Inhalt .
I .
Sophie G. Seite 1 .
II.
Graf von L. Seite 61 .
III.
Hanns K— , Bauer zu M— . Seite 179 .
IV.
Das ſteinerne Brantbett ; oder : Hugo
und Kleta . Seite 213 .
Sophie G— .
E iner der beruͤhmten und bekannten Marg-
grafen zu B— , ſein Name thut nichts zur
Sache — war ein guter Fuͤrſt , ein kluger
Regent , und in mancher Ruͤckſicht ein Vater
ſeines Volkes und Landes . Wenn Tauſende
ihn lobten , und die Wohlthaten , mit denen
er ſie begluͤckte , erzaͤhlten , ſo faſſen nur we-
nige im zahlreichen Zirkel , welche nicht in
dies verdiente Lob einſtimmten . Auch der
Biogr. d. W. 4r Bd. A
beſte Fuͤrſt iſt Menſch , auch der beſte Menſch
iſt nicht fehlerfrei ! Eine Leidenſchaft , die
er liebte und pflegte , war oft Urſache , daß
einzelne Vaͤter uͤber ihn murrten , einzelne
Muͤtter ihn hart und grauſam nannten . Das
Siſtem der ſtehenden Kriegsheere ward da-
mals herrſchend in Deutſchland . Wilhelm , der
Preuſſen Koͤnig , war das groſſe Urbild , wel-
ches kleinere Fuͤrſten ihrem Verhaͤltniſſe ge-
maͤß , nachzuahmen ſuchten . Der erſtere ſamm-
lete in ganz Europa die groͤßten Koloſſen des
menſchlichen Geſchlechts , um ſich ein Gnarde-
regiment zu bilden . Der Marggraf durch-
ſpaͤhte ſein ganzes Land , um aͤhnliche Rieſen
zu finden , welche als Granadiere vor ſeinem
Schloſſe und in den Gemaͤchern deſſelben Wa-
che ſtehen mußten . Keiner ſeiner Untertha-
nen entging den Forſchern , wenn ſein Koͤrper
die erforderliche Groͤſſe erreichte ; daher kams ,
daß oft die freien Buͤrgersſoͤhne , die noch
freiern Kandidaten des Prieſterſtandes wider
Gewohnheit zur Annahme der Waffen gezwun-
gen wurden .
Zu eben dieſer Zeit lebte in der Haupt-
ſtadt ein nicht reicher , aber auch nicht ganz
armer Buͤrger , welcher einen einzigen Sohn
hatte . Als dieſer , gleich einer Pappel am
waſſerreichen Fluſſe empor wuchs , prophezei-
ten ihm ſchon ſeine Freunde und Verwandte
mit kummervollem Blicke , daß er einſt als
Granadier im fuͤrſtlichen Schloſſe Wache ſte-
hen wuͤrde . Dem ſorgloſen Juͤnglinge war
dieſe Weiſſagung ſehr gleichguͤltig , weil er nur
das Gegenwaͤrtige zu genuͤſſen ſuchte , und der
Zukunft nie gedachte ; aber dem liebenden
Vater , der zaͤrtlichen Mutter verbitterte ſie
oft manche frohe Stunde . Der Wohlſtand
des erſtern hing ganz allein vom thaͤtigen
Betriebe ſeines Handwerks ab , er hofte in
ſeinem Sohne einen Gehuͤlfen zu erziehen ,
ihm in ſeinen alten Tagen alles zu uͤberge-
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ben , und , ernaͤhrt von ihm , ein ruhiges Al-
ter zu genuͤſſen . Dieſe ganze Ausſicht ſchwand ,
wenn er ſich das kuͤnftige Schickſal ſeines Soh-
nes dachte .
Da dieſes noch nicht ganz beſtimmt war ,
da er durch hundert gluͤckliche Zufaͤlle der dro-
henden Gefahr entgehen konnte , ſo fuhr er
zwar fort , ihn in den Vortheilen ſeines Hand-
werks und des damit verknuͤpften Handels zu
unterrichten , aber er war auch gefaͤllig genug ,
den Juͤngling nicht emſig zu Geſchaͤften anzu-
halten , ihm manche Freude zu goͤnnen , welche
er ihm ſonſt verweigert haͤtte , wenn ihn
nicht der Gedanke , es wird ihm als Soldat
doch nichts nuͤtzen , nachgebend gemacht haͤtte .
Wollte der arbeitſame Vater auch dann und
wann den allzu nachlaͤſſigen Sohn mit Stren-
ge zur Arbeit anhalten , ſo ward die zaͤrtliche
Mutter Fuͤrbitterinn , und ſuchte den erſtern
zu uͤberzeugen , daß es hart und grauſam ſei ,
wenn man dem Jungen izt ſchon jedes Ver-
gnuͤgen rauben wolle , da ſein hoͤchſt wahr-
ſcheinlicher , kuͤnftiger Stand ihn ohnehin zum
Sklaven machen wuͤrde . Dieſe ſtraͤfliche Nach-
ſicht weckte in dem Herzen des Juͤnglings
immer mehr den Hang zum Muͤſſiggange und
zum Vergnuͤgen , der mit ſeinem Koͤrper im
aͤhnlichen Verhaͤltniſſe wuchs , und bald die
Grundlage ſeines Karakters , der Fuͤhrer aller
ſeiner Handlungen ward . Er kannte alle Haͤu-
ſer , in welchen getanzt und geſpielt wurde ,
er war immer einer der erſten , welche dahin
gingen , und einer der lezten , wenn die Ge-
ſellſchaft es verließ .
Wie er neunzehn Jahre alt war , und
gleich einer Roſe bluͤhte , lernte er einſt auf
einem Tanzſaale die ſchoͤne Tochter eines ſehr
armen Buͤrgers kennen , welche im Marg-
graͤflichen Schloſſe als Laufmaͤdchen diente , und
ſich durch ihre Reize , noch mehr aber durch
ihr ſittſames Betragen unter allen uͤbrigen
Taͤnzerinnen aufs vortheilhafteſte auszeichne-
te . Er fuͤhrte ſie heim , geſtand ihr Liebe ,
und erhielt von ihr die Erlaubnis , ſie dann
und wann beſuchen zu duͤrfen .
Eben hatte er zum Beweiſe ihrer Liebe
den erſten Kuß erhalten , und wandelte , ihn
noch fuͤhlend und genuͤſſend , uͤber den Schloß-
hof , als ſich ploͤzlich ein Fenſter oͤfnete , an
welchem der Marggraf ſtand , der ihn ruͤck-
waͤrts rief . Zagend erſchien der Juͤngling vor
ihm , langſam und trauernd ging er von dan-
nen , wie man ihn auf des Marggrafs Gebot
nach der Hauptwache fuͤhrte , und bald nach-
her die Granadiermuͤtze aufſetzte . Weinend
empfing ihn die Mutter , ſeufzend gruͤßte ihn
der Vater , wie er mit dieſem untruͤglichen
Kennzeichen ſeines kuͤnftigen Standes vor ih-
nen erſchien . Als aber beide vernahmen , daß
der Marggraf ihm , weil er der einzige Sohn
war , eine kurze , nur drei Jahr dauernde Ka-
pitulazion zugeſtanden habe , auch nebenbei
noch verſichert hatte , daß ihm dieſe Zeit als
eine bei ſeinem Handwerke noͤthige Wander-
ſchaft angerechnet werden ſolle , ſo troknete
die Mutter ihre Thraͤnen , und der Vater
blickte wieder heiter in die Zukunft .
Wilhelm , ſo nannte ſich der Juͤngling ,
liebte ſein Maͤdchen mit dem erſten Feuer der
brauſenden Jugend . Die Kaſerne der Grana-
diere ſtand nahe am Schloſſe , er konnte als
ein Liebling des Marggrafen — denn dies war
jeder Granadier — dort ungehindert aus und
eingehen , und ſein Maͤdchen oͤfters ſehen und
ſprechen . Schon dieſer Vorzug minderte die
Haͤrte ſeines Standes , und die Hofnung , daß
ſie nur eine kurze Zeit dauern werde , tilgte
ſeine Trauer bald ganz . Er war bald wieder
der froͤhliche Wilhelm , und troͤſtete ſein Maͤd-
chen , wenn ihr thraͤnender Blick auf ſeinem
Rocke haͤngen blieb , oder ſie ihm den Kuß
verweigerte , weil er leicht eben ſo flatterhaft
wie ein gewoͤhnlicher Soldat werden koͤnne ,
denn dieſe ſtanden ſchon dazumal in dem Ru-
fe , daß ſie mit jedem Standquartiere auch ihr
Maͤdchen verwechſelten .
Als er ſeine Sophie uͤber dieſen Gegen-
ſtand vollkommen beruhigt , ihr ewige Treue
geſchworen , ſie nach Verlauf ſeiner Dienſtzeit
zu heurathen gelobt hatte , langte am Hofe
des Marggrafen die einzige Tochter deſſelben
zum Beſuche an . Sie hatte den Erbprinzen
von K — geheurathet , lebte mit dieſem in
der gluͤcklichſten Ehe , und fuͤhrte die Frucht
derſelben eine dreijaͤhrige Prinzeſſinn an der
muͤtterlichen Hand , als ihr der entzuͤckte Va-
ter zum frohen Willkomme entgegen eilte .
Der Marggraf war ein groſſer Kinder-
freund , wenn er auf ſeinen Spaziergaͤngen
irgend einen Haufen ſpielender Kinder antraf ,
ſo trat er mitten unter ſie , und beſchenkte
oft alle , wenn ſein Anblick ſie nicht zerſtreute ,
und ſie ungehindert fortſpielten . Der Anblik
der kleinen Prinzeſſin , die ſuͤſſe Ueberzeugung ,
daß ſie ſeine Enkelin , das Ebenbild der gelieb-
ten Tochter ſei , vermehrte daher ſeine Freu-
de um ein groſſes , er nahm den kleinen En-
gel auf ſeine Arme , und jubelte hoch , wie die
Holde ihre kleinen Arme um ſeinen Nacken
ſchlang , und ihn ohne Furcht freundlich kuͤß-
te . Sein Herz hing von dieſem Augenblicke
an ganz an ihr , er ſchrieb dem Vater , er bat
die Mutter , und beide mußten ihre Liebe zum
Kinde dem Wunſche des ehrwuͤrdigen Vaters
opfern , ihm verſprechen , daß ſie wenigſtens ei-
nige Jahre die Tochter an ſeinem Hofe laſſen ,
und ihm die Freude goͤnnen wollten , ſich ih-
res Umganges zu freuen , ſie groß zu erziehen .
Die zaͤrtliche Mutter verbarg ihre Thraͤ-
nen , als ſie ſich bald hernach von ihrem Kin-
de trennen , und in die Arme ihres Gatten
ruͤkkehren mußte , der Marggraf verſprach dieſe
Ueberwindung hoch zu lohnen , und jubelte
aufs neue , als die kleine Prinzeſſin durch den
Abſchied der Mutter nicht bekuͤmmert ſchien ,
ſondern munter und froͤhlich zu ſeinen Fuͤſſen
ſpielte . Er ordnete ihr itzt einen vollkomme-
nen Hofſtaat , ernennte eine der verehrungs-
wuͤrdigſten Damen ſeines Landes zur Obriſt-
hofmeiſterinn der kleinen Prinzeſſin , und uͤber-
ließ es ihr , die uͤbrigen Diener und Dienerin-
nen nach Gefallen zu waͤhlen .
Dieſe Dame ſah bei ihrer Wahl vorzuͤg-
lich auf Treue und Redlichkeit . Sophie war
unter denen , welche ſie zum Kammermaͤdgen
der Prinzeſſin beſtimmte . Dieſer neue Dienſt
brachte ihr viel hoͤhern Lohn und Gewinn ,
aber die Pflicht , ſtets bei der Prinzeſſin , oft
ſo gar ihre Fuͤhrerin zu ſein , verhinderte ſie ,
ihren geliebten Wilhelm zu ſprechen und zu
ſehen . Oft verfloſſen Tage , ſo gar Wochen ,
in welchem ſie ihn nur von weiten gruͤſſen ;
hoͤchſtens nur im Voruͤbereilen ein paar Wor-
te der Liebe zufluͤſtern konnte .
Zwang und Hinderniß ſind aͤchtes Unkraut
im fetten , fruchtbaren Akker , je mehr man
dieſes zu vertilgen ſucht , je ſtaͤrker und viel-
faͤltiger keimt es empor . Auch Wilhelm und
Sophie empfanden dieſe Wahrheit , ſie glaub-
ten ſich ehe ſchon innig und zaͤrtlich zu lieben ,
ſie ſahen itzt ein , daß ſie ſich , getrennt von
einander , noch weit ſtaͤrker , noch weit heftiger
liebten .
Sophie ſuchte die Sehnſucht nach ihrem
Geliebten durch treue Erfuͤllung ihrer Pflicht ,
durch raſtloſe Beſchaͤftigung zu mindern , Wil-
helm , dem die Wache die Woche nur einmal
traf , der unter dieſer Zeit ganz geſchaͤftlos
umher wanderte , konnte dies Mittel zur Til-
gung ſeiner bangen Sehnſucht nicht waͤhlen ,
Muͤſſiggang und Zeit zum Nachdenken ver-
mehrte ſeine Marter um ein Groſſes , ſie ward
ihm oft unausſtehlich , er ſuchte — wenn er
ſtundenlang auf einen Blick ſeiner Geliebten
gelauert hatte — Zerſtreuung , Erholung , und
fand ſie im Trink- oder Spielhauſe .
So lange es ihm vergoͤnnt war , ſeine
Sophie oft zu ſehen , und zu ſprechen , hatte
er dieſe Haͤuſer aͤuſſerſt ſparſam beſucht , die
maͤchtigſte Leidenſchaft des Menſchen , die all-
maͤchtige Liebe hatte jede andere Leidenſchaft
beſiegt , itzt raͤchten dieſe den Sieg , und
keimten durch liſtige Vorſtellung , daß ihr Ver-
gnuͤgen die Qualen der Liebe mindere , wie-
der maͤchtig empor , Wilhelm trank und ſpiel-
te bald ſtaͤrker als vorher . Um dieſen Auf-
wand zu beſtreiten , langte ſeine Loͤhnung nicht
zu , die Eltern gaben ihm freilich eine mo-
nathliche Zulage , aber auch dieſe ward oft in
einem Abende verſpielt , und diente daher nur
zur Vergroͤſſerung ſeiner Liederlichkeit . Seine
Spielſucht mehrte ſich taͤglich , um ſie zu be-
friedigen , machte er fuͤr ſeinen Stand nahm-
hafte Schulden , die ihn quaͤlten und aͤngſtig-
ten , aber auch in der Hofnung , daß er gluͤck-
lich ſpielen wuͤrde , ſtets zu neuem Spiele ver-
leiteten .
Als er eben wegen einer Schuld von zehn
Gulden aͤuſſerſt gedraͤngt wurde , Klage bei
ſeinem Hauptmanne befuͤrchtete , und doch nicht
wußte , wie er bezahlen ſollte , traf ihn die
Reihe zur Wachtparade . Er mußte an der
Thuͤre des Saals Wache ſtehen , in welchem
der Marggraf mit den Groſſen ſeines Hofes
ſpeißte , und ſeinen Geburtstag feierte . Wil-
helm war ſo gluͤcklich an dieſem Tage ſeine
Sophie einigemal zu ſehen und ſogar im Vor-
uͤbergehen zu ſprechen . Dies machte ihn hei-
ter und froͤhlich , wenn er aber ſeiner Schul-
den gedachte , ſo ward er wieder duͤſter und
traurig . Der Marggraf ſpielte ſelten , aber
wenn er ſpielte , ſo ſpielte er gerne hoch , ver-
lohr und gewann dann namhafte Summen .
An eben dieſem Tage fand er Abends Ver-
gnuͤgen am Spiele .
Wilhelm ſah mit gierigem Blicke zu , wenn
auf einer Karte oft ein Haufe Goldes ſtand .
Dieſer reizende Anblick wekte ſeine ganze Spiel-
ſucht , und endete immer mit der Vorſtellung ,
daß eine einzige dieſer Karten ihn gluͤklich
machen , ganz aus aller Verlegenheit retten
koͤnne . Er ward abgeloͤßt , und dieſe Vorſtel-
lung war die ganze Ruhezeit hindurch die ein-
zige Beſchaͤftigung ſeiner erhitzten Einbildungs-
kraft . Wie er wieder zur Wache an die Thuͤ-
re des Saals gefuͤhrt wurde , ſpielte der
Marggraf noch immer , obgleich die Mitter-
nachtsſtunde begann . Erſt als dieſe geendet
hatte , ſtand er auf , wikkelte ſein Gold , wel-
Der Marggraf verließ erſt ſpaͤt am an-
dern Tage das Bette , ſchon hatten andere
Granadiere die Wache bezogen , als die klei-
ne Prinzeſſin , welche jeden Morgen in ſei-
nem Schlafgemache erſcheinen mußte , zu ihm
eintrat . Wie er dieſe erblikte , gedachte er
erſt ſeines geſtrigen Gewinns , den er zu ei-
nem Geſchenke fuͤr ſie beſtimmt hatte , er ſuchte
und fand ihn nicht , er erinnerte ſich endlich deut-
lich , daß er das Gold in ſein Schnupftuch faßte ,
und dieſes im Geſpraͤche auf einen Tiſch legte .
Er ging ſelbſt nach dem Saale , durchſuchte
alles und fand nichts .
Nun war 's erwieſen , daß das Gold ge-
ſtohlen ſei , nun begann die Unterſuchung .
Alle Diener , welche gegenwaͤrtig waren , alle
Granadiere , welche am Saale Wache ſtanden ,
wurden arretirt . Unter den leztern befand
ſich auch Wilhelm , er war ſchon von der
Hauptwache nach ſeinem Quartiere zuruͤckge-
Biogr. d. W. 4r Bd. B
kehrt , und wurde von dort in den Arreſt ge-
fuͤhrt . Man unterſuchte ſogleich die Wohnun-
gen und Sachen aller Arretirten , und fand
nicht das geringſte , man viſirte ihre Schub-
ſaͤcke , und fand bei Wilhelmen kein Gold , aber
das Schnupftuch des Marggrafen , welches da-
durch unverkennbar wurde , weil es mit einer
Krone und ſeinem Namen gezeichnet war .
Wilhelm geſtand ſogleich die That , und
zeigte den Ort an , wo er das Gold hinter
einem Holzſtoſſe in einem alten Topfe vergra-
ben hatte . Er konnte in der Folge ſelbſt nicht
ſagen , wie es geſchah , daß er das verraͤtheri-
ſche Tuch nicht vernichtete , nicht von ſich warf ,
er ſchuͤttete das Gold aus dem Tuche in den
Topf , und ſteckte es , ohne die Folgen zu be-
denken , in einer wahrſcheinlich mechaniſchen
Bewegung in den Sack .
So wahr , als ich Marggraf bin ! der
Kerl muß haͤngen ! ſprach der Marggraf zor-
nig , als man ihm meldete , daß der Thaͤter
entdeckt , und ein Granadier ſei . Er befahl ,
Standrecht uͤber ihn zu halten , und einige
Stunden nachher verſammlete ſich dies wuͤrk-
lich , um uͤber Wilhelmen den Tod auszu-
ſprechen . Erſt um dieſe Zeit erfuhr die lie-
bende Sophie das Verbrechen und das unver-
meidliche Schickſal ihres Geliebten . Verzweif-
lung kennt keine Schranken , uͤberſpringt ſie
alle , wenn ſie jenſeits Huͤlfe erblickt . Sie
eilte , als ein Raub derſelben , zu den Eltern
des ungluͤcklichen Wilhelms , ſie geſtand die-
ſen , was ihnen vorher noch ein Geheimniß
war , daß ſie ihren Sohn aufs innigſte liebe ,
und von ihnen Rath , Huͤlfe und Troſt er-
warte .
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Die Ungluͤcklichen konnten ihr nicht ge-
ben , was ſie ſelbſt nicht beſaſſen , ſie jam-
merten troſtlos mit ihr , ſuchten Freunde ,
Huͤlfe und Rath , und fanden keins von bei-
den . Vater und Mutter knieten bald nach-
her an der Schloßtreppe , welche nach dem
Garten fuͤhrte , ſie flehten um Erbarmen ,
als der Marggraf dieſe herabſtieg , aber er
winkte mit ernſtem Blicke , und die Troſt-
loſen wurden weggefuͤhrt . Sie eilten von
einem Miniſter zum andern , und erhielten
uͤberall die toͤdende Verſicherung , daß ſolch
ein Verbrechen kein Mitleid verdiene , daß
nichts in der Welt den Marggrafen bewegen
wuͤrde , ſeinen theuern Schwur zu brechen .
Unter dieſer Beſchaͤftigung nahte der
Abend , ſie wankten nach ihrer Wohnung ,
und brachten die Gewißheit heim , daß das
Standrecht uͤber ihren einzigen Sohn den Tod
ausgeſprochen habe , daß er ihn morgen in der
zehnten Stunde unter der Hand des Henkers
dulden wuͤrde . Sophie hatte dieſe lange Zeit
hindurch ihrer geharrt , ihr Jammer war
ohne Grenzen , als ſie dieſe ſchreckliche Nach-
richt hoͤrte , ſie eilte nach der Hauptwache ,
ſie wollte wenigſtens ihren Wilhelm noch ein-
mal ſehen , aber ein Prieſter bereitete ihn
eben zum nahen Tode , ſie ward nicht vor-
gelaſſen . Mit zerrauftem Haare , mit ſtar-
rem Blicke und blutig gerungnen Haͤnden er-
ſchien ſie izt im Zimmer der Obriſthofmeiſte-
rin , die ſchon lange ihre ungewoͤhnliche Ab-
weſenheit bemerkt , vergebens nach ihr gefragt
hatte .
Sophiens Schmerz war keiner Worte faͤ-
hig , die Obriſthofmeiſterin brauchte viele
Muͤhe und Geduld , ehe ſie die Urſache ihres
ſchrecklichen Zuſtandes erfahren konnte . Sie
war eine aͤuſſerſt ſanfte und menſchenfreund-
liche Dame , Sophiens Jammer ruͤhrte ihr
Herz maͤchtig , ſie ſuchte ſie zu troͤſten , durch
Gruͤnde der Religion zu uͤberzeugen , daß
Gottes Wege unerforſchlich , aber ſtets weiſe
und gerecht waͤren , als aber die verzweif-
lungsvolle Sophie ſie dreuſt verſicherte , daß
ſie an Gottes Barmherzigkeit zweifle , wenn
er nicht Huͤlfe und Rettung ſende , ſo ſuchte
ſie ſolche mit der Vorſtellung aufzurichten , daß
auch dieſe noch zu hoffen , noch moͤglich ſei .
Sophie ergrif dieſen ſchwachen Stab des
Troſtes mit Begierde , ſie warf ſich zu den
Fuͤſſen der Troͤſterin nieder , und flehte um
Huͤlfe und Erbarmen . Ich will thun , was
ich kann und vermag , ſprach die Holde , nur
die Gnade des Marggrafen kann dem Ungluͤck-
lichen das Leben retten , ich ſehe ein , daß
meine Bitte bei ihm nichts vermag , aber ich
hoffe , eine Fuͤrbitterin zu finden , die er hoͤ-
ren wird . Sie deutete bei dieſen Worten auf
die kleine Prinzeſſin , welche neben ihr mit
einer Pnppe ſpielte , und ſchon oft theilneh-
mend gefragt hatte : Warum die liebe Sophie
ſo ſehr weine ?
Sophie ſprang hoffend und ahndungsvoll
empor , als ſie dieſe Worte des Troſtes hoͤr-
te , ſie kannte die Liebe des Marggrafen zu
dieſem Kinde , ſie glaubte uͤberzeugt zu ſein ,
daß er ihr nichts verſagen wuͤrde . Gewoͤhn-
lich ſtand der Marggraf ſchon um ſechs Uhr des
Morgens auf , ſobald die Prinzeſſin erwach-
te , welches gemeiniglich um acht Uhr geſchah ,
mußte die Obriſthofmeiſterin ſolche zu ihm brin-
gen . Die muntere Kleine blieb dann oft einige
Stunden in ſeinem Kabinete , und zwang ihn ,
manchmal gar mit ihr zu ſpielen .
Es ward nun verabredet , daß man die
Prinzeſſin am folgenden Morgen fruͤher wek-
ken , und dann zum Marggrafen fuͤhren woll-
te , wo ſie ſogleich um Wilhelms Leben bitten
ſollte . Die Ausfuͤhrung war aber ſchwerer ,
als man anfangs glaubte . Die noch nicht drei
Jahr alte Prinzeſſin plauderte zwar ſtets , aber
meiſtens nur einzelne , abgebrochne Woͤrter ,
konnte viele derſelben gar nicht ausſprechen .
Indeß Sophie mit dem wahrſcheinlichen Troſte
zu Wilhelms Eltern eilte , auch dieſe der zer-
ſtoͤhrenden Verzweiflung entreiſſen , und neue
Hofnung in ihrem toden Herzen wecken wollte ,
verſuchte die gutherzige Obriſthofmeiſterin , ih-
ren kleinen Eleven die Worte zu lehren , mit
welchen ſie zu Gunſten des ungluͤcklichen Wil-
helms das Herz des Marggrafen ruͤhren ſollte ;
aber ſo ſehr ſie ſich auch muͤhte , die Bitte abzu-
kuͤrzen , und nur durch wenige Worte auszu-
druͤcken , ſo mengte doch eben oft die kleine
Plauderin dieſe wenigen untereinander , und
erregte die gegruͤndete Furcht , daß der Marg-
graf ihre Bitte nicht verſtehen , und daher
auch nicht achten wuͤrde . Doch hofte ſie das
Beſte , und trug die Prinzeſſin bald ins Bette ,
um ſie am andern Morgen fruͤher wecken , und
die Lekzion wiederholen zu koͤnnen .
Sophie , deren Augen ſich nicht ſchloſſen ,
wachte die ganze Nacht am Bette des Engels ,
der ihr Erloͤſer werden ſollte , ſie betete in-
bruͤnſtig zu Gott , damit er dieſen ſtaͤrken ,
und ihren Worten Kraft verleihen moͤge .
Schon um ſechs Uhr weckte man die Prinzeſſin ,
aber ſie war noch ſchlaftrunken , weinte anhal-
tend , und ſchlief bald aufs neue . Man den-
ke ſich das Leiden der armen Sophie , die den
einzigen moͤglichen Retter ſchlafend erblickte ,
indeß der Geliebte ihres Herzens nahe Todes-
angſt duldete , die jeder Glockenſchlag mehrte .
Schon wars acht Uhr voruͤber , als die
Prinzeſſin munter und froͤhlich erwachte . Es
war ruͤhrend anzuſehen , mit welcher haſtigen
Eilfertigkeit die zitternde Sophie ſie anzuklei-
den ſuchte , und aus allzu groſſer Eile den An-
zug nur verzoͤgerte , haͤtte die gutherzige
Obriſthofmeiſterin ihr nicht Beiſtand gelei-
ſtet , ſie wuͤrde dies kleine Geſchaͤft lange nicht
vollendet haben . Nun begann neuer Unter-
richt , und wie die Prinzeſſin ihre Bitte nur
mit halben Worten ſtammlen konnte , ſo
ergrif die Obriſthofmeiſterin ihre Hand , und
fuͤhrte ſie zum Kabinete des Marggrafen .
Sophie folgte vom weiten mit gefalteten Haͤn-
den , jedes ihrer Glieder zitterte der nahen
Entſcheidung entgegen .
Die Obriſthofmeiſterin oͤfnete izt die Thuͤ-
re des Kabinets , und ließ die Prinzeſſin allein
eintreten , ſie lehnte die Thuͤre nur langſam
an , und horchte an der ofnen Spalte der
Wuͤrkung entgegen . Sophie draͤngte ſich naͤ-
her hinzu , und hob ihre Haͤnde zu Gott em-
por . Der Marggraf ſaß an ſeinem Schreib-
tiſche , und blickte auf die Kommende . Sie
ging bis in die Mitte des Kabinets , kniete
nieder , und hob ihre kleinen Haͤnde bittend
empor . Liebe Großpapa , ſtammlete ſie ,
Ganadirle ſchenken ! Liebe Großpa-
pa , wiederholte ſie noch einmal , Ganadirl
ſchenken ! Der geruͤhrte Marggraf ſtand
haſtig auf , hob die Prinzeſſin empor , und
ſchloß ſie in ſeine Arme . Du verlangſt viel ,
ſprach er , indem er ſie kuͤßte , aber es iſt
deine erſte Bitte , ich muß ſie erfuͤllen ! Der
Granadier hat : Gnade ! — — Er hat Gnade !
fluͤſterte die horchende Obriſthofmeiſterin der
harrenden Sophie zu . Er hat Gnade ! ſchrie
dieſe laut anf auf , daß es im Vorgemache wie-
derhallte , und ſtuͤrzte fort , um die erſte Ver-
kuͤndigerin derſelben zu werden .
Ich wage es nicht , den Jubel der Eltern
zu ſchildern , als die athemloſe Sophie mit
dieſem allmaͤchtigen Worte des Troſtes vor
ihnen erſchien , ihr flehendes Gebet , ihre
ſtammlende Bitte zum Ewigen mit dieſem
freudigen Zurufe unterbrach , und ihnen noch
nebenbei erzaͤhlte , daß ein Kammerjunker ,
wie ſie bei der Hauptwache vorbeieilte , dieſe
Gnade bereits dem armen Wilhelm im Na-
men des Marggrafen verkuͤndigt habe . Der
groſſe Jammer hatte bereits ihre wenige Le-
benskraft maͤchtig geſchwaͤcht , die ſchnelle Freu-
de ſchien den Ueberreſt ganz zu rauben . Man
mußte die ungluͤcklichen Alten aufs Bette le-
gen , alle ihre Glieder durchbebte ein hefti-
ger Fieberfroſt , ſie waren dem Tode nahe ,
naͤherten ſich ihm bald noch mehr , als ſie
kurz hernach hoͤrten , daß der Marggraf zwar
ihrem Sohne das Leben geſchenkt , ihn aber
doch zur Verſoͤhnung der Gerechtigkeit auf
drei Jahre zur Zuchthausſtrafe verurtheilt
habe .
Damals achtete man jeden , der in die-
ſem Hauſe dulden mußte , fuͤr unehrlich .
Keiner unter den Buͤrgern ſprach mit dieſen
ungluͤcklichen Opfern der Gerechtigkeit . Auch
wenn die Strafe geendet hatte , und man den
Erloͤſten wieder in jeder buͤrgerlichen Geſell-
ſchaft und Innung dulden mußte , ſo blieb ſie
doch immer als ein unvertilgbarer Fleck zuruͤck ,
der den reinen Glanz einer ganzen Familie
verdunkelte , ihr bei jeder Gelegenheit zum
geheimen , oft gar oͤffentlichen Vorwurf dien-
te . Dieſe Vorſtellung , und wahrſcheinlich auch
das Bewuſtſein , daß ihr Sohn die Strafe
mehr als doppelt verdient habe , verbitterte
die Freude ſeiner gluͤcklichen Rettung um ein
Groſſes . Die Folgen des ausgeſtandnen
Schreckens und Jammers , der finſtere , truͤbe
Blick in die Zukunft nagte an ihrem morſchen
Koͤrper , ehe zwei Monden verfloſſen , ſchlum-
merten beide im Grabe . Das ganze Erbe ,
welches ſie ihrem Sohne hinterlieſſen , ward
in gerichtliche Verwahrung genommen , und
zum Beſten des Duldenden , weil er es izt
nicht genuͤſſen , nicht verwalten durfte , in ein
zinsbares Kapital verwandelt .
Sophie liebte — liebte mit warmen Ju-
gendfeuer , mit inniger , wahrer Zaͤrtlichkeit .
Niemand wirds ihr daher verdenken , oder es
wenigſtes ganz natuͤrlich finden , wenn ſie nicht
gleich den Buͤrgern der Stadt , nicht wie Wil-
helms Eltern dachte . Der Allgeliebte war ge-
rettet , mußte zwar harte Strafe , aber nicht
immer , nicht ewig dulden . Ihre Einbildungs-
kraft uͤberhuͤpfte mit ſeltner Fertigkeit dieſen
kurzen Zeitraum , ſie ſah ihren Wilhelm wie-
der kettenlos unter den Menſchen umher wan-
deln , er arbeitete emſig und anhaltend , er
fand Unterſtuͤtzung und Nahrung in einer frem-
den Stadt , die ſein ehemaliges Verbrechen
nicht kannte , er kam als Buͤrger derſelben ,
um ſich eine Gattin zu waͤhlen , er reichte ihr
die Hand , und ſie ſank woune- und freude-
fuͤhlend in ſeine Arme . Dies war die ange-
nehme Vorſtellung , mit welcher ſie ſich zu
troͤſten ſuchte , wenn Wehmuth ſie ergrif , und
ſchwarzer Tiefſinn an ihrem Herzen nagen
wollte .
Wilhelm hatte ein ſchweres Verbrechen
veruͤbt , die Gelegenheit war reizend und ein-
ladend , aber lange nicht hinreichend genug ,
um den aͤchten Rechtſchafnen in die Falle zu
locken ! Dieſer Gedanke haͤtte ſie ſchrecken , we-
nigſtens bange Sorge fuͤr die Zukunft in ihr
erregen ſollen , aber nichts verzeiht , nichts
entſchuldigt ſtaͤrker , als die Liebe . Sie hat
zwei Maͤntel , welche ſie abwechſelnd traͤgt ,
einer iſt lang , weit , und dem Auge undurch-
dringbar , der andere iſt klein , enge und vom
duͤnſten Flore gewebt . Mit dem erſtern be-
deckt ſie die Maͤngel und Fehler des geliebten
Gegenſtands , wenn ſie ſich naht , in den lez-
tern huͤllt ſie dieſen , wenn ſie Abſchied nehmen
will , oder einen Reizendern findet .
Wie Wilhelm zur Prinzeſſin gefuͤhrt wur-
de , um ihr auf Befehl des Markgrafen fuͤr
ihre Fuͤrbitte , fuͤr ſein Leben zu danken , ſtand
Sophie im Gemache derſelben . Ihr rothge-
weintes Auge , ihr noch thraͤnender Blick uͤber-
zeugte ihn deutlich , daß ihr Leiden , ihr Jam-
mer groß war , er ſah zugleich ein , daß ſie
die Retterin ſeines Lebens war , und ohne ihre
Mitwuͤrkung die Prinzeſſin ſchwerlich fuͤr ihn
gebeten haͤtte . Dieſer große Beweis ihrer
Liebe ermunterte ihn zur Dankbarkeit , er trat
naͤher zu ihr . Wenn ichs je vergeſſe , fluͤ-
ſterte er leiſe , was ich ihnen zu verdanken
habe , ſo ſoll mir Gott ſchnell wieder rauben ,
was er mir ſo wunderbar ſchenkte . Vergeſſen
ſie indeß den Ungluͤcklichen nicht ganz , er
iſt ihres Mitleids wuͤrdig . Sophie konnte
nicht antworten , aber ihr Blick ſprach um ſo
ſtaͤrker , Wilhelm ging mit der Gewißheit von
dannen , daß ſie ihn noch liebe , und ſeiner
harren wuͤrde .
Die
Die Obriſthofmeiſterin hatte das kurze
Geſpraͤch bemerkt , und Sophiens redenden
Blick geſehen , ſie achtete es fuͤr noͤthig , die
letzere fuͤr unangenehmen Folgen zu warnen .
Liebes Kind , ſprach die Gute , ohne zu un-
terſuchen , ob der ungluͤckliche , aber auch
ſtrafbare Juͤngling deiner Liebe noch wuͤrdig
ſei , will ichs nicht hindern , wenn du ihm in
ſeinem kuͤnftigen Zuſtande nach deinen Kraͤften
Wohlthaten erzeigſt , aber ich muß es dir
bei Verluſte deines Dienſtes und meiner Gnade
ſtreng verbieten , ihn im Zuchthauſe zu be-
ſuchen , oder mit ihm auf der Gaſſe zu ſpre-
chen . Es wuͤrde deinen Ruf kraͤnken , wenn
du meinen Befehl uͤbertreten wollteſt , und
ſchwarzen Schatten auf mich werfen , wenn ich
es duldete . Ich fordere daher dein feſtes
Verſprechen , damit ich ruhig ſeyn , und mit
Recht ſtrafen kann , wenn du es doch nicht er-
fuͤllteſt .
Biogr. d. W. 4r Bd. E
Sophie ſah die Billigkeit ihrer Forderung
ein , ſie verſprach , ſtreng zu gehorchen , nur
bat ſie flehend , ihr die einzige Erlaubniß zu
goͤnnen , ihm dies Verbot kund zu machen ,
damit es der Ungluͤckliche nicht fuͤr Verachtung
von ihrer Seite halte , und dadurch zur Ver-
zweiflung gereizt wuͤrde . Obgleich die Obriſt-
hofmeiſterin dieſen Schritt nicht billigen
konnte , ſo war ſie doch großmuͤthig genug ,
ihn nicht zu verbieten , doch forderte ſie aus-
druͤcklich , daß es nicht durch Sophien ſelbſt ,
ſondern durch einen dritten geſchehen muͤſſe ,
und fuͤr die Zukunft kein Briefwechſel ſtatt ha-
ben duͤrfe .
Sophie dankte , und eilte noch am nem-
lichen Tage zu Wilhelms Mutter , welche ſie
um ihrer Theilnahme willen izt innig liebte ,
und herzlich gerne als Schwiegertochter um-
armt haͤtte . Dort ſchrieb ſie ihrem Wilhelm
alles , und fuͤgte noch manches , was ihn
troͤſten und erquicken konnte , hinzu . Eine
alte Frau , welche von der Mutter an Wil-
helmen geſandt wurde , brachte muͤndlichen ,
innigen Dank zuruͤck , weil es ihm nicht ver-
goͤnnt war , Antwort zu ſchreiben .
Die Arbeit aller Verbrecher im Zuchthau-
ſe war ſchwer und anhaltend , aber noch ent-
kraͤftender und haͤrter war die ſchmale , aͤuſſerſt
ſchlechte Koſt , welche ihnen gereicht wurde .
Die Ungluͤcklichen , welche nicht Freunde und
Anverwandte hatten , nicht Wohlthaͤter in
der Stadt fanden , mußten oft hungrig ſchla-
fen gehen . Dieſe ſchlechte Koſt war nicht
Strafe , wahrſcheinlich nur eine Folge der
Habſucht der Vorſteher , weil es allen , die in
dieſem Hauſe duldeten , erlaubt war , ſich beſ-
ſere Speiſen zu kaufen , wenn ſie Geld von auſ-
ſen erhielten .
