Faustina.„ Faustina,“ Drama in fünf Acten von Ada Christen. Wien 1871. Ver
lag von J. Dirnböcks Buchhandlung.
K. v. T. Wien, im März. Wie ein schmerzliches Trauerlied klingt
die Oedipussage durch das griechische Alterthum. Der leidvolle Mann,
der, trotz aller Vorsicht mit welcher die Eltern den Schicksalsspruch der Göt-
ter abzuwehren trachten, sein furchtbares Verhängniß erfüllt, den Vater
tödtet, der Gatte der eigenen Mutter wird, und zuletzt als blinder Bettler,
auf die Schulter der treuen Tochter Antigone gestützt, durch Griechenland
irrt, bleibt für alle Zeiten ein Musterbild tragischer Größe und Schuld.
Jn wechselnden Gestalten, vielfach verändert und abgeschwächt, kehrt die
Sage in der Literatur immer wieder: an die Stelle der Mutter tritt
manchmal die Schwester, die großartige Härte der ursprünglichen Dich-
tung wird gemildert und abgeschliffen, aber sie erneuert sich noch bei moder-
nen Poeten. Nicht die Jahrtausende, nicht Platens geniale Parodie haben
sie zu zerstören vermocht, und aus mehr als einem neueren Drama blicken
uns, wenn man nur schärfer hinsieht, die bekannten Züge des unglück-
lichen Thebanerfürsten entgegen!
Auch das interessante Werk welches wir hier anzeigen wollen, auch
„Faustina“ wurzelt, der Verfasserin selbst unbewußt, in der Oedipus-
sage. Der Kern der Handlung ist das Liebesverhältniß zwischen
Mutter und Sohn, aus diesem heraus entwickelt sich die Tragik des
Stücks. Ada Christen hat jedoch den Stoff originell behandelt und
ihm eine neue Seite abgewonnen. Die Rache ist es welche Mutter und
Sohn dem Verderben entgegentreibt. Faustina will sich an dem Vater
rächen der sie einst verführt und betrogen, indem sie seine Kinder zu Grunde
richtet. Das gelingt ihr bei dem Sohne, und sie selbst ereilt die Strafe
durch die Entdeckung daß sie ihr eigenes Kind geopfert. Faustina hat die
Doppelrolle der Jokaste und der Sphinx, die Lösung des Räthsels
tödtet sie.
Erzählen wir in kurzen Worten die Handlung. Die berühmte Sän-
gerin Faustina kommt aus Amerika, wo sie große Triumphe gefeiert,
nach einer deutschen Residenz. Sie singt in den Salons des reichen Kauf-
herrn Warren, und dessen zwanzigjähriger Sohn Heinrich wird von einer
glühenden Leidenschaft für sie erfaßt. Sie spielt mit dem jungen Bur-
schen wie eine große schöne Katze mit einer armen kleinen Maus. Sie
weist ihn nicht lächelnd zurück, sondern sie facht seine Liebe durch wohl-
berechnete Coketterie an. Wir erfahren warum. Sie will Rache an
Warren nehmen, und während fie dem Sohn einredet er habe eine schöne
Stimme und müsse zur Bühne gehen, trachtet ihr Begleiter, Capitän
Norrent, ein ganz erbärmliches Subject, Warrens Tochter Marianne zu
verführen. Der Vater, ein stolzer und harter Mann, behandelt Heinrich
mit der äußersten Strenge. Er will ihn nach England schicken, um ihn
der gefährlichen Nähe der Sängerin zu entziehen, für welche der Alte
selbst ein ihm unerklärliches Gefühl empfindet. Als Heinrich Widerstand
leistet und dennoch zur Bühne geht, nennt ihn der Vater einen Bastard
und stößt ihn aus dem Hause. Am Abend desselben Tags singt Heinrich
den „Trovatore,“ wird schmählich ausgepfiffen, und verliert darüber den
Verstand. Nun faßt Faustina Reue, sie pflegt den Kranken, und weigert
sich ihn zu verlassen, trotz der Aufforderungen Norrents, der mit seinem
Anschlag auf Marianne verunglückt und durch den Hausfreund Major
Kulmer als gemeiner Spitzbube entlarvt worden ist. An Heinrichs Lager
treffen sich Warren und Faustina. Der Vater klagt sie als Urheberin
alles Unheils an. Sie antwortet, indem sie die Geschichte ihrer Jugend und
Warrens eigene erzählt, wie die arme schöne Lise von ihm betrogen wor-
den, wie die Mutter vor Gram und Schmerz gestorben, und das Mädchen,
nachdem es ein todtes Kind geboren, in die weite Welt gegangen. „Das
Kind lebte,“ erwiedert ihr Warren, „und um meine Schuld zu sühnen,
nahm ich es auf... ich wollte einen wackern Mann aus ihm machen, wenn
Sie mir nicht ins Handwerk gepfuscht hätten, Madame. Dort liegt Lise's
Sohn.“ Nun erkennt Faustina daß sie ihres Kindes Elend mit verschuldet
hat, und in der Verzweiflung vergiftet sie sich, ein Opfer der eigenen
Rache, die auf ihr Haupt zurückgefallen.
