Paris, 9. Juli. Der „Moniteur“ schreibt heute einen neuen Konkurs von 150 Pensionäre für die Zulassung in die von der provisorischen Regierung gegründete Verwaltungsschule des College de France aus.
‒ Die erste Verwaltungsschule (Ecole administrative) wurde gestern früh 9 Uhr im College de France vom neuen Unterrichtsminister in Person eröffnet. Er hielt dabei eine Rede, in welcher folgende Phrase vorkommt: „. . . . Die Nationalversammlung wird in ihrer Souverainität über das definitive Schicksal der Verwaltungsschulen zu entscheiden haben. Ich zweifle nicht, daß Ihr erstes Auftreten sie bestimme, diese Verwirklichung eines ächt demokratischen Gedankens zu bestätigen.“ Bei der Wuth, Alles niederzureißen, was die provis. Regierung schuf, wäre es leicht möglich, daß man auch diese Pflanzschulen nicht schonte.
‒ Dem Baron v. Friddain, Geschäftsträger Siziliens, und dem Dr. Furnari, erstem Legationssekretär, ist das Recht ertheilt worden, mit den Behörden der Republik amtlich zu verkehren. Erste Anerkennung Siziliens.
‒ Abbé Sibour, Bischof von Digne und Bruder des Repräsentanten gleiches Namens, geb. 1792, wird als Nachfolger des Erzbischofs von Paris bezeichnet. Der Moniteur wird dieser Tage die Ernennung bringen.
‒ Der Moniteur sieht sich heute genöthigt, zu erklären, daß die Haussuchungen in den Wohnungen der Exkönigin Christine und beim spanischen Generalkonsul aus Versehen geschehen seien und zu keinem Resultat geführt hätten.
‒ Lage der Bank am 7. Juli Abends. Die Baar-und Barrenvorräthe stiegen auf 82,618,028 Frs. 80 Cent. in Paris und auf 73,158,028 Frs. in den Departements. Die leidenden Papiere fielen von 26,611,329 Francs 92 Cent. auf 26,508,636 Frs. 13 Cent. und auf 12,286,572 Frs. 59 Cent. in den Departements. Der Staatskasse blieb von den geliehenen 50 Millionen nur noch ein Restchen von 4,889,986 Fr. 66 Cts.
‒ General Duvivier, der am 23., 24. und 25. Juni die Mobilgarde befehligte, ist an seiner Fußwunde gestorben. Duvivier ist der sechste General, der gestorben.
‒ In der Bank herrscht Schrecken. Es wurden ihr in den letzten Tagen eine solche Menge falscher Billets präsentirt, daß sie heute im Moniteur und den übrigen Blättern eine vollständige Beschreibung dieser Contrebande zur Warnung bekannt macht.
‒ Während der Junitage wurden zwei Millionen Kartuschen und 3000 Kanonenkugeln aus den Staatszeughäusern gegen die Insurgenten verschossen.
‒ Die innerhalb Paris liegende Garnison beträgt achtzigtausend Mann. Außerhalb der Stadt kampiren noch 50,000 Mann. Trotzdem kann der Constitutionnel noch nicht ruhig schlafen. Er trägt heute auf Anlage isolirter Kasernen an, die außerhalb der Schußweite aller Privatfenster und Dächer lägen. Die alten Kasernen will er der leichtsinnigen Mobilgarde einräumen. Auch einige Kavalerie soll ihr beigegeben werden.
‒ Aus der Tiefe seines Gefängnisses hat ein Insurgent an den Repräsentanten Antony Thouret ein Brief gerichtet, in welchem er erklärt, daß er ihm das Geheimniß der Junirevolution enthüllen wolle, wenn er ihn in Freiheit setze. Thouret hat statt aller Antwort diesen geheimnißvollen Brief der Untersuchungs-Kommission übergeben ‒ soviel die Patrie versichert.
‒ Diesen Morgen (erzählt ein Abendblatt) glaubten wir uns Alle in die Luft gesprengt. Am Bastillenplatz fingen nämlich die im Schrank eines Wachtpostens befindlichen 600 Kartuschen Feuer und verursachten eine starke Explosion. Der Offizier und einige Mann des 34. Regiments, unter andern auch ein Dachdecker, wurden beschädigt, jedoch Niemand getödtet. Die Mauern wurden stark erschüttert.
‒ Unter dem Titel „Le Conciliateur“ ist ein neues reaktionäres Blatt erschienen.
‒ Die Pariser Bäckergesellen warnen alle ihre Kameraden von auswärts, nicht nach Paris zu kommen. Es sei Ueberfluß an Arbeitern; 1500 lägen auf dem Pflaster.