E 2
So lange Wilhelms Eltern lebten , ſand-
ten ſie ihrem ungluͤcklichen Sohn taͤglich Spei-
ſen , als aber beide in ſo kurzer Zeit ſtarben ,
da fuͤhlte Wilhelm durch einige Tage die volle
Laſt ſeines Schickſals in ſeiner ganzen Groͤſſe .
Er war von Jugend auf beſſerer Koſt gewohnt ,
ein unuͤberwindlicher Ekel hinderte ihn izt ,
das Wenige zu genuͤſſen , was man ihm reich-
te . Matt und kraftlos taumelte er umher ,
bekam Schlaͤge , weil er die vorgeſchriebne Ar-
beit nicht vollenden konnte , und hofte eben ,
daß der Tod ſeine Marter bald enden wuͤrde ,
als ein altes Weib erſchien , und ihm nahr-
hafte und gute Speiſe brachte . Sie ſchuͤzte
ſtrenges Verbot vor , wenn er nach dem Na-
men ſeines neuen Wohlthaͤters fragte , ſie
laͤchelte geheimnißvoll , wenn er bald dieſen ,
bald jenen ſeiner Anverwandten nannte . Erſt
nach einigen Wochen gab die Alte , welche von
nun an taͤglich mit Speiſe erſchien , ſeiner
dringenden Bitte Gehoͤr , und geſtand ihm ,
daß Sophie ſeine Wohlthaͤterin ſei , ihre Koſt
mehr als mit ihm theile , ſich ſtets nur mit
einer Speiſe ſaͤttige , und alle uͤbrigen ihm
ſende . Dankbare Thraͤnen rollten bei dieſer
Nachricht uͤber ſeine Wangen , er blickte gen
Himmel , und ſchien Gott zu fragen : Wie er
ſolch eine Liebe lohnen und vergelten koͤnne ?
Sophie hofte , Wilhelms Strafe durch
neue Fuͤrbitte abzukuͤrzen , ſie wandte ſich da-
her , wie ein Jahr ſeiner Strafzeit verfloſſen
war , aufs neue an die Obriſthofmeiſterin , al-
lein dieſe konnte nicht mehr helfen und nuͤtzen ,
weil der Marggraf es ihr ausdruͤcklich und
bei Verluſt ſeiner Gnade unterſagt hatte , die
Prinzeſſin nie mehr zu einer aͤhnlichen Bitte
aufzufordern , und dadurch den Lauf der Ge-
rechtigkeit zu hemmen . Dieſe Nachricht that
ihrem liebenden Herzen aͤuſſerſt weh , nur die
Hofnung , daß die uͤbrigen zwei Jahre gleich
dem erſten ſchwinden muͤßten , war der ſuͤſſe
Troſt , wenn ſie das Schickſal des Ungluͤckli-
chen im Verborgnen beweinte . Noch mehr als
dieſer Gedanke troͤſtete ſie die Vorſtellung , daß
ſie dieſe ganze Zeit hindurch ihres Geliebten
Wohlthaͤterin ſeyn , und das harte Loos deſ-
ſelben um vieles erleichtern koͤnne , ſie ſandte
ihm nicht allein taͤglich die mehrſten der Spei-
ſen , welche fuͤr ſie beſtimmt waren , ſondern
ſie legte auch jede Woche etwas Geld bei , weil
ſie wußte , daß Wilhelm gerne Tobak rauche ,
und ſie ihm dies Vergnuͤgen nicht rauben
wollte .
So verfloſſen auch die zwei lezten Jahre
der Strafzeit . Schnell und anhaltend klopfte
Sophiens Herz , als der lezte Monden , die
lezte Woche , und endlich auch der lezte Tag
derſelben nahte . Noch roͤthete ſich ihre Wan-
ge , reine Freude glaͤnzte in ihrem Auge , wie
Wilhelm ihr durch die Ueberbringerin der
Speiſen nochmals aufs waͤrmſte fuͤr die groſſe
Wohlthat danken , und zugleich melden ließ ,
daß er morgen das Haus der Strafe verlaſſen
wuͤrde . Er wird , fuͤgte die Alte hinzu , zu
einer alten Muhme ziehen , und wenn er ſich
anſtaͤndig gekleidet hat , es wagen , ſie dahin
einzuladen , um ihnen muͤndlich danken zu
koͤnnen .
Sophie harrte dieſer Nachricht mit der
Ungeduld der Liebenden entgegen . Sie hatte
ihren Wilhelm wuͤrklich durch drei volle Jahre
nicht geſehen , er mußte immer im Hofe des
Zuchthauſes arbeiten , ſie konnte ſich nicht da-
hin wagen , weil man jedem jungen Maͤdchen
den Zutritt dahi n verweigerte , und der Ver-
luſt ihres Dienſtes ganz ſicher erfolgt waͤre ,
wenn nur ein Verſuch dieſer Art waͤre verra-
then worden . Man denke ſich nun die Sehn-
ſucht , das peinigende , heiſchende Verlangen
des liebenden Maͤdchens !
Eben wars ein Sonntag , eben kam ſie
aus der Kirche zuruͤck , in welcher ſie andaͤch-
tig gebetet , aber auch mit ſuchendem Auge
oft und lange umher geblickt hatte , als ein
kleines Maͤdchen im Schloßhofe ihrer harrte ,
und ihr einen Brief uͤberreichte . Wilhelm ,
der dankbegierige Wilhelm hatte ihn geſchrie-
ben , er enthielt eine Einladung auf den fol-
genden Nachmittag zu ſeiner alten Muhme ,
welche ihn nicht allein liebreich aufgenommen ,
ſondern auch wider Vermuthen ſein und So-
phiens Gluͤck zu gruͤnden verſprochen hatte .
Sophie eilte um die beſtimmte Stunde zu
ihrem Wilhelm . Als ſie zitternd die Thuͤre
des Gemachs oͤfnete , wankte er ihr mit Thraͤ-
nen im Auge entgegen , das Ungluͤck und wahr-
ſcheinlich noch der Kummer hatte ſeine Wangen
gebleicht , aber ſein Auge glaͤnzte um ſo feu-
riger , ſein Mund ſprach zwar wenig , aber
das Wenige bewies deutlich , daß er ſein Ver-
gehen innig bereue , und ewig dankbar ſeyn
werde . Die alte , geſchwaͤtzige Muhme ſtoͤhrte
das Gefuͤhl der Liebenden um ein groſſes , ſie
lobte Sophiens Wohlthaten , welche ſie ſo lan-
ge Zeit hindurch ihrem Vetter erwieſen hatte ,
mit vielen Worten . Ich muß aufrichtig geſte-
hen , ſprach ſie , daß ich den gottloſen Buben ,
der ſeine Eltern ins Grab geſtuͤrzt , mir und
allen ſeinen Freunden ſo viel Schande gemacht
hat , ganz vergeſſen wollte . Wie ich aber
hoͤrte , daß ein fremdes Maͤdchen nicht allein
ſein Leben gerettet , ſondern ihn auch drei Jah-
re lang ernaͤhrt habe , da dachte ich : Du han-
delſt doch zu hart , du mußt vergeben und ver-
geſſen ! Auch will ich mein Geluͤbde halten ,
will ſein kuͤnftiges Gluͤck zu gruͤnden und zu
vermehren ſuchen , wenn er nur kuͤnftig auch
keine luͤderliche Streiche mehr begeht , und
ſeinem treuen Maͤdchen ihre Liebe lohnt .
Sie ſprach noch lange in dieſem Tone fort ,
wie aber auf dem nahen Thurme die Glocken
zur Nachmittagspredigt ruften , da ergrif ſie
ihr Geſangbuch , eilte fort , und goͤnnte den
Liebenden das ſeltne Gluͤck , ungeſtoͤrt ſprechen ,
ungehindert kuͤſſen zu koͤnnen . Der Bund der
ewigen Treue und Liebe ward in dieſer weni-
gen Zeit erneuert , ſogar Plaͤne zur kuͤnftigen
Erfuͤllung entworfen .
Wilhelm erzaͤhlte ſeiner Sophie , daß ſein
vaͤterliches Erbe nahe an zweitauſend Gulden
betrage , wenn er nun , fuͤgte er hinzu , was
er hoffen und erwarten koͤnne , von der weit
reichern Muhme noch eine aͤhnliche Summe
erhalten wuͤrde , ſo ſei dieſe Summe hinlaͤng-
lich , ſich in einem Staͤdchen eines benachbar-
ten Fuͤrſtenthums als Handelsmann zu etabli-
ren , und dort gluͤcklich und vorwurfsfrei zu
leben . Sophie , welche innig liebte , und ſich
daher ſo gerne eine gluͤckliche Zukunft traͤumte ,
billigte den ganzen Plan vom Herzen , bat
ſogar , ihn nur recht bald auszufuͤhren . Sie
beſuchte nun ihren Wilhelm oͤfters , kam vor-
zuͤglich alle Sonntage , um den Nachmittag
deſſelben in ſeinen Armen zu durchleben .
Wilhelm , den mehr die Schande und die
Sorge eines kraͤnkenden Vorwurfs als aͤchte ,
wahre Reue an ſein Zimmer feſſelte , und an
jedem geſellſchaftlichen Vergnuͤgen hinderte , ge-
wann bald dadurch das volle Zutrauen der gut-
herzigen Alten , ſie wollte eben ſeine Bitte er-
fuͤllen , und ihm mit einer hinlaͤnglichen Sum-
me unterſtuͤtzen , als ſie ein jaͤher Schlagfluß traf ,
und ihr nur noch ſo viel Lebensfriſt goͤnnte ,
um bei vollem Bewuſtſein und reifer Vernunft
ihren Vetter zum Univerſalerben einzuſetzen .
Wilhelm war nun ein reicher Mann , ſein
Vermoͤgen graͤnzte nahe an funfzehn tauſend
Gulden , es beſtand in lauter ſichern Kapita-
lien , die er jederzeit aufkuͤndigen und erhe-
ben konnte . Er that das erſtere , und wand
ſich nun aus Sophiens Armen los , um ſich
einen Ort zu ſuchen , wo ſie kuͤnftig ruhig le-
ben , und das Gluͤck der Liebe genuͤſſen koͤnn-
ten .
Ehe er ſchied , forderte er ſchlechterdings ,
daß Sophie ihrem Dienſte entſagen , und bei
ihren Eltern ſeine Ruͤckkunft erwarten ſollte .
Die armen Eltern , welche nur auf das zeit-
liche Gluͤck ihres Kindes ſahen , billigten So-
phiens Wahl und Entſchluß , nur forderten
ſie , daß Wilhelm ſich mit ihr vor ſeiner Ab-
reiſe verloben ſollte , er war willig , dieſe
Forderung zu erfuͤllen , und Sophie verließ
das Schloß noch einige Tage vor Wilhelms
Abreiſe . Er war mit ihr verlobt , als er
ſchied , er verſprach , binnen Mondensfriſt
wieder zu kehren , und ſie dann ſogleich zu heu-
rathen . Wer kanns dem liebenden Maͤdchen
verdenken , wenn ſie bei ſo voller Gewißheit
ihres nahen Gluͤcks dankbar zu ſeyn wuͤnſchte ,
minder ſtreng eine kleine Freiheit verweigerte ,
und dadurch unvermerkt in die Fluthen des
brauſenden Stroms gerieth , der alles mit ſich
fortreißt , was ſich ſeinen Wellen naht . Als
endlich Wilhelm wuͤrklich ſchied , ſo miſchten
ſich in die Thraͤnen des Abſchiedes auch Thraͤ-
nen der Reue , der verlohrnen Unſchuld , wel-
che nur die Hofnung der baldigen Wiederkehr
trocknen konnte .
Es war zwiſchen den Liebenden verabredet
worden , daß Wilhelm mit jedem Poſttage
ſchreiben , ſeine Geſundheit und den Erfolg ſei-
nes Unternehmens berichten ſolle . Er erfuͤllte
ſein Verſprechen ſtrenge , Sophie erhielt jede
Woche zweimal Nachricht von ihm , nur trauer-
te ſie , wenn ſie in ſeinen Briefen laß , daß er
immer weiter reiſe , und es ihm nirgends beha-
gen wollte . Wie ein Monat verfloſſen war ,
und er von Frankfurt aus zum leztenmale ge-
ſchrieben hatte , erfolgte kein Brief , keine Nach-
richt mehr .
Sophiens Kummer ward bald groß , ward
in der Folge unertraͤglich , weil ſie ſich ſchwan-
ger fuͤhlte . Vier Monate harrte ſie vergebens
auf weitere Nachricht , als aber ihre Eltern
uͤber Wilhelms Stillſchweigen ebenfalls traurig
wurden , ihr Vorwuͤrfe zu machen begannen ,
weil ſie ſich mit einem ſo ſchlechten Menſchen
in ein Liebesverſtaͤndniß eingelaſſen , und ihrem
guten Dienſte ſo leichtſinnig entſagt habe , da
rang ſie ingeheim nach Troſt und Huͤlfe . Sie
erinnerte ſich izt erſt , daß Wilhelm kurz vor
ſeiner Abreiſe einem ſehr rechtſchafnen Advoka-
ten die Verwaltung ſeines Vermoͤgens anver-
traut habe , ſie eilte zu ihm , um zu erfahren ,
ob Wilhelm ihm dieſe lange Zeit hindurch eben-
falls nicht geſchrieben habe , und wollte ihn
dann erſt als tod beweinen , wenn er , da er
nicht mehr als funfzig Dukaten mit ſich ge-
nommen hatte , unter dieſer langen Zeit kein
Geld verlangt haͤtte . Todesblaͤſſe verbreitete
ſich uͤber ihre Wangen , ſie zitterte und bebte ,
als der ehrliche Mann ihr ſogleich erzaͤhlte ,
daß Wilhelm dieſe Zeit uͤber ihm ſtets geſchrie-
ben , nun aber wohl nicht mehr ſo oft ſchreiben
wuͤrde , weil er ihm eben mit lezter Poſt den
lezten Reſt ſeines ganzen Vermoͤgens nach
Frankfurt uͤberſandt habe . Er wird ſich dort ,
fuhr er fort , wie ich aus allem erſehe , etabli-
ren und ein reiches Maͤdchen heurathen . Je
nun , ſezte er hinzu , ich goͤnne ihr und ihm
das Gluͤck herzlich gerne , und wuͤnſche nur ,
daß es von Dauer ſei . Hier kennt man den
Vogel , hier waͤre es ihm nicht gelungen , eine
ſo reiche Braut heimzufuͤhren .
Sophie konnte die zentnerſchwere Laſt ,
welche der Erzaͤhler ſo ſchnell , ſo unbarmherzig
auf ſie waͤlzte , nicht ertragen , ſie ſank kraftlos
zu Boden . Als der Alte ſie geweckt und ge-
labt hatte , forſchte er nach ihrem Namen und
der Urſache ihres Schreckens , als ſie den er-
ſtern ſtammlete , errieth er ſogleich die Urſache
des leztern . Er erinnerte ſich , daß Wilhelm
ihn in einem ſeiner Briefe ſehr dringend gebe-
then hatte , ſeinen Aufenthalt zu Frankfurt
vor jedermann , vorzuͤglich aber vor einem ge-
wiſſen Maͤdchen , welches ſich Sophie G — nen-
ne , geheim zu halten . Sie koͤnnen ſich , ſchrieb
der Undankbare , die Urſache meiner Bitte leicht
denken , ich wurde , als ich noch Granadier war ,
mit ihr bekannt , das Maͤdchen hieng kletten-
maͤßig an mir , ſie gewaͤhrte , und ich genoß al-
les . Habſucht und Eigennuz koͤnnte ſie izt
leicht reitzen , dem ehmaligen armen , izt reichen
Liebhaber nachzulaufen , nach Art dieſer kuͤhnen
Kreaturen entweder ſeine aͤußerſt vortheilhafte ,
ihm ganz gluͤcklich machende Heurath zu hin-
dern , oder wenigſtens ihr Stillſchweigen nur
fuͤr eine namhafte Summe zu verkaufen .
Der
Der Advokat , welcher in dieſem Falle Wil-
helms ſchaͤndlichen Luͤgen vollen Glauben bei-
maß , auch izt noch muthmaßte , daß ihre Nach-
frage aͤhnliche Urſache zur Abſicht habe , war of-
fenherzig genug , der leidenden Sophie dies
alles mit trocknen Worten kund zu machen , ihr
nebenbei wohlmeinend zu rathen , daß ſie ſeines
Klienten Gluͤck nicht hindern moͤge , weil ſie in
jedem Falle zu ſpaͤt kommen , wohl ſeinen Zorn ,
aber durch ſolche Mittel nie ſeine Großmuth
reizen wuͤrde .
Sophiens Zuſtand war ſchrecklich , war er-
barmungswuͤrdig . Ihr Blick hatte immer
hoffend und feſt an der Zukunft gehangen , izt
verfinſterte ſich dieſe gluͤckliche Ausſicht , ein Ab-
grund oͤfnete ſich zu ihren Fuͤßen , ſie ſchauderte
zuruͤck , und ein noch graͤßlicherer lag vor ihr .
Sie fuͤhlte ſich verſtoßen , und verlaſſen ; ſie ſah
nirgends Troſt , nirgends Hofnung , noch Huͤl-
fe ; ihre Sinne ſtarrten wuͤrkungslos umher ;
Biogr. d. W. 4r Bd. D
das Rad ihrer Einbildnngskraft Einbildungskraft ſtockte , die im-
mer thaͤtige Seele konnte es nicht drehen ,
nicht wenden . Undank und Grauſamkeit hatten
ſie toͤdlich verwundet , ihr Schmerz durchbebte
jede Nerve , durchzitterte jede Faſer des ver-
laßnen Maͤdchens . Mit jedem Tropfen Blu-
tes rollte der zentnerſchwere Gedanke langſam
durch ihre Adern , und ſtroͤmte wieder haſtig
nach dem Herzen , um dort vergebens Raum zu
ſuchen . Sie konnte nicht reden , kaum wanken ,
ſie verließ das Zimmer des Advokaten , ohne
es verlaſſen zu wollen , ſie irrte in den Gaſſen
der Stadt umher , ohne zu wiſſen , wohin ſie
gehen wolle .
Am Abende fand ſie die ſuchende Mutter
in einem Garten der entlegenſten Vorſtadt , ſie
ſaß im Gipfel einer hohen Linde , und breitete
ihre Arme hoch zum Himmel empor . Ein
kleines Maͤdchen , welches ſie hinauf klettern
ſah , verrieth ihren Aufenthalt . Die Mutter
ſtaunte mit Recht uͤber dies ſeltne Unterneh-
men , aber ſie ſtaunte bald noch mehr , als die
Tochter zwar ihr aͤngſtliches Rufen hoͤrte ,
willig herabſtieg , aber auch nur zu deutlich be-
wies , daß ihre Vernunft ſchlummere , wohl gar
ein Raub des Wahnſinues geworden ſey : Die
Folge beſtaͤtigte dieſe traurige Gewißheit voll-
kommen , lange bliebs den jammernden El-
tern ein Geheimniß , welch ein ſchreckliches Un-
gluͤck ihr armes Kind in dieſen Abgrund ge-
ſtuͤrzt habe , endlich entdeckten ſie durch Zufall
den Beſuch , welchen ſie bei dem Advokaten ge-
macht hatte , und erfuhren durch dieſen den
graͤßlichen Meineid des treuloſen Wilhelms .
Die wahnſinnige Sophie hatte mit ihrer
Vernunft auch den Gebrauch ihrer Sprache
verlohren , ſie beantwortete keine Frage , uie-
mand hoͤrte mehr ein Wort von ihr . Sie
ging , wenn ſie daheim war , mit gefalteten
Haͤnden , mit geſenktem Auge langſam auf
D 2
und nieder , und verſuchte ſtets durch tiefe
Seufzer , die druͤckende Laſt ihres Herzens
zu loͤſen . Schon am andern Morgen umguͤr-
tete ſie ihren Koͤrper mit einem langen Flore ,
und heftete auf ihre linke Bruſt , unter der
ihr verlaßnes Herz ruhte , einen ſchwarzen
Fleck . Sie zitterte und bebte , ſie wuͤthete
und raßte , wenn man ihr dieſen Zierrath
rauben wollte , ſie ſchuͤttelte langſam und
traurig den Kopf , wenn man ſie troͤſten
wollte . Oft entwiſchte ſie der Aufmerkſamkeit
ihrer Eltern , und eilte ins Freie . Die ſu-
chende Mutter war dann gewiß , daß ſie ſol-
che auf der hohen Linde wiederfinden wuͤrde ;
immer traf ſie ſolche im Gipfel derſelben , wo
ſie mit hocherhabnen Haͤnden zu beten ſchien .
Wehmuth fuͤllt mein Herz , theilnehmen-
de Thraͤnen treten in mein Auge , wenn ich
mir das Leiden der Ungluͤcklichen denke , wenn
ich der Urſache nachforſche : Warum ſie eben
die hohe Linde erſtieg , und dort ſo andaͤchtig
betete ? Wahrſcheinlich wollte ſie ihren unend-
lichen Schmerz , ihren uͤbergroßen Jammer
dem Ewigen klagen ; wahrſcheinlich glaubte
ſie in ihrem Wahnſinne , daß ſie im Gipfel
der Linde ihm naͤher ſey , daß er ſie in dieſer
Hoͤhe beſſer hoͤren wuͤrde . Ach , es iſt ein
ſchaudernerregendes Bild , wenn der Ungluͤck-
liche , der nirgends Huͤlfe , nirgends Troſt
auf der weiten , großen Erde findet , einen
hohen Baum erklettert , um von ſeiner Hoͤhe
zum Ewigen zu rufen , da er ſein Flehen aus
der Tiefe nicht zu hoͤren ſcheint . Es iſt ein
Beweis des hoͤchſten Dranges , des groͤßten
Jammers , des fuͤhlbarſten Schmerzes !
Erſt einen Monat ſpaͤter ſahen die ungluͤck-
lichen Eltern des ungluͤcklichſten Kindes , daß
ihr Jammer noch kein Ziel erreiche , daß er ſich
in der Folge noch um ein großes mehren
muͤſſe , ſie erkannten deutlich , daß Sophie
ſchwanger ſey . Ihre gerechte Klagen uͤber den
ſchaͤndlichen und meineidigen Verfuͤhrer , wur-
den nun lauter , man ſprach in der ganzen
Stadt von Sophiens Ungluͤcke ; die Obriſthof-
meiſterin erfuhr es , und durch dieſe der Marg-
graf ſelbſt . Er ſtaunte uͤber den ſchrecklichen
Undank des Juͤnglings , er ging am Nachmit-
tage ſelbſt nach Sophiens Wohnung , um ſich
von der Wahrheit der Geſchichte zu uͤberzeu-
gen . Er ſah die Ungluͤckliche , und Thraͤnen
traten in ſein Auge , er beſchenkte ihre Eltern
ſehr reichlich , und verſprach noch mehr zu
thun .
Eine Stunde nach ſeiner Ruͤckkunft ins
Schloß , ging ein Kourier nach Frankfurt ab ,
welcher den gemeßnen Auftrag hatte , Wilhelms
Heurath wo moͤglich zu hindern , und ihm un-
ter den fuͤrchterlichſten Drohungen zur Ruͤck-
kehr und zum Erſatze der leidenden Unſchuld
zu bewegen . Der Abgeſandte fand Wilhelmen
nicht mehr in Frankfurt , er hatte in einem
benachbarten Staͤdtchen eine ſchoͤne , reiche
Kaufmannstochter geheurathet , und lebte
dort mit einem Aufwande , der nach Zeugniß
der Sachkundigen , ein weit groͤſſeres Vermoͤ-
gen bald verſchlingen wuͤrde .
Ohne zu bedenken , daß nun keine Heu-
rath mit Sophien moͤglich ſey , reiſte der Ab-
geſandte nach dieſem Staͤdtchen , und machte
dem in Freuden lebenden Wilhelm die Schrek-
kenspoſt des Marggrafen kund . Sie ſchien
ihn ſehr zu erſchuͤttern , er zitterte und bebte ,
verſprach dem Abgeſandten am andern Morgen
eine ſchriftliche Rechtfertigung und eine Sum-
me Geldes zur Unterſtuͤtzung der leidenden So-
phie zu uͤberbringen . Wie aber der Abgeſand-
te bis am Mittag des andern Tages vergebens
auf beides harrte , und nun wieder nach Wil-
helms Wohnung ging , fand er dort alles in
groͤßter Beſtuͤrzung , und erfuhr , daß Wil-
helm ſchon am Abende vorher aus dem Hauſe
verſchwunden , den mitgenommeuen Sachen
nach zu urtheilen , ganz entflohen ſey .
Wenn der treuloſe Undankbare mein Land
jemals betritt , ſprach der Marggraf , als er
dieſe Nachricht hoͤrte , ſo harrt ſeiner ewige
Zuchthausſtrafe ! Der menſchenfreundliche Fuͤrſt
ward nun ſelbſt Vater der Verlaßnen , er ſezte
ihr eine jaͤhrliche Penſion von zweihundert Tha-
lern aus , er verſprach , das Kind zu verſor-
gen , und gebot den Eltern , die Ungluͤckliche
nicht durch Vorwuͤrfe zu kraͤnken , ihr viel-
mehr durch ſorgfaͤltige Pflege den ſchrecklichen
Zuſtand auf alle moͤgliche Art zu erleichtern .
Oft ſandte er ihr Speiſen von ſeiner Tafel ,
und ſchuͤttelte immer nachdenkend den Kopf ,
wenn er ſich die ſeltne Liebe des Maͤdchens ,
den ſchrecklichen Undank des Juͤnglings dachte .
Die fuͤrſtliche Fuͤrſorge reizte die nun we-
nigſtens von Nahrungsſorgen befreiten Eltern
zur groͤſſern und mehrern Aufmerkſamkeit .
Um Ungluͤck zu verhuͤten , welches in ihrem Zu-
ſtande ſo leicht und moͤglich war , verhinderten
ſie es ſtrenge , daß Sophie nicht mehr nach dem
Garten gehen , nicht mehr die hohe Linde be-
ſteigen konnte , aber eben dieſe gute Meinung
war die Urſache des ſchrecklichen Todes ihres
ungluͤcklichen Kindes . Sophie wollte beten ,
ihr Ungluͤck , das keiner aͤuſſern Linderung faͤ-
hig war , forderte dieſen innern Troſt mit
Heftigkeit , ihr Wahnſinn verleitete ſie zu den
Gedanken , daß ſie nur auf einem erhabnen
Orte beten koͤnne . Als ihr alter Vater , noͤ-
thiger Geſchaͤfte wegen , abweſend war , und
ihre Mutter mit einer Nachbarin an der Haus-
thuͤre ſprach , verließ Sophie das Zimmer ,
eilte auf den Boden des Hauſes , erkletterte
ein Dachfenſter , und wollte durch dieſes bis
au den Fenſtern des Hauſes empor klim-
men . Die Nachbarn ſahen es , ehe ſie aber zn
Huͤlfe eilen konnten , verlohr ihr Koͤrper das
Gleichgewichte , ſie ſtuͤrzte von der Hoͤhe her-
ab , und lag zerſchmettert vor dem ſtarrenden
Auge der bebenden Mutter .
Ich wende mein naſſes Auge von dieſer
ſchrecklichen Szene ; als ſie dem Marggrafen
bekannt wurde , ſeufzte er tief , und legte die
Hand auf ſein fuͤhlendes Herz . Bald nachher
machte er es bekannt , daß er die Leiche ſelbſt
zu ihrer Ruheſtaͤtte begleiten wuͤrde , ſeinem
Beiſpiele folgte der Hof und die ganze Stadt .
Es war ruͤhrend zu ſehen , wie der lange Zug
durch alle Gaſſen in krummen Linien dem Sar-
ge der Ungluͤcklichen nachwallte . Der Hofpre-
diger mußte die Leichenrede halten , er waͤhlte
den Text : Er hat mich verlaſſen , aber
der Herr nahm mich auf ! Aller Augen
thraͤnten , als er begann , und manche wan-
kende Tugend des luͤſternen Maͤdchens ward
durch ſeine vortrefliche Rede zum ſtaͤrkern und
ſiegenden Kampfe ermuntert . Der Marggraf
ließ das Grab der Ungluͤcklichen mit einem
Leichenſteine zieren , und zahlte den trauern-
den Eltern die zweihundert Thaler bis an ih-
ren Tod .
Zwanzig lange Jahre nachher , als der
Koͤrper des redlichen Fuͤrſten ſchon in der
Gruft ſeiner Vaͤter ſchlummerte , langte am
Rathhauſe der Stadt eine ſogenannte Bettel-
fuhre an . Ein Sterbender aͤchzte darinne auf
einem Bunde Stroh . Die Schriften , welche
der Fuhrmann dem Rathe uͤberreichte , uͤber-
zeugten den leztern ſogleich , daß der Ster-
bende der undankbare , treuloſe Wilhelm ſei .
Er war als ein Bettler im benachbarten Lande
an der Straſſe krank gefunden , und gemaͤß
ſeiner Auſſage , nach ſeinem Geburtsorte zur
noͤthigen Verſorgung abgeſandt worden . Wie
man ihn nach dem Spitale tragen wollte , hatte
er ſeinen fuͤrchterlichen Todeskampf ſchon vol-
lendet , er ward auf dem Gottesacker des
Zuchthauſes beerdigt , niemand ging mit ſei-
ner Leiche , niemand weinte an ſeinem Gra-
be . Er ruht izt dort , wo er haͤtte dulden und
buͤſſen ſollen ! O wie gerne moͤchte ich den Vor-
hang luͤften , und in das unendliche Jenſeits
blicken , um jeden Verfuͤhrer , jeden Meinei-
digen mit Gewißheit zurufen zu koͤnnen : Er
buͤßt auch dort , was er hier verbrach !
Graf von L— .
S elten , ſagt man im gemeinen Spruͤchwor-
te , ſind die Ehen der Groſſen und Vorneh-
men gluͤcklich , weil ſie ſelten aus aͤchter Liebe
und Neigung , meiſtens nur aus Eigennutz
und Nebenabſichten die Gehuͤlfin waͤhlen , wel-
che mit ihnen Hand in Hand durchs Leben wan-
dern , Kummer und Freude , Gluͤck und Un-
gluͤck mit ihnen theilen ſoll . Graf L— war
unter den Wenigen , welche blos aus Nei-
gung und Liebe waͤhlten , der gluͤcklichſte ! Als
ſein ſterbender , ſehr reicher Vater von dem
jammernden Sohne die Erfuͤllung des einzigen
Wunſches , ihn vor ſeinem Ende verheurathet
zu ſehen , mit Wehmuth heiſchte , da fuͤhrte
der Gehorſame ein ſehr armes , aber ſchoͤnes
und tugendhaftes Maͤdchen vor ſein Sterbe-
bette . Nur wenige Stunden hatte der Alte
noch zu leben , ſie waren ihm zu wichtig , um
ſie zur Unterſuchung des Stammbaums der
Braut zu verwenden , er ſegnete die Verlob-
ten , und genoß in der lezten Stunde ſeines
Lebens die Freude , ſeinen einzigen Sohn ver-
heurathet zu ſehen .
Der zahlreiche Adel der ganzen groſſen
Hauptſtadt ſtaunte uͤber dieſe ſeltne und ſchnel-
le Heurath . Viele Muͤtter hatten bisher Ur-
ſache , zu hoffen , daß der ahnen- und geld-
reiche Graf eine ihrer Toͤchter zur Gemahlin
waͤhlen wuͤrde , viele Vaͤter glaubten mit Zu-
verſicht , daß er den Glanz ihrer zahlreichen
Ahnen erkennen , und die durch ihre Ver-
ſchwendung arm gemachte Tochter wieder reich
und gluͤcklich machen wuͤrde . Aller Ausſichten
waren nun vernichtet und verſchwunden , ein
unbekanntes , armes Maͤdchen , das nie in
einer Aſſemblee erſchienen war , war Graͤfin
geworden , konnte nun alle an Glanz und
Pracht verdunkeln !
Man achtete damals noch ſtreng auf Eti-
kette und Ahnenprobe , der zankſuͤchtige Neid
wuͤrkte noch ſtaͤrker , als dieſe Achtung , alle
Damen beſchloſſen daher , daß keine unter al-
len , nach damaliger Sitte und Gewohnheit ,
die junge Graͤfin in irgend einer Geſellſchaft
auffuͤhren wolle , wenn ihr Gatte nicht vorher
im Zirkel der Maͤnner deutlich und klar erwie-
ſen haͤtte , daß ſie vom aͤchten Adel abſtamme ,
und apartementmaͤſſig ſei . Sie kannten
die Geſinnungen des Grafen aus Erfahrung ,
ſie wußten , daß er ſich oft ſchon uͤber den Stolz
des Adels luſtig gemacht hatte , ſie hoften ,
daß er aus dieſer Urſache , wenn er es auch
vermoͤge , die Probe nicht leiſten wuͤrde , und
wollten ſich dann herrlich an ihm raͤchen .
Graf L— war erſt acht und zwanzig Jahr
alt , als er ſich vermaͤhlte , ſein groſſer Reich-
thum berechtigte ihn , frei und unabhaͤngig auf
ſeinen ſchoͤnen Landguͤtern zu leben , aber ſein
thaͤtiger Geiſt verachtete Muͤſſiggang und laͤ-
ſtige Ruhe , ſchon im achtzehnten Jahre ſeines
Alters trat er in die Dienſte ſeines Monar-
chen , ſtieg durch Verdienſt , nicht durch Fuͤr-
ſprache , immer hoͤher , und ward nach zwei
Monaten , nach dem Tode ſeines Vaters , zum
Praͤſidenten der Landesregierung ernannt . Er
hatte bisher mit ſeiner ihn aͤuſſerſt liebenden
Gattin in ſtiller , haͤußlicher Ruhe gelebt , er
war der Trauer wegen mit ihr an keinem oͤf-
fentlichen Orte erſchienen , und wuͤrde wahr-
ſcheinlich nie dort erſchienen ſeyn , wenn ihm
ſein neues Amt nicht neue Pflichten auferlegt
haͤtte . Er empfing als Praͤſident vom Mo-
narchen ſogenannte Tafelgelder , mußte dafuͤr
taͤglich an gewiſſen Tagen eine oͤffentliche Tafel
geben , und — wahrſcheinlich im Namen des
Monarchen — den hoͤhern Adel bewirthen .
Ehe ein Monat verfloß , erſchien einer dieſer
Tage,
Tage , er ſandte die gewoͤhnlichen Einladungs-
billets umher , und ſtaunte , als er eben ſo
viele Entſchuldigungen zuruͤck erhielt . Er
glaubte die Urſache zu errathen , und ging am
andern Morgen zum Monarchen . Mein Fuͤrſt ,
ſprach er im offnen Tone , ich bitte , mir die
Tafelgelder nicht mehr auszahlen zu laſſen ,
denn ich kann ſie nicht benutzen , man hat mir
alle meine Einladungsbillets mit leeren Ent-
ſchuldigungen zuruͤckgeſendet .
Fuͤrſt . Zuruͤckgeſendet ? Aus welcher Ur-
ſache ?
Graf . Ausdruͤcklich vermag ich ſie nicht
anzugeben , aber hoͤchſt wahrſcheinlich iſt 's
dieſe , daß ich ein armes Maͤdchen heurathete ,
daß ich nur ihre Tugend , ihre vortrefliche Den-
kungsart bewunderte , und aus Bewunderung
uͤber dieſe ſeltnen Vorzuͤge zu fragen vergaß :
Ob ſie auch einen gemahlten , mit ſechszehn
Biogr. d. W. 4r Bd. E
Namen beſchriebnen Baum von ihrem Vater
geerbt habe ?
Fuͤrſt . ( laͤchelnd ) So iſt's alſo wuͤrk-
lich wahr , was man bisher nur im Geheim
munkelte , daß der Graf L— , einer der ange-
ſehenſten Kavaliere meines Landes , eine Buͤr-
gerliche geheurathet habe ?
Graf . ( mit warmer Empfindung )
Der Adel ihrer Seele iſt noch groͤſſer , als
die Schoͤnheit ihres Koͤrpers ! Ich ſehe alſo
gar nicht ein , was fuͤr ein Unterſchied zwi-
ſchen ihr und andern Damen ſtatt finden koͤn-
ne , da ſie des Grafen L—s , des fuͤrſtlichen
Praͤſidentens Gattin iſt .
Fuͤrſt . Sie ſprechen mit Waͤrme .
Graf . Und ich glaube , auch mit Wahr-
heit .
Fuͤrſt . Wer war der Vater ihrer Gat-
tin ?
Graf . Er nennte ſich — , ſtand als
Hauptmann im Dienſte des Koͤnigs von — ,
und ſtarb auf dem Schlachtfelde zu L— .
Fuͤrſt . Eine kurze , aber ehrenvolle Bio-
graphie .
Graf . Wuͤrklich ruhmvoller , als die Le-
bensgeſchichte manches Domherrn , manches
deutſchen Ritters mit zwei und dreiſig doku-
mentirten und ſtiftsmaͤßigen Ahnen .
Fuͤrſt . ( lachend ) Lieber Graf , ſie ſind
ein Sonderling , aber ich habe Sonderlinge die-
ſer Art gerne zu Praͤſidenten , weil ſie nur auf
Verdienſt , nicht auf Geburt und Zufall ſe-
hen .
E 2
Graf . Dieſe Antwort machte Euer Durch-
laucht zum Fuͤrſten , wenn ſie es nicht ſchon
waͤren .
Fuͤrſt . Ich danke , lieber Graf , und
nehm 's nicht als Schmeichelei , ſondern als
reine Empfindung ihrer Wahrheitsliebe . Aber ,
was werden wir nun machen ? Die Tafel muß
doch wie gewoͤhnlich gegeben werden .
Graf . ( laͤchelnd ) Ohne Gaͤſte ?
Fuͤrſt . O dieſe werden nicht ausbleiben !
Doch warten ſie — — Ich will die Sache an-
ders ordnen ! Ich werde die Tafel ſelbſt ge-
ben , meine Einladungsbillets wird wohl nie-
mand mit Entſchuldigung zuruͤckſenden ?
Graf . O ganz gewiß nicht .
Fuͤrſt . Alſo auch ſie nicht , denn ſie muͤſ-
ſen nebſt ihrer mir izt noch unbekannten Ge-
mahlin mein Gaſt ſeyn .
Graf . Wenn ich mich nicht abermals hoch
an der Etikette verſuͤndigte . Mein Weib be-
trauerte bis izt mit mir den Verluſt eines ge-
liebten Vaters , der kurz vor ſeinem lezten
Augenblicke ihre Hand in die meinige legte ,
und unſre Verbindung kraͤftig ſegnete . Sie iſt
bei unſrer durchlauchtigſten Fuͤrſtin noch nicht
vorgeſtellt worden , ſie darf alſo ohnedies bei
Hofe nicht erſcheinen , wenn nicht uͤberdies
noch — —
Fuͤrſt . O ich weiß , was ſie ſagen wollen !
