon
nun vor allem Volke vom Peltas die Krone wie-
der , die dieſer dem Aeſon , Jaſons Vater , un-
rechtmaͤßiger Weiſe entriſſen hatte . — Die Ein-
kuͤnfte des Reichs ſollten dem Pelias dennoch blei-
ben , nur der Oberherrſchaft ſolle er ſich begeben !
R 2
Pelias , welcher bei dieſem Antrage in die
Seele des jungen Helden blickte , zweifelte nicht ,
ihn durch den anſpornenden Reitz zu irgend einer
ruhmvollen That fuͤr jetzt noch zu entfernen . —
Er ſtellte ſich , als ſey er bereit , die Krone nieder-
zulegen , wenn nur die Manen des Phryxus ,
der auch vom Aeolus ſtammte , und in dem ent-
fernten Kolchis ſeinen Tod fand , erſt verſoͤhnt ,
und das goldne Fließ , was jener dorthin ge-
bracht , erſt wieder erbeutet waͤre .
Dieſer Phryxus , welcher in Kolchis ſtarb ,
war nehmlich ein Sohn des Athamas , und des
Aeolus Enkel . — Athamas , der in Boͤotien
herrſchte , hatte mit der Nephele den Phryxus
und die Helle erzeugt , nachher aber mit der Ino ,
des Kadmus Tochter , ſich vermaͤhlt , die jene bei-
den Kinder des Athamas mit ſtiefmuͤtterlichem Haß
verfolgte , und ihren Tod beſchloß .
Nephele erſchien ihren Kindern , und ent-
deckte ihnen die Gefahr , worin ſie ſchwebten ,
Schlachtopfer von Inos Haß zu werden , wenn
ſie nicht ſchnell die Flucht ergriffen , zu deren Be-
foͤrderung ſchon ein Widder mit goldnem Fell
bereit ſtand , der auf den Wink der Goͤtter den
Phryxus und die Helle uͤber Laͤnder und Meere
auf ſeinem Ruͤcken trug .
Die Fahrt ging gegen Morgen nach dem ent-
fernten Kolchis , wo Aeetes , ein Sohn der Sonne
herrſchte . — Helle , die Schweſter des Phryxus
aber ſank unterwegens in die Fluthen , und das
Meer , wo ſie unterſank , wurde nach ihrem Nah-
men der Helleſpont genannt .
Phryxus langte in Kolchis beim Aeetes an ,
wo er den Widder , der ihn trug , den Goͤttern
zum Opfer brachte , und das goldne Fell des Wid-
ders , oder goldne Fließ , als ein koſtbares Hei-
ligthum , in einem geweihten Haine aufhing ; er
ſelber vermaͤhlte ſich mit der Tochter des Koͤnigs
und ſtarb im fremden Lande .
Das goldne Fließ in Kolchis , wovon das
Geruͤcht erſcholl , erweckte ſchon lange die Sehn-
ſucht aller , die etwas Koͤſtliches zu erſtreben
wuͤnſchten . Es war im fernen Oſten das , was
in Weſten die goldnen Aepfel der Heſperiden wa-
ren ; man dachte ſich darunter etwas , das der
groͤßten Muͤhe , Anſtrengung und Gefahren werth
ſey . — So wie denn uͤberhaupt bei den Alten
das Bild vom Widder und vom hochwolligten Wid-
derfell vorzuͤglich den Begriff des Reichthums in
ſich faßte , wodurch denn auch die Dichtung von
dem goldnen Fließ , in ſo fern man ſich darunter
Reichthum und Schaͤtze dachte , natuͤrlich veran-
laßt wurde .
Das Wunderbare aber , und die weite Ent-
fernung lockte am meiſten den Muth der Helden
an ; und Jaſon hatte kaum des Pelias Wort ver-
nommen , ſo war auch ſchon ſein Muth zur ruͤhm-
lichen That entflammt , er verpflichtete ſich das
goldne Fließ zu hohlen , und zu Gefaͤhrten der
kuͤhnen Unternehmung lud er Griechenlands be-
ruͤhmteſte Helden ein .
Die Fahrt der Argonauten .
Zu der Fahrt nach Kolchis wurde aus Fichten
vom Berge Pelion ein Schiff erbaut , das groͤßer als
alle bisherigen , und dennoch leicht zum Segeln war ;
weswegen man es Argo , die Schnellſegelnde ,
nannte , und diejenigen , welche darauf nach Kol-
chis ſchifften , die Argonauten hießen .
Aus dem Walde zu Dodona , wo die Eichen
wahrſagten , war der Maſt genommen ; und man
betrachtete nun die Argo gleichſam als ein beſeel-
tes , mit dem Schickſal einverſtandenes Weſen ,
dem man ſich deſto ſicherer anvertrauete . Die
folgenden Nahmen glaͤnzten vorzuͤglich unter der
Zahl der Helden , die den Jaſon begleiteten :
Herkules ;
Kaſtor und Pollux ;
Kalais und Zetes , die Soͤhne des Boreas ;
Peleus , der Vater des Achilles ;
Admet , der Gemahl der Alceſte ;
Neleus , der Vater des Neſtor ;
Meleager ;
Oroheus ;
Telamon , der Vater des Ajax ;
Menoͤtius , der Vater des Patroklus ;
Lynceus , der Sohn des Aphareus ;
Theſeus ;
Pirithous .
Die Vaͤter der beruͤhmteſten Helden , die im
Trojaniſchen Kriege glaͤnzten , ſind auf der Fahrt
nach Kolchis zum Theil noch ſelbſt in bluͤhender
Jugend . — Ein Heldengeſchlecht geht hier voran ,
um mit vereinten Kraͤften einen koſtbaren Schatz
den Haͤnden der Barbaren zu entreißen ; ſo wie
nachher das zweite Heldengeſchlecht vereint durch
Trojas Zerſtoͤrung den Raub der Schoͤnheit raͤchte .
Bei guͤnſtigem Winde ſegelt nun die Argo
aus dem Hafen von Jolkos in Theſſalien ab. —
Orpheus ſchlug die Harfe , und ſein Geſang be-
lebte den Muth bei drohenden Gefahren ; — des
Lynceus ſcharfer Blick durchdrang die fernſte Ge-
gend , — und der ſchiffahrtskundige Tiphys
lenkte mit weiſer Hand das Steuerruder .
Die Fahrt der Argonauten war eine zeitlang
gluͤcklich von ſtatten gegangen , als ſich ploͤtzlich
ein Sturm erhub , der ſie noͤthigte , in den Hafen
von Lemnos einzulaufen . Merkwuͤrdig iſt es ,
daß einige der Helden bei dieſem Sturm gelobten ,
ſich in die Samothraciſchen Geheimniſſe einwei-
hen zu laſſen ; eben ſo wie Herkules , da er zu
der gefahrvollſten Unternehmung in die Unterwelt
hinabſtieg , ſich erſt in die Eleuſiniſchen Geheimniſſe
einweihen ließ .
In Lemnos drohte den Argonauten eine groͤßre
Gefahr , als ſelbſt der Sturm war , der ſie dort-
hin verſchlug . Die Schoͤnheit und die Liebkoſun-
gen der Lemnierinnen feſſelten die Helden , und
verweilten ihre Fahrt nach Kolchis auf eine gerau-
me Zeit .
Kurz vor der Ankunft der Argonauten hatten
nehmlich die Einwohnerinnen von Lemnos alle
Maͤnner auf ihrer Inſel ermordet ; nur Hypſi-
pyle hatte ihrem Vater , dem Koͤnige Thoas , das
Leben erhalten . Der Zorn der Venus gegen die
Lemnierinnen , welche die maͤchtige Goͤttin nicht
gnug verehrten , veranlaßte dieſe ſchreckliche That .
Die zuͤrnende Goͤttin floͤßte den Maͤnnern von
Lemnos , welche mit den Thraciern Krieg fuͤhrten ,
eine unuͤberwindliche Abneigung gegen ihre Weiber
ein , ſtatt deren ſie ſich Thraciſche Sklavinnen zu
Beiſchlaͤferinnen waͤhlten ; welche Schmach die
Weiber von Lemnos nicht ertrugen , ſondern alle
ihre Maͤnner , die nicht in Thracien zuruͤckgeblie-
ben waren , in einer Nacht im Schlafe ermor-
deten .
Als nun die Argonauten in Lemnos landen
wollten , ſo widerſetzten ſich ihnen zuerſt die Wei-
ber , weil ſie glaubten , es waͤren ihre aus Thra-
cien ruͤckkehrende Maͤnner , welche den Tod der
Ermordeten raͤchen wollten . Sobald ſie aber
ihren Irrthum einſahen , nahmen ſie die Fremden
mit offnen Armen auf , welche nun zwei Jahr auf
dieſer Inſel blieben , wo Jaſon mit der Hypſipyle
zwei Soͤhne , den Thoas und den Euneus er-
zeugte .
Von Lemnos ſegelten die Argonauten nach
Samothracien , wo die Einweihung in die Ge-
heimniſſe den Helden zu ihrer gefahrvollen Unter-
nehmung neuen Muth gab . Als ſie bei Troas
landeten , wurden ſie von dem Herkules , der den
Hylas ſuchte , und von dem Telamon , dem Ge-
faͤhrten des Herkules , verlaſſen .
Am Fuße des Dindymus lag die Stadt
Zyzikus , in welcher ein Koͤnig gleiches Nahmens
herrſchte , der die Argonauten , als ſie hier lande-
ten , guͤtig aufnahm , und mit Geſchenken ſie ent-
ließ . Da nun in der Nacht ein Sturm das Schiff
wieder in den Hafen trieb , hielt Cycikus aus Irr-
thum die Landenden fuͤr Feinde , und wurde , da
er ſie angriff , von Jaſon im Gefecht erſchlagen ,
der zur Ausſoͤhnung dieſer , obgleich unvorſetzlichen
That , der Mutter der Goͤtter auf dem Berge Dindy-
mus Opfer brachte , und ihr einen Tempel baute .
Die Argonauten , welche immer nach Oſten
zu ihren Lauf richteten , landeten nun in Bebry-
cien an , wo Amykus herrſchte , der zum Gefecht
mit Streitkolben jeden Fremden aufforderte , und
welchen Pollux im Zweikampf uͤberwand . —
Auf ihrer weitern Fahrt von hier wurden die
kuͤhnen Schiffer durch einen Sturm an die Kuͤſte
von Thracien verſchlagen , und landeten zu Sal-
mydeſſa , wo der von den Goͤttern beſtrafte wahr-
ſagende und blinde Phineus herrſchte , den un-
aufhoͤrlich die Harpyen , die Toͤchter des Thau-
mas quaͤlten , deren unter den Erzeugungen der
alten Goͤtter ſchon gedacht iſt .
Phineus war mit einer Tochter des Boreas
vermaͤhlt , mit welcher er zwei Soͤhne erzeugte ,
die er dem ſtiefmuͤtterlichen Haß ſeiner zweiten
Gemahlin Idea Preis gab , auf deren Anſtiften
und Verlaͤumdung er ſie des Augenlichts beraubte ,
und nun durch ſeine eigene Blindheit fuͤr dieß Ver-
brechen buͤßte , indeß die wahrſagenden Harpyen ,
Celaͤno , Aello , und Ocypete , welche ein jung-
fraͤuliches Autlitz hatten , und uͤbrigens graͤßlichen
Raubvoͤgeln gleich geſtaltet waren , dem Phineus
alle Speiſe , die er genießen wollte , entriſſen oder
beſudelten .
Phineus , der in die Zukunft blickte , gab den
Argonauten weiſe Rathſchlaͤge zur Fortſetzung ihrer
Reiſe , und einen Wegweiſer durch die Cyanei-
ſchen Felſen , oder Symplegaden , deren Durch-
fahrt den Argonauten nun bevorſtand .
Kalais und Zetes , die Soͤhne des Boreas ,
welche befluͤgelt waren , verjagten zur Dankbar-
keit die Harpyen von des Phineus Tiſche , und
verfolgten ſie bis an die Strophadiſchen Inſeln ,
wo ſie auf den Befehl der Goͤtter von ihrer Ver-
folgung abließen , und zu den Argonauten wieder
zuruͤckkehrten ; von welcher Ruͤckkehr auch jene
Inſeln bei den Alten ihren Nahmen fuͤhrten .
Die Cyaneen oder Symplegaden , durch
welche die Argonauten nun ſchiffen mußten , wa-
ren zwei Felſen , die am Eingange des ſchwarzen
Meeres einander gegenuͤber lagen , und nach den
verſchiedenen Richtungen , worin man ſich ihnen
naͤherte , durch einen optiſchen Betrug , ſich bald
zu oͤfnen , und bald zu ſchließen ſchienen , wo-
her die alte Dichtung entſtand , daß dieſe Felſen
beweglich waͤren , und ſich wirklich ſo wie Schee-
ren auf und zuthaͤten , welches den Durchgang der
Schiffe durch dieſelben aͤußerſt gefahrvoll machte . —
Sehr natuͤrlich iſt daher auch die Dichtung , daß ,
ſeitdem die Argonauten die Durchfahrt einmal ge-
wagt hatten , und alſo der optiſche Betrug ent-
deckt war , Neptun dieſe Felſen befeſtigt habe . —
Nach gluͤcklich vollendeter Durchfahrt durch
die Symplegaden , ward nun in dem Gebiet des
Lykus angelandet , welcher , von Geburt ein
Grieche , die Fremdlinge aus ſeinem Vaterlande
mit offnem Arm aufnahm . Hier ſtarb Tiphys ,
der Steuermann der Argo , an deſſen Stelle An-
caͤus trat ; worauf die weitere Fahrt nach Kolchis
vor ſich gieng , wo endlich die geweihte Argo ,
nachdem ſie lange das Meer durchſchnitten , und
manchen Sturm erlitten hatte , an das gewuͤnſchte
Ufer ſtieß .
Allein hier war es , wo die groͤßte Gefahr
dem Jaſon drohte , wogegen ihn aber auch ſchon
im Voraus die Gunſt der Goͤtter ſchuͤtzte . —
Aeetes nahm die Argonauten nicht unfreund-
lich auf ; ſchrieb aber dem Jaſon , der das goldne
Fließ begehrte , ſolche Bedingungen vor , deren
Erfuͤllung er ſelbſt fuͤr unmoͤglich hielt ; weil unter
den Gefahren , die er ausgedacht , der kuͤhnſte
Held nothwendig erliegen mußte !
Zuerſt ſollte Jaſon , um den Beſitz des gold-
nen Fließes ſich zu erwerben , zwei flammenath-
mende , dem Vulkan geweihte Stiere an einen
diamantnen Pflugſchaar ſpannen , und reißen da-
mit vier Morgen eines noch nie gepfluͤgten , dem
Mars geweihten Feldes auf . —
Dann ſollte er den Reſt der Drachenzaͤhne
des Kadmus , welche Aeetes beſaß , in die ge-
pfluͤgten Furchen ſaͤen , und die geharniſchten Maͤn-
ner , die aus der furchtbaren Saat erwachſen wuͤr-
den , alle bis auf einen toͤdten ; und wenn er das
gethan , den Drachen , der das goldne Fließ be-
wachte , bekaͤmpfen und erlegen .
Medea , eine Tochter des Aeetes , maͤchtig
in Zauberkuͤnſten , hatte kaum den Jaſon erblickt ,
als durch den Einfluß und die Veranſtaltung der
Goͤtter , die den Helden ſchuͤtzten , eine zaͤrtliche
Neigung gegen ihn , ſich in ihrem Buſen regte , die
bald bis zur heftigſten Flamme der Leidenſchaft
emporſchoß .
Beim Tempel der Hekate , die maͤchtige Goͤt-
tin anzuflehen , begegneten ſich Jaſon und Medea .
Medea entdeckte dem Jaſon ihre Liebe , und wenn
er ihr Treue ſchwuͤre , verſprach ſie , in den Gefah-
ren , die ihm drohten , ihm maͤchtig beizuſtehen ,
und ihm zu helfen , ſein glorreiches Unternehmen
ſicher zu vollfuͤhren .
Jaſon ſchwur ihr Treue ; Medea erwiederte
den Schwur , und machte durch ihre Zauberkraft
den Helden unuͤberwindlich , ſie gab ihm einen
Stein , um ihn unter die aufkeimende Saat der
geharniſchten Maͤnner hinzuſchleudern , und gab
ihm Kraͤuter und einen Trank , den Drachen ein-
zuſchlaͤfern .
Als Jaſon mit ſeinen Gefaͤhrten nun am an-
dern Tage , in Gegenwart des Koͤnigs und des
Volks auf dem Felde des Mars erſchien , und man
nun im Begriff war , zuerſt die flammenathmen-
den Stiere loßzulaſſen , ſtand alles ſtumm und
ſchweigend auf den Ausgang harrend . —
Wild und ſchnaubend ſtuͤrzten die Stiere auf
den Helden loß , allein die Zauberkraft , womit
Medea ihn begabt hatte , machte ſie ploͤtzlich zahm ;
ſie beugten willig ihren Nacken unter das Joch ,
indem ſie Jaſon an den Pflug ſpannte , und auf
dem Felde des Mars die Furchen zog , worin
er die Zaͤhne des Drachen ſaͤte .
Als nun ploͤtzlich die Saat der geharniſchten
Maͤnner aus dem Boden keimte , die alle ihre
Schwerdter gegen den Jaſon kehrten , ſo warf
dieſer in ihre Mitte den bezaubernden Kieſelſtein ,
der ihre Herzen verhaͤrtete , daß ſie mit wechſelſei-
tiger Wuth ſich ſelbſt aufrieben , und mit ihren
todten Koͤrpern den Boden deckten , woraus ſie
kaum erſt entſproſſen waren .
Ehe noch der Koͤnig und das Volk von ſeinem
Erſtaunen ſich erhohlte , eilte Jaſon ſchon , den
Drachen einzuſchlaͤfern ; er toͤdtete das Ungeheuer ,
und triumphirend hielt ſeine Rechte das goldne
Fließ empor . — Siegreich kehrte er nun mit ſeinen
Gefaͤhrten in ſein Schiff zuruͤck . Heimlich in
naͤchtlicher Stille ihres Vaters Haus verlaſſend ,
um ihrem Geliebten nachzufolgen , begab ſich
Medea auf das Schiff , das in der Nacht noch
unter Segel ging .
Aeetes , welcher bald die Flucht ſeiner Tochter
inne ward , verfolgte die ſchnellſegelnde Argo mit
ſeinen Schiffen ; als nun beim Ausfluß der Do-
nau , Medea die nahen Segel ihres Vaters er-
blickte , griff ſie zu einem verzweifelten und grau-
ſamen Mittel , um ſich und ihren Geliebten aus
der Gefahr zu retten .
Sie hatte ihren kleinen Bruder Abſyrtus ,
gleichſam als Geißel mitgenommen , und da ſie
kein andres Rettungsmittel ſahe , toͤdtete und
zerſtuͤckte ſie ihn ; ſtellte Haupt und Haͤnde auf
einem hohen Felſen aus , und ſtreuete die uͤbri-
gen Glieder an dem Ufer hier und da umher , da-
mit durch dieſen jammervollen Anblick , und bei
dem Sammlen der Glieder ſeines Sohnes , der
Vater ſich verweilte , und die Fliehenden zu ver-
folgen abließe . — Um dieſe Frevelthat zu bezeich-
nen , wurden einige kleine Inſeln in dieſer Gegend
nachher die Abſyrtiſchen genannt .
Die Argonauten , denen Phineus gerathen
hatte , ſie ſollten durch einen andern Weg , als
den , welchen ſie gekommen waͤren , in ihr Vater-
land zuruͤckkehren , ſchifften nun die Donau hin-
auf , und da ſie auf dieſem Fluſſe nicht weiter
kommen konnten , laͤßt die Dichtung ſie das leicht-
gebaute Schiff eine Strecke von vielen Meilen
uͤber Berg und Thal , bis an den adriatiſchen
Meerbuſen auf ihren Schultern tragen .
Als ſie ſich hier nun wieder einſchiften , ließ die
Argo aus der Eiche des Dodoniſchen Waldes fol-
genden Orakelſpruch ertoͤnen : daß ihnen die Ruͤck-
kehr in ihr Vaterland nicht eher beſtimmt ſey , bis
Jaſon und Medea erſt von dem Mord des Abſyr-
tus loßgeſprochen , und durch die auferlegte Buͤßung
ihr Verbrechen ausgeſoͤhnt ſey .
Um dieſer Ausſoͤhnung willen liefen ſie in den
Hafen von Aeea , dem Aufenthalt der Circe ,
einer Tochter der Sonne , und Schweſter des
Aeetes ein , die ſich aber weigerte , auf die Bitte
des Jaſon und der Medea , den Mord des Abſyr-
tus durch die gebraͤuchlichen Opfer auszuſoͤhnen ,
und ihnen verkuͤndigte , daß ſie nicht eher als auf
dem Vorgebuͤrge Malea ihre Schuld wuͤrden til-
n koͤnnen .
Von hier ſchiften nun die Argonauten , un-
ter dem Schutz der Juno , gluͤcklich durch die
Scylla und Charybdis . — Durch des Orpheus
Ueberredung vermieden ſie die Gefahr , die ihnen
von den Sirenen drohte , und kamen nun auf
der Inſel der Phaͤacier an , wo ſie auf die Flotte
der Kolchier trafen , die hier auf einem andern
Wege den Fiehenden gerade entgegen kam , und
die Medea , wenn ſie dem Jaſon noch nicht ver-
maͤhlt waͤre , wieder zuruͤckverlangten .
Alcinous , der Koͤnig der Phaͤacier , ließ noch
in derſelben Nacht den Jaſon und die Medea die
Gebraͤuche der Vermaͤhlung feiern , und verkuͤn-
digte dieſe Verbindung am andern Morgen den
Abgeordneten von Kolchis , die nun mit ihrer
Flotte wieder den Ruͤckweg nahmen .
Die Argonauten gingen nun wieder unter
Segel , und ſuchten dem Vorgebuͤrge Malea ſich
zu naͤhern , als ploͤtzlich ein Sturm ſie an die Lybi-
ſchen Sandbaͤnke warf , wo ſie in einem der
Seen ſich verwickelt ſahen , als ihnen ein Triton
erſchien , der gegen das Geſchenk eines koͤſtlichen
Dreifußes , den Jaſon im Schiffe mit ſich fuͤhrte ,
ihnen einen Weg zu zeigen verſprach , wo ſie der
Gefahr entrinnen koͤnnten .
Jaſon ſchenkte den Dreifuß dem Triton , der
ſich daran ergoͤtzte , und dem Euphemus , eine r
von den Argonauten , deſſen Nachkommen uͤb
Lybien herrſchten , als ein bedeutendes Geſche
eine Erdſcholle gab ; als dieſe Erdſcholle in der
Folge ins Meer fiel , weißagte Medea dem Eu-
phemus , daß ſeine Nachkommen nun noch nicht
ſobald in Lybien herrſchen wuͤrden .