Aus dieser kleinen Skizze sieht man bereits daß das Drama im gan-
zen gut angelegt und wirkungsvoll durchgeführt ist. Man erkennt zugleich
daß der Verfasserin ursprünglich eine schärfere Fassung des Conflictes vor-
schwebte, daß sie aber davor zurückschreckte dieselbe festzuhalten. Daraus
erklärt es sich warum der Tod Faustina's dem Leser nicht unumgänglich
nothwendig erscheint. Denn eigentlich hat sie an dem Unglück Heinrichs
doch nur eine mittelbare Schuld, und die tiefe Reue die sie im fünften
Act entwickelt läßt ihr Vergehen schon halb gesühnt erscheinen. Das
gilt von dem Stück wie es vorliegt, nicht wie es sich in der Phantasie
der Dichterin gestaltete. Da sah die Handlung viel wilder, aber auch
viel großartiger aus. Da gelang der Racheplan nicht halb, sondern
ganz. Marianne ward von Norrent verführt, und das Liebesverhältniß
zwischen Mutter und Sohn gedieh bis zur innigsten Hingebung. Da war
es denn auch nothwendig und selbstverständlich daß sich Faustina den Tod
gibt nachdem sie die gräßliche Wahrheit entdeckt, und Heinrich brauchte
nicht über die Lappalie wahnsinnig zu werden daß sein Debüt mit einem
Mißerfolg endet, sondern er hatte einen triftigeren Grund. Noch im
ersten Druck war die Leidenschaft Heinrichs weit stärker betont und trug
ein viel sinnlicheres Gepräge. Aber Ada Christen fühlte daß ihr Drama,
wenn sie die anfängliche Jdee nackt und scharf herauskehrte, den Zugang
zur Bühne für immer verschlossen finden mußte. Das heutige Geschlecht
erträgt das nicht was die alte griechische Tragödie ihren Zuschauern bieten
konnte; kein Theaterdirector würde ein Stück zu geben wagen in welchem die
Mutter die Geliebte des Sohnes ist. So verzichtete die Verfasserin dar-
auf den Gedanken der ihr vorschwebte unbedingt zu entwickeln, und
machte auf halbem Wege Halt. So wie das Stück jetzt vorliegt, hat es
nicht eine einzige Scene, ja kaum ein Wort welches von der Bühne herab
verletzen könnte. Trotz der Milderung des ersten Entwurfs ist es kein
schwaches Drama geworden, sondern bietet noch immer starke Effecte und
einige wahrhaft ergreifende Stellen.
