Oesterreich und Preußen und die
deutsche Presse.
g München, 10. Juni. Wir müssen immer
wieder auf das Kapitel Oesterreich und Preußen
zurückkommen. Es ist dieß gegenwärtig ein so
wichtiges Thema, daß es das Jnteresse an allem
andern beinahe absorbirt. Es ist namentlich auch
deßwegen von Wichtigkeit, weil die preußenfreund-
liche Presse keine Mittel mehr scheut, die öffent-
liche Meinung auch in Süddeutschland zu Gun-
sten der preußischen Politik irrezuführen. Bei
dem allgemeinen Drange in Deutschland sich die
Märzerrungenschaften so viel an ihnen irgend
Praktisches und Erprobtes ist, zu bewahren, mit
andern Worten bei dem im zweifelhaften Ueber-
gewicht des Liberalismus im edlen Sinne des
Wortes, und in der allgemeinen Gespensterfurcht
vor Reaktion hat die preußischfreundliche Presse
die Politik eingeschlagen, an diese Richtung der
öffentlichen Meinung und an die daran sich knüp-
fenden Schlagwörter zu appelliren. Sie thut dieß
in der Weise, daß sie einfach Preußen als den
Beschützer des Fortschrittes, Oesterreich als den
Götzen der Reaktion hinstellt. Es mag ihr dieß
bei der revolutionären Partei um so leichter ge-
lingen, als notorisch Oesterreich sich auf den Bo-
den des Staatsrechtes gestellt hat, während Preu-
ßens Vorschreiten in seinem Wesen ein revolutionä-
res ist, d. h. die bestehenden Verträge nur in so
weit anerkennt, als sie ihm conveniren. Bei der
wahrhaft liberalen Partei aber sollten wohl solche
Vorgeben in ihrer Zweideutigkeit leicht erkannt
werden. Es ist jedoch ein Umstand, der die öf-
fentliche Meinung leicht gefangen hält zu Un-
gunsten Oesterreichs, und dies sind seine Präce-
dentien in der Metternich'schen Zeit. Auf diese
Periode des Kaiserstaates lassen sich alle Ver-
dächtigungen der preußenfreundlichen Presse zurück-
führen. Wir haben schon zu wiederholten Malen
darauf aufmerksam gemacht, daß heute und gestern
nicht dasselbe ist, und namentlich sollte es jeder
Deutsche wissen, was für ein Unterschied ist zwi-
schen der Zeit vor 1848 und der Zeit nach 1848.
Nirgends ist dieser Unterschied schlagender als in
Oesterreich selbst. Das hindert aber die Gegen-
partei nicht, diesen Unterschied zu ignoriren und
der österreichischen Politik der Gegenwart dasje-
nige vorzuwerfen, was die österreichische Politik
der vormärzlichen Zeit gesündigt hat. Wir könn-
ten mit demselben Rechte dieß Manöver gegen
die preußische Polilik ausführen. Aber es ist
dieß erstens in unsern Augen nicht ehrlich, und
zweitens bedürfen wir es gar nicht, um diesen
Verdächtigungen entgegenzutreten. Es genügt viel-
mehr vollkommen, uns an die preußische Politik
der Gegenwart zu halten. Das Neueste in
dieser Beziehung sind die neuesten Maßregeln ge-
gen die Presse in Preußen. Sie sind der Art,
daß sie weit schärfer erscheinen, als die alte vor-
märzliche Censur. Wir können nicht zugeben, daß
sie durch das Attentat auf den König gerechtfer-
tigt sind. Die Kreuz = Zeitungspartei die so zu
sagen reaktionärer ist, als die Reaktion, kann sich
als die Mutter dieses wüsten Kindes betrachten,
und so lange eine solche Partei solche Macht be-
sitzt in einem constitutionellen Staate, wird man
diesen Staat wohl nicht als den Verfechter des
liberalen Prinzips ansehen wollen. Doch auch
abgesehen davon, was hat die Unions = Politik
Preußens für Garantien gegeben für die Festhal-
tung eines liberalen Princips! Zuerst zum Köder
eine möglichst liberale Verfassung hingeworfen, u.