Endlich langte nun die Argo bei dem Vorge-
buͤrge Malea an , wo nach der Circe Verheißung ,
Jaſon und Medea von dem Mord des Abſyrtus
ausgeſoͤhnt , ſich nun das nahe Ende der langen
Reiſe verſprechen durften . — Ohne irgend einen
neuen Unfall liefen die Argonauten gluͤcklich in den
Hafen von Jolkos ein . — Die Argo weihte
S
Jaſon auf dem Corinthiſchen Iſthmus dem Neptun ,
und die folgenden Dichtungen laſſen ſie als ein
leuchtendes Geſtirn am Himmel glaͤnzen .
Das goldne Fließ war nun erbeutet , allein
die Abſicht , weswegen Jaſon ſich allen dieſen Ge-
fahren unterzogen hatte , war vereitelt , weil ſein
Vater Aeſon , eben ſo wie Pelias , nun ſchon ein
abgelebter kindiſcher Greiß , der glorreichen Thaten
ſeines Sohnes ſich nicht mehr freuen konnte . —
Und nun war Jaſons erſte Bitte an Medeen ,
durch die Gewalt der magiſchen Kraͤfte , wo moͤg-
lich ſeinen Vater zu verjuͤngen . — Medea
ließ dem Aeſon aus verborgenen Kraͤutern den
neuen Lebensſaft durch alle Adern ſtroͤmen , und
dieſer fuͤhlte ploͤtzlich die Ruͤckkehr ſeiner muntern
Jugend und neue Lebenskraft ; indeß die Toͤchter
des Pelias , den Verſuch der Medea thoͤricht
nachahmend , ihren Vater , den ſie auch verjuͤngen
wollten , das Leben raubten , ſo daß dem Aeſon
nun allein die Herrſchaft blieb .
Jaſon begab ſich mit der Medea nach Korinth ,
das vormals Ephyra hieß , und vom Aeetes , dem
Vater der Medea , ehe er nach dem fruchtbarern
Kolchis gieng , beherrſcht ward . Medea bemaͤch-
tigte ſich der Regierung fuͤr den Jaſon , welchem ,
nachdem er hier zehn Jahr mit ihr verlebt , ſo
wie dem Herkules , Perſeus , und Bellerophon , ein
tragiſches Schickſal noch zuletzt bevorſtand .
Medeens uͤberdruͤſſig , war Jaſon im Begriff
ſich mit der fuͤrſtlichen Tochter Kreons zu ver-
maͤhlen , uneingedenk der Rache , verachteter Ei-
ferſucht und verſchmaͤhter Treue . Medea ſtellte
ſich ſanft und duldend ; ſie ſchickte ſelber der Braut
ein Hochzeitkleid . Kaum hatte dieſe es angelegt ,
ſo fuͤhlte ſie ſchon die Flamme ihr Innerſtes ver-
zehren und ſtarb einen qualenvollen Tod . —
Nun ließ Medea ihrer Rache freien Lauf ;
auf Kreons Pallaſt ließ ſie Feuer regnen ; den
Kreon ſelbſt einen Raub der Flammen werden ; —
ermordete ihre beiden Kinder , die Jaſon mit ihr
erzeugt hatte , und eilte darauf in ihren mit Dra-
chen beſpannten Wagen durch die Luͤfte , indem ſie
den Jaſon ſeinem Gram und der Verzweiflung
uͤberließ , die ſeine Tage kuͤrzte , und ihm den Reſt
ſeines Lebens verbitterte .
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel ſind Jaſon
und Medea , ſich einander die Haͤnde gebend , nebſt
Jaſons Waffentraͤger , nach einem antiken Basrelief
aus Winkelmanns Monumenten , abgebildet , indeß
der mit dem Drachen umwundne Lorbeerbaum den
Sieg des Jaſon ſchon im Voraus andeutet , der mit
Medeens Zauberkraͤften ausgeruͤſtet , ſeiner Waf-
fen , die an der Wand haͤngen , nicht mehr bedarf ,
und leichtbekleidet ohne Harniſch daſteht . Auf eben
dieſer Tafel iſt , nach einer antiken Gemme , auch
Meleager und der Kopf des Kalydoniſchen Ebers
vor ihm , dargeſtellt .
S 2
Meleager .
Oeneus , der in Kalydon herrſchte , war ein
Vater beruͤhmter Kinder ; der Dejanira , die dem
Herkules vermaͤhlt war ; des Meleager , und des
Tydeus , deſſen tapferer Sohn Diomedes im
Trojaniſchen Kriege es mit den Goͤttern ſelbſt
im Streit aufnahm . — Dieſer Oeneus hatte das
Ungluͤck , den Zorn der Diana auf ſich und ſein
Land zu laden , weil er beim Opfer ſie vergaß , da
er den uͤbrigen Goͤttern fuͤr den Wachsthum der
Fruͤchte des Feldes dankte .
Diana ſchickte einen ungeheuren Eber in das
Kalydoniſche Gebiet , der die aufkeimende Saat
zernichtete , die Aecker verwuͤſtete , und den Ein-
wohnern des Landes rund umher Tod und Ver-
derben drohte . — Oeneus erbat ſich den Beiſtand
der Helden , dies Ungeheuer zu erlegen ; und dies
war wiederum eine Unternehmung , welche , ſo
wie die Fahrt der Argonauten , die gleichzeitigen
beruͤhmteſten Helden Griechenlands vereinte .
Die Kalydoniſche Jagd .
Bei der Jagd des Kalydoniſchen Ebers ver-
ſammleten ſich zum Theil die Helden wieder , die
auf der Fahrt nach Kolchis manche Gefahr zuſam-
men uͤberſtanden hatten . Die beruͤhmteſten von
den Argonauten , welche mit dem Meleager , dem
Sohn des Oeneus , gegen das Ungeheuer kaͤmpf-
ten , waren
Jaſon ;
Kaſtor und Pollux ;
Idas und Lynceus ;
Peleus ;
Telamon ;
Admetus ;
Pirithous und Theſeus .
Zu dieſem glaͤnzenden Haufen geſellten ſich die
Bruͤder der Althea , der Vermaͤhlten des Oeneus ,
einer Tochter des Theſtius , der in Pleuron
herrſchte ; und Atalante , die Tochter des Schoͤ-
neus , eines arkadiſchen Fuͤrſten , die gleich der
Diana ſelber die Jagd liebte , und ſich dem jung-
fraͤulichen Stande gewidmet hatte .
Atalante verwundete zuerſt mit ihrem Pfeil
den Eber ; und nun erlegte Meleager das Unge-
heuer , hieb ihm den Kopf ab , und uͤberreichte
ihn der Atalante , als der Siegerin , die den Preis
in dieſem Kampfe davon getragen hatte . — Die
Soͤhne des Theſtius , Bruͤder der Althaͤa , der
Mutter des Meleager , machten den Preis der
Atalante ſtreitig ; und nun erregte Diana , die
ihrem Zorn noch keine Grenzen ſetzte , zwiſchen
dem Meleager und den Soͤhnen des Theſtius ei-
nen Streit , der zu einem blutigen Kriege wurde ,
und dieſer Begebenheit einen tragiſchen Aus-
gang gab .
Meleager toͤdtete im Gefecht ſeiner Mutter
Bruͤder . Als dieſe nun die Leichname der Er-
ſchlagenen erblickte , ſchwur ſie , den Tod der Bruͤ-
der an ihrem eigenen Sohne zu raͤchen . Die
Parzen hatten nehmlich bei der Geburt des Melea-
ger ein Scheit Holz nah an die Flamme auf den
Heerd gelegt , mit dem Bedeuten , daß der Al-
thaͤa Sohn ſo lange leben wuͤrde , als die Flamme
nicht dies Holz verzehrte .
Althaͤa hatte , wie ein koͤſtliches Kleinod , bis
jetzt dies Scheit Holz aufbewahrt ; nun warf ſie
es in die lichte Flamme , mit lauten Verwuͤnſchun-
gen gegen ihren Sohn , der ploͤtzlich von verzeh-
render Gluth ſein Inneres ausgetrocknet , ſeine
Gebeine zermalmet fuͤhlte , und unter zuckender
Qual verſchied . — Kaum aber vernahm Althaͤa
die ſchreckliche Wirkung , von dem , was ſie ge-
than , ſo gab ſie aus Reue und Verzweiflung ſich
ſelbſt den Tod .
Atalante .
Auch Atalante freute ſich ihres Sieges nicht
lange ; ſie vermied ſo lange ſie konnte , ſich zu ver-
maͤhlen , weil unvermeidliches Ungluͤck in der Ehe ,
nach einer Weißagung , ihr bevorſtand . Um nun
die Freier abzuſchrecken , trug ſie jedem , der um
ſie warb , einen Wettlauf an . Dem , welcher
ſie beſiegen wuͤrde , verſprach ſie ſich zu ergeben ;
dem Beſiegten aber war der Tod beſtimmt .
Hippomenes , der dieſem gefaͤhrlichen Wett-
lauf ſich unterzog , flehte die Venus um Beiſtand
an , die ihm drei goldne Aepfel ſchenkte , welche
er einen nach dem andern im Laufen fallen ließ ,
und als Atalante dieſe Aepfel , ſie bewundernd , auf-
hub , vor ihr das Ziel erreichte . —
Allein Hippomenes vergaß des Dankes , den
er der Venus ſchuldig war , und Atalante mußte ,
da ſie mit ihm vermaͤhlt war , zugleich auch ſein
Vergehen gegen die Goͤttin buͤßen , auf deren An-
ſtiften beide ein Heiligthum der Cybele entweih-
ten , welche mit furchtbarer Gewalt das frevelnde ,
durch das Band der Ehe verknuͤpfte Paar ,
in Loͤwen verwandelte , die unter einem Joch
ihren Wagen zogen .
Minos .
In der Geſtalt des muthigen Stiers , worin
die Alten gern , als ein Sinnbild der Staͤrke , die
Gottheit huͤllten , entfuͤhrte Jupiter die Europa ,
des Agenors Tochter , nach Kreta , wo er den Mi-
nos mit ihr erzeugte , der , ſeines erhabenen Ur-
ſprungs wuͤrdig , den Voͤlkern Geſetze gab , und
ſie zuerſt zu einem Staate durch weiſe Einrichtung
bildete .
Die Dichtung laͤßt den Minos in einer Grotte
auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter
geheime Unterredungen pflegen , deren Inhalt er ,
als die Grundlage ſeiner Geſetzgebung , dem hor-
chenden Volke bekannt macht . Wegen ſeiner wei-
ſen Regierung eignete die Dichtung dem Minos ,
nebſt ſeinem Bruder und Rathgeber Radaman-
thus , als den gerechteſten Menſchen , das Rich-
teramt uͤber die Todten zu ; zu dieſen beiden ge-
ſellte ſie den Aeakus , des Peleus Vater , und , nach
einer andern Sage , auch den Triptolemus , der ein
Wohlthaͤter der Menſchen war .
Minos , des Geſetzgebers Enkel , war ein
tapfrer und kriegriſcher Fuͤrſt , der das mittellaͤn-
diſche Meer von Seeraͤubern befreite , und die
Fahrt auf demſelben wieder ſicher machte . — Al-
lein ihn betrafen Ungluͤcksfaͤlle , wodurch ſeine glor-
reichſten Siege ihm vergaͤllt , ſein Leben verbittert
wurde .
Die Vermaͤhlte des Minos war Paſiphae ,
eine Tochter der Sonne und Schweſter des Aee-
tes . — Venus warf auf dieß Geſchlecht einen
alten Haß , weil Helios oder die Sonne einſt ihr
Liebesverſtaͤndniß mit dem Mars entdeckt und ver-
rathen hatte .
Sie floͤßte der Paſiphae zu einem Stier , den
Neptun aus dem Meere ſteigen ließ , eine ſchaͤnd-
liche Liebe ein . — Waͤhrend der Abweſenheit des
Minos beging Paſiphae das unnatuͤrliche Verbre-
chen , und gebahr ein Ungeheuer , halb Menſch
halb Stier , das unter dem Nahmen des Mino-
taurus zum oͤftern in dieſen Dichtungen auftritt .
Daͤdalus , der kunſtverſtaͤndigſte Bildner
und Baumeiſter , welcher damals lebte , hatte ſich
wegen eines Verbrechens aus Athen nach Kreta
gefluͤchtet ; und Minos , um die Schande ſeines
Hauſes den Blicken der Menſchen und dem Antlitz
des Tages zu verbergen , trug dem Daͤdalus auf ,
ein unterirdiſches Gewoͤlbe , mit unzaͤhligen irre-
fuͤhrenden Gaͤngen , ihm zu erbauen .
Dieß war das beruͤhmte Labyrinth in deſſen
Mitte der Minotaurus eingeſchloſſen , nur von de-
nen erblickt wurde , die ihm zur Strafe als Opfer
vorgeworfen wurden , und um ihren Tod zu fin-
den , das Labyrinth betraten .
Androgeus , ein Sohn des Minos , war
waͤhrend der Zeit nach Athen gereiſt , um dort ,
mit vielen andern Fremden , den Athenienſiſchen
Spielen beizuwohnen , wo er bei allen Kaͤmpfen
den Preis davon trug , und durch den Beifall des
ganzen Volks , den er ſich erwarb , die Eiferſucht
und den Verdacht des kinderloſen Aegeus rege
machte , der damals Athen beherrſchte , und den
hofnungsvollen Sohn des Minos meuchelmoͤrderi-
ſcher Weiſe ermorden ließ .
Kaum hatte Minos dieß neue Ungluͤck ſeines
Hauſes vernommen , ſo kam er mit ſeiner ganzen
Macht , den grauſamen und ſchaͤndlichen Mord
zu raͤchen . — Zuerſt belagerte er Niſa , wo Ni-
ſus , ein Bruder des Aegeus herrſchte . — Den
Niſus verrieht ſeine eigne Tochter Scylla , indem
ſie eine gelbe Haarlocke , wodurch er unuͤberwind-
lich war , von ſeinem Haupte ſchnitt , und ſie dem
Minos brachte , gegen den ſie von Liebe entbrannt ,
der Pflicht und kindlichen Zaͤrtlichkeit vergaß , und
nach Verdienſt beſtraft wurde , indem ſich Minos
zwar ihres Geſchenks bediente , die Verraͤtherin
aber mit Zorn und Verachtung von ſich ſtieß .
Als Minos die Stadt Niſa , welche nachher
Megara hieß , erobert hatte , ruͤckte er gerade auf
Athen , das ſchon vorher von Duͤrre und Hun-
gersnoth gedruͤckt , der Goͤtter Zorn empfand , und
unter ſeinem traurigen Schickſal ſeufzte .
Als zu dem allen noch das Orakel den Aus-
ſpruch that : die Goͤtter wuͤrden nicht aufhoͤren ,
Ungluͤck uͤber die Stadt zu ſchicken , bis dieſelbe dem
Minos fuͤr den Mord ſeines Sohnes , erſt voͤllige
Genugthuung geleiſtet ; ſo ſchickten ſie Abgeordnete
an den Koͤnig von Kreta , die ihn in flehender Ge-
ſtalt um Frieden baten .
Die harte Bedingung des Friedens war , daß
die Athenienſer dem Minos jaͤhrlich ſieben der
ſchoͤnſten Knaben , und ſieben der ſchoͤnſten Maͤd-
chen nach Kreta ſchicken mußten , wo ſie um den
Mord des Androgeus abzubuͤßen , als Schlacht-
opfer fuͤr ihr Vaterland , dem Minotaurus zur
Beute wurden .
Als Theſeus endlich den Minotaurus erlegte ,
und mit der Ariadne , des Minos Tochter ent-
flohe , ſchloß Minos , da er ſich weiter nicht raͤchen
konnte , den Athenienſer Daͤdalus , nebſt ſeinem
Sohn Ikarus , in das von dem Kuͤnſtler ſelbſt
erbaute Labyrinth . — Dem Daͤdalus aber bot die
Kunſt ein Mittel dar , mit ſeinem Sohn dem
Kerker zu entfliehn .
Kokalus , ein Fuͤrſt in Sicilien , nahm den
Daͤdalus auf ; und lud den Minos , welcher kam ,
und die Ausliefrung des Daͤdalus verlangte , ſelbſt
zu einer Unterredung ein , ſtellte ſich freundlich
gegen ihn , und bewirthete ihn in ſeinem Hauſe ,
wo er hinterliſtiger Weiſe ihn zuletzt im Bade er-
ſtickte . — So fand Minos , der tapfre Krieger ,
da er den Kuͤnſtler verfolgte , den die Goͤtter
ſchuͤtzten , in einem fremden Lande ſeinen Tod .
Daͤdalus .
In dem der Minerva geweihten Athen ent-
wickelten ſich zuerſt die bildenden Kuͤnſte , und hatten
unter den Beſchaͤftigungen der Menſchen einen ho-
hen Rang . — Daͤdalus , der aus dem koͤniglichen
Geſchlecht der Erechthiden ſtammte , gab , nach
der Dichtung , den Bildſaͤulen , die er verfertigte ,
Leben und Bewegung .
Er war es , der zuerſt die dicht aneinander
geſchloßnen Fuͤße , ſo wie man ſie noch an den
aͤgyptiſchen Bildſaͤulen ſieht , voneinander trennte ,
die dicht anliegenden Aerme vom Rumpfe loͤßte ,
und ſeinen Bildſaͤulen eine fortſchreitende Stel-
lung gab . — Was Wunder , daß dieſer ganz
neue Anblick jeden in Erſtaunen ſetzte , und die
Sage veranlaßte , daß die Bildſaͤulen des Daͤda-
lus ſich bewegten .
In dieſem erſten Schritt des Daͤdalus in der
Kunſt , lag etwas Hohes und Goͤttliches , das die
Verehrung und Bewundrung der Nachwelt auf
ſich zog , und den Nahmen des Kuͤnſtlers unſterb-
lich machte , der dennoch ſeinen Ruhm durch eine
grauſame und ſchwarze That befleckte .
Unter ſeiner Anfuͤhrung bildete ſich ein Juͤng-
ling , Nahmens Talus , ein Sohn der Schweſter
des Daͤdalus . — Als dieſer einſt mit dem Kinn-
backen einer Schlange ein Stuͤck Holz voneinan-
derſchnitt , kam er auf den Gedanken , die Schaͤrfe
der Zaͤhne im Eiſen nachzuahmen , und ſo erfand
er die Saͤge , eines der nuͤtzlichſten Werkzeuge ,
deſſen die Menſchen ſich bedienen . Auch die Er-
findung der Toͤpferſcheibe war das Werk des
Talus .
Daͤdalus , uͤber die Fortſchritte ſeines Lehr-
lings eiferſuͤchtig , warf einen toͤdtlichen Haß auf
ihn . — Der grauſamſte Kuͤnſtlerneid war ſchon
mit der erſten Entſtehung der Kunſt verwebt . —
Daͤdalus fuͤhrte den Juͤngling auf eine ſteile An-
hoͤhe , wovon er , ehe jener es ſich verſahe , ihn
hinunterſtuͤrzte , und ſo den Talus durch ſeinen
Fall fuͤr die Erfindungen buͤßen ließ , womit er ſei-
nen Meiſter uͤberfliegen wollte .
Als die grauſame That des Daͤdalus kund
wurde , ward er zum Tode verdammt , und mußte
aus Athen entfliehen , worauf er erſt eine Zeitlang
fluͤchtig umher irrte , bis er in Kreta bei dem Koͤ-
nige Minos , dem er das Labyrinth erbaute , eine
Zuflucht fand .
Als Minos aber nachher den Daͤdalus mit
ſeinem Sohn Ikarus in dem von dem Kuͤnſtler
ſelbſt erbauten Labyrinthe gefangen hielt ; ſo
ſtrebte die eingehemmte Kunſt , ſelbſt das Unmoͤg-
liche zu verſuchen , und weil nur ein Ausgang nach
oben war , mit angeſetzten kuͤnſtlichen Fluͤ-
geln ſich in die Luͤfte emporzuheben . Daͤdalus
ſuchte mit klebenden Wachs die Fugen der Fluͤgel
zu verbinden , und legte ſie ſich und ſeinem Sohn
an , den er vorher ſich uͤben ließ , allmaͤlig ſich
emporzuſchwingen .
Als ſie nun die Reiſe durch die Luft antraten ,
warnte Daͤdalus ſeinen Sohn , ja nicht zu hoch
im Fluge ſich zu erheben ! — Dieſer aber vergaß
der Warnung , — da ſchmolzen ihm die Fluͤgel im
Sonnenſtrahl , und er fand in dem Meere ſeinen
Tod , das man nach ſeinen Nahmen das Ikari-
ſche nannte . — Daͤdalus , der den Talus ſtuͤrzte ,
ſah nun zu ſeiner Qual den Fall ſeines eignen
Sohnes , den er nicht retten konnte .
Er ſelber ließ ſich in Sicilien nieder , wo
Kokalus ihn gaſtfreundlich aufnahm , und ihn
vor der Verfolgung des Minos ſchuͤtzte , dem er
bei einem Beſuch ſogar das Leben raubte , und
auf die Weiſe den Daͤdalus ſicher ſtellte , welcher
zur Dankbarkeit verſchiedne große Werke in dem
Gebiete des Kokalus unternahm ; Kanaͤle und
Teiche grub ; ein Schloß auf einem Felſen erbaute ;
den Gipfel des Berges Eryx ebnete ; und zuletzt
eine goldne Kuh , von ihm ſelbſt verfertigt , der
Eryciniſchen Venus weihte .
Geraume Zeit nachher fand man noch Spu-
ren von ſeinen Werken ; — ſein Nahme ward
zum Sprichwort , worunter man alles ſinnreich
Erfundne und Kuͤnſtliche mit einemmal begriff . —
Auf einer antiken Gemme , deren Umriß auf
der hier beigefuͤgten Kupfertafel ſich befindet , iſt
Daͤdalus dargeſtellt , wie er ſitzend und ſinnend
an dem vor ihm ſtehenden kuͤnſtlichen Fluͤgel
noch mit bildender Hand arbeitet . — Auf eben
dieſer Tafel befindet ſich auch , nach einem antiken
geſchnittnen Steine , eine Abbildung des Theſeus ,
der einen großen Stein aufhebt , worunter Schuh
und Schwerdt ſeines Vaters verborgen lagen .
Theſeus .
Aegeus , ein Sohn des Athenienſiſchen Koͤ-
nigs Pandion , welchem er in der Regierung folgte ,
that , weil er ohne Kinder blieb , eine Reiſe nach
Delphi , um das Orakel des Apollo um Rath zu
fragen . Die Pythia befahl ihm , er ſolle , bis
nach ſeiner Zuruͤckkunft in Athen , alles Umgangs
mit Weibern ſich enthalten ; und gerade dieß Ver-
bot bewirkte , daß er zum Gegentheil ſich verlei-
ten ließ .