‒ Wie man hört, sollen die schon früher einmal durch Kriminalgerichte bestraften Insurgenten nach der Cayenne, die reinen Patrioten aber nach Algier gebracht werden.
‒ Aus den Untersuchungsakten geht hervor, daß General Brea deßhalb so fürchterlich gemeuchelt wurde, weil man der Barrikadenmannschaft in die Ohren geflüstert hatte: „Er sei der General Cavaignac, auf dessen Befehl ihre gefangenen Kameraden ohne Weiteres erschossen worden seien.“ Thatsache ist, daß Cavaignac und Lamoriciére beim Volke allgemein jetzt als Menschenschlächter gelten.
‒ Wir bitten unsere Leser um Verzeihung, aber es ist noch einmal Herr Thiers, um den es sich handelt. Man muß wohl auf ihn eingeh'n, er ist da. Wir haben diesen großen Mann nicht aufgesucht, und wenn er heute eine beliebige Rolle spielt, so ist es sicher nicht unsere Schuld. Wer zweifelt daran? Hr. Thiers schwamm oben auf in dem friedfertigen Februarschiffbruch, der so viele Sachen obenauf ließ. Die Reaktion führt ihn im Triumph zurück und das Journal des Debats, kürzlich noch sein Feind, verbindet sich mit dem Siècle und dem Constitutionnel, seinen alten Schleppenträgern. Herr Thiers präsidirt eins der 15 Büreaus, wo unsre künftige Konstitution in diesem Augenblick debattirt wird. Eine Konstitution, an die Thiers Hand angelegt hat, ist im Voraus beurtheilt. Auch sind wir völlig vorbereitet, auf dies neue Abtreiben einer vielversprechenden Revolution. Und von vorn herein will Herr Thiers das Recht zur Arbeit nicht anerkennen, weil er sich übermäßig zu verpflichten fürchtet, und es einfacher findet den verzweifelten Hunger mit Flintenschüssen zu besänftigen. Denn verlangt er zwei Kammern, um in der Regierung jene Theilung zu verewigen, welche die Demokratie in den Massen zu ersticken glaubte und um ein vor dem alles nivellirenden allgemeinen Stimmrecht unmöglich Aristokratie wieder aufzuführen.
Hr. Thiers ist der Mann aller möglichen Prätendenten, vom göttlichen Recht an bis zur Regentschaft, bis zum Kaiserreich im Nothfall. In den letzten Wahlen verpflichtete er sich gegen alle Welt; selbst den Bischöfen küßte er den Pantoffel. Der ausschließliche Vertheidiger der Universitäten, hat sich durch den Klerus absolviren lassen, dem er im Nothfall den gesammten Unterricht, mit Einschluß der Universität, überliefert hätte. Er hätte alles versprochen selbst der Republik, wenn die Republik ihn nicht abgewiesen hätte. Hr. Thiers wird sich aller Meinungen bedienen, unter dem Vorbehalt sie später zu prellen. Zum Ziel muß er gelangen, gleichgültig um welchen Preiß!
(La Reforme.) ‒ Die Rede, welche Hr. Thiers im Büreau der National-Versammlung gehalten hat, lautet im Wesentlichen wie folgt:
In meiner Eigenschaft als Republikaner ersuche ich Sie für die Einführung von zwei Kammern zu stimmen. Ich bin, sie wissen es, kein Republikaner von gestern (vor der Revolution). Aber die Republik ist gegenwärtig die gesetzliche Staatsform in Frankreich und ich wünsche deren sichere und dauerhafte Einrichtung. Von der Konstitution ist Alles abhängig; diese aber beruht fast gänzlich in der wichtigen Frage über das Kammersystem.
Die Gründe, welche für eine einzige Kammer angeführt worden sind, fassen sich in folgendem zusammen: die Existenz zweier Kammern veranlaßt einen mißlichen, ja gefährlichen Widerstreit, der begreiflich unter der Monarchie ist, wo man der königlichen Macht die Volksmacht entgegenstellen will, um der einen durch die andere das Gegengewicht zu halten, aber unzulässig in der Republik, wo nur ein einziger Wille, der der Nation in Anschlag kommen, vertreten und befolgt werden darf; ein Widerstreit, wozu es in Frankreich keine Elemente mehr giebt; denn thatsächlich existirt keine Aristokratie mehr, und gäbe es eine solche, so dürfte man rechtlich sie nicht anerkennen; ein Widerstreit endlich, der weder das Königthum der ältern noch der jüngern Linie erhalten hat, noch das Kaiserreich noch das Direktorium; diese Regierungen sind alle zu Grunde gegangen, obgleich sie zwei Kammern hatten. Eine einzige Kammer ist in einem Lande, wo es nur einen einzigen Willen giebt und geben darf, das einfachste, naturgemäßeste, der Zeit und den Verhältnissen entsprechendste.
