I. Aufzug.
Romantiſcher Wald.
Lautenklang mit einem Lorbeerkranz geſchmückt tritt ein,
Chriſtoph folgt ihm.
Lautenklang.
Sei mir gegrüßt, o Wald romant’ſcher Dichtung,
Wo myſtiſch Dunkel oder helle Lichtung
Dem Eingeweihten je nach Stimmung winkt!
Gegrüßt ſeid Tannengrün und ſchlanke Buchen,
Bei euch will ich die inn’re Ruhe ſuchen,
Wenn müd’ gehetzt der Leib auf’s Moos hinſinkt.
Umarmt mich, ſchlingt um mich die üpp’gen Zweige,
Wenn ich mein Haupt ermattet auf euch neige;
Verſenken will ich mich in’s tiefe Grün;
Zur ſtillen Klauſe ſoll der Wald mir werden,
Daß ich vergeſſen kann die irdiſchen Beſchwerden,
Vergeſſen all’ den Tand mit ſeinen Müh’n.
Chriſtoph.
Auch recht, nun ſind wir einmal wieder im
beliebten grünen Wald — immerhin eine Abwechs-
lung mit dem Stubenhocken! Allein ob da heraußen
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oder ob dort drinnen, überall ſperren wir das Maul
auf. Jhr, mein theurer Herr, um Lieder zu ſingen,
ich meinerſeits um, in Ermanglung von etwas Anderem,
Mücken zu ſchnappen. Vielleicht fallen mir hier doch
ein paar reife, lebensmüde Haſelnüſſe in den Rachen,
die einigermaßen meinen ausgehungerten Verdauungs-
Werkzeugen Beſchäftigung geben. Was hab ich an
Euern ſchönen Poeſien? Das ſind nur Luftbilder
und Träume, von welchen kein mit Vernunft be-
gabtes zweibeiniges Thier ſatt wird!
Lautenklang.
Weh mir! unſäglich iſt mein inn’res Leiden,
Vergebens ſuch’ ich längſt nach einem Stoff,
Nach einem Stoff, der ſich zum Drama eignet;
Bisher ſchuf ich nur immer Lyriſches:
Sechs Bände liegen auf in allen Laden,
Doch hat der Leſekreis längſt g’nug daran;
Dramatiſches verlangt von mir die Welt,
Und bring’ nicht bald ein Stück ich für die Bühne,
So iſt’s geſcheh’n um meinen alten Ruhm.
Schon will der Kranz auf meinem Haupte welken,
Ein Blatt um’s andere wird dürr und bleich,
Und endlich ſteh’ ich da mit kahlem Scheitel —
Wohl ſelber gar vergeſſen und vergriffen!
Chriſtoph.
Das war einmal ein vernünftig Wort! Der
Stoff, ja der Stoff! der iſt und bleibt die Haupt-
ſache. Allein unſere Anſichten darüber ſind ſehr ver-
ſchieden. Mit Euerm Stoff locke ich keinen hungrigen
Hund unter dem Ofen heraus; aber mein Stoff-
begriff iſt praktiſch. Stoff, wie ihn unſer lieber
Herrgott geſchaffen hat; Stoff der zur Erhaltung
der Menſchheit da iſt: Eßbares, Trinkbares und
dergleichen. Jch will Euch Euern Stoff laſſen,
laßt Jhr mir den Meinen, oder gebt mir vielmehr
Solchen. Aber Euch ſcheint der Stoff in jedweder
Beziehung ausgegangen zu ſein; denn wir hungern
alle zwei, ſo daß wir nächſtens zum Urſtoff zurück-
kehren und Speiſe der Würmer werden, wenn es
nicht bald anders kömmt. Jch halt’s nicht mehr aus;
ich werd’ ſo dünn wie ein Blatt Papier; dann könnt
Jhr wirklich auf mich ſelbſt einen Reim ſchreiben.
Lautenklang (in ſich verſunken.)
Wohin, wohin ſoll ich das Dichterauge wenden?
Hiſtoriſches iſt ziemlich abgethan;
Verlaſſen iſt auch der romant’ſche Boden,
Man liebt die Märchen nimmer und dergleichen;
Hat Claſſiſches ſich nicht auch überlebt,
Seit Göthe ſeine Jphigenia ſchrieb?
Der Dichter ſoll nach Realiſtik greifen
Und auf culturhiſtor’ſchem Felde ſchweifen.
Woher dieß nehmen, da die Phantaſie,
Gewohnt in duftigen Räumen aufzuſchweben,
Nicht gern den Pegaſus zur Erde ſenkt
Und lieber ihn durch lichte Höhen lenkt?
Jhr Muſen und ihr Nymphen dieſes Haines,
Die ihr im Abendgolde über Wieſen ſchwebt,
Helft, wenn ihr je den euern mich genannt,
Wenn ihr mich je als Dichter habt erkannt!
(Ab.)
Chriſtoph.
Da geht er wieder! Wenn es aber ſo fort geht,
ſo geht mir die Geduld aus, und ich werde aus
dem Dienſt gehen. Wär er mir nicht den Lohn
ſeit zwei Jahren ſchuldig, ſo wäre ich ſchon längſt
wieder mein eigener Herr und könnte mich auf mich
ſelbſt verlaſſen; allein beſagter Umſtand verſetzt mich
in die Nothwendigkeit, als ein lebendiges Schulden-
regiſter ihm auf allen Schritten zu folgen und mich
an ſeinen poetiſchen Brocken zu nähren, die er hie
und da fallen läßt. Nun will ich unter einem ſchat-
tigen Buſche meinen alten Freund den Schlaf ſu-
chen, damit er mir meinen Erzfeind den Hunger
vertreibe; bisweilen aber hält der leere Magen Schild-
wache und läßt den Freund nicht herein! O Elend
und Jammer! Und dieß ſoll die Poeſie des Lebens
ſein, daß immer Etwas zu hoffen bleibe! Mit der
Hoffnung aber hat ſich noch kein Menſch auf Erden
ſeinen Hunger g’ſtillt!
(Ab.)
(Wiltrud, Scohlint ſich begegnend.)
Scohlint.
Wiltrud, auch du biſt nicht zum Feſt geladen?
Wiltrud.
Wie du! Man hat uns Beide, ſcheint’s, ver-
geſſen.
Scohlint.
Ei was, vergeſſen? nein! man hielt uns zu
gering.
Wiltrud.
Sind wir nicht auch ſo gut wie all die Andern?
Scohlint.
Jch meint’ es wohl: denn als zu der Berathung
Auch wir zum König waren eingeladen
Mit allen Fee’n des Landes, auszuſinnen
Ein Mittel, daß ein Kind ihm werd’ geboren,
Weil die Frau Kön’gin keine Hoffnung gebe — —
Wiltrud.
Als mit den And’ren wir zu Rathe ſaßen,
Ward unſ’re Stimme wichtig auch befunden.
Jch rieth zu jenem Kraut — —
Scohlint.
Und ich, du weißt es,
Lieh meinen mag’ſchen Stein, bewährt nicht ſelten
Zum Segen für die kinderloſen Eh’n.
Wiltrud.
Nur, weil wir Feeen ſind des zweiten Ranges,
Hielt man uns ferne von dem Jubelfeſte,
Wo nun die And’ren alle ſich ergötzen,
Für ihre Künſte Huldigung empfangend.
Scohlint.
So iſt’s und ungeſtraft ſoll dieß geſcheh’n?
Was meinſt du?
Wiltrud.
Zum Geſpött ſind wir den And’ren,
Daß uns der König Purpur nicht geachtet;
So mög’ entgelten er’s an ſeinem Kind.
Beſchenkt ward’s Töchterlein, das heißerſehnte,
Mit vielen Gaben von den Zauberinnen.
Nun wohl! da wir zum Feſt nicht ſind geladen,
Laß uns ſtatt Segen Fluch als Weihe ſpenden!
Scohlint.
So ſei’s und ſorgſam wollen wir’s bedenken.
Jn meine Höhle komm, dort das Orakel
Des alten Satanas klug zu befragen.
Den Keſſel füllen wir mit giftigen Kräutern,
Mit Schlangenfett und Salamandergeifer.
Wiltrud.
Ein Büſchel Haar’ riß geſtern ich am Galgen
Vom Haupte dem Gehängten und dem Mägdlein,
Das ſich aus Gram ertränkt, ſchnitt aus dem Leibe
Das Herz ich, zwei bewährte Zaubermittel,
Des Teufels Spruch aus Giſcht und Dampf zu leſen.
Scohlint.
Fort denn! Es mag ſich unſre Kunſt bewähren!
(Beide verſchwinden.)
Lautenklang (ſtürzt heraus.)
O Wonne! Gunſt der Muſen, ich erkenn’ es,
Hat heute mich in dieſen Wald geführt.
Was dieſe böſen Fee’n hier beſprachen,
Jſt eines Drama’s herrliche Geſtaltung.
Nun raſch der Spur nach! nimmer will ich ſäumen,
Jn den Pallaſt des Königs einzudringen.
Dort iſt der Schauplatz für die ganze Handlung;
Dort muß der Stoff ſich bald zum Knoten winden!
(zu Chriſtoph)
Komm Freund, bei König Purpur mich zu melden;
Jch folge dann, als Dichter angekündigt;
Zum Hofpoeten mag er mich ernennen
Und zum Leibnarren dich! Komm laß uns eilen!
(Ab.)
Chriſtoph.