Das alles entſchuldigt ſie nicht , ich werde mit
meiner Fuͤrſtin ſprechen , und ſie erſcheinen mit
ihrer Gattin am beſtimmten Tage um zwoͤlf
Uhr im Kabinete der Fuͤrſtin . Keine Ausrede
findet ſtatt ! Sie muͤſſen erſcheinen !
Graf . Wenn Euer Durchlaucht ausdruͤck-
lich befehlen !
Fuͤrſt . Ja , ich befehle es ! Bis dahin
leben ſie recht wohl !
Der Graf ging , und machte ſeiner Gattin
den Befehl des Fuͤrſten kund , er war ihr laͤſtig ,
denn ſie liebte Einſamkeit und Ruhe , und
fuͤrchtete Hohn und Verachtung der hoffaͤrtigen
Damen , doch fuͤgte ſie ſich dem Willen des
Gatten , dem Befehle des Fuͤrſten . Indeß
dieß alles geſchah , war in allen Geſellſchaften
und Aſſembleen das Geſpraͤch uͤber die leere Ta-
fel des Praͤſidenten in der Tagesordnung . Je-
der Wizling , und dieß will ja ſtets jeder junge
Kavalier ſeyn , erſchoͤpfte ſich an luſtigen Ein-
faͤllen . Alles lachte , wenn ſie ſprachen , ſogar
die aͤlteſten Damen billigten vom ganzen Her-
zen die Rache , welche man an dem Praͤſidenten
uͤbte , weil ſonſt das uͤble Beiſpiel leicht Fol-
gen nach ſich ziehen , und mancher unerfahrne
Junker das buͤrgerliche , reizende Geſicht ſchoͤ-
ner , als das ahnen- aber auch fleckenreiche Geſicht
einer ſtiftsmaͤßigen Fraͤulein finden , und ſo die
Zahl der ſchreckensvollen Meßallianzen vermeh-
ren koͤnne .
Der Rachetriumph mehrte ſich um ein
großes , als allen am andern Tage kund ward ,
daß der Fuͤrſt aus wichtigen Gruͤnden bewogen
worden ſey , die Tafel , welche ſonſt der Praͤſi-
dent in ſeinem Namen geben mußte , ſelbſt zu
geben , und aus dieſer Urſache wuͤrklich ſchon die
Einladung gemacht hatte .
Seht ihr nun die Folgen der ſchrecklichen
Meßallianz ! ſprachen die Alten , und blickten
mit warnendem Auge ihre Soͤhne an , die dann
und wann nach einem Buͤrgerhauſe ſchlichen ,
und die haͤußliche Ruhe und Gluͤckſeligkeit
deſſelben zu zerſtoͤhren ſuchten . Stolzer und
freier blickten die ahnenreichen Fraͤulein umher ,
und dankten ingeheim Gott , daß er ſie in einem
Stande auf die Welt ſezte , der appartement-
maͤßige Tafeln geben , Heiducken halten , und
bei oͤffentlichen Aufzuͤgen mit ſechs Pferden fah-
ren konnte .
Gebt acht , riefen die alten Raͤthe aus ;
welche unter dem Vorſitze des jungen Praͤſiden-
ten fleiſſiger im Rathe erſcheinen , und thaͤtiger
arbeiten mußten , er verliert naͤchſter Tage ſei-
ne Praͤſidentenſtelle ! Nichts gewiſſers als die-
ſes , antworteten die Damen , da er ſeine vor-
nehmſte Pflicht nicht erfuͤllen , nicht Tafel ge-
ben kann , bei welcher wir ohne Kraͤnkung unſe-
rer Ehre erſcheinen koͤnnen . Der arme , durch
die unſeligen buͤrgerlichen Reize verfuͤhrte
Graf wirds am Ende bereuen , wenn er verach-
tet und verlaſſen von allen aufs Land ziehen ,
und dort in unertraͤglicher Langenweile , in Ge-
ſellſchaft roher Bauern ſeine jungen Tage ver-
leben muß . Die Rache iſt ſchrecklich , aber er
hat ſie verdient , ſein kuͤhner Schritt beleidigte
die Geſezze der Natur , die ausdruͤcklich gebieten ,
daß ſich gleich und gleich verbinden ſoll , die Fol-
gen koͤnnen nicht ausbleiben !
Ich ende das Geſchwaͤz des ſtolzen Un-
ſinns , ich eile zu wichtigern , und ſchoͤnern Be-
gebenheiten : Der Graf erſchien zur beſtimmten
Zeit mit ſeiner ſchoͤnen Gattin im Kabinete der
Fuͤrſtin . Sie war gnaͤdig und gut , ſie liebte
ihren Fuͤrſten mit Leidenſchaft und Waͤrme , er
hatte es ausdruͤcklich gefordert , und die Fuͤr-
ſtin eilte mit offnen Armen der jungen Graͤfin
entgegen . Sie mußte Plaz an ihrer Toilette
nehmen , die beſcheidne Art , mit welcher ſie das
unerwartete Gluͤck annahm , und zu verdienen
ſuchte , die Richtigkeit , mit welcher ſie ſprach ,
die Waͤrme , mit welcher ſie im Geſpraͤche je-
de Wahrheit vertheidigte , die vielen Kennt-
niſſe , welche ſie in ihrem Geſpraͤche verrieth ,
erwarben ihr bald die wuͤrkliche Achtung und
Freundſchaft der Fuͤrſtin . Gute Seelen finden
ſich bald , und wiſſen ſich noch ſchneller zu
ſchaͤtzen . Der Dank der Fuͤrſtin war daher
aufrichtig , als endlich der Fuͤrſt ins Kabinet
trat , und laͤchelnd fragte : Wie ihr die neue
Geſellſchaft behage ? Sie iſt meine Freundin
worden , antwortete die Fuͤrſtin , und ich hof-
fe noch manche angenehme Stunden in ihrer
Geſellſchaft zu genuͤßen . Die Wahl macht alſo
ihrem Herzen und Verſtande gleich große Ehre ,
ſprach der Fuͤrſt mit vergnuͤgtem Blicke zum
Grafen , reichte der Graͤfin den Arm , und
ging voran , um ſie nach dem Speiſeſaal zu
fuͤhren ; die Fuͤrſtin folgte am Arme des Gra-
fen .
Der ganze hohe Adel der Hauptſtadt war
im Speiſeſaale verſammlet , die Thuͤren oͤfue-
ten ſich , und manches Geſicht bleichte , ver-
zog ſich in maͤchtige Falten , als es die ver-
haßte Buͤrgerin am Arme des Fuͤrſten erblickte .
Viele kannten ſie noch nicht , ehe ſie aber for-
ſchen und fragen konnten : Wer die fremde
Dame ſey ? Ergriff die Fuͤrſtin die Hand der
Graͤfin , und fuͤhrte ſie bei allen Damen des
Hofs mit der Bemerkung auf , daß dies die
wuͤrdige Gemahlin des Herrn Praͤſidenten Gra-
fen von L— ſey , und daß ſie ſich gluͤcklich ſchaͤtze ,
ihre Bekanntſchaft gemacht zu haben .
Es war des Mitleids wuͤrdig , wie die
ſtaunenden Damen ihre Faſſung zu erhalten
ſuchten , nicht freundlich ſeyn wollten , und
doch freundlich ſeyn mußten . Der Fuͤrſt ſah
zu , und laͤchelte . Man nahm Platz an der
Tafel , die Graͤfin ſas an der Seite des Fuͤr-
ſten , der Graf neben der Fuͤrſtin . Alles
ſchwieg , nur dieſe ſprachen , und die Graͤfin ,
welche izt ihren innern Werth zu fuͤhlen be-
gann , zeichnete ſich bald auf eine aͤuſſerſt vor-
theilhafte Art aus . Jeder der Tafelnden ſuch-
te ſich nun in ſein Schickſal zu fuͤgen , die
Wunde , welche der Stolz eines jeden empfing ,
war groß und fuͤhlbar , aber man eilte auch ,
ſie eben ſo geſchwind , als ſie fuͤhlbar wurde , zu
verbinden und zu verheelen .
Viele der anweſenden Kavaliere ſtammle-
ten der neuen Graͤfin nach aufgehobner Tafel
ihre Verehrung , und manche Dame ſtahl ſich
hin zu ihr , und ihr ingeheim zufluͤſtern zu
koͤnnen , daß ſie ſich gluͤcklich ſchaͤtzen wuͤrde ,
wenn ſie ſich bald ihres Beſuches erfreuen
koͤnnte . Als man noch an der Tafel ſaß ,
ſprach der Fuͤrſt mit einmal : Apropos ! lie-
ber Praͤſident , eben faͤllt mirs bey , daß ich
ſie heute des Vergnuͤgens beraubte , den groͤß-
ten Theil meiner angenehmen Geſellſchaft in
meinem Namen zu bewirthen , ich kann und
will ſie dieſer Pflicht nicht entbinden . Beſtim-
men ſie alſo , da wir alle beiſammen ſind , deu
Tag , an welchem ſie ſolche erfuͤllen wollen .
Der Graf . Ich uͤberlaſſe die Beſtim-
mung Euer Durchlaucht .
Fuͤrſt . So ſey's der kuͤnftige Montag ,
weil an dieſem eben meine Frau ihren Geburts-
tag feiert , ich hoffe , daß ſie mich und ſie
auch laden werden , wir werden willig erſchei-
nen , und dieſen ſchoͤnen Tag in ihrer Geſell-
ſchaft gewiß recht angenehm zubringen . Die
Wahl der uͤbrigen Geſellſchaft uͤberlaſſe ich ih-
nen , und bin dann gewiß , daß ſie nur ihre
und meine Freunde waͤhlen werden !
Dieſe Donnerworte wuͤrkten maͤchtig , je-
der wuͤnſchte herzlich an der Tafel Theil zu
nehmen , um fuͤr einen Freund des Fuͤrſten
geachtet zu werden , daher kams , daß ſich die
Verachtung in ſo ſchnelle Verehrung verwandel-
te , daß man izt mit groͤßter Begierde die
Freundſchaft des Grafen und ſeiner Gattin
ſuchte . Beide waren großmuͤthig genug ,
nicht Gegenrache zu uͤben , ſie genoſſen den
verdienten Triumph im Stillen , und kamen
jeden , der ſich ihnen nahte , mit Freundlich-
keit entgegen . Jeder , welcher geladen zu
werden wuͤnſchte , wurde geladen , und dies
verpflichtete wenigſtens alle zur aͤußerlichen
Hochachtung , zum innerlichen Danke .
Fuͤrſt und Fuͤrſtin bemuͤhten ſich , am be-
ſtimmten Tage die Graͤfin aufs neue unter al-
len Damen auszuzeichnen , und dieſe Bemuͤ-
hung war die Urſache , daß man ganz zu ver-
geſſen ſchien : Wer ſie einſt war ? nur darauf
achtetete : Was ſie izt ſey ? Der Graf genoß
als Praͤſident das volle Zutraun ſeines Fuͤrſten ,
ſeine Tafel ward immer zahlreich beſucht , und
die Graͤfin erſchien nun , ohne aufgefuͤhrt zu
werden , an allen oͤffentlichen Oertern , und
in allen Geſellſchaften bei Hofe , wurde uͤberall
hoch geſchaͤzt und geehrt , weil die Fuͤrſtin ſie
als Freundin liebte . Freilich wurde im gehei-
men , vertrauten Zirkel noch oft der Name der
guten Graͤfin eitel genannt , und bitter uͤber
das allzu leutſelige Betragen des fuͤrſtlichen
Paars gloſſirt ! Freilich gabs noch viele hoch-
adliche Herren und Damen , welche dieſe Hand-
lung als eine Verlezzung der theuer beeideten
Landesverfaſſung , als einen Eingriff in die
Rechte des Adels , als einen despotiſchen
Machtſpruch ſchilderten , aber alle kamen doch
darinne uͤberein , daß man dem reiſſenden
Strome nicht widerſtehen koͤnne , und auf ge-
legnere Zeit harren muͤſſe , bis man dieſe un-
verdiente , hoͤchſt kraͤnkende Demuͤthigung raͤ-
chen koͤnne .
Es verfloſſen acht lange Jahre , und die
ſo oft gewuͤnſchte , ſo ſehnlich erwartete Gele-
genheit zur Rache erſchien nicht . Immer
mehrte ſich das Vertrauen des Fuͤrſten gegen
den Grafen , die Freundſchaft der Fuͤrſtin ge-
gen die Graͤfin . Man hatte geduldig zuſehen
muͤſſen , wie der Fuͤrſt zwei der unadlichen
Baſtarden , mit welchen die Graͤfin ihren Gat-
ten erfreute , auf eigner Hand zur Taufe trug ,
und ſie durch ſeinen Namen hoch adelte . Man
haͤtte gerne den Ruf der Graͤfin durch den Ver-
dacht befleckt , daß der Fuͤrſt ſeine Urſachen zu
dieſer ſo auszeichnenden Handlung haben muͤſſe ,
wenn nur er oder die Graͤfin irgend einen moͤg-
lichen Scheingrund zu dieſer Vermuthung gelie-
fert , die leztere nicht ſelbſt durch ihre auſſer-
ordentliche , uͤberall hervorleuchtende Liebe
gegen ihren Gatten derſelben geradezu wider-
ſprochen haͤtte . — — Kurz zu ſeyn : Man be-
muͤhte ſich wuͤrklich ſchon , das eingebildete ,
geduldete Unrecht zu vergeſſen , als mit einmal
die ſo ſehnlich erwartete Gelegenheit zu nahen
ſchien , die ſchlafende Rache weckte , und die
Kaͤmpfer zum allgemeinen Kampfe vereinte .
Ein fremder Kavalier erſchien um dieſe
Zeit bei Hofe , er und ſeine wuͤrklich ſehr ſchoͤne
und
und reizende Schweſter ſuchten bei dem Fuͤrſten
die Wohlthat zu erlangen , einen in einer rei-
chen Erbſchaft nach aller Form Rechtens ver-
lohrnen Prozeß wieder zu erneuern , und durch
groͤſſere , neue Beweiſe zu ihrem Vortheile zu
lenken . Der Fuͤrſt begegnete in jeder oͤffent-
lichen Geſellſchaft dem fremden Kavalier , noch
mehr aber ſeiner ſchoͤnen Schweſter mit beſon-
derer Achtung , und gab endlich , ungeachtet
der Praͤſident es wiederrieth , und die neuen
Beweiſe als geringfuͤgig verwarf , die ausdruͤck-
liche Erlaubniß , daß der Prozeß vom Neuen
beginnen , und die voͤllige Entſcheidung ihm
ſelbſt vorbehalten ſein ſolle .
Schon dieſe ſonſt ganz ungewoͤhnliche Ent-
ſcheidung des Fuͤrſten gab Urſache zum Nach-
denken , dies vermehrte ſich noch weit ſtaͤrker ,
als man deutlich gewahrte , daß der Fremde
ſamt ſeiner Schweſter ſehr groſſen Aufwand
mache , da es doch allgemein bekannt war , daß
Biogr. d. W. 4r Bd. F
beide wirklich ſehr arm waͤren , nur von der
Hofnung des neuen , unſichern Prozeſſes lebten .
Man ſpuͤrte eifrig der Quelle des ſo unerwar-
teten Aufwands nach , und eilte , als man ſie
entdeckt zu haben glaubte , mit groͤßter Be-
gierde zur anſcheinenden Favoritin , um theils
aus ihrer Bekantſchaft kuͤnftigen Nutzen zu zie-
hen , theils aber auch Gelegenheit zu finden ,
ſich durch dieſen ſo maͤchtigen Kanal an dem
Praͤſidenten und ſeiner Gattin nachdruͤcklich zu
raͤchen . Die fremde Dame ſchien ganz in das
Komplot einzuſtimmen , weil ſie auf der wei-
ten , groſſen Erde bisher nichts auszeichnendes
und kein anderes Eigenthum als ihren ahnen-
reichen Adelsbrief beſeſſen hatte , dieſen einzigen
Reichthum daher uͤber alles ſchaͤtzte , und bei
jeder Gelegenheit von ihren glorreichen Vor-
fahren ſprach .
Als die Fremde ſich lange genug mit Be-
weiſen erſchoͤpft hatte , daß der Adel ihres
Vaterlauds ſo etwas nicht dulden wuͤrde , als
ſie mit vielem Witze beigefuͤgt hatte , daß man
nun wohl die Urſache einſehen koͤnne : Warum
der Praͤſident einer ſo uralten , anſehnlichen
Familie die reiche Erbſchaft ab , und einer weit
geringern , weit ahnenaͤrmern Familie zuge-
ſprochen habe ? trat ihr Bruder in den zahl-
reichen Zirkel , welcher ſich um ſie verſammelt
hatte . Aber ſagt mir nur , ſprach er im bra-
marbaſirenden Tone , ihr Herrn und Damen
insgeſamt : Ob denn keiner unter euch allen
den edlen Stolz beſaß , dieſe groſſe Beleidi-
gung zu ahnden und zu raͤchen .
Einige . Sollten , konnten wir gegen
den Willen des Fuͤrſten handeln ?
Der Fremde . Nicht gegen dieſen , ſon-
dern gegen das Buͤrgermaͤdchen , welches ſich
ſo gewaltſam in eure geſchloßnen Geſellſchaf-
ten eindraͤngt , und jeden ehrliebenden Aus-
F 2
laͤnder verhindert , daran Theil zu nehmen .
Haͤtte ich von der abſcheulichen Meßallianz nur
ein Wort erfahren , ich haͤtte an des Praͤſi-
denten Tiſche nie einen Biſſen gegeſſen , in ſei-
nem Hauſe keine Karte angeruͤhrt . Wo Ge-
walt nichts vermag , da muß Liſt ſiegen ! Waͤre
ich ein Mitglied eures Bundes , ſchon laͤngſt
haͤtte die Buͤrgerliche aus der Geſellſchaft wei-
chen , und daheim es tief fuͤhlen muͤſſen , daß
man eine hohe Treppe nicht uͤberſpringen , ſon-
dern nur Stufenweiſſe erſteigen muß . ( Alle
Anweſende zukten die Achſeln . ) War-
tet , nur wartet , ich wills euch lehren , wie
man in dergleichen Faͤllen handeln muß . Mor-
gen iſt Spiel bei Hofe , iſts moͤglich , daß ich
mich zum Tiſche der Frau Buͤrgerin draͤngen
kann , ſo ſollt ihr alle eure Freude erleben ,
wie ich blos durch Witz und treffende Anſpie-
lungen das ſtolze Ding demuͤthigen will . Ich
wette , was ihr wollt , ſie wird , ſie muß es
fuͤhlen , und ſollte die buͤrgerliche Haut fuͤr
feine Stiche nicht reitzbar genug ſein , ſo wie-
derholt man ſie ſtaͤrker , bis ſie's fuͤhlt , und
ſich demuͤthiglich in ihr Schneckenhaus zuruͤck-
zieht !
Alles lachte , alles freute ſich auf dieſe
herrliche Szene , nur einige wenige gaben ab-
ſichtlich dem Fremden den wohlmeinenden Rath ,
zu uͤberlegen und zu bedenken , daß ſolch ein
Scherz leicht die Ungnade des Fuͤrſten und der
Fuͤrſtin nach ſich ziehen koͤnne , als aber der
Fremde mit einem ſehr bemerkbaren Seiten-
blick auf ſeine Schweſter verſicherte , daß der
Fuͤrſt eines ſolchen Bagatells wegen , ihm ſeine
Gnade nicht entziehen wuͤrde , und die Schwe-
ſter uͤberdies impertinent genug war , ihres
Bruders Behauptung mit einem geheimnißvol-
len Laͤcheln zu beſtaͤtigen , ſo wußte man , was
man wiſſen wollte , und war nun uͤberzeugt ,
daß die Rache gelingen wuͤrde .
Aller Augen ruhten auf dem Fremden ,
als er am andern Tage ſich kuͤhn zum Spiel-
tiſche der Praͤſidentin draͤngte , und von der
Gefaͤlligen ſogleich die Erlaubniß erhielt , an
ihrem Spiel Theil zu nehmen . Wider Ge-
wohnheit wnrde an den benachbarten Tiſchen
aͤuſſerſt zerſtreut geſpielt , man ſprach kein
Wort , weil man gerne hoͤren wollte , wie der
ſtolze Fremde ſein Wort erfuͤllen wuͤrde . Das
Tarokſpiel war dazumal noch nicht in die Buͤr-
ger- und Bierhaͤuſer verbannt , man ſpielte es
haͤufig bei Hofe , und die Praͤſidentin ſpielte
es eben mit ihrer Geſellſchaft . Nach einigen
ſtill durchſpielten Parthien ereignete ſich der
Zufall , daß die Praͤſidentin eben eine ſ k iſirte
Kavallerie anſagte , als der Fremde eine wirk-
liche und natuͤrliche beſaß .
Um Verzeihung , ſprach dieſer im laͤcheln-
den Tone , als ſie ſolche vorzeigte , diesmal
muß mir ihr Bruder der Monſieur Skis den
Vorzug goͤnnen , denn ich habe eine natuͤrli-
che Kavallerie .
Die Praͤſidentin . ( im laͤchelnden ,
unſchuldigen Tone ) Seit welcher Zeit iſt
denn der Skis mein Bruder geworden ?
Der Fremde . ( ſeine Karten ord-
nend im hingeworfenen Tone ) Seit
acht Jahren Madam !
Die Praͤſidentin . Wie ſo ?
Der Fremde . ( im gleichen Tone
fortſprechend ) Der Monſieur Skis iſt ein
rechtkuͤhner Kerl , er mengt ſich in alles , giebt
ſich izt eben fuͤr eine Dame aus , und iſt doch
weiter nichts als ein ganz gemeiner Geſelle ,
den man nur im Nothfalle dazu brauchen kann .
Es iſt mir herzlich lieb , daß ich eben den
Hoffaͤrtigen demuͤthigen , und ihm beweiſen
kann , daß eine wirkliche Dame weit mehr ſei ,
als eine ſkiſirte Dame . ( die Praͤſidentin
anblickend ) Madam , ſie ſpielen aus !
Sie thats , ohne ein Wort zu ſprechen .
Ihre Wangen waren hoch geroͤthet , ihr nie-
dergeſchlagnes Auge ruhte auf den Karten .
Dies vermehrte den Triumph der Anweſen-
den , welche das Geſpraͤch deutlich gehoͤrt hat-
ten , und es nun mit ſtillem Hohngelaͤchter von
einem Tiſche zum andern verbreiteten . Die
Praͤſidentin ſpielte noch einige Zeit fort , end-
lich endigte ſie das Spiel unter einem Vor-
wande fruͤher als gewoͤhnlich . Wie ſie die
gebrauchten und verlohrnen Marken gegen Geld
auswechſeln wollte , entfiel ihrer merkbar zit-
ternden Hand ein Dukaten , ſie buͤckte ſich dar-
nach , und ſuchte ihn unter dem Tiſche . Der
Fremde , welcher aus Prahlſucht einen groſſen
Pack Bankuoten herausgezogen hatte , um ſeine
kleine Spielſchuld zu bezahlen , ergrif ſogleich
eine Banknote von hundert Thaler , drehte
ſie in Gegenwart vieler hinter ihm ſtehenden
Kavaliers in die Geſtalt eines Fidibus zuſam-
men , zuͤndete ſolche behende an der Wachs-
kerze an , und leuchtete damit der ihren Du-
katen ſuchenden Graͤfin .
Alles ſchrie und lachte , man war ſogar
ſo kuͤhn , der Graͤfin am Ende den herrlichen
Gedanken zu erzaͤhlen , und das Noble und
Erhabne deſſelben zu loben .
Die Praͤſidentin entfernte ſich ſtillſchwei-
gend , und eilte nach Hauſe . Wie ihr Gatte ,
dem eine laͤngere Parthie am Spieltiſche gefeſ-
ſelt hatte , auch heimkehrte , wiſchte ſie die
Thraͤnen aus ihren Augen , und ging ihm mit
der gewoͤhnlichen Freundlichkeit entgegen . Du
ſuchſt mir , ſprach dieſer im ernſten Tone ,
vergebens deine Thraͤnen zu verbergen , ſie
flieſſen gerecht , und mein iſt die Pflicht , ſie
zu ſtillen , und den Schimpf zu raͤchen . Unge-
achtet ſich die Graͤfin alle Muͤhe gab , ihren
Gatten zu beſaͤnftigen und zu bewegen , daß er
um ihrer willen nicht Zank und Streit ſuchen ,
nicht Genugthuung fordern moͤge , ſo beſtand
er doch hartnaͤckig auf lezterer , nur verſchwieg
er ihr die Art , wie er ſie fordern wuͤrde .
Wie der Tag anbrach , verließ er ſein La-
ger , auf welchem er die Nacht ſchlaflos durch-
wacht hatte , und ging unter dem Vorwande ,
daß er wichtige Geſchaͤfte habe , nach ſeinem
Kabinete . Er ſchrieb einen Brief , und ſandte
den Kammerdiener damit fort , der erſt nach
einigen Stunden die Ruͤckantwort uͤberbrachte .
Er las ſie mit merkbarem Vergnuͤgen , blieb
einige Zeit im Kabinete allein , und wollte
eben ſeine Kinder beſuchen , als ein Leibhuſar
des Fuͤrſten erſchien , und ihn ſchnell nach Hofe
berief . Der Fuͤrſt empfing ihn mit ernſtem
Blicke . Sie haben , ſprach er , den fremden
Grafen R— herausgefordert ?
Graf . Ja , Euer Durchlaucht ! ( mit fe-
ſtem Tone ) Ich kanns nicht laͤugnen !
Fuͤrſt . Er hat verſprochen zu erſcheinen ?
Graf . Ja , Euer Durchlaucht .
Fuͤrſt . Aber ich habe es ihm verboten ,
und verbiete es auch ihnen bei groͤßter Ungna-
de , bei ſchaͤrfſter Ahndung ! Dem Fremden
verdenke ich es nicht , daß ers zuſagte , wie man
ihn forderte , aber ihnen — ihnen muß ichs
doppelt verdenken . Kennen ſie die Geſetze mei-
nes Landes nicht ? Ich wuͤrde es nicht wagen ,
den Chef und Vertheidiger derſelben auf dieſe
Art zu fragen , wenn er es nicht ſelbſt geſtan-
den haͤtte , daß er ſie mit ſo feſtem Vorſatze
verletzen wolle . Nur ihr unbedingter Gehor-
ſam kann die That vergeſſen machen , ſonſt
muͤßte ich ſie ahnden und raͤchen .
Graf . Euer Durchlaucht haben recht , ich
fuͤhls , daß ich die Wuͤrde meines Amtes kraͤnk-
te , und mich deſſen ganz unwuͤrdig machte .
Ich bitte daher Euer Durchlaucht unterthaͤ-
nigſt , mich meines Amtes zu entlaſſen .
Fuͤrſt . ( zornig ) Iſt das ihre ernſtli-
che Bitte ?
Graf . Noch nie bat ich ſo dringend , ſo
ernſtlich !
Fuͤrſt . Sie ſei ihnen gewaͤhrt .
Graf . Ich danke innigſt und demuͤthigſt .
Fuͤrſt . Aber glauben ſie nicht etwan ,
daß dieſe ſtolze Entſagung meines Dienſtes ſie
berechtigt , nur den Gedanken eines Duelles
auszufuͤhren . Ich unterſage es ihnen aufs
neue , und verſichere ſie auf Wort und Ehre ,
daß ich ernſte Maasregeln ergreifen , daß ich
ſie zeitlebens auf eine Feſtung ſetzen wuͤrde ,
wenn ſie nur Mine machen wuͤrden , mein ſtren-
ges Verbot zu uͤbertreten .
Graf . Ah , das iſt hart ! Ah , das hat
der raſtloſe Eifer im Dienſte meines Fuͤrſten
nicht verdient !
Fuͤrſt . Ich ſpreche izt nicht mit dem wuͤr-
digen Praͤſidenten meines Landes , ſondern mit
dem Kuͤhnen , der meine Geſetze mit Fuͤſſen tre-
ten will . Als dieſer muß es ihnen angenehm
ſeyn , wenn der Fuͤrſt nur warnt , wenn er ſtra-
fen koͤnnte . Was hat ihnen denn der Graf ge-
than , daß ſie zu einer ſo verwegnen Rache
ſchreiten wollen ?
Graf . Er hat meine Gattin beleidigt .
Fuͤrſt . Wer weiß — —
Graf . Er hat meine Gattin tief belei-
digt .
Fuͤrſt . So wie ich von allen gegenwaͤrti-
gen Zeugen , denen ich glauben kann und glau-
ben muß , erfahren habe , ſo wars mehr Be-
gierde , durch Witz zu glaͤnzen , als eigentliche
Abſicht , ihre Gattin zu beleidigen . Schon aus
dieſer Ruͤckſicht verdient die ganze Sache Ver-
geſſenheit , die ich ihnen dringend anempfehle .
Graf . So etwas kann , darf ich nicht ver-
geſſen . Meine Ehre erlaubt es nicht .
Fuͤrſt . Ein wahres Vorurtheil !
Graf . Sei 's ein Vorurtheil , aber die
Welt achtet einmal darauf , und ich will nicht
der einzige ſeyn , der's zu vernichten wagt .
Fuͤrſt . Sie ſind ein Sonderling ! Ver-
zeihen ſie , daß ich es ſagen muß , ſie ſind ein
Undankbarer ! Sie haben ſich kuͤhn uͤber ein
weit ſtaͤrkeres Vorurtheil hinweggeſezt , als ſie
heuratheten ; es koſtete mir Muͤhe und Arbeit ,
ihren Schritt zu vertheidigen , und izt , da ich
ein billiges Vergeltungsrecht , die Ueberwin-
dung eines weit kleinern und obendrein ſtraͤf-
lichen Vorurtheils fordere , beſtehen ſie auf ih-
rem Vorſatze .
Graf . Darf ich mich entfernen ?
Fuͤrſt . Nein ! ſie muͤſſen mich weiter hoͤ-
ren .
Graf . Der Fuͤrſt ſpreche , der treue Un-
terthan hoͤrt .
Fuͤrſt . Ich erwarte dies . Koͤnnen ſie es
dem fremden Grafen wohl verdenken , wenn
auch er auf ſein Vorurtheil ſtolz iſt , und es zu
vertheidigen ſucht ?
Graf . O ich verdenke es ihm gar nicht ,
und hoffe gleiche Billigkeit von ihm .
Fuͤrſt . Sie wandeln wieder auf einem
verbotnen Schleichwege .
Graf . Euer Durchlaucht zwangen mich
dazu .
Fuͤrſt . ( mit Guͤte ) Ich will ſie auf die
grade Straſſe zuruͤckfuͤhren , will vergeben und
vergeſſen , will ſelbſt Gelegenheit zur Verſoͤh-
uung Verſoͤh-
nung machen . Werden ſie ſolche ausſchlagen ?
Graf . Nein ! Wenn Graf R— in eben
der zahlreichen Geſellſchaft , in welcher er meine
Gattin beleidigte , mich und ſie oͤffentlich um
Vergebung bittet . — —
Fuͤrſt . O ſie verlangen Unmoͤglichkeiten !
Graf.
Graf . Eine ſehr leichte Moͤglichkeit ,
wenn ihm anders ſein Leben nicht gleichguͤltig
iſt .
Fuͤrſt . ( ſehr zornig ) Genug und
uͤbergenug ! Binnen einer Stunde werden ſie
die Reſidenz verlaſſen , ihre Frau wird ihnen in
ſo viel Tagen folgen . Sie werden nie da , wo
ich bin , nie mehr vor meinem Angeſicht erſchei-
nen ! Gehen ſie , und wenn ihnen Reue anwan-
delt , ſo bedenken ſie , daß ſie dieſe Strafe durch
ihre Hartnaͤckigkeit verdienten .
Graf . Ich danke ! Ich danke ! Darf ich
mich izt entfernen ?
Fuͤrſt . Gehen ſie ! Gehen ſie auf im-
mer !
Der Graf ging . Unterdruͤckter , gehemm-
ter Zorn und Begierde nach Rache leitete ſeine
Biogr. d. W. 4r Bd. G
Schritte , wurde Meiſter ſeiner Vernunft , wel-
che die ſchrecklichen Folgen nicht mehr erwaͤgen
konnte . Ohne eigentlichen Vorſatz , ohne es
ſelbſt zu wollen , trat er in die Wohnung des
fremden Grafen , in deſſen Zimmer ſich eben
eine zahlreiche Geſellſchaft befand , welche ge-
kommen war , ihm Gluͤckwuͤnſche uͤber ſeine
heroiſche That , uͤber ſeinen glaͤnzenden Witz
zu machen , und zu fernern Thaten anzufeuern .
Eben ſchwur er hoch und theuer , daß er nicht
raſten , nicht ruhen wuͤrde , bis er die buͤrger-
liche Praͤſidentin aus allen Geſellſchaften ver-
draͤngt habe , als der Praͤſident ins Zimmer
ſtuͤrmte . Der ſtolze Bramarbas erbleichte ,
und ſeine eben ſo niedrig denkenden Schmeich-
ler zogen ſich zuruͤck .
Graf L— . Haben ſie meinen Brief er-
halten ?
Graf R— . Ich habe , ich habe auch geant-
wortet , allein der Fuͤrſt hat's ausdruͤcklich un-
terſagt , und ich — —
Graf L— . Und ſie ſind ein feigherziger
Schurke , der wohl wehrloſe Weiber beleidigen
kann , aber dem Manne nicht Rede ſtehen
will .
Graf R— . Herr Graf ! Herr Praͤſident !
Graf L— . Sie haben meine Ausforde-
rung abſichtlich bekannt gemacht , damit der
Fuͤrſt ſie erfahre und verhindere . Sie ſind ein
zaghafter Bube : Raͤchen ſie dieſen Schimpf ,
wenn ſie Muth haben .
Graf R— . ( zu den Gaͤſten ) Meine
Herren , verhindern ſie Ungluͤck — —
Graf L— . Schurke ! zieh !
G 2
Er drang mit dem Degen auf ihn ein , Graf
R— zog den ſeinigen , aber er vertheidigte ſich
nur ſchwach , furchtſam und ungeſchickt , ehe die
Anweſenden Muth faßten , die Streitenden zu
hindern , ſank Graf R— roͤchelnd zu Boden ,
ein Stich durch die Lunge raubte ihm in zwei
Stunden das Leben . Niemand wagte es , den
wuͤthenden Grafen L— anzuhalten , als er ſich ,
wie Graf R— zu Boden ſank , eilend ent-
fernte .
Wie das Blut aus der Wunde des Ermor-
deten hervorſtroͤmte , entfloh hohnlachend die
geſaͤttigte Rache , Zorn und Wuth folgten ,
und uͤberlieſſen den Thaͤter der ruͤckkehrenden
Vernunft . Dieſe rieth zur ſchnellen Flucht , er
hatte , ehe er zum Fuͤrſten berufen wurde , zu
ſatteln geboten , er erinnerte ſich izt dieſes
Befehls , eilte nach Hauſe , ſchwang ſich auf
das bereitſtehende Roß , und jagte unaufhalt-
ſam von dannen . Er liebte ſein Weib aufs
innigſte , er war der zaͤrtlichſte Vater ſeiner
Kinder , aber Furcht , Angſt und Reue erlaub-
ten ihm nicht , beide noch einmal zu ſehen u nd
an ſein Herz zu druͤcken , er war uͤberzeugt ,
daß er ſich nicht von ihnen trennen koͤnnte ,
wenn er ihr Flehen hoͤrte ; er wußte , daß der
Rabenſtein ſein Todenbette werden muͤſſe ,
wenn er bliebe ; er eilte fort , um ſich vor die-
ſem ſchmaͤhlichen Tod zu retten , und ſeinem
Weibe groͤſſern Jammer , ſeinen Kindern
Schande zu erſparen .
Erſt nach zwei Stunden erfuhr der Fuͤrſt
die That und des Grafen R—s Tod mit ein-
mal . Er wuͤthete und raßte , er ſchwur hoch
und theuer , daß er beides ſtreng raͤchen wuͤrde .
Nicht allein Gerechtigkeitsliebe , ſondern auch
eine heftige Leidenſchaft war die Urheberin die-
ſes Schwurs . Die Spaͤher ſeiner Handlungen
hatten gut und weiſe geurtheilt ; er liebte die
fremde Graͤfin innig und zaͤrtlich , er ſuchte
ihre Gegenliebe durch praͤchtige Geſchenke ,
durch noch groͤſſere Verſprechungen zu gewin-
nen . Sie nahm beides , aber ſie widerſtand ,
und fachte dadurch die Flamme noch heller an .
Als er ſich am Morgen nach ihrer Woh-
nung ſchlich , durch neue Geſchenke nur einen
Kuß erbetteln wollte , trat ihr Bruder , der
Graf R— , mit bleichem Angeſichte ins Zim-
mer , ſprach heimlich mit ihr , und uͤbergab ihr
das ſchreckbare Ausforderungsbillet des Grafen
L— . Sie verſprach den Furchtſamen Vermitt-
lung , und er ging mit leichtem Herzen von
dannen . Als er fort war , erzaͤhlte die Liſtige
dem verliebten Fuͤrſten alles , verſprach ihm
ſechs freiwillige Kuͤſſe , ließ ihn noch mehrere
hoffen , wenn er die Sache ſo vermittle , daß
der Praͤſident ſchweigen muͤſſe , und ihr Bru-
der ſeines Scherzes wegen der Todesgefahr
entriſſen wuͤrde .
Der Fuͤrſt gab ſein Wort , glaubte es durch
die Entfernung des Praͤſidenten ganz erfuͤllt zu
haben , und wollte eben wieder zur Graͤfin ei-
len , um die Fruͤchte ſeiner Bemuͤhung zu ernd-
ten , als ihm dieſe ſchreckliche Nachricht ward .
Um ſeine Unſchuld zu beweiſen , um darzuthun ,
daß er ſein Wort getreu erfuͤllte , und endlich die
betruͤbte Schweſter zu troͤſten , fuhr er zum er-
ſtenmale oͤffentlich nach der Wohnung der Graͤfin .
Sie weinte , als ſie aber den Fuͤrſten erblickte , ſtock-
ten ihre Thraͤnen , ſie ergrif ſeine Hand , und
fuͤhrte ihn ſtillſchweigend nach dem Zimmer des
Ermordeten . Dies war , ſprach ſie im furcht-
baren Tone , mein Bruder , der Praͤſident war
ſein Moͤrder . Wenn dieſer auf dem Raben-
ſteine geblutet hat , wenn ſein Weib ſammt
ihrer verfluchten Brut an fremden Thuͤren um
Brod bettelt , dann . Fuͤrſt , ſpreche ich wieder
mit ihnen , dann bin ich ganz die Ihrige .