Obwohl ein Erstlingswerk, weist „Faustina“ nur wenige Schwächen
eines solchen auf. Es kam der Dichterin wohl zu statten daß sie Schau-
spielerin war, und somit die Bedürfnisse des Theaters kennt. Von jener
dramatischen Unbeholfenheit die so leicht einem ersten Versuch anklebt, ist
bei Ada Christen kaum eine Spur zu entdecken. Auch die Charakterzeich-
nung ist gut, und hat etwas von männlicher Bestimmtheit an sich. Vor-
züglich sind Faustina und der harte in seinen Standesvorurtheilen be-
fangene Kaufherr Warren, auch der gute alte Major Kulmer ist eine natur-
wahre, aus dem Leben gegriffene Figur. Der Schuft Norrent, obwohl
individuell gezeichnet, kann den herkömmlichen Theaterbösewicht nicht ver-
läugnen; auch ist seine Liebe für Faustina nicht recht verständlich. Pla-
tonische Sentimentalität paßt nicht zu seinem cynischen Wesen. Denken
wir uns aber andere Beziehungen zwischen ihm und Faustina, so fällt die
Heldin stark in unserer Achtung. Heinrich ist mit Geschick von Anfang an
als eine so reizbare, überspannte Natur angelegt, daß die Katastrophe we-
nigstens möglich erscheint. Die schwächste Gestalt des Stückes ist die 16jährige
Marianne. Jhre Unschuld ist mit einer Dosis Albernheit versetzt, deren
Nothwendigkeit uns nicht einleuchten will. Aber man begreift warum
Ada Christen ein solches Gänschen aus der „ Jngénue “ macht. Frauen
von Geist und Talent halten den Backfisch immer für einfältiger als er in
Wirklichkeit ist; das Unfertige, Unreife einer halberschlossenen Mädchen-
knospe widerstrebt dem klaren Sinne des Weibes.
Man mag es aufrichtig bedauern daß Ada Christen von der Kühnheit
mit der sie in ihren ersten Liedern aufgetreten, bei ihrem Drama keinen
Gebrauch machen wollte. Gerade sie hatte das Zeug das Furchtbare des
Oedipusstoffes in moderner Gestalt voll und unverkümmert durchzuführen.
Es hätte freilich viel Kopfschütteln und Händezusammenschlagen darüber
gegeben. Daß die Verfasserin sich davor scheute, daß sie lieber anständig
als gewaltig sein wollte, macht ihr als Frau alle Ehre. „Faustina“ ist
nicht nur ein neues Zeugniß ihres Talents, sondern auch ein Beweis dafür
daß jene sich geirrt haben die in den „Liedern einer Verlorenen“ nur die
Geständnisse einer Emancipirten sahen, und glaubten Ada Christen werde
auf diesem Wege fortfahren und ihre Dichtungen stets mit Pfeffer beizen.
Je weniger dieß bei ihrem Drama der Fall ist, desto freundlicher kann es
die Bühne aufnehmen. Es ist für die Bretter geschrieben, und wo die
Titelrolle eine bedeutende Darstellerin findet, wird es kaum an einem
guten Erfolg fehlen.
Moritz v. Schwind.