Wie? mich zum Narren? mich traurige, aus-
gehungerte Figur? die beiden Heren haben ihn när-
riſch gemacht, wie es ſcheint. Allein — — dennoch
wär’s zu bedenken. Ein würziger Rauch duftet mir
jetzt ſchon aus dem Kamine der Königsburg ent-
gegen. Kommt! laßt uns den Spuren des Stoffes
nachgehen, denn das Schloß eines Königs muß je-
denfalls in gutem Geruch ſtehen. Jch werde baldigſt
mit Koch und Kellermeiſter Freundſchaft ſchließen.
All’ meinen Mutterwitz will ich hervorholen, um
mich dieſen beiden edlen Dienſtmannen angenehm
zu machen. So wahr ich Chriſtoph heiße, man ſoll
mich bald den lieben, guten Chriſtoph heißen und
mich auf den Händen tragen wie einen klugen Sittich,
den man mit Zucker füttert!
Verwandlung.
Zimmer im Pallaſte des Königs Purpur.
König Purpur und Königin Hermeline.
Purpur.
Wie glücklich ſind wir liebe Hermeline!
Ein Kind, ein Kind liegt vor uns in der Wiege!
Hermeline.
Wie athmet’s lieb, wie blickt es mit den Aeuglein,
Wie ſchmücket Roſenduft die vollen Wangen!
Dem Himmel Dank, der uns nach langem Hoffen
Die Segensgabe endlich hat beſcheert.
Purpur.
Dem Himmel Dank, doch auch den weiſen Frau’n,
Durch deren Rath und Mittel wir errungen,
Wonach wir lang geſtrebt; denn was Natur
Und auch Magie vermag, das boten ſie!
Hermeline.
Bei all dem Glück jedoch, bei all der Freude
Bin ich ob eines Umſtandes ſorgenvoll.
Purpur.
Sprich, was beengt das Herz?
Hermeline.
Du weißt: wir dachten
Der beiden Zauberfrauen nicht; Wiltrude,
Scohlint, die luden wir zur Feier nicht,
Und ihre Rache könnt’ gefährlich werden.
Purpur.
Ei was? wer hätt’ auch gern die böſen Weiber
Bei unſerm Freudenfeſte denn geduldet?
Und lobten nicht die Andern uns darum,
Daß wir mit der Geſellſchaft ſie verſchont?
Hermeline.
Doch ſie auch waren hier zu Rath geſeſſen
Jm Kreis der weiſen Frau’n und ſprachen mit;
So hatten ſie ein Recht auch, theilzunehmen,
Als von den Zinnen Freudenbanner wehten.
Purpur.
Was hätten ſie gebracht? Nur Zwieſpalt, Hader!
Dieß iſt ihr Element; die guten Fee’n
Beſchenkten unſer Kind mit ſchönen Gaben;
Was hätten jene beiden denn zu bieten
Aus ihrer dunklen Höhle Zauberreich?
Hermeline.
Wie’s immer ſein mag, mich beſchweret Angſt
Und Sorge d’rum, vielleicht weil ich ein Weib bin;
Als Mann magſt du dergleichen wohl bewält’gen.
Purpur.
Beſchwichtige dein Mutterherz; bedenke,
Daß unſer Röslein ſchützt die Fee Sconea,
Die Heil dem Kinde ſprach, als es erwachte
Zum Leben und den erſten Lichtſtrahl ſchaute.
(Herold tritt ein.)
Herold.
Verzeiht, o Herr! wenn Euch mein Eintritt ſtört
Doch ihr befahlt ja, daß, man immer melde,
Wenn ſich der Königsburg ein Fremder naht.
Purpur.
Was gibt’s?
Herold.
Ein Wand’rer harret vor dem Thor,
Er bittet Einlaß ſich, um euch zu huldigen.
Es ſchmückt ſein Haupt ein grüner Lorbeerkranz,
An ſeiner Schulter hangt das Saitenſpiel.
Ein Sänger iſt’s, wie er ſich ſelber nennt.
Purpur.
Willkommen ſei er; ſolche Gäſte lieb ich,
Und Sang und Klang kömmt mir zur rechten Stunde.
Herold.
Auch folgt ein Diener ihm, ein droll’ger Kauz,
Der dir als Schalksnarr gute Schwänke bringt.
Purpur.
So laß ſie beide ein; ich will ſie ſeh’n.
(Herold ab.)
Hermeline.
Die Fremden nah’n, ich geh’ zu unſerm Kinde,
Dem lieben Röslein! und wie oft geſchieht’s!
Ja nimmer müde wird der Mutter Liebe,
Zu herzen und zu küſſen!
Purpur.
Geh, bald folg ich.
(Hermeline ab.)
Doch zum Empfang will ich den Thron beſteigen
Und mich mit meinem Purpurmantel ſchmücken;
Die Krone ſetz’ ich auf und nehm’ den Scepter,
Denn ſolchen Käuzen muß man imponiren.
Und tritt der Dichter vor mich, um die Schläfe
Den Lorbeerkranz, ziemt mir das Diadem.
Die Blätter welken, doch das güldne Stirnband
Trotzt auch dem Zahn der Zeit; ja, in den Gräbern
Ziert noch der Könige Schädel manche Krone
Und ſonſt’ger Schmuck von fürſtlichem Geſchmeid.
(Setzt ſich im königl. Schmuck auf den Thron.)
(Herold führt Lautenklang und Chriſtoph ein.)
(Lautenklang läßt ſich auf ein Knie nieder und legt die Laute
vor den Thron hin. Chriſtoph macht fortwährend Complimente.)
Lantenßlang.
Jch neig’ mich ehrfurchtsvoll vor dir, o König;
Und lege meine Laute dir zu Füſſen
Greif wieder ich nach ihr, wenn du’s befiehlſt,
Sei’s, um der Majeſtät ein Lied zu weih’n!
Purpur.
Erhebe dich, willkommen ſei! ich liebe
Den Sang. Greif in die Saiten, mich zu grüſſen
Nach Sänger Art.
Lantenßlang.
Es ſei, wenn du’s erlaubſt!
(ſingt zur Laute.)
Haſt du mich auch nicht gerufen,
Tret ich kühne ihr an die Stufen
Deines Throns mit meinem Sang!
Frei ſind wir, des Liedes Meiſter,
Unterthan ſind uns die Geiſter,
Die gebannt der Laute Klang!
Kronen goldne Strahlen ſenken
Nieder und die Scepter lenken
Volkesſchaaren; welche Pracht!
Majeſtätiſch wie die Sonne —
Zieht einher ſie voller Wonne —
Leuchtet eines Königs Macht.
Alle demuthvoll ſich neigen
Vor dem Herrſcher, Alle ſchweigen,
Schier geblendet von dem Licht!
Nur der Sänger laut verkündet,
Was der Glanz in ihm entzündet,
Was aus ſeiner Seele ſpricht!
Und was er dann frei geſungen,
Durch die Hallen iſt’s gedrungen,
Tönt in alle Welt hinaus!
„Heil des Königs goldner Krone,
„Die da ſtrahlet auf dem Throne —
„Heil des Königs ganzem Haus!‟
(Verneigt ſich tief.)
Purpur
(vom Throne herabſteigend.)
Jhre Huldigung hat mich ſehr erfreut. Sie ſchei-
nen mir ein Mann von Talent zu ſein. Wie hei-
ßen Sie?
Lautenklang.
Majeſtät, mein Name iſt Lautenklang.
Purpur.
Ein ſchöner Name für einen Sänger! Jhr Ge-
burtsort?
Lautenklang.
Eine kleine Provinzialſtadt in Deutſchland und
ich bin der Sohn eines armen Schuhmachers.
Purpur.
Es gibt ſehr viele Schuhmacher in Deutſchland,
Chriſtoph (vorlaut.)
O ja, und auch viele Schneider aller Gattung,
erhabene Majeſtät.
Lautenklang.
Schweig und rede nicht zur Unzeit.
Purpur.
O laſſen Sie ihn. Er iſt wohl Jhr Diener?
Chriſtoph.
Zu dienen bin ich ſein Diener. Mein Name
iſt Chriſtoph. Auch ich bin in einer erbärmlichen
kleinen Stadt des ungeheuern deutſchen Reiches ge-
boren, eine Art Abkömmling des alten Hermann,
in welchem ſchon der Keim zu mir, ſeinem derein-
ſtigen Enkel, lag.
Purpur.
Bravo, bravo! Jhr Humor gefällt mir. Waren
Sie vielleicht ſchon Schauſpieler?
Chriſtoph.
Ei bewahre! Unter das Comödiantenvolk miſcht
ſich ein Mann wie ich nicht. Jch habe bisher nur
auf der großen Weltbühne mitagirt, mitgelitten,
mitgehungert, mitgedurſtet und mit meinem Herrn
Stoff geſucht, möglichſt viel Stoff!
15
Lautenklang.
Verzeih’n Euer Majeſtät dieſem ungeſchliffenen
Burſchen.
Chriſtoph.
O, ich bin ein ungeſchliffener Diamant, welcher
Witz bei einer Gelegenheit in einem Gedichte mei-
nes Herrn vorkömmt. Hört nur:
(pathetiſch deklamirend.)
Dort in Braſilien ein Diamant
Liegt unbeachtet in dem Sand,
Den noch kein menſchlich Weſen fand
Gleich der Corall’ am Meeresſtrand.
— da hab’n wirs ſchon —
Dort leuchtet hell ein Diamant
An meines Mädchens Buſenband,
Und die Coralle am Gewand,
Die beide ſchliff des Menſchen Hand.