Wenn aber der Ruchloſe nicht blutet , wenn ſein
Weib und ſeine Kinder nicht betteln , ſo ſei das
Wort , welches ich mit ihnen ferner ſpreche ,
das lezte , welches mein Mund auszuſprechen
vermag . Ich ſchwoͤrs bei der Leiche des gelieb-
ten Bruders , ich wills halten all mein Lebe-
lang ! Mit dieſen Worten entſchluͤpfte ſie der
Hand des Fuͤrſten , und war nicht mehr zu be-
wegen , die Thuͤre ihres verſchloßnen Kabinets
zu oͤfnen .
Der ſonſt ſo guͤtige , ſo menſchenfreundliche
Fuͤrſt liebte innig , liebte aͤuſſerſt heftig . Dieſe
Leidenſchaft , die zwar oft ſchmachtet , aber auch
raßt und wuͤthet , wenn ſie Widerſtand findet ,
leitete izt ſeine Handlungen , die uͤberdies in
Eile und Hitze ausgeuͤbt wurden . Noch ſaß die
arme Gattin , unbekannt mit allen , in ihrem
Zimmer , ſah dem Spiele ihrer Kinder zu , als
Abgeſandte des Fuͤrſten eintraten , ihr ohne
Schonung die raſche That ihres Gatten , und
zugleich den ſtrengen Befehl des Fuͤrſten be-
kannt machten , daß ſie das ganze Haus durch-
ſuchen , den Thaͤter ohne Schonung arretiren ,
und in jedem Falle ſein ganzes Haab und Ei-
genthum verſiegeln ſollten .
Die Arme zitterte und bebte , ſie hatte
kurz vorher geweint , weil der Graf ſo lange
nicht heimkehrte , und ſie ſeinen Vorſatz ahnde-
te ; izt bat ſie innig Gott , daß er ſeine Schrit-
te von ihr entfernen moͤge , und dankte ihm
inbruͤnſtig , als ihr ein treuer Diener , der ihre
Sorge errieth , heimlich zufluͤſterte , daß der Graf
ſchon zwei Stunden vorher auf ſeinem ſchnell-
ſten Reitpferde ausgeritten , und wahrſcheinlich
entflohen ſei . Man unterſuchte ſtrenge , und
erſtattete , wie man ihn nicht fand , Bericht .
Die Wuth des Fuͤrſten ward dadurch hoch ge-
reizt , alle ſeine Huſaren mußten aufſitzen , und
mit Steckbriefen in der Hand das Land durch-
jagen . Die Poſt hatte nicht Pferde genug , um
alle Kuriere zu foͤrdern , welche mit den drin-
gendſten Erſuchſchreiben in die benachbarten
Staaten abgeſandt wurden , um den Moͤrder
anzuhalten und auszuliefern . Alle Haͤuſer der
groſſen Stadt waͤren ſtreng durchſucht worden ,
wenn nicht Zeugen aufgetreten waͤren , und
ausgeſagt haͤtten , daß man den Grafen durchs
Thor jagen ſah . Ehe eine Stunde verfloß ,
erſcholl in der ganzen Stadt die Nachricht , daß
man den Ungluͤcklichen , welcher eine halbe
Stunde vor der Stadt mit ſeinem Pferde ſtuͤrz-
te , und ſich den Fuß verrenkte , in einer Bau-
ernhuͤtte , wo er ſich verbergen wollte , ent-
deckt und nach dem Gefaͤngniſſe zuruͤckgefuͤhrt
hatte .
Schrecklich war dieſe Nachricht fuͤr ſeine
Freunde , noch ſchrecklicher fuͤr ſeine Gattin ,
die nur deswegen aus einer Ohnmacht geweckt
wurde , um in eine neue und ſtaͤrkere ſinken zu
koͤnnen . Alle Buͤrger liebten den gerechten
Praͤſidenten , viele vom Adel mußten ihn ver-
ehren , und bemitleideten ihn izt wuͤrklich , da
da es ſo weit mit ihm gekommen war . Trau-
er und ſtiller Ernſt war daher in der Stadt
allgemein , nur der Fuͤrſt , welcher doch ehe-
mals ſein Beſchuͤtzer , ſein Freund war , jubelte ,
als er ſeine Gefangenſchaft vernahm , vergaß
alles andere , und verließ die Tafel , an der er
eben ſaß , um zur Schweſter des Ermordeten
zu eilen , und ihr den Erfolg ſeiner Bemuͤhung
kund zu machen .
Er ward wider Vermuthen vorgelaſſen .
Im ſchwarzen Kleide , das ihre Schoͤnheit um
vieles erhoͤhte , ſaß ſie auf dem Sopha , hoͤrte
ſeine Erzaͤhlungen ſtillſchweigend an , ſchien zu
laͤcheln , beantwortete aber keine ſeiner Fra-
gen , und war nicht zu bewegen , nur ein Wort
mit dem verliebten Fuͤrſten zu ſprechen . Ob
ich gleich nur ein Weib bin , ſchrieb ſie , als er
anhaltend flehte , auf ein Stuͤckchen Papier ,
ſo werde ich doch gleich dem ſtaͤrkſten Manne
meinen Schwur halten und treu erfuͤllen .
Mehr konnte der Fuͤrſt nicht erhalten , er eilte
mit dem feſten Vorſatze fort , um dieſe Erfuͤl-
lung nach Kraͤften zu befoͤrdern .
Mit einer Eile , die ganz der heftigſten
Rache , aber nicht der aͤchten Gerechtigkeits-
liebe aͤhnlich ſah , ward von ihm noch am nem-
lichen Tage eine beſondere Kommiſſion nie-
dergeſezt , welche den ernſten Auftrag erhielt ,
die That des Ungluͤcklichen nach aller Strenge
zu unterſuchen , und wuͤrde ſie wahr befun-
den , das Todesurtheil und die Konfiska-
zion ſeines ganzen Vermoͤgens ſogleich auszu-
ſprechen . Alle Mitglieder dieſer Kommiſſion
waren als Feinde und Neider des Grafen all-
gemein bekannt , nur Vorſatz , nicht bloſſer
Zufall konnte ſie vereint haben , und da der
Fuͤrſt ausdruͤcklich erklaͤrt hatte , daß man nur
die Wahrheit der That unterſuchen , ſich
nicht an Formalien binden ſolle , ſo wars ſehr
leicht zu begreifen , wie die Kommiſſion ſchon
binnen drei Tagen dem Fuͤrſten nebſt den ge-
ſchloßnen Akten auch das Todesurtheil und den
Befehl zur Vermoͤgenskonfiskazion vorlegen
konnte .
Der ungluͤckliche Graf hatte die Unterſu-
chung durch ſein freiwilliges Geſtaͤndniß ſehr
erleichtert , er appellirte an die Gnade ſeines
Fuͤrſten , aber ſie ward verweigert , und To-
desurtheil und Befehl ſogleich unterſchrieben .
Indeß der Fuͤrſt zu ſeiner Geliebten eilte , um
fuͤr dieſe Nachricht einen guͤnſtigen Blick zu
erndten , eilten die Kommiſſairs in das Haus
der ungluͤcklichen Praͤſidentin . Hofnung , den
Theuern zu retten , hatte ſie aus ihren Ohn-
machten geweckt , Begierde , ſein Leben zu fri-
ſten , hatte ſie durch dieſe angſtvollen Tage
aufrecht erhalten . Sie ließ unter dieſer Zeit
nichts unverſucht , um ihren edlen Zweck zu
erreichen ; ſie flehte bei dem Fuͤrſten um Au-
dienz , er verweigerte ſie ſtrenge , ſie ſuchte oft
in ſeine Gemaͤcher zu dringen , aber die auf-
merkſame Wache vereitelte jede ihrer Bemuͤ-
hungen , ſie wollte zu ihrer Freundin , zur
guͤtigen Fuͤrſtin eilen , aber auch hier verſagte
ihr die Wache den Zutritt , und ob ſie gleich
taͤglich auf Gelegenheit lauerte , die Fuͤrſtin
auf einem ihrer gewoͤhnlichen Spaziergaͤnge
zu ſprechen , ſo ward ihr doch am Ende die
traurige Nachricht , daß der Fuͤrſt ſeiner Ge-
mahlin ſehr ſtreng begegne , und jeden Spa-
ziergang unterſagt habe . Eben ſah ſie mit
groͤßtem Verlangen einer Antwort auf einen
Brief entgegen , den eine alte Kammerfrau ,
durch ihre Thraͤnen erweicht , der Fuͤrſtin
heimlich zu uͤbergeben , verſprochen hatten ,
als die Kommiſſaͤre in ihr Zimmer traten ,
und der Ungluͤcklichen ohne Schonung bekannt
machten , was der Fuͤrſt kurz vorher unter-
zeichnet hatte .
Ihre Kraͤfte wichen , ſie ſank leblos zur
Erde , aber Angſt und nahende Verzweiflung
riß ſie wieder auf ihre Knie empor , ſie ſtreck-
te ihre Arme fuͤrchterlich in die Hoͤhe , und
flehte mit zitternden Lippen , mit ſtammeln-
den Worten Gottes Allmacht und Barmher-
zigkeit zu ihrer Rettung herab . Sie ſchiens
nicht zu achten , nicht zu fuͤhlen , als man
auch noch das Wenige , was man anfangs fuͤr
ihr Eigenthum erkannte , mit Siegeln beleg-
te , ſie folgte willig , wie man ihr kund mach-
te , daß ſie ein Haus , welches auf fuͤrſtlichen
Befehl konfiszirt ſey , verlaſſen muͤſſe .
Einer ihrer alten , aber auch treuſten
Diener , leitete ſie nach ſeiner elenden Woh-
nung , ſie fuͤhrte ihre Kinder am Arme , und
blickte mit ſtarrem Auge zum Himmel empor .
Eine Menge Volks folgte der Leidenden mit
thraͤnendem Auge , mit geruͤhrtem Herzen .
Schon waͤhnte der treue Diener , daß ihre
Vernunft ein Raub des Jammers geworden
ſey , als ſie nach einer langen Stunde aus
ihrer Starrſucht erwachte , und ihn dringend
bat , zur alten Kammerfrau der Fuͤrſtin zu
eilen , und anzufragen : Ob noch Hofnung
fuͤr ſie auf Erden gruͤne ? Der Greis eilte
fort , und kehrte athemlos mit einem Briefe
zuruͤck , welchen er von der Kammerfrau er-
halten hatte . Es war die einzige Hofnung ,
an der ihr Herz hing , die ſie noch auf Erden
erwarten konnte , ſie grif ſehnſuchtsvoll und
haſtig darnach , und las folgendes :
„ Erſt izt , theure Freundin und Gefaͤhr-
din des Jammers , fuͤhle ich mein eignes Un-
gluͤck vollkommen , da es mich ſo deutlich
uͤberzeugt , daß ich nicht einmal mehr faͤhig
ſey , anderer Thraͤnen zu ſtillen , da ich nur
die meinigen mit den ihrigen vermiſchen kann .
Schon ehe ihr Flehen zu meinen Ohren drang ,
und mein Herz ſchrecklich preßte , wagte ich
es,
es , den Fuͤrſten dringend zu bitten , Gnade
fuͤr Recht ergehen zu laſſen , den armen Wai-
ſen einen Vater , der jammernden Gattin ei-
nen geliebten Gemahl zu erhalten , aber ich
bat , ich flehte vergebens ! Freundin ! Es iſt
ſchrecklich , aber es iſt eben ſo wahr ! Ich ha-
be die Liebe meines Gatten verlohren , eine
andere feſſelt ſein Herz , und fuͤllt es mit Ra-
che . Wie kann , wie ſoll der Ueberſatte die
Bitte ſeines Weibes hoͤren , wenn die Allge-
liebte , die immer ſtaͤrker reizende Schweſter
des Ermordeten unaufhoͤrlich nur blutige Ra-
che heiſcht ! Ich trage mein hartes Schickſal
mit Geduld und Standhaftigkeit , kein Sterb-
licher ſoll ſich ruͤhmen , meine Thraͤnen zu ſe-
hen , ſollten ſie in Zukunft mein empfindſames
Auge zu hart preſſen , ſo werden ſie nur in
Gegenwart des Allwiſſenden ſtroͤmen , der
mein Leiden kennt , der entſcheiden mag : Ob
mir dort dafuͤr Lohn gebuͤhrt ? Ich wuͤrde ih-
nen gleichen Rath ertheilen , wenn ihr ſchreck-
Biogr. d. W. 4r Bd. H
liches Ungluͤck einer ſolchen Standhaftigkeit faͤ-
hig waͤre ! Ich blicke vergebens nach Rettung
umher , ich ſehe nur einen Weg , der dahin
leitet . Es faͤllt meinem Stolze hart , ſie
darauf zu fuͤhren , aber es gilt das Wohl und
Leben guter Menſchen , und der Stolz muß
weichen . Ein Wort der Schweſter des Getoͤd-
teten , welches nur einer Bitte aͤhnlich lautet ,
wird den Fuͤrſten zur Gnade bewegen . Sie
iſt ein Weib , ſie muß auch ein Herz haben .
Wird dies dem Flehen der Gattin , dem Wim-
mern der unſchuldigen Kinder widerſtehen
koͤnnen ? Verſuchen ſie dies Mittel , vielleicht
harrt die zur Rache gereizte Schweſter auf die-
ſen Schritt , ſie ſind ſchuldig , ihn zu thun ,
da ihr ungluͤcklicher Gatte ihr wuͤrklich einen
geliebten Bruder raubte , der wohl Strafe ,
aber nicht Tod verdiente . Laſſen ſie mir in
jedem Falle die Wuͤrkung meines Raths durch
den bekannten Kanal erfahren , damit ich —
wenn allzugroßes Ungluͤck ihre Kraͤfte mindert ,
wenigſtens den Troſt genuͤße , fernere Huͤlfe
zu ſuchen , wenn Huͤlfe noch moͤglich iſt . “
Der Anfang dieſes Briefs raubte dem
Herzen der Leidenden allen Troſt , das Ende
deſſelben fuͤllte es mit neuem , auch ſie hofte ,
daß ihr Flehen das Herz der Rachbegierigen
erweichen , und zur Fuͤrbitte bewegen wuͤrde .
Sie ergriff ihrer Kinder Hand , und eilte nach
der Wohnung der Graͤfin . Ihr muͤßt flehen ,
ihr muͤßt fuͤr euern Vater bitten ! ſprach ſie
zu jenen , als ſie dieſe betrat . Ein Bedien-
ter , den ihre Thraͤnen ruͤhrten , fuͤhrte ſie
ins Vorgemach , und meldete ſie . Ich will ,
ich mag die Frau des Moͤrders , die Urhebe-
rin meiner Thraͤnen nicht ſehen ! erſcholls
durch die halbe ofne Thuͤre ins Ohr der Leiden-
den .
Haben ſie Erbarmen mit der Ungluͤcklich-
ſten ihres Geſchlechts ! rief dieſe im verzweif-
H 2
lungsvollen Tone aus , und drang ins Ge-
mach der Graͤfin . Sie hatte im Gehen die
Worte geordnet , mit welchen ſie das Herz
derſelben erweichen wollte , izt hemmte die
Groͤſſe ihres Leidens die Organe der Sprache ,
ſie ſtuͤrzte wimmernd zu den Fuͤßen der Graͤ-
fin nieder , ſie umklammerte ihre Knie , ſie
wollte ſprechen , und vermochte es nicht . Die
armen Kinder knieten hinter ihr , hoben ihre
Haͤnde in die Hoͤhe , und weinten laut . Weg
von mir , Schlange ! Weg von mir ! Nat-
terbrut ! ſchrie die Graͤfin , entriß ſich den
Haͤnden der Bittenden , und entſchluͤpfte in
ihr Kabinet , das ſie feſt hinter ſich verrie-
gelte .
Einige Bedienten ſchleppten die Jam-
mernde ins Vorgemach , und uͤberließen ſie
dort der Verzweiflung zum Raube . Bald
hernach wankte ſie heim , ſchrieb einige zit-
ternde Zeilen an die Fuͤrſtin , und wollte
eben — was ihr bisher noch nie gelungen war
— aufs neue verſuchen : Ob ſie nicht wenig-
ſtens ihren ungluͤcklichen Gatten noch einmal
ſehen und ſprechen koͤnne ? als ein Kommiſ-
ſaͤr des Fuͤrſten erſchien , ſie ſammt ihren
Kindern nach einem Wagen fuͤhrte , und mit
ihr nach dem Rathhauſe fuhr , wo man ihr
zwar auf ſeinen Befehl ein anſtaͤndiges Zim-
mer oͤfnete , aber auch zugleich kund machte ,
daß ſie bis auf weitere Entſcheidung eine Ge-
fangne ſey .
Die rachſuͤchtige Graͤfin R — war die Ur-
ſache ihres neuen Kummers , dieſe Furie
beobachtete noch immer in Gegenwart des
Fuͤrſten ein ſtrenges Stillſchweigen , aber ,
wenn ſie etwas von dem Verliebten erhalten
wollte , ſo ſchrieb ſie ihm , und war dann des
Erfolgs gewiß . Der lezte ihrer Briefe , ent-
hielt die Drohung , daß ſie augenblicklich ab-
reiſen werde , wenn man die Frau des Moͤr-
ders nicht hindere , ſie ferner plagen zu koͤn-
nen , und die Aermſte wurde ſogleich arretirt ,
um die Moͤglichkeit eines neuen Verſuchs zu
hindern . Hier duldete und ſchmachtete ſie dem
ſchrecklichen Tage entgegen , an welchem ihr
Gatte auf dem Rabenſteine bluten ſollte .
Sein Urtheil war unwiderruflich , man mach-
te es ihm am Morgen des andern Tages kund ,
und er bereitete ſich ſtandhaft zum nahen To-
de . Seine Miene war , oder ſchien wenig-
ſtens heiter und ruhig , nur dann truͤbte ſie
ſich , und einige Thraͤnen rollten unaufhalt-
ſam uͤber ſeine Wangen herab , als man ihm
die ſchreckliche Nachricht brachte , daß ſeine
lezte Bitte nicht erfuͤllt werden , daß er ſeine
Gattin nicht mehr ſehen und ſprechen koͤnne .
Alſo dort , wo keine Trennung mehr moͤglich
iſt ! ſprach er ſeufzend , und trat ans Fen-
ſter , um neue Kraͤfte zur Standhaftigkeit zu
ſammeln .
Die zahlreichen Buͤrger der großen Reſi-
denzſtadt liebten den gerechten Praͤſidenten ,
keiner hatte , gleich ihm , ſo willig einen je-
den gehoͤrt , keiner ſo anhaltend die Sache des
Unterdruͤckten vertheidigt , ihr Herz nahm da-
her Antheil an ſeinem ungluͤcklichen Schickſale ,
ſie verſammelten ſich und beſchloſſen einſtim-
mig , nach Hofe zu gehen , und den Fuͤrſten
anzuflehen , daß er ihm wenigſtens das Leben
ſchenken moͤge . Aller Augen weinten , wie ſie
am andern Tage wuͤrklich in ſchwarzen Maͤn-
teln und mit traurendem Blicke nach der Burg
zogen , und Audienz forderten . Der Fuͤrſt
trat willig unter ſie , er hoͤrte ihre Bitte ge-
duldig an , aber er verſicherte ſie eben ſo ſtand-
haft , daß er Gerechtigkeit in ſeinem Staate
uͤben muͤſſe , und denjenigen nicht begnadigen
koͤnne , der ſeine Haͤnde in unſchuldiges Blut
getaucht , nach einſtimmigen Beweiſen vor-
ſezlich gemordet habe . Er blickte geruͤhrt um-
her , er ſeufzte tief , als die ganze Menge
mit einmal nieder kniete , und abermals
Gnade ! Gnade ! rief , aber er faßte ſich
ſchnell , winkte den Knienden mit der Hand ,
und eilte in ſein Zimmer .
Viele nahmen dieſen Wink als einen Be-
weis der Erhoͤrung , aber mehrere meinten ,
daß den Ungluͤcklichen nur Gott retten koͤnne ,
und bei dem Fuͤrſten keine Gnade zu hoffen
ſey . Ihre Meinung ward durch die Folge be-
ſtaͤtigt ; noch am nemlichen Tage wards all-
gemein kund , daß der ungluͤckliche Graf am
folgenden Morgen unwiderruflich auf dem Ra-
benſteine bluten muͤſſe . Jeder , der es hoͤrte ,
weihte ihm eine neue Thraͤne , und blickte
dann betend zu Gott empor , damit ſein To-
deskampf kurz und ſtandhaft ſeyn moͤge .
Es war eben hoch im Sommer , ſchon
um vier Uhr fruͤh ging die Sonne auf . Mit
ihrem Aufgange verſammelten ſich auch die
Soldaten , welche den Verurtheilten in zahl-
reicher Menge aus dem Thurme , in welchem
er ſaß , nach dem Richtplaze begleiten ſollten .
Tauſende und Tauſende , welche ihn noch ſe-
hen und bemitleiden wollten , wurden nur
mit Muͤhe vom Eingange abgehalten . Lange
harrten alle , endlich erregte die Ankunft und
ſchnelle Abfahrt einiger fuͤrſtlichen Deputirten ,
deren verſtoͤhrtes Geſicht ein Ungluͤck zu ver-
kuͤndigen ſchien , die Aufmerkſamkeit des
Volks . Man fragte , forſchte und erfuhrend-
lich , daß der Verurtheilte in der verfloßnen
Nacht ſamt dem Kerkermeiſter entflohen ſey .
Viele bezweifelten anfangs dieſe unerwartete ,
und ganz unmoͤglich ſcheinende Nachricht , als
man aber gewahrte , daß abermals die Huſa-
ren Stadt und Land durchſpaͤhten , Kuriere
uͤber Kuriere abreiſten , und einzelne Depn-
tirte jedes verdaͤchtige Haus emſig durchſuchten ,
da begann man zu glauben , was man wuͤnſch-
te , da vereinigten ſich aller Herzen zum
Gebete , daß der Ungluͤckliche ſchnell und ſicher
uͤber die Graͤnze entfliehen moͤge .
Graf L — war wuͤrklich aus ſeinem Ge-
faͤngniſſe verſchwunden . Um zehn Uhr Abends
verließ ihn der Prieſter , weil er zu ruhen
wuͤnſchte . Kurz nachher entließ der Kerker-
meiſter die Waͤchter mit der Verſicherung ,
daß er allein bei dem ſchlafenden Grafen wa-
chen , ſie im noͤthigen Falle ſchon rufen werde .
Sie gingen nach der Wachtſtube , und ruhten
dort bis an den Morgen . Als der Prieſter
wieder erſchien , fuͤhrten ſie ihn hinauf , da
aber die Thuͤre des Zimmers feſt verſchloſſen
war , und man vermuthete , daß er noch ru-
he , ſo weilte der Prieſter im Gange , bis
die Kommiſſaͤrs erſchienen , welche den Ver-
urtheilten nach dem Richtplaze begleiten ſoll-
ten . Auf ihren Befehl ward an der Thuͤre
geklopft , nach dem Kerkermeiſter geſand ,
und wie man ihn nirgends fand , die Thuͤre
erbrochen . Alle Anweſende erſtaunten , als
man im Zimmer den Verurtheilten nirgends
erblickte ; Verrath und Flucht war nun er-
wieſen , alles eilte fort , um den erſtern zu
entdecken , die letztern zu verhindern .
Wie Engelsruf im ſchweren Todeskampfe ,
wie ſanfter Floͤtenton im brauſende Stur-
me und Ungewitter drangs ins Ohr der lei-
denden und betenden Gattin , als ein mit-
leidiger Gerichtsdiener ihr die Nachricht zu-
fluͤſterte , daß der Verurtheilte wirklich und
wahrſcheinlich auch gluͤcklich entflohen ſei . Ueber-
ſpannung der Kraͤfte , und Raub des Wahn-
ſinns war nahe , als dieſer lindernde Troſt
ihr ſchmachtendes Herz erquikte . Sie wuͤrde
die Stunde ſeines Todes wohl ſchwerlich , we-
nigſtens nur mit dem Verluſte ihres Ver-
ſtandes uͤberlebt haben , izt konnte ſie wieder
hoffen , und Hoffnung iſt das einzige Labſaal
des Leidenden . Sie erregt Begierde nach
laͤngerer Duldung im Herzen des Menſchen ,
und wenn dieſe Begierde herrſcht , da muß
Verzweiflung und Wahnſinn weichen .
Der Fuͤrſt war hoch entruͤſtet , als er
dieſe unerwartete Nachricht hoͤrte . So nahe
am Ziele , und nun mit einmal ſo entfernt
davon zu ſein , ſchien ſeinem liebenden Her-
zen eine unertraͤgliche Pein . Er ſuchte und
fand Linderung in dem Gedanken , daß er
Verrath und Flucht ganz gewiß entdecken
wuͤrde , aber ſeine Hofnung ward nicht erfuͤllt ;
alle Huſaren , alle Kuriere , alle Spaͤher kehr-
ten leer zuruͤck , keiner brachte nur die ge-
ringſte Spur , die auf Entdeckung leiten konnte ,
es blieb und ſchien erwieſen , daß der Flie-
hende gluͤcklich entkommen ſei , daß an ſeiner
Befreiung niemand als der ungetreue Ker-
kermeiſter Antheil nahm , und nun das Loos
der Verbannung mit ihm theile .
Anfangs beſtand die rachſuͤchtige Graͤfin
R — hartnaͤckig auf der Erfuͤllung ihres Ge-
luͤbdes , als ihr aber der liebende Fuͤrſt deut-
lich bewies , daß er nicht allwiſſend ſei , nicht
ſtrafen koͤnne , wenn der Verurtheilte entflo-
hen ſei , da berechnete die Eigennuͤtzige den
Vortheil der Verſoͤhnung , den Nachtheil der
Rache , und fand , daß die Erſtere die Letztere
um vieles uͤberwiege . Sie heiſchte den Schwur
des Fuͤrſten , daß er den entflohenen Thaͤter
nie begnadigen ; ihn , wenn er entdeckt wuͤrde ,
nach aller Strenge ſtrafen wolle , der Fuͤrſt
leiſtete dieſen Schwur , und bald wards am
Hofe und in der Stadt bekannt , daß die Graͤ-
fin R — die erklaͤrte Geliebte des Fuͤrſten
ſei .
Als ſie zum erſtenmale wieder bei Hofe
erſchien , und jeder das Betragen der Fuͤr-
ſtin gegen ſie beobachtete , erſtaunten alle ,
als dieſe ſie aufs freundlichſte empfing , und
mit ihr anhaltend ſprach . Die Großmuͤthige
wollte gerne eine gute Handlung uͤben , und
achtete den ſchweren Pfad nicht , der ſie allein
zum Ziele leiten konnte . Wie der Fuͤrſt eben
mit einem Miniſter ſprach , fuͤhrte die Fuͤr-
ſtin die Graͤfin ans Fenſter . Ich weiß , ſprach
die Gute , daß ihnen der Fuͤrſt Erſatz fuͤr das
Leiden ſchuldig iſt , welches ſie durch den Ver-
luſt eines geliebten Bruders in ſeiner Reſi-
denz erdulden mußten . Sein Herz iſt bieder
und gut , es wird ihnen daher eine Bitte
nicht abſchlagen , die ich ſelbſt nicht an ihn wa-
gen wollte , weil er mit Recht befuͤrchten
muͤßte , daß er ſie durch Erfuͤllung derſelben
aufs neue kraͤnken wuͤrde . Wenn ſie aber
ſolche wagen , da faͤllt der gegruͤndete Ein-
wurf weg , da iſt die Erhoͤrung gewiß . Wol-
len ſies thun , wenn ich ſie bitte — —
Graͤfin . Euer Durchlaucht befeh-
len — —
Fuͤrſtin . Nein , das vermag ich nicht !
Aber es wuͤrde ihren Karakter in meinem
Augen um ein groſſes erhoͤhen , es wuͤrde
den Lohn meiner Freundſchaft nach ſich zie-
hen .
Graͤfin . O um ſolch einen Gewinn
unternehme ich alles !
Fuͤrſtin . ( ſanft laͤchelnd ) So will
ich dann ſogleich verſuchen : Ob ihre Ver-
ſicherung mehr als Schmeichelei war ? Die
Gattin des Grafen L — verzeihen ſie , daß
ich ſie an dieſen erinnern muß — ſchmachtet
mit ihren Kindern noch immer im unver-
dienten Gefaͤngniſſe . Sie hatte keinen Theil
an der That , die er uͤbte , und muß doch ſtreng
dafuͤr buͤſſen , da man ihr Freiheit und Ver-
moͤgen raubt . Ein Wort von ihnen wuͤrde
ihr ſicher beides wieder geben ! Man will
mich verſichern , daß ſie hoch geſchworen haͤt-
ten , nur dann verſoͤhnt zu ſein , wenn die
unſchuldige Frau ſamt ihren Kindern am Bet-
telſtabe umher wanken muͤſſe . Ich kann mirs
ſehr leicht vorſtellen , daß der wuͤthende Schmerz
eines ſolchen Schwures faͤhig ſei , aber ich
kanns nicht glauben , daß er im Herzen des
ſanften Weibes Wurzel faſſen , und Fruͤchte
tragen ſollte . ( ihre Hand faſſend , und
ſanft druͤckend ) Nicht wahr , ich habe
mich in meinem Glauben an ihre Großmuth
nicht betrogen ?
Graͤfin . ( mit hocherroͤthenden
Wangen ) Ich kanns nicht laͤugnen , daß ich
dieſen ſchrecklichen Schwur leiſtete , ich geſtehe
es auch eben ſo offenherzig , daß nur Euer
Durchlaucht , ( ſehr bewegt ) nur die Art ,
mit der ſies fordern , mich bewegen kann ,
ihn zu brechen und zu vernichten . Ich will ,
ich werde eifrige Fuͤrbitterin werden , aber
eins
eins ſei auch mir bedungen , und hoch ge-
lobt — —
Fuͤrſtin . Fordern ſie !
Graͤfin . Daß Euer Durchlaucht mich
nicht in einem aͤhnlichen Falle , auf eine aͤhn-
liche Art zur Fuͤrbitterin waͤhlen ; nicht for-
dern , daß ich einſt auch um Gnade fuͤr den
Moͤrder flehen ſollte . Und wuͤrde es mir ih-
ren Zorn , ihre Verfolgung zuziehen , ſo
fuͤhle ichs doch deutlich , daß ich dieſer Ver-
laͤugnung nicht faͤhig waͤre . Ich liebte mei-
nen Bruder innig , moͤglich daß er den Gra-
fen beleidigte , aber dieſe Beleidigung ver-
diente doch keinen Mord . ( weinend ) Wenn
ich mir ſein ſchreckliches Ende denke , ſo ruft
immer noch eine innere Stimme laut und
anhaltend Rache uͤber den Thaͤter aus , ich
wuͤnſchte — —
Biogr. d. W. 4r Bd. I
Fuͤrſtin . ( Ihr ins Wort fallend )
Ich verſpreche es ihnen aufs heiligſte , daß
ich ihre Trauer uͤber den Verluſt eines guten
Bruders ehren , ſie nie an ſeinen Moͤrder
erinnern will . Ich weiß zu gut , daß er Strafe
verdiente . Er entfloh dem Tode gluͤcklich ,
der Verluſt ſeines Weibes , ſeiner Kinder ,
und ſeines ganzen Vermoͤgens iſt zwar eine
Strafe , die den Empfindſamen oft haͤrter als
jener duͤnkt , aber er hat ſie ſelbſt gewaͤhlt ,
er mag ſie auch tragen , ich werde nie fuͤr
ihn bitten . Nur lege ich ihnen nochmals
meine erſte Bitte ans Herz .
Graͤfin . Der Erfolg wirds lehren ,
daß ich eifrig zu bitten verſtehe .
Fuͤrſtin . ( Ihre Hand druͤckend )
Dann koͤnnen ſie auf meinen Dank — in je-
dem Falle auf Wiedervergeltung ſicher rech-
nen .
Am andern Tage erſchien bei der gefang-
nen Graͤfin ein Abgeſandter des Fuͤrſten . Er
machte ihr in ſeinem Namen kund , daß zwar
nach den Geſetzen des Landes das ganze Ver-
moͤgen eines vorſezlichen Duellanten der ſtren-
gen Konfiskazion unterliege , jedoch diesmal
Gnade fuͤr Recht ergehen ſolle , und daß der
Fuͤrſt ihr und ihren Kindern den Genuß des
Vermoͤgens noch ferner gnaͤdig verleihen wolle ,
wenn ſie ſogleich die Reſidenzſtadt verlaſſe ,
das Hoflager ſtets meide , und ſich nicht durch
ein neues Verbrechen dieſer hoͤchſten Gnade
verluſtig mache .
Die Trauernde dankte , und verſprach
den Befehl des gnaͤdigen Fuͤrſten ſtreng zu
erfuͤllen . Weil das Haus , welches ſie bis-
her bewohnt haben , fuhr der Abgeſandte fort ,
und der ſchoͤne Garten , den ſie in der Vor-
ſtadt beſaſſen , ihnen nichts mehr nuͤtzen kann ,
I 2
ſo behaͤlt ſich der Fuͤrſt beides nach den Ge-
ſetzen bevor .
Graͤfin . Sein Wille iſt mein Geſetz , er
belohne damit den wuͤrdigſten ſeiner Diener ,
und ich werde in meiner trauernden Einſam-
keit Ruhe in den Gedanken finden , daß ein
anderer mit Vergnuͤgen genießt , was ich ſo
willig entbehre .
Ehe der Abgeſandte ſchied , berichtete er
ihr , daß ihr Verhaft zwar in dieſem Augen-
blicke geendet habe , aber doch bis zu ihrer
Abreiſe dauern muͤſſe , weil der Fuͤrſt aus-
druͤcklich uͤberzeugt ſein wolle , daß ſie nicht
nach Hofe komme , und auch niemanden durch
einen Beſuch in Verlegenheit ſetze . Jedoch
ſtehe es ihr frei , nicht allein die Anſtalten
zu ihrer Abreiſe zu treffen , ſondern auch ihre
Diener zu berufen , um durch dieſe ihr Haus
raͤumen und das noͤthige Gepaͤcke herbei ſchaf-
fen zu laſſen .
Als die Graͤfin allein war , ſank ſie auf
ihre Knie , und dankte Gott innig , daß er
das Herz des Fuͤrſten zur Gnade gelenkt habe .
Der dunkle Vorhang , der bisher jede Aus-
ſicht deckte , oͤfnete ſich , ſie blikte in die Zu-
kunft , und ſah im Hintergrunde ihren ent-
flohenen Gatten zu den Fuͤſſen des Fuͤrſten
knien , wie er ihm fuͤr ſein Leben dankte , und
dann in die ofnen Arme der Gattin und Kin-
der eilte . Wer kanns der Leidenden wohl
verdenken , wenn ſie ſah , was ſie wuͤnſchte ,
wenn ſie hofte , was freilich nicht moͤglich
war , ihrem liebenden Herzen aber doch ſo
leicht moͤglich ſchien !
Sie ſande nun in haſtiger Eile nach eini-
gen ihrer treuſten Diener und Dienerinnen ,
ſie erzaͤhlte ihnen ihr Gluͤck , und traf An-
ſtalten zur noͤthigen Abreiſe . Ehe die Sonne
untergieng , ſas ſie ſchon im Reiſewagen und
athmete freier , als die Stadt hinter ihr lag ,
in welcher ſie ſo ſchrecklich geduldet und ge-
litten hatte . Noch vor ihrer Abreiſe , ſchrieb
ſie der Fuͤrſtin , und dankte ihr innig , weil
ſie ſolche mit Grunde fuͤr die Urheberin ihres
Gluͤckes achtete . Sie bat am Ende , ſich ihres
ungluͤcklichen Gatten einſt auf aͤhnliche Art an-
zunehmen , und das groſſe Werk zu vollen-
den , zwei hoͤchſt Ungluͤckliche ganz gluͤcklich
gemacht zu haben .
Die großmuͤthige Fuͤrſtin antwortete ſo-
gleich , daß die edle That ganz ein Werk des
Fuͤrſten ſei , daß ſie keinen Theil daran habe ,
ihn aber durch innige Freude daran nehme .
Ob es uͤbrigens , ſchrieb ſie am Ende , gleich
izt noch unmoͤglich ſcheint , daß ihr entfloh-
ner Gatte jemals Gnade hoffen koͤnne , ſo muß
die Linderung ihres Schickſals ihnen doch der
deutlichſte Beweis ſein , daß Gott nichts un-
moͤglich ſei , daß auch er einſt in ihre Ar-
me ruͤkkehren koͤnne . Dies ſei ihr Troſt , wenn
ſie nach ihm bangen ! Dies ihre Ausſicht ,
wenn ſie trauern ! Nur muß ich ſie dringend
bitten , daß ſie nicht durch unvorſichtige Nach-
forſchung nach dem Aufenthalte ihres Gatten
die Aufmerkſamkeit des Fuͤrſten erregen . Den-
ken ſie , daß ſie beobachtet werden , daß des
Fuͤrſten Herz noch nicht zur Vergebung ge-
neigt ſei , daß ein unvorſichtiger Schritt leicht
Argwohn wecken , ſeine Rache reizen , ſie und
ihren Gatten , ſelbſt ihre Kinder ungluͤcklich
machen koͤnne . Nuͤtzen ſie den Rath ihrer
wahren Freundinn , es iſt der einzige , den
ſie ihnen bei ihrem Abſchiede zu geben ver-
mag .
Hofnung iſt eine Biene , welche aus je-
dem Gegenſtand Honig ſaugt , und es zum
ſuͤſſen Genuſſe ins menſchliche Herz traͤgt .
Daher kams , daß auch in dieſem Briefe die
ungluͤckliche Graͤfin Stof zum Troſte fand .
Er hat mein Schickſal gelindert , dachte ſie ,
er wird einſt das ſeinige auch lindern ! Die-
ſer frohe Gedanke war auf der Reiſe ihre
Beſchaͤftigung , war in der Folge aͤchtes Lab-
ſal , wenn ihr liebendes Herz ſich nach dem
Gatten ſehnte , nur einmal eine troͤſtende
Nachricht von ihm zu hoͤren wuͤnſchte .
Sie lebte auf dem entlegenſten Landgute
des Grafen in haͤußlicher Einſamkeit , in ſtiller
Trauer , ſie weihte ſich ganz der Erziehung ih-
rer Kinder , und fand nur in dieſer Beſchaͤfti-
gung Troſt fuͤr ihr Leiden . Die Einkuͤnfte al-
ler Guͤter des Grafen waren groß und anſehn-
lich , die Leidende empfing ſie immer mit Thraͤ-
nen , weil der Gedanke , daß ſie ſammle , indeß
der Geliebte darbe , ihr Herz maͤchtig engte ,
und ſie unfaͤhig machte , das Vergnuͤgen zu
genuͤſſen , ihrer Kinder Gluͤck durch Sparſam-
keit zu mehren , und durch reichliche Wohltha-
ten die Thraͤnen der Armuth zu trocknen . Sie
ward bald in der ganzen Gegend als eine wohl-
thaͤtige Gottheit verehrt , weil ſie reichlich gab ,
weil ſie jedem zu helfen ſuchte , aber ſie em-
pfand die Wonne , gluͤcklich zu machen , nie in
ſeiner vollen Groͤſſe , weil ſie in jedem Bitten-
den ihren nothleidenden Gatten erblickte , ihn
eben ſo duͤrftig und huͤlflos dachte , und eben
dadurch zu neuer Trauer gereizt wurde .