III
( Schluß. )
*** Wie überaus herrlich dieser obendrein mit Farbenzauber ausgeführte
( in den Besitz des Baron v. Frankenstein gekommene, von Jul. Thäter in
Kupfer gestochene ) Bildercyclus auch war: -- Schwind übertraf sich selbst
mit einem zweiten, zu dem Märchen von den „Sieben Raben,“ das den
Glanzpunkt der allgemeinen deutschen Kunstausstellung in München im
Jahr 1858 bildete. Die einzelnen Vorgänge der Erzählung scheidet er
durch Arcaden, vor denen eine Vorhalle sich befindet, in welcher eine Ge-
sellschaft Kinder und Menschen kindlichen Gemüths vereinigt sind, wie er
sie sich zur rechten Freude an der Märchenwelt befähigt denkt: es ist seine
eigene um ihn versammelte Familie, ein Bild des rührendsten und ent-
zückendsten häuslichen Glücks! Jn diesem Raum ist die Vorgeschichte
des Märchens in Glasgemälden der Fenster angebracht. Und nun beginnt
die Geschichte mit der Jagd des Prinzen, auf der er das Mädchen, die
ihren in Raben verwandelten Brüdern nachgelaufen, in dem hohlen Baum
entdeckt, in welchen sie von einer Fee zur Rettung ihrer Brüder aufgehoben
ist, und sie aus der ungemüthlichen Wohnstätte weg und mit sich auf sein
Schloß nimmt. Schwind erreicht in dieser Darstellung eine Höhe bis zu
welcher sich vor ihm -- meines Wissens -- kein anderer Künstler empor-
geschwungen. Jn nichts als in ihr reich wallendes Haar gekleidet sitzt die
Jungfrau im hohlen Baum; so sinkt sie von da herab hingebend in die
Arme des mit herzinniger Liebe sie umfassenden Jünglings; eine Scene,
obgleich von beiden kein Antlitz zu sehen, indem ihr Kuß sich unter der
Fülle der Locken birgt, so keusch und rein wie ein Heiligenbild! Jm Fürsten-
schloß wird sie von des Fürsten Schwester als Braut geschmückt; er geht
ihr in die Kirche voran; die sieben Raben fliegen vorüber, als Mahnung
daß sie sieben Jahre stumm bleiben muß; ein Bild, in welchem Schönheit,
Anmuth und Heiterkeit mit Pracht und Glanz um den Vorrang streiten;
als Fürstin ist sie Wohlthäterin der Armen und Kranken; arbeitet aber
noch heimlich bei nächtlicher Weile an dem letzten der 7 Hemden für ihre
verwunschenen Brüder, wodurch sie im Herzen ihres Gemahls, der sie be-
lauscht, Mißtrauen erweckt. Sie kommt mit Zwillingen nieder, die sich
aber in den Händen der Hebamme, die dem fürstlichen Vater die Kinder dar-
reichen will, in Raben verwandeln und davon fliegen. Wie groß auch
das Unglück ist, die komische Wirkung auf die Hebamme und Dienerschaft
hat der Künstler doch darstellen müssen! Für die Rettung ihrer Brüder
von der Fee zu siebenjährigem Schweigen gezwungen, gibt die Fürstin
keinen Aufschluß und wird als Hexe zum Scheiterhaufen verurtheilt. Wie-
derum nur in ihr reiches Haar gehüllt, mit Stricken gebunden wird sie
aus dem Kerker zum Feuertode geführt. Noch auf dem letzten Gange be-
weist sie der Fee ausdauernden Gehorsam, da nur noch eine Stunde fehlt
am Ablauf der 7 Jahre. Da werfen sich alle die Armen und Elenden,
denen sie Helferin und Trösterin gewesen, den Henkern in den Weg, und
verzögern damit die Execution. Die Stunde ist verronnen; die Fee scheucht
die sieben Raben auf, die nun als schmucke Ritter herankommen und die
Schwester die bereits auf dem Holzstoß steht, befreien, während ihr die Fee
zwei liebliche Knaben, ihre Zwillinge, bringt, der Fürst ihre Füße küßt,
das Volk jubelt, und sie selbst, des Zaubers bar, frohlockt. Dieses in
Aquarell ausgeführte Gemälde, einer der größten Schätze der neuen deut-
schen Kunst, ist im Besitze der Frau Großherzogin von Weimar; und so
sind Schwinds ( bis zu dieser Zeit ) bedeutendste Leistungen in Thüringen
zu suchen.