— Jetzt kommt’s eigentlich —
So iſt Natur denn wohl verkannt,
Der Werth nur an den Schliff gebannt?
Dort in Braſilien ein Diamant
Und die Corall am Meeresrand!
Habt, Jhr den Witz verſtanden? — Ja, ich bin
auch ein verkanntes Genie, wie der ungeſchliffene
Diamant in Braſilien!
Lautenklang.
Jch bitte Euer Majeſtät das ungeeignete Be-
nehmen dieſes Hanswurſten nicht zu beachten; ſoll-
ten jedoch Allerhöchſtdieſelben eines Hofpoeten be-
dürfen, ſo wage ich es, meine Dienſte anzubieten.
Purpur.
Jch bin gar nicht abgeneigt, Jhrem Geſuche
Gehör zu geben, um ſo mehr da der Meiſterſänger,
den ich an meinem Hofe hatte, an Mittelalters-
ſchwäche geſtorben iſt; auch waren ſeine Leiſtungen
nicht mehr zeitgemäß, weßhalb ich ihn längſt pen-
ſionirt hatte.
Lautenklang.
Unendlich glücklich wäre ich, könnten meine ge-
ringen Kräfte Eurer Majeſtät dienlich ſein. Meine
Anſprüche ſind in jeder Beziehung höchſt beſcheiden.
Chriſtoph.
Ei, der lügt! — Still, ſtill! Je mehr wir krie-
gen, deſto beſſer!
Purpur.
Gut denn, es ſei! Von heut an ſind Sie in
meinen Dienſten. Sie ſollen mit Jhrer Stellung
zufrieden ſein. Und ihr Diener kann auch bleiben.
Jch ernenne ihn zum Hofnarren extra statum.
15*
Chriſtoph.
Extra statum oder extra status, das heißt eine
Extraſtatur, wohlgenährt und überhaupt gut ge-
halten!
Purpur.
Auch Er wird zufrieden ſein. Doch verbitte ich
mir alle plumpen Späſſe, denn ich dulde nur den
feinen Humor.
Chriſtoph.
Einen feinen Rumor hab’ ich noch nicht gehört.
Wenn’s einmal wo einen Rumor gibt, da muß es
ſchnallen und krachen.
Purpur (zu Lautenklang.)
Kommen Sie, Lautenklang! Jch will Sie der
Königin vorſtellen. Sie können gleich Jhr Talent
in Anwendung bringen und ein Gedicht auf die
Geburt meiner Tochter Prinzeſſin Röslein ſchreiben.
Lautenklang.
Herrlicher Stoff zu einem graziöſen Schlummer-
oder Wiegenliede!
(Purpur und Lautenklang ab.)
Chriſtoph.
„Sein oder nicht ſein — das iſt die Frage.‟
Wo wird hier zu Land ein gutes Wirthshaus ſein
oder nicht ſein, in welchem man von dem anſtren-
genden Hofleben einigermaſſen bisweilen ſtillvergnügt
ausruhen kann?
Trinken, „ſchlafen und nichts weiter?! denn wer
zu viel getrunken hat, ſchlaft gern. Alſo iſt’s trin-
ken ſchlafen. Daß aber „ein Schlaf‟ das Herzweh
und „die tauſend Stöße endigt, dieß iſt ein Ziel
auf’s Jnnigſte zu wünſchen!‟ — „Schlafen, viel-
leicht auch träumen?‟ Neulich träumte mir, ich
hätte Prügel bekommen. „Stolze Mißhandlungen!‟
Jch erwachte und „ſtöhnte und ſchwitzte unter Le-
bensmüh!‟ Ha, Schickſal! „das unentdeckte Land —
nemlich das Wirthshaus — von deß Bezirk kein Wan-
derer wiederkehrt‟ ohne daß er ſeine Zeche hätte be-
zahlen müſſen — dieß Land oder dieß Haus viel-
mehr ſei der Zweck meiner „Unternehmungen voll
Mark und Nachdruck!‟
(Ab.)
Königin Hermeline, ihr Kind Prinzeſſin Röslein auf den Armen
tragend.
Hermeline.
O herzig Kleinod laß dich an mich drücken
So inniglich! biſt ja ein Theil von mir,
Das beßte wohl aus meinem eignen Jch,
Ja ſelbſt mein „Jch,‟ gleichwie der Blume Duft,
Der aus dem Kelch ſich hebt ſo würzig rein,
Zu ihr gehört. Denn wär’ die Roſe Roſe,
Haucht’ nicht ihr rother Mund ſo ſüßen Ruch?
Wär’ Lilie Lilie, ſtünd ſie duftlos da?
So biſt du mein und ich bin wieder dein:
Ein Leben und Ein Sinn, ſchier unzertrennlich!
Und doch, wie bang iſt mir, blick ich dich an
Und ſchauſt du auf zu mir mit deinen Sternlein,
Die aus dem Himmel mein ſo lieblich leuchten.
Ein dunkler Schleier liegt auf dir, ich ſeh’s;
Jch möchte weg ihn küſſen, doch er bleibt,
Umhüllt die Zukunft mir in trüben Nebel.
Jch fühl’ es! Drohend ſah ich jene Frau’n
Vor mir ſteh’n oft in dunkler Nächte Traum!
(König Purpur mit Lautenklang eintretend.)
Purpur.
Jch ſuchte dich, o Königin.
Hermeline.
Hier bin ich!
Purpur.
Und hier ein Gaſt, der Hausgenoſſe worden:
Der Dichter Lautenklang, mein Hofpoet,
Mög’ er der Königin willkommen ſein.
Hermeline.
Jſt nicht die Poeſie des Lebens Schönſtes?
Sie windet Blumen in den dunklen Kranz,
Der ernſt ſich oft um unſre Stirne wölbt;
Jſt ſie nicht auch der Regenbogenſchimmer,
Der düſtre Lebenswolken überſpannt?
Lautenklang.
Jhr zeichnet ſinnig, edle Königin,
Jn ſchönen Bildern, was ich tief empfinde.
Fürwahr, ich tret in’s Reich der Poeſie;
Der Dichter hat die Heimath hier gefunden,
Die er vergebens ſich ſo lang gefucht;
Die Welt iſt öd’ und kalt ſind alle Herzen,
Verſchloſſen höh’rem Sinn nach Jrd’ſchem trachtend.
Purpur.
Vortrefflich! — Ja die Kön’gin war geneigt
Der Poeſie und ihren Jüngern ſtets.
Lautenklang.
Geſtattet, daß der Königin ich bringe
Jn einer Dichtung meine Huldigung,
Jndem ein kleines Lied ich ſchnell erſinne,
Dem Kind geweiht, das auf dem Arm ſie wiegt.
(Singt zur Laute.)
Mit Blumen aller Arten
Und ſüßen Duft und Hauch
Blüht in des Frühlings Garten
Ein kleines Röslein auch.
Erwärmt vom Sonnenſtrahle,
Erfriſcht vom Tröpflein Thau,
Ein Sitz dem Bienemahle,
Gewiegt von Lüftlein lau.
(Es erhebt ſich ein Sturm.)
Hermeline.
Weh uns! hört ihr den Sturm ſich jetzt erheben?
Wenn er dem Kind nur nichts zu Leide thut!
Purpur.
Grundloſes Bangen! Setzt den Sang nur fort.
Lautenklang (ſingt weiter.)
So blüht’s und ſchaut in’s Leben,
Und mög es wohl gedeih’n!
Gott woll’ dem Röslein geben
Den hellſten Sonnenſchein!
(Der Sturm wird mächtiger.)
Hermeline.
Hört’s nur! ſie nah’n, die ich im Traum geſeh’n!
Purpur.
Wer naht? dich ſchreckt die Angſt vor dem Gewitter,
Verlaß den Ort und leg das Kind zur Ruh!
(Wiltrud und Scohlint erſcheinen.)
Wiltrud.
Wir ſind’s, wir ſind’s, die ungebet’nen Gäſte,
Die ihr vergeſſen habt bei eurem Feſte.
Scohlint.
Wir ſind’s, wir ſind’s, zu bringen unſre Gaben;
Wir bieten euch das Beßte, was wir haben.
Hermeline und Purpur.
Weh uns, da ſind die böſen Zauberfrau’n!
Wiltrud.
Wir reichen eurem Kind als Weihgeſchenk
Den Fluch, dem ſeinerzeit Erfüllung folgt.
Scohlint.
Daß Röslein ſich an einer Spindel ſticht,
Wenn fünfzehn Mal der Mai ſie hat begrüßt.
Wiltrud.
Und mit dem Stich fällt ſie in tiefen Schlaf,
Jhr ſelbſt auch und was lebt im Königshaus.
Scohlint.
Ein Dornſtrauch wird umwuchern den Pallaſt:
„Dornröslein‟ſei fortan das Kind genannt!
Wiltrud und Scohlint.
Hört’s König Purpur, Königin Hermelin:
Den Fluch ſchenkt euch das Zauberſchweſternpaar!
(Ein Donnerſchlag.)
Der Vorhang fällt.II. Aufzug.
Trompetenſtoß. Der Herold tritt auf.
Herold.
Hört’s alle, holde Mägdlein, ſchöne Frauen,
Was König Purpur mich hieß kund euch thun:
Von heut an darf man keine Spindel ſchauen,
Und eu’re Hände ſoll’n vom Spinnen ruh’n.