Drei lange Jahre verfloſſen auf dieſe
Art — — Doch ehe ich weiter erzaͤhle , muß
ich zuvor das Schickſal des entflohnen Grafen
enthuͤllen , und meinen Leſern kund machen :
wie er entfloh ? wie er entfliehen konnte ? —
Schwer ruhte der Gedanke , daß der Fuͤrſt
nicht edel , nur durch blinde Rache irre gelei-
tet , handle , auf dem Herzen der menſchen-
freundlichen Fuͤrſtin . Sie kannte ſeinen Bieder-
ſinn , ſeinen Edelmuth , ſie war uͤberzeugt , daß
Reue der raſchen That folgen , ſehr wahr-
ſcheinlich einſt die ſpaͤtern Tage ſeines Lebens
verbittern wuͤrde ; ſie liebte den Ungetreuen
noch immer mit inniger Zaͤrtlichkeit , und war
daher aͤuſſerſt fuͤr ſeine kuͤnftige Ruhe beſorgt .
Jeder Schritt , ihm dieſe zu ſichern , ward von
ihr vergebens verſucht . Er wies die Bittende
mit Haͤrte ab , er ſuchte nur Befriedigung ſei-
ner Leidenſchaft , und , weil der Gegenſtand
derſelben blutige Rache heiſchte , den Tod des
Ungluͤcklichen . Als ſie auch den lezten Ver-
ſuch , die Rachbegierige durch den Anblick der
verzweifelnden Gattin , der jammernden Kin-
der zu verſoͤhnen , vergebens gewagt hatte ,
und durch die leztere die Nachricht erhielt , daß
ſie mit grauſamer Haͤrte zuruͤckgewieſen ward ,
rang ſie nach neuen Mitteln , die That zu hin-
dern . Nur moͤgliche , nur ſchleunige Flucht ,
rief ſie aus , kann ihn vom Tode retten , und
meinen Gatten fuͤr kuͤnftiger Reue ſchuͤtzen .
Von dieſem Augenblicke an war dieſer Ge-
danke ihre einzige Beſchaͤftigung . Sie wußte ,
daß der Kerkermeiſter , welcher die adlichen
Staatsgefangnen in einem beſondern Thurme
verwahrte , ehemals als Heiduke der Murter
des Fuͤrſten diente , und mit Widerwillen den
eintraͤglichen Dienſt eines Kerkermeiſters zur
Belohnung ſeiner treuen Dienſte annahm ; ihr
war ferner bekannt , daß er kein Weib , kein
Kind , keine nahen Freunde habe , und daher
durch nichts ans Vaterland gefeſſelt werde .
Auf dieſe Gruͤnde baute ihre Hofnung die
Moͤglichkeit der Ausfuͤhrung . Sie eilte nach
ihrem Garten , wo ſie oft ſtundenlang verweil-
te . Eine vertraute Kammerfrau war ihre
einzige Begleiterin , dieſe mußte ſich im Gar-
tenhauſe verkleiden , und durch eine Neben-
thuͤre entſchluͤpfen , um dem Kerkermeiſter mit
dem Auftrage der groͤßten Verſchwiegenheit
dahin zu berufen und zu leiten .
Er erſchien ſogleich , aber es ward der Fuͤr-
ſtin aͤuſſerſt ſchwer , ihn zur Entfuͤhrung des
Gefangnen zu bereden , weil ers fuͤr Verletzung
ſeiner Pflicht , ſeines Schwurs achtete , und
die wenigen Tage ſeines Lebens nicht durch
Meineid beflecken wollte . Nur die Verſiche-
rung , daß der izt allzu zornige Fuͤrſt ihm einſt
ſelbſt die That lohnen wuͤrde , daß die Fuͤrſtin
im moͤglichen Falle alle Verantwortung auf
ſich nehmen wolle , machte ihn bereitwillig , die
That zu verſuchen . Sie verſprach ihm uͤber-
dies lebenslange und gute Verſorgung im
Staate einer benachbarten Fuͤrſtin , wohin ſie
ihn ſicher und ohne Gefahr ſenden wolle .
Aber dies Verſprechen war es nicht , was dem
redlichen Alten zur Theilnahme bewog , nur
die Ueberzeugung , daß er eine gute That uͤbe ,
nur der Widerwille , mit welchem er den trau-
rigen Dienſt eines Kerkermeiſters verrichtete ,
beſtimmte ſeine Handlung .
Es ward nun verabredet und beſchloſſen ,
daß der Kerkermeiſter ſobald als moͤglich ſei-
nen Gefangnen von allem unterrichten , zur
Nachtszeit alle laͤſtige Zeugen entfernen , und
mit ihm durch eine Seitenthuͤre des Thurms ,
welche nicht bewacht wurde , weil ſie nur zur
Wohnung des Kerkermeiſters fuͤhrte , nach dem
Garten der Fuͤrſtin entfliehen ſollte . In die-
ſem Garten hatte ſich die Fuͤrſtin eine Enſiede-
lei erbauen laſſen , zu welcher nur ſie den
Schluͤſſel bei ſich trug . Dieſer ward dem Ker-
kermeiſter mit dem Auftrage uͤbergeben , daß
er durch ſolchen die Gemaͤcher der Einſiedelei
oͤfnen , und ſich mit dem Grafen nach einer im
Hintergrunde angebrachten Grotte begeben
ſolle , wo kein menſchliches Auge ſie ſehen und
entdecken konnte . Genaͤhrt und gepflegt durch
die Hand der Fuͤrſtin , ſollten ſie dort ſo lange
verborgen leben , bis der Fuͤrſt jede Nachſpaͤhe
geendet habe , und ſie unter einer unkennba-
ren Verkleidung mit ſichern Paͤſſen verſehen ,
ohne Gefahr das Land verlaſſen koͤnnten .
Dieſer aͤuſſerſt vorſichtige Plan ward durch
den Kerkermeiſter mit Klugheit ausgefuͤhrt . Als
die Mitternachtſtunde nahte , huͤllte er ſich und
ſeinen Gefangnen in weite Maͤntel , und fuͤhrte
ihn gluͤcklich nach der Seitenthuͤre des Gar-
tens , zu welcher er ebenfalls den Schluͤſſel er-
halten hatte . Mit bangen und unruhigen
Herzen erwartete indeß die Fuͤrſtin den Aus-
gang ihres Wagſtuͤcks in der fuͤrſtlichen Reſi-
denz , wohin ſie ſogleich ruͤckgekehrt war . Sie
ſandte ſchon fruͤh ihre Vertraute auf Spaͤhe ,
und genoß die Fruͤchte einer edlen That in gan-
zer Fuͤlle , als ihr dieſe die ſichere Nachricht
brachte , daß alles wohl gelungen ſei , weil
man den Entflohnen ſchon mit groͤßtem Eifer
ſuche .
Da die Fuͤrſtin jeden moͤglichen Argwohn
hindern wollte , ſo ging ſie die erſten Tage
nicht nach dem Garten , nur die vertraute Kam-
merfrau ging dahin , und trug den Verborg-
nen , unter dem Vorwande , daß ſie fuͤr die
Fuͤrſtin Buͤcher aus der dort befindlichen Bi-
bliothek hole , Speiſe und Trank zu . Staͤrker
ſchlug dann allemal das Herz der Edlen ,
wenn die ruͤckkehrende Kammerfrau ihr er-
zaͤhlte , daß es den Gefangnen wohlergehe ,
daß der Graf in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken
der Retterin ſeines Lebens danke . Als die
Fuͤrſtin gewahrte , daß niemand etwas ahne ,
ging ſie , wie gewoͤhnlich , nach dem Garten ,
beſuchte die Verſteckten allemal , ſprach troͤſtend
mit ihnen , und erſchien ſtets mit Wohlthaten
in der Hand . Bald brachte ſie ihnen die noͤ-
thige Speiſe , bald wieder Waͤſche und andere
unentbehrliche Dinge , die des Lebens Noth-
durft erforderte .
Da der arme Graf ſein kuͤnftiges Schick-
ſal in der Hand einer ſo großmuͤthigen Fuͤrſtin
ſah , ſo zagte er nicht mehr fuͤr die Zukunft ,
aber das weit ungluͤcklichere Schickſal ſeines
verlaßnen Weibes , ſeiner unerzognen Kinder
quaͤlte ſein Herz doppelt . Er empfahl ſie der
Vorſorge der gnaͤdigen Fuͤrſtin aufs dringen-
de , und verleitete ſie dadurch zu dem unerwar-
teten Schritt , bei der Geliebten ihres Gatten
die Fuͤrſprecherin der Ungluͤcklichen zu werden .
Der heiſſe Dank des Grafen , die Ueberzeu-
gung , daß ſie edel gehandelt habe , lohnten
ihr dieſe Ueberwindung reichlich , welche ganz
natuͤrlich dieſer Schritt ihrem Herzen gekoſtet
hatte .
Nun war der ſehnlichſte Wunſch des Gra-
fen erfuͤllt , nun blieb ihm keiner uͤbrig , als
ſeiner Wohlthaͤterin nicht laͤnger laͤſtig zu fal-
len , und in irgend einem Winkel der Erde
ſeine kummervollen Tage zu vertrauern . Die
Fuͤrſtin
Fuͤrſtin hatte ſchon lange vorher alles zur Er-
fuͤllung dieſes Wunſches vorbereitet . Eine be-
nachbarte Fuͤrſtin , welche als Vormuͤnderin
ihres unmuͤndigen Sohnes das kleine Laͤndchen ,
welches ſein Vater beſaß , regierte , war ehe-
mals ihre Jugendfreundin geweſen , immer
fand noch eine vertraute Korreſpondenz zwi-
ſchen beiden ſtatt . Sie entdeckte ihrer gepruͤf-
ten Freundin ſogleich die ganze Sache , und bat
um Rath und Beiſtand .
Die regierende Fuͤrſtin ſchrieb zuruͤck , daß
ſie der genauen Verbindung wegen , in welcher
beide Hoͤfe miteinander ſtaͤnden , nicht faͤhig
waͤre , dem Grafen , wenn er nach ihrem
Lande entfliehe , oͤffentlichen Schutz zu verlei-
hen , doch wolle ſie , der theuern Freundin zu
gefallen , alles wagen , alles unternehmen , was ,
wenn er im Verborgnen kaͤme , die moͤgliche
Entdeckung hindern , und ihn , wenn er ein
einſames Landleben nicht ſcheue , fuͤr jeder Ge-
Biogr. d. W. 4r Bd. K
fahr ſchuͤtzen koͤnne . Zur Befoͤrderung dieſer
Abſicht ſandte ſie ihr zwei Paͤſſe , welche auf
zwei ihrem Fuͤrſtenthume unterthaͤnige Schaͤ-
fer ausgeſtellt waren , die den Auftrag hatten ,
in den naͤchſtgelegnen Staaten die merkwuͤr-
digſten Schaͤfereien zu beſuchen , und ſich die
Vortheile derſelben zur Verbeſſerung der in-
laͤndiſchen Schafzucht eigen zu machen . Dein ,
ſchrieb nun die Freundin weiter , ſei nun die
Sorge , die Fluͤchtlinge der Eigenſchaft ihres
Paſſes gemaͤß zu kleiden , ihre Geſichtszuͤge ſo
unkennbar als moͤglich zu machen , und ſie dann
geradezu nach meinem Lande zu ſenden . Ein
neuer Brief von dir wird mich unterrichten ,
wenn ſie abreiſen , wenn ſie eintreffen koͤnnen .
Sie nehmen dann ihren Weg nach der von mir
neu errichteten fuͤrſtlichen Schaͤferei zu—m , im
Gebuͤrge F— . Ich werde um dieſe Zeit auf
einem benachbarten Jagdſchloſſe wohnen , und
werde dann ſchon Gelegenheit finden , den
Grafen zu ſprechen . Ehe dies aber geſchieht ,
gehen die Fluͤchtlinge ohne Aufenthalt nach der
beſtimmten Schaͤferei , und melden ſich bei
dem Vorſteher derſelben . Er hat den gemeß-
nen Auftrag von mir erhalten , ſie in ſeine
Dienſte aufzunehmen , und ob ſie gleich der
Abſicht , die ich ihm erzaͤhlte , keinesweges ent-
ſprechen werden , ſo iſt der gute Alte doch viel
zu demuͤthig , als daß ers wagen ſollte , ihre
verborgnen Kenntniſſe zu bezweifeln . Dies iſt ,
nach reifer Ueberlegung , die einzige Art , durch
welche ich den Grafen ſichern Aufenthalt in
meinem Lande gewaͤhren kann , er muß es ſich
ſchlechterdings gefallen laſſen , wenigſtens durch
einige Zeit meine Schaafe zu huͤten , weil er
ſich nur in dieſer einſamen Gegend dem wach-
ſamen Auge aller meiner Beamten entziehen
kann , die durch mich den ernſten Befehl er-
hielten , nach dem Entflohnen umher zu ſpaͤ-
hen . Ein Befehl , den ich auf dringendes Er-
ſuchen deines Fuͤrſten ergehen ließ , und nun
K 2
nicht widerrufen , nur durch Nichterinnerung
ſchwaͤchen kann .
Der arme Graf war ganz mit ſeinem Looſe
zufrieden , als ſeine fuͤrſtliche Freundin ihn
fragte , ob er Verlaͤugnung genug beſitze , ſich
dieſer noͤthigen Einrichtung einige Zeit hindurch
zu fuͤgen . Mein neuer Stand , ſprach er , iſt
meiner innern Lage ganz angemeſſen , ich kann
mich ungehindert , wenn ich meiner Heerde
folge , meinen Gedanken uͤberlaſſen , die einſa-
men Gegenden , in welche ſie mich fuͤhren wird ,
werden Labſal fuͤr mich ſeyn , ich kann mich
dort dem Andenken meines Weibes , meiner
Kinder weihen , und ihren Verluſt betrauren .
Nur ſchmerzt es mich aͤuſſerſt , daß ich den
Retter meines Lebens nur darum der Ruhe
entriſſen habe , damit er in ſeinem hohen Alter
in wuͤſten Gegenden umher irren , und eine
Koſt genuͤſſen ſoll , die ſeinen Kraͤften nicht an-
gemeſſen iſt .
Die Fuͤrſtin ſuchte ihn uͤber dieſen Gegen-
ſtand zu beruhigen , und verſicherte ihn , daß
eine gute und dauerhafte Verſorgung des red-
lichen Kerkermeiſters ihre Pflicht ſey , die ſie
auch nach Moͤglichkeit leiſten werde . Er kann ,
ſprach ſie , wenn er einmal der Gefahr ent-
ronnen iſt , nach Belieben weiter wandern ,
und in einer entfernten Gegend ruhig die Sum-
me genuͤßen , welche ich ihm beim Abſchiede
uͤbergeben will . Sie wird hinreichen , ihn
zeitlebens zu ernaͤhren , es wird noch genug
uͤbrig bleiben , um ſeinen treuen Waͤrter am
Ende ſeiner Tage damit belohnen zu koͤn-
nen .
Der ſeltne Kerkermeiſter dankte innig ,
aber er verſicherte auch eben ſo ernſtlich , daß
er ſich nie von dem Grafen trennen , Gluͤck
und Ungluͤck , Kummer und Freude mit ihm
theilen , und , waͤre es irgend moͤglich , durch
treue Dienſtleiſtung ſein hartes Schickſal er-
leichtern wolle . Die Tage , welche er in der
Grotte mit ihm durchlebt hatte , waren dem
guten Alten ſo angenehm verfloſſen , hatten
ihn ſo deutlich uͤberzeugt , daß der Graf ei-
ner der beſten Menſchen ſei . Dieſe Ueber-
zengung war die Urſache , daß er ſich nie von
ihm trennen wollte , durch keine Ueberre-
dungskraft zu einem andern Entſchluſſe zu
bewegen war . Aber der Menſch denkt , und
Gott lenkt !
Eben als alles Noͤthige zur Abreiſe an-
geordnet war , und ſie ſchon am andern Tage
ihren Zufluchtsort verlaſſen , und ſich dem
Schutze des Allmaͤchtigen uͤbergeben wollten ,
ward der arme Kerkermeiſter krank , eine hef-
tige Augenentzuͤndung endete in fuͤnf Tagen
ſein Leben , weil man ihm der groͤſſern Ge-
fahr , der moͤglichen Entdeckung wegen keine
Huͤlfe leiſten konnte . Er ſtarb als Chriſt ,
ruhig und gelaſſen , und ging mit der Gewiß-
heit hinuͤber , daß der Barmherzige ihm ſei-
nen Meineid verzeihen , die Abſicht ſeiner
edeln That lohnen wuͤrde .
Den Grafen druͤckte der Verluſt eines
Freundes , das Bewuſtſeyn , daß er Schuld
an ſeinem Tode ſey , aͤuſſerſt ſtark , machte
ihn mißmuthig und im hoͤchſten Grade traurig .
Vergebens muͤhte ſich die Fuͤrſtin , ihn zu
troͤſten , er faßte den Gedanken , und hielte
ihn feſt , daß Gott ihn ganz verlaſſen habe ,
nur immer empfindlicher ſtrafen , nie verge-
ben wolle ! Man verdenke dem Grafen ſein
Murren nicht ! Er glich einem mit dem reiſ-
ſenden Strome Kaͤmpfenden , der lezte ſchwa-
che Aſt , von dem er wo nicht Rettung , doch
Verlaͤngerung ſeines Lebens hofte , brach
mit einmal , und alle Ausſicht zu beiden
ſchwand .
Damit der Koͤrper nicht entdeckt werde ,
muſte er in der Grotte begraben werden . Die
vertraute Kammerfrau entwendete dem Gaͤrt-
ner Hakke und Schaufel , und der Graf
brauchte zwei volle Naͤchte , um dem treuen
Freunde eine Grabſtaͤtte im harten Boden der
Grotte auszuhauen . Dieſe traurige Beſchaͤf-
tigung , der fortdauernde Anblick des Todten ,
mehrte die Empfindungen ſeines Herzens , er
wuͤnſchte ſehnlichſt gleich ihm vollendet , gleich
ihm ausgerungen zu haben .
Nachdem er am dritten Abende geruht ,
und am vierten von ſeiner fuͤrſtlichen Wohl-
thaͤterin mit Thraͤnen des waͤrmſten Danks
Abſchied genommen hatte , ihrem fernern
Schuze ſein Weib und Kinder empfahl , von
ihr eine große Summe und zugleich die Verſi-
cherung erhielt , daß ſie einen Brief von ihm
richtig an ſein Weib beſtellen wolle , trat er
in der folgenden Nacht ſeine Wanderung an .
Er entkam durch die Seitenthuͤre gluͤcklich aus
dem Garten , eben ſo gluͤcklich aus der Stadt ,
weil dieſe zwar Thore hatte , aber mit keiner
Mauer umgeben war , und man durch einige
Nebenwege ungehindert in die Vorſtadt , aus
dieſer ins Freie gelangen konnte . Wie die
Sonne aufging , lag die Reſidenz ſchon mei-
lenweit hinter ſeinem Ruͤcken . Er trug die
Kleidung eines Schaͤfers , ſein Haar war ver-
ſchnitten , Haͤnde und Geſicht unmerklich gelb
gefaͤrbt . Das leztere und der ungewoͤhnlich
ſtarke Bart verſtellte ſeine Phyſionomie voll-
kommen , niemand achtete auf ihn , er wan-
derte auf ſelbſt gewaͤhlten Seitenwegen unge-
hindert nach der Graͤnze , welche er ſchon am
zweiten Tage erreichte . Eben ſo gluͤcklich ,
und ohne nur einmal nach einem Paſſe befragt
zu werden , langte er auf der beſtimmten
fuͤrſtlichen Schaͤferei an .
Sie lag mitten im hohen Forſte , in ei-
ner unbewohnten , wilden Gegend . Die hie
und da vom Holze entbloͤßten Berge , die
grasreichen Thaͤler hatten die oͤkonomiſche Fuͤr-
ſtin bewogen , die erſtern zu einer Sommer-
weide , die leztern zum Heu fuͤr einige tau-
ſend Schaafe zu benuzen , welche dort herrlich
gedeihten , und weit mehr Nuzen brachten ,
als das wenige Wild , welches ihre Vorfahren
ſonſt in dieſer Gegend gehegt hatten . Der
Vorſteher dieſer Schaͤferei , ein alter , aber
biederer und redlicher Mann , empfing den
Grafen mit baͤuriſcher , aber traulicher
Freundlichkeit . Er hatte ihn ſchon laͤngſt er-
wartet , und deswegen ſchon einen ſeiner
Knechte des Dienſtes entlaſſen , um dem Er-
warteten ſeinen Plaz ſogleich anweiſen zu koͤn-
nen . Noch am nemlichen Tage uͤbergab er ihm
daher vierhundert Stuͤck ſchoͤne Schaafe , die
er leiten , fuͤhren und pflegen ſollte .
Die Empfehlung der Fuͤrſtin erregte ganz
natuͤrlich bei dem Alten den Gedanken , daß
der Fremde ſeltne Kenntniſſe in der Schaaf-
zucht beſitzen muͤſſe , er ſchwaͤzte daher beſtaͤn-
dig mit ihm uͤber die Vortheile und Hinder-
niſſe der Leztern , um die Erſtern zu pruͤ-
fen . Ein Gluͤck fuͤr den Grafen , daß er ſtets
die Oekonomie leidenſchaftlich liebte , wenn er
auf ſeinen Landguͤtern einig Wochen Erholung
von ſeinen Geſchaͤften ſuchte , ſich in den vor-
nehmſten Zweigen derſelben praktiſch uͤbte ,
und daher wenigſtens mit den allgemeinen
Regeln einer guten Schaafzucht nicht unbe-
kannt war , freilich in der Folge nicht leiſtete ,
was der Alte hofte , aber doch auch nichts ver-
darb , und wegen ſeines ſtillen und eingezoge-
nen Lebenswandels endlich der Liebling deſſel-
ben ward .
Die Fuͤrſtin beſuchte bald hernach die
Schaͤferei , und hatte Gelegenheit , mit dem
Grafen troͤſtend zu ſprechen . Er dankte innig
fuͤr ihren Schuz , und dankte noch inniger ,
als ſie ihm kund machte , daß ſein Weib , ſei-
ne Kinder geſund lebten ; aber traurig ſank
ſein hoffendes Auge zur Erde , wie ſie ihm
erzaͤhlte , daß ſeine wohlthaͤtige Fuͤrſtin den
Brief , welchen er ihr an ſeine Gattin hinter-
laſſen hatte , noch nicht abgeſchickt habe , auch
nicht abſchicken koͤnne , weil ſie als gewiß er-
fahren habe , daß ein heimlicher Spaͤher des
Fuͤrſten die Graͤfin genau beobachte , alle ihre
Korreſpondenz ingeheim unterſuche , und
durch die geringſte Spur auf Entdeckung gelei-
tet werden koͤnne . Der arme Verbannte
fuͤhlte bei dieſer Nachricht das Leiden der ver-
laßnen Gattin , er flehte aufs neue , daß man
ihr nur von ſeinem Leben , von ſeiner Geſund-
heit Nachricht geben ſolle , und ging izt trau-
riger , tief leidend hinter ſeiner Heerde ,
weil ihn auch der einzige Troſt , einige Zeilen
von der geliebten Gattin zu leſen , geraubt
wurde .
Auch dem Ruhigen und Gluͤcklichen macht
Einſamkeit und Entfernung von aller menſchli-
chen Geſellſchaft traurig und mißmuthig , um
ſo mehr den Leidenden und Ungluͤcklichen .
Kein Freund erquickt ſein ſchmachtendes Herz
mit Troſt , keine unerwartete Gelegenheit
zerſtreut ſeinen Kummer , er kann ungehin-
dert die Groͤſſe ſeines Leidens meſſen , und
ſich mit jedem Tage aufs neue uͤberzeugen ,
daß ſie unendlich , und daher immer dauernd
ſey . So ergings auch dem Grafen , er ward
ſtets trauriger , ſtets melancholiſcher , und
erregte dadurch das Mitleid ſeines gutherzi-
gen Meiſters , der ihn unter allen Knechten
auszeichnete , oft an ſeinem eignen Tiſche
ſpeiſen ließ , und ſich hoch wunderte , wie der
Leidende dieſe Ehre nicht hochſchaͤzte , ſie viel-
mehr auf alle moͤgliche Art zu vermeiden
ſuchte .
Den uͤbrigen Bewohnern war der Graf
ein gleiches Raͤthſel , ſeine gefaͤllige , freund-
liche Art zog jeden an ſich , aber ſein Hang
zur Einſamkeit , zum tiefen Nachdenken ,
ſtieß alle gleich ſtark wieder zuruͤck . Ohne es
ſelbſt zu wollen , gewann bald die von Jugend
auf ſorgfaͤltig gepflegte Gewohnheit den Rang
uͤber die ſchwere Verſtellung , er ſuchte ſich ,
geleitet durch jene , ſeine harte Laſt dadurch
ertraͤglicher zu machen , daß er ſich reinlicher
und beſſer als alle uͤbrige Schaͤfer kleidete .
Die wenigen Maͤdchen , welche in dieſer Ein-
oͤde wohnten , oder ſie Geſchaͤfte wegen beſuch-
ten , blickten daher oft luͤſtern nach ihm , und
nannten ihn nur den ſchoͤnen und galanten
Schaͤfer , als aber dieſer , oft in ſeiner Ge-
genwart ausgeſprochne Name keinen Eindruck
auf ihn machte , da nannten ſie ihn in der
Folge den traurigen Schaͤfer , und blickten
ihm mitleidig nach , wenn er mit geſenktem
Auge hinter ſeiner Heerde ſchlich .
Nach drei durchſchmachteten Jahren , hat-
te finſtere Melancholie in ſeinem Herzen fe-
ſten Sitz genommen , er ſah mit wahrer Be-
gierde dem Tod entgegen , er wuͤnſchte ſehn-
lichſt , daß er bald nahen , bald ſein namlo-
ſes Leiden enden moͤge . Schon im zweiten
Jahre hatte ihm die beſuchende Fuͤrſtin zu ver-
ſtehen gegebeu gegeben , daß ſo tiefe und erniedri-
gende Verſtellung izt nicht mehr noͤthig ſei ,
daß er in einem entferntern Lande , unter-
ſtuͤtzt durch ſeine Wohlthaͤterin , angeneh-
mer und beſſer leben koͤnne , aber die Ein-
ſamkeit war ſeinem Schmerze ſchon unent-
behrlich geworden , er flehte , daß man ihn
laͤnger hier dulden moͤge , und verſicherte
dreuſt , daß ihn noch weitere Entfernung ,
wo er gar keine Nachricht mehr von ſeiner
Gattin erhalten wuͤrde , zum Wahnſinn rei-
zen werde . Die Fuͤrſtin ehrte ſeine Gruͤnde ,
und verſprach ihm , durch oͤftere Nachrichten
von ſeiner Gattin zu erfreuen , aber ſie
vermochte nicht Wort zu halten , weil ſie
nur jaͤhrlich einmal in dieſe Gegend kam ,
und durch Boten die ohnehin geſpannte Auf-
merkſamkeit der dortigen Bewohner nicht
noch mehr reizen wollte .
Eben fragte die gleich ſtark leidende und
duldende Graͤfin den Ewigen : Ob denn ihr
Leiden nie enden , ihr Jammer hienieden
keinen Lohn hoffen koͤnne ? Als ungewoͤhn-
liches Geraͤuſch im Hofe ihres Schloſſes ſie
aus ihrem Tiefſinn weckte , und ans Fenſter
zog . Sie blickte hinab , ſah einige Reiſe-
wagen an der Thuͤre ſtehen , und eine in
Trauer gehuͤllte Dame aus dem erſten der-
ſelben herausſteigen . Sie eilte hinab und
ſank in die Arme der Fuͤrſtin , welche ſie zu
beſuchen kam . Ihre Trauer verkuͤndigte der
Graͤfin ſchon im Voraus die Urſache der Moͤg-
lichkeit dieſes ſeltnen Beſuches , ſie ahndete
des
des Fuͤrſten Tod , welcher auch wirklich aͤuſ-
ſerſt ſchnell und unvermuthet erfolgt war .
Er hatte ſich auf einer damals ſo ge-
woͤhnlichen Parforce-Jagd aͤuſſerſt erhizt , ein
unvermutheter Gewitterregen durchnaͤſſete ſei-
ne Kleider . Ehe er noch die Reſidenz er-
reichte , ſank er vom Schlage getroffen tod
vom Pferde . Die ihn immer noch liebende ,
und ſeinen Tod innig bejammernde Fuͤrſtin
ward nun Regentin des Landes , weil ihr
einziger Sohn erſt das eilfte Jahr ſeines
Alters erreicht hatte . Man huldigte ihr
ſogleich , als die Aerzte vergebens alle Mit-
tel verſucht hatten , den Toden zu wecken .
Die Graͤfin R— , welche noch immer die
erklaͤrte Geliebte des Fuͤrſten war , bisher
oft Land und Leute regiert hatte , erſchrak
aͤuſſerſt , als ſie den Tod des Fuͤrſten und
die Huldigung ſeiner Gemahlin in einem Au-
genblicke vernahm . Sie fuͤrchtete die Rache
Biogr. d. W. 4r Bd. L
der letztern , und ſande ihr ſogleich folgen-
den Brief :
Durchlauchtigſte Fuͤrſtin ! Sie koͤnnen
auf Wiedervergeltung rechnen ! ſprachen ſie
einſt zu mir , als ich die Fuͤrbitte in der
Graͤfin L— zu werden verſprach . Die Zeit
dieſer Wiedervergeltung iſt da ! Ich hoffe ,
daß Sie großmuͤthig handeln , und mir er-
lauben werden , mit meinem Haabe ein Land
zu verlaſſen , deſſen Monarch bisher mein
einziger Beſchuͤtzer war .
Die tief gebeugte Fuͤrſtin vermochte nicht
ſogleich zu antworten , ſie ließ der Graͤfin
nur ſagen , daß die Antwort ſicher und bald
erfolgen werde . Dieſe ſah mit banger
Sehnſucht und zitternd der Antwort entge-
gen , aber ſie ſtaunte , und heiſſe Thraͤnen
fuͤllten ihr Auge , als ſie ihr am andern Ta-
ge ward , als ſie folgendes las :
Meine liebe Graͤfin ! Sie ſind aͤuſſerſt
billig , da ſie zur Wiedervergeltung einer
That , die ich bisher immer noch mit dank-
barem Herzen ehre , eine Sache fordern , die
ihnen die ſtrengſte Gerechtigkeit nicht einmal
verweigern koͤnnte . Es ſteht ihnen vollkom-
men frei , ferner in dieſem Lande zu woh-
nen , oder es zu verlaſſen . Im erſtern Fall
wird meine Hochachtung gegen ſie fortdauern ,
im letztern werden ſie ſolche ungetheilt mit
ſich nehmen . Aber dann hoffe ich ganz ſicher ,
daß ſie nicht ohne Abſchied ſcheiden , daß ſie
durch eine neue , und groͤſſere Bitte mich in
Stand ſetzen , ſie nicht mit dem Bewuſtſein
entlaſſen zu muͤſſen , daß ich ihre groſſe
Schuldnerin bleibe . Kommen ſie , wenn ſie
wollen , unter uns findet keine Etikette ſtatt ,
wir haben beide am meiſten verlohren , uns
muß es auch erlaubt ſein , ungehindert mit
einander weinen zu koͤnnen .
L 2
Alle Hofleute ſtaunten , als ſich kurz
nachher die Graͤfin R— bei der Fuͤrſtin mel-
den ließ , aber alle ſtaunten noch weit mehr ,
als ſie ſogleich vorgelaſſen wurde , und nach
einer kurzen Unterredung , die Fuͤrſtin mit
ihr Hand in Hand aus dem Kabinete trat ,
ſie in aller Gegenwart Frenndin nannte ; mit
aͤchter Zaͤrtlichkeit umarmte , ihr die gluͤcklich-
ſte Reiſe , und fuͤr die Zukunft die ruhigſten
Tage wuͤnſchte . Dieſe auſſerordentliche Leut-
ſeligkeit der Fuͤrſtin war nicht Verſtellung ,
war aͤchter Lohn , welchen ſie der Graͤfin
zollte .
Als dieſe zu ihr ins Kabinet trat , dankte
ſie ihr mit einer Waͤrme , die ihr Herz ruͤhrte ,
und bat nochmals , daß ſie das Land verlaſ-
ſen duͤrfe . Die Fuͤrſtin gewaͤhrte ihr ſolches
aufs neue , forderte aber ausdruͤcklich , daß ſie
ſich eine groͤſſere Gefaͤlligkeit von ihr erbit-
ten moͤge . Wohl dann , ſprach die Graͤfin ,
ich will ihre Gnade nutzen . ( auf ihre Knie
ſinkend ) Izt , da meine eingebildete Groͤſſe
ſinkt , fuͤhle ich es deutlich , daß ich den Tod
meines Bruders zu hart raͤchte , daß ich den
armen Grafen L— zu hart verfolgte . Euer
Durchlaucht ſind izt Regentin geworden ,
Euer Durchlaucht koͤnnen izt ſtrafen , aber
auch vergeben und vergeſſen . Mir ward
eine Bitte erlaubt , mir ward Gewaͤhrung
derſelben zugeſichert , ich bitte , daß Euer
Durchlaucht dem Grafen unbedingt vergeben ,
ſeine That vergeſſen , und ihm erlauben , ſeine
uͤbrigen Tage ruhig in den Armen des ge-
liebten Weibes zu durchleben . Ich bins von
ihrem edlen Herzen uͤberzeugt , daß dieſe
Verzeihung auch ohne meine Bitte erfolgen
wuͤrde , aber ich achtete es fuͤr Pflicht , ſie
daran zu erinnern , und aufs neue zu bitten ,
daß dieſe Gnade die erſte edle Handlung der
kuͤnftigen Regentin ſein moͤge . — — Sie
ſoll , ſie wirds ſein ! rief die geruͤhrte Fuͤr-
ſtin aus , aber ſie muͤſſen auch die Verſiche-
rung mit ſich nehmen , daß ich ſie um dieſer
Bitte willen ewig hochſchaͤtzen und lieben
werde .
Die Trauer uͤber den Tod des Fuͤrſten
erlaubte , gebot ſogar der Fuͤrſtin einige Zeit
Entfernung aus der Reſidenz . Als ſie daher
alle fuͤrſtliche Beamte in ihrem bisherigen
Dienſte beſtaͤtigt hatte , heiſchte ihr Schmerz
dieſe Linderung , ſie hofte ſie im Wohlthun
zu finden , und reiſte zur Graͤfin L— , um
in ihrer Geſellſchaft und im ſtrengen Iukog-
nito nach dem benachbarten Fuͤrſtenthum zu
reiſen , dort den Grafen zu uͤberraſchen , und
die namloſe Freude der erſten Umarmung ,
der Wiedervereinigung mit genuͤſſen zu koͤn-
nen . Als ſie dieſen wohlthaͤtigen Vorſaz
der Graͤfin entdeckte , da — — O wer iſt
faͤhig die Simptomen einer ſolchen Freude ,
einer ſolchen Seligkeit zu ſchildern , ſie
gleicht vollkommen der uͤberirdiſchen , die
nicht einmal der Dollmetſcher Gottes zu ſchil-
dern , die keines Sterblichen Mund auszu-
ſprechen vermag . Die Uebergluͤckliche war
ganz einem Kinde aͤhnlich , ſie taumelte won-
nevoll umher , hob jeden Gegenſtand in die
Hoͤhe , und legte ihn eben ſo ſchnell wieder
von ſich , ſie traͤumte wachend , und ſprach
nur immer von dem Gluͤcke , das ſelbſt ihrer
erhitzten Einbildungskraft nur ein Traum
ſchien .
O wie unendlich langſam floſſen ihr izt
die Stunden voruͤber , die ſie von der Er-
fuͤllung ihres heiſſen Wunſches trennten ! Kein
Schlaf erquickte das Auge der Hoffenden ,
immer ſtarrte es ſehnſuchtsvoll in die Zu-
kunft , und ſah den geliebten Gatten mit
ofnen Armen vor ſich ſtehen . Die Fuͤrſtin
hatte beſchloſſen , einige Tage auf dem Land-
gute der Graͤfin zu ruhen , als ſie aber
ihre Sehnſucht ſah , da warf ſie ſich ſchon
am andern Morgen mit ihrer Freundin in
einen leichten Reiſewagen , und eilte mit
ihr der unnennbaren Freude entgegen . Um
ſchneller reiſen zu koͤnnen , hatte die Fuͤr-
ſtin aller gewoͤhnlichen Begleitung eutſagt ,
nur eine Kammerfrau ſas mit den Kindern
der Graͤfin in einem zweiten Wagen , nur
zwei Bediente begleiteten ſie . Es ging raſch
vorwaͤrts , aber es ging der Harrenden doch
viel zu langſam , jede Schaafheerde , die
oft auf den nahen oder fernen Bergen um-
her kletterte , machte den ſtaͤrkſten Eindruck
auf ihr Herz , ſie ſtrekte dann immer ihre
Arme aus , und glaubte , in dem Hirten
ihren Gatten zu erblicken .
Endlich lag die wuͤſte , oͤde Berggegend
vor ihrem Blicke . Endlich ſahen ſie zwiſchen
den hohen Buchen und Eichen die Schaͤferei
vom Ferne glaͤnzen , endlich ſtand der Wa-
gen am Hauſe des Vorſtehers derſelben . Der
gute Alte kam mit der Muͤtze in der Hand
den hohen , fremden Gaͤſten entgegen , er
ſtannte mit Recht , als die Graͤfin haſtig
fragte : Wie es ihrem Gatten , wie es dem
Graf L— gehe ? Wo er ſei ? Wo ſie ihn
ſehen und ſprechen koͤnne ? Er ſchuͤttelte be-
daͤchtlich den Kopf , und wollte den Frem-
den eben beweiſen , daß kein Graf hier woh-
ne , als die ruhigere Fuͤrſtin den Irrthum
bemerkte , und nach dem fremden Schaͤfer-
knecht fragte , der ſeit einigen Jahren die
fuͤrſtlichen Schaafe huͤte . Ach dieſer , rief
der Alte aus , dieſer mag freilich mehr ſein ,
als er ſein will , aber kein Graf iſt er doch
wohl nicht !