Aber wie herrlich und jedes Ruhmes werth sie auch sind: Schwind
hatte noch Kraft und Freudigkeit zu einem höhern Flug, und er hat ihn mit
dem glücklichsten Erfolg gethan, mit seiner ( ebenfalls in Aquarell ausge-
führten ) bildlichen Darstellung des Märchens von der „schönen Melusine.“
Jm Grunde genommen ist sie die Ausführung des tiefsinnigen bedeutungs-
vollen Gedankens: „Das Leben ein Traum!“ Versunken in innere Anschau-
ungen liegt Melusine in ihrer Felsengrotte. Da erscheint ihrem liebebe-
dürftigen Herzen der Ritte, der um den Austausch mit dem seinigen bittet;
zaudernd und von ihren Nymphen gewarnt schlägt sie ein, und kommt, in
Begleitung ihrer auf muthigen Rossen einhersprengenden Gespielinnen,
zum Ritter, der sie vom Zelter hebt und zum Traualtar führt, wohin ihr
bereits feindselige Blicke eines Verwandten folgen. Einen Grottentempel
hat sie sich erbaut und nimmt ihrem Gatten den Schwur ab nie -- wenn
sie darin ist -- eindringen zu wollen; ewige Trennung würde die unmit-
telbare Folge sein. Jn diesem Grottentempel vereinigt sie sich mit ihren
Nymphen allmonatlich zum verjüngenden Wellenbad; sie erlebt mit dem
Gatten und reizenden Kindern ein ungetrübtes Familienglück, bis ein
Mönch bei den Bauern Verdacht erregt über den geheimnißvollen Grotten-
tempel, und der heimtückische Verwandte die Kinder argwöhnisch gegen die
Mutter macht, und letztlich selbst den Ritter veranlaßt in den Grotten-
tempel einzudringen, worauf augenblicklich Melusine zurückstürzt und
ihre Nymphen in den Wellen verschwinden. Das Unglück ist geschehen;
der Grotten empel zerfällt; Melusine ist verschwunden; aber bei Nachtzeit
naht sie dem Fenster, durch das sie ihre Kinder schlafen sehen kann. Ruhe-
los zieht der Ritter durch öde Fluren, Felsenthäler und Wälder, die geliebte
Gattin aufzusuchen; er findet sie, sinkt Vergebung flehend in ihren Schooß
und wird von ihr zu Tode geküßt. Klagend in schmerzlichem Mitgefühl
nahen die Freundinnen ihr; aber die Feenkönigin ruft ihr das vorausge-
sagte Ende ihrer Liebe ins Gedächtniß, und sie kehrt in ihre Grotte zurück,
wo sie erwachend inne wird daß alles nur ein Traum war!
Jn diesem Werke beanspruchen dichterische Erfindung, Schönheit der
Composition, Reinheit und Größe des Styls, Lebendigkeit, Wahrheit,
Zartheit und Kraft der Darstellung mit einem leichten, natürlichen und
alles Einzelne richtig betonenden Vortrag das gleiche Recht. Reizender
und zugleich reiner und unschuldvoller ist nie die Mädchenfreude im erfri-
schenden Bade geschildert worden; schöner sah man kaum irgendwo ein
Bild des Familienglücks; ergreifender nirgend sein urplötzliches Ende;
aber keine Künstlerhand hat das tragische Ende inbrünstiger Liebe uns in
einer gleich erschütternden Weise vor Augen gestellt als Schwind, wo er
Melusinen uns zeigt wie sie ihren Gatten in bitterem Liebesleid mit ihren
Küssen tödtet.
Durch eine eigenthümliche Verkettung von Umständen ward Schwind
mit seinen letzten großen Kunstaufgaben in sein Jugendland, zu seinen er-
sten heitern Jugendeindrücken und zu einem seiner ältesten Jugendfreunde,
zurückgeführt. Zwar kehrte er noch einmal, wenn auch nur auf einen
kurzen Besuch, in der Romantik ein, indem er für die Gemäldesammlung
des Frhrn. v. Schack die Rückkehr des Ritters v. Gleichen aus dem ge-
lobten Lande malte, für welches ihm jedenfalls, da er versucht hat die
Freude der Gattin beim Wiedersehen des Gatten mit ihrer Freude über
die zweite Gattin die er mitgebracht, zu einem wahrhaftigen Ausdruck
zu bringen, ein in früherer Zeit von Grillparzer gegen ihn ausgesprochenes
Wort: „Wer wird denn das Mögliche machen wollen!“ zum Leitstern ge-
dient hat.