Er kehrte auf ſeinem Ruͤckwege in Troͤzene ,
beim Pittheus , einem Sohn des Pelops ein ,
und vermaͤhlte ſich heimlich mit deſſen Tochter
Aethra . — Als Aegeus von Troͤzene abreiſte ,
verbarg er unter einem großen Steine ſein
Schwerdt und ſeine Schuhe , und befahl der
Aethra , wenn ſie einen Sohn gebaͤhren ſollte ,
denſelben nicht eher zu ihm nach Athen zu ſchicken ,
als bis er ſtark genug waͤre , den Stein hinweg-
zuwaͤlzen , worunter ſeines Vaters Schwerdt und
Schuhe verborgen lagen .
Aethra gebahr den Theſeus , der unter des
weiſen Pittheus Aufſicht vom Chonidas erzogen
ward ; die Athenienſer verehrten in der Folge , ſo oft
ſie das Feſt des Theſeus feierten , auch das Andenken
von dieſem Chonidas dem Erzieher des Helden .
Als Theſeus erwachſen war , fuͤhrte ihn ſeine
Mutter zu dem Steine , woran ſeine Staͤrke ſich
pruͤfen ſollte , und welchen er aufhob und darunter
das Schwerdt und die Schuh ſeines Vaters fand ,
ſo wie die obige Abbildung ihn darſtellt . — Das
Steinaufheben iſt bedeutend in den Dichtungen
von der Heldenzeit , und wird beſtaͤndig als ein
Merkmahl von der Staͤrke angefuͤhrt , wodurch
das damalige Geſchlecht der Menſchen ſich von den
folgenden ſchwaͤchern Erzeugungen unterſchied .
Als Theſeus nun ſeine Reiſe nach Athen an-
trat , ſo waͤhlte er , durch das Beiſpiel des Her-
kules angefeuert , den gefaͤhrlichſten Weg zu Lan-
de , wo er mit Raͤubern kaͤmpfen mußte , die die
Straßen unſicher machten , und auf eine grauſame
Weiſe die Fremden behandelten , die ſie in ihre
Gewalt bekamen .
Ob nun Theſeus gleich den Herkules ſich zum
Muſter nahm , ſo unterſcheidet er ſich dennoch
durch eine gewiſſe Feinheit der Zuͤge in ſeinem We-
ſen , von jenem rohen Thebaniſchen Helden , der
als ein koloſſaliſches Sinnbild von Koͤrperkraft
und unuͤberwindlicher Staͤrke , uͤberall in den
Dichtungen auftritt , und in dem Ausdruck dieſer
Kraft auch durch die bildende Kunſt ſich darſtellt ,
welche dem Theſeus einen ſchlankern Wuchs und
feinere Zuͤge giebt .
Als Theſeus , mit ſeines Vaters Schwerdt
bewafnet , von Troͤzen auf den Iſthmus zuwan-
dernd , durch die Laͤnder von Epidaurus kam ,
ſtieß er zuerſt auf den wegen ſeiner Grauſamkeit
beruͤchtigten Periphetes , der bei ſelner ſeiner Rieſen-
ſtaͤrke bloß mit einer Keule bewafnet , den Reiſen-
den furchtbar war ; als er es wagte , den Theſeus
anzugreifen , ſchlug dieſer ihn zu Boden und toͤd-
tete ihn , und trug nachher beſtaͤndig , zum An-
denken ſeines erſten Sieges , die Keule des Peri-
phetes .
Da er nun auf dem Iſthmus von Korinth
anlangte , mußte er mit einem noch grauſamern
Moͤrder , dem Sinnis kaͤmpfen , den man den
Fichtenbeuger nannte , weil er die Fremden zwi-
ſchen zwei zur Erde gebeugten und ſchnell wieder
in die Hoͤhe fahrenden Fichten feſtgebunden , zu
ſeiner Luſt zu zerreißen pflegte . Als Theſeus ihn
uͤberwunden hatte , ließ er mit der von dem Moͤr-
der ſelbſt erfundnen Todesart , ihn fuͤr ſeine Grau-
ſamkeit und ſeinen Frevel buͤßen .
Auch befreite Theſeus die Laͤnder , durch wel-
che er reiſte , von Ungeheuern , und toͤdtete unter
andern die Krommyoniſche Sau , welche dem
ganzen Lande furchtbar , uͤberall Schaden ſtiftete
und die Aecker verwuͤſtete . — Als er hierauf an
T
die Graͤnzen von Megara kam , uͤberwand er
den Skiron , und ſtuͤrzte ihn von demſelbigen
ſteilen Fels ins Meer , von welchem dieſer Tyrann
die Reiſenden , die vorbeikamen , hinunter zu ſtuͤr-
zen pflegte .
In Eleuſis mußte Theſeus mit dem Kerkyon
kaͤmpfen , den er uͤberwand und toͤdtete ; und als
er nicht weit davon in Hermione anlangte , be-
ſiegte er den Damaſtes , den man wegen der
beſondern Art von Grauſamkeit , womit er die
Fremden mißhandelte , den Ausdehner oder
Prokruſtes nannte .
Dieſer Prokruſtes hatte nehmlich zwei eiſerne
Betten von verſchiedner Laͤnge , worinn er die
Fremden legte . Die kurzen Perſonen legte er in
das lange , und dehnte ihre Koͤrper mit Gewalt
bis zu der Laͤnge des Bettes aus ; die langen Per-
ſonen legte er in das kurze , und was uͤber die Laͤnge
des Bettes reichte , hieb er von ihren Fuͤßen ab .
Es ſcheint , als wolle dieſe Dichtung die Ver-
letzung des Gaſtrechtes in ihrem haſſenswuͤrdigſten
Lichte darſtellen ; denn man kann ſich nichts Grau-
ſamers denken , als daß ſelbſt die Lagerſtaͤtte , die
den muͤden Wandrer erquicken ſollte , von dem Ty-
rannen zur Folterbank gemacht wurde .
Die Heiligkeit des Gaſtrechts war es , unter
deſſen Schutz die Menſchen zuerſt einander ſich mit-
theilen , und wechſelſeitig ſich bilden konnten . Die
Stoͤrer dieſes heiligen Gaſtrechts zu vertilgen , iſt
das Werk der Helden , welche Wohlthaͤter der
Menſchen ſind , wie Theſeus war , der den Pro-
kruſtes erſt die von ihm ſelbſt erfundne Marter
dulden ließ , und dann von dieſem Ungeheuer die
Erde befreite .
Als Theſeus nun in Athen anlangte , erkannte
ihn Aegeus an dem Schwerdt und Schuhen fuͤr
ſeinen Sohn , woruͤber die Soͤhne des Pallas
eines Bruders des Aegeus , die ſchon mit der
Hoffnung dem kinderloſen Aegeus in der Regie-
rung zu folgen ſich geſchmeichelt hatten , einen Auf-
ruhr erregten , den aber Theſeus in ſeiner Entſte-
hung daͤmpfte .
Nun war es gerade das dritte Jahr , in wel-
chem die Athenienſer dem Minos , wegen der Er-
mordung ſeines Sohns Androgeus , den traurigen
Tribut bezahlen mußten , der darin beſtand , ſie-
ben der ſchoͤnſten Juͤnglinge oder Knaben , und
ſieben der ſchoͤnſten Maͤdchen , aus edlem Blut
entſproſſen , nach Kreta uͤberzuſchiffen , wo ſie im
Labyrinth dem Minotaurus zur Beute wurden .
So lange dieß Ungeheuer nicht erlegt war , hatten
die Athenienſer keine Befreiung von dem traurigen
Tribut zu hoffen .
Als nun die Juͤnglinge und Maͤdchen ſchon
das Todes-Looß gezogen hatten , und zu Schlacht-
opfern fuͤr dieß Jahr beſtimmt , eingeſchifft wer-
T 2
den ſollten , bot ſich Theſeus freiwillig zum Opfer
fuͤr ſein Vaterland in die Zahl der uͤbrigen Juͤng-
ilnge Juͤng-
linge dar , weil er , in Ahndung ſeiner Helden-
kraft , den Minotaurus zu erlegen hoffte .
Vor der Abreiſe that Theſeus dem Apollo ein
Geluͤbde , jaͤhrlich zu ſeinem Tempel ein Schiff mit
Opfern und Geſchenken nach der Inſel Delos zu
ſchicken , wenn ihm ſein Unternehmen gluͤckte .
Als er nun auch noch das Orakel befragte , gab
dieſes ihm zur Antwort , er werde dann gluͤcklich
ſeyn , wenn er die Liebe zur Fuͤhrerin waͤhlte . —
Mit ſeinem Vater traf Theſeus noch vorher
die Abrede , daß , bei der Ruͤckkehr des Schiffes ,
ſtatt des ſchwarzen ein weißes Seegel den gluͤckli-
chen Ausgang des Unternehmens ihm verkuͤndigen
ſollte .
Bald langte nun das Schiff mit guͤnſtigem
Winde in Kreta an , und kaum waren die uͤber-
ſandten Opfer dem Minos vorgeſtellt , als Ariad-
ne , des Minos Tochter , ihre Blicke auf den
Theſeus warf , deſſen Heldenwuchs und Schoͤn-
heit auf die Koͤnigstochter einen unausloͤſchlichen
Eindruck machte .
Nun waͤhlte auch Theſeus , nach dem Aus-
ſpruch des Orakels , die Liebe zur Fuͤhrerin , in-
dem er aus den Haͤnden der Ariadne den Knaͤul
empfing , der ihm einen ſichern Ausgang aus dem
Labyrinth verſchafte . Mit dem Faden der Ariadne
in der Hand , ſtieg er nun muthig mit ſeinen Ge-
faͤhrten in die unterirrdiſche Woͤlbung nieder , bis
er ſelbſt an den Aufenthalt des Minotaurus kam ,
mit dem er ſich in Kampf einließ , und ihn mit
Huͤlfe der Rathſchlaͤge Ariadnens uͤberwand .
Da nun dieß Ungeheuer erlegt war , ſo wa-
ren die Athenienſer auch von dem Tribut befreit ,
und ihre zum Tode beſtimmten Soͤhne und Toͤch-
ter dankten dem Theſeus nun ihr Leben . So
ſtellt ein Gemaͤhlde im Herkulanum den Helden
dar , wie zarte Knaben , die dem Tode geweiht
waren , die Haͤnd ’ ihm kuͤſſen , und zaͤrtlich ſeine
Knie umſchlingen .
Ariadne entfloh mit ihrem geliebten The-
ſeus ; — ſie landeten auf Naxos , wo Theſeus
auf den Befehl der Goͤtter ſie verließ , weil Ariad-
nens Reitze den Bachus ſelber gefeſſelt hatten , der
hier die einſame verlaßne Schoͤne unter naͤchtli-
chem Himmel ſchlummernd fand , und da ſie er-
wachte , zum Zeichen ſeiner Gottheit die Krone
von ihrem Haupte gen Himmel warf , wo ſie als
ein leuchtendes Sternbild glaͤnzte , und Zeuge der
Vermaͤhlung der Ariadne und des Bachus war .
Ehe nun Theſeus nach Athen zuruͤckkehrte ,
ſeegelte er , um dem Apollo ſein Geluͤbde zu bezah-
len , naͤch der Inſel Delos , wo er zugleich der
Venus , wegen des Beiſtandes , den ſie ihm ge-
leiſtet , eine vom Daͤdalus verfertigte Bildſaͤule
weihte . Und um das Andenken ſeines Sieges
uͤber den Minotaurus zu erhalten , ſtiftete Theſeus
auf dieſer Inſel einen Tanz , worinn man die
Kruͤmmungen des Labyrinths nachahmte .
Mit der groͤßten Sorgfalt beobachteten die
Athenienſer ſtets nachher dieß heilige Geluͤbde .
Mit demſelbigen Schiffe , auf welchem Theſeus
aus Kreta wiederkehrte , ſchickten ſie jaͤhrlich
Abgeordnete , mit Oehlzweigen bekraͤnzt , nach
der Inſel Delos . Auch ſuchten ſie das hei-
lige Schiff gleichſam unvergaͤnglich zu erhalten ,
indem ſie es nie mit einem neuen vertauſchten ,
ſondern durch immer neuen Zuſatz , was die Zeit
davon zerſtoͤrte , zu ergaͤnzen ſuchten , um ſich die
Vorſtellung zu erhalten , daß dieſes daſſelbe
Schiff ſey , welches den Theſeus trug .
Auch war es nicht erlaubt , ſo lange dieß
Schiff auf ſeiner Fahrt nach der Inſel Delos un-
terwegens blieb , in Athen die Verurtheilten hin-
zurichten . Denn da durch dieß Geluͤbde die Ret-
tung der Athenienſiſchen Jugend gefeiert wurde ,
ſo durfte man waͤhrend der Zeit dem Tode kein
Opfer bringen .
Von Delos ſegelte Theſeus nun gerade auf
Athen , die Bothſchaft der frohen Begebenheit zu
bringen , welche dennoch nicht ohne einen tragi-
ſchen Ausgang blieb . Da nehmlich Aegeus
von einem Felſen mit aͤngſtlicher Beſorgniß dem
kommenden Schiffe entgegen ſahe , und das
ſchwarze Segel erblickte , welches der Steuer-
mann mit dem weißen zu vertauſchen aus der Acht
gelaſſen , ſtuͤrzte er ſich voll Verzweiflung , weil er
nun alles fuͤr verlohren hielt , vom Felſen in das
Meer herab , welches nachher nach ſeinem Nah-
men das Aegeiſche hieß .
Den Theſeus empfingen die Athenienſer mit
lautem Jubel , als ihren Schutzgott , dem ſie
allein ihre Rettung dankten . — Als Theſeus
nun in der Regierung dem Aegeus folgte , nutzte
er die Liebe des Volks dazu , um einer weiſen Ge-
ſetzgebung Eingang zu verſchaffen .
Er ſchuf zuerſt den Staat , indem er das zer-
ſtreute Volk , ſo viel wie moͤglich , in eine einzige
Stadt zu verſammlen ſuchte , und es in Klaſſen
theilte . Auch ſetzte er , im Einverſtaͤndniß mit
den benachbarten Voͤlkern , dem Attiſchen Gebiete
ſeine feſten Grenzen . — Und weil es ihm gelungen
war , nach ſeiner Einſicht das Volk zu lenken , ſo
fuͤhrte er zuerſt den Dienſt der Pitho , der Goͤt-
tin der Ueberredung , ein .
Großmuͤthig begab er darauf ſich ſelbſt des
groͤßten Theils ſeiner Gewalt , weil er ſchon da-
mals , nach einem Orakelſpruch , Athen zu einem
Freiſtaat zu bilden ſuchte . — Zu Ehren des
Neptun , den das Geruͤcht fuͤr ſeinen Vater aus-
gab , erneuerte er auch die Iſthmiſchen Spiele ,
zu welchen man aus ganz Griechenland ſich ver-
ſammlete , und wodurch die Mittheilung und
wechſelſeitige Bildung der Voͤlker vorzuͤglich mit
befoͤrdert ward .
Demohngeachtet ruhte Theſeus auch von den
kriegriſchen Geſchaͤften nicht . Als er den Herkules
begleitete , und ihm beim Fluſſe Thermodon die
Amazonen beſiegen half , vermaͤhlte dieſer ihm zur
Dankbarkeit die gefangne Koͤnigin Antiope , mit
welcher Theſeus den Hippolyt erzeugte . — Die
Amazonen fielen hierauf ins Attiſche Gebiet , wo
Theſeus ſie zum zweitenmal beſiegte .
Einen liebenswuͤrdigen Zug in der Geſchichte
des Theſeus , macht noch die unzertrennliche
Freundſchaft aus , die zwiſchen ihm , und dem
Pirithous herrſchte . Dieſer Pirithous war ein
Theſſaliſcher Fuͤrſt , und herrſchte uͤber die Lapi-
then . Seine Freundſchaft mit dem Theſeus war
entſtanden , da ſie einſtmals , ein jeder eiferſuͤchtig
auf des andern Ruhm , im Zweikampf ihre Staͤrke
und Tapferkeit verſuchten , und auf einmal von
wechſelſeitiger Achtung und Zuneigung angezogen ,
dem Streit ein Ende machten , und Hand in Hand
ein unzertrennliches Buͤndniß knuͤpften .
Keine Gefahr war nun ſo groß , worin die
Helden ſich nicht einander zur Seite ſtanden . —
Pirithous war in einen Krieg mit den Centau-
ren , einem Theſſaliſchen Volke , verwickelt , welche
die Dichtung , weil ſie zuerſt beſtaͤndig zu Pferde
ſtritten , gleichſam wie an das Roß gewachſen , halb
als Menſchen , halb als Pferde , darſtellt .
Als Pirithous nun mit der Hippodamia ſich
vermaͤhlte , lud er außer dem Herkules , Theſeus ,
und mehrern beruͤhmten Helden , bei einem Waf-
fenſtillſtande , auch die Centauren zu ſeinem Hoch-
zeitmahle , welche zuletzt vom Wein erhitzt , noch
waͤhrend dem Gaſtmahl einen Streit anhuben ,
und die Hippodamia ſelber zu entfuͤhren drohten ,
wenn Herkules und Theſeus nicht dem Pirithous
tapfer beigeſtanden , und der Centauren Ueber-
muth beſtraft haͤtten , die von dieſer Zeit an in
jedem Treffen die Flucht ergriffen , bis ſie zuletzt
vom Herkules , Pirithous und Theſeus gaͤnzlich
beſiegt und geſchlagen wurden . — Dieß iſt der
beruͤhmte Streit der Centauren und Lapithen ,
worauf die Dichtkunſt und die bildende Kunſt der
Alten oft verweilt .
Auch die Gegenſtaͤnde ihrer zaͤrtlichen Wuͤnſche ,
halfen ſie ſich einer fuͤr den andern mit erſtreiten .
Pirithous half dem Theſeus die Helena entfuͤhren ,
welche dieſer ſeiner Mutter Aethra in Aphidnaͤ
zur Aufſicht uͤbergab , um wieder dem Pirithous
beizuſtehen , der nach dem Tode der Hippodamia ,
um gleichſam an dem Pluto ſich zu raͤchen , ent-
ſchloſſen war , die Proſerpina ſelber aus der Un-
terwelt zu entfuͤhren . — Eine Dichtung , die ſehr
bedeutend ein Unternehmen bezeichnet , mit welchem
unvermeidliche Todesgefahr verknuͤpft iſt . —
Theſeus , ſeinem Freunde bis in den Tod ge-
treu , ſtieg mit ihm in das Reich der Schatten ;
wo Pluto , als die vermeßne That mißlang , die
beiden an Ketten gefangen hielt ; bis Herkules in
der Folge den Cerberus baͤndigte , und zugleich die
Bande des Theſeus loͤßte ; den Pirithous aber zu
befreien , vergebens ſeine Macht anwandte , ſo
daß nun doch der Tod das treuſte Freundſchafts-
buͤndniß trennte .
Von nun an huben auch die Ungluͤcksfaͤlle des
Theſeus an , die den Reſt ſeiner Tage ihm verbit-
terten . Ihn traf das Schickſal der groͤßten Hel-
den , deren ruhmvolles Leben ein tragiſcher Aus-
gang ſchloß . Als er nach Athen zuruͤckkam , fand
er das undankbare und unbeſtaͤndige Volk durch
ſeine Feinde gegen ſich aufgewiegelt .
Hierzu kam noch haͤusliches Ungluͤck . — Nach
dem Tode der Antiope hatte Theſeus mit der
Phaͤdra , einer Tochter des Minos , und Schwe-
ſter der Ariadne ſich vermaͤhlt . — Der Haß der
Venus gegen die Paſiphae verfolgte auch ihre Toch-
ter , der ſie eine ſtrafbare Liebe zum Hippolytus ,
dem mit der Antiope erzeugten Sohn des Theſeus
einfloͤßte .
Als aber der Juͤngling ihrem Antrage kein
Gehoͤr gab , verwandelte ſich ihre verſchmaͤhte Liebe
in Haß ; und ſie verlaͤumdete den Hippolyt beim
Theſeus , als habe er ſelber ſie zur Untreue ver-
leiten wollen .
Theſeus , von ſchnellem Zorn entbrannt , er-
innerte ſich , daß ihm Neptun verheißen , den
naͤchſten Wunſch , den er thun wuͤrde , zu gewaͤh-
ren ; und nun verwuͤnſchte Theſeus ſeinen Sohn ,
der grade um dieſe Zeit am Ufer des Meers mit
ſeinen Roſſen den Wagen lenkte .
Kaum war der Fluch uͤber Theſeus Lippen ge-
kommen , ſo ſtieg ein Meerungeheuer aus der Tiefe
empor , vor deſſen Anblick des Hippolytus Pferde
ſcheuten , und den Ungluͤcklichen ſchleiften und zerriſ-
ſen . Als Phaͤdra dieß vernahm , gab ſie ſich ſelbſt
den Tod , und Theſeus , der zu ſpaͤt die Unſchuld
ſeines Sohns erfuhr , war der Verzweiflung nahe .
Die Unzufriedenheit des Volks war waͤhrend
der Zeit noch hoͤher geſtiegen , und Theſeus end-
lich des Undanks muͤde , verbannte ſich ſelber aus
Athen , und ſprach , ehe er ſich zur Abreiſe ein-
ſchifte , an einem Orte , der nachher der Ort der
Verwuͤnſchungen hieß , gegen die Athenienſer die
bitterſten Fluͤche aus .
Er glaubte nun auf der Inſel Scyrus ſeine
uͤbrigen Tage in Ruhe zu verleben ; allein der
verraͤthriſche Lykomedes , welcher in Scyrus
herrſchte , verletzte aus Furcht vor des Theſeus
Feinden , das heilige Gaſtrecht . — Unter dem
falſchen Vorwande , ihm die Inſel zu zeigen ,
fuͤhrte Lykomedes den Theſeus auf eine ſteile An-
hoͤhe , und ſtuͤrzte , ehe dieſer es ſich verſahe , ihn
von dem ſteilen Felſen herab . — So fiel der Held ,
dem Griechenland Ruhe und Sicherheit , ſein Va-
terland ſeine Rettung dankte .
Nach ſeinem Tode bauten die Athenienſer dem
Theſeus Tempel und Altaͤre , verehrten ihn wie
einen Halbgott , brachten ihm Opfer dar , und
ſtifteten Feſte ihm zu Ehren . — Man fand in
der Folge in Scyrus des Theſeus Sarg , der durch
ſeine Groͤße die damals Lebenden in Erſtaunen
ſetzte . — Ein Tempel des vergoͤtterten Theſeus
in Athen , hieß das Theſeum , worin die Thaten
des Helden geſchildert waren . — So ehrte die
ſpaͤtere Nachwelt das Andenken jenes goͤtteraͤhnli-
chen Geſchlechts der Menſchen , bei denen der
Prometheiſche Funken , der in ihrem Buſen gluͤhte ,
zur hellen Flamme emporſchlug .
