Lieber Bruder.
Seit längerer Zeit bin ich Dir einen Brief schuldig und bin haupt-
sächlich nicht dazu gekommen, ihn Dir zu schreiben, weil ich gern einen inhalts-
vollen schicken wollte und davon durch körperliches Mißbefinden, das
– wie du wohl weißt – oft störender ist als wirkliche Krankheit, und allerlei
störsame Kleinigkeiten und verstimmend Kleinigkeit verhindert wurde.
Länger will ich nun aber doch das Schreiben nicht aufschieben, wenn ich freilich gleich
voraussehe, dass ich dir nun ein Lebenszeichen gebe, nicht einen wirk-
lichen Brief schreiben kann; aber lieber will ich doch „Nichts“ als „nicht“ schrei-
ben.
Augenblicklich beschäftigen uns hier die Wahlen. Ich habe alle
Hände voll zu thun, um die flaue Stimmung der Freisiñigeren anzufachen
und ich weiß doch nicht, ob bei den großen Anstrengungen, welche
die Gegenpartei diesmal macht, und bei dem mächtigen Einfluss, den sie
auf ihre Abhängigen zu üben im Stande ist, Pogge diesmal durch zu brin-
gen sein wird. Doch hoffen wir es. Vorigen Sonntag hatten wir in NBrdbgNeubrandenburg
eine Zusammenkunft, in der es namentlich den Rostocker Freunden darauf
ankam, die hier von liberaler Seite in Aussicht genom̃ene Kandidatur
Drechsler's zu zerschlagen, was ihnen auch gelungen, da Pogge sich
durch die Rücksicht, jeden Parteizwiespalt zu vermeiden hat bewegen
lassen, die erst defintiv abgelehnte Kandidatur doch anzunehmen.
Ich theile Dir vieles mit, nicht als köñten Dich diese mecklenb.mecklenburgischen Einzelheiten
besonders interessieren, sondern um daran anzuknüpfen, daß mit Mor.Moritz Wiggers
auch Dr Schnelle gekom̃en war, den ich seit der Warnemünder Zeit
nur ein einziges mal flüchtig in Schwerin gesehen hatte. Wir haben viel
von jener schönen Zeit und von Euch gesprochen und Schnelle hat
mir angelegentlichst Grüße für Euch aufgetragen. Ich wollte,
liebe Adele, Sie hätten es mit anhören köñen, mit welchem
Entzücken Schnelle von Ihrem Gesang sprach und wie er in
der Eriñerung schwelgend förmlich verjüngt wurde. Auch Mor.
Wiggers lässt schönstens grüßen. Diesen habe ich körperlich sehr
angegriffen gefunden. Dass ich den NBrdbgrNeubrandenburger Ausflug mit einem
Grippe-Anfall habe büßen müssen, sei nur nebenbei erwähnt.
So eben geht mir eine Nachricht zu, die, als eine
auch Euch bekañte Persönlichkeit betreffend, auch Euer Interesse
in Anspruch nehmen wird. Dewitz-Miltzow hat sich er-
schossen. Näheres weiß ich nicht. Als Gründe des Selbstmords werden
Kränkungen von Seiten des Hofs angegeben, – wohl nicht zu-
treffend; richtiger wohl zerrüttete Vermögensverhältnisse,
hauptsächlich mitveranlasst durch Verschuldung der Frau.
Näheres wird man wohl bald hören.
Gern werde ich Dir für deine Mont. Zeit.Montagszeitung Berliner Montagszeitung. Herausgegeben von Adolf Glaßbrenner und Richard Schmidt-Cabanis. Berlin 1861-1883. Aufgegangen in das Deutsche Montagsblatt einige
Schnitzel mittheilen, aber ich bin total abgebrañt. Doch
will ich Dir wenigstens den Vorschlag machen, ob nicht mit
dem Namen Amadeo sich spielen lässt, etwa in der Weise
einer Prophezeiung, z.b:
Am ...... ade, o König von Spanien
Am ...... ade, o Republik von Frankreich,
wo eben nur das Datum auszufüllen, der Divinationsgabe der Leser
überlassen bleibt.
Hast Du die – ich glaube in der Rostocker Zeitung mitgetheilte
hübsche Anekdote gelesen, wie ein norddeutscher SoldatenSoldat sich über die in der
Kälte frostklappernden Franzosen ausspricht: Ist das ein frostiges
Volk! Die klappern schon bei 15° Kälte mit den Zähnen und das ist
bei uns zu Hause doch noch das schönste Thauwetter!
Vielleicht kañst du's brauchen. Soviel für heute. Nächstens bei
mehr Muße und besserer Stim̃ung mehr.
Mit besten Grüßen von der – an die Glaßbreñei
treu ergeben
der Eure
Dan. Sanders
Str. 24.2.71.