Fuͤrſtin . Daruͤber wollen wir nicht laͤn-
ger ſtreiten . Sei er nur ſo gefaͤllig , uns
zu ſagen , wo wir ihn treffen , dann wird
ſich alles aufklaͤren .
Der Alte war ſogleich bereit und willig ,
ſie nach dem Berge zu fuͤhren , wo er ſeine
Schaafe weidete . Er ging voraus , und
der Wagen folgte . Am Fuße des Bergs
mußten ſie ausſteigen , weil ſich nur ein en-
ger , von Schaafen getretner Pfad aufwaͤrts
ſchlaͤngelte . Die Graͤfin ergrif die Hand ih-
rer Kinder , und zog ſie haſtig hinter ſich
her . Einzelne Schaafe , welche am Gipfel
umher kletterten , beſchaͤftigten ihr Auge ,
zogen ihre ganze Aufmerkſamkeit magnetiſch
an ſich , ſie konnte nicht denken , nicht ſpre-
chen . Nahes Gefuͤhl der Wonne , des ent-
zuͤkkenden Wiederſehens tobte ſtuͤrmend in al-
len ihren Adern , Nerven und Fibern , es
hemmte ihren Athem , ſie mußte oft ruhen ,
und blickte dann mit naſſem , ſehnſuchtsvol-
lem Blicke in die Hoͤhe .
Die Fuͤrſtin folgte ſtillſchweigend , auch
ihre hochgeregte Empfindung beſchaͤftigte Herz
und Einbildungskraft gleich ſtark . Nur eini-
gemal war ſie vermoͤgend , die Graͤfin fuͤr
allzuhaſtiger Eile zu warnen , aber die Ent-
zuͤckte war unfaͤhig die Warnung zu faſſen ,
das allzugroſſe , wonnevolle Ziel riß ſie mit
Allmachtsſtaͤrke empor , weckte jede Lebens-
kraft , ſpannte jede Sehne , um es nur bald ,
nur ſchneller erreichen zu koͤnnen . Endlich
war der Gipfel erſtiegen , eine alte Eiche ,
deren Stamm der wuͤthende Sturm oft gebo-
gen , aber nicht gebrochen hatte , ſtand un-
fern von ihnen . Unter ihrem Schatten ruhte
der verbannte Graf , er lag ausgeſtreckt am
Boden , die Rechte unterſtuͤtzte ſein nach-
denkendes Haupt , ſein Auge ſtarrte in die
ferne Gegend . Der Alte wollte ihn aus ſei-
nem Traume wecken , aber die Sehnſucht der
liebenden Gattin uͤberfluͤgelte ſeine Schritte .
Mein Karl ! Schrie ſie wonnetrunken ,
als ſie ſich nahte . Mein Vater ! riefen die
Knaben , welche ihr folgten . Der Denken-
de ſchauderte empor . Mein Karl ! wieder-
holte die Gattin . Mein Vater ! lallten die
Kinder athemlos : Gleich dem Wetlaͤufer ,
der alle ſeine Kraͤfte verſchwendet hat , ſank
izt die Graͤfin am Ziele ihrer Wuͤnſche kraft-
los nieder , die Kinder umfaßten die Knie
des Staunenden . Die Fuͤrſtin vermochte
nicht zu ſprechen , Thraͤnen der Freude , der
innigen Theilnahme hemmten ihre Sprache .
Der Alte grif haſtig nach ſeiner Muͤzze , und
blikte mit entbloͤßtem Haupte zu Himmel .
Lange dauerte die Szene der ſtummen
Empfindung , des Sturmes der namloſen
Gefuͤhle , als ſie aber endete , da wards —
O daß ich diesmal nur das freudenvolle Ge-
fuͤhl meiner Leſer durch Dichtung taͤuſchen
koͤnnte ! — Da wards allen nach und nach
zur traurigen , zur ſchrecklichen Gewißheit ,
daß die ſchnelle Ueberraſchung , der jaͤhe
Sprung der entfernteſten Hofnung zur uͤber-
zeugenden Gewißheit dem armen Grafen ſeinen
Verſtand geraubt , wenigſtens verwirrt hatte .
Als der ſtrenge Richter ihm ohne Schonung
das Todesurtheil verkuͤndigte , als zum letz-
tenmal die Sonne ſeinem Auge entſchwand ,
als er , zwar gerettet vom ſichern Tode ,
aber immer verbannt vom geliebten Weibe ,
vom liebenden Kinde , fortwandern mußte ,
da blieb ſein Muth ſtandhaft und unerſchuͤt-
tert , wie aber das unerbittliche Schickſaal
ſeiner zu ſpotten , ihn durch Truggeſtalten
zu taͤuſchen ſchien , da ſchwand Muth und
Standhaftigkeit , da klagte er laut uͤber die
ſtrenge Haͤrte des Barmherzigen , der ihn
gleich einem Tantalus ſtrafen wolle , und war
nicht zu bewegen , dasjenige fuͤr Wahrheit
zu halten , was ſeine erhizte Einbildungs-
kraft nur fuͤr Taͤuſchung , fuͤr Traum ach-
tete .
Es iſt ein Traum ! Es iſt ſchreckliches
Blendwerk ! rief er ohne Unterlaß aus . Die
Liebkoſungen der Gattin , die ſchmeichelnde
Bitte der Kinder , die ermahnende Stimme
der Fuͤrſtin war nicht vermoͤgend , die ein-
mal gefaßte Idee zu vernichten , er waͤre
entflohen , wenn ihn nicht auf den Wink der
Fuͤrſtin die Bedienten ergriffen , und mit
Gewalt nach der Schaͤferei gefuͤhrt haͤtten .
Anfangs hoften alle , daß Zeit und Ge-
wohnheit ſeinen Irrwahn tilgen , ihn von
der Gewißheit uͤberzeugen wuͤrde , aber kei-
ne Zeit , keine Arzenei , keine Ueberzeugung
war faͤhig , das ſtokkende Rad der Einbildungs-
kraft zu wenden . Es ſtand , und in dieſem
das Bild des Traumes und Truges . Nur
ein aͤhnliches , noch weit ſchrecklicheres Bild
geſellte ſich noch zu dieſem . Er glaubte in
der Folge , daß ſein Weib , ſeine Kinder ,
ſelbſt die wohlthaͤtige Fuͤrſtin geſtorben waͤ-
ren , ihm nun als Geiſter erſchienen . Dieſer
Gedanke vermehrte den Wunſch des Todes
in ſeinem Herzen , er wuͤnſchte ſehnlich mit
den Geliebten vereinigt zu ſein , und nur
die ſorgfaͤltigſte Aufmerkſamkeit ſeiner treuen
Diener konnte es hindern , daß er nicht oft
den Tod fand , den er ſo ſehnlich ſuchte .
Man denke ſich das Leiden der guten
Gattin , es iſt keiner Beſchreibung faͤhig !
Sie liebte heiß , zaͤrtlich und innig . Ihr
ſchmachtendes Herz zog ſie ſtets hin zum
Gatten , der ſie immer mit dem Ausrufe
zuruͤck ſchreckte : Holder Geiſt ! Warum
kommſt du mich zu quaͤlen ? Verjage die
Waͤchter , und du ſollſt ſehen , wie ſchnell
ich dir folge !
Die Zahl der Leiden des Menſchen iſt
ungeheuer , iſt eben ſo wenig zu zaͤhlen , wie
der Sand am Meere , aber jedes gefuͤhl-
volle Herz wird beiſtimmen muͤſſen , daß
das Leiden der Graͤfin unter der unzaͤhlbaren
Zahl das groͤßte und ſtaͤrkſte war . Wer hier
nicht die Gewißheit eines ewigen Lohns uͤber-
zeugend fuͤhlt , der verdient zu leiden wie ſie ,
und ohne Ausſicht , ohne Hofnung eines Lohns
verzweifelnd zu ſterben .
Ich muͤßte das Herz meiner Leſer nur mit
groͤſſerer Trauer fuͤllen , wenn ich fortfahren
wollte , ſo umſtaͤndlich zu erzaͤhlen , ich will
mich daher ſo kurz als moͤglich faſſen : Da der
Anblick der Graͤfin und ihrer Kinder dem wahn-
ſinnigen Grafen nur Quaal und Pein verur-
ſachte , ſo mußte man ihn im zweiten Wagen
allein fahren laſſen . Immer hofte man da-
mals noch auf Beſſerung , verſuchte ſtets neue
Mittel zur Ueberzeugung , aber vergebens .
Der Ungluͤckliche ließ ſich zwar willig nach ſei-
nem Schloſſe fuͤhren , aber der Anblick deſſel-
ben , der Willkomm ſeiner treuen Diener und
Bauern
Bauern machte keinen Eindruck auf ihn , er
ſchien keinen zu kennen , aber wenn ſich ſeine
Gattin , ſeine Kinder nahten , da bebte er ſtets
erſchrocken empor , und rief aus : Seht ihr ,
ſeht ihr den Geiſt ! Er winkt mir , ich ſoll fol-
gen !
Sehnſuchtsvoll ſah die liebende Gattin in
der Folge jedem Arzte , den ſie aus der Naͤhe
und Ferne holen ließ , entgegen , wie aber viele
derſelben ihre Kunſt fruchtlos an dem Pazien-
ten verſchwendeten , und endlich alle einſtim-
mig erklaͤrten , daß keine Huͤlfe mehr moͤglich
ſei , da ward die Wunde ihres Herzens zum
freſſenden Krebſe , unheilbare Abzehrung nagte
an ihrem Koͤrper , nach drei langſam durch-
ſchmachteten Jahren endete der Tod ihr nam-
loſes Leiden . Als ſie begraben wurde , fuͤhrte
man den ungluͤcklichen Wahnſinnigen nach dem
Rathe des Arztes zu ihrem Sarge . Er hofte
wahrſcheinlich , daß dieſer Anblick ihn erſchuͤt-
Biogr.d. W.4r Bd. M
tern ſolle , aber der Endzweck ward nicht er-
reicht , er ſchien die Tode nicht mehr zu ken-
nen , er blickte traurig nach dem Sarge , aber
er war auch der Einzige unter den Anweſen-
den , welcher der Verklaͤrten keine Thraͤne
weihte . Wie ſeine Kinder im ſchwarzen Trau-
erkleide ſich nahten , da floh er unaufhaltſam
fort , und verſank wieder in ſeine gewoͤhnliche
Schwermuth .
Er ward ſiebzig Jahre alt , er verließ ſein
Zimmer aͤuſſerſt ſelten , und kannte in den lez-
ten zehn Jahren ſeines Leidens ſeine Kinder
nicht mehr . Man fand ihn an einem Morgen
todt im Bette , ein Schlagfluß hatte ſein Le-
ben , ſein Leiden geendet . Er ruht an der
Seite ſeiner Gattin , und wird izt dort — wo
kein Zufall , kein Wahnſinn die Freude truͤbt —
den Lohn ſeiner Leiden in Fuͤlle genuͤſſen .
Hanns K— , Bauer zu M— .
A ls noch finſtrer Aberglaube das —ſche Land
deckte , Aufklaͤrung nur auf den Zinnen und
Anhoͤhen ſchwankend umherwandelte , lebte in
einem Dorfe deſſelben ein junger , aber reicher
Bauer . Er lebte ruhig und zufrieden , weil
ihm Gott ein Weib beſchert hatte , das ihn
innig liebte , alle Jahre ein geſundes Kind ge-
bahr , und die groſſe Haushaltung emſig und
klug fuͤhrte . Er ſah , und jeder ſeiner Nach-
barn ſahs mit ihm , wie ſich jedes Jahr ſeine
M 2
Einnahme durch den reichern Ertrag ſeiner
Felder vermehrte , ſeine Ausgabe durch die
kluge Wirthſchaft ſeiner Frau verminderte .
Selbſt , als in dem ungluͤcklichen ein
und zwei und ſiebenzigſten Jahre unſers bei-
nahe vollendeten Jahrhunderts allgemeiner
Mißwachs die allgemeine Klage aller Landwir-
the war , gaben ihm ſeine wohlgepflegten Fel-
der doch eine mittelmaͤſſige Erndte , er konnte
ſein Geſinde mit eignem Brode ſpeiſen , und
uͤberdies noch einen maͤſſigen Ueberfluß verkau-
fen . Wie im zweiten Hungerjahre die herr-
lich gruͤnenden Aecker die reichſte Aerndte ver-
ſprachen , lag wuͤrklich noch erſparter Vorrath
auf ſeinem Boden . Er widerſtand hartnaͤckig
dem immer hoͤher ſteigenden Anbote der Auf-
kaͤufer , welche damals alle Doͤrfer durchzogen ,
um die noch kleinen Vorraͤthe aufzukaufen , und
nach den Staͤdten zu fuͤhren , wo man aus
Noth zahlte , was die heißhungrige Gewinn-
ſucht forderte . Er hatte mit ſeinem Weibe
beſchloſſen , all ſein Getraide in den Graͤn-
zen des Dorfs an die armen Inſaſſen und
Tagloͤhner um einen niedrigern Preiß zu ver-
kaufen , er erfuͤllte ſein Geluͤbde , und beide
Eheleute hoften , daß dies gute Werk der Al-
lesbelohnende einſt reichlich vergelten werde .
Wie die Erndte ſich ſchon nahte , und tauſend
Hungrige den Tag der Reife mit banger Sehn-
ſucht erwarteten , hatte auch Hanns ſeinen
ganzen Vorrath auf dieſe Art verkauft , nur
noch zwei Scheffel Waizen lagen auf ſeinem
leeren Boden , welche die kluge Hausfrau nebſt
dem noͤthigen Beduͤrfniſſe noch zuruͤckgelegt
hatte , um in der Erndte die kraftloſen Lohn-
arbeiter mit guter und nahrhafter Mehlſpeiſe
ſtaͤrken zu koͤnnen .
Eben wollte Hanns aus dieſer Abſicht den
Waizen nach der Muͤhle fuͤhren , als ein be-
kanter Baͤcker bei ihm einſprach . Ich laufe
nun , ſprach dieſer , ſchon drei Tage lang nach
einigen Scheffeln Waizen umher , und kann
keine Metze mehr auftreiben . Das Kloſter zu
L— , welches ich lange Jahre ſchon mit Sem-
meln verſah , fordert mit Ungeſtuͤm die Erfuͤl-
lung meines Kontrakts , ich habe dem Kloſter
mein ganzes Vermoͤgen zu danken , ich ſehe izt
nicht auf Gewinn , nur auf Erfuͤllung meines
Wortes , und wuͤrde mir gerne jeden Preis
gefallen laſſen , wenn ich nur einige Scheffel
erkaufen koͤnnte . Lieber Hanns , koͤnnt ihr mir
nicht helfen ?
Hanns . Ich habe nur noch zwei Schef-
fel .
Baͤcker . Genug indeß , weil ich in eini-
gen Tagen Waizen aus H— erwarte .
Die Frau . Aber dieſen Waizen koͤnnen
wir nicht verkaufen , denn er iſt fuͤr unſre
Schnitter beſtimmt .
Baͤcker . Ob dieſe weiſſe oder ſchwarze
Kloͤſſe eſſen , ihnen gilts gleich , wenn ſie nur
ſatt werden . Verkauft mir den Waizen , ich
zahle euch zwanzig Thaler fuͤr den Scheffel .
Die Frau . Es kann nicht ſeyn . Der
arme Tagloͤhner ißt auch gerne etwas Gutes .
Wie ſoll man Arbeit von ihm fordern , wenn
man ihn nicht mit nahrhaften Speiſen ſtaͤrkt ?
Baͤcker . Ich zahle den Scheffel mit fuͤnf
und zwanzig Thaler . Kauft den Schnittern
Fleiſch dafuͤr , das ſtaͤrkt kraͤftiger und beſſer .
Die Frau . Das ſind ſie nicht gewohnt ,
das ſchadet mehr , als es nuͤzt .
Baͤcker . Laßt euch doch erbitten , ich ge-
be dreiſig Thaler ! Denkt , daß es fuͤr Gott-
geweihte Menſchen gehoͤrt , die euer in ihrem
Gebete gedenken werden .
Der Preis , welchen der Baͤcker bot , war
auſſerordentlich , und die Vermuthung gewiß ,
daß er in einigen Wochen zwanzig mal ſo viel
kaum ſo theuer zahlen wuͤrde . Hanns ſah bei
dem lezten Antrage des Baͤckers ſein Weib
fragend an , ſie nickte mit dem Kopfe , und
Hanns ging den Handel ein . Der Becker nahm
den Waizen , zahlte ſechszig Thaler , und dank-
te dem Verkaͤufer noch oft , daß er ihn aus
ſeiner Verlegenheit gerettet habe .
Um aber dem Kloſter zu beweiſen , wie
viel er aufofere , ihre Kundſchaft auf weitere
Jahre zu erhalten , ermaugelte er nicht , dem
Vorſteher deſſelben ſeinen Kauf zu erzaͤhlen ,
und zur mehrern Bekraͤftigung den Verkaͤufer
zu nennen .
Hanns und ſein Weib lebten von jeher
ſehr gottesfuͤrchtig ; beide erfuͤllten , weil ſie in
aͤchtet und wahrer Religion nicht unterrichtet
waren , mit ſeltner Strenge alles auſſerordent-
liche Zeremoniel derſelben . Sie gingen jeden
Sonn- und Feiertag nach dem nahen Kloſter ,
um dort nicht allein das groſſe , hohe Amt ,
( eine geſungene Meſſe ) ſondern auch die Predigt
zu hoͤren . Gluͤhende Roͤthe verbreitete ſich auf
ihrem Angeſichte , bleiche , angſtvolle Todten-
blaͤſſe folgte derſelben , als am folgenden Sonn-
tage der Prediger eben uͤber den Wucher ei-
ferte , welcher bei itziger Theuerung und Hun-
gersnoth die Herzen der Reichen fuͤlle , und zu
Suͤnden verleite , welche der barmherzigſte und
langmuͤthigſte Gott ſchrecklich ſtrafen muͤſſe .
Ein reicher Bauer , rief er aus , hat ſich
erſt vorige Woche erfrecht , die hoͤchſt noͤthigen
Beduͤrfniſſe unſers armen Kloͤſterleins auf die
gottloſeſte Art zu benuͤtzen . Den Dienern
Gottes , den Fuͤrbittern des Menſchen hat er
einen Scheffel Waizen fuͤr dreiſig Thaler ver-
kauft ! Hat ſich durch die Vorſtellung , daß
wir hungern , daß wir ſchmachten , nicht bewe-
gen laſſen , nur einen einzigen Pfennig weni-
ger anzunehmen ! Der gottloſe Wucherer ver-
diente , daß ich ſeinen Namen hier oͤffentlich
nennte , daß ich ihn mit dem Banne der Kir-
che belegte , daß ich ihn gleich einem Zoͤllner aus
der Verſammlung der Glaͤubigen verjagte ;
aber ich will Gott nachahmen , ich will barm-
herzig ſeyn , wie er , ich will vergeben und ver-
geſſen ; nur iſt es meine Pflicht , ihn zu war-
nen , daß er verſoͤhne , daß er bereue , damit
er einſt nicht in den Hoͤllenpfuhl geworfen wer-
de , wo Heulen und Zaͤhnklappen ihn erwartet ,
aus dem keine Erloͤſung zu hoffen iſt .
Haͤtten Hannſens Nachbarn und Freunde
nur irgend einen Verdacht des Wuchers gegen
ihn in ihrem Herzen geheegt , waͤren ſie nicht
vielmehr vom Gegentheile uͤberzeugt geweſen ,
ſie wuͤrden ſeine That , die der Prediger ſo
hart ruͤgte , ſogleich in ſeinem Geſichte geleſen ,
aus ſeinem Betragen vermuthet haben . Er
wankte troſtlos aus der Kirche , ſein Weib
folgte eben ſo . Zu Hauſe weinten und beteten
ſie den ganzen Tag , und beſchloſſen in der fol-
genden ſchlafloſen Nacht ihre ſchreckliche Suͤnde
zu beichten , und die fuͤr den Waizen erhaltnen
ſechzig Thaler zur Verſoͤhnung dem Herrn zu
opfern . Ihre Beichte ward am andern Tage im
Kloſter angehoͤrt , des Suͤhnopfer angenommen ,
und beiden Vergebung zugeſichert , wenn ſie in
der Folge auch durch neue Opfer beweiſen wuͤr-
den , daß ihr Vorſatz , ſich zu beſſern , wahrer
Ernſt ſei .
Noch immer aͤngſtigte Furcht und Angſt
das Gewiſſen der Aermſten , als aber am fol-
genden Sonntage der eigennuͤtzige Prediger
bewies , daß die Freude im Himmel uͤber einen
Suͤnder , der Buſſe thue , groͤſſer ſei , als uͤber
neun und neunzig Gerechte , die der Buſſe
nicht beduͤrfen , und nun die Reue , das Suͤhn-
opfer des wucheriſchen Bauern oͤffentlich erzaͤhl-
te , ihn wieder aufnahm in den Bund der Gna-
de , in die Gemeinſchaft der allein ſelig machen-
den Kirche , da wich Furcht und Angſt , da
glaubte der arme Hanns zuverſichtlich , daß
auch Gott vergeben und vergeſſen werde . Mit
dieſer Ueberzeugung ging er wieder wohlgemu-
thet an ſeine Arbeit , und die gute Hausfrau
machte es ſich zur unverbruͤchlichen Regel , alle
Erſtlinge der Fruͤchte und des Viehs im Klo-
ſter dem Herrn zu opfern .
Im folgenden Winter bekamen Hannſens
Kinder die Blattern , zwei Knaben ſtarben ,
die uͤbrigen entgingen dem Tode nur mit Muͤ-
he . Eines ſeiner beſten Pferde brach kurz
nachher den Fuß , und einen fetten Maſtochſen
fand man am Morgen tod im Stalle . Der
Tod der geliebten Kinder kraͤnkte das Herz des
Vaters , der Verluſt des Viehes machte den
ſonſt ſo gluͤcklichen Wirth aͤuſſerſt traurig . Er
trug mit ſeinem Weibe haͤufigere Opfer nach
dem Kloſter , er betete mit ihr emſiger und
anhaltender in der Kirche deſſelben , und hofte
dadurch Gottes Zorn zu verſoͤhnen , als aber
im folgenden Sommer ein ſtarker Wolkenbruch
ſeine grasreichen Wieſen uͤberſchwemte , hoch
mit Stein und Sand bedeckte , da glaubte er
feſt und ernſtlich , daß die Fuͤrbitte des belei-
digten Kloſters nicht wuͤrken koͤnne , daß er
ſtaͤrkere und kraͤftigere ſuchen , und Gottes
Zorn durch ſtrengere Buſſe verſoͤhnen muͤſſe ,
wenn er Haus und Hof erhalten wolle .
Sein Beichtvater , ein einfaͤltiger , dum-
mer Moͤnch , deſſen Rath er heiſchte , beſtaͤrk-
te ihn in ſeinem falſchen Glauben , und er-
theilte ihm den heilſamen Rath , nach einem
zwar entfernten , aber um ſo beruͤhmtern Klo-
ſter zu wallfahrten , wo man Macht und Ge-
walt habe , die groͤßten Verbrechen zu verſoͤh-
nen , und den ruchloſeſten Suͤnder ſo weiß zu
waſchen , daß auch die ſtrenge Gerechtigkeit
Gottes keinen Flecken an ihm entdecken koͤnne .
Es wird euch , fuͤgte der fuͤrs Beſte ſeines Or-
dens ſorgende Moͤnch , zwar einige Thaler ko-
ſten , aber dafuͤr entgeht ihr auch ſtaͤrkerm
Verluſte und groͤſſerer Gefahr .
Hans , der nur Rettung , ſey ſie auch
noch ſo koſtbar , wuͤnſchte und ſuchte , gelobte
ſogleich die Wallfahrt . Ehe ich ihm aber dahin
folge , muß ich zuvor erzaͤhlen , durch welche
Huͤlfsmittel ſich dieſes Kloſter den ſo großen
Ruf erworben hatte , und wie die Moͤnche deſ-
ſelben handelten , um die Buͤſſenden in dem
ſchrecklichen Irrwahne zu beſtaͤrken , daß man
durch ein oft wiederholtes Gebet und durch
Opfer , welche man darbrachte , Mord und
Todſchlag verſoͤhnen , und die ſcheuslichſten
Verbrechen der ausgearteten Menſchheit ins
Meer der Vergeſſenheit ſenken koͤnne . Ich
werde mich bei dieſer Erzaͤhlung aͤuſſerſt beſ er -
den , den unbefangenen Geſchichtſchreiber nach-
zuahmen , der nur das erwieſene , hiſtoriſch
richtige Faktum darſtellt , es mit keiner
Schminke beſudelt , aber auch keine Schminke
duldet . Groß ſind oft die Thaten des Aber-
glaubens , aber auch eben ſo verheerend ſeine
Wuͤrkungen ! Wollte Gott , ich koͤnnte mit
Gewißheit ſagen : Sie warens ! Wollte Gott ,
ich muͤßte nicht mit geſenktem Blicke geſtehen :
Sie ſinds noch !
In den angenehmen , ſo laut Gottes Groͤſ-
ſe und Allmacht verkuͤndigenden Thaͤlern des
T—Landes , liegt ein groſſes , ſehr ſchoͤnes
Kloſter . Es lehnt ſeine hohen und ſtolzen
Mauern an einen Berg , deſſen Gipfel ewiger
Schnee , ewiges Eis deckt , es blickt dem muͤ-
den Pilger einladend durchs enge Thal entge-
gen , es wuͤrde die Bewunderung eines jeden
Wanderers erregen , wenn nicht eben ſeine
Lage am deutlichſten bewieſe , daß des Men-
ſchen groͤßtes Werk , die kleinſte Kleinigkeit
ſey . Alle die weitlaͤufigen Gebaͤude , alle die
hohen , glaͤnzenden Thuͤrme ſchwinden in einen
unmerkbaren Punkt zuſammen , wenn man ſie
mit der Allmachtsgroͤſſe des Schoͤpfers ver-
gleicht , wenn man ſie mit den ungeheuern
Bergen mißt , die ſeine ſtarke Hand hieher
ſezte . Der dumpfe , durchdringende Ton der
Glocken , welche des Kloſters Thuͤrme zieren ,
fliegt dem horchenden Ohre unhoͤrbar voruͤber ,
wenn der Donner zwiſchen den Felſen rollt ,
oder die groſſen Eisklumpen ins wilde Thal
hinabſtuͤrzen , daß die Erde bebt , und der
Schall in den Kluͤften umherbruͤllt .
Vor fuͤnfhundert Jahren baute hier ein
Buͤſſender ſeine einſame Zelle , und ſtarb im
Rufe der Heiligkeit . Im ſpaͤtern Jahrhunder-
te gab dies einigen wandernden Moͤnchen Gele-
genheit , hier ein Kloͤſterlein zu ſtiften , wel-
ches nach und nach die ſterbenden Edeln des
Landes
Landes reichlich begabten . Ehe die Haͤlfte ei-
nes neuen Jahrhunderts verfloß , wandelte
dieſe Vergrabung das hoͤlzerne Thuͤrmlein in
einen hohen Thurm um , deſſen Quaderſteine
weit ins Thal hinabglaͤnzten , die niedern Zel-
len der Moͤnche erweiterten ſich in hohe , lufti-
ge Gemaͤcher , die Raum genug hatten , ein
Duzend Zecher und luſtige Trinker zu faſſen .
Schon damals ging die Sage durchs Land ,
daß man ſich in dieſem Kloſter von allen ſeinen
Suͤnden reinigen , die ſchwerſte Laſt von Herz
und Gewiſſen wegbeten koͤnne , weil der erſte
Stifter dieſes Kloſters , ein Erzgauner , ein
verruchter Boͤſewicht , hier nicht allein Verge-
bung erflehte , ſondern auch Kraft erhielt ,
Wunder zu wuͤrken , Kranke zu heilen und
Teufel auszutreiben .
Dieſe Sage , welche manchen am Rande
des Lebens ſchaudernden Suͤnder zur neuen
Vergabung reizte , war ganz gewiß die Urſache ,
Biogr. d. W. 4r Bd. N
daß die immer ſich mehrenden , immer uͤppiger
lebenden Moͤnche ſich nach und nach in den Au-
gen der unwiſſenden Laien zu Heiligen erhoben ,
die jedes Andenken der ruchloſeſten Miſſethat
tilgen , jedes Verbrechen verſoͤhnen koͤnnten .
Lange herrſchte dieſer blinde Glaube im Lande ,
und naͤhrte die Moͤnche reichlich , als aber an-
dere Kloͤſter erbaut wurden , und ſich des nem-
lichen Vorzugs ruͤhmten , da ſuchte der Reuen-
de nicht mehr in der Ferne , was er in der Naͤ-
he fand , und die Einnahme des ſonſt ſo be-
ruͤhmten Kloſters verringerte ſich um ein
groſſes .
Damals theilten ſich bruͤderlich , in den ſo-
genannten Spekulationshandel , Moͤnche und
Juden . Beide betrogen wakker , nur mit dem
Unterſchiede , daß der Erſtere ſeinen treuherzi-
gen Kaͤufer immer nur kuͤnftiges Gut verkauf-
te , da der Leztere doch immer , wenn er auch
noch ſo viel gewann , etwas Reelles liefern
muſte . Hoch geehrt wurde in jedem Kloſter
derjenige Moͤnch , welcher den Mechanismus
dieſes eintraͤglichen Handels vollkommen ver-
ſtand , und ſich in der lezten Lebensſtunde , wo
man ſo gerne fuͤr allen irrdiſchen Tand jenſeiti-
ge Gewißheit kaufen moͤchte , als ein geiſtlicher
Wucherer bewies . Dieſe Maͤkler konnten dann
ſicher auf Ehrenſtellen rechnen , aus ihnen ward
immer der geſchickteſte zum Abte erwaͤhlt .
Eben wie man aus Mangel des geiſtlichen
Wechſelnegozes im Kloſter zu T — taͤglich eine
Speiſe weniger auf die Tafel ſetzen muſte , nur
vier , ſtatt ſechs Becher Wein leeren konnte ,
ſtarb der alte , unthaͤtige Abt , und einer der
geſchickteſten Maͤkler behauptete ſeinen Plaz .
Er unterſuchte mit Forſcherblick den Verfall der
kloͤſterlichen Einkuͤnfte , er blickte durchs lange
Thal hinab , ins tiefe Deutſchland hinein und
uͤberzeugte ſich deutlich , daß im fetten Boden
des Aberglaubens die Kloͤſter wie Pilze empor
N 2
gewachſen , in jedem derſelben Wechſelbanken
errichtet waren , die von der paͤpſtlichen Kam-
mer gegen aͤuſſerſt billige Prozente privilegirt
wurden , unter eigner Firma Anweiſungen auf
den unerſchoͤpflichen Gnadenfond des ewigen
Jenſeits auszuſtellen . Er ſann nach , wie er
allen dieſen Nebenbuhlern den Rang abgewin-
nen , wie er den idealiſchen Gewinn des Kaͤu-
fers verſinnlichen , anſchauend darſtellen , und
dadurch die Kaufluſtigen aus der Naͤhe und Fer-
ne herbeylokken koͤnne .
Und ſieh da , ſein Wunſch gelang vollkom-
men , ſein Projekt uͤbertraf ſelbſt die kuͤhne
Erwartung eines jeden Moͤnches . Er baute ,
um ſeinen Entzweck zu erreichen , in der Kir-
che des Kloſters ein neues Hochaltar , So wird in jeder katholiſchen Kirche dasjenige
Altar genannt , welches in der Mitte des Hin-
tergrundes der Kirche ſteht , und in deſſen Ta-
bernakel die geweihten Hoſtien ( das Hochwuͤr-
digſte ) aufbewahrt werden .
hinter dem Tabernakel deſſelben , ließ er eine
große , viereckichte Oefnung woͤlben , in welche
er nichts mehr und nichts weniger , als eine
ſimple Laterna magika ſtellte , deren Bilder
man nach Gefallen , ohne von dem Poͤbel geſe-
hen zu werden , in dem Innern des Altars
verwechſeln konnte . Ein Bild , welches den
ofnen Hoͤllenrachen mit allen ſeinen Attributen
à la Kochem vorſtellte , ein anderes , welches
den Heiland der Menſchen , wie er eben blu-
tend am Kreuze verſchied , und ein drittes ,
welches die Seligkeiten des Himmels nach irr-
diſchen Ideen ſehr reizend abbildete , waren die
drei weſentlichſten Vorſtellungen , mit welchen
er dieſe Laterna magika auszierte .
Wenn nun in der Folge ein Suͤnder im
Beichtſtuhle erſchien , ſo war ſein Beichtvater
ſchon unterrichtet . Iſt deine Reue , ſprach er
dann zum Beichtenden , aͤcht und rein , ſo iſt
mir Gewalt gegeben , dich der Suͤnde und
Strafe zu entbinden . Doch vorher will ich dir
Gelegenheit goͤnnen , dich von deinem jetzigen
Zuſtande zu uͤberzeugen . Geh hinter den ho-
hen Altar , ſteige fuͤnf Stufen in die Hoͤhe ,
blicke ins Allerheiligſte , und bringe mir Nach-
richt : Was du ſahſt ! — — Zitternd und be-
bend kehrte dann immer der Suͤnder zuruͤck ,
denn es war ſchon feſt geſezt , daß er zum er-
ſtenmale den ofnen Hoͤllenrachen ſehen muſte ,
in welchen eben einige feuerſpruͤende Teufel eine
arme Seele einfuͤhrten . Ja , ja ! verlohren ,
verdammt biſt du , entgegnete dann immer der
Beichtvater dem zagenden Buͤßer , muſt ſtracks
zur Hoͤlle wandern , wenn du nicht aͤchte Buße
thuſt , nicht eifrige Fuͤrbitter waͤhlſt ! — —
Welcher Nothleidende und Huͤlfsbeduͤrfige
haſcht nicht gerne nach den Leztern , er heiſchte
ſie ſtets dringend , und da man ſich hienieden
nicht gerne vergebens bemuͤht , ſo ward allemal
der Vermoͤgensſtand des Bußfertigen ſorgfaͤltig
gepruͤft , und dann das Opfer feſtgeſezt , wel-
ches er dem Kloſter darbringen muſte , wenn
es dagegen ſein eifriger Fuͤrbitter werden ſollte .
Der Buͤſſende ward , wenn er dies erlegte ,
auf drei , ſechs , auch zehn und zwanzig Tage
zur Geduld verwieſen , muſte dieſe Zeit hin-
durch fleiſſig in der Herberge des Kloſters zeh-
ren , emſig in der Kirche deſſelben beten , und
genoß dabei die ſuͤſſe Hofnung , daß alle Gebe-
te , alle Meſſen , welche unter dieſer Zeit von
den Moͤnchen geſprochen und geleſen worden ,
zu ſeiner Verſoͤhnung kraͤftiglich wuͤrken wuͤr-
den .
War nun die Pruͤfungszeit vollendet , ſo
erſchien der Suͤnder wieder im Beichtſtuhle ,
und ward ſogleich zum zweiten Blicke ins Aller-
heilige verwieſen . Er ſah dann gemeiniglich
den ſterbenden Heiland am Kreuze . Frohlok-
kend rief alsdann der Moͤnch dem ruͤckgekehrten
Erzaͤhler zu : Gluͤcklicher Sterblicher , dein
Heiland will dein Vermittler werden , will mit
ſeinem koſtbaren Blute deine Suͤnden abwa-
ſchen , will dich mit dem ſtrengen , vaͤterlichen
Richter verſoͤhnen . Halte an , im Gebete ,
opfere noch mehr , und du wirſt gereinigt von
deinen Miſſethaten von hinnen ziehen !
Der Suͤnder befolgte den Auftrag puͤnkt-
lich , kehrte zur beſtimmten Zeit zuruͤck , ſah
zum leztenmale ins Allerheilige , und ſah
dann gemeiniglich den ofnen Himmel , zu wel-
chem eine weiſſe Taube empor flog , die viele
Engel mit ofnen Armen erwarteten . Die weiſ-
ſe Taube , ſprach nun der Beichtvater , iſt
deine von allen Suͤnden und Verbrechen gerei-
nigte Seele , ſo wird ſie ſchnur ſtracks gen
Himmel fahren , wenn du izt ſtirbſt , oder in
der Folge nicht mehr ſuͤndigſt ! Gehe in Frie-
den , deine Suͤnden ſind vergeben und ver-
ſoͤhnt . Du biſt nun ein ſicherer und kuͤnftiger
Bewohner des Himmels !
Man ſetze ſich nun in die Lage des armen
Suͤnders , man denke ſich nun den feſten Glau-
ben deſſelben , und fuͤhle Freude und Wonne
mit ihm ! Kein Gewiſſensbiß nagt mehr an
ſeinem Herzen , keine Laſt aͤngſtigt und quaͤlt
es mehr , er hat ſich mit eignen Augen uͤber-
zeugt , daß er gereinigt ſey von allen ſeinen
Suͤnden , daß er im Himmel mit ofnen Armen
erwartet werde . Ganz natuͤrlich wars nun ,
daß er aus Dankbarkeit der Verkuͤndiger der
groſſen Wunder wurde , welche die Moͤnche zu
T — taͤglich uͤbten , daß er jeden , den ſein
Gewiſſen aͤngſtigte , zur vollkomnen Verſoͤh-
nung dahin verwies .
Ehe zwei Jahre verfloſſen , ſprach ſchon
halb Deutſchland von der wunderthaͤtigen
Macht des Kloſters , ehe das dritte endigte ,
wallfahrteten ſchon alle , die mit ſchweren Suͤn-
den beladen waren , dahin , um gereinigt und
verſoͤhnt ruͤckkehren zu koͤnnen . Ueberfluß und
Genuß aller Delikateſſen herrſchte bald in
dieſem Kloſter , und da der Abt klug genug
war , die Brodſamen , welche vom Tiſche ſei-
ner ſchwelgenden Moͤnche herabfielen , unter
die nahen und entfernten Kloͤſter ſeines Ordens
bruͤderlich zu vertheilen , ſo wurden dieſe aus
Dankbarkeit die Lobredner des unerſchoͤpflichen
Gnadenquells , welcher im Kloſter zu T —
zum Troſte und zur Erquickung der bußfertigen
Suͤnder entſprungen ſey , und ſtets reichlich
hervorſtroͤme . Das elende Kunſt- und Trug-
ſtuͤck des Abts ward mit dem Teiche Bethſaida
verglichen , und jenem der Vorzug noch uͤber
den lezten eingeraͤumt , weil man dort nicht
Jahre nur Tagelang harren mußte , um ge-
heilt und geſund heim zu gehen .