Die Weſen , welche das Band
zwiſchen Goͤttern und Men-
ſchen knuͤpfen .
S o wie die Dichtung vom Himmel zur Erde nieder
ſteigt , vervielfaͤltigen ſich die Goͤttergeſtalten . —
Die Einbildungskraft belebt die Quellen , Haine ,
und Berge . — Unter dem Bilde der Gottheit
wird zuletzt die ganze lebloſe Natur geweiht , in
welche der Menſch ſo innig ſich verwebt fuͤhlt , und
ſich ſo nahe an ſie ſchließt , daß durch dieß Band
die Goͤtter- und Menſchenwelt , ein ſchoͤnes Ganze
wird .
Genien .
Die Genien , oder Schutzgoͤtter der Menſchen
waren es vorzuͤglich , wodurch , in der Vorſtellung
der Alten , die Menſchheit ſich am naͤchſten an die
Gottheit anſchloß . Die hoͤchſte Gottheit ſelber
vervielfaͤltigte ſich gleichſam durch dieſe Weſen , in
ſo fern ſie uͤber jeden einzelnen Sterblichen wach-
te , und ihn , von ſeiner Geburt an bis zum Tode ,
an ihrer Hand durchs Leben fuͤhrte . — In dieſem
ſchoͤnen Sinne war es , daß die Maͤnner bei ihrem
Jupiter , und die Frauen bei ihrer Juno ſchwu-
ren , indem ſie unter dieſer Benennung ſich ihren
eigenen Genius , oder ihre beſondre ſchuͤtzende
Gottheit dachten .
An ihren Geburtstagen brachten die Alten ih-
rem Genius Opfer , der unter der Geſtalt eines
ſchoͤnen Juͤnglings abgebildet war , deſſen Haupt
ſie mit Blumen umkraͤnzten . —
Ein jeder verehrte auf die Weiſe , durch ein
zartes Gefuͤhl gedrungen , in ſich etwas Goͤttli-
ches und Hoͤheres , als er , in ſeiner Beſchraͤnkt-
heit und Einzelnheit , ſelber war ; und dem er
nun , wie einer Gottheit , Opfer brachte , und
gleichſam durch Verehrung das zu erſetzen ſuchte ,
was ihm an deutlicher Erkenntniß ſeines eigenen
Weſens und ſeines goͤttlichen Urſprungs abging .
Nach einer andern Dichtung , ſind die See-
len der Verſtorbnen , aus dem goldnen Zeitalter
der Menſchen , als untadliche in die Gottheit uͤber-
gegangne Weſen , die Schutzgoͤtter der Lebenden .
Muſen .
Die Dichtung laͤßt dieſe himmliſchen Weſen
vom Jupiter und der Mnemoſyne abſtammen . —
Mnemoſyne , deren in der Reihe der alten Gott-
heiten ſchon gedacht iſt , war eine Tochter des
Himmels und der Erde , und eine Schweſter
des Saturnus . — Durch die himmliſchen Ein-
fluͤſſe , welche bei ihrer Bildung mit den irdiſchen
ſich vermaͤhlten , ward zuerſt die Erinnrungs-
kraft , die Mutter alles Wiſſens und Denkens ,
in ihr gebohren . — Neun Naͤchte lang umarmte
Jupiter die Mnemoſyne , als er die Muſen mit
ihr erzeugte .
Einer der aͤlteſten Dichter ſingt das Lob der
Muſen : ſie gießen auf die Lippen des Menſchen ,
welchem ſie guͤnſtig ſind , den Thau der ſanften
Ueberredung aus ; ſie geben ihm Weisheit , Recht
zu ſprechen , Zwiſte zu ſchlichten , und machen ihn
unter ſeinem Volke beruͤhmt . — Den Dichter
aber lehren ſie ſelbſt auf Bergeshoͤhen , und im
einſamen Thale , die goͤttlichen Geſaͤnge , welche
jedem , der ſie vernimmt , die Sorgen und den
Kummer aus der Bruſt verſcheuchen .
Die Nahmen der neun Schweſtern bezeichnen
Tonkunſt , Freude , Tanz , Geſang , und Liebe ;
ſie heißen :
Klio ;
Melpomene ;
Thalia ;
Kalliope ;
Terpſichore ;
Euterpe ;
Erato ;
Urania ;
Polyhymnia .
Muſik , Geſang und Tanz ſind eigentlich das
Geſchaͤft der Muſen ; in der Folge hat die ſpie-
lende Dichtung einer jeden irgend eine beſondre
Beſchaͤftigung zugetheilt : ſo iſt nun Klio die
Muſe der Geſchichte ; Kalliope des Heldenge-
dichts ; Melpomene die tragiſche , Thalia die
komiſche Muſe ; auf Polyhymniens Lippen
wohnt die Beredtſamkeit ; Uraniens Blick gen
Himmel mißt und umfaßt den Lauf der Sterne .
Die uͤbrigen drei , Euterpe , Terpſichore und
Erato , theilen ſich in Muſik , Geſang und
Tanz . — Euterpe ſpielt die Floͤte ; Terp-
ſichore tanzt ; Erato ſingt der Liebe ſuͤße Lie-
der . — Doch werden die beſondern Beſchaͤftigun-
gen der Muſen in den Dichtungen oft verwechſelt .
So wie die Alten uͤberhaupt die Goͤtter des
Himmels gern nach ihren Wohnplaͤtzen unter den
Menſchen zu benennen pflegten , ſo erhielten auch
die Muſen von den Bergen , die ſie bewohnten ,
und von den Quellen , die dieſen Bergen entſtroͤm-
ten , wohltoͤnende Nahmen , womit die Dichter
ihren Beiſtand ſich erflehten .
Der vorzuͤglichſte Aufenthalt der Muſen wa-
ren die beruͤhmten Berge : Parnaſſus , Pindus ,
Helikon . Auf dem Gipfel des Helikon entſprang
vom Fußtritt des Pegaſus die begeiſternde Hip-
pokrene und Aganippe . — Am Fuße des Par-
naſſus ſtroͤmte der Kaſtaliſche Quell ; auch die mit
immerwaͤhrender Fuͤlle ſich ergießende Pimplea ,
auf einem Berge , gleiches Nahmens , war den
Muſen heilig , auf deren Lippen nie der Strom des
ruͤhmenden Geſanges und der ſuͤßen Rede verſiegte .
Pierinnen hießen die Muſen von Pierien ,
wo die Dichtung ihren Geburtsort hin verſetzte . —
Apollo ſchließt ſich unter den himmliſchen Goͤttern
dem Chor der Muſen am naͤchſten an . — Unter
ſeinem Vorſitz auf dem Gipfel des Parnaß ertoͤnt
ihr Saitenſpiel . — Die bildende Kunſt der Alten
ſtellt ſogar zuweilen den Apollo unter den Muſen
in reitzender Schoͤnheit weiblich gekleidet dar . —
Apollo , der unter dem Nahmen Muſagetes ,
den Chor der Muſen anfuͤhrt , iſt eine der ſchoͤn-
ſten Dichtungen des Alterthums , woran auch die
bildende Kunſt der neuern ſich verſucht hat . —
Merkwuͤrdig iſt es , daß auch Herkules un-
ter dem Nahmen Muſagetes , als der Anfuͤhrer
der Muſen , bei den Alten verehrt wurde , und man
auf die Weiſe der Koͤrperkraft , und den Leibesuͤbun-
gen die geiſtigen Vorzuͤge zugeſellte , und beide ſich
unter einem Sinnbilde dachte .
U
Einſt wurden die Muſen von den Sirenen
zum Wettſtreit im Singen aufgefordert , und als
ſie jene mit leichter Muͤhe beſiegten , ſo war die
Strafe der Vermeßnen , daß die Muſen ihnen die
Federn aus den Fluͤgeln rupften , und ſolche nach-
her zum Zeichen ihres Sieges auf den Koͤpfen tru-
gen . Man findet daher die Muſen zum oͤftern
mit dieſem Hauptſchmuck gebildet .
Auf einem alten Denkmale iſt eine Sirene
dargeſtellt , bis auf die Mitte des Leibes wie eine
Jungfrau , nach unten zu wie ein Vogel geſtaltet ,
mit großen Fluͤgeln auf dem Ruͤcken , zwei Floͤten
in den Haͤnden , und ſich betruͤbt nach der Muſe
umſehend , welche ſtolz auf ihren Sieg , mit der
einen Hand den Fluͤgel der Sirene haͤlt , indeß ſie
mit der andern ihr die Federn ausrupft .
Der Geſang der Muſen war treu und wahr ;
falſch und verfuͤhreriſch aber die ſchmeichelnden Lie-
der der Sirenen , womit ſie die Vorbeiſchiffenden
an ihr Ufer in Tod und Verderben lockten ; — ſo
wie auch ihre jungfraͤuliche Geſtalt in das Unge-
heure ſich verlohr . — Die Dichtung von dem
Siege der Muſen uͤber die Sirenen iſt daher ſchoͤn
und bedeutend !
Ueberhaupt laſſen die alten Dichtungen gegen
angemaßte Kunſttalente immer ein ſehr ſtrenges
Urtheil ergehen . Der Satyr Marſyas wurde
vom Apollo geſchunden , weil er auf ein zu hohes
Kunſttalent Anſpruch machte , und es wagte , mit
dem Gott der Tonkunſt ſelber in einem Wettſtreit
auf der Floͤte es aufzunehmen . — Dieſe Dichtun-
gen ſelber ſcheinen bei den Alten eine Art von Er-
bitterung gegen alles Mittelmaͤßige und Schlechte
in der Kunſt vorauszuſetzen . — Auch Thamyris ,
ein Koͤnig in Thracien mußte fuͤr ſeine Eitelkeit
buͤßen , da er ſich ruͤhmend und ſeiner Talente in
der Muſik und Dichtkunſt ſich uͤberhebend , die Mu-
ſen ſelber zum Wettſtreit aufzufordern wagte , die
ihn mit Blindheit ſtraften , und der Gabe zu dich-
ten ihn ganz beraubten .
Was nun die Abbildungen der Muſen anbe-
trift , ſo findet man ſie am oͤfterſten dargeſtellt mit
einem Volumen , mit zwei Floͤten , oder mit
einer Leyer in der Hand . — Das Volumen oder
die Pergamentrolle bezeichnet entweder die Klio
als die Muſe der Geſchichte , oder die Polyhymnia
als die Muſe der Beredtſamkeit . — Bei den Floͤ-
ten denkt man ſich die Euterpe als die Muſe der
Tonkunſt ; und bei der Leyer die Erato , als die
Muſe der Liebe einfloͤßenden Geſaͤnge . — Melpo-
mene , die tragiſche Muſe , wird an der tragiſchen ,
Thalia die komiſche Muſe , an der komiſchen Larve
erkannt . — Kalliope , als die Muſe des Helden-
gedichts , ſoll ſich durch die Tuba , Terpſichore ,
die Muſe der Tanzkunſt , durch eine tanzende Stel-
U 2
lung unterſcheiden . — Urania zeichnet durch ihren
gen Himmel erhobnen Blick ſich aus .
Indeß ſind alle dieſe Darſtellungen bei den
Alten mehr willkuͤrlich geweſen . — Die vielfache
Zahl der Muſen bezeichnete die Harmonie der ſchoͤ-
nen Kuͤnſte , welche verſchwiſtert Hand in Hand
gehen , und nie zu ſcharf eine von der andern ab-
geſondert werden muͤſſen . So ſtellt auch in den
Abbildungen der Alten eine jede einzelne Muſe
gleichſam die uͤbrigen in ſich dar ; und erſt in neu-
ern Zeiten hat man mit pedantiſcher Genauigkeit
einer jeden Muſe ihr eignes beſtimmtes Geſchaͤft
anzuweiſen geſucht .
Die Einbildungskraft der Alten ließ ſich hier-
bei freien Spielraum . — Man ſieht auf alten
Marmorſaͤrgen die verſammleten Muſen auf mehr
als einerlei Art , und in abwechſelnden Stellungen
abgebildet . — Ein Gemaͤhlde in den Herkulani-
ſchen Alterthuͤmern , iſt das einzige , welches die neun
Muſen ganz genau voneinander unterſchieden dar-
ſtellt , weil unter der Abbildung einer jeden auch
ihr Nahme befindlich iſt . — Es ſcheint aber , als
habe dieſer Kuͤnſtler eben deswegen zu der Unter-
ſchrift der Nahmen ſeine Zuflucht nehmen muͤſſen ,
weil er ſelbſt die aͤußern Merkmale ſeiner Muſen ,
auch nach den damaligen Begriffen , nicht genug
unterſcheidend und bezeichnend fand .
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt nach
einer ſchoͤnen antiken Gemme , die Muſe ſtehend
abgebildet , wie ſie die Leyer ſtimmt . — Eine
Darſtellung , wodurch nicht eine einzelne Muſe
ausſchließend , ſondern die Muſe uͤberhaupt be-
zeichnet wird , in ſo fern die Tonkunſt , nach den
aͤlteſten Begriffen , ihr Hauptgeſchaͤft iſt . — Denn
mit der Tonkunſt entwickelten ſich zuerſt die ſchlum-
mernden Kraͤfte fuͤr die uͤbrigen Kuͤnſte . — Muſik ,
Geſang und Tanz war , wie wir ſchon bemerkt ha-
ben , das Hauptgeſchaͤft der Muſen , und es giebt
keine eigne Muſe fuͤr die bildenden Kuͤnſte .
Auf eben dieſer Kupfertafel iſt auch nach einer
antiken Gemme , ein Liebesgott abgebildet , wel-
cher den Loͤwen , auf dem er reitet , mit den har-
moniſchen Toͤnen ſeiner Leyer zaͤhmt , wodurch
der Kuͤnſtler in einem ſchoͤnen Sinnbilde die ver-
einte Macht der Liebe und Tonkunſt ausdruͤckt .
Liebesgoͤtter .
Auch die Goͤttergeſtalt des Amor vervielfaͤltigte
ſich in der Einbildungskraft der Alten ; die Liebes-
goͤtter , welche allenthalben in den Dichtungen
unter reitzenden Geſtalten erſcheinen , ſind gleich-
ſam Funken ſeines Weſens ; und die Dichtkunſt iſt
unerſchoͤpflich in ſchoͤnen ſinnbildlichen Darſtellun-
gen dieſer alles beſiegenden Gottheit .
So findet man den Liebesgott dargeſtellt , wie
er Jupiters Donnerkeil zerbricht ; wie er mit des
Herkules Loͤwenhaut umgeben , und mit ſeiner
Keule bewafnet iſt ; oder wie er auf den Helm
des Mars tritt , deſſen Schild und Wurfſpieß
vor ihm liegen .
Unter dem griechiſchen Nahmen Eros und
Anteros , Liebe und Gegenliebe , ſtellt die bil-
dende Kunſt der Alten zwei Liebesgoͤtter dar , die
um einen Palmzweig ſtreiten , gleichſam um den
Wetteifer in der wechſelſeitigen Liebe zu bezeichnen .
In allerlei Arten von Beſchaͤftigungen ſtellte
man die Liebesgoͤtter dar . So ſieht man auf
einem alten Denkmale , wo ein Weinſtock ſich um
einen Ulmbaum ſchlingt , oben auf dem Baume
ſitzend einen Liebesgott , der Trauben pfluͤckt , in-
deß zwei andre Liebesgoͤtter unter dem Baume
ſtehend warten . —
Jagend , fiſchend , zu Waſſer das Ruder ,
zu Lande den Wagen lenkend , und ſogar die me-
chaniſchen Arbeiten der Handwerker emſig betrei-
bend findet man die Liebesgoͤtter auf alten Gem-
men und Gemaͤhlden . Weil aber in der Vorſtel-
lungsart der Alten auch jedes Geſchaͤft ſeinen
Genius hatte , ſo geht hier die Dichtung von den
Liebesgoͤttern wieder in den Begriff von den Ge-
nien uͤber , und dieſe zarten Weſen der Einbil-
dungskraft verlieren ſich ineinander . —
Grazien .
Die hohen blendenden Reitze der maͤchtigen
Liebesgoͤttin , vervielfaͤltigen ſich in den Grazien
oder Charitinnen , und wurden wohlthaͤtig , ſanft
und milde . Vom Himmel ſenkten die drei Huld-
goͤttinnen zu den Sterblichen ſich hernieder , um
die ſchoͤnen Empfindungen der Dankbarkeit und
des wechſelſeitigen Wohlwollens in jeden Bu-
ſen einzufloͤßen . Auch waren ſie es , welche vor
allen andern Goͤttern , den Menſchen die ſuͤße
Gabe zu gefallen ertheilten .
Sie hießen mit ihren beſondern Nahmen
Aglaia , Thalia , und Euphroſyne , und waren
vom Jupiter mit der Eurynome , der ſchoͤnen
Tochter des Oceans , erzeugt , die unter den alten
Gottheiten in den Dichtungen ſchon mit aufge-
treten iſt .
Den Grazien waren allenthalben Tempel und
Altaͤre errichtet ; — um ihre Gunſt flehte jedes
Alter und jeder Stand ; — ihnen huldigten Kuͤn-
ſte und Wiſſenſchaften ; — auf ihren Altaͤren zuͤn-
dete man taͤglich Weihrauch an ; — bei jedem fro-
hen Gaſtmahl waren ſie die Loſung , und man
nannte mit Ehrfurcht ihre Nahmen .
Dem Amor und den Muſen wurden die Gra-
zien zugeſellt ; oft hatten ſie mit dem Amor , oͤfter
noch mit den Muſen , gemeinſchaftlich einen Tem-
pel ; ſie umgaben ſelbſt Jupiters Thron ; — im
Himmel und auf Erden erkannte man ihre Herr-
ſchaft , und huldigte ihrem Einfluß , ohne welchen
die Schoͤnheit ſelber zum todten Gemaͤhlde wird .
Denn durch die Grazien , in tanzender Stel-
lung abgebildet , wird vorzuͤglich der Reitz der
Bewegung im Gang , Gebehrden und Mienen
ausgedruͤckt , wodurch die Schoͤnheit am meiſten
die Seele feſſelt . — Hand in Hand geſchlungen
wandelnd bezeichneten ſie wieder jede ſanfte Em-
pfindung des Herzens , die in Zuneigung , Freund-
ſchaft , und Wohlthun ſich ergießt . — Gewiß
mußte die religioͤſe Verehrung dieſer ſchoͤnen We-
ſen auf das Leben und die Denkart der Alten einen
unverkennbaren Einfluß haben .
Um gleichſam zu bezeichnen , daß bei den aus-
ſchweifendſten Bildungen der Phantaſie , die Grazie
dennoch verſteckt ſeyn , und die Grenze bezeichnen
muͤſſe , machte man hohle Bildſaͤulen von Satyrn ,
worin man , wenn ſie eroͤfnet wurden , kleine
Bilder der Grazien fand .
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich außer den Grazien , nach einer antiken Gem-
me , noch eine der Horen oder Jahrszeiten , vor
einer Art von Altar ſtehend , mit Palmblaͤttern
auf dem Haupte , und tanzend Fruͤchte in den
Haͤnden tragend , nach einem antiken Marmor-
werk aus Winkelmanns Monumenten .
Die andern beiden Figuren auf eben dieſem
Denkmale ſind auf aͤhnliche Weiſe ſich zum Tanz
bewegend dargeſtellt , nur mit dem Unterſchiede ,
daß zu den Fuͤßen der einen , welche den Fruͤhling
bezeichnet , eine Blume aufſproſſet ; und zu den
Fuͤßen der andern , die den Winter andeutet ,
auf der Altar aͤhnlichen Erhoͤhung von aufeinan-
der gelegten Steinen , ein kleines Feuer lodert .
Da nun die erſte Figur , mit den Fruͤchten ,
den Herbſt abbildet , ſo finden in dieſer ſinnbild-
lichen Darſtellung nur drei Jahrszeiten ſtatt , weil
man unter dem Merkmale der reifen Fruͤchte , in
jenem waͤrmern Himmelsſtrich , ſowohl den Som-
mer als Herbſt begriff . — In einigen aͤltern Dich-
tungen iſt die Zahl der Horen nur zwei , weil man
das ganze Jahr in Sommer und Winter theilte .
Horen .
Unter dem Nahmen der Horen wurden in
den Dichtungen der Alten ſowohl die Goͤttinnen
der Gerechtigkeit , welche Jupiter mit der The-
mis erzeugte , als auch die Jahrszeiten begrif-
fen , welche gleichſam mit gerechter Theilung
ihrer Wohlthaten , durch ihren immerwaͤhrenden
Wechſel , das ſchoͤne Gleichgewicht in der Natur
erhalten , und mit abgemeßnen Schritten tanzend
und einander folgend , ihren beſtimmten Lauf voll-
enden .
Es giebt kein ſchoͤnres Bild , um ſich darunter
die Flucht der Zeit zu denken , als die tanzenden
Horen , welche daher auch in den Dichtungen zu
den Grazien ſich geſellen , und gemeinſchaftlich mit
ihnen Taͤnze auffuͤhren . —
Auch die Horen ſtehen um Jupiters Thron ,
und ihr Geſchaͤft iſt die Thuͤren des Himmels
zu oͤfnen und zu ſchließen , indem ſie ihn bald in
finſtre Wolken huͤllen , und bald mit neuem Glanz
ihn wieder aufheitern . — Auch ſpannten die Ho-
ren jeden Morgen die Roſſe an den Sonnenwa-
gen , und waren zugleich Dienerinnen der Juno ,
die uͤber den Luftkreis herrſcht .
Nymphen .
Die unerſchoͤpfliche Dichtungskraft der Alten
ſchuf ſich Weſen , wodurch die Phantaſie die leb-
loſe Natur beſeelte . Die Quellen , die Berge ,
die Waͤlder , die einzelnen Baͤume , hatten ihre
Nymphen . — Man knuͤpfte gern die Idee von
etwas Goͤttlichem an das Feſte und Bleibende , was
die einzelnen Menſchengeſchlechter uͤberlebt ; an
den feſtgegruͤndeten Berg , den immerſtroͤmenden
Quell , und die tauſendjaͤhrige Eiche . —
Alle dieſe Dichtungen aber waren gleichſam
nur der Wiederſchein vom Gefuͤhl erhoͤhter Menſch-
heit , der ſich aus dem Spiegel der ganzen Natur
zuruͤckwarf , und wie ein reitzendes Blendwerk
uͤber der Wirklichkeit gaukelnd ſchwebte .