hinterher das Freisinnigste davon wegrevidiren las-
sen und -- was aber noch nicht genügt: es wird
noch einmal revidirt werden, und was dann am
Ende übrig bleiben wird, davon kann man jetzt
einen Vorgeschmack erhalten mittelst des neuesten
Preß=Edikts. Jedermann weiß ferner, wie die
preußische Presse stets das „Alles für Deutsch-
land “ und das „Aufgehen in Deutschland“ im
Munde führt. Wie stimmt nun das mit dem
Freudengeschrei der ministeriellen „D. Reform“
über das Zunicken des russischen Czaren zu Preu-
ßens Politik zu Ungunsten Oesterreichs? Es kann
uns dies jetzt um so gleichgültiger sein, als an
der ganzen Geschichte nicht viel Wahrheit, aber
sehr viel Erdichtung war. Jedenfalls hat aber
das deutsche Volk diesmal eine partie hoteuse
erblicken können, die man sonst eifrig zu bergen
suchte. -- Preußens Politik geht seit 100 Jah-
ren darauf aus sich einerseits in Deutschland zu
vergrößern, andererseits Oesterreichs Einfluß zu-
rückzudrängen. Gegenwärtig sucht es dies dadurch
zu erreichen, daß es die Erschütterungen von 1848
benützend, Deutschland in ein Aggregat von 35
souveränen Staaten, über denen kein Gesetz
schwebt, aufzuführen sucht, um dann von diesen
Staaten so viel als möglich unter sein Gesetz
zu bringen. Es rüttelt damit aber nicht nur an
der Bundesakte, sondern auch an den Verträgen
von 1815, denen es seine Rheinprovinzen ver-
dankt. Preußen sucht sich gegenwärtig auf das
ihm verschwägerte Rußland zu stützen, auf jenes
Rußland, das sich vor nichts so sehr fürchtet, als
vor dem Lichte der Civilisation, auf jenes Ruß-
land dem alle Märzerrungenschaften ein Gräuel
sind, das sich durch hermetische Grenzsperren vor
den Jdeen der Neuzeit zu schützen sucht, auf je-
nes Rußland, das -- weil die Gedanken auch
die Cordons der Kosaken überfliegen, diese Ge-
danken in ihrem Geburtslande zu ersticken suchen
muß, will es vor ihnen sicher sein, auf jenes
Rußland, daß daher der natürliche Begünstiger
aller und jeder Reaktion in Deutschland ist, und
zwar nicht nur deßwegen, sondern auch weil es
ein eben so großes Jnteresse hat, Deutschland in
seinem Aufschwung zur Einigkeit, Kraft u. Stärke
niederzuhalten, um sein eigenes Vordringen gegen
das Herz Europas zu erleichtern. So sucht Ruß-
land das Jnteresse der deutschen Fürsten zu spal-
ten, namentlich Oesterreich und Preußen gegen
einander zu hetzen; so sucht es auch Oesterreich
in sich selbst zu schwächen, indem es die einseiti-
gen, auf Nationalhaß fußenden Bestrebungen der
Slaven und Ungarn gegen die österreichische Krone
unterstützt und wach erhält. Und an dieses Ruß-
land will sich Preußen lehnen, Preußen, das zu-
gleich auch als Vorkämpfer eines einigen und
freien Deutschlands gelten möchte. Als ob Ruß-
land gegen Preußen nicht dieselbe destruktive Po-
litik im Schilde führt, wie gegen Oesterreich!