Da die Erfindung des Abts ſo herrliche
Fruͤchte brachte , ſo ward ſie in der Folge weit
ſtaͤrker vermehrt und verfeinert . Man ſtellte
in dieſe Laterna magika noch viele andere Bilder ,
welche , je nachdem der Spaͤhende reich oder
arm war , die Verſoͤhnung verzoͤgerten oder
befoͤrderten . Oft , wenn er vor dem ofnen Hoͤl-
lenrachen zuruͤckbebte , und wieder hinzutrat ,
ſah er erſt die Quaalen des Fegfeuers , und
wenn er ſich durch neue Opfer aus dieſem erret-
tet hatte , fand er einen betenden Heiligen ,
der fuͤr ihn mit erhabnen Armen zum Himmel
flehte . Neue Opfer brachten ihn dann endlich
dem Himmel naͤher .
Um Ordnung unter der Menge der Beich-
tenden zu erhalten , ward in der Folge der ſo
wunderthaͤtige Kaſten verſperrt , und der Suͤn-
der , welchem ein Blick darein vergoͤnnt wurde ,
erhielt erſt aus der Hand ſeines Beichtvaters
den Schluͤſſel dazu . Aufmerkſame Beobachter
wollen wahrgenommeu wahrgenommen haben , daß ein gehei-
mer Glockenzug dann immer den Direktor der
Maſchine unterrichtete : Welches Bild er dem
Kommenden darſtellen ſollte .
Wahr und gewiß iſt es uͤbrigens , daß
ſich dieſe Taͤuſchung bis in unſer Jahrhundert
erhielt , daß ſie noch vor einigen Jahren , oh-
ne Hinderniß , ohne Entdeckung zu befuͤrchten ,
fortwuͤrkte !!! Der denkende Reiſende erſtaunt
mit vollem Rechte , wenn er dies Kinderſpiel
beherzigt , ſeine groſſe , oft auch ſchreckliche
Wuͤrkung uͤberdenkt . Die Pracht der Kirche iſt
groß , die Schazkammer derſelben , der Werth
der goldnen und ſilbernen Opfer uͤberſteigt alle
Erwartung . Pilger aller Nazionen verſam-
meln ſich dort , und finden in den haͤufigen
Beichtſtuͤhlen ihrer Sprache kundige Moͤnche ,
die noch immer ungeſcheut das Spiel des finſter-
ſten Aberglaubens forttreiben . Es iſt unglaub-
lich , aber es iſt noch weit unglaublicher , daß
es wahr iſt !
Zu dieſem Kloſter wallfahrtete nun der
arme , geaͤngſtigte Hanns . Um fruͤher Verge-
bung ſeiner Suͤnde zu erlangen , um groͤſſere
Strafe von ſeinem Hauſe und Hofe abzuwen-
den , ſattelte er ſein beſtes Pferd , und trabte
anhaltend fort . Leicht und wohl wards ihm
ums Herz , als er von Ferne die Zinnen des
Kloſters erblickte , zagend und hoffend , fuͤrch-
tend und zweifelnd wankte er zum Hochaltar ,
als ſein Beichtvater ihm den Schluͤſſel reichte .
Er oͤfnete zitternd die Thuͤre , blickte hinein ,
ſah den ofnen Hoͤllenrachen , und die feuer-
ſpruͤhenden Teufel , welche ſeine Seele ohne
Barmherzigkeit in den Feuerpfuhl verſenkten .
Dieſer ſchreckliche , unerwartete Anblick raubte
dem Ungluͤcklichen auf der Stelle ſeinen Ver-
ſtand , er war mit der feſten Ueberzeugung hie-
her gereiſt , daß er nur hier Vergebung ſeiner
ſchweren Suͤnde erlangen koͤnne , er hatte mit
vollem Rechte Troſt , wenigſtens Hofnung er-
wartet . Der ſchreckliche Anblick raubte ihm
beides . Du biſt ewig verdammt ! ſchallte es
in ſein Ohr und drang durch alle Nerven . Ich
bin ewig verdammt ! lallte ſein Mund , er
eilte aus der Kirche , und wie ſein Beichtva-
ter nach ihm fragte , war er ſchon aus der Ge-
gend verſchwunden .
Erſt nach ſechs langen Wochen , kehrte er
zur harrenden Gattin heim . Sein armes
Pferd , das matt unter ihm wankte , auf zwei
Fuͤſſen hinkte , und aͤuſſerſt mager war , er-
kannte wahrſcheinlich die nahe Heimath , durch
welche der arme Wahnſinnige eben ziehen woll-
te , und trug ihn zum Stalle , in welchem es
beſſere Pflege kannte . Hier fand es am Abende
der Knecht , und ſeinen Herrn auf dieſem , er
mußte ſich muͤhen , ihn fuͤr dieſen zu achten ,
weil die wilden , ſtarren Blicke den Ungluͤckli-
chen aͤuſſerſt verſtellten . Sein Geſchrei : Der
Hauswirth iſt heimgekehrt ! erregte anfangs
Freude im ganzen Hauſe , alle eilten ihm mit
ofnen Armen entgegen , aber alle ſchauderten
zuruͤck , als er ſie mit fuͤrchterlichen Blicken an-
grinzte , als er ihnen zurief : Ich bin ver-
dammt , und ihr alle ſeyd verdammt !
Nur mit Gewalt konnte man ihn nach der
Stube ſchleppen , man mußte an ſeinem Lager
wachen , weil er immer entfliehen wollte .
Schon am dritten Tage raßte er fuͤrchterlich ,
und die trauernde Gattin konnte es nicht hin-
dern , als man ihn mit Ketten feſſelte , weil
ſie fuͤr das Leben ihrer Kinder zagte , die er
einigemal erwuͤrgen wollte , um den hungrigen
Teufel damit zu fuͤttern , welcher ſeiner Ein-
bildung nach , ſtets mit ofnen Krallen vor ihm
ſtand . Das Bild der Hoͤlle ſtand feſt vor ſei-
ner Seele , ſein Weib und ſeine Kinder konn-
ten es nicht wegbeten , kein Arzt die Quaalen
lindern , welche der immer dauernde Anblick
ihm verurſachte . Ich bin verdammt ! Dies
waren die einzigen Worte , welche er ſtets und
endlich ſo ſchrecklich , ſo fuͤrchterlich ausſprach ,
daß niemand ſich ihm mehr nahen , keiner ihn
pflegen wollte .
Vergebeus verſuchten es die Moͤnche , die
Wunde zu heilen , welche ſie ſelbſt geſchlagen
hatten . Wenn ſich einer ans ihnen dem Un-
gluͤcklichen nahte , ſo raßte er ſchrecklich , und
klammerte ſich feſt an ſein Lager an , weil er
wahrſcheinlich den Moͤnch fuͤr den Teufel nahm ,
und waͤhnte , daß er ihn zur Hoͤlle ſchleppen
wolle . Dies gab in der Folge Gelegenheit ,
den armen Wahnſinnigen fuͤr einen Beſeſſenen
zu achten , den kein Prieſter retten und erloͤ-
ſen koͤnne , weil er ſich durch ſtraͤflichen Wucher
zu ſchwer an ihnen verſuͤudigt habe . So fand
der Aberglaube ſelbſt in ſeiner ſchrecklichen Wuͤr-
kung neue Nahrung , und errichtete ſich einen
Thron auf dem Ruͤcken des Elenden , den er
vorher zu Boden getreten hatte .
Die
Die Anverwandten des Ungluͤcklichen er-
fuhren nie die eigentliche Urſache ſeines Wahn-
ſinnes , ſie waͤhnten nur , daß ſein Verbre-
chen ihm ſchon fruͤher den Verſtand verwirrt
habe , ehe er ſeine Wallfahrt vollendete , und
den Gnadenort erreichte . Die Moͤnche be-
ſtaͤrkten ſie in dieſer Meinung , und nahmen
ohne Scheu die haͤufigen Opfer an , welche
ihnen die arme Gattin darbrachte , um das
Leiden ihres Mannes zu mildern .
Er ſtarb erſt nach funfzehn Jahren , er
duldete hienieden noch ſchreckliche Pein , er
ſtarb in einem heftigen Anfalle von Raſerei ,
und ging in eine beſſere Welt hinuͤber , wo
kein Moͤnchstrug das hellſehende Auge blendet ,
wo er den gerechten , aber auch barmherzig-
ſten Richter fand , den haabſuͤchtige Prieſter
oft als den groͤßten Tirannen ſchildern .
Biogr. d. W. 4r Bd. O
O die Wuͤrkungen des Aberglaubens und
ſeines taͤuſchenden Trugs ſind ſchrecklicher ,
ſind verheerender , als der Philoſoph glaubt ,
und der Menſchenfreund waͤhnt . Wollte ich
nur die Biographien der Ungluͤcklichen liefern ,
welche in der Hand eines harten Beichtvaters ,
eines fanatiſchen Predigers ihren Verſtand
verlohren , mein Werk wuͤrde zu einer Groͤſſe
anwachſen , die ſelbſt der weite Arm der ſanf-
ten Duldung nicht umfaſſen koͤnnte . Ich ver-
ehre die Religion mit innigſter Ehrfurcht , ich
verehre die wuͤrdigen Diener derſelben , aber
ich haſſe den Hirten , welcher ſeine Heerde mit
Fantomen und Geſpenſtern ſchreckt , und ſie
hindert , die Weide zu genuͤßen , welche
Gott zu ihrem Genuſſe erſchaffen hat .
Wenn man zur Zinne der Wahrheit em-
por klimmt , und hinab blickt ins Thal , in
die Werkſtaͤtte des Aberglaubens , ſo muß
man uͤber ſeine Thaten erſtaunen . Hier baut
er ſchwankende Bruͤcken uͤber die fuͤrchterlich-
ſten Abgruͤnde , dort ſtellt er warnende Zei-
chen am Graͤbchen aus , das der ſechsjaͤhrige
Knabe ohne Gefahr uͤberſchreiten kann . Er
laͤßt ſeine Diener am ſchroffen Felſen umher-
klettern , und ſpottet des Klugen , der auf
der breiten , gebahnten Heerſtraſſe wandelt .
Er entreißt der weinenden Witwe den ſchir-
menden Schild , und deckt damit den Moͤrder
ihres Gatten . Er reicht der frohen Buhldirne
ſeine Hand , und ſtoͤßt die tugendhafte Jung-
frau vom Pfade hinab , auf welchem er jene
leiten will . Er wirft Feuer in die friedliche
Huͤtte des Weiſen , und baut der Dummheit
vergoldete Pallaͤſte . Er ſtiehlt dem hungrigen
Armen ſein Brod , und maͤſtet damit die
Hunde der Reichen . Er handelt mit Fetzen
und Lumpen , und laͤßt ſich ſolche gleich Dia-
manten bezahlen . Er mißt die ewige Selig-
keit mit der Elle , und verkauft die Laͤnge ei-
nes Jahrtauſends fuͤr einen Pfennig ! Er be-
O 2
weiſt mit unumſtoͤßlichen Gruͤnden , daß der
Geizhals , Trunkenbold , Wolluͤſtling und
Moͤrder nicht in das Reich Gottes eingehen
koͤnne , und gibt jedem aus dieſen einen Frei-
brief , damit er auf einem Seitenwege hinein-
ſchleichen koͤnne . Er verflucht den Judas
Iſchariot , der ſeinen Meiſter um dreiſig Sil-
berlinge verrieth , und bietet im folgenden
Augenblicke um einen derſelben dem Unwuͤr-
digſten der Menſchen das Verdienſt des goͤtt-
lichen Heilandes zum Kaufe an . Er wuchert
mit Himmel und Hoͤlle , und ſchachert gleich
einem Juden mit dem Fegfeuer .
Das ſteinerne Brautbett ;
oder
Hugo und Kleta .
( Fortſetzung . )
W ie Hugo am andern Morgen zu Edel-
drud eilte , um uͤber das , was ſie ihm am
vorigen Tag nicht entdecken wollte , Auf-
ſchluß zu erhalten , fand er dieſelbe tod . —
Die trauernde Kleta ſank ſchluchzend in ſeine
Arme , und ohne zu ſprechen , rannen haͤu-
fige Thraͤnen ihre Wangen herab . Nichts
war im Stande , die Traurende zu beruhi-
gen . Hugo mußte , nach damaliger Sitte ,
ſich entfernen , und durfte nur erſt , als
Edeldrud beerdiget war , zu Kleta wieder
kehren . Ihm duͤnkten dieſe wenigen Tage
eine Ewigkeit . Endlich verfloſſen auch dieſe ,
und er ſah ſeine Kleta wieder .
Mein Hugo , ſprach ſie , der Fluch mei-
ner Mutter ruht auf mir , wenn ich dich
liebe ! und doch — und doch ! — hier ver-
barg ſie ſich an ſeinen Buſen ; nur der Grund
des Verbots von Eldruden blieb ihnen ein
Geheimnis . Endlich erinnerte ſich Kleta des
Schmuckkaͤſtchens , wovon ihre Mutter ihr
geſagt hatte , und worinnen die Papiere der-
ſelben verwahrt lagen ; allein ein Zeddel ,
welcher daran befeſtiget war , mit dem Be-
fehle : Solches nicht eher als einen Monden
nach Kleta's Heirath zu eroͤfnen ; vernich-
tete auch dieſe Hofnung .
Man dachte endlich an den Moͤnch , und
an den Eindruck , den derſelbe auf Edeldrud ,
und dieſe auf ihn gemacht hatte : aber bei
der Kunde nach dieſem ward ihnen zur Ant-
wort , daß er an einem hitzigen Fieber dar-
nieder liege , und daß man an ſeinem Leben
zweifle . Alſo war auch hier keine Auskunft
zu erwarten .
Hugo , der dem Gluͤck ſeiner Liebe ſich
ſo nahe glaubte , ſah ſich immer weiter da-
von entfernt . Der Kaiſer Ludwig , den Re-
gierungsgeſchaͤfte nach Muͤnchen riefen , ließ
Zubereitungen treffen , um dahin aufzubre-
chen . Hugo war genoͤthiget , demſelben zu
folgen , allein Kleta unbeſchuͤtzt zuruͤck zu
laſſen , ſchien ihm unmoͤglich . Er verſuchte
alles , ſeine Kleta zu einer Verbindung mit
ihm zu bereden . Sie war es zufrieden ,
wenn ein Prieſter den ſchrecklichen Fluch ih-
rer Mutter loͤſen wuͤrde . Sehr bald fand
ſich ein dienſtfertiger Prieſter , der denſelben
aufhob ; und Kleta eilte mit ihrem Gelieb-
ten nach Muͤnchen , wo nach Verlauf eini-
ger Monate die Hand eines Prieſters ſie
auf immer verband .
Indeß Hugo und Kleta im Genuß ihrer
Liebe ſich gluͤcklich fuͤhlen , kehren wir nach
Regensburg zuruͤck . Nach einigen Monden
erholte ſich der Moͤnch , der bei dem Anblick
Edeldruds ſo betroffen war , von ſeiner
Krankheit . Er erkundigte ſich ſogleich nach
Edeldrud und Kleta , man berichtete ihm den
Tod der erſtern , und auch , daß Kleta mit
Hugo nach Muͤnchen gereiſet , und wahrſchein-
lich nun mit ihm vermaͤhlt ſei .
Haͤtte Edeldrud ihrer Tochter erlaubt ,
ihre Lebensgeſchicke fruͤher zu eroͤfnen , ſo
wuͤrde ſie ihr einziges Kind nicht in graͤn-
zenloſes Elend geſtuͤrzt haben . Um dieſes
zu verhindern , eilte der alte Moͤnch , der
niemand anders als Otto von Fahrwangen
war , nach Muͤnchen ; Kleta aber war be-
reits mit Hugo nach ihrer muͤtterlichen Burg
in Boͤhmen abgereiſt , wohin auch er in ſchnel-
ler Eile folgte . Er fand dieſelben bei ſeiner
Ankunft in ihrem Garten . Sein fuͤrchter-
licher Blick ſchreckte beide , und ſie argwoͤhn-
ten den Sturm , der ihnen drohte .
Moͤnch . Ihr ſeid verheirathet ?
Hugo . Seit einem Monden .
Moͤnch . Ungluͤckliche ! und ihr ahndet
nichts — — Kleta iſt deine Schweſter , du ,
Hugo , biſt ihr Bruder .
Bei dieſen Worten war der Greis einer
Ohnmacht nahe — Hugo wollte ihn zu einer
Raſenbank leiten —
Moͤnch . ( auf Kleta zeigend ) Ste-
he erſt dieſer bei , dann will ich weiter mit
dir ſprechen . Meine Nachricht war ihrem
Ohre zu ſchrecklich , ſie ſinkt , ſtehe ihr bei ,
ich vermags nicht !
Erſt als Kleta wirklich ſank , eilte Hu-
go zu ihrer Huͤlfe herbei , die er ſelbſt noͤ-
thig hatte , weil die Schreckensworte des
Unbekannten all ſein Gluͤck , alle ſeine fro-
hen Ausſichten mit einmal vernichteten . Er
ſchlepte die Ohnmaͤchtige nach ihrem Ge-
mache , und eilte in den Garten zuruͤck ,
um die ſchreckliche Nachricht beſſer zu pruͤ-
fen , ſie mit allen moͤglichen Gegengruͤnden
zu beſtreiten . Aber bald ward ihm volle
Gewißheit ſeines Ungluͤcks .
Sein ehemaliger Pflegvater , der Edle
von Immenthal , hatte ihn lange Zeit als
ſeinen eignen Sohn erzogen , wie er aber
alt und ſiech wurde , da entdeckte er ihm ,
daß er nicht ſein Kind , ſondern der Sohn
des Ungluͤcklichen Otto von Farwangen ſei ,
den er einſt als Freund liebte , und der
ihm ſolchen , wie er noch nicht lallen konnte ,
bei Nachtzeit uͤberbracht , und als das ein-
zige Pfand einer hoͤchſt ungluͤcklichen , aber
namloſen Liebe anvertraut habe . Ich weiß
nicht , ſprach der Greis damals zu Hugo ,
ob dein Vater noch hienieden wallt , damit
du ihn aber , wenn dich Gott in ſeine Ar-
me fuͤhren ſollte , ſicher und gewiß erkennſt ,
ſo verwahre dieſes Stuͤck eines zerbrochnen
Ringes mit moͤglichſter Sorgfalt . Derje-
nige , welcher dir die andre Haͤlfte zeigt ,
iſt dein Vater , ehre ihn als dieſen , denn
er iſt hoͤchſt ungluͤcklich , leider aber auch
hoͤchſt unſchuldig . Sage ihm , daß ich alles
gethan habe , um Freundespflicht an dir zu
erfuͤllen . Sein Name iſt ausgeloͤſcht unter
den Namen der Edlen des Landes , ich habe
es durch dringende Bitte beim Kaiſer erhal-
ten , daß du den Meinigen fuͤhren darfſt .
Wollte Gott , ich koͤnnte dir auch meine Veſte
zum Erbtheile hinterlaſſen , aber , ehe ich
dieſe zweite Bitte an den Kaiſer wagte , war
mit dieſer ſchon ein verdienter Krieger be-
lehnt worden , ich kann dir nichts als mein
Schwerdt hinterlaſſen , welches dir , wenn
du es gut fuͤhrſt , erſt eine aͤhnliche Beloh-
nung erwerben muß .
Hugo erinnerte ſich izt dieſer Worte .
Er trug die Haͤlfte des goldnen Rings ſtets
auf ſeiner Bruſt , er war ſtolz auf ſeinen
ungluͤcklichen Vater , dem der izt regierende
Kaiſer ſchon laͤngſt zu verzeihen geneigt war ;
er wuͤnſchte oft ſehnlich , ihn zu ſehen und
zu umarmen , aber er waͤhnte nicht , daß
die Erfuͤllung dieſes Wunſches ihn hoͤchſt un-
gluͤcklich machen wuͤrde . Izt nahte er ſich ,
mit dem Ringe in der Hand , zitternd dem
Moͤnche .
Ha , ich verſtehe , ſprach dieſer , du willſt
pruͤfen : Ob ich dein Vater bin ? Da nimm
( indem er ihm die andre Haͤlfte
reichte ) und ſieh zu , ob ſie nicht eins aus-
machen . Hugo fuͤgte die Stuͤcke zitternd zu-
ſammen , und ſank uͤberzeugend zu des
Moͤnchs Fuͤſſen nieder . Wenn du mir auch
den Todesbecher reichſt , ſo ſoll dieſe Grau-
ſamkeit mich doch nicht hindern , dich als
Vater zu gruͤſſen und zu ehren . Der Moͤnch
ſank geruͤhrt an ſeine Bruſt hinab , ſie fuͤhl-
ten noch lange , ehe Hugo es wagte den wie-
dergefundenen Vater zu fragen : Ob ſein ge-
liebtes Weib wuͤrklich ſeine Schweſter ſei ?
Ob Trennung von ihr ihn wuͤrklich graͤnzen-
los elend machen muͤſſe ?
Moͤnch . Wollte Gott , ich koͤnnte dich
troͤſten ! Wollte Gott , ich haͤtte deine un-
gluͤckliche Heirath nie erfahren . Der Un-
wiſſende kann nicht ſuͤndigen , ihm wird da-
her ſichere Verzeihung , aber izt — — izt
muß ich reden , ich kann , ich darf meine
Suͤndenſchale nicht noch mehr belaſten , ſie
iſt ohnehin tief geſunken . Nur Vertrauen
auf die unendliche Barmherzigkeit des Ewi-
gen laͤßt mich hoffen , daß meine Reue ſie
heben wird . Um dich zu uͤberzeugen , muß
ich dir meine ganze Lebensgeſchichte erzaͤhlen .
Verachte mich nicht , wenn dein Vater dir
offen geſteht , daß er einſt ein ruchloſer Boͤ-
ſewicht war .
Ich diente , als ich vier und zwanzig
Jahr alt war , an Kaiſer Albrechts Hofe ,
Rudolph von Palm war mein vertrauteſter
Freund , er verbuͤndete ſich mit Herzog Jo-
hann gegen das Leben des Kaiſers , und
fuͤhrte in ſeiner Geſellſchaft das Bubenſtuͤck
aus . Ich hatte keinen Theil an der That ,
ich muthmaßte ſie nur aus ſeinen zweideuti-
gen Reden , und war zu ſehr Freund , um
ihn durch Verrath ungluͤcklich zu machen .
Ich blieb , als die Thaͤter flohen . Wie
aber Albrechts Kinder das Rachſchwerdt er-
griffen , jeden , der mit den Thaͤtern ehe-
mals Gemeinſchaft pflog , vor ihr Gericht
fuͤhrten , und oft allzu ſtreng richteten , da
trieb auch mich Angſt und Furcht in die
Flucht .
Ich ward dadurch verdaͤchtig , uͤberall
geſucht und verfolgt . Ich floh bis an Boͤh-
mens Graͤnzen , irrte in ſeinen Waͤldern
umher , und machte endlich mit einer Raͤu-
berhorde Bekantſchaft , welche in den Hoͤh-
len des Forſtes ungeſtoͤhrt wohnte , und
mich in ihren Bund aufzunehmen verſprach .
Ich ſah nirgends Sicherheit , nirgends Hof-
nung fuͤr mich , und ergriff dieſe einzige ,
um mein Leben zu friſten , nicht Hunger
zu ſterben . Ich bekenne es dir offen , daß
ich in ihrer Geſellſchaft raubte , und mir
bald durch meine Tapferkeit Anſehen und
Hochachtung erwarb .
Um ihren maͤchtigen Bund fuͤr Entdek-
kung , und moͤglichem Verrath zu ſichern ,
hatten ſie manche grauſame Geſetze unter ſich
errichtet . Eines der grauſamſten war , daß
zwar jedes Glied berechtigt war , ſich unter
den Toͤchtern des Landes eine Dirne zu rau-
ben , und ſie als ſein Weib heimzufuͤhren ,
aber er mußte vorher ſchwoͤren , daß er es
nicht hindern wolle , wenn man der Ungluͤck-
lichen die Zunge abſchneide , damit ſie bei
moͤglicher Flucht oder Entdeckung nichts ver-
rathen koͤnne . Ich ſchauderte , als ich ſehr
viele ſolcher ungluͤcklichen Geſchoͤpfe in den
Hoͤhlen umherwandeln ſah , ich ſtaunte aber
noch mehr , als ich mich uͤberzeugte , daß
viele dieſer ſprachloſen Dirnen ihren Gatten
offen
offen und innig liebten , ihre Kinder ſorg-
faͤltig , und als treue Muͤtter pflegten .
Nach einem Jahre ſtarb der Anfuͤhrer
der Horde , welche izt uͤber dreihundert
Glieder ſtark war . Alle erkannten mich als
den Tapferſten , und waͤhlten mich zu ihrem
Hauptmanne ; ich mußte ſchwoͤren , daß ich
ihren Bund aufrecht erhalten , und jedes Ge-
ſetz mit Strenge ſchuͤtzen wollte . Wie ich
einſt mit einigen meiner Untergebnen von ei-
nem gluͤcklichen Raube zuruͤck nach unſerm
Forſte kehrte , begegnete mir die ſchoͤne Edel-
drud , ſie hatte wahrſcheinlich iu einer na-
hen Kapelle gebetet , ihr Schleier wallte frei
umher , ſie deckte erſt ihr Angeſicht damit ,
als wir uns ganz nahten . Ihr Engelge-
ſicht , ihre reizende Geſtalt weckte Liebe in
mir , mein Herz flog ihr entgegen , und
folgte unwillkuͤrlich , als ſie nach der vaͤter-
lichen Veſte zog . Ich waͤlzte mich ſchlaflos
Biogr. d. W. 4r Bd. P
auf meinem Lager umher , ich ſah nur ihre Ge-
ſtalt , innige Liebe zu ihr wallte durch mein
heiſſes Blut , durchdrang jede meiner Nerven ,
und machte ſie kraftlos , ich glich einem Traͤn-
menden , einem Kinde , das emporſtrebt und
wieder zuruͤckſinkt .
Die Raͤuber achteten mich fuͤr krank , und
goͤnnten mir Ruhe , ich nuͤzte ſie , und verbarg
mich taͤglich nahe bei der Kapelle , um die
holde Dirne noch einmal zu ſehen . Sie kam
oft dahin , und meine Liebe mehrte ſich immer ,
ſie heiſchte ſtuͤrmiſch Troſt und Rettung , ich
wallte verzweiflungsvoll umher , und wuͤrde
untergelegen ſeyn , wenn einige Raͤuber nicht
meinen Zuſtand geahndet , mir Ausſichten ge-
oͤfnet haͤtten , die ich vorher nie zu denken
wagte .
Sie riethen mir einſtimmig , daß ich die
Dirne entfuͤhren , und zu meinem Weibe ma-
chen ſolle . Ich ergrif dieſen Rath mit ungeſtuͤ-
mer Freude , aber ich ſchauderte zuruͤck , als ich
uͤberlegte , daß ich ſie huͤlflos ungluͤcklich ma-
chen wuͤrde , wenn man das grauſame Geſetz
an ihr uͤben , ihr die Zunge abſchneiden werde ,
die izt immer ſo andaͤchtig betete . Laßt mich
ſterben , ſprach ich zu den Raͤubern , ich liebe
nicht gleich euch , ich kann den Gegenſtand mei-
ner innigſten Liebe nicht verunſtaltet ſehen .
Die Raͤuber ſchienen mein Leid zu fuͤhlen , ſie
ſahen nebenbei ein , daß ich unthaͤtig verſchmach-
ten wuͤrde , ſie traten an mein Lager , und ver-
ſprachen mir , des Geſetzes Vollſtreckung nicht
zu fordern , aus aͤchter Neigung zu ihrem
Hauptmanne eine Ausnahme zu machen , und
meines kuͤnftigen Weibes Zunge nicht zu beruͤh-
ren . Dieſes Geluͤbde machte mich wieder froh
und thaͤtig , ich zog bald hernach mit den Ta-
pferſten meiner Gefaͤhrten auf Spaͤhe , lauerte
drei Tage lang bei der Kapelle , und raubte
P 2
die Inniggeliebte gluͤcklich am Abende des drit-
ten Tages .
Wir trugen ſie ohnmaͤchtig in unſre Hoͤh-
len ; als ſie erwachte , kaͤmpfte Verzweiflung
mit ihr , ſie haßte und verachtete mich als den
Urheber ihres Ungluͤcks , und fluchte mir , wenn
ich flehend Liebe von ihr heiſchte . Ihre Ge-
genwart mehrte dieſe bis zur Wuth , die ruch-
loſen Raͤuber weckten ſie noch mehr durch Spott
und Hohn , ſie lachten uͤber den ſo tapfern
Hauptmann , der ein ſchwaches Weib nicht
zwingen koͤnne . Verachte , verabſcheue deinen
Vater nicht , wenn er dir offen geſteht , daß die
Macht der heftigſten Leidenſchaft endlich ſiegte ,
daß er mit Gewalt raubte , was man ſeiner
Bitte nicht gewaͤhrte . Gluͤcklicher Erfolg kroͤn-
te dies ſchaͤndliche Unternehmen ; die kuͤhne ,
oft raſende Dirne ward bald ein duldendes ,
ſchmachtendes Weib , ſie ſchien ihr Ungluͤck tief
zu fuͤhlen , aber ſie raͤchte es nicht durch Schimpf-
worte , nur durch Thraͤnen . Schon im erſten
Jahre gebahr ſie mir einen Sohn . Dieſer
warſt du ! O ich hob dich dankend und frohlok-
kend in die Hoͤhe , als ich dich zum erſtenmale
in ihren Armen erblickte , ſie ſchien meine Liebe
zu fuͤhlen , und lohnte ſie zum erſtenmale mit
einem freiwilligen Kuſſe .
Als du erſt ein halbes Jahr alt warſt ,
ward uns Nachricht , daß der boͤhmiſche Koͤnig
Johann ſeine Braut Eliſabeth als Weib nach
Prag gefuͤhrt habe , und dieſer in einigen Ta-
gen der koſtbare Schatz folgen wuͤrde , welchen
ſie von ihrem Vater Wenzel ererbt , und
bisher auf einer Veſte bewahrt hatte , die nur
eine Tagereiſe weit von unſern Hoͤhlen entfernt
lag . Meine Gefaͤhrden hatten ausgekundſchaf-
tet , daß nur zweihundert Lanzenknechte ihn
geleiten wuͤrden , und achteten den Raub deſ-
ſelben fuͤr leicht und moͤglich .
Ich ſtellte ihnen vergebens vor , daß der
kriegeriſche Koͤnig dieſen Raub — wenn er
auch gelinge — durch die ſtrengſte Spaͤhe und
ſtaͤrkſte Rache ahnden wuͤrde , aber die Verblen-
deten behaupteten , daß dieſer Schatz hinreiche ,
jeden der Verbuͤndeten auf Lebenszeit gluͤcklich
zu machen . Wir weilen , ſprachen ſie , nur ſo
lange in unſern Hoͤhlen , bis wir ihn getheilt
haben , vernichten dann unſern Bund , und zer-
ſtreuen uns in der weiten Welt , um die
Fruͤchte unſrer Tapferkeit ruhig und ohne Ge-
fahr zu genuͤſſen . Dir ſoll vierfacher Theil
werden , du wirſt dann leicht auch einen Winkel
der Erde finden , wo du ihn mit deinem ge-
liebten Weibe eben ſo ruhig genuͤſſen kannſt .
Dies Verſprechen reizte mich , ich hatte
erfahren , daß der neuerwaͤhlte Kaiſer Heinrich
von Luxemburg die allzu ſtrenge Rache der al-
brechtiſchen Familie tadle , und zu hindern
ſuche . Ich hofte unter erborgtem Namen wie-
der in der Welt mit dem noch immer innig ge-
liebten Weibe leben zu duͤrfen , und zog mit
allen Raͤubern aus , um mein Gluͤck zu foͤrdern .
Der Kampf war leicht , der Raub gluͤcklich , die
ſichern Lanzenknechte wurden in einem Thale
uͤberfallen , und meiſtens getoͤdtet . Wie wir
aber die groſſe Menge der Saumroſſe ſeitwaͤrts
leiten wollten , zog ein bairiſcher junger Her-
zog , ein Sohn des itzigen Kaiſers Ludewig mit
ſechshundert Reitern die Straſſe herauf , um
in Prag das Hochzeitfeſt des Koͤnigs feiern zu
helfen . Einige der entflohnen Lanzenknechte
hatten ihm vom Raube benachrichtigt , und um
Huͤlfe gebeten . Er ſtuͤrmte mit Uebermacht
auf uns ein , wir mußten fliehen , und die
Beute den Siegern uͤberlaſſen . Viele der
Raͤuber blieben verwundet auf dem Schlacht-
felde liegen , aus dieſen hatte er wahrſcheinlich
das Bekenntniß unſers Aufenthaltes erzwun-
gen , denn , wie ich am andern Tage mit we-
niger als zweihundert den Eingang des For-
ſtes erreichte , ſah ich ihn mit ſeiner ganzen
Macht gegen uns anziehen . Ich gedachte mei-
ner Edeldrud und ihres Kindes , und ſandte
ſogleich dreiſig Reiter ab , damit ſie aufs eilig-
ſte Weiber , Kinder , und die in den Hoͤhlen
verborgnen Schaͤtze retten moͤchten . Ich be-
ſchied ſie nach einem andern , nns uns wohlbekann-
ten Forſte , und verſprach gegen die Sieger
wenigſtens ſo lange zu kaͤmpfen , bis ich alles
gerettet , und in Sicherheit zu ſeyn achten
wuͤrde .
Der Herzog naͤherte ſich wuͤrklich , er hatte
neuen Widerſtand nicht vermuthet , ſeine
Reiter wichen anfangs zuruͤck , wie wir uns ,
beſchuͤzt von den Baͤumen , tapfer gegen ſie
wehrten . Bald faßten ſie aber neuen Muth ,
und kaͤmpften mit Vortheil , ich mußte wei-
chen , aber ich leitete ſie abſeits , und erneuerte
immer den Kampf , um meinen Abgeſandten
Zeit zur Rettung zu goͤnnen . Wie ich alles in
Sicherheit glaubte , und die Zahl meiner Kaͤm-
pfer ſich immer minderte , ſammlete ich ſie
ſchnell , und entſchwand bald mit ihnen dem
Auge des Siegers . Wir jagten raſtlos nach
dem beſtimmten Forſte , und harrten unter
ſeinen Felſen der geretteten Weiber , Kinder
und Schaͤtze .
Erſt am andern Tage meldeten die Spaͤher
auf den Felſenſpitzen , daß die Geretteten eben
im Thale heraufzoͤgen , ich eilte ihnen entge-
gen , ſuchte meine Edeldrud unter ihnen , und
fand ſie nicht . Wie ich angſtvoll nach ihr frag-
te , uͤberreichte mir ein Weib meinen Sohn ,
dich , geliebter Hugo . Ich ſchloß dich dankend
in meine Arme , und forſchte aufs neue nach
Edeldrud . Ein Raͤuber trat zu mir . Haupt-
mann , ſprach er , ich rufe alle Gegenwaͤrtige zu
Zeugen auf , daß ich alles anwandte , um deine
Geliebte gleich dieſen zu retten , aber ſie achte-
te weder Ernſt noch Bitte , ſie wollte nicht
weichen aus ihrer Hoͤhle , und widerſezte ſich
jeder Gewalt . Die Zeit war dringend , die
Horchenden hoͤrten ſchon von ferne Huftritte .
Du wirſts nicht ahnden und raͤchen , wenn ich
an unſre Sicherheit dachte , die Widerſtrebende
zuruͤckließ , ihr aber , nach dem einſtimmigen
Rath aller , die Zunge abſchnitt , damit ſie nicht
deine , nicht unſere Verraͤtherin werden koͤnne .
Ich wills nicht wagen , dir meinen Zuſtand
zu ſchildern , er war unnennbar wie mein
Schmerz . Ich durchbohrte die Bruſt des ruch-
loſen Thaͤters , ich raßte , und man war ge-
zwungen , mich zu binden , um neue Mord-
that zu verhuͤten . Erſt am dritten Tage konn-
te ich wieder fuͤhlen und denken , ich war matt
und kraftlos , bat und flehte , daß man mir
erlauben moͤge , bei den verlaßnen Hoͤhlen zu
kundſchaften , und wenigſtens meine arme Edel-
drud zu retten , wenn Rettung noch moͤglich
ſei .
Viele der Raͤuber liebten und ehrten mich ,
ſie fuͤhlten Mitleid mit meinem Zuſtande , und
begleiteten mich nach den Hoͤhlen . Mein Jam-
mer , deſſen Groͤſſe ins Unendliche reichte , fand
dennoch Stof zur Vermehrung . Die Sieger
hatten unſte ſo verborgnen Hoͤhlen wuͤrklich ge-
funden , ſie im Zorne und Iugrimme mit Holz
und Reiſſern dicht angefuͤllt , nud und Feuer darein
geworfen . Noch glimmten Kohlen darinne ,
und die ſchreckliche Hitze verwehrte uns den
Eingang . Ich konute nichts anders vermu-
then , als daß die ſo ſchwer verwundete , von
niemanden gepflegte Edeldrud , als ſie huͤlflos
auf ihrem Lager ſchmachtete , ein Raub der
Flammen geworden ſei . Ich raßte von neuen ,
und haͤtten es meine Gefaͤhrden nicht gehin-
dert , ich wuͤrde mich in die gluͤhenden Hoͤhlen
geſtuͤrzt , und dort geendet haben .
Mein Gram , der raſtlos an meinem Her-
zen nagte , machte mich unfaͤhig , der Raͤuber
Hauptmann zu bleiben , ſie hatten ſich neue Hoͤhlen
gewaͤhlt , und niſteten wieder , wie ehe , unter
den Felſen . Als ſie einſt auf Raub auszogen ,
und ich wieder Kraͤfte in mir fuͤhlte , nahm ich
dich in meine Arme , und verließ die Hoͤhlen
mit dem feſten Vorſatze , nie mehr ruͤckzukeh-
ren , und all mein Lebelang in ſtrenger Aus-
uͤbung meine Verbrechen zu bereuen . Ich ge-
langte gluͤcklich bis zur Veſte meines ehemaligen
Freundes Immenthal , entdeckte mich ihm , und
ward wohl aufgenommen . Er verſprach , dein
Vater zu werden , mehr forderte und heiſchte ich
nicht . Im Pilgerkleide wanderte ich nach Avig-
non , beichtete meine Suͤnden , erhielt Verzei-
hung , ward endlich in ein Kloſter aufgenom-
men , und da ich mich mit Eifer den erforder-
lichen Wiſſenſchaften widmete , in der Folge
zum Prieſter geweiht .