Jhr möget weben, ſtricken oder näh’n,
Wie’s Frau’n und Fräulein ziemt, doch nie geſehen
Werd’ eine Spindel mehr; ich ſag’ es zweimal euch,
Damit ihr’s Alle, Alle hört im Reich.
Die Rocken werft in’s Feuer und kauft den Faden
Zum Linnenzeuge außer Land im Laden.
Dieß iſt des Königs ſtrenges Aufgebot;
Wer nicht gehorcht, den trifft alsbald der Tod.
D’rum wagt nicht, etwa heimlich gar zu ſpinnen,
Nicht Eine wird der Strafe dann entrinnen.
Hört’s Alle! Wenn ich rede, aufgepaßt!
Sorgt, daß ihr auf der That nicht ſeid erfaßt.
Was ich verkünde in des Königs Namen,
Jſt ſtreng Geſetz und dabei bleibt es. Amen!
Trompetenſtoß. (Ab.)
Romantiſcher Wald (wie im erſten Aufzuge.)
Lautenklang ſitzt ſchreibend unter einem Baum; Chriſtoph
unfern von ihm aus einer Flaſche trinkend.
Lautenklang.
Der Stoff iſt exponirt, der Knoten auch
Geſchürzt und die Verwicklung ſoll nicht fehlen;
Einheit des Ortes, wie’s die Regel will.
Was liegt noch an der Zeit? die fünfzehn Jahre,
Die nun verfloſſen, deckt der Zwiſchenakt.
Jch lebte mittlerweile gut am Hof des Königs,
Nichts fehlte mir in jeglicher Beziehung.
Dornröslein wuchs heran zur ſchönen Jungfrau,
Und hat die Kinderſchuhe abgelegt.
Bisher hat mir der Held im Stück gefehlt,
Als Kind war die Prinzeſſin zu paſſiv;
Tritt ſie aktiv von nun an in das Leben,
So iſt mir auch die Hauptperſon gegeben.
Begierig bin ich ſelbſt, wie ſich’s geſtaltet,
Und wie ſich der dramat’ſche Knoten löst;
Denn iſt Prinzeſſin Röslein eingeſchlafen —
Was ſoll geſcheh’n, wird ſie nicht aufgeweckt?
Wohlan, ich kehr’ zurück in’s Königsſchloß,
Daß nicht ein Augenblick’chen ſei verſäumt,
Der Cataſtrophe harrend, die ſich naht.
(Vertieft ſich in’ ſeine Dichtung.)
Chriſtoph.
Der Stoff iſt lobenswerth, allein mit Schrecken
bemerke ich, daß nun auch das Vacuum eingetreten
iſt. Die Flaſche iſt leer. Leerheit! von jeher hab ich
dich gehaßt. Von einem dummen Kerl ſagt man er
ſei ein leerer Kopf, ſo halte ich denn eine leere
Flaſche auch für eine Dummheit. Uebrigens kann
ich zufrieden ſein; denn meine Geſchäfte waren bisher
nicht anſtrengend, inſoferne nicht auch die Erfüllung
der Selbſterhaltungspflicht zur Laſt werden kann,
denn am Eſſen und Trinken hab ich’s keinerzeit
fehlen laſſen. Jch habe mich dadurch als einen ächten
Hofmann ſcalifizirt.
Nun bin ich aber neugierig, wann einmal der
große allgemeine Schlaf beginnt, den uns die aller-
liebſten zwei Blocksbergbewohnerinen prophezeit haben,
oder: wann die Prinzeſſin ſich an der Spindel ſtechen
wird? Deßhalb hat auch der König alle Spindeln
im Lande verbieten laſſen; allein, was einmal ſein
ſoll, das wird ſein. Mir wär’s einerlei, ein paar
Jahre zu verſchlafen; doch mein Herr ſagt: Wie
die Geſchichte losgeht, läuft er davon und betrachtet
ſich Alles romantiſch von Weitem. Auch gut! Wenn
nur er Stoff nicht ausgeht!
Lautenklang.
Es fließt mir heute wirklich aus der Feder
Und leicht ſchreib ich fünffüß’ge Jamben hin,
Doch leider iſt mein Tintenfäßchen leer!
He, Chriſtoph, haſt du’s denn nicht aufgefüllt?
Chriſtoph.
Das verſteht ſich — gefüllt, ſchwarz bis an
den Rand! Aber ich möchte euch rathen, wenn ihr
mit Tinte ſchreiben wollt, dieß zu Haus zu thun.
Die Tintenklexer gehören in die Stube, und wollen
die Dichter fingen, ſo ſollen ſie es wie die Vöglein
machen. Aber — freilich das will Alles geſchrieben
ſein, damit der Nachwelt auch nicht eine Silbe ver-
loren gehe! Kommt, laßt uns heimgehen! ’s iſt bald
Eſſenszeit.
Lautenklang.
Gemeinen Sinnes bleibſt du ſtets doch, Chriſtoph!
Es wäre Zeit, daß du nach Höh’rem trachteſt;
Haſt du denn gar Nichts noch von mir gelernt?
Chriſtoph.
O ſehr ja! die Sache verhält ſich alſo: Wir
Beide ſuchten Stoff. Nun, das wißt Jhr aber —
denn Jhr habt’s ja oft ſelbſt geſagt — daß der
Menſch aus Leib und Geiſt beſteht. Jhr ſucht Stoff
für den Geiſt und ich für den Leib, da hat jeder
ſeinen Theil und kann dem andern aushelfen.
Lautenklang.
Pro domo ſpricht der Cicero nicht übel!
Fürwahr, geſunde Logik fehlt dir nicht,
Als humoriſtiſch Element zu brauchen.
Chriſtoph.
Jetzt macht Jhr gar ein Element aus mir; da
hätten wir alſo fünf Elemente: Feuer, Waſſer,
Luft, Erde und ich dazu! Wieder eine neue Erfind-
ung. Bringt ſie dem König Purpur, kriegt vielleicht
ein Ritterkreuz oder ſo was.
Lautenklang.
Ein Orden mir? was denkſt du denn, mein Freund?
Den Rittern und den Kriegern iſt der Schmuck
Und Ehrenzeichen ihrer ſchönen Thaten.
Dem Dichter blüht des Lorbeerbaumes Blatt;
Wind’ es zum Kranz und ſchmück damit ſein Haupt,
Mehr will er nicht — er fühlt ſich reich belohnt.
Chriſtoph.
Geht mit Eurem Lorbeer! Von dem kann kein
Dichter leben. Lorbeer, Lorbeer — aber Etwas
dabei! So denkt ihr Dichter wohl ſelbſt alle!
Lautenklang.
Unziemlich ſehr iſt, was du ſagſt, d’rum ſchweige!
Jch will in’s Königsſchloß zurück nun eilen.
(Beide ab.)
Königin Hermeline und Prinzeſſin Röslein, welche voraus-
läuft, einen Schmetterling zu haſchen.
Hermeline.
Pfui, Röslein! Was läufſt du ſo raſch voraus?
Röslein.
Ach, Mutter ſieh den ſchönen Schmetterling! Jch
möcht’ ihn fangen.
Hermeline.
Das ſchickt ſich nicht für dich. Du biſt kein Kind
mehr; bedenke, daß du nun ein Jungfräulein biſt.
Die ſollen nicht den Schmetterlingen nachlaufen,
ſondern hübſch anſtändig ſpazieren geh’n.
Röslein.
Die Jungfräulein ſollen alſo keine Freude mehr
haben? Da wär’ ich lieber ein Kind geblieben.
Hermeline.
Jedes Alter hat ſeine Freuden. Du biſt an
deinem fünfzehnten Geburtstage dem ganzen Hofe
vorgeſtellt worden; war dieß nicht ein ſchönes Ver-
gnügen für dich? Auch darfſt du von nun an mit
uns an der großen Tafel ſpeiſen.
Röslein.
Da wollt ich lieber nur Beeren mit den Vöglein
im Wald eſſen, wenn mir alle Kindesfreuden ver-
boten würden. Sieh doch, liebe Mutter, wie herr-
lich es hier iſt! Leuchtet der Sonnenſchein nicht
mächtiger als der güldene Thron im Schloße? Jſt
der Geſang der Vögel nicht lieblicher als das Ge-
ſchwätz der Hofdamen? Das Grün der Blätter, die
Farbe der Blumen — übertrifft dieß Alles nicht den
Schmuck des Hofes?
Hermeline.
Jch begreife nicht, wie du zu dieſen Grundſätzen
kommſt.
Röslein.
Du redeſt mir von Grundſätzen, liebe Mutter!
davon weiß ich fürwahr Nichts. Jch fühle nur
mein Herz ſich aufthun, wenn ich heraustrete in
Gottes herrliche Natur. Es wird mir ſo fromm
zu Muth; ich möchte immer hinknie’n und beten.
Hermeline.
Das iſt recht hübſch und lobenswerth, allein die
Schranken des Anſtandes ſoll und darf eine Prin-
geſſin nie überſchreiten. Jch glaube immer, daß die
Vorleſungen des Hofdichters Lautenklang dir den
Kopf verdrehen. Du wirſt mir zu phantaſtiſch; du
wirſt zu ſehr der Wirklichkeit und der Convenienz
entrückt. Jch werde dieſem ſchädlichen Einfluſſe zu
ſteuern wiſſen.
Röslein.
Alſo auch dieß ſoll eine verbotene Freude ſein,
daß ich mich an den Gedichten des Herrn Lauten-
klang erfreue? Jſt die Poeſie eine Sünde?
Hermeline.