So ſchweifte die Oreade auf den Bergen
umher , um mit ihren Schweſtern , im Gefolge
der Diana , die Spur des Wildes zu verfolgen ;
jeder zaͤrtlichen Neigung ihr Herz verſchließend ,
ſo wie die ſtrenge Goͤttin , die ſie begleitete .
Mit ihrem Waſſerkruge ſaß , in der einſamen
Mittagsſtunde , die Najade am Quell , und ließ
mit ſanften Murmeln , des Baches klare Fluth
hinſtroͤmen . — Gefaͤhrlich aber waren die Liebko-
ſungen der Najaden ; ſie umarmten den ſchoͤnen
Hylas , des Herkules Liebling , als er Waſſer
ſchoͤpfte , und zogen ihn zu ſich in den Brunnen
herab . — Vergebens rief Herkules ſeinen Nah-
men , nie ward ſein Liebling mehr geſehen .
Im heiligen Dunkel des Waldes wohnten die
Dryaden ; und die Hamadryade bewohnte ihren
einzigen Baum , mit dem ſie gebohren ward
und ſtarb . — Wer einen ſolchen Baum erhielt ,
dem dankte die Nymphe ihr Leben . — ſo ward
ſelbſt die lebloſe Natur ein Gegenſtand des theil-
nehmenden Wohlwollens der Sterblichen .
Satyrn .
In das Dunkel des Waldes verſetzt die Dich-
tung auch die Satyrn mit Hoͤrnern und Ziegen-
fuͤßen . — Dieſe Weſen machen gleichſam einen
Schlußpunkt fuͤr die Thierwelt und die Menſchen-
welt , worin ſich das Getrennte in einer neuen
Erſcheinung ſpielend wieder zuſammen findet .
Es iſt der leichte Ziegenfuß , welcher ſich in
dieſer Dichtung ſcherzend der Menſchenbildung
anſchmiegt . — Jugendliche Schalkhaftigkeit , und
unbeſorgter Leichtſinn zeichnen die Bildung dieſer
Weſen aus , welche , obgleich ſterblich , dennoch
durch eine hoͤhere Natur , uͤber die Sorgen und
den Kummer der Menſchen erhaben ſind .
Die bildende Kunſt ſtellte erſt dieſe Weſen der
Phantaſie dem Auge dar ; und der Glaube an ihre
Wuͤrklichkeit mußte ſich deſto laͤnger erhalten , weil ,
nach den Volksbegriffen , keiner ungeſtraft eine
Nymphe oder einen Waldgott ſehen durfte .
Statt alſo dem wirklichen Daſeyn dieſer We-
ſen nachzuforſchen , ſuchte vielmehr ein jeder vor ih-
rer unvermutheten Erſcheinung in einſamen Gegen-
den ſich zu huͤten ; und nur der begeiſterte Dichter
ſahe im Gefolge des Bachus , auf dem einſamen
Felſen , Nymphen , die auf des Gottes Lehren
horchten , und Bockfuͤßige Satyrn , die mit ſpitzen
Ohren lauſchten .
In den Satyrn hat die bildende Kunſt die
menſchliche Geſtalt ſo nahe wie moͤglich an die
thieriſche grenzend , darzuſtellen geſucht . — Ein
Satyr , auf einer antiken Gemme , der mit einem
Bock ſich ſtoͤßt , iſt von dieſem kaum durch etwas
mehr , als den Leib und die Arme unterſchieden ,
weil die Bocksgeſtalt ſogar bis auf die Geſichts-
zuͤge ſich erſtreckt , die obgleich menſchenaͤhnlich ,
dennoch eine thieriſche Natur ausdruͤcken . Sehr
komiſch iſt die Stellung des Satyrs , der beim
Anlauf mit den Hoͤrnern die Haͤnde auf den Ruͤ-
cken haͤlt , um gleichſam jedes Vortheils uͤber den
Bock ſich zu begeben .
Dieſe komiſchen Geſtalten machen in dem
Gefolge des Bachus unter den Nymphen , Ge-
nien , und Liebesgoͤttern den reitzendſten Kon-
traſt , — ſo daß es ſcheinet , als wenn ſie in die-
ſen Gruppen , und uͤberhaupt unter den Goͤtter-
geſtalten nicht fehlen duͤrften , weil in dieſen halb
goͤttlichen und halb thieriſchen Weſen , in deren
Miene ſich Lachen und Spott vereint , die Dich-
tung gleichſam erſt ihre Vollſtaͤndigkeit erhaͤlt , und
mit ihnen den Zug beſchließt .
Faunen .
Die Faunen ſind von den Satyrn , wenig-
ſtens in den Werken der bildenden Kunſt verſchie-
den . — Sie werden voͤllig in menſchlicher Geſtalt
nur mit Ziegenohren und einem Ziegenſchwanze ab-
gebildet . — Aber auch ohne dieſe Merkmale iſt die
Bildung eines Faunen leicht zu kennen , weil ihre
Geſichtszuͤge , weder zart noch edel , nur thieriſche
oder ſinnliche Begierden und ſinnlichen Genuß
ausdruͤcken . — Demohngeachtet findet man unter
den alten Denkmaͤlern Faunen von bewunderns-
wuͤrdiger Schoͤnheit , wo dennoch die Geſichts-
zuͤge immer noch jene halbthieriſche , ſinnliche
Natur bezeichnen .
Man ſiehet die Faunen auf den alten Denk-
maͤlern tanzend , ſitzend , Kraͤnze flechtend , mit
Ziegen ſpielend , junge Faunen auf dem Knie wie-
gend , und in viel mehrern reitzenden Stellungen
abgebildet , wo die Phantaſie mit dieſer Idee auf
die mannigfaltigſte Weiſe ſpielt .
So laͤßt ein alter Faun ein junges Maͤdchen
auf ſeinem Fuße tanzen ; — ein andrer Faun
dreht das Rad an einem Brunnen , um einer
Nymphe Waſſer zu ſchoͤpfen , die waͤhrend der
Zeit ſeinen Thyrſus haͤlt . — Zwei Faunen ſitzen
einander gegenuͤber , und der eine iſt im Begriff
dem andern einen Dorn aus dem Fuße zu zie-
hen . — Ein andrer traͤnkt einen jungen Faun
aus einem großen Weingefaͤß . — So wechſeln
die reitzenden Darſtellungen ab .
Man ſieht , daß Die Sorgloſigkeit bei die-
ſen Weſen ein Hauptzug iſt , wodurch ſie den Goͤt-
tern aͤhnlich ſind , und von den Menſchen ſich
unterſcheiden , nach den Worten des alten Dich-
ters :
Den Menſchen gaben die Goͤtter vielen Kum-
mer zu tragen ;
Sie ſelber aber ſind ſorglos .
Pan .
Das ganze Geſchlecht der Satyrn und Fau-
nen wurde gleichſam auf einmal unter der Goͤtter-
geſtalt des Pan begriffen , in welcher ſich dieſe
Dichtung wieder vereinzelte ; denn die Bildung
des Pan iſt uͤbrigens von der Bildung der Sa-
tyrn nicht verſchieden , ausgenommen , daß Pan
einen Mantel oder eine Bockshaut um die Schul-
tern , und einen gekruͤmmten Schaͤferſtab oder eine
ſiebenroͤhrige Floͤte in den Haͤnden traͤgt . — Die
uͤbrigen Waldgoͤtter mit den Ziegenfuͤßen hießen
von ihm auch Aegipanen .
Der ſiebenroͤhrigen Floͤte ſchreibt die Dichtung
folgenden Urſprung zu : als Pan die Nymphe
Syrinx , von Lieb ’ entbrannt , verfolgte , und
dieſe bis an den Fluß Ladon vor ihm flohe , wo
ihr Lauf gehemmt war , ward ſie ploͤtzlich in ein
Schilfrohr verwandelt , welches Pan umarmte . —
Der Wind , der in das Rohr blies , brachte
klagende Toͤne hervor ; und Pan ſuchte dieſe Toͤne
wieder zu erwecken , indem er ſieben Rohre , das
folgende immer um ein beſtimmtes Maaß kuͤrzer
als das vorhergehende , zuſammenfuͤgte , und ſo
die Hirtenfloͤte erfand , welche nach dem Nahmen
der verwandelten Nymphe Syrinx hieß .
Nach einigen Dichtungen iſt Pan ein Sohn
Merkurs , und ſo wie dieſer , auch in Arkadien
gebohren , wo ſein vorzuͤglichſter Aufenthalt auf
dem Berge Lycaͤus war . — Andre Sagen laſſen
ihn unter den aͤlteſten Gottheiten ſchon mit auf-
treten , wo er auf eine geheimnißvolle Weiſe , das
Ganze , und die Natur der Dinge bezeich-
net . — Auch den gekruͤmmten Hirtenſtab ließ man
nicht ohne Bedeutung ſeyn , ſondern auf die Wie-
derkehr der Jahreszeiten , und den Kreislauf der
Dinge durch ſeine Geſtalt hinweiſen . —
Man dachte ſich unter dem Pan ein Weſen ,
halb wohlthaͤtig und halb furchtbar ; — und eben
weil dieſer Begriff ſo ſchwankend war , ſchuf ſich
die Einbildungskraft unter demſelben allerlei
Schreckbilder . — Irgend ein Getoͤſe oder furcht-
bare Stimmen , die man in naͤchtlicher Stille ,
oder vom einſamen Ufer her zu vernehmen glaubte ,
ſchrieb man dem Pan zu ; — weswegen man
nachher auch ein jedes Entſetzen , wovon man ſelbſt
die Urſache nicht wußte , oder wovon der Grund
bloß in der Einbildung lag , ein paniſches Schre-
cken nannte .
Die Hirten , welche vorzuͤglich den Pan ver-
ehrten , fuͤrchteten dennoch ſeinen Anblick ; ſie
flehten ihn aber um den Schutz ihrer Heerden an ,
und brachten ihm haͤufig Opfer dar . — Denn an
dieſe Gottheit , welche ſelber wie ſie die Hirtenfloͤte
blies , und den krummen Schaͤferſtab in der Hand
trug , durften die Hirten und die Bewohner der
Fluren ſich am naͤchſten anſchließen , und theilneh-
mende Vorſorge und Beiſtand von ihr erwarten .
Sylvan .
Der eigentliche Gott der Waͤlder , den einige
Dichtungen den uͤbrigen noch hinzufuͤgen , wird
vom Pan nur wenig verſchieden abgebildet , außer
daß er , um gleichſam die Nacht des Waldes zu
bezeichnen , einen Cypreſſenzweig in der Hand
traͤgt , der zugleich das Freudenloſe und Melan-
choliſche ſeines einſamen Aufenthalts mit bedeuten
ſollte , weswegen er auch den Landleuten furcht-
bar war .
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich unten , nach einem antiken geſchnittenen Stei-
ne , ein tanzender Faun ; und oben eine ſehr
getreue Darſtellung im Umriß von einem der ſchoͤn-
ſten Werke des Alterthums , das unter dem Nah-
men , der Siegelring des Michel Angelo , all-
gemein beruͤhmt iſt .
Man ſieht hier Nymphen , Satyrn , Faunen ,
Liebesgoͤtter , in eine einzige ſchoͤne Gruppe verei-
nigt , in deren Mitte eine edle Mannsgeſtalt , mit
einem Roß an der Hand , emporragt .
X
Die Weinranken , welche an zwei Ulmbaͤumen
ſich hinaufwinden , bilden eine Laube , woruͤber
zwei kleine Liebesgoͤtter eine Decke ausbreiten . —
Einige von den weiblichen Figuren tragen Koͤrbe
mit Weintrauben angefuͤllt auf den Koͤpfen ; andre
am Boden ſitzend , ſind vorzuͤglich mit einem Kinde
beſchaͤftigt , das ſich der einen an den Buſen
ſchmiegt , und auf die Erziehung des jungen Ba-
chus von den Nymphen , dieß Kunſtwerk deu-
ten laͤßt .
Zu der Gruppe der ſitzenden Figuren geſellt
ſich ein Faun , der knieend neuen Wein in eine
Schale gießt . — Hinter ihm ſteht ein Satyr und
blaͤſt auf einem Horn . — Am Ende traͤgt ein
Knabe noch ein Gefaͤß mit Wein herzu . — Vor-
zuͤglich ſchoͤn iſt die Stellung der beiden weiblichen
Figuren auf der andern Seite , wovon ſich die eine
mit dem Korbe auf dem Haupte , zu ihrer Gefaͤhr-
tin niederbuͤckt . — Neben dieſen beiden Figuren
haͤlt eine dritte ihren Arm in die Hoͤhe , um dem
einen Liebesgott eine Schale zu reichen . — Und
nichts kann reitzender ſeyn , als , wie die beiden Lie-
besgoͤtter , um auch am Genuß mit Theil zu nehmen ,
von oben ihre Haͤnde ausſtrecken , der eine nach
der emporgehaltnen Schale , der andre nach dem
Korbe voll Trauben , den eine von den Nymphen
auf dem Haupte traͤgt .
Penaten .
Eine Art von Genien oder Schutzgoͤttern bei
den Alten , waren die Penaten , welche auch La-
ren hießen . Jede Stadt hatte ihre beſondre
Schutzgoͤtter , und jede Familie , und jedes Haus
die ſeinigen . In dieſen Weſen , die den Men-
ſchen ſo nahe waren , vervielfaͤltigten die hohen
Gottheiten , aus denen man ſich ſeine Schutzgoͤt-
ter waͤhlte , gleichſam ihre Gegenwart .
Der Hausgoͤtter oder Laren waren gemeinig-
lich zwei , die auf dem heiligen Heerde ihren
Wohnplatz hatten , und wie Juͤnglinge mit einem
Hut und Reiſeſtabe , und einem Hunde neben ſich
abgebildet waren . Man bekraͤnzte ſie mit Blu-
men , und von den Speiſen , die auf dem Heerde
zubereitet wurden , brachte man ihnen Opfer dar . —
Sie waren Zeugen vom Genuß des haͤuslichen
Gluͤcks . — Das Alltaͤgliche und Gewoͤhnliche
wurde durch ihre Gegenwart geheiligt , und jedes
Haus gewiſſermaßen zu einem Tempel geweiht . —
Priapus .
Da bei den Alten noch nichts nnheilig unheilig war ,
was die Natur gebeut , und das Geheimniß der
Erzeugung und Fortpflanzung von ihnen als etwas
Goͤttliches betrachtet wurde , wodurch die Gat-
tung bei dem immerwaͤhrenden Abfall durch Alter
X 2
und Krankheit , ſich in ewiger Jugend erhaͤlt ; ſo
hatte auch die ſonderbare Goͤtterbildung des Pria-
pus , mit einem ausgeſtreckten großen maͤnnlichen
Zeugungsgliede , fuͤr ſie nichts Anſtoͤßiges .
Zuweilen aus Stein , zuweilen nur aus Holz
gearbeitet , und von den Huͤften bis zum Fuß wie
ein ſpitzzulaufender Pfeiler geſtaltet , mit einem
krummen Gartenmeſſer in der Hand , war Pria-
pus der Huͤter der Gaͤrten und Weinberge . —
Man brachte ihm Milch , Honig und Wein zum
Opfer dar , damit er den Fruͤchten Gedeihen gebe ,
und die Diebe verjage . — Unbeſchadet ſeiner Ver-
ehrung aber verknuͤpfte man dennoch den Begriff
von Haͤßlichkeit mit ſeiner Geſtalt , welche zugleich
dazu dienen mußte , — die Voͤgel zu ver-
ſcheuchen .
Komus .
Mit einer geſenkten Fackel in der Hand , und
mit herabgeſunknem Haupte , ſchlaftrunken an
eine Thuͤr ſich lehnend , wurde Komus , der Vor-
ſteher naͤchtlicher Schmaͤuſe , frohen Lebensgenuſ-
ſes , muntrer Laune , heitrer Scherze , und geſel-
liger Freuden , von den Alten gebildet , und ſie
hielten den Genius des frohen Lebensgenuſſes nicht
fuͤr unwuͤrdig in der Reihe der Goͤttergeſtalten mit
aufzutreten .
Hymen .
Ein ſchoͤner Juͤngling mit der hochzeitlichen
Fackel in der Hand , war der Genius oder der
Gott der Ehen . — Ihm zu Ehren wurden Lob-
lieder bei jeder Vermaͤhlungsfeier geſungen ; die
Gegenwart dieſer Gottheit kroͤnte den heiligen
Bund , und weihte die Freuden des Hochzeit-
mals .
Orpheus .
Wie ein vom Himmel geſandtes Weſen lehrte
Orpheus zuerſt die Sterblichen auf die harmoni-
ſchen Toͤne lauſchen , indem er das Lob der Gott-
heit ſang . — Er iſt auf der hier beigefuͤgten Kup-
fertafel nach einer antiken Gemme abgebildet ,
mit der Leyer in der Hand , die Thiere des Wal-
des um ihn her verſammlet ; ein bedeutendes
Sinnbild , wie er durch die Macht der Tonkunſt
die wilden Naturen zaͤhmte , und aus dem dum-
pfen thieriſchen Schlummer das Geſchlecht der
Menſchen weckte . — Auf eben dieſer Tafel iſt ,
nach einem antiken geſchnittnen Steine , der weiſe
Chiron , den jungen Achilles in der Tonkunſt un-
terrichtend , dargeſtellt .
Chiron .
Obgleich des Chiron , wegen ſeiner unmittel-
baren Abſtammung vom Saturnus , in der Reihe
der alten Goͤttergeſtalten ſchon gedacht iſt ; ſo tritt
er doch auch vorzuͤglich unter den Weſen mit auf ,
welche das Band zwiſchen Goͤttern und Menſchen
knuͤpfen . — Denn ſeiner Fuͤhrung und ſeinem
goͤttlichen Unterricht dankten die Helden , welche
ſelbſt nachher die Zahl der Goͤtter vermehrten , in
ihrer fruͤheſten Jugend ihre Bildung .
Nichts iſt ruͤhrender , als die Worte , womit
er , nach einem Dichter des Alterthums , den jun-
gen Achill entließ :
O Sohn der Thetis , dich erwartet das Land
des Aſſarakus , das der kalte Skamander , und
der ſchlammigte Simois durchſchneidet . — Von
da haben dir die Parzen die Ruͤckkehr abgeſchnit-
ten , und auf dem blauen Ruͤcken des Meeres fuͤhrt
deine Mutter dich nicht zuruͤck ! — darum vergiß
der Sorgen beim Wein und Saitenſpiel , und ver-
ſcheuche den Kummer durch ſuͤße Geſpraͤche !
Aeſkulap .
Auch der erſte Anfang der Heilkunde wurde
von den Alten als etwas Goͤttliches betrachtet . —
Man dachte ſich denjenigen , welcher zuerſt dieſe
Kunſt im Leben uͤbte , und ſelbſt ihr Opfer wurde ,
auch noch nach ſeinem Tode als ein wohlthaͤtiges ,
menſchenfreundliches Weſen , zu dem die Kranken
nicht unerhoͤrt um Huͤlfe flehen durften .
Apollo erzeugte nehmlich den Aeſkulap mit der
Koronis , der Tochter eines Theſſaliſchen Koͤnigs .
Als Koronis mit dem Iſchys einer heimlichen
Liebe pflog , beſtrafte Apollo ihre Untreue mit dem
Tode ; den Aeſkulap aber , mit dem ſie ſchwanger
war , rettete er noch , da ſie ſchon auf dem Schei-
terhaufen lag .
Nun wurde der Goͤtterſohn in der Hoͤhle des
weiſen Chiron erzogen , der ihn in jeglicher Wiſ-
ſenſchaft , und vorzuͤglich in der Kraͤuterkunde
unterwieß , welche Wiſſenſchaft Aeſkulap zu einer
Wohlthaͤterin der Menſchheit machte , indem er
die Kraͤfte der Pflanzen erforſchend , die mannich-
faltigſten Heilmittel fuͤr die mannichfaltigen Krank-
heiten des Koͤrpers daraus erfand .
Er trieb dieſe Kunſt ſo weit , daß die Dich-
tung von ihm ſagt , es ſey ihm mehrere Male ge-
lungen , den Todten ſelbſt wieder Leben einzuhau-
chen . — Daruͤber zuͤrnte die immerzerſtoͤrende
Macht , das immerverſchlingende Grab , und die
Gewalt des ſchrecklichen Pluto , die den Erwecker
der Todten , als einen kuͤhnen und vermeßnen
Frevler beim Donnerer verklagte . Dieſer ließ den
Aeſkulap , ſo wie den Prometheus , fuͤr ſeine
Wohlthat an den Menſchen buͤßen — und ſchleu-
derte ſeine Blitze auf das ſchuldloſe Haupt . —
Der die Schmerzen der Menſchen linderte und ihre
Krankheiten heilte , ward auf die Weiſe ſelbſt ein
Opfer ſeiner wohlthaͤtigen Kunſt . —
Nach ſeinem Tode wurden ihm Haine , Tem-
pel und Altaͤre geweiht ; — vorzuͤglich wurde er
zu Epidaurus in Griechenland verehrt . — Sei-
ne Soͤhne Machaon und Podalirius , waren
im Trojaniſchen Kriege als Anfuͤhrer und Helden ,
und zugleich wegen ihrer großen Wiſſenſchaft in der
Heilkunde , beruͤhmt .
Dem Aeſkulap war die Schlange , als ein
Bild der Geneſung und Geſundheit , heilig ; ver-
muthlich in ſo fern man ſich unter ihr ein ſich ſelbſt
verjuͤngendes , und durch die Abſtreifung der Haut
ſich gleichſam wieder erneuerndes Weſen dachte .
Neben dem Aeſkulap findet man zuweilen ei-
nen kleinen Knaben abgebildet , mit einer Muͤtze
auf dem Kopfe , und in einen Mantel ganz ein-
gehuͤllt . Sein Nahme iſt Telesphorus , und
ſeine Kindergeſtalt , und ſonderbare Umhuͤllung ,
ſcheinet auf irgend eine Weiſe auf den Zuſtand der
Wiedergeneſenden anzuſpielen . — Auf der hier
beigefuͤgten Kupfertafel ſind Aeſkulap und Hy-
gea , beide nach antiken geſchnittnen Steinen ,
im Umriß abgebildet .
Hygea .
Hygea , eine Tochter des Aeſkulap , wurde
ſogar als die Goͤttin der Geſundheit ſelbſt ver-
ehrt . — Auch zu ihr geſellt ſich die wohlthaͤtige
heilbringende Schlange , und wird aus einer fla-
chen Schale von ihr geſpeiſt . — Die Erhaltung
der Geſundheit iſt ihr Geſchaͤft ; und ſie bringt als
eine milde Gabe dieſe Wohlthat von den Goͤttern
zu den Sterblichen hernieder . —
Die tragiſchen Dichtungen .