Und diesem Allem gegenüber gibt es noch immer
Leute genug, die Oesterreich für reaktionär und
Preußen für liberal erklären. Es läßt sich nicht
läugnen, daß die Aufgabe Oesterreichs gegenwär-
tig eine äußerst schwierige ist. Jnnerlich noch
kaum sich von den bürgerlichen Kämpfen erholend,
noch in voller umfassender und durchgreifender
Reorganisation begriffen, Angesichts der feindlichen
Bestrebungen der mannigfaltigsten Art bedarf sein
Ministerium einer diktatorischen Gewalt. Die ihm
von der Opposition und so also auch von der
preußischen Presse vorgeworfene Verzögerung der
Einberufung des Reichstags ist nichts als die ein-
leuchtendste Nothwendigkeit. Die Elemente fahren
noch zu wild durch einander, als daß dasjenige
schon in's Leben treten könnte, was nur das Re-
sultat eines vollständigen Gleichgewichtes aller Le-
benskräfte des Staatsorganismus sein kann. Oe-
sterreich hat in seiner Reorganisation da begon-
nen, wo bei einem so radikalen Wiederaufbau
eines Staates begonnen werden muß: bei der
Grundlage alles staatlichen Lebens, bei dem ma-
teriellen Boden. Es hat nicht nur den Boden
von seinen Lasten befreit, nicht nur den Robot
aufgehoben, wovor Rußland zurückschaudert wenn
es an die Möglichkeit der Ansteckung seiner eige-
nen Völker durch solche liberale Jdeen denkt,
Oesterreich hat auch, von allem Andern zu ge-
schweigen, die großartigsten Zolleinigungsvorschläge
an Preußen und Deutschland gemacht. Preußen
zeigte bisher noch nicht viel Neigung darauf ein-
zugehen. So wenig es deren Nützlichkeit verken-
nen kann, so ist es doch mißtrauisch dagegen, weil
das Gute diesmal von Oesterreich kommt. Da-
von spricht der große Haufe der Presse wenig,
weil diese Dinge zu wenig Eindruck zu machen
geeignet sind auf den großen Haufen des Zei-
tunglesenden Publikums. Der Weg, auf welchem
Oesterreich auf die populärste Weise Deutschland
zeigen kann, daß es es redlich mit dem Fortschritt
auf allen Gebieten meint, der Weg der Anbah-
nung einer constitutionellen Bundescentralgewalt,
wird von der preußenfreundlichen Presse im vor-
aus mit unpopulären Hindernissen aller Art ver-
legt, ja er wird geradezu als die vollkommenste
Reaktion verschrien, verschrien als Wiederherstel-
lung des alten Bundestages, während Oesterreich
sämmtliche Staaten nach Frankfurt eingeladen hat,
um mit ihnen auf Grund der Münchener=Ueber-
einkunft ein neues Deutschland, ein Bun-
desorgan mit constitutioneller Volks-
vertretung zu schaffen. -- Preußens Politik
umfaßt nicht ganz Deutschland wie die österreichi-
sche, Preußen will zunächst nur einen Sonderbund
mit denjenigen Staaten, bei denen einige Wahr-
scheinlichkeit vorhanden ist, daß sie mit der Zeit
in Preußen aufgehen werden. Würde es sich ihm
in Wahrheit um ein ganzes Deutschland handeln,
so wären seine Unionsvorschläge der Art gewesen,
daß alle deutfche Staaten sie hätten annehmen
können. Sie waren aber nicht der Art. Die
von Oesterreich unterstützte Münchener=Uebereinkunft
aber ist solcher Natur, daß alle deutsche Staaten
derselben beitreten können, ohne sich zu Vasallen
weder Oesterreichs noch Preußens hergeben zu
müssen. Wer ist nun eigennütziger, Oesterreich
oder Preußen? Oder vielmehr -- denn eigen-
nützig ist und muß jeder Staat sein -- wer
bringt Deutschland mehr Vortheil, Oesterreich
oder Preußen? Wo wird die deutsche Einheit u.
Freiheit gefördert, durch den Sonderbund Preu-
ßens oder durch die ganz Deutschland umfas-
senden Vorschläge des Münchener - Uebereinkom-
mens.
Neuestes.
München, 11. Juni. Graf Vincenz Esther-
hazy, der neue österr. Gesandte und bevollmäch-
tigte Minister am bayer. Hofe, ist dahier einge-
troffen.