Und wohl kann es sein daß das flackernde Wort mit seinem paradoxen
Schimmer ihm noch manchmal zum verlockenden Jrrlicht geworden ist. So
sieht man in derselben Gemäldesammlung nebst mehreren andern treffli-
chen Bildern Schwinds einen Berg dessen höchste Spitze in ein weibliches
Wesen ausgeht, das sich in einen Schleier hüllt, und unter welcher ein
Adler die vergebliche Anstrengung macht emporzuschweben. Es ist die
„Jungfrau“ in der Schweiz, die ihr Haupt mit Nebel deckt, daß selbst der
Adler die Höhe nicht erreicht. „Wer wird denn auch das Mögliche machen
wollen?“ mag der Künstler gedacht haben als ihm das Bild in einen Ge-
dankenkreis „der Liebe Schicksal“ paßte, in welchem er den kalten Stolz
der unnahbaren Jungfrau schildern wollte, nachdem er dem Liebenden die
Geliebte in Gefangenschaft eines Riesen gezeigt; Resignation im Einsiedler-
Leben und Liebesende im gemeinschaftlichen Tode von Hero und Leander
dargestellt; alles in Gemälden die im Besitze des Frhrn. v. Schack sind.
Schwinds große und kenntnißvolle Liebe zur Musik, zu welcher wir
die Keime schon in seinen Kinderjahren wahrgenommen, hatte entschiedenen
Einfluß auf seine malerische Phantasie. Nicht nur die Eintheilung, auch
der Charakter einer Symphonie erschien ihm in Bildern, deren Linien= und
Massenbildung, wie deren Ausdruck. Aehnlicher Weise übersetzte er sich
Opernscenen und deren handelnde Personen -- und zwar ganz unabhängig
von der theatralischen Darstellung -- in seine Kunst. Welche schönere
Gelegenheit diese seine Lust zu büßen, konnte ihm geboten werden als die
Aufforderung in dem von seinem Jugendfreunde van der Nüll in seiner
Vatersiadt Wien neuerbauten großen Opernhaus den Foyer und die offene
Loggia mit Fresken auszumalen? Er griff mit beiden Händen zu.
Jm Foyer, wo die Büsten der bedeutendsten Tonkünftler aufgestellt
sind, hat Schwind einem jeden ein Frescobild gewidmet, oder auch mehrere:
für Schubert wählte er die Oper den häuslichen Krieg und von seinen Lie-
dern den Erlkönig und den Fischer; für Gluck die Armide; für Mozart die
Zauberflöte, Figaro's Hochzeit und Don Juan; alles freilich nur mit flüch-
tigen Andeutungen, so für den Don Juan den steinernen Gast, für Figaro
den Pagen, der durchs Fenster steigt, für die Zauberflöte die Feuerprobe
von Tamino und Pamina. Für Haydn wählte er die „Schöpfung,“ das
erste Menschenpaar zwischen zahmen und wilden Thieren, in Betrachtung
der frühlingsfrischen Erde, unter dem Schutz eines Engelchors; für Beet-
hoven Fidelio, die Sinfonia eroica und die Pastorale; für Weber den Frei-
schütz, für Rossini den Barbier von Sevilla; für Cherubini den Wasser-
träger; für Boieldieu die weiße Dame und Rothkäppchen; für Marschner
Hans Heiling; sodann für Meyerbeer die Hugenotten; für Spontini die
Vestalin; für Dittersdorf Doctor und Apotheker; für Spohr die Jessonda.
Für das so inhaltreiche Thema war der Raum viel zu beschränkt
als daß es vom Künstler hätte erschöpft werden können. Jch kann
aber auch überhaupt den Zweifel nicht unterdrücken ob es in der
Macht der Malerei liegt in ihren Darstellungen von in Musik ge-
setzten Dichtungen mehr die Musik als die Dichtkunst zu betonen.