D aß die Alten uͤberhaupt in ihren Dichtungen
das Tragiſche liebten , ſiehet man aus der ganzen
Folge ihrer Goͤtter , und Heldengeſchichte . —
Das ungleiche Verhaͤltniß der Menſchen zu
den Goͤttern , welches ſchon von ihrer Entſte-
hung an ſich offenbarte , iſt faſt in jeder Dichtung
auf irgend eine Weiſe in ein auffallendes Licht ge-
ſtellt . —
Die Goͤtter erhoͤhen und ſtuͤrzen nach Gefal-
len . — Jeder Verſuch eines Sterblichen mit ihrer
Macht und Hoheit ſich zu meſſen , wird auf das
ſchrecklichſte geahndet . — Ihr zu naher Umgang
bringt oft ihren Lieblingen ſelbſt den Tod . — Ihre
wohlthaͤtige Macht wird von der furchtbaren uͤber-
wogen . —
Allein es gab ein Fatum , das uͤber Goͤtter
und Menſchen herrſchte . — Durch dieß Fatum
fuͤhlten die Sterblichen ſich den Goͤttern gleich ge-
ſetzt , wenn in den hohen tragiſchen Dichtungen
gegen den Druck der Obermacht die langverhaltne
Erbittrung endlich ausbrach .
Folgender Geſang eines neuern Dichters hallt
jene furchtbaren Toͤne wieder , und reißt den Horcher
an die tragiſche Schaubuͤhne der Alten hin :
Es fuͤrchte die Goͤtter
Das Menſchengeſchlecht !
Sie halten die Herrſchaft
In ewigen Haͤnden ,
Und koͤnnen ſie brauchen ,
Wie ’s ihnen gefaͤllt .
Der fuͤrchte ſie doppelt ,
Den je ſie erheben !
Auf Klippen und Wolken
Sind Stuͤhle bereitet
Um goldene Tiſche .
Erhebet ein Zwiſt ſich :
So ſtuͤrzen die Gaͤſte ,
Geſchmaͤht und geſchaͤndet ,
In naͤchtliche Tiefen ,
Und harren vergebens ,
Im Finſtern gebunden ,
Gerechten Gerichtes .
Sie aber , ſie bleiben
In ewigen Feſten
An goldenen Tiſchen .
Sie ſchreiten von Bergen
Zu Bergen hinuͤber ;
Aus Schluͤnden der Tiefe
Dampft ihnen der Athem
Erſtickter Titanen ,
Gleich Opfergeruͤchen ,
Ein leichtes Gewoͤlke .
Es wenden die Herrſcher
Ihr ſegnendes Auge
Von ganzen Geſchlechtern ,
Und meiden , im Enkel
Die eh’ mals geliebten ,
Still redenden Zuͤge
Des Ahnherrn zu ſehn .
Goͤthens Iphigenie
Theben .
Vorzuͤglich war Theben in Griechenland de r
Schauplatz der tragiſchen Begebenheiten , welche
auf der Buͤhne dargeſtellt , die ſchmerzlichſuͤße
Theilnehmung an dem Jammer der Vorwelt in
jedem Buſen weckten , und ein ganzes mitempfin-
dendes Volk zur hoͤhern Bildung veredelten .
Kadmus .
Agenor , deſſen Tochter Europa vom Ju-
piter entfuͤhrt ward , war auch der Vater des
Kadmus , dem er befahl , die entfuͤhrte Tochter
in allen Laͤndern aufzuſuchen , und ohne ſie vor ihm
nicht wieder zu erſcheinen . —
So raͤchte die zuͤrnen de Eiferſucht der
Juno ſich an Agenors Hauſe . Wie ein Fluͤcht-
ling mußte Kadmus umherirren , und durfte , da
er ſeine Schweſter nirgends fand , in ſeine vaͤter-
liche Heimath nicht wiederkehren , ſondern mußte
im fremden Lande ſich einen Wohnſitz ſuchen .
Er kam nach Boͤotien in Griechenland , und
waͤhlte es , einem Orakelſpruch zu Folge , zu ſei-
nem Aufenthalt . Als er nun ſeine Gefaͤhrten ,
um Waſſer zu einem Opfer zu ſchoͤpfen , in ein
dem Mars geweihtes Gehoͤlze ſchickte , wurden
ſie von einem ungeheuren Drachen , dem Huͤter
dieſes heiligen Hains , getoͤdtet .
Kadmus erlegte dieß Ungeheuer , und mußte ,
auf den Befehl der Minerva , die Zaͤhne des Dra-
chen in die Erde ſaͤen . — Aus dieſer Saat keim-
ten geharniſchte Maͤnner auf , die ſogleich ihre
Schwerdter gegeneinander zuͤckten , und ſich ein-
ander erſchlugen , bis auf fuͤnf , die dem Kadmus
Theben erbauen halfen .
Dieſe Dichtung von den Kriegern , die aus
der Saat der Drachenzaͤhne entſproſſen , ſich ſelbſt
einander aufreiben , iſt ſchon ein dunkles Vorbild
von alle dem Jammer und der Zwietracht , welche
die Nachkommen des Kadmus einſt ihre Schwerd-
ter gegen ſich ſelber kehren , und ſie in ihr Einge-
weide wuͤthen laͤßt .
Kadmus , der Stifter von Theben , vermaͤhlte
ſich nun mit der Harmonia , einer Tochter des
Mars und der Venus , und bildete das Volk ,
das er um ſich her verſammelte , und dem er zuerſt
die Schriftzeichen mittheilte , die er aus Phoͤni-
zien mit ſich hieher gebracht . Er lebte mit der
Harmonia bis in ſein ſpaͤteſtes Alter . — Um
dieſem Paar eine Art von Unſterblichkeit zu geben ,
ſagt die Dichtung , daß beide zuletzt in Schlangen
verwandelt wurden .
Die Kinder des Kadmus , welche er mit der
Harmonia oder Hermione erzeugte , waren
Ino , Agave , Autonoe , Semele , und ein
Sohn Nahmens Polydorus . — Semele , die
Mutter des Bachus , deren ſchon oͤfter gedacht iſt ,
kam in Flammen um , weil ſie auf Anſtiften der
Juno , den thoͤrichten unwiderruflichen Wunſch
gethan hatte , ihren Liebhaber , den Donnergott ,
in ſeiner ganzen Majeſtaͤt zu ſehen .
Agave vermaͤhlte ſich mit dem Echion , ei-
nem der uͤbriggebliebnen von denen , die aus der
Saat der Drachenzaͤhne entſproſſen waren , wel-
cher den Pentheus mit ihr erzeugte . — Dieſer
Pentheus , welcher ſich ſpottend der Verehrung
des Bachus widerſetzte , und deſſen Prieſterinnen
verfolgte , wurde , wie ſchon gedacht iſt , von ſeiner
eignen Mutter und den uͤbrigen Bachantinnen , die
ihn fuͤr ein reißendes Thier anſahen , zerfleiſcht .
Die Ino verfolgte der Zorn der Juno , weil
ſie den jungen Bachus ſaͤugte . — Sie war mit
dem Athamas vermaͤhlt . — Dieſen ergriff eine
raſende Wuth , in welcher er ihren erſten Sohn
Learchus an einem Felſen zerſchmetterte ; und da
ſie mit ihrem juͤngſten Sohn Melicertes vor ihm
flohe , bis an eine Felſenſpitze am Meere ſie verfolgte .
Hier ſtuͤrzte Ino ſich mit ihrem Sohn herab , und
ward ſammt ihm von den Wellen emporgetra-
gen . — Beide wurden unter die Meergoͤtter auf-
genommen , — und Ino ward unter dem Nah-
men Leukothea verehrt .
Autonoe , die vierte Tochter des Kadmus ,
vermaͤhlte ſich mit dem Ariſtaͤus , der den Aktaͤon
mit ihr erzeugte , deſſen ſchon gedacht iſt , wie ihn
ſeine eignen Hunde zerriſſen , als Diana , die er
im Bade erblickte , um ſeinen Frevel zu ſtrafen ,
ihn in einen Hirſch verwandelt hatte .
Dieß ſind die Schickſale der Toͤchter des Kad-
mus , welche ein feindſeliges Verhaͤngniß und den
Haß der Juno , der auf ihres Vaters Hauſe ruhte ,
mehr oder weniger tragen mußten .
Kadmus ſelber begab ſich in ſeinem Alter nach
Illyrien , wo , nach der Fabel , ſeine Verwand-
lung vorging . — Die Herrſchaft uͤber Theben
uͤberließ er ſeinem Sohn , dem Polydor , welcher
den Labdakus erzeugte , der ihm wieder in der
Regierung folgte . Labdakus vermaͤhlte ſich mit
der Nykteis , einer Tochter des Nykteus , und
erzeugte mit ihr den Lajus , der noch minderjaͤhrig
war , als ſein Vater ſtarb , und an deſſen Stelle
Lykus , ein Bruder des Nykteus , uͤber Theben
herrſchte .
Antiope , eine Tochter des Nykteus , ward
vom Jupiter geliebt , von ihrem Vater aber ver-
ſtoßen ; ſie rettete ſich zum Epopeus , dem Koͤnige
von Sicyon , der ſich mit ihr vermaͤhlte . Lykus
aber , der dem ſterbenden Nykteus verſprochen
hatte , ihn an ſeiner Tochter zu raͤchen , erſchlug
den Epopeus , und fuͤhrte die Antiope gefangen
nach Theben , wo er ſie ſeiner Gemahlin Dirce
uͤbergab , von der ſie auf das grauſamſte mißhan-
delt wurde .
Antiope hatte vom Jupiter den Amphion
und Zethus gebohren , die heimlich erzogen
wurden . — Sobald ſie ein Mittel fand , zu
entrinnen , eilte ſie zu ihren Soͤhnen , und for-
derte ſie auf , die Schmach ihrer Mutter zu raͤ-
chen . — Amphion und Zethus drangen in The-
ben ein , erſchlugen den Lykus , verjagten den La-
jus , und banden die Dirce , welche ihre Mutter
ſo grauſam mißhandelt hatte , an die Hoͤrner eines
wilden Stiers , von dem ſie zerriſſen ward .
Amphion erbaute nun die Mauern von The-
ben , und ſchloß die Stadt mit ſieben Thoren
ein . — Die Ueberredungskunſt , womit Amphion
zu dieſem Werke die rohen Einwohner zu ermun-
tern wußte , huͤllt die Dichtung in die ſchoͤne Fabel
ein , daß er durch die Toͤne ſeiner Leyer die Stei-
ne ſelbſt bewegt habe , ſich zuſammenzufuͤgen , und
zu Mauern und Thuͤrmen ſich zu bilden .
Nach dem Tode des Amphion und Zethus
riefen die Thebaner den verjagten Lajus , des Lab-
dakus Sohn zuruͤck , und gaben ihm die Herrſchaft
wieder , worauf er mit der Jokaſte , der Schweſter
des Kreon , eines Thebaniſchen Fuͤrſten , ſich ver-
maͤhlte .
Oedipus .
Dem Lajus war geweißagt worden , daß ſein
Sohn ihn erſchlagen wuͤrde . — Als ihm daher
Jokaſte den Oedipus gebahr , ſo ließ er ihn in
einer wuͤſten Gegend ausſetzen . Der vertraute
Bediente , der dieß Geſchaͤft verrichtete , band das
Kind mit den Fuͤßen an einen Baum .
In dieſem Zuſtande fand es Phorbas , der
Aufſeher der Heerden des Koͤnigs Polybius , der
Korinth beherrſchte . Dieſer nahm das Kind ,
als es ihm Phorbas brachte , ſelbſt an Kindes ſtatt
an , und man gab ihm von ſeinen geſchwollnen
Fuͤßen , den Nahmen Oedipus .
Die Pflegeaͤltern des Oedipus verhehlten ſorg-
faͤltig vor ihm die Ungewißheit ſeiner Abkunft , ſo
daß er von Kindheit an , ſie fuͤr ſeine wahren El-
tern hielt , bis in ſeinen Juͤnglingsjahren einige
beunruhigende Zweifel ihn bewogen , das Orakel
des Apollo um Rath zu fragen .
Das Orakel beruͤhrte den eigentlichen Punkt
ſeiner Abkunft nicht , ſondern warnte ihn nur ,
vor der Ruͤckkehr in ſein Vaterland , weil er
daſelbſt ſeinen Vater toͤdten , und ſeine eigne
Mutter zum Weibe nehmen wuͤrde . —
Oedipus ſuchte ſeinem Schickſal zu entgehen ,
indem er ſich freiwillig von Korinth verbannte ,
das er noch immer fuͤr ſein Vaterland hielt . —
In dieſer Ruͤckſicht begab er ſich auf den Weg nach
Theben , und ging unwiſſend ſeinem Schickſal ent-
gegen .
Denn ſchon auf der Reiſe ſtieß er in einem
engen Wege auf den Lajus , dem er nicht auswei-
chen wollte , und daruͤber mit ihm und ſeinem Ge-
folge in einen Streit gerieth , wovon das Ende
war , daß Oedipus unwiſſend ſeinen eignen Vater
erſchlug , und auf die Weiſe ein Theil des Orakels
in Erfuͤllung ging .
Als Oedipus nach Theben kam , fand er die
Sphinx , ein von der Echidna gebohrnes , und
von der Juno geſandtes gefluͤgeltes Ungeheuer in
Loͤwengeſtalt und mit jungfraͤulichem Antlitz , die
Einwohner aͤngſtigend .
Auf einem Felſen nicht weit von Theben ſaß
die Sphinx , und gab den Vorbeigehenden ein
Raͤthſel auf : was fuͤr ein Thier am Morgen auf
vier , am Tage auf zwei , am Abend auf drei Fuͤßen
gehe ? Wer dieß Raͤthſel nicht errieth , den ſtuͤrzte
ſie von dem Felſen herab .
Oedipus kam und deutete das Raͤthſel : der
Menſch als Kind am fruͤheſten Morgen ſeines Le-
bens , waͤlze ſich auf Haͤnden und Fuͤßen fort ;
am langen Tage des Lebens , wo noch die Kraft
in ſeinen Gliedern wohnt , wandle er aufrecht auf
zwei Fuͤßen ; am Abend , wenn das Alter ihn
uͤberſchleicht , gehe er gebuͤckt am Stabe , und ſetze
auf die Weiſe den dritten Fuß ſich an .
Nun toͤdtete Oedipus die Sphinx , oder , nach
einer andern bedeutendern Sage , ſtuͤrzte ſie ſich
vom Felſen herab , ſobald er das Raͤthſel errathen
hatte . —
Da nun Lajus todt war , ohne daß man ſei-
nen Moͤrder wußte ; ſo hatte man demjenigen ,
der das Raͤthſel der Sphinx aufloͤſen , und von
dieſem Ungeheuer das Land befreien wuͤrde , ver-
heißen , daß die Koͤnigin ſich mit ihm vermaͤhlen ,
und ihm die Herrſchaft uͤber Theben zum Braut-
ſchatz bringen ſolle .
Dem Oedipus ward nun dieß von vielen Tau-
ſenden beneidete anſcheinende Gluͤck zu Theil , wo-
mit der ſchreckliche Orakelſpruch ganz und ohne
Schonung in Erfuͤllung ging ; indem er ſich mit
Jokaſten , der Koͤnigin , vermaͤhlte , nahm er
Z
unwiſſend ſeine eigne Mutter zum Weibe ,
nachdem er ſeinen Vater erſchlagen hatte .
Eine Weile Lebensgenuß verſtattete ihm noch
ſein feindſeliges Geſchick , indem es vor alle dieſe
Graͤuel einen Vorhang zog . Oedipus erzeugte
mit der Jokaſte zwei Soͤhne , Eteokles und
Polynices ; und zwei Toͤchter Antigone und
Ismene — eben ſo unwiſſend uͤber ſein eignes
Schickſal , als uͤber das kuͤnftige Schickſal ſeiner
Kinder .
Die Tage dieſer gluͤcklichen Unwiſſenheit ſoll-
ten nicht lange mehr dauern . Ueber Theben kam
eine verwuͤſtende Peſt . Oedipus ſelber that den
Vorſchlag , das Orakel zu befragen , ob etwa irgend
ein einzelner Mann den Zorn der Goͤtter auf ſich
geladen ? und ob das ganze Land vielleicht die
Schuld eines Einzelnen buͤßen muͤſſe ? —
Man folgte ſeinem Rath , und der furchtbare
Ausſpruch traf ihn ſelber . — Er ruhte nicht
nachzuforſchen , bis er die Wahrheit ans Licht
bringen , oder die Verlaͤumdung zu Schanden ma-
chen wuͤrde ; und mit jeder Nachforſchung entwi-
ckelte ſich immer klaͤrer die graͤßliche Geſchichte .
Als endlich nun kein Zweifel mehr uͤbrig war ,
und Oedipus mit ſchrecklicher Gewißheit , der
Blutſchande und des Vatermords ſich ſchuldig
fand , ſo vermochte er nicht laͤnger des Tages Glanz
zu tragen , und blendete ſich ſelber . — Die un-
gluͤckliche Jokaſte gab ſich mit dem Strange den
Tod . — Und Oedipus irrte , des Augenlichts be-
raubt , von ſeiner Tochter Antigone gefuͤhrt ,
beladen mit dem Haß der Goͤtter , bis an ſeinen
Tod im fremden Land’ umher .
Dem Oedipus folgten in der Regierung ſeine
beiden Soͤhne , Eteokles und Polynices , der-
geſtalt , daß beide abwechſelnd , ein Jahr um das
andre , die Herrſchaft fuͤhren ſollten . — Aber
auch dieſe traf das feindſelige Verhaͤngniß , das
auf Theben und den Nachkommen des Kadmus
ruhte .
Eteokles und Polynices .
Dieſe beiden wurden ein Opfer ihres Zwiſtes ,
der aus Neid und Herrſchſucht ſich entſpann . —
Eteokles trat die Regierung an . — Das erſte Jahr
verfloß , — und Eteokles , der einmal im Beſitz
war , weigerte ſich , dem Polynices auf das andre
Jahr die Herrſchaft abzutreten . —
Polynices ging aus Theben und begab ſich
zum Adraſtus , der uͤber Argos herrſchte . Die-
ſer nahm ihn guͤtig auf , verſprach ihm ſeinen Bei-
ſtand , und vermaͤhlte ihm ſeine Tochter . — Auch
Tydeus , des Oeneus Sohn , und Bruder des
Meleager , begab ſich um eben dieſe Zeit zum
Koͤnige Adraſtus , weil er aus Kalydon fluͤchten
mußte , und dieſem vermaͤhlte Adraſtus ſeine andre
Tochter .
Z 2
Um nun dem Polynices ſeinen Antheil an der
Herrſchaft uͤber Theben wieder zu verſchaffen ,
ſchickte Adraſtus erſt den Tydeus zum Eteokles , um
Unterhandlung mit ihm zu pflegen . Da aber die-
ſer , noch ehe er nach Theben kam , von einem Hin-
terhalt , den Eteokles ihm gelegt , verraͤthriſch uͤber-
fallen wurde , und nachdem er mit Muͤhe ſich geret-
tet hatte , mit der Nachricht von dieſer Verraͤtherei
nach Argos zuruͤckkehrte ; ſo ruͤſtete Adraſtus ſich
ſchleunig zum Kriege gegen den Eteokles .
Der Thebaniſche Krieg .
Zu der Unternehmung gegen Theben vereinigte
ſich Adraſtus mit ſeinen beiden Tochtermaͤnnern ,
dem Tydeus , und dem Polynices , um deſſent-
willen er den Krieg anhub . — Zu ihnen geſellte
ſich der tapfre Kapaneus aus Meſſene ; Hippo-
medon , ein Sohn der Schweſter des Adraſtus ;
und Parthenopaͤus , ein ſchoͤner und tapfrer
Juͤngling aus Arkadien , deſſen Mutter Atalanta
war .
Mit der Eriphyle , einer Schweſter des
Adraſtus , war Amphiaraus vermaͤhlt , den man
an dieſem Zuge Theil zu nehmen lange vergebens zu
uͤberreden ſich bemuͤhte , weil ſein Geiſt in die Zu-
kunft blickte , und nicht nur das Ungluͤck , das die
Belagrer von Theben treffen wuͤrde , vorausſahe ,
ſondern auch ſicher wußte , daß in dieſem Kriege
ihm ſein Tod bevorſtand .
Er verbarg daher den Ort ſeines Aufenthalts
vor dem Adraſt und Polynices , bis ſeine eigne
Gemahlin Eriphyle , durch ein koſtbares Halsge-
ſchmeide , das ihr Polynices ſchenkte , gewonnen ,
den Ort ſeines Aufenthalts entdeckte , und Am-
phiaraus nun wider Willen an dieſem Kriege Theil
zu nehmen , genoͤthigt wurde . Nun waren alſo
der Anfuͤhrer ſieben :
Adraſtus ;
Polynices ;
Tydeus ;
Amphiaraus ;
Kapaneus ;
Parthenopaͤus ;
Hippomedon .
Allein ſchon unterwegens auf ihrem Zuge ,
ereignete ſich ein tragiſcher Zufall . — Hypſipyle ,
deren in der Geſchichte der Argonauten ſchon ge-
dacht iſt , hatte nach der Abreiſe des Jaſon , von
dem ſie einen Sohn gebahr , vor den uͤbrigen Wei-
bern aus Lemnos fluͤchten muͤſſen , weil ſie ihrem
Vater Thoas das Leben gerettet . — Sie ward
am Ufer des Meers , wohin ſie ſich zu retten ſuchte ,
von Seeraͤubern gefangen , die ſie dem Lykurgus
verkauften , welcher ſie zur Saͤugamme ſeines Soh-
nes Archemorus machte .
Da nun das vereinte Heer durch das Gebiet
des Lykurgus zog ; ſo fanden ſie des Thoas koͤnig-
liche Tochter allein in einem Gehoͤlze , dem Kna-
ben Archemorus die Bruſt darreichend . — Sie
eilte , den vor Durſt verſchmachtenden Griechen ,
die ſie um Beiſtand flehten , eine Quelle zu zeigen ,
und ließ den Knaben Archemorus allein im Graſe
liegen .
Als nun Hypſipyle an den Ort , wo ſie ihren
Saͤugling ließ , zuruͤckkehrte , hatte dieſen waͤhrend
der Zeit eine Schlange getoͤdtet . Die Griechen ,
uͤber dieſe Begebenheit beſtuͤrzt und niedergeſchla-
gen , hielten dem Kinde ein praͤchtiges Leichenbe-
gaͤngniß , und ſtifteten ihm zu Ehren Spiele , wel-
che nachher zu beſtimmten Zeiten wiederhohle
wurden .
Nach dieſer vollbrachten Todtenfeier , ſetzte
das Kriegsheer ſeinen Zug fort , und kam vor
Theben an . Die ſieben Heerfuͤhrer theilten ſich ,
um die ſieben Thore von Theben mit ihren Haufen
zu beſetzen , und durch eine Belagrung die Stadt
zu zwingen .