Ich werde diesen Einwürfen gegen das Zweikammersystem mit wenigen und wie ich hoffe entscheidenden Worten begegnen.
Ich gebe zu daß das Einkammersystem das einfachste von allen ist. Aber wissen Sie was von allen Staatsformen die einfachste ist? Es ist der Despotismus. Ein Herr gebietet, man gehorcht, das ist Alles.
Die Einfachheit ist in der Mechanik die Barbarei. Die politische Mechanik wird wie die physikalische im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zusammengesetzt, aber damit zugleich wissenschaftlicher und was mehr ist als dieser eitle Vortheil, ihre Aktion wird sicherer, einfacher und weniger mühsam. Eine republikanische Regierung mit einer Kammer wird ganz die Härte und Rauhheit einer despotischen haben. Bald wird, unter einem schwachen Präsidenten, der furchtbarste aller Despotismen eintreten, der einer einzigen Versammlung. Bald werdet ihr, unter einem energischen, der Volksgunst sichern Präsidenten, den Despotismus eines Günstlings der Menge haben, und wenn keine von beiden Mächten gelaunt ist nachzugeben, so entspinnt sich ein tödlicher Kampf zwischen dem Präsidenten und der einzigen Versammlung, ohne einen Vermittler der den Kampf mäßige, den Gegenstoß neutralisire. Um diesem Uebelstande zu begegnen bedarf es eines Zwischengliedes, das sich in die Mitte stellt und selber den Widerstreit auf sich nimmt, um seine Folgen zu mildern. Es bedarf mit einem Worte einer zweiten Versammlung, welche die Meinungen der ersten diskutirt, ihnen zuweilen entgegentritt und ihnen nur in einem gewissen Maaße beitritt. Mag dieser Aelagonismus sein Verdienstliches haben, aber er ist die Freiheit selber, nämlich die Prüfung, die Ueberlegung, die Erörterung.
Der Redner weist nun auf die gegenwärtige autokratische Stellung der Nationalversammlung hin, auf die Art wie Dekrete erlassen werden ohne Prüfung, ohne Debatte, gleich dem Willen eines absoluten Herrn. Soll, fragt er, diese Einfachheit des Verfahrens den vernünftigen, dauernden Zustand einer großen Gesellschaft bilden? Freilich lieben alle herrschenden Gewalten das Einfache, d. h. sie wollen keine Hindernisse, keinen Widerstand. Und so seid auch ihr Republikaner von gestern, die ihr in eurem guten Glauben, in der Naivetät eurer Leidenschaften keine zwei Kammern wollt, ohne es zu wissen, die Volksgewalt, die als Sieger keinen Widerstand, kein Hinderniß will, die unter dem Titel von Dringlichkeitsdekreten ihre Wünsche unmittelbar befriedigen will, ohne an eine zweite Versammlung gebunden zu sein.
Alle Regierungen sind zu Grunde gegangen, wißt ihr weßhalb? Nicht weil sie verhindert wurden zu thun was sie wollten, sondern weil sie keinen Widerspruch fanden, der mächtig und achtunggebietend genug war. Wenn man der maßlosen Vermögenheit Napoleons, dem reaktionären Sinne Karls X. der übermäßigen Klugheit Louis Philipp's, der aus Furcht, sei es vor dem Liberalismus im Innern, sei es vor gewagten Unternehmungen nach Aussen, ein Land zusammendrücken wollte, das endlich in seinen Händen auseinander sprang wie allzusehr zusammengepreßte Luft ‒ Einhalt gethan hätte, Keiner von ihnen hätte mit einer Katastrophe geendigt.
In der Monarchie, sagt Ihr, bedarf es eines Widerstreits der Gewalten, in der Republik nicht. Und warum denn? Sind die Völker stets verständig? Oeffnet doch das große Buch der Geschichte. Werden denn die Völker nicht eben so getadelt, der Thorheit beschuldigt wie die Könige? Ich citire das geistreichste Volk, die Athener, das größte, die Römer. Man muß also warnen, zurückhalten, zum Nachdenken auffordern, die Völker ebensowohl wie die Könige. Die absolute Gewalt steigt zu Kopfe und bewältigt die stärksten Intelligenzen. Vereinigen wir uns um eine gute Republik zu machen, in welcher der Volkswille, indem er auf Hindernisse und Zögerungen stößt, weniger rasch, überlegter und verständiger sein kann.