An und für ſich nicht, allein ſie kann es wer-
den, wenn ſie ein jugendliches Gemüth zu ſehr auf-
regt. Müller’s Vorträge ſollen ſich von nun an
darauf beſchränken, dir die deutſche Literaturgeſchichte
kurz darzuſtellen; die Periode der Romantiker ſoll
dir nur im Auszug gegeben werden. Jhre Richtung
paßt nicht mehr für unſere Zeit und man ſollte
mehr auf die Entwicklung des Verſtandes wirken.
Herz und Phantaſie — —
Röslein.
Laß mir mein Herz, liebe Mutter! laß mir das
Reich der Phantaſie!
Hermeline.
Pfui, Röslein! Es ſchickt ſich überhaupt durch-
aus nicht für ein Mädchen, Phantaſie zu haben;
16
vielweniger für eine Prinzeſſin. Jch verbitte mir
ſolche Jdee’n! hörſt du? Ein für Allemal!
Röslein (weint.)
Bin ich denn nicht gehorſam in allen Dingen?
Hab ich dir ſchon Kummer gemacht durch mein Herz
und ſeine Träume?
Hermeline.
Nein, liebes Kind; allein es iſt einer Mutter
Pflicht, dich vor Extravaganzen zu warnen. Jch
mein’ es ſo gut mit dir.
Röslein.
(Fällt Hermelinen um den Hals.)
Liebe Mutter, wie lieb ich dich! — —
Jch möchte mich dort in den Schatten legen und
etwas ſchlummern, darf ich wohl?
Hermeline.
Wir ſind hier ungeſeh’n; außerdem wäre es nicht
ſchicklich. Jch erlaub es dir.
(Röslein ſetzt ſich und ſchlummert ein.)
Hermeline.
Ja, ſchlummere immerhin, mein theures Kind,
Und träume dich in’s Reich der Phantaſie!
Nur allzubald vielleicht wird an dein Herz
Des Lebens Wirklichkeit mit derben Schlag
Anpochen rauh, ſo daß des Troſtes Zuflucht
Dir nur dein inn’rer Reichthum bieten mag!
O herbe Außenwelt für Jung und Alt,
Die oft in Zwieſpalt jagt des Lebens Mächte,
Wenn Herzensdrang und Sehnen mit der ſtarren
Beſchränkung äuſſerer Gewalten ringen!
Und ſolchen Kampf möcht’ ich der Tochter ſparen
Abſchneiden möcht’ ich rechter Zeit die Sehnſucht,
Die ſchlummernd in des Kindes Blüthenkelch
Still ruht als des Verlangens Dämmerſchein,
Weil ihr ſo oft nur bitt’re Täuſchung folgt.
Doch wie? — vergaß’ ich ganz der Fee’n Drohung,
Die ſich in dieſem Jahre ſoll erfüllen?
Weh mir! denk’ ich daran, bricht’s Mutterherz
Zuſammen ſchier, „Dornröslein‟ heißt der Fluch! —
Sconea, milde Fee, die du in erſter Stunde
Dem Kinde Huld und Schutz haſt angelobt,
Vermöcht ich’s, dich mit Mutterſtimm’ zu rufen
Und Mutterſchmerz dir an das Herz zu legen!
(Es ertönt liebliche Muſik.)
Sconea.
(in roſ’gem Schimmer erſcheinend.)
Die Fee Sconea hört, ruft Mutterliebe!
Dein Röslein ſchütz’ ich, wie ich es verheißen,
Doch jeder Fee’nſpruch muß ſich erfüllen,
Denn in ihm liegt der mächt’gen Weihe Kraft;
Gut oder bös — es iſt des Zaubers Recht.
16*
D’rum kann ich auch des Fluchs Gewalt nicht hemmen,
Der auf dem Haupte deines Kindes ruht:
Der Spindel Stich wird langen Schlaf ihr bringen —
Mein Segen aber bringt einſt Morgenroth.
Der Blume Kelch, in myſt’ſcher Ruh geſchloſſen,
(Ein Bild des Schlummers) wird ſich Einmal öffnen,
Des Duftes Blüthenhauch wird ihm entſteigen
Gleich einem Minnelied zur Maienzeit.
Getroſt ſei denn, gedenke meiner Worte:
Des Zaubers Fluch wird ſich in Segen wandeln!
(Verſchwindet.)
Hermeline.
Dank dir, o holde Fee, die du, ein Engel,
Mir milden Thau auf meine Wunde träufelſt.
Jch will vertrau’n dir; muthig ſeh’ entgegen
Jch dem Geſchick, das unvermeidlich iſt.
Röslein (erwacht.)
Wo bin ich? Mutter, welch’ ein ſchöner Traum
Hat mich gegrüßt: denk dir, ich war ein Blümlein,
Das einſam ſtill in einem Garten ſtand;
Ein böſer Sturm erhob ſich, mich zu brechen,
Da kam ein Engel, trug mich in den Himmel.
Hermeline.
Fürwahr, mein Kind, du ſah’ſt ein herrlich Bild;
Doch laß’ den Schlummer jetzt und ſeine Spiele.
Wir geh’n zurück, es ſteht ſchon hoch die Sonne.
Röslein.
Sag, Mutter, was iſt Leben, was iſt Traum?
Zerſchäumt das Leben nicht in luft’gen Träumen,
Und wird der Traum nicht einſt der Wahrheit Leben?
Hermeline.
Komm, laß das eitle Fragen, liebes Kind.
(Beide ab.)
(Wiltrud und Scohlint fahren durch die Luft von zwei Seiten
herab.)
Scohlint.
Wiltrud!
Wiltrud.
Scohlint!
Scohlint.
Nun muß es ſich erfüllen!
Wiltrud.
Die Zeit iſt um! Wie aber wird’s geſchehen,
Die Spindel iſt im ganzen Land verpönt?
Scohlint.
Ei, blinde Hexe, daß du’s noch nicht weißt!
Die taube Alte, die im Königsſchloß,
Vergeſſen ſchier, im grauen Erker wohnt
Und unbeachtet an der Spindel ſitzt — —
Wiltrud.
Bei Satans Dreifuß — daran dacht’ ich nicht.
Wie aber lenken Röslein wir zu ihr?
Scohlint.
Oft ſteigt das Mägdlein heimlich auf die Zinnen
Der Königsburg, um ſtill hinauszuſchau’n
Mit träumeriſchem Blick in’s weite Land.
Jhr Auge wandert mit den Silberflüſſen,
Verſenkt mit ihnen ſich in tiefe See’n
Und hanget gern am Tiefblau ferner Berge.
Ein Stufengang führt ſie vorbei am Pförtlein
Des Erkers, wo die alte Spinn’rin ſchnurrt.
Wiltrud.
Und wahr muß werden, was wir angedroht;
Der Giftqualm rauſcht’ es aus dem Hexenkeſſel,
Der Zauberſpiegel zeigt es uns im Bild.
Scohlint.
Darum Geduld, Geduld! Es kann nicht fehlen;
Ein Mal lockt ſie der Spindel Schnurren doch
Und in die Falle geht ſie!
Wiltrud.
Laß’ uns bleiben
Dem Orte nah, am Sieg uns zu erfreu’n,
Der ſicher iſt.
Scohlint.
Der Augenblick iſt da.
(Beide verſchwinden.)
Gemach im Schloſſe des Königs.
König Purpur. Der Herold.
Herold.
Vollzogen iſt, was du befahlſt, ich meld es:
Nachdem dein Aufgebot verkündigt ward,
Füllt bald darauf der Marktplatz ſich mit Weibern
Und Mägdlein jeden Standes, haufenweiſe
Die Spindlein beizubringen. Von den Burgen
Des Reiches ſchleppen Boten ſchwerbeladen
Das Frau’ngeräth, das dein Geheiß verpönt.
Allüberallher folgt man dem Befehle;
Noch brennen Scheiterhaufen zur Vertilgung.
Wie manch Geſpinnſt ward ſchleunig abgebrochen,
Wie mancher Faden ward entzwei geriſſen;
Ungern zwar mocht’s geſcheh’n, doch es geſchah;
Wer wollte widerſetzen ſich der Drohung
Des Königs, die ſein Herold hat verkündigt?
Purpur.
So kann beruhigt ich ſein; denn wenn im Lande
Nicht Eine Spindel mehr, wie wär es möglich,
Daß Röslein ſich an einer Spindel ſtäche?
Bei aller Milde iſt oft Strenge nöthig,
Wenn ſich’s um Dinge handelt, die gefährlich.
Du weißt’s: des Volkes Wohl liegt mir am Herzen,
Doch auch der Dynaſtie bin ich verpflichtet,
Die ſeit Jahrhunderten dieß Reich beherrſcht.
Spinnt nicht das Weibervolk, ſo bleibt noch Andres
Genug zu thun im Haus und in der Küche,
Und ’s iſt kein Grund vorhanden zur Beſchwerde.
Herold.
So denk auch ich, mein König; ’s iſt kein Zweifel,
Daß Jhr in eu’rem Rechte ſeid, und ſollte
Es Einer wagen, etwa drob zu murren,
Den Kopf zu ſchütteln, ſchlagt den Kopf ihm ab,
Damit er ſchweige, mag er ſein, wer immer.
Purpur.
Geh’ nun zur Königin, entbiet ſie her,
Damit ihr mütterliches Herz ich ganz beſchwicht’ge.
Herold.
Wie ihr befehlt!
(geht ab.)
Purpur (allein.)
Der Sorge wär ich ledig!