Regensburg, 10. Juni. Laut Entschließung
der k. Regierung der Oberpfalz und von Regens-
burg vom 3. d. M. wurden der Arbeiter=Bil-
dungsverein, der Turnverein, dann der Piusverein
nebst dem in demselben bestehenden Arbeiter=Un-
terstützungsverein als politische Vereine erklärt.
Frankfurt, 11. Juni. Jch kann Jhnen mel-
den, daß vom 1. Juli d. J. an eine Wohnung
für den Prinzen von Preußen bestellt ist.
Frankfurt, 11. Juni. Se. kgl. Hoheit der
Großherzog von Toskana hat den hiesigen Ban-
kier B. H. Goldschmidt zu höchst ihrem Consul
bei hiesiger Stadt ernannt. -- Die beiden preu-
ßischen Bevollmächtigen haben bis jetzt noch kei-
ner Conferenz beigewohnt.
Vom Rheine, 10. Juni. Seit gestern und
heute zeigt man sich zu Nierstein und Backenheim
in den Weinbergen die ersten blühenden Trauben.
Mainz, 11. Juni. Gestern wurden sämmt-
liche von Rastatt hierher gebrachten Verhaftete in
Freiheit gesetzt. -- Wie wir vernehmen, hat das
preuß. Verpflegungs = Amt der hiesigen Garnison
Ordre zur schleunigen Beschaffung von Verpflegs-
gegenständen für weitere 2000 Mann erhalten.
Die Besatzung scheint demnach verstärkt werden
zu sollen.
Kassel, 10. Juni. Das Ministerium hat den
Landständen die Eröffnung gemacht, daß es die
Absicht habe, die Ständeversammlung aufzulösen
und deshalb von der letzteren die schleunigste Er-
mächtigung zur ferneren Erhebung der Steuern
bis zum Ende dieses Jahres begehrt.
Dresden, 10. Juni. Die Leipziger Zeitung
„ist ermächtigt,“ zu erklären, „daß wegen der von
der sächsischen Regierung unterm 1. und 3. Juni
getroffenen Maßregeln ein vorgängiges Einver-
nehmen weder mit der kaiserl. österreichischen noch
mit irgend einer andern Regierung stattgefunden
hat.“
Berlin, 9. Juni. Die Allg. Ztgs=Corresp.
schreibt: Am Gymnasium zu Luckau sind zwei
Oberlehrer und der Direktor wegen politischen
Tendenzen ihres Amtes entsetzt worden.
Berlin, 10. Juni. Gestern Nachmittag 1
Uhr verschied hier, nach längerer Krankheit, der
General=Lieutenant und General=Adjutant des Kö-
nigs, Herr v. Rauch, im vollendeten sechszigsten
Jahre.
Berlin, 10. Juni. Die Sitzungen des Ver-
waltungsraths sind, wie man hört, augenblicklich
suspendirt, da derselbe sich vor weiteren Berathun-
gen als provisorisches Fürstencollegium zu consti-
tuiren beabsichtigt, die Vollmachten aber noch nicht
für alle Mitglieder desselben eingetroffen sind.
C Paris, 10. Juni. Thiers ist gestern mit
seiner Frau und seiner Schwiegermutter nach Lon-
don abgereist. Vor seiner Abreise begab er sich
ins Elysee und erklärte dem Präsidenten die Mo-
tive seiner Reise. Er wolle noch einmal mit sei-
nem „alten Herrn“ sprechen, bevor dieser das
Zeitliche segne. -- Louis Philipp kann nämlich
nunmehr Eine Stunde täglich außer dem Bette
zubringen, er hat eine verhärtete Geschwulst am
Magen, die ihm bald sein Lebensziel setzen wird.
Die Aerzte geben ihm kaum mehr einen Monat
Frist. -- Abd=el=Kader liegt gefährlich krank dar-
nieder.
Thurgau. Jeder im Kanton sich aufhaltende
politische Flüchtling hat nunmehr eine Kaution
von 400 fl. zu leisten.