Der Zweifel wächst wenn die Musik die ihr zu Grunde liegende Dichtung
weit übertrifft, wie bei der „Zauberflöte,“ welcher Schwind die offene
Loggia gewidmet hat. Wie sehr er sich anstrengt die Königin der Nacht
feierlich, die drei Knaben lieblich, Tamino und Pamina jugendlich und
schön, Papageno lustig darzustellen -- er bringt die Wirkung nicht einer
einzigen von Mozarts unsterblichen Melodien hervor, und kommt über
Schickaneder nicht hinaus, der nun freilich der doppelten Unsterblichkeit,
durch Musik und durch Malerei, sich erfreuen mag.
Schwind hatte sich indeß zu tief eingelassen in die Veranschaulichung
der Musik, als daß er nach Beendigung der Wiener Arbeiten schon Lust
zur Umkehr gehabt hätte. Jetzt griff er den Don Juan an, und skizzirte
Scenen auf Scenen, und zwar nun in einer so selbständigen Weise, daß
das Ganze eine neue freie Bearbeitung des Stoffs geworden sein würde,
bei welcher der Geist Mozarts ihm treulich zur Seite stand. Leider sind
es nur flüchtige Entwürfe auf welche dieses Urtheil sich gründet.
Vollkommen ausgeführt dagegen sind vier Scenen aus „Fidelio,“
welche -- gestochen von Merz und Gonzenbach -- einer Prachtausgabe dieser
Oper, für die Jubelfeier Beethovens am 16 Dec. 1870 veranstaltet, einge-
fügt sind: Fidelio neben dem Schließer die Ketten des Gefangenen weh-
müthig betrachtend; Fidelio sieht den Gefangenen im Kerker schlafend;
Fidelio setzt dem Gouverneur die Pistole auf die Brust; endlich Befreiung
aller Gefangenen.
Mit besonderer Lust gieng Schwind noch an eine große Unterneh-
mung, an eine Bilderfolge zu sämmtlichen Dramen seines von ihm hoch-
und dankbar verehrten Freundes Grillparzer. Doch hat er es nicht über
vorbereitende Studien und flüchtige Versuche gebracht. Dagegen widmete
er seine letzten gesunden Kräfte, und zwar mit bestem Erfolg, seinem und
unserm Lieblingswerk: der „schönen Melusine,“ indem er für einen von
ihm besonders gern und oft besuchten Waldplatz am Starenberger See
eine offene runde Halle entwarf, in welcher ihre Geschichte von ihm ge-
malt werden sollte. Auch hat er sich, als mit der Ausführung beschäftigt,
in den Entwurf aufgenommen, und Franz Lachner als treu theilnehmen-
den Freund in die Halle gestellt.
Es war der letzte Zug seiner kunstbegabten Hand. Ein eingetretenes
Augenübel des Doppelsehens legte sie in Bande, die nun der Tod unlös-
lich gemacht hat.
Um politische Tagesfragen hat er sich wenig bekümmert. Als ihm
aber am Tage vor seinem Tod ein Glas Champagner zur Stärkung ge-
reicht wurde, erhob er sich vom Lager mit den Worten: „Jch bin in der
Kaiserstadt Wien geboren noch unter der Herrschaft des Kaisers vom alten
deutschen Reich. Wir haben ein neues deutsches Reich und einen neuen
Kaiser. Es lebe der deutsche Kaiser!“ Und so konnte der Großherzog von
Weimar in seinem theilnahmvollen Brief an die Wittwe Schwinds aus
Versailles mit Recht schreiben: „den deutschesten der Künstler in dem Mo-
ment zu verlieren wo das deutsche Vaterland in alter Herrlichkeit sich zeigt,
ist mir ein tief ergreifendes Gefühl.“
Wenn ein vielbegabter Mensch auf immer von uns scheidet, so em-
pfindet die ganze Gegenwart den Verlust, und der Schmerz dringt ins
Herz aller Zeitgenossen in Näh' und Ferne. Wien und Dresden haben
Todtenfeiern für Schwind veranstaltet; Wien bereitet eine Ausstellung
seiner Werke vor; Frankfurt hat sie veranstaltet. Und München? Ja,
der Verein für christliche Kunst hat ihm eine Gedächtnißfeier gehalten.