Was iſt ein König doch mit Kümmerniſſen
Jedweder Art bedroht! Jſt hier geordnet,
Taucht wieder dort ein neu Geſchäft empor.
Bald iſt’s der Staat, bald iſt’s das eig’ne Haus
Und ſonſt’ge Angelegenheit: Krieg oder Frieden,
Verwaltung jeder Art nimmt ſtets in Anſpruch.
Sieh da, die Kön’gin!
Hermeline (tritt ein.)
Purpur.
Sei zur guten Stunde
Willkommen mir. Nun leg’ die Sorgen ab.
Geſcheh’n iſt, was zu thun war, frei das Feld.
Hermeline.
Dein trefflich Herz erkenn’ daran ich wieder,
Daß deine Weisheit Fürſorg hat getroffen.
Nicht Eine Spindel mehr im ganzen Land?
Purpur.
Nicht Eine, dafür ſorgt die Polizei! —
Doch Rößlein?
Hermeline.
Lautenklang iſt grad’ bei ihr.
Jch trug ihm auf, ſie nicht zu exaltiren
Durch Schwärmerei und durch romantiſch Weſen.
Culturhiſtoriſch ſoll er auf ſie wirken,
Damit ihr Geiſt in richt’gen Schranken bleibe,
Nicht etwa frei hin ſchweife in Regionen,
Die ihre zarten Nerven afficiren.
Purpur.
Vortrefflich! ſelber muß ich dir geſteh’n:
Des Dichters Richtung bin ich müd und ſatt.
Auf gute Art werd’ ich ihn bald entfernen
Von meinem Hof und geb’ ihm die Penſion.
Der Zeiten Umſchwung hab’ auch ich erfaßt,
Begriffen was die Welt jetzt will. Der Fortſchritt
Läßt ſich nicht hemmen und man will Reales;
Romant’ſche Träumerei’n ſind aus der Mode,
Mir liegt daran, das Techniſche zu fördern.
Die Spindel hab ich abgeſchafft, Maſchinen
Zum Spinnen ſind ein trefflicher Erſatz;
So treff’ zwei Fliegen ich mit Einem Schlag.
Gefährliches entfernend führ’ ich ein,
Was aller Welt jetzt Nutzen bringen mag.
Hermeline.
So fügt zum allgemeinen Beßten ſich,
Was eig’ne Zwecke fördert.
Purpur.
Meine Räthe
Verſamml’ ich nun, Staatszwecke zu verhandeln
Und in zwei Stunden geht’s zum Abendtiſch.
(Beide ab.)
Berwandlung.
Enges Erkerſtübchen.
Eine alte Frau ſitzt an der Spindel und ſpinnt.
Zu ihren Füſſen ein knurrender Kater.
Die Alte (ſingt.)
Jch ſinn’ und ſpinne manches Jahr
Den Faden fein wie Frauenhaar;
Die Welt dreht ſich in Einem fort,
Doch Alles bleibt am alten Ort.
Sie dreht ſich fort im Schwindel
Wie in der Hand die Spindel.
Als Eva Adam nahm zum Mann,
Sie auch das Spinnen gleich begann;
Sie ſpann und webte Hemdlein ſchon
Für Kain, ihren erſten Sohn.
Die Welt dreht ſich im Schwindel
Wie in der Hand die Spindel.
Und alſo that das erſte Weib,
Es ſpann zu ſeinem Zeitvertreib,
Und dieß war bei den Andern all,
Die ihm nachfolgen, auch der Fall.
Die Welt dreht ſich im Schwindel
Wie in der Hand die Spindel.
(Röslein guckt zur halbgeöffneten Thüre herein.)
Die Alte (ſingt fort.)
Jhr Mägdlein lernt das Spinnen gut;
Die Spindel ſticht, da fließet Blut.
Jhr lieben ſchönen Jungfräulein,
Das Spinnen will gelernt auch ſein.
Die Welt dreht ſich im Schwindel
Wie in der Hand die Spindel.
Röslein (eintretend.)
Ei wie ſchön du ſingſt?
Alte.
Wer iſt da? Ein lieb Jungfräulein! Wie kömmſt
du herauf in mein einſames Loch?
Röslein.
Jch bin dem Schnurren deiner Spindel gefolgt.
Alte.
Das freut mich, denn ich habe ſchon viele Jahre
kein menſchlich Weſen geſeh’n.
Röslein.
Wie kömmt das, gutes Weib?
Alte.
Jch bin ein altes Hofmeubel, das längſt aus
den Gemächern entfernt wurde.
Röslein
Du biſt ja ein menſchlich Weſen.
Alte.
So balb und halb, wie man’s nehmen will.
Jch bin die Spindel, mit der die Mutter des Königs
Purpur ſpann. Als die ſtarb, ward ich da herauf
geſtellt und ſchnurre aus alter Gewohnheit noch
immer ſo fort.
Röslein.
Ei wie? Sorgt Niemand für dich?
Alte.
Siehſt du den Kater? Er iſt mein Freund und
fangt Mäuſe, die wir zuſammen verzehren.
Röslein.
Pfui! wer wird auch Mäuſe eſſen?
Alte.
Liebes Kind, es iſt Alles nur Gewohnheit. Wenn
es üblich wäre, Mäuſe auf die Tafel zu ſetzen, ſo
würden ſie aller Welt ſchmecken. Jßt man doch viele
andere Thiere, die nicht ſo appetitlich und ſauber.
ſind wie die niedlichen Mäuslein.
Röslein.
Jch könnte mich doch nicht daran gewöhnen. Sieh
da, was haſt du für eine ſchöne goldene Spindel!
Alte.
Gib Acht, gutes Mädchen, du könnteſt dich daran
ſtechen; denn ſie iſt an beiden Enden ſpitz.
Röslein.
Ach, ich möchte gar zu gern auch ein bißchen
ſpinnen.
Alte.
Haſt recht, das Spinnen iſt was Schönes. Sieh
nur die Spinnen, wie ſie die Fäden ihres Netzes
bilden und die Raupe, wie ſie ſich einſpinnt und
aus ihrer Puppe der bunte Schmetterling erſteht;
und wie die Vöglein ihre Neſter ſpinnen — kurz
Alles ſpinnt und ſpinnt und ſpinnt — —
(Unterdeſſen hat Röslein nach der Spindel gelangt.)
Röslein.
(mit einem Schmerzensſchrei.)
Weh mir! ich habe mich geſtochen!
(Die Alte und ihr Kater verſchwinden unter wehmüthiger ſchnurrender
Muſik. Es wird plötzlich dunkel, Röslein ſinkt bewußtlos nieder.)
Wiltrud und Scohlint erſcheinen, jede eine brennende Fakel
in der Hand.
Beide ſprechen in feierlichem Tone:
So ſchlummere, ſchlummere manches Jahr,
Dornröslein mit dem goldnen Haar;
Schlaf gut, du allerliebſtes Kind,
Gerächt ſind Wiltrud und Scohlint.
Und all’ ihr Andern in dem Haus,
Vom König bis zur kleinen Maus,
Schlaft alle; denn ſo will’s der Fluch,
Der Zauberinen Racheſpruch!
Wer wird euch wecken aus der Nacht,
Die wir in dieſes Schloß gebracht?
Für euch gibt’s wohl kein Morgenroth
Und euer Schlummer iſt der Tod!
(Sconea erſcheint im hellen Schimmer, die Fakeln der böſen Fee’n
erlöſchen.)
Sconea.
Sconea ſpricht’s: es währt die Nacht
Nicht ewig! wie die Blum erwacht,
Geküßt vom erſten Sonnenſtrahl,
Wird Röslein auch geweckt einmal.
Die Minne thut’s mit holdem Mund
Und ſie zerſtört der Rache Bund.
(Die böſen Fee’n verſinken.)
Unter leiſem Donner fällt der Vorhang.III. Aufzug.
Wald. Jm Hintergrunde das verzauberte Kö-
nigsſchloß, von Dornroſengeſträuch und anderen
Gewächſen überwuchert. Vorn eine Einſiedelei,
neben deren Pförtlein eine Laute hängt. Auf
der andern Seite die Höhle des Rieſen Schlaf-
dorn.
Lautenklang.
(Mit langem weißen Barte, im Eremitengewande, den Lorbeerkranz
auf dem Haupte.)
Nun harr’ ich hier ſo lange ſchon der Löſung,
Daß meinem Sinn der Jahre Zahl entſchwand;
Still leb’ ich in der Hütte, die ich mir
Aus Stämmen ſelbſt gebaut; Einſiedlern gleich
Hab ich mir Waldesnahrung angewöhnt;
Der kühle Felsquell iſt mein Trunk, ich ruhe
Des Nachts auf Moos. So alt bin ich geworden,
Daß mein ergrauter Bart berührt den Boden.
Kahl iſt mein Haupt, der Lorbeer nur bedeckt es;
doch iſt mein Herz noch jung und friſch mein Geiſt,
Und täglich greif’ ich in das Saitenſpiel
Und täglich ſinge ich ein neues Lied.
Daß aber dieß mein Drama nicht vollendet,
Daß ich am dritten Aufzug ſteh’n geblieben
Und Alles um mich ſchläft, betrübt mich tief,
Denn endlich wirkt’s ſogar auf’s Publikum.
Jch bitt Euch: habt Geduld, es kann nicht fehlen,
Daß ſich der Stoff vor Euch noch ganz entwirre;
Denn ſo, wie’s jetzt ſteht, kann und darf’s nicht bleiben;
Ein ſolch Fragment würd’ nimmer Euch genügen.