Ihr sagt, zwei Kammern haben weder Louis Philipp, noch Carl X., noch Napoleon bewahrt. Das ist richtig, beweist aber nichts. Eine doppelte Kammer ist ein Mittel, nicht das einzige, aber das hauptsächlichste, eine Regierung zu verhindern, daß sie ihren Neigungen allzusehr folge. Hat sie das gethan und zwar in einem Grade, daß eine Katastrophe unvermeidlich ist, so kann die Organisation der Gewalten eine solche nicht beschwören. Aber die Krise wäre nicht unvermeidlich geworden, wenn der Widerstand gegen die schlechten Tendenzen der Regierung mächtiger gewesen wäre. Hätte unter dem Kaiserreich der Senat sich Napoleon widersetzt, wäre die Pairskammer unter Louis Philipp nicht so entnervt gewesen, vielleicht wäre Vieles nicht eingetroffen, was sich ereignet hat.
Die Einrede die man mir entgegenstellt gleicht der eines Kranken, der nachdem er den Arzt und seine Heilmittel verschmäht hat, sich beklagt daß die Medizin im letzten Augenblicke nichts mehr vermag. Im Todeskampfe hilft die Medizin nicht; ebenso ist es mit den Institutionen.
Man sagt es fehlten in Frankreich die Elemente zu zwei Kammern; das ist ein Irrthum. Es giebt in jedem Lande junge Menschen und alte, ruhige und hitzige; besonnene, erprobte und Neulinge die ihre Karriere zu machen haben; Männer die regiert haben und Würde mit Muße zu verbinden wünschen, und Männer die kaum in die Geschäfte eingetreten, sie mit der Ungeduld der Jugend und des Ehrgeizes zu führen denken; Männer die vom Alter abgesehen, Vorzüge des Geistes und Charakters besitzen, die einen der alten, die andern der neuen Ideen willen, bejahrte Männer die Neuerungen lieben, junge Leute die am bestehenden festhalten; endlich solche die abgesehen von ihrer Individualität diesen verschiedenen Bestrebungen durch ihr Vermögen, ihre Stellung, ihre Verbindungen oder persönlichen Neigungen zugeführt werden. Das hat sich in allen Republiken gezeigt, das zeigt sich in den Vereinigten Staaten, in der demokratischsten Gesellschaft der Erde.
Laßt es also den Wählern frei, von zwei Kandidaten, die sich ihnen vorstellen, zu sagen: dieser ist gemacht für die Repräsentantenkammer, jener für den Senat. Sie werden den einen zu den Jungen schicken, den andern zu den Alten, den einen zu den Unternehmenden, den andern zu den Vorsichtigen. Es bedarf hierzu keiner besonders weisen Wahlkombinationen. Laßt an demselben Tage von denselben Wählern die Mitglieder der beiden Versammlungen wählen und sie werden die Scheidung um die es sich handelt mit ebenso viel Scharfsinn machen wie ein einziger Erleuchteter und Allmächtiger. Uebrigens bleiben Euch tausend Mittel die Wahlart, die Erneuerungsweise und die Dauer verschiedentlich zu bestimmen.
Es ist also ein leerer, nichtiger Vorwand, von der Schwierigkeit der Zusammensetzung einer doppelten Kammer zu sprechen. Was man in den Vereinigten Staaten verstanden hat, sollte man in Frankreich nicht vermögen?
Ich zähle mehrere Freunde unter den hervorragenden Bürgern der Verein. Staaten. Alle diejenigen, welche sich augenblicklich in Europa befinden, haben mir anempfohlen Euch zu sagen, mit der größten Wärme zu sagen, daß Ihr durch Annahme des Einkammersystems den schwersten Fehler begehen würdet. So heiß sie wünschen, daß die republikanischen Institutionen in Frankreich Erfolg haben möchten, ebenso lebhaft ist ihr Wunsch, ihr möchtet jenes Zweikammersystem annehmen, zu dem sie nach harten Erfahrungen gelangt sind.
Doch muß ich, die ihr mich anklagt ein Reaktionär zu sein, was ich nicht bin, wenigstens nicht in Eurem Sinne, denn ich will nur eine einzige Reaktion, die der Ordnung gegen die Unordnung, muß ich vor Euch für die Dauer und Festigkeit der Republik sprechen? Muß ich, der Republikaner des folgenden Tages Euch, die alten Republikaner auffordern, eine feste, dauerhafte Republik zu gründen? Soll es denn dahin gekommen sein, daß ich auch von der Republik eben so wenig gehört werde wie von der Monarchie, wenn ich für Vernunft, Geist und Weisheit spreche? Ach, unter der einen wie unter der andern führe ich die Sache des gesunden Sinnes vor den Richterstuhl der Leidenschaften. Dennoch verzweifle ich nicht Gehör zu finden und diese Hoffnung ist eine Huldigung, keine Beleidigung, die ich an die junge Republik richte, vor der zu sprechen ich berufen bin.