Eteokles ſtellte einem jeden der Anfuͤhrer in
dem Heere des Adraſtus ſeinen Mann entgegen .
Dem Tydeus den Menalippus ; dem Kapaneus
den Polyphontes ; dem Hippomedon den Hy-
perbius ; dem Parthenopaͤus den Aktor ; dem
Amphiaraus den Laſthenes ; er ſelber ſtellte ſich
gegen den Polynices , ſeinen Bruder .
Und nun begann , indem die Belagerten einen
Ausfall thaten , das fuͤr Sieger und Beſiegte gleich
ungluͤckſeelige Treffen .
Hippomedon und Parthenopaͤus fielen ;
Kapaneus , der die Mauer erſtieg , wurde vom
Blitz getoͤdtet ; Tydeus vom Menalippus erſchla-
gen ; und Eteokles und Polynices kamen beide
im Zweikampf um ; den Amphiaraus verſchlang
die Erde ; nur Adraſtus entfloh auf ſeinem ſchnel-
len Roß Arion , deſſen ſchon bei den Erzeugungen
des Neptun gedacht iſt .
Die Regentſchaft in Theben fiel dem Kreon ,
dem Bruder der Jokaſte zu . — Dieſer befahl ,
den Leichnam des Eteokles mit allen Ehrenbezeu-
gungen zu begraben . — Den Koͤrper des Poly-
nices aber verbot er , bei Todesſtrafe , mit Erde
zu bedecken , und ließ ihn , ſo wie die uͤbrigen
Leichname der Gebliebnen von Adraſtus Heer , unter
freiem Himmel , den Voͤgeln zum Raube liegen .
Antigone , des Oedipus Tochter , und Schwe-
ſter des Polynices achtete Kreons Verbot , und die
Gefahr des Todes nicht , ſondern ſtahl ſich bei ei-
ner mondhellen Nacht vor die Stadt hinaus , wo
ihre Haͤnde ihres Bruders Leichnam mit Sand
bedeckten . — Als ſie fuͤr dieſe That lebendig ein
Raub des Grabes werden ſollte , kam ſie dem Ur-
theil ſchnell zuvor , und gab mit dem Strange ſich
ſelbſt den Tod .
Haͤmon , Kreons Sohn , welcher ſie zaͤrtlich
liebte , ſtieß verzweiflungsvoll ſein Schwerdt ſich
in die Bruſt , da er Antigonen , als ein Opfer
von ſeines Vaters Grauſamkeit , in ihrem Kerker
todt fand .
Haͤmons Mutter uͤberlebte den Verluſt ihres
Sohnes nicht ; und verwaißt ſtand nun Kreon
da , und klagte verzweiflungsvoll ſich ſelber und
ſein Verhaͤngniß an .
Adraſtus hatte indeß den Theſeus um Bei-
ſtand angefleht , und dieſer kam vor Theben , ſchlug
die Thebaner , und zwang ſie , die Leichname der Ge-
bliebnen von des Adraſtus Heere zum Begraͤbniß
auszuliefern .
Alle die Ungluͤcksfaͤlle , womit dieſer Krieg
begleitet war , hatten dennoch nicht die Erbittrung
ausgeloͤſcht , welche zehn Jahre nachher bei den
Soͤhnen der Erſchlagnen zu einem zweiten Kriege
ausbrach , der , weil ihn die Nachkommen der
vorigen Feldherren fuͤhrten , der Krieg der Epi-
gonen hieß .
Ein Sohn des Eteokles war Laodamas , der
nach dem Kreon uͤber Theben herrſchte . — Ther-
ſander , des Polynices Sohn , unterſtuͤtzt von
den Soͤhnen der erſchlagnen Feldherren , und dem
Aegialeus , des Adraſtus Sohn , ruͤckte aufs neue
vor Theben , beſiegte den Laodamas und bemaͤchtigte
ſich nun der Herrſchaft wieder , die ſeinem Vater
Polynices unrechtmaͤßig entriſſen war . — Laoda-
mas aber entflohe nach Illyrien , dem alten Zu-
fluchtsorte des Kadmus , als er Theben verließ .
In dieſem Kriege blieb von den Anfuͤhrern nur
Aegialeus , deſſen Vater Adraſtus in dem erſten
Thebaniſchen Kriege nur allein ſich rettete , da alle
uͤbrigen Feldherren fielen .
Nach einem antiken geſchnittnen Stein aus
der Stoſchiſchen Sammlung , einem der ſeltenſten
und ſchaͤtzbarſten Denkmaͤler aus dem ganzen Alter-
thum , befindet ſich auf der hier beigefuͤgten Kup-
fertafel eine Abbildung der Helden , welche in dem
erſten Thebaniſchen Kriege , vom Adraſtus ange-
fuͤhrt , Theben belagerten .
Von den ſieben Helden ſind nur fuͤnfe darge-
ſtellt , deren Namen auf dem alten Denkmale ſelbſt
mit eingegraben ſind , wo ſowohl die Schrift als die
Zeichnung der Figuren das hohe Alterthum des
Werks beweißt . — Die Helden ſind :
Adraſtus ;
Tydeus ;
Polynices ;
Amphiaraus ;
Parthenopaͤus .
Sie ſcheinen nach einem erlittnen Verluſt aufs
neue ſich zu berathſchlagen . In der Mitte ſitzt
Amphiaraus , ſeinen Tod , und den Tod der
uͤbrigen vorausſehend , mit niedergeſchlagnem
Blick . — Ihm gegenuͤber Polynices in Nach-
denken und Traurigkeit verſenkt , den Kopf auf
die Hand geſtuͤtzt . — Neben dem Amphiaraus
ſitzt Parthenopaͤus , und ſchlaͤgt in ruhiger uͤber-
legender Stellung die Haͤnde um das Knie zuſam-
men . —
Adraſtus iſt aufgeſtanden und ſcheint , mit
Schild und Lanze bewafnet , entſchloſſen wieder
ins Treffen zu eilen . — Tydeus folgt ihm ,
ebenfalls bewafnet , allein mit weniger Muth und
niedergeſchlagnem Blick . Vom Polynices mit
dem Kopf auf die Hand geſtuͤtzt , bis zum Adra-
ſtus , der entſchloſſen ins Treffen eilt , iſt gleich-
ſam eine Stuffenfolge der innern Gemuͤthsbewe-
gungen auf dieſem alten Kunſtwerke ausgedruͤckt . —
Auf eben dieſer Tafel iſt nach einer antiken Gem-
me Oedipus dargeſtellt , wie er im Begriff iſt ,
die Sphinx zu toͤdten .
Die Pelopiden .
Pelops , ein Sohn des Tantalus , der von
den Goͤttern erhoͤhet und geſtuͤrzt ward , kam nach
Griechenland zum Koͤnige von Piſa , Oeno-
maus , der ihn gaſtfreundlich aufnahm . — Pe-
lops warb um die ſchoͤne Hippodamia , des Koͤ-
nigs Tochter . Allein dem Oenomaus war ge-
weißagt worden , daß ſein Eidam ihn toͤdten wuͤr-
de . — Ein jeder , der um Hippodamien warb ,
mußte daher mit ihm zu Wagen einen Wettlauf
halten , und wen er , ehe ſie ans Ziel kamen er-
reichen konnte , der ward von ihm mit dem
Schwerdt getoͤdtet .
Pelops wußte den Myrtilus , des Oeno-
maus edlen Wagenlenker durch lockende Verſpre-
chungen zu bewegen , den Wagen des Oenomaus
dergeſtalt einzurichten , daß er mitten im Lauf
nothwendig zertruͤmmern mußte . Der Koͤnig
ſtuͤrzte , und verlohr ſein Leben . — Pelops ver-
maͤhlte ſich mit Hippodamien , und weil er dem
Myrtilus ſein Verſprechen nicht halten wollte ,
ſo ſtuͤrzte er auch dieſen , ehe er es ſich verſahe , von
einem Fels ins Meer , welches nachher von ihm
das Myrtoiſche hieß .
Allein nach dieſer That , traf ſchnell ein Un-
gluͤck nach dem andern des Pelops Haus ; obgleich
ſeine Macht ſich ſtets vergroͤßerte , und man die
ganze Halbinſel von Griechenland , worin er ſo
viel beherrſchte , nach ſeinem Nahmen Pelopo-
neſus nannte .
Mit der Hippodamia erzeugte Pelops den
Atreus und Thyeſt . Dieſe brachten ihren Bru-
der Chryſippus , welchen Pelops mit der Aſtyo-
che erzeugte , ums Leben , weil ſie des Vaters
Liebe zu ihm nicht dulden konnten . Hippodamia ,
welche Pelops fuͤr die Stifterin dieſes Mordes
hielt , gab ſich ſelber den Tod . Thyeſt und Atreus
fluͤchteten .
Atreus begab ſich nach Mycene zum Eurys-
theus , der ſeine Tochter Aerope mit ihm ver-
maͤhlte , und nach deſſen Tode er uͤber Mycene
herrſchte . — Thyeſt war ihm dahin gefolgt , und
nahm am Gluͤck des Atreus Theil ; — allein er ent-
ehrte bald ſeines Bruders Bette , indem er mit der
Aerope , des Atreus Gattin , zwei Soͤhne erzeugte .
Als Atreus die Frevelthat erfuhr , verjagte
er den Thyeſt mit den von ihm erzeugten Soͤhnen
aus dem Reiche . Thyeſt auf Rache ſinnend , hatte
ſeinem Bruder einen Sohn entwandt , welchen er
als den ſeinigen auferzog , und nachdem er mit
Haß und Wuth gegen den Atreus ſeine Seele er-
fuͤllt hatte , ihn abſchickte , um den ſchrecklichſten
Mord unwiſſend zu begehen .
Unter den grauſamſten Martern ließ Atreus
den Juͤngling hinrichten , deſſen Verſuch man ent-
deckt hatte , und erfuhr zu ſpaͤt , daß er ſtatt ſeines
Bruders Sohn den eignen getoͤdtet habe . Ver-
ſtellt , und auf noch hoͤhere Rache ſinnend , verſoͤhnte
ſich Atreus zum Schein mit ſeinem Bruder ; ſchlach-
tete deſſen beide Soͤhne , und tiſchte das Fleiſch dem
Thyeſtes auf , welchem er nach genoßnem Mahle
Haupt und Haͤnde entgegen warf . Die Sonne ,
ſagt die Dichtung , wandte ſchnell ihren Lauf zuruͤck ,
um dieſe Scene nicht zu beleuchten .
Ein neuer Dichter laͤßt Iphigenien , die auch
aus des Pelops Hauſe und Dianens Prieſterin
war , dem Koͤnige Thoas in Tauris , dieſe Graͤuel
erzaͤhlen :
Schon Pelops , der gewaltig wollende ,
Des Tantalus geliebter Sohn , erwarb
Sich durch Verrath und Mord das ſchoͤnſte Weib ,
Des Oenomaus Tochter , Hippodamien .
Sie bringt den Wuͤnſchen des Gemahls zwei Soͤhne ,
Thyeſt und Atreus . — Neidiſch ſehen ſie
Des Vaters Liebe zu dem erſten Sohn
Aus einem andern Bette , wachſend an .
Der Haß verbindet ſie , und heimlich wagt
Das Paar im Brudermord die erſte That .
Der Vater waͤhnet Hippodamien ,
Die Moͤrderin , und grimmig fordert er
Von ihr den Sohn zuruͤck , und ſie entleibt
Sich ſelbſt —
— — — — — — —
— — — Nach ihres Vaters Tode ,
Gebieten Atreus und Thyeſt der Stadt
Gemeinſam herrſchend . Lange konnte nicht
Die Eintracht dauern . Bald entehrt Thyeſt
Des Bruders Bette . Raͤchend treibet Atreus
Ihn aus dem Reiche . Moͤrdriſch hatte ſchon
Thyeſt auf ſchwere Thaten ſinnend , lange
Dem Bruder einen Sohn entwandt , und heimlich
Ihn als den ſeinen ſchmeichelnd auferzogen .
Dem fuͤllet er die Bruſt mit Wuth und Rache ,
Und ſendet ihn zur Koͤnigsſtadt , daß er
Im Oheim ſeinen eignen Vater morde .
Des Juͤnglings Vorſatz wird entdeckt ; der Koͤnig
Straft grauſam den geſandten Moͤrder , waͤhnend ,
Er toͤdte ſeines Bruders Sohn . Zu ſpaͤt
Erfaͤhrt er , wer vor ſeinen trnnknen trunknen Augen
Gemartert ſtirbt ; und die Begier der Rache
Aus ſeiner Bruſt zu tilgen , ſinnt er ſtill
Auf unerhoͤrte That . Er ſcheint gelaſſen ,
Gleichguͤltig und verſoͤhnt , und lockt den Bruder
Mit ſeinen beiden Soͤhnen in das Reich
Zuruͤck , ergreift die Knaben , ſchlachtet ſie ,
Und ſetzt die eckle ſchaudervolle Speiſe
Dem Vater bei dem erſten Mahle vor .
Und da Thyeſt von ſeinem Fleiſche ſich
Geſaͤttigt , eine Wehmuth ihn ergreift ,
Er nach den Kindern fragt , den Tritt , die Stimme
Der Knaben an des Saales Thuͤre ſchon
Zu hoͤren glaubt , wirft Atreus grinſend ,
Ihm Haupt und Fuͤße der Erſchlagnen hin .
— — — — — — — —
Es wendete die Sonn’ ihr Antlitz weg ,
Und ihren Wagen aus dem ewgen Gleiſe — —
Goͤthens Iphigenie
Thyeſtes erzeugte in Blutſchande mit ſeiner
eignen Tochter Pelopia den Aegiſthus , der , als
er erwachſen war , den Atreus toͤdtete , und deſſen
Soͤhne Agamemnon und Menelaus verjagte ,
worauf Thyeſtes den Thron beſtieg .
Die vertriebnen Soͤhne des Atreus vermaͤhlten
ſich mit den Toͤchtern des Tyndarus ; Agamem-
non mit der Klytemneſtra , und mit der Helena
Menelaus . Sie raͤchten des Atreus Tod ; ver-
jagten den Thyeſtes ; und Agamemnon erhielt ſei-
nes Vaters Reich , und herrſchte zu Mycene , wo
er mit der Klytemneſtra die Iphigenie , Elektra ,
und den Oreſt erzeugte ; Menelaus folgte dem
Tyndarus in der Herrſchaft uͤber Sparta .
Als Agamemnon nun das Heer der Griechen
gegen die Trojaner anfuͤhrte , verſoͤhnte er ſich
mit dem Aegiſthus ; verzieh ihm ſeines Vaters
Tod , und vertraute ſogar die Sorge fuͤr Klytem-
neſtra , und fuͤr ſein Haus ihm an . — Aegiſthus
aber mißbrauchte dieß Vertrauen ; verleitete die
Klytemneſtra zur Untreue gegen den Agamemnon ;
und als dieſer nach der Eroberung von Troja wie-
der in ſeine Heimath kehrte , ward er vom Aegis-
thus und ſeinem eignen Weibe mitten unter dem
Gaſtmahl ermordet , das man bei ſeiner Ankunft ,
dem Scheine nach , ihm zu Ehren mit erdichteter
Freude anſtellte .
Von den Kindern des Agamemnon war Iphi-
genie ſchon bei der Fahrt nach Troja , wo ſie fuͤr
Griechenlands Wohl geopfert werden ſollte , von
Dianen nach Tauris entruͤckt . — Oreſtes wurde
von ſeiner Schweſter Elektra erhalten , die ihn
heimlich zu dem mit der Schweſter des Agamem-
non vermaͤhlten Koͤnige Strophius ſchickte , wel-
cher zu Phocis herrſchte , und mit deſſen Sohn
Pylades Oreſtes ein unzertrennliches Freund-
ſchaftsbuͤndniß knuͤpfte . — Nur Elektra blieb
zu Hauſe den Mißhandlungen ihrer entarteten
Mutter ausgeſetzt .
Klytemneſtra vermaͤhlte ſich nun ohne Scheu
mit dem Aegiſthus , und ſetzte ihm ſelber die
Krone auf , die er behauptete , bis Oreſtes in Be-
gleitung des Pylades kam , um ſeines Vaters Tod
zu raͤchen . Sie ſtreuten ein falſches Geruͤcht vom
Tode des Oreſtes aus , woruͤber Aegiſthus und
Klytemneſtra vor Freude außer ſich , ihr ſchwarzes
Verhaͤngniß nicht ahndeten .
Oreſt erſchlug mit eigner Hand ſeine Mut-
ter und den Aegiſth , die Moͤrder ſeines Vaters .
Weil er aber ſeine Mutter getoͤdtet hatte , ward
er von den Furien verfolgt umhergetrieben , und
keine Ausſoͤhnung vermochte , das Andenken dieſer
That bei ihm auszuloͤſchen , bis ein Orakelſpruch
des Apollo ihm Befreiung von ſeiner Qual ver-
hieß , wenn er nach Tauris gehen , und die Bild-
faͤule der Diana von dort nach Griechenland ent-
fuͤhren wuͤrde .
Oreſt begab ſich mit ſeinem getreuen Pylades
auf die Reiſe , und als ſie in Tauris anlangten ,
ſollten ſie beide oder einer von ihnen nach dem al-
ten barbariſchen Gebrauch , der alle Fremden traf ,
der Goͤttin geopfert werden . Hier war es , wo
jeder der beiden Freunde großmuͤthig ſein Leben fuͤr
den andern darbot .
Oreſtes aber gab ſich ſeiner Schweſter Iphi-
genie , der Prieſterin Dianens zu erkennen , und
dieſe fand ein Mittel , die Bildſaͤule der Diana
auf ihres Bruders Schiff zu bringen , und mit ihm
und ſeinem treuen Freunde nach Griechenland zu
entfliehen . Der Orakelſpruch des Apollo wurde
erfuͤllt ; Oreſtes ward von den quaͤlenden Furien
befreit , und herrſchte ruhig zu Mycene ; der Zorn
der Goͤtter uͤber Pelops Haus ſchien endlich zu er-
muͤden .
Der neue Dichter der Iphigenie auf Tauris
gibt der alten Dichtung eine feine Wendung . Er
laͤßt den Orakelſpruch des Apollo , dem Oreſtes
Ruhe verheißen , wenn er die Schweſter , die
wider Willen im Heiligthum zu Tauris bliebe ,
nach Griechenland bringen wuͤrde . Dieß
mußte Oreſt nothwendig auf Dianen , die Schwe-
ſter des Apollo deuten , weil er von dem Aufent-
halt ſeiner eignen Schweſter in Tauris noch nichts
A a
wußte . Nach dieſem Ausſpruch durfte Iphigenie
die Bildſaͤule der Diana nicht entwenden , und
keinen Verrath an ihrem Wohlthaͤter dem Koͤnige
Thoas begehen , von dem ſie großmuͤthig entlaſ-
ſen wird .
Troja .
Außerhalb Griechenland war Troja der vorzuͤg-
lichſte Schauplatz der tragiſchen Begebenheiten ,
welche in Geſaͤngen der Nachwelt uͤberliefert , und
auf der Schaubuͤhne dargeſtellt , in immerwaͤhren-
dem Andenken ſich erhielten . — Vom unerbittli-
chen Fatum ſelber war die Zerſtoͤrung von Troja
einmal beſchloſſen ; zu ihrem Untergang mußte ſich
alles fuͤgen ; und Goͤtter und Menſchen vermoch-
ten nichts gegen den Schluß des Schickſals .
Als Eris , bei der Vermaͤhlung des Peleus
mit der Thetis , in das hochzeitliche Gemach , wo
alle Goͤtter und Goͤttinnen verſamlet waren , den
goldnen Apfel mit der Inſchrift warf , die ihn der
Schoͤnſten zutheilte , ſo wurden Juno , Venus ,
und Minerva , unter allen Goͤttinnen , um den
Preis der Schoͤnheit zu wetteifern , einſtimmig
am wuͤrdigſten erkannt .
Ein unbefangner Hirt , der auf dem Ida
weidete , ſollte den Ausſpruch thun . Dieſer Hirt
war Paris , ein Sohn des Priamus , der uͤber
Troja herrſchte . Als die Goͤttinnen vor ihm er-
ſchienen , und den entſcheidenden Ausſpruch von
ihm verlangten , mußten ſie ſich entkleiden ; —
eine jede von ihnen verſprach ihm heimlich eine
Belohnung , wenn er den Apfel ihr zutheilte ; Juno
verſprach ihm Macht und Reichthuͤmer , Minerva
Weisheit , Venus das ſchoͤnſte Weib auf Er-
den , — und Paris theilte den goldnen Apfel der
Venus zu .
Von dieſer Zeit an hegten Juno und Minerva
nicht nur gegen den Paris , ſondern gegen das
ganze Haus des Priamus einen tiefen Groll im
Buſen ; waͤhrend daß Venus darauf dachte , ihr
Verſprechen dem Paris zu erfuͤllen .
Das ſchoͤnſte Weib auf Erden war Helena ,
welche Jupiter in der Geſtalt des Schwans mit
der Leda erzeugte ; die vom Theſeus in ihrer Kind-
heit ſchon einmal entfuͤhrt , von ihren Bruͤdern
Kaſtor und Pollux aber wieder nach Sparta zu-
ruͤckgebracht ward , wo ſie mit dem Menelaus des
Agamemnons Bruder ſich vermaͤhlte .
Paris ſchifte nach Griechenland , und ward
vom Menelaus gaſtfreundlich aufgenommen ; waͤh-
rend deſſen Abweſenheit es durch die Veranſtal-
tung der Venus ihm gelang , die Helena zu entfuͤh-
ren . Als er nach Troja zuruͤckſegelte , und die Win-
de ſchwiegen , prophezeihte der wahrſagende Meer-
gott Nereus ihm alles Ungluͤck , was fuͤr Troja
A a 2
aus dieſer Entfuͤhrung erwachſen wuͤrde ; und
nicht lange blieb die Erfuͤllung aus .
Ganz Griechenland nahm an dem Schickſal
des Menelaus Theil . Gegen den Paris waren
alle Gemuͤther wegen der Verletzung des heiligen
Gaſtrechts aufgebracht ; auch hielt man die Schoͤn-
heit ſelber fuͤr wichtig genug , um ihren Raub als
den Raub von etwas Koſtbarem zu betrachten , das
man der Muͤhe wohl werth achtete , um es den
Haͤnden der Barbaren mit Kriegesmacht wieder zu
entreißen .