Nicht denkbar iſt ein ew’ger Schlaf; Erwachen
Jſt jedem Schlummernden gewiß, denn geiſtig Leben
Verbürgt es durch die inn’re Weſenheit:
Dem tiefſten Schlafe folgt einmal Erwachen.
Der Rieſe Schlafdorn, in Felle gekleidet mit hoher Nachtmütze,
mit einer Keule bewaffnet tritt aus ſeiner Höhle.
Schlafdorn.
Was predigſt du wieder, alter Narr? Jch bin
deines Geleiers ſatt. Hör’ einmal auf, wenn du
willſt, daß ich gute Nachbarſchaft halte. Entweder
fabelſt du unverſtändlich Zeug oder klimperſt auf
deiner alten Leyer. Du änderſt ja doch Nichts an
der Geſchichte. Dornröslein und Alles, was im
Königsſchloſſe lebte und webte, ſchläft ein für alle-
mal bis zum jüngſten Tag.
17
Lautenklang.
Unmöglich iſt ’s! ’s wär gegen alle Regel:
Der Knoten, der geſchürzt — er muß ſich löſen!
Du alter Hamſter, kannſt es nicht verſteh’n;
Du haſt ein Drama wohl noch nie geſeh’n.
Erpoſition, Verwicklung und Entwirrung —
Dieß ſind die Elemente ſolcher Dichtung.
Schlafdorn.
Du faſelſt immer von Dichtung und wir be-
finden uns mitten in der Wahrheit des Lebens.
Das weiß ich am Beßten, ſeit mich die Fee’n Wil-
trud und Scohlint als Wächter hier aufgeſtellt haben.
Dir bin ich freilich ein Dorn im Aug. Jch ſelbſt
hätte auch an der Geſchichte längſt genug; denn es
iſt kein Spaß, weiß der Himmel, wie lange ſchon
und wie lange noch mit der Keule als Schildwache
dazuſteh’n, damit kein Sterblicher das verhexte
Schloß betrete.
Lautenklang.
Und trotzdem wird’s geſcheh’n; des Wächteramts
Wirſt ledig du, ich kann es dir verheißen.
Schlafdorn.
Wird ſich zeigen, wer recht behält. Da, nimm
eine Priſe Tabak. Jch muß Tag und Nacht ſchnu-
pfen, damit ich nicht einſchlafe, obgleich ich mir
durch langjährige Uebung das Schlafen ſchon ganz
abgewöhnt habe.
Lautenklang.
Ei laß’ mich! Jeder treib’ es wie er will:
Den Bären gleich magſt du beliebig brummen,
Die Laute ſpiel’ ich, weil es mir gefällt;
Und wenn du meine Lieder nicht willſt hören,
Bleib in der Höhle, lege dich auf’s Ohr.
Schlafdorn.
Jch thu’s und will in meinem Loch da drinnen
ein wenig ausruh’n; aber ſchlafen darf und kann
ich nicht. So oft ich mich niederlege, beugt ſich
der Zipfel meiner Nachmütze herab und kitzelt mich
unter der Naſe; das iſt eine verfluchte Hexerei, die
die beiden Fee’n veranſtaltet haben; und fortlaufen
kann ich auch nicht, denn ihr Zauber hat mich an
dieſen Ort gebannt. Es iſt wirklich ein miſerables
Leben für einen Rieſen aus der Urzeit. So — jetzt
leyre ſo viel du willſt.
(Ab in die Höhle.)
Lautenklang.
Nun komm herab, mein theures Saitenſpiel!
Dem Herzquell ſoll ein innig Lied entſtrömen;
17*
Jhr Vöglein tragt hinaus es in die Welt,
Damit es von den Lüften niederſchalle,
Begeiſternd und erhebend irgendwo!
(Er nimmt die Laute und ſingt.)
Jm Walde ſteht ein altes Schloß,
D’rin ſchläft ein König und ſein Troß,
Er ſitzt auf einem Thron von Gold,
Zu Füſſen ihm ein Mägdlein hold.
Dornröslein, ſchön wie keine Maid,
So voll an Reiz und Lieblichkeit,
Dornröslein ſchläft, das holde Kind,
Mit Vater, Mutter und Gefind.
Die Kunde lebt im ganzen Land
Und dennoch keiner hier ſich fand;
Kein Ritter, der mit Muth zum Streit
Die Königstochter hätt’ befreit.
Greift nach dem Schwert und nach dem Schild!
Bahnt euch den Pfad durch Dornen wild!
Ein Kuß auf Rösleins Purpurmund
Lös’t allen Zauber zu der Stund.
Ein alter Sänger ſingt das Lied,
Der von dem Leben gerne ſchied.
Wenn nur Dornröslein wär befreit —
Dann ſchied er in die Ewigkeit!
(Hängt die Laute wieder neben das Pförtlein der Hütte:)
Wie viel der Lieder, ach, hab ich geſungen,
Und zur Befreiung iſt nicht Ein’s gelungen;
Am Ende muß ich ſelber noch verzagen
Und hauch mein Leben aus in lyr’ſchen Klagen.
O wär’ ein Ritter ich mit Schwert und Harniſch!
Mein armes Lied, es bannt den Zauber nicht;
Wohl eilt’s empor in wunderbarer Macht
Und ſchwebet klingend über Berg und Thal;
Zu ſchüchtern iſt’s, fliegt nicht in’s Zauberſchloß.
Geheimnißvoll nur naht ſich Herz zum Herzen,
Wenn es die Minne will, löst ſich der Zauber.
(Ab in die Hütte.)Verwandlung.
Gaſtſtube einer Schenke an der Heerſtraſſe. An
der Wand hängt Dornrösleins Bildniß.
Chriſtoph (alt und taub.)
Wie ſich die Zeiten ändern! Vormals war ich
der Diener eines Poeten am Hofe eines Königs
und repräſentirte den Humor ich war eigentlich
der Luſtigmacher — — da brach die Nacht herein.
Wir floh’n; ich verlor meinen guten Herrn und
mit ihm meinen guten Humor. Lautenklang zog
in die Einſamkeit und harrt am Fuße des ver-
zauberten Königsſchloſſes, bis die Nacht des Schla-
fes entweicht! Und ich, was bin ich jetzt? Ein alter
Burſch, den die Laſt der Jahre taub gemacht; ich
habe mich ſozuſagen überlebt, kein Menſch frug
mehr nach mir. Da bin ich denn in der Schenke
in Dienſt getreten; man nährt mich und ich zehre
nebenbei an alten Schwänken. Der Gäſte ſind wenig;
die Umgegend iſt verrufen wegen der Nähe des ver-
hexten Königsſchloſſes.
(Es pocht an dem Thore.)
Holla! ein Gaſt; etwa ſo ein Schnapphahn,
deren wir nicht ſelten beherbergen.
(Minnamunt geharniſcht tritt ein.)
(Unter der Thüre.)
Minnamunt.
Führt mein Roß in den Stall, reibt ihm den
Schweiß ab und ſchüttet ihm auf.
(Jn der Stube.)
Heda! wo iſt der Wirth? Jch bin müde und
mich dürſtet. Gebt mir einen Jmbiß.
Chriſtoph.
Bei uns wird Niemand gebißen, wir ſind zah-
mes Volk, edler Ritter.
Minnamunt.
Reicht mir einen Humpen!
Chriſtoph.
Ei, was meint Jhr! Wir ſind keine Lumpen.
Der Wirth iſt ein ehrlicher Mann und ich bin noch
ehrlicher als er. Aber taub bin ich — alſo ver-
gebt, wenn ich Euch nicht gleich verſtehe.
Minnamunt (laut.)
Einen Becher Wein!
Chriſtoph.
Ein verſtändlich Wort. Gleich ſollt Jhr bedient
ſein.
(ab.)
Minnamunt
(wirft ſich auf einen Stuhl.)
Wie lange ſchon ſuche ich das verzauberte Schloß
und die ſchlafende Prinzeſſin! Jch muß ſie finden!
Ueberall vernehm’ ich die Kunde davon — mein
ritterlicher Sinn verlangt nach ſolchen Abenteuern —
aber Niemand konnte mir noch Näheres von dieſer
Volksſage erzählen.
(Chriſtoph bringt Krug und Humpen.)
Chriſtoph.
Nun löſcht Euern Durſt, edler Herr.
Minnamunt.
Du biſt wohl der Diener in dieſem Gaſthofe.
Chriſtoph.
So lange wohl, daß ich nicht mehr weiß wie
oft das Jahr mittlerweile umgelaufen.
Minnamunt.
Alſo biſt du ſchon lange in dieſem Hauſe.
Chriſtoph.
Wie geſagt und ich war ſonſt ein luſtiger Burſch,
allein die Zeit hat mich beim Schopf genommen
und hat mich derb geſchüttelt wie der Wind einen
alten Baum.
Minnamunt.
Da weißt du vielleicht auch Etwas von dem
verzauberten Königsſchloß, das in dieſer Gegend ſein
ſoll.
Chriſtoph.
Allerdings auch. Es ſind nur ein paar Stun-
den hin, aber kein vernünftiger Menſch traut ſich
in die Nähe zu kommen, denn der Wald ringsum
iſt voll von Hexen und Teufeln!
Minnamunt.
Ha gerade recht für einen Ritter, der auf Aben-
teuer ausgeht.
Chriſtoph.