Aber die Akademie, an der er seit 1847 als Lehrer gewirkt, aber die
deutsche und die Münchner Künstlergenossenschaft, deren Mitglied er war? --
stumm und still wie das Grab, in das man ihn, den begeisterten Freund
der Tonkunst, ohne Sang und Klang gesenkt, gleich einem Fremden,
Unbekannten! Und doch ist man nicht karg hier mit Zeichen der Theil-
nahme in der Stunde der Trennung. Und doch hätten unsere Künstler
sich selbst geehrt, wenn sie ihrem unsterblichen Kunstgenossen die Ehre er-
wiesen hätten!
Suchen wir keine Erklärung dieser auffallenden Erscheinung; wen-
den wir uns lieber zu dem Geschiedenen zurück, dessen Umgang wohl
keiner ohne reichen Gewinn für seine Anschauungen von Kunst und Poesie
genossen hat. Wohl waren seine Reden scharf wie Schwerthiebe und derb
wie Hammerschläge; aber nie gegen das Gute und Echte in der Kunst
gerichtet. Mit unerbittlicher Strenge verurtheilte er den nichtigen Schein,
den aufgeputzten Nihilismus, die geistlose Virtuosität. Kein Wunder
daß er sich -- zumal bei der seit längerer Zeit in München herrschen-
den Kunstrichtung -- durch seine oft vernichtenden Bemerkungen hier
manchen offenen oder versteckten Feind zugezogen; aber wahr auch daß er durch
die Unabhängigkeit und treffende Wahrheit seines Urtheils und durch den
Ernst des eigenen künstlerischen Strebens nach den höchsten Zielen, sowie
durch seine classischen Werke, einen heilsamen Damm gegen die über-
fluthende Strömung des Modegeschmacks aufgeworfen hat. Jnzwischen ver-
hehlte er sich nicht daß er in letzter Zeit den meisten seiner Kunstgenossen
gegenüber immer auf dem Kampfplatze sich befand; was ihn bestimmte sich
mehr und mehr von ihnen zurückzuziehen. Gern verkehrte er mit seinem
Landsmann, dem Bildhauer Schaller, mit dem Maler G. König, dem
Kupferstecher Thäter -- sie sind ihm vorausgegangen in den Tod! Liebe-
voll und mittheilend bewies er sich gegen seine Schüler, namentlich gegen
Naue, den Maler von König Heinrich und der Nymphe Else, und gegen
Moßdorf, der ihm auf der Wartburg, in Reichenhall und im Wiener
Opernhaus treulich Hülfe geleistet. Am liebsten suchte er einen Umgang
der ihm musikalische Freuden bot, wie er sie namentlich bei dem Freund
aus seiner Jugendzeit, bei Franz Lachner, in vollem Maße fand; oder mit
einem Kenner der Musik und musikalischen Literatur, wie dem Bibliothekar
Dr. Mayer, oder dem treu bewährten Freunde, dem Erzgießer F. v. Miller.
Darf ich aber sagen wo er sich am wohlsten fühlte, wo sein Verlangen nach
einem liebreichen, Geist und Herz befriedigenden, gemüthlichen Dasein
volle Befriedigung fand -- es war im Schooße seiner Familie! Und wer
ihn auf dem Gipfel seines Glücks, in der rosigsten Laune seiner Phantasie,
in regster Schaffenslust sehen wollte, der mußte ihn in der reizenden länd-
lichen Villa auffuchen die er sich auf grünumlaubtem Plan am Uferabhang
des Starenberger Sees erbaut hatte! -- Weithin im Vaterlande sind seine
Werke zerstreut: in Westen und Osten, in Norden und Süden müssen wir
sie aufsuchen. Aber die herrlichste Blüthe seines schöpferischen Geistes,
sein liebstes Seelenkind, die schöne Melusine, soll, darf sie eine andere
Heimath haben als die Stätte ihrer Geburt, als München?
Ernst Förster.