Als eine Geſandſchaft an den Priamus , die
Helena vergeblich zuruͤckgefordert hatte , verbanden
ſich die Fuͤrſten Griechenlands mit einem Schwur
zum Kriege gegen Troja , und theilten dem Aga-
memnon , welcher der maͤchtigſte unter ihnen war ,
den Oberbefehl im Heere zu . Ein jeder ruͤſtete
Schiffe aus , und in dem Hafen von Aulis ver-
ſammlete ſich die griechiſche Flotte . Die vornehm-
ſten Anfuͤhrer in dieſem Kriege , deren faſt aller
ſchon gedacht iſt , waren :
Agamemnon ;
Menelaus ;
Neſtor ;
Diomedes , des Tydeus Sohn :
Ajax , der Sohn des Telamon ;
Ulyſſes ;
Achilles , Peleus Sohn ;
Patroklus , des Menoͤtius Sohn ;
Podalirius ,
Machaon ,
Soͤhne des Aeſkulap ;
Philoktet , der letzte Gefaͤhrte des Herkules .
Sthenelus , des Kapaneus Sohn ;
Therſander , des Polynices Sohn ;
Idomeneus , des Minos Enkel .
Als nun das ganze Heer in Aulis verſammlet
war , zuͤrnte Diana auf den Agamemnon , weil
er einen ihr geweihten Hirſch getoͤdtet hatte . —
Man harrte lange vergebens , und es erhub ſich
kein guͤnſtiger Wind , mit dem die Flotte auslau-
fen konnte . Diana forderte durch den Mund
des Prieſters die Tochter des Agamemnon ſelbſt
zum Verſoͤhnungsopfer . Iphigenie wurde , beglei-
tet von ihrer Mutter , zum Altar gefuͤhrt ; und ſchon
war der Opferſtahl gezuͤckt , als Diana in einer
Wolke Iphigenien nach Tauris in ihr Heiligthum
entruͤckte ; ſtatt der verſchwundnen Iphigenie aber
ſtand ein Reh zum Opfer am Altar .
Diana war nun verſoͤhnt ; die Flotte ſegelte
nach Troja ab ; und Ilium die eigentliche Stadt
oder Burg des Koͤnigreichs Troja ward belagert . —
Neun Jahr lang hatte , nach der Vorausſagung
des wahrſagenden Prieſters Kalchas , die Belag-
rung ſchon gewaͤhrt , als erſt im zehnten das Ver-
haͤngniß von Troja naͤher ruͤckte .
Die hohen himmliſchen Goͤtter alle nahmen
an dieſem Kriege Theil : Jupiter hielt des Schick-
ſals Wage . Auf der Seite der Griechen ſtanden
Juno , Minerva , Neptun , Vulkan , Merkur ;
auf der Trojaner Seite , Venus , Apoll , Diana ,
und Latona . Mars , als der Gott des Krieges
ſelber , ging von einem Heere zum andern , von
den Griechen zu den Trojanern uͤber .
Wie nun die Goͤtter an dieſem Kriege Theil
nehmen ; von Sterblichen verwundet werden ; ſich
ſelber in dem Treffen der Griechen und Trojaner
einander zum Streit auffordern ; und wie die Goͤt-
tergeſtalten in ihren Zuͤgen ſich unterſcheiden ; dieß
alles iſt in dem Abſchnitt : die menſchenaͤhnli-
che Bildung der Goͤtter , ſchon erwaͤhnt , und
auf die Weiſe ein großer Theil der Geſchichte des
Trojaniſchen Krieges in jene Schilderung ſchon
vorlaͤufig eingewebt .
Was nun im zehnten Jahr der Belagrung die
Erobrung von Troja verzoͤgerte , war der Zorn
des Achilles , der mit dem Agamemnon ſich ent-
zweite , und eine Zeitlang am Kriege keinen Theil
nahm . — Als nehmlich Agamemnon ſich weigerte ,
die gefangne zur Beute ihm zugefallne Chryſeis ,
ihrem Vater , einem Prieſter des Apollo , gegen ein
Loͤſegeld , auf ſein Bitten , zuruͤckzugeben ; ſo hoͤrte
Apollo das Flehen des verwaißten Vaters , und
ſandte zuͤrnend ſeine Pfeile in das Lager der Grie-
chen , daß eine Peſt entſtand , welche verheerend
um ſich greifend , zahlloſes Volk hinrafte .
Durch den Mund des Prieſters Kalchas
ward es offenbar , durch weſſen Schuld die Grie-
chen leiden mußten . Als Agamemnon nun die
Chryſeis zuruͤckzuſenden ſich laͤnger nicht weigern
konnte , verlangte er , daß die Griechen ihn fuͤr
den Verluſt ſeiner Beute ſchadlos hielten . Da
ſchalt Achill ihn ſeines Solzes , und ſeines Eigen-
nutzes wegen ; und als ihm Agamemnon drohte ,
war er ſchon im Begriff gegen ihn das Schwerdt
zu zuͤcken , haͤtte nicht an den gelben Locken Mi-
nerva ſelbſt ihn zuruͤckgehalten .
Agamemnon aber , der auf die Schadloßhal-
tung um deſto mehr beſtand , ließ , um ſich zu raͤchen ,
die ſchoͤne Briſeis aus dem Zelte des Achilles in das
ſeinige hohlen . — Da flehte Achill am einſamen Ufer
des Meeres ſeine Mutter Thetis an , ſie moͤchte
den Jupiter bewegen , von nun an den Trojanern
beizuſtehn , damit die Griechen ihn vermiſſen , und
ſeinen Zorn empfinden moͤchten .
Jupiter gewaͤhrte der Thetis Bitte , und gab
den Trojanern Sieg , an deren Spitze Hektor ,
der Sohn des Priamus fochte , und ſich unſterbli-
chen Ruhm erwarb . Vergebens ſuchten nun die
Griechen den Achill wieder zu verſoͤhnen . Sein
Sinn blieb unbeweglich . Bis endlich die Troja-
ner ſoweit vordrangen , daß ſie Feuer in die grie-
chiſchen Schiffe warfen ; da gab Achilles ſeinem
Buſenfreunde , dem Patroklus , ſeine Ruͤſtung ,
und ſchickte ihn ſtatt ſeiner mit einem Haufen ,
den Griechen beizuſtehn .
Des Patroklus Fall war ſchon beſchloſſen ; al-
lein vorher erwarb er ſich noch glaͤnzenden Ruhm ;
Sarpedon , Jupiters Erzeugter , und viel andre
tapfre Helden fielen vor ſeinem Schwerdte . — Als
aber ſein Verhaͤngniß nahte , ſo ſtand in Nacht
gehuͤllt , Apollo dicht hinter ihm . — Auf Nacken
und Schultern ſchlug er ihn mit der flachen Hand ,
daß ſich ſein Auge verdunkelte ; er warf ſeinen
Helm ihm vom Haupte , daß er unter den Fuͤßen
der Pferde rollte ; in ſeiner Hand zerbrach er den
ſchweren ehernen Spieß , und loͤßte ihm ſelber den
Panzer auf . — Patroklus ſtand betaͤubt mit wan-
kendem Knie ; Hektor gab ihm den toͤdtlichen
Stoß . Die Seele des Patroklus ſtieg zum Orkus ,
und trauerte uͤber ihr Schickſal , weil ſie die
jugendliche Kraft zuruͤckließ .
Als nun Achilles des Patroklus Tod vernahm ,
ſo ſchwand auf einmal ſein Zorn dahin . — Jam-
mernd und wehklagend um den Todten , fand ihn
ſeine Mutter , die aus der Tiefe des Meeres em-
porſtieg . Ob dieſe ihm gleich verkuͤndigte , daß
nach des Hektors Tode ſein Fall beſchloſſen ſey ,
ſo ſchwur er dennoch des Freundes Tod zu raͤchen ,
gleichviel , was ihn fuͤr ein Schickſal treffen moͤge !
Als Thetis ihn feſt entſchloſſen ſahe , ſuchte ſie ihn
die uͤbrigen kurzen Tage zu troͤſten und aufzuhei-
tern ; verſprach und brachte ihm eine koſtbare
Waffenruͤſtung vom Vulkan geſchmiedet , womit
Achill ins Treffen ging , nachdem ſich Agamemnon
wieder mit ihm verſoͤhnt , und ihm die Briſeis
unberuͤhrt zuruͤckgegeben hatte .
Nun eilte auch der Zeitpunkt heran , wo Hektor
fallen , ſein alter Vater Priamus und ſeine Mut-
ter Hekuba um ihn jammern , und ſeine Gattin
Andromache mit lauter Wehklage ihn betrauren
ſollte . — Das Heer der Trojaner fluͤchtete in die
Stadt ; Hektor blieb allein zuruͤck , um mit dem
Achill den Kampf im Felde zu beſtehen ; als dieſer
ihm aber nahe kam , und die goͤttliche Waffenruͤ-
ſtung dem Hektor in die Augen blitzte , ergriff ihn
ploͤtzliches Schrecken ; — er nahm die Flucht , und
dreimal jagte Achill ihn um die Mauern von Troja ;
ſo lange hatte Apoll dem Hektor ſein Knie geſtaͤrkt ;
als zum viertenmale der Lauf begann , nahm Ju-
piter die Wagſchale in die Hand , und legte zwei
todbringende Looſe darauf , das eine des Hektors ,
das andre des Achilles , und Hektors Schale ſank
bis zum Orkus nieder . — Da verließ ihn Apollo .
Die beiden Helden fochten ; Hektor fiel ; und
Achilles band ihn mit den Fuͤßen an ſeinen Wagen ,
und ſchleifte ihn im Staube um die Mauern von
Troja , daß Hekuba heulend ihr Haar zerraufte ,
und der alte Priamus flehend ſeine Haͤnde aus-
ſtreckte .
Das Leichenbegaͤngniß des Patroklus wurde
nun mit oͤffentlichen Kampfſpielen im Lager der
Griechen gefeiert , waͤhrend daß Hektors Leichnam
unbegraben lag . Allein in naͤchtlicher Stille vom
Merkur geleitet , kam der Greis Priamus ſelber
in des Achilles Zelt , umfaßte deſſen Knie , und
flehte ihn um den Leichnam ſeines Sohnes .
Die Goͤtter hatten ſchon des Achilles Herz er-
weicht ; er dachte an ſeinen alten Vater Peleus ,
der auch nun bald den Tod ſeines Sohnes betrau-
ern wuͤrde , und gewaͤhrte dem Priamus ſeiner
Bitte , der mit dem Leichnam Hektors ſchnell nach
Troja eilte , und ihm mit allem Volke die Todten-
feier hielt .
Auch war das Verhaͤngniß des Achilles nun
nicht mehr weit entfernt ; nachdem er noch einige
ruhmvolle Thaten vollbracht , traf vom Apollo
gelenkt , des Paris toͤdtlicher Pfeil ihm in die
Ferſe , wo er allein verwundbar war . Um ſeine
Waffen entſtand ein trauriger Streit ; die Grie-
chen ſprachen ſie dem Ulyſſes zu ; woruͤber Ajax ,
welcher nach dem Achill der tapferſte unter den
Griechen war , aus Mißmuth ſich ſelbſt ent-
leibte .
Paris ward bald nachher vom Philoktet mit
einem der Pfeile getoͤdtet , die in das Blut der
Lernaͤiſchen Schlange getaucht , vom Herkules
ihm hinterlaſſen waren . Auch war der Fall von
Troja nun beſchloſſen , das nach ſo viel Blutver-
gießen , dennoch am Ende nicht mit Macht , ſon-
dern mit Liſt erobert werden mußte .
Auf den Rath des Ulyſſes wurde nehmlich
ein ungeheuer großes hoͤlzernes Pferd gebaut ,
in deſſen Bauch die Helden ſich verſteckten , waͤh-
rend daß das Heer der Griechen ſich auf die
Schiffe begab , und die Kuͤſte von Troja zum
Schein verließ . — Nur Sinon blieb zuruͤck , und
ſtellte ſich als ein Fluͤchtling , der von den Grie-
chen verfolgt , bei den Trojanern um Schutz und
Huͤlfe flehte , und gleichſam wie ein Geheimniß
ihnen entdeckte , daß das hoͤlzerne Pferd erbaut
ſey , um die Minerva zu verſoͤhnen , weil die
Griechen das Palladium , eine Bildſaͤule dieſer
Goͤttin , welche das Unterpfand des Reichs war ,
aus Troja entwendet hatten . — Hierzu kam noch ,
daß der Prieſter Laokoon , der vor dem Pferde
warnte , und mit dem Spieß in deſſen Seite fuhr ,
von zwei großen Schlangen , die uͤbers Meer ka-
men , mit ſeinen Soͤhnen umwunden , und ge-
toͤdtet ward .
Nach dieſer ſchrecklichen Begebenheit blieb an
Sinons Ausſage kein Zweifel uͤbrig ; man eilte
in vollem Jubel dieß neue Unterpfand der Wohl-
fahrt des Reichs in die Stadt zu bringen ; Kna-
ben und junge Maͤdchen freuten ſich , mit an das
Seil zu faſſen ; man riß einen Theil der Mauern
nieder ; das Pferd ſtand mitten in Ilium . —
Man frohlockte bis tief in die Nacht , und
alles war zuletzt vom Taumel der Freude berauſcht ,
entſchlummert ; als Sinon an des hoͤlzernen Pfer-
des Bauch die Leiter ſetzte , die Thuͤr ſich oͤfnete ,
und die Helden leiſe hinunterſtiegen .
In der Naͤhe ſtand ſchon das griechiſche Heer ;
das Zeichen mit der angezuͤndeten Fackel ward ge-
geben ; durch die niedergerißne Mauer drang man
in die Stadt ; und waͤhrend noch der Schlummer
die Augenlieder ſeiner Einwohner deckte , war Troja
ſchon ein Raub der Flammen . An ſeinem Haus-
altare ward der Greis Priamus vom Pyrrhus
getoͤdtet ; Hekuba und Andromache , und die Toͤch-
ter des Priamus wurden gefangen hinwegge-
fuͤhrt . — Die Herrlichkeit von Troja war in
Schutt und Aſche verſunken .
Doch mußten die Griechen auch bei ihrer
Ruͤckkehr noch fuͤr ihren theuer erkauften Sieg
mit mancherlei Ungluͤcksfaͤllen buͤßen . Am mei-
ſten unter allen Ulyſſes , der zehn Jahre umher-
irrte , ehe er ſeine geliebte Heimath wieder erblickte .
Mit Gefahr und Liſt entkam er dem Cyklopen
Polyphem , der , nach ſeinen Gefaͤhrten , auch
ihn zu verſchlingen drohte . Aus dem ſtillen truͤ-
geriſchen Hafen der menſchenfreſſenden Laͤſtrygo-
nen , eines Rieſenvolkes , entrann er nur mit
einem einzigen Schiffe , womit er auf der Inſel
der maͤchtigen Circe landete , und ohne von ihrem
Zaubertranke beſiegt zu werden , ein Jahr bei ihr
verweilte . Dann ſtieg er ins Reich der Schatten ;
ſchiffte , an den Maſtbaum gebunden , nachdem er
die Ohren ſeiner Gefaͤhrten mit Wachs verklebt , vor
den Sirenen voruͤber , und hoͤrte ohne Gefahr ih-
ren verfuͤhreriſchen Geſang ; zwiſchen dem Strudel
Charybdis , und der felſigten Scylla , ſchifte er die
ſchmale gefaͤhrliche Straße hindurch , und landete
an einer Inſel , wo ſeine Gefaͤhrten , wider ſein
Verbot , der Sonne geweihte Rinder ſchlachteten
und verzehrten . Sobald das Schiff aufs Meer
kam , ward es von Jupiters Blitz zerſchmettert ;
des Ulyſſes Gefaͤhrten kamen um ; er rettete ſich
allein , und ſchwamm an die Inſel der Kalypſo ,
die ihm Unſterblichkeit verſprach , wenn er mit ihr
ſich vermaͤhlen wolle , und ihn , ſo ſehr er ſich
auch nach ſeiner Heimath ſehnte , geraume Zeit
zuruͤckhielt , bis ſie , auf den Befehl der Goͤtter ,
auf einem von ihm ſelbſt gebauten Floß mit guͤn-
ſtigem Winde , ihn entließ . Als er nah an
Ithaka war , erblickte ihn Neptun , der wegen
ſeines Sohns , des Polyphem noch auf ihn zuͤrnte ,
dem Ulyſſes , um ihm zu entfliehen , ſein einziges
Auge ausbrannte . — Ploͤtzlich wurde das Meer
vom Sturmwind aufgeregt . Von ſeinem Floß
herabgeworfen , ein Raub der ungeſtuͤmen Wellen ,
verzagte Ulyß , am Felſen angeklammert , im wil-
den Sturme nicht ; ſchwimmend rettete er ſich mit
Gefahr und Noth auf die Inſel der Phaͤacier ,
die ihn gaſtfreundlich aufnahmen , und mit Ge-
ſchenken uͤberhaͤuft in ſeine Heimath ſandten , wo
er ſeine treue Gattinn Penelope , ſeinen Vater
Laertes , und ſeinen Sohn Telemach wieder fand .
Er toͤdtete zuerſt die ungerechten und uͤbermuͤthigen
Freier Penelopens , die ſchon ſeit Langem ſeine
Habe aufzehrten , und des jungen Telemachs Tod
einmuͤthig beſchloſſen hatten . Nun herrſchte er
wieder in ſeinem Reiche ; die Seelen der getoͤdte-
ten Freier fuͤhrte Merkur in die Unterwelt .
Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel iſt , nach
antiken geſchnittnen Steinen , Paris , wie er den
goldnen Apfel Aphroditen zutheilt , und Achill
am Grabe des Patroklus opfernd , abgebildet .
Niobe .
Mit dem Koͤnige Amphion , der uͤber The-
ben herrſchte , war Niobe , die Tochter des Tan-
talus vermaͤhlt ; — ſie gebahr dem Amphion ſie-
ben Soͤhne und ſieben Toͤchter , und ſpottete einſt
uͤbermuͤthig der Verehrung der Latona , welche
nur einen Sohn , und eine Tochter gebohren .
Kaum waren die frevelnden Worte uͤber ihre
Lippen , ſo flogen ſchon die unſichtbaren Pfeile des
Apollo und der Diana in der Luft . — Mit dem nie
verfehlenden Bogen toͤdtete Apollo ihre ſieben Soͤh-
ne ; und Diana mit furchtbarem Geſchoß toͤdtete
ihre ſieben Toͤchter . — Auf einmal aller ihrer Kin-
der beraubt , ward Niobe in Thraͤnen aufgeloͤßt ,
in einen Stein verwandelt , der auf dem Berge
Stpylon noch immer von Thraͤnen traͤufelnd , ein
Zeuge ihres ewigen Kummers ward .
Cephalus und Prokris .
Cephalus , ein Sohn des Dejoneus , war
mit der Prokris des Erechtheus Tochter erſt kurze
Zeit vermaͤhlt , als er einſt am fruͤhen Morgen
auf dem Hymettiſchen Gebuͤrge jagte , wo Au-
rora ihn entfuͤhrte . — Da er zu ſeiner inniggelieb-
ten Prokris wiederzukehren wuͤnſchte , entließ ihn
Aurora mit dem Bedeuten , es werde mit ſeiner
Vermaͤhlten ihm nicht nach Wunſch ergehen . Dieſe
Worte fachten die Eiferſucht in ſeinem Buſen an ;
unter einer Verkleidung ſuchte er die Liebe der
Prokris zu gewinnen ; und als ſie ihm kaum einen
Schein der Hoffnung blicken ließ , ſo gab er ſich
zu erkennen , und klagte ſie der Untreue an , wor-
auf ſie unwillig ihn verließ .
Als Cephalus nun nach einiger Zeit ſich wieder
mit ihr verſoͤhnte , ward Prokris von Eiferſucht
gequaͤlt , weil ſie vernahm , daß ihr Gemahl die
Nymphe Aura liebte , mit der er auf der Jagd
verſtohlnen Umgangs pflege . Einſt verſteckte Pro-
kris ſich im Gebuͤſch , um ihren Gatten zu belau-
ſchen . Dieſer ſeufzte , erhitzt vom Jagen , unter
dem Nahmen Aura , nach nichts als nach der
kuͤhlen Luft . Prokris aber , welche den Nah-
men ihrer Nebenbuhlerin von ſeinen Lippen zu hoͤ-
ren glaubte , regte ſich im Gebuͤſch . Cephalus
meinte das Rauſchen von einem verſteckten Wild
zu hoͤren , wornach er ſeinen Jagdſpieß warf , der
ſeine ungluͤckliche Gattin traf , welche ſterbend ihren
Irrthum erſt erkannte . —
Phaeton .
In Aegypten , wo Jupiter mit der Jo den
Epaphus erzeugte , hatte auch Klymene dem He-
lios oder dem Sonnengotte den Phaeton geboh-
ren . Dieſem warf einſt Epaphus vor , daß er kein
Sohn der Sonne ſey , ſondern daß ſeine Mutter ſich
deſſen nur faͤlſchlich ruͤhme . — Um auf die glaͤn-
zendſte Weiſe dieſen bittern Vorwurf zu widerlegen ,
begab ſich Phaeton , auf Anſtiften ſeiner Mutter ,
ſelber zum Pallaſt des Sonnengottes , und ließ
ſich erſt von ihm beim Styx zuſchwoͤren , daß er
ſeine Bitte gewaͤhren wolle ; dann bat er ihn , daß
er nur einen Tag den Sonnenwagen lenken duͤrfe .
Helios , der den Schwur nicht widerrufen
konnte , mußte die ungluͤckliche Bitte ſeinem Sohn
gewaͤhren , der voller Muth den Wagen beſteigend ,
die Sonnenpferde antrieb , welche bald ihren Fuͤh-
rer vermiſſend , aus dem Gleiſe wichen , zuerſt
dem Himmel und dann der Erde zu nahe kamen ,
daß Berg und Wald ſich entzuͤndete , und Quellen
und Fluͤſſe verſiegten ; da flehte die Erde den Ju-
piter um Huͤlfe an , welcher ſeine Blitze auf den
Phaeton ſchleuderte , der in den Fluß Eridanus
ſtuͤrzte , wo ſeine drei Schweſtern , die Sonnen-
toͤchter oder Heliaden , Lampetia , Phaetuſa ,
und Aegle ihn ſo lange beweinten , bis ſie in
Pappelbaͤume verwandelt wurden , und auch als
ſolche noch Zaͤhren vergoſſen , die ſich zu dem
durchſichtigen Bernſtein in der Fluth verhaͤr-
teten . — Cygnus , des Juͤnglings Freund , be-
trauerte ſeinen Tod ſo lange , bis durch den
Schmerz ſein Weſen aufgeloͤßt , in die Geſtalt des
Schwans hinuͤberging , der immer auf der Fluth
verweilte , welche den Phaeton verſchlang . Mit
Freund und Schweſtern , die um ihn klagen , findet
man auch auf den antiken Marmorſaͤrgen , den
Sturz des Phaeton abgebildet .