Jch ſage Euch, daß es hier im Hauſe gar nicht
theuer iſt, weder des Abends, noch Mittags noch
Morgens. Die Gäſte loben den Preis und ſagen
ſtets: Wenn auch euer Wein ſauer iſt, ſo iſt er
doch wohlfeil und nach meiner dummen Anſicht iſt
ein ſaurer Wein immer beſſer ſchlecht bezahlt als
ein guter mit Verdruß getrunken.
Minnamunt.
Du kaunſt mir wohl den Weg angeben, der zu
dem Zauberwalde führt?
Chriſtoph.
Ob ich’s nicht kann! Da ſchaut einmal zum
Fenſter hinaus. Rechts um die alte Eiche dort,
dann links durch den Sumpf, dann gradaus über
die lange Wieſe, dann obenauf über den Hügel,
auf dem der Galgen ſteht, und abwärts durch den
Fluß, dann etwas mehr rechts und dann wieder
links um den Tannenwald und noch drei Stunden
geritten oder gegangen — dann ſeid Jhr auf dem
rechten Wege.
Seht hier an der Wand das Bild. Es iſt die
ſchlafende Prinzeſſin, das liebe ſchöne Dornröslein!
Minnamunt.
Himmel, welche Schönheit!
Chriſtoph.
Köhler haben es einſt am Gemäuer gefunden,
dort unter der Dornhecke, die das Schloß überwuchert
hat. Das arme, liebe Dornröslein!
(weint.)
Minnamunt.
O reizendes Bild, wie bin ich von dir begei-
ſtert! Dornröschen, dich muß ich erlöſen! Dich muß
ich beſitzen!
Chriſtoph.
Hütet Euch, edler junger Herr, Euch in ſo nam-
hafte Gefahr zu begeben! Mit Rieſen und Hexen
iſt kein Spaß zu machen.
Minnamunt.
Gleichviel! Es läßt mir keine Ruhe mehr! Auf,
Auf! Zu ihr, zu ihr! und ſollt ich mit allen Teu-
feln um ſie kämpfen müſſen!
(Stürzt hinaus.)
Chriſtoph.
Armer junger Held! Fürwahr, ich meine, daß
iſt ſo Einer wie mein guter Herr war, ſo eine ro-
mantiſche Natur, die auch Stoff ſucht. Gott ſchütz’
ihn! Mag er mit Rieſen kämpfen, ich leg’ mich
auf die faule Haut. Jch denke ich werde bald ein-
ſchlafen und kein verliebter Prinz wird mich wecken.
Alſo gute Nacht!
(ab.)
Verwandlung.
Dekoration wie am Anfange des Aktes.
Mondſchein.
Schlafdorn
(mit ſeiner Keule auf- und abgehend wie eine Schildwache.)
(Singt.)
Keine Ruh bei Tag und Nacht,
Nichts was mir Vergnügen macht;
Jmmer auf und abzugeh’n,
Unabläßig Wache ſteh’n!
Selbſt der Mond wacht nur die Nacht,
Wenn er ſcheint in ſeiner Pracht;
Unter Tags in’s Bett er geht,
Weil die liebe Sonn’ aufſteht.
Auch die Sterne wandeln hin,
Wenn das Morgenroth erſchien,
Ruhen aus von ihrem Gang
Bei der Vögel Morgenſang.
Schlafen möcht’ auch ich einmal;
Jſt doch’s Wachen eine Qual!
Hol’ der Teufel die Hexerei
Und die Feeen alle zwei!
Schmählicher Dienſt für einen Rieſen aus der
beßten Rieſenfamilie! Eines ſchlafenden Mägdleins
wegen daſteh’n und wachen! Schickten mir die bei-
den Zauberſchweſtern nicht täglich ein Faß Meth
und ein Kalb zur Nahrung, ſo hielt ich’s wirklich
nicht aus. Mein ſanfter Nachbar, der Sänger, ſchläft
ruhig in ſeiner Hütte, das Morgenlied der Wald-
vögel weckt ihn täglich, während ich mich die Nacht
über am Heulen der Wölfe und am Geächze der
Eulen zu erfreuen habe.
(Ein Flug Raben ſchwirrt durch die Luft und läßt ſich auf den
Bäumen nieder.)
Holla, ihr lieben Vögelein mit ſchwarzem Ge-
fieder, was wollt ihr da? Wenn ihr auffliegt gilt’s
eine Botſchaft; was habt ihr mir zu verkünden?
Die Raben.
Wir kräh’n und kräh’n,
Daß wir dort geſeh’n
Den Minnamunt geh’n;
Wir kräh’n und kräh’n,
Bald wird es geſcheh’n,
Bald wird es geſcheh’n —
Krah, krah, krah! (fliegen fort.)
Schlafdorn.
Was wird geſcheh’n ihr weiſen Vögel? fort ſind
ſie! — Aber dorther kracht’s durch’s Gebüſch; es
klingt wie Eiſen, es blitzt wie Stahl im Mond-
ſchein. Wer da? der Rieſe wacht!
Minnamunt (tritt ein.)
’S iſt Minnamunt mit Schwert und Schild;
Er will erlöſen die Jungfrau mild;
Er will zerbrechen des Zaubers Macht,
Als Freier kömmt er in dieſer Nacht!
Schlafdorn.
Steck dein Schwert ein, Minneheld! Wage dich
nicht an den Rieſen!
Minnamunt.
Mein Schild iſt feſt, mein Schwert iſt gut,
Das will ſich färben mit Rieſenblut!
Stell dich zum Kampf, ich bin bereit —
Der Morgen graut, ’s iſt an der Zeit!
Schlafdorn.
Willſt du, ſo ſei’s!
(ſie kämpfen.)
Lautenklang (aus der Hüte tretend.)
Was weckt mich aus dem Schlummer? Wie, ein
Kampf?
So iſt ein Streiter endlich hier erſchienen,
Den meine Klänge haben hergerufen!
Muth! edler Kämpfer! Muth! Heil deinem Schwerte!
Mög dich ein Lied begeiſtern für den Sieg!
(Er nimmt die Laute und ſingt.)
Die Schönheit ruft’s: Komm, wecke mich!
Sie winket und erwartet dich,
Die Minne hart im Zauberſchloß:
Auf, Ritter, auf! beſteig dein Roß!
Greif nach dem Schwerte, hell und blank,
Zu kämpfen um der Minne Dank!
Schlafdorn.
Halt ein, Ritter! Jch bin vom Kampfe müd.
Laß uns ruh’n! Dann beginnen wir wieder; dein
Arm iſt ſtark.
Minnamunt.
Mein Arm iſt ſtark, mein Schwert iſt gut,
Das will ſich färben im Rieſenblut!
Lautenklang (ſingt fort.)
Wenn du ein ſtarker Held auch biſt,
So traue nicht des Rieſen Liſt,
Dornröslein liegt in Schlummers Macht,
Dornröslein dir im Traume lacht!
Die Sonn’ geht auf, drum kämpfe fort,
Der ſchönſte Preis iſt Minne dort!
(Sie kämpfen wieder, während ſich die Bühne vom Morgenroth er-
hellt, fällt der Rieſe im Kampf. Ein wunderbarer Klang ertönt.)
Lautenklang.
Heil dir! du haſt geſiegt, jetzt eil’ in’s Schloß;
Dornröslein ſchlummert in des Königs Schooß.
Minnamunt.
Wohlan es ſei! Es winkt der ſchönſte Lohn!
Mein Schwert haut mir die Bahn durch’s Dorngeheg.
(Er eilt in das verzauberte Schloß.)
Lautenklang.
Geſegnet ſei, du junger Held, zu pflanzen
Des Sieges Banner auf die Zinnen dort!
Vollbracht haſt du das Schwerſte, freue dich
An deiner That! Nun hole dir die Krone!
Dank dir, o himmliſches Geſchick! die Löſung naht!
Geſchloſſen iſt der mag’ſche Ring der Minne,
Das Seherlied des Sängers hat’s verkündet.
Donnerſchlag. Die Hülle des Schloſſes fällt, welches im hellen
Morgenlichte daſteht. Auf einer breiten Treppe ſteigen herab: Min-
namunt, Dornröslein führend, König Purpur und Königin
Hermeline mit Gefolge. Zugleich erſcheint Sconea auf roſigen
Wolken.
Sconea.
Heil euch! der böſe Zauber iſt gelöst!
Mein Segen ruht auf Euch; der Schlaf entwich,
Die Nacht entfloh, nun winkt das Morgenroth —
Erfreuet euch nach langen Schlummers Noth!
(Verſchwindet wieder.)
Minnamunt.
Dornröslein iſt nun mein! Das Röslein blühe,
Die Dornen bleiben in der Nacht zurück
Gleich einem Traume, der entſchwunden iſt.
Dornröslein.
Ja ich bin dein, mein holder Minnamunt,
Da mich geweckt der reine Minne-Kuß!
Dein bin ich für die irdiſche Lebenszeit,
Und dein gehör’ ich für die Ewigkeit!
Lautenklang.
Zu gutem Ende führt der edle Kampf
Des Lebens; ja, er führt einmal zum Heil!
Zur Wahrheit ward’s! Nun ſtirbt der Sänger gern!
Der Laute Saiten ſpringen und es bricht
Sein Herz; dort oben winken lichte Höh’n.
(Er ſinkt zuſammen.)
Lebt wohl! im Reich der ew’gen Poeſie
Seh’n wir uns wieder! Heil euch, lebet wohl!
(Er ſtirbt.)
Alle gruppiren ſich um ihn. Der Vorhang fällt.