Mein Ordensgeneral ſandte mich vor Jah-
resfriſt mit Auftraͤgen nach Deutſchland , ich
erfuͤllte ſie gerne , weil ich mich nach meinem
Vaterlande ſehnte , und vorzuͤglich zu wiſſen
wuͤnſchte : wie es dir ergehe ? Ich ſprach in
Immenthals Veſte ein , und erfuhr , daß er
todt , ſein geliebter Pflegſohn aber an des Kai-
ſers Hofe lebe , und ſein Liebling ſei . Eilend
floh ich nach Regensburg , ſah dich , in dir mein
Auge , mein ganzes Geſicht , und fuͤhlte zum
erſtenmale wieder reine Freude . Niemand
kannte mich , ich lebte einſam in meinem Klo-
ſter , ging nur aus , wenn ich dich ſehen konnte ,
und ſaͤttigte mich mit der Ueberzeugung , daß du
ein edler , guter Sohn ſeiſt . Oft wollte ich mich
dir nahen , oft dir es zufluͤſtern , daß dein Va-
ter noch dulde und leide , aber ich zoͤgerte im-
mer und bald aus Vorſatz , weil ich dir die
Freuden des nahen Turniers nicht verbittern
wollte . Ich ſah dich oft im Kampfe , und war
auch zugegen , als die ſchoͤnſte , aber mir unbe-
kannte Jungfrau , dir den Preiß reichte , und
deine Wange kuͤßte . Damals ahndete ich noch
nicht , daß dieſe Jungfrau dein Weib werden ,
deine Schweſter ſeyn koͤnne .
Einige Tage nachher ward meine Sehn-
ſucht , dich zu umarmen , groͤſſer , ich wollte am
andern Tage dich beſuchen , und las aus dieſer
Abſicht ſchon ſehr fruͤh die Meſſe . Wie ich
ſchon geendet hatte , und das Volk ſegnen woll-
te , erblickte ich am Fuſſe des Altars deine Mut-
ter , meine noch immer unvergeßliche Edeldrud .
Sie ſtarrte fuͤrchterlich zu mir empor , und
ich ſtaunend zu ihr hinab , meine Fuͤſſe zitter-
ten , meine Sinne wichen , ich ſank ohnmaͤchtig
zu Boden , und lag auf dem Lager meiner Zelle ,
als ich wieder denken und empfinden konnte .
Ihr Bild ſchwebte vor mir , Fieberhitze gluͤhte
in meinen Adern , uud und raubte mir bald wieder
den Verſtand . Zwei Monden kaͤmpfte ich mit
dem Tode , im dritten erholte ich mich erſt
langſam . Ich hatte keinen Freund , dem ich
mein Anliegen entdecken konnte , und harrte
mit Ungeduld der Zeit , in welcher mir meine
Kraͤfte einen Ausgang geſtatteten .
Ich erfuhr ſogleich , daß du mit dem Kai-
ſer gen Muͤnchen gezogen ſeiſt , und die Tochter
einer edlen , aber ſtummen Boͤhmin heurathen
wuͤrdeſt . Ich zitterte und bebte , forſchte nach
ihrer Wohnung , und erfuhr dort , daß die
Tochter nach Muͤnchen gereiſt , die Mutter aber
an eben dem Tage geſtorben ſei , an welchem
ich ſie , und wahrſcheinlich ſie mich , erkannte .
Ich vergaß Pflicht und Geluͤbde meines Ordens ,
eilte nach Muͤnchen , und hoͤrte , daß mein Un-
gluͤck vollendet ſei , der Bruder ſeine Schweſter
wuͤrklich geheurathet habe .
Die Schilderung des edlen Paares , welche
noch aller Zungen beſchaͤftigte , die Beſchreibung
der reinen , aͤchten Liebe deſſelben quaͤlte mein
Herz und reizte es zum Mitleid . Ich zoͤgerte ,
ſo groſſes Gluͤck zu ſtoͤhren , achtete es fuͤr un-
gerecht und grauſam , zwei der ſchuldloſeſten
Menſchen graͤnzenlos ungluͤcklich zu machen ,
als aber mein Gewiſſen dieſem Mitleide laut
widerſprach , ich Rath und Troſt bei den gelehr-
teſten und wuͤrdigſten Prieſtern ſuchte , und
dieſe mir ſonnenklar bewieſen , daß ich abſicht-
lich Blutſchande foͤrdere , mich ganz der ſchreck-
lichen Folgen dieſes Verbrechens theilhaftig
mache , da mußte mein Mitleid weichen . Ich
ſtehe nahe am Grabe , ich wills ſo ſchuldlos ,
als moͤglich , beſteigen . Meine Anklaͤgerin
harret meiner ſchon dort , ich zittre vor der
Verantwortung , ich darf ihre Anklage nicht
vergroͤſſern , ich muß Gott danken , daß er mir
Kraͤfte verlieh , euch bis hieher zu folgen , und
das Verbrechen zu enden . Folgt meinem vaͤ-
terlichen Rathe , weiht euch beide dem Himmel ,
und verſoͤhnt Gott durch euer Gebet .
Hugo.
Hugo . ( troſtlos jammernd ) Gott
und Vater , ſteh mir , ſteh meiner Kleta
bei ! Allmaͤchtiger , du gabſt uns namloſes
Gluͤck , aber du vergaͤllſt es durch noch groͤſſeres
Ungluͤck ! Laß es wenigſtens eben ſo kurz , wie
dein Gluͤck , dauern ! ( ſich faſſend ) Aber noch
daͤmmert Licht in der grauſen Finſterniß , noch
leuchtet in der Ferne Hofnungsſchimmer . Du
gedachteſt in deiner ganzen Geſchichte nicht
Kletas Geburt . Wie ward ſie deine Tochter
und meine Schweſter ?
Moͤnch . Kleta iſt nicht meine Toch-
ter — —
Hugo . ( frohlockend ) Heil mir !
Moͤnch . Aber doch die Tochter deiner
Mutter , und folglich immer deine Schweſter !
Hugo . Weh ! Weh mir !
Biogr. d. W. 4r Bd. Q
Moͤnch . Wahrſcheinlich rettete ſich die
Ungluͤckliche noch zur rechten Zeit aus den
Hoͤhlen , und wurde gluͤcklich geheilt ! Wahr-
ſcheinlich heurathete ſie in der Folge einen ed-
len Gatten , dem ſie dieſe Tochter gebahr . Ich
achtete ſie fuͤr todt , und kenne die weitere Ge-
ſchichte ihres Lebens nicht . Nur ſo viel hat
mir die allgemeine Sage verkuͤndigt , daß Kleta
ihre Tochter ſei . — —
Hugo . Ha ! O Dank dir , Allmaͤchtiger !
( ſeinem Vater in die Arme ſinkend )
Dank auch dir , theurer Vater , die lezte dei-
ner Nachrichten laͤßt mich noch hoffen ! Ah ,
wie die wohlthaͤtige Hofnung alle meine Adern
durchſtroͤmt , die kalten Nerven erwaͤrmt , und
zur Wiederempfindung reizt ! Vater ! Vater ,
ich hoffe ! Ach Vater , ich habe der Gruͤnde vie-
le — — Ja , ja ! es wird wahrſcheinlich und
gewiß , daß Kleta nicht die Tochter meiner
Mutter , nur ihr angenommenes , nur ihr
Pflegkind war !
Hoͤre und urtheile . ( haſtig und ſchnell )
Als Kleta mir es erlaubte , den Tag zu
unſrer Hochzeit ſelbſt zu beſtimmen , und ich
wonnetrunken zum Wappenherold und zum
Prieſter eilte , jenem gebot , daß er ihr Wappen
zu dem meinen ſtellen , dieſen erſuchte , daß er
mich in drei Tagen mit ihr verbinden ſolle , da
forderte der erſtere ihres edlen Vaters Stamm-
baum , und der leztere das Zeugniß ihrer Ge-
burt , ich eilte zu ihr , aber ſie geſtand mir mit
ofner Unſchuld , daß ſie ihres Vaters Namen
nicht kenne , kein Zeugniß ihrer Geburt beſitze .
Ich verbarg ihr meinen Kummer , und irrte
eben trauernd und nachdenkend im Burggarten
umher , als der Kaiſer mir begegnete , und nach
der Urſache meines Kummers forſchte , ich er-
zaͤhlte ihm alles , er laͤchelte ſanft , und ſprach :
Q 2
Sei ruhig , ich kenne ihren Vater , kein Edlerer ,
als er , ſteht an meinem Throne , ich kenne den
Ort ihrer Geburt , und will mit dem Herold
und Prieſter ſprechen , damit ſie keine weitere
Hinderniß erregen . Ich dankte , und am zwei-
ten Morgen ſtand ein ſchoͤnes , aber mir unbe-
kanntes Wappen dem meinen zur Seite , und
der Prieſter forſchte nicht mehr nach dem Zeug-
niß ihrer Geburt . — — Komm , wir wollen
zu ihr eilen , wir wollen ſie mit dieſer Hofnung
troͤſten , und dann eilend dem Kaiſer nachzie-
hen , um Aufklaͤrung zu erhalten .
Der Moͤnch . Gebe Gott , daß deine
Hofnung zur Gewißheit wird ! O es wuͤrde
mich kraͤftig troͤſten und ſtaͤrken , ich wuͤrde
dann dein Gluͤck nicht zerſtoͤrt haben , in deinen
Armen enden koͤnnen , und deinen Segen mit
in mein Grab nehmen . Noch einmal ! Gott
gebe Erfuͤllung , ich hoffe mit dir !
Sie eilten nun beide zur ungluͤcklichen
Kleta , ſie war erwacht zum Gefuͤhle des
Jammers und Elends , ſie lag weinend und
Haͤnde ringend auf ihrem Lager . Ach , rief
ſie Hugo entgegen , meiner Mutter Fluch
geht in Erfuͤllung , ſchon druͤcken mich die
Pfuͤhle meines Lagers gleich Stein ! Der
Prieſter log , als er den ſchrecklichen Fluch
loͤſte , er ruht noch ſchwer auf mir !
Hugo , dem dies alles unbekannt war ,
verſtand den Sinn ihrer Worte nicht , und
forſchte auch nicht darnach , weil er ſie troͤ-
ſten und erquicken wollte . Er erzaͤhlte ihr
ſeines Vaters Geſchichte in Kuͤrze , und
fuͤgte am Ende ſeine Muthmaſſung hinzu ,
um auch in ihrem Herzen Hofnung zur moͤg-
lichen Rettung zu wecken . Aber Kleta wi-
derſprach dieſer Hofnung laut . Ob ich gleich ,
ſprach ſie , meinen Vater nicht kenne , ſo
weiß ich doch gewiß , daß Edeldrud mich
gebahr , daß folglich deine Mutter auch die
meine ſei . Ich erinnere mich ja noch der
Zeit , in welcher ſie mit dem unbekannten
Vater auf einer ſchoͤnen Veſte lebte — —
Doch was bedarfs der Erinnerung , wo Ge-
wißheit entſcheiden kann ? Reiche mir mein
Schmuckkaͤſtchen — — ( haſtig ) Reiche mirs
nicht , ich will nicht neuen Fluch auf mich
laden , will vorher wiſſen : Wie lange ich
dich ſchon als meinen Gatten erkenne ?
Hugo . Geſtern endete der erſten Mon-
den — — —
Kleta . Dann gieb , ich will — ich muß
mich von meinem Ungluͤcke uͤberzeugen . Ah
dies alſo die Urſache ihrer Weigerung ! Es
war Ahndung ! Es war Erkenntniß der Zuͤ-
ge des Vaters im Geſichte des Sohnes ! O
nun wirds helle , aber zu ſpaͤt — — O All-
maͤchtiger zu ſpaͤt ! Mir bleibt nur das
ſchreckliche Loos der Verzweiflung !
Hugo hatte indes das Schmuckkaͤſtchen
uͤberbracht , Kleta oͤfnete es mit zitternder
Hand , und nahm das verſiegelte Schreiben
heraus . Sie war kaum faͤhig es zu oͤfnen .
Weiche ! ſprach ſie , als ſie die Siegel ab-
riß , weiche von mir , du ſchrecklicher Mutter-
fluch ! Dich habe ich wenigſtens nicht ver-
dient , ich habe redlich einen Mondenlang
geharrt ! — —
Sie wollte nun leſen , aber ſie ver-
mochte es nicht , und reichte es mit zit-
ternder Hand dem Moͤnche . Ihr ſeid , ſprach
ſie , bekannt mit ihrer Geſchichte , dieſe
Blaͤtter enthalten ſie , leßt laut , damit
wir heute noch unſers Ungluͤcks gewiß wer-
den , und nicht an falſcher Hofnung nagen .
Der Moͤnch weigerte ſich deſſen , aber der
immer noch hoffende Hugo bat dringend , der
Vater vermochte dem wiedergefundenen Soh-
ne die erſte Bitte nicht laͤnger zu weigern ,
und gelobte endlich Gewaͤhrung .
Gerechter Gott ! rief er aus , ich ehre
deinen Willen , und achte es fuͤr eine ver-
diente Strafe , daß ich im Angeſichte mei-
nes Sohnes die ſchrecklichſte Anklage gegen
mich laut verkuͤndigen muß . Ich will ſie
ſtandhaft ertragen , und nicht murren , wenn
ſie im gerechten Zorne mir flucht .
Es wuͤrde ermuͤdend ſeyn , wenn ich
wiederholen wollte , was der Moͤnch ſchon
vorher ausfuͤhrlich erzaͤhlte , nur ſo viel
muß ich erwaͤhnen , daß ſie in ihrer Erzaͤh-
lung ſeiner ſehr ſchonend gedachte , ihren
namloſen Schmerz mit kraͤftigen Worten ſchil-
derte , aber auch offen geſtand , daß ſie die
graͤnzenloſe Liebe des Urhebers ihres Ungluͤcks
einſah , am Ende Mitleid und ſogar das
Beginnen der Gegenliebe zu ihm fuͤhlte .
Der Moͤnch ſank dankend auf ſeine Knie ,
als er dies Bekenntniß las , O nun ſterbe
ich zufrieden und vergnuͤgt , rief er aus ,
nun kann ich Verzeihung von dir hoffen ! —
Er zitterte aufs neue , als er zu der ſchreck-
lichen Szene kam , in welcher die Raͤuber
ihr die Zunge raubten , er glaubte mit Recht ,
daß ſie vielleicht ihn als den Urheber dieſer
grauſamen That anklagen wuͤrde , aber die
Folge uͤberzeugte ihn eines andern .
„ Der Ritter , ſchrieb ſie , war eben mit
allen ſeinen Gefaͤhrten ausgezogen , ich ſas
mit meinem Sohne auf dem Lager , fuͤhlte
Freuden der Mutter , und gedachte lebhaft
des Schmerzes der meinigen , die wahrſchein-
lich ihr Kind auf immer entbehren wuͤrde .
Dumpfes Geraͤuſch und jammerndes Wehkla-
gen ſchreckte mich aus meinen Gedanken em-
por , zwei Raͤuber traten eilfertig in mein
Gemach , einer derſelben ergrif meinen Sohn ,
der andere riß mich vom Lager auf , und
gebot mir ſchnelle Folge . Ich kannte die
aͤuſſerſte Bosheit dieſer rohen Leute , ich
waͤhnte , daß ſie ſich gegen den Ritter em-
poͤret , ihn vielleicht gar ermordet haͤtten ,
und mich izt mit ſich fortſchleppen wollten ,
ich widerſtrebte , klammerte mich ans Lager ,
und ſchrie nach Huͤlfe . Andere Raͤuber
ſprangen herbei ; Eilt mit ihr , ſchrien ſie ,
ſonſt ſind wir verlohren ! Dieſer Ruf ver-
mehrte meinen Argwohn , ich widerſtand
mit allen meinen Kraͤften , ſie wichen nicht ,
mehrere ſprangen herbei , marterten , quaͤl-
ten mich ſchrecklich , und ſchnitten mir end-
lich den groͤßten Theil der Zunge ab .
Ich lag blutend und ohnmaͤchtig am Bo-
den . Wie ich wieder erwachte , ſtand ein
fremder , junger Ritter neben mir , er blickte
huldvoll und mitleidig auf mich herab , kniete
neben mir nieder , und wiſchte das ſtroͤmende
Blut von meinem Angeſichte . Man hatte
mich ins Freie getragen , viele Reiter ſchlep-
ten Holz und Aeſte nach den Hoͤhlen , und
ſteckten das letztere in Brand . Ich hob fle-
hend meine Haͤnde zu dem Ritter empor ,
er troͤſtete mich mit den liebreichſten Worten ,
die Stimme des Mitleids drang lieblich in
mein Ohr , ich dankte mit Geberden , da
ichs mit Worten nicht vermochte . Verge-
bens forſchte er : Wer ich ſei ? Wie ich
hieher gekommen ? Ich konnte nicht antwor-
ten . Endlich gebot er vierzig ſeiner Leute ,
daß ſie mich mit moͤglichſter Sorgfalt nach
Baiern zu einem Arzt , welchen er nannte ,
geleiten ſollten . Er bat mich herzlich und ,
innig , mein theures Leben zu ſchonen , mich
ſeiner Vorſchrift zu fuͤgen , und ſeines fer-
nern Schutzes verſichert zu bleiben . Ich ge-
lobte es , und dankte von neuen , in ſei-
nen Augen glaͤnzten Thraͤnen , er ſchied
ſehr geruͤhrt , und verſprach , mich bald zu
beſuchen .
Seine Reiſige begegneten mir mit groſ-
ſer Ehrfurcht , die Schmerzen meiner Wunde
mehrten ſich , ich konnte des Roſſes Tritt
nicht ertragen , ſie legten mich auf eine breite
Decke , und trugen mich abwechſelnd raſtlos
fort . Ohnmacht und Bewußtſein wechſelte
in meiner Seele , die erſtere ſchien den Sieg
zu erringen , und dauerte oft lange . Wenn
ich erwachte , ſtand das Bild des Ritters
vor mir , ſeine mitleidige , huldvolle Mine
erweckte den Wunſch des Lebens in mir , ich
hatte ihm ganz mein Leben zu danken , oh-
ne ſeine Huͤlfe wuͤrde ich elend verſchmachtet
ſein . Der Verluſt meines Sohnes aͤngſtigte
mein Herz , ſeines Vaters gedachte ich izt
nur mit Schaudern , weil er der Urheber
all meines Ungluͤcks war .
Am andern Mittage brachte man mich
gluͤcklich in die Wohnung des Arztes . Ich
ſtaunte , als man mich im Namen des
jungen Herzogs ſeiner aͤuſſerſten Sorgfalt
empfahl , aber ich ſahs auch deutlich , daß
er an meiner Rettung verzweifelte ; mich
duͤrſtete ſchrecklich , ich konnte keinen Labe-
trunk genieſſen , die geſchwollne Wunde drohte
mich zu erſtikken . Wie er mir Linderung
ſchafte , kann ich nicht ſagen , ich lag acht
Tage in einem betaͤubenden Fieber , das
mir alles Bewuſtſein raubte , aber bald beſ-
ſerte es ſich mit mir , ehe ein Monden ver-
floß , war ich der Gefahr entriſſen , und ehe
der zweite endete , fuͤhlte ich nur den Ver-
luſt meiner Zunge , aber nicht mehr die
Schmerzen deſſelben .
Des Arztes Tochter war meine treue
Waͤrterin , ſie pflegte mich mit einer Sorg-
falt , die innige Zuneigung verrieth . Ich
ſah und hoͤrte es mit vielem Vergnuͤgen ,
daß oft einige Reiter im Gemache des Arz-
tes erſchienen , und genau nach meinem Zu-
ſtande , nach meiner Beſſerung forſchten .
Sie brachten mir Kleider und Leinenzeug
in Menge , einige derſelben traten oft an
mein Lager , um ihrer Ausſage nach , ſich
durch den Augenſchein von meiner Beſſerung
zu uͤberzeugen , ſie forſchten : Ob ich ſchrei-
ben und leſen koͤnne ? und bedauerten es im
Namen ihres Herrn , wenn ich dies vernei-
nen mußte .
Als ich ſchon mein Lager verlaſſen konnte ,
im Gemache umher wandelte , und der Ver-
ſicherung meiner Waͤrterin gemaͤß , gleich
einer Roſe bluͤhte , hoͤrte ich an einem Mor-
gen groſſes Getuͤmmel vor dem Hauſe des
Arztes . Ich blickte hinab , und ſah mei-
nen Retter vom Roſſe ſteigen , er eilte
nach meinem Gemache , und blieb voll Ver-
wunderung ob meiner wenigen Schoͤnheit an
der Thuͤre ſtehen . Euer herrliches Bild ,
ſprach er , ſtand immer vor meinen Augen ,
ich ſahs ſchlafend und wachend , aber eure
Gegenwart uͤberzeugt mich deutlich , daß mei-
ne Einbildungskraft ein armſeliges Ding war ,
mir nur Daͤmmerung zeigte , wo helles Licht
herrſchte .
Meine Verwirrung war groß , haͤtte ich
auch ſprechen koͤnnen , ich wuͤrde doch nicht
geantwortet haben . Seine Freude uͤber mei-
ne gluͤckliche Rettung , uͤber meine bluͤhende
Geſundheit war aͤcht und rein , mein Dank
fuͤr ſeine Huͤlfe lebhaft und warm . Ich hatte
bisher noch nie geliebt , dem Ritter Otto ,
der mich ſo ſchrecklich raubte , nur aus Mit-
leid geduldet , izt uͤberwaͤltigte dieſe gefaͤhr-
liche , aber auch ſuͤſſe Leidenſchaft mein Herz
mit einmal . Ich ſah , ich hoͤrte nur ihn ,
den geliebten Retter , vergaß Vater , Mut-
ter und Sohn , als er mir bald nachher ge-
ſtand , daß er zum Lohne ſeiner edlen That
nur Mitleid von mir forderte , und offen
geſtand , daß er ohne meine Liebe der Un-
gluͤcklichſte der Sterblichen ſein wuͤrde .
Er erzaͤhlte mir , daß er Kaiſer Ludwigs
zwar unaͤchter , aber zaͤrtlich geliebter und
anerkannter Sohn ſei , von ihm , als er
mich im Forſte fand , an den boͤhmiſchen Koͤ-
nig Johann geſandt wurde , um ihm zu ſei-
ner Vermaͤhlung Gluͤck zu wuͤnſchen , daß er
auf dieſem Zuge die Schaͤtze der Braut ret-
tete , als ſie ſchon in der Raͤuber Haͤnden
waren . Dieſe tapfere That , welche er ſeg-
nete , weil er mich fand , hatte ihm die
Liebe des Koͤnigs erworben , er mußte wi-
der ſeinen Willen laͤngere Zeit am Hofe deſ-
ſelben weilen , kam izt von Landshut , wo
er ſeinem Vater Bericht erſtattete , und wollte
nun nach ſeiner Veſte ziehen , die nahe an
Tirols
Tirols Graͤnzen lag , und ihm vom Vater
als Erbtheil geſchenkt wurde . Er flehte , daß
ich mit ihm ziehen , die ſchoͤne Gegend in
ein Paradies wandeln ſollte ; ich verſprachs ,
und er frohlockte ſehr . Er forſchte emſig nach
meiner Geſchichte , nach meinem , nach meines
Vaters Stand und Namen , mit aller Muͤhe ,
die ich anwande , konnte ich ihm doch nur be-
greiflich machen , daß mein Vater ein edler Rit-
ter ſei , daß die Raͤuber mich mit Liſt geraubt
hatten . Mehr forderte er nicht , und ich zog ,
willig mit ihm .
Ehe wir noch die Veſte erreichten , hatte
ich ihn , und er mir ſchon innige Liebe ge-
ſtanden , als wir einige Tage dort angelangt
waren , trat er mit einem ehrwuͤrdigen Moͤnch
in mein Gemach , und heiſchte Erklaͤrung :
Ob ich ihm in Gegenwart dieſes Prieſters
meine Hand reichen , und ſein Weib werden
wolle ? Ich gedachte zum erſtenmale der
Biogr. d. W. 4r Bd. R
Verbindung mit dem Raͤuberhauptmanne , die
freilich kein Prieſter geſegnet hatte , die ich
ihm aber doch zu entdecken wuͤnſchte . Ich
kaͤmpfte anhaltend , Schaam und Gefuͤhl wi-
derſprach dem Bekenntniſſe , das ich ohnehin
nicht leiſten konnte , ich liebte ſtark und hef-
tig , ich widerſtand nicht laͤnger , und reichte
ihm am dritten Tage in der Burgkapelle mei-
ne Hand .
Er liebte mich als Gatte immer zaͤrt-
licher , ſtets inniger , und verließ mich nur ,
wenn aͤuſſerſte Nothwendigkeit ihn zwang , am
Hofe ſeines Vaters zu erſcheinen . Mit ver-
mehrter Zaͤrtlichkeit und groͤßter Sehnſucht
kehrte er dann in meine Arme zuruͤck , und
genoß in meinen Armen das ſchoͤnſte Gluͤck
der reinen Liebe . Oft weinte ich , wenn
ich ſeine zaͤrtlichen Worte nur durch ſtumme
Blicke erwiedern konnte , oft wuͤnſchte ich
ſehnlich ſie durch deutlichere Zeichen ausdruͤcken
zu koͤnnen , und wundere mich izt ſehr , daß
weder ich noch er der ſo edlen Schreibekunſt ,
die mir izt ſtatt Worte dient , nicht gedachten ,
da er ſie aber wahrſcheinlich auch nicht verſtand ,
ſo erinnerte er ſich dieſes Huͤlfsmittels nie ,
und behauptete immer , daß eben mein ſtum-
mer und doch ſo beredter Blick ſein Herz ſo
feſt und ſtark feßle . Erſt ein halbes Jahr
nach unſrer Ehe geſtand er mir , daß ſein Va-
ter von dieſer keine Kenntniß habe , daß er
aber hoffe , er werde ſie einſt billigen , und
ihm erlauben , mich im Triumphe nach Hofe
zu fuͤhren . Wie ein Jahr verfloſſen war , ge-
bahr ich ihm eine Tochter . — Dies warſt
du , geliebte Kleta . “ — — —
Der Moͤnch hielte hier inne , er ſtarrte
nach Hugo und Kleta hin , die vereint laut auf-
ſchrien , und voll Verzweiflung ihre Haͤnde
rangen . So ſchwindet endlich die lezte mei-
ner Hofnungen , jammerte Hugo . Habe ichs
R 2
nicht geweiſſagt ! wimmerte Kleta , und
verhuͤllte ihr Geſicht . Der Moͤnch rang nach
Troſt fuͤr die Ungluͤcklichen , und fand keinen .
Endlich heiſchte Kleta den weitern Erfolg der
Geſchichte , er wiſchte die Thraͤnen aus ſeinen
Augen , und las weiter :
„ Ich bin unfaͤhig , dir die Wonne deines
Vaters zu ſchildern , als er von der Jagd
ruͤckkehrte , und meine Waͤrterinnen dich in
ſeine Arme legten . Er ſegnete dich kraͤftig ,
er gelobte vor Gott und mir , dir Vater zu
ſeyn , ſo lange er lebe , dein Gluͤck auch nach
ſeinem Tode zu befoͤrdern und zu befeſti-
gen .
Gott ſchenkte mir in der Folge keine Kin-
der mehr , du warſt das einzige Pfand unſrer
Liebe , dein guter Vater liebte dich gleich ſei-
nem Augapfel , und eben ſo zaͤrtlich wie mich ,
oft ward dir jeder Kuß , den ich von ihm er-
hielt , doppelt . Vier Jahre — ach die
gluͤcklichſten meines Lebens ! — verfloſſen
nun in ſtiller , genußreicher Ruhe . Wohl
zehnmal zog er unter dieſer Zeit aus der Ab-
ſicht nach ſeines Vaters Hofe , um ihm ſeine
Heurath zu entdecken , aber immer verſchwieg
er ſie , weil er den moͤglichen , boͤſen Ausgang
fuͤrchtete , und ſich keine Freude , kein Leben
ohne mich denken konnte .
Als ſein Vater den Zug nach Italien be-
ſchloſſen hatte , und ihn mit ſich nehmen woll-
te , da zwang ihn aͤuſſerſte Noth endlich zur
Entdeckung . Anfangs zuͤrnte der ſonſt ſo
gnaͤdige Vater heftig , wie er ihm aber alles
erzaͤhlte , ihn mein ehemaliges Schickſal aufs
lebhafteſte ſchilderte , meine Schoͤnheit , meine
Geiſtesgaben allzu reichlich lobpreißte , und
ihm ſein groſſes Gluͤck mit den ruͤhrendſten
Worten erzaͤhlte , da neigte ſich ſein Herz zur
Verzeihung , er vergab ihm den voreiligen
Schritt , und verſprach auf ſeinem Heerzuge
in ſeines Sohnes Veſte einzukehren , und ſich
von ſeinem Gluͤcke zu uͤberzeugen ; auch ent-
ließ er ihn des Zuges nach Italien . Ich habe ,
ſprach er liebreich , auch einſt innig geliebt ,
du warſt die Frucht dieſer Liebe , ich erinnere
mich noch wohl , daß gewaltſame Trennung
mir beinahe das Leben koſtete , ich will nicht
ſo hart , wie mein Vater ſeyn , will dich nicht
trennen von der geliebten Gattin , ſie nur ſe-
hen , und ſegnen .
Reichlicher Schweiß der haſtigſten Eile
triefte von ſeinen Wangen , als er mir dieſe
Bothſchaft brachte , ich genoß die goldnen
Fruͤchte derſelben mit ihm , und traͤumte mir
ſchon die heiterſte , gluͤcklichſte Zukunft . Mein
feſter Vorſatz wars , nach vollendeter Verſoh-
nung meinen Gatten zu bewegen , nach Boͤh-
men zu reiſen . Ich kannte die Gegend , in
welcher meines Vaters Veſte lag , hofte ſie
zu finden , und durch den Seegen der theuern
Eltern mein Gluͤck zu vergroͤſſern . Ich hatte
in einſamen Stunden mir ſchon oft ihren Jam-
mer , und die Wonne des Wiederſehens ge-
dacht , aber ich konnte und durfte dieſe Bitte
nicht wagen , weil dem Vater meines Gatten
die Heurath nicht bekannt war , der Zug nach
Boͤhmen ſie ruchtbar gemacht haͤtte .
Acht lange Tage harrten wir der Ankunft
des Kaiſers entgegen , endlich langte ein Eil-
bote auf der Veſte an , und brachte die frohe
Nachricht , daß er vielleicht in der Nacht des
folgenden Tages , waͤre aber dies nicht moͤg-
lich , am andern Morgen ſicher anlangen
wuͤrde . Mein Gatte hatte mich ehe ſchon mit
praͤchtigen Kleidern , und den herrlichſten
Kleinodien beſchenkt , er forderte , daß ich
mich mit den ſchoͤnſten zieren ſollte , ich ver-
wande den folgenden Tag zu meinem Putze ,
und harrte am Abende hoffend und ahndend
der Ankunft des Kaiſers . Auch du , meine
Kleta , warſt ſchoͤn geputzt , und glichſt einem
Engel der Unſchuld . Vielleicht erinnerſt du
dich noch : Wie dein Vater dir einen ſchoͤnen
Willkommen lehrte , dirs emſig vormachte ,
wie du dem vornehmen Gaſte entgegeneilen ,
deine Arme gegen ihn ausſtrecken , und ſeine
Knie umfaſſen ſollteſt .
Als finſtere Nacht die Gegend ſchon lange
deckte , ſchwand unſre Hofnung , aber bald
weckte ſie des Waͤchters Ruf aufs neue , er
meldete kurz nachher , daß viele Reiſige im
Thal herauf zoͤgen . Dein Vater ließ Fackeln
anzuͤnden , und die Thore oͤfnen . Ich eilte an
ſeinem Arme die Treppe hinab , und vergaß
deiner in der Eile , weil du ſchon im Arme
der Waͤrterin ſchlummerteſt . Wie wir hinab
kamen , fuͤllten ſchon viele Reiter den Vorhof ,
ich zitterte und bebte , als ich Schwerdtklang
und Jammergeſchrei der Diener hoͤrte . Mein
Gatte drang vorwaͤrts , ich ſah Schwerdter
uͤber ſeinem Haupte glaͤnzen , und ſah ihn nie
mehr , denn ich ſank ohnmaͤchtig zu Boden .
Wie ich wieder erwachte , ſtand die Veſte
ſchon in hellen Flammen , verwundete Knech-
te und Diener winſelten unfern von mir .
Viele Reiter umgaben mich , bedeckten mich
mit einem Mantel , und hoben mich auf ein
Roß . Ich jammerte ſchrecklich , einer derſel-
ben war ſo barmherzig mir dich , meine Kle-
ta , aufs Roß zu reichen , du klammerteſt
deine Haͤnde um meinen Nakken , und ich hiel-
te mich mit aller Gewalt aufrecht , um dich
nicht ſinken zu laſſen . Der Zug begann nun
eilend und ſchnell , ich mußte in ihrer Mitte
traben . Meine Augen ſuchten in der Finſter-
niß meinen geliebten Gatten , und fandeu fanden ihn
nicht . Ich glaubte , daß dies Rache des nur
verſtellten aber nicht verſoͤhnten Vaters ſey ,
und waͤhnte , daß man mich aus ſeinen Ar-
men geriſſen habe , um mich ewig einzuker-
kern . Mein Leid war groß , aber es mehrte
ſich bis zur Rieſengroͤſſe , wie der Morgen an-
brach , und mir es nach und nach zur vollen
Gewißheit ward , daß ich mich in der Geſell-
ſchaft der Raͤuber befand , mit denen ich eini-
ge Jahre in den Hoͤhlen des Forſtes gewohnt
hatte . Viele gruͤßten mich hoͤniſch , nur we-
nige blickten mich mitleidig an .
Ich ahndete nun ſchreckliche Dinge , ich
waͤhnte , daß ihr Hauptmann , deſſen heftige
Liebe ich kannte , meinen Aufenthalt entdeckt ,
mich meinem Gatten entriſſen habe , und nun
wieder zu ſeiner Buhlerin machen wolle . Ich
bin nicht faͤhig , dir das ſchaudervolle Ent-
ſetzen uͤber dieſen Gedanken zu ſchildern , er
erregte in mir den Vorſatz zum Selbſtmorde ,
welchen ich gewiß ſchnell ausgefuͤhrt haͤtte ,
wenn dein Anblick mich nicht abgehalten haͤtte .
Ich war noch ungewiß : Ob ich dich mit mir
vernichten , oder in den Haͤnden ruchloſer
Raͤuber zuruͤcklaſſen ſollte ?
Am Mittage raſteten wir in einem dun-
keln Forſte . Die Raͤuber lagerten ſich am Bo-
den , und ruhten bald ſanft , nur zwei der
Aelteſten ſetzten ſich wachend zu mir , und bo-
ten mir Trank und Speiſe , welche ſie mit ſich
fuͤhrten . Ich gedachte deiner nicht , und ver-
ſchmaͤhte alles , aber die Alten waren ſo
barmherzig , Mutterſtelle an dir zu vertreten ,
und deinen Hunger zu ſtillen . Meine Augen
hatten mich nun uͤberzeugt , daß mein ehema-
liger Geliebter nicht in unſrer Mitte ziehe ,
ich haͤtte ſo gerne nach ihm gefragt , um mei-
nes ſchrecklichen Schickſals gewiß zu werden ,
aber der Verluſt meiner Zunge hinderte mich
daran . Der Aelteſte mochte wahrſcheinlich
meine Sehnſucht nach Aufklaͤrung in meinem
Geſichte leſen , er blickte mich mitleidsvoll
an .
Arme Frau , ſprach er , euch war die Ra-
che nicht vorbereitet , euch traf ſie allerdings
unſchuldig ! — Ich war ſo gluͤcklich , ihm
durch Zeichen begreiflich zu machen , daß ich
Erzaͤhlung der ganzen Begebenheit zu hoͤren
wuͤnſche , ihm ſolche mit dem waͤrmſten Danke
lohnen wuͤrde .
Er achtete meine Bitte , und erzaͤhlte mir ,
daß ſie nach dem ungluͤcklichen Raube , welchen
ſie an dem Schatze der koͤniglichen Braut uͤben
wollten , ihr Hauptmann , welcher mich einſt
liebte und raubte , verlaſſen habe . Es geſchah ,
ſagte er , aus gerechtem Schmerze uͤber die
grauſame That , welche einer aus unſrer Ge-
ſellſchaft wider ſeinen Willen und Befehl an
euch geuͤbt hatte . Er vergalts ihm mit dem
Tode , ſuchte euch bei den Hoͤlen , fand euch
nicht , und verließ uns , um vielleicht in einer
Einoͤde eueren Tod zu betrauern . Wir waͤhlten
uns einen andern , und bereiteten uns in ei-
nem andern Forſte neue Wohnungen , damit
wir aber die Boͤhmen nicht zur neuen Rache ge-
gen uns reitzen , ſie zur Entdeckung unſers
Aufenthalts zwingen moͤchten , ſo ward feſt
beſchloſſen , daß wir in dieſem Lande keinen
Raub mehr uͤben , ſondern in benachbarten
Laͤndern umherſtreifen , dort unſern Raub und
Unterhalt ſuchen wollten . Dieſe kluge Vorſicht
ſchuͤzte uns herrlich , uͤberall ſuchte man den
Aufenthalt der maͤchtigen Raͤuber auszufor-
ſchen , nur in Boͤhmen nicht , weil dort nie-
mand uͤber Raub klagte , keinen Raͤuber in der
Naͤhe waͤhnte .
Vor einem Monden vernahmen wir , daß
izt viele Edle mit reichen Koſtbarkeiten beladen
nach Italien zogen , um dort die Kroͤnung des
Kaiſers feiern zu helfen . Wir eilten in ge-
theilten Haufen nach Bayern , verlegten die
verſchiednen Straſſen , welche nach Italien
fuͤhrten , und ſuchten Beute zu machen . Wie
unſer Hauſe im Forſte , der nahe an eurer Ve-
ſte liegt , lauerte , erfuhren wir durch einige
Bauern , daß des Kaiſers Sohn , welcher uns
einſt ſo ſchrecklich zuͤchtigte , dort hauſe , und
in den Armen einer Stummen ſchwelge , die
er einſt aus Boͤhmen mit ſich gebracht habe .
Begierde nach Rache ward im ganzen Hau-
ſe rege , die meiſten gelobten , das ehemalige
Unbild wo moͤglich an ihm zu raͤchen , ihm we-
nigſtens die geliebte Stumme zu entfuͤhren ,
welche wir ſogleich fuͤr euch erkannten . Um zu
erfahren : Ob eure Veſte wohl bemannt und
bewacht ſey ? zogen verſchiedne von uns auf
Spaͤhe aus , ſie brachten troͤſtende Nachrichten ,
hatten als gewiß erfahren , daß nur wenige
Reiſige , meiſtens unbewafnete Maͤgde und
Diener dort wohnten . Schon war ein Sturm
auf die Veſte beſchloſſen , als uns Kundſchaft
ward , daß der Kaiſer mit einem ſtarken Zuge
ſich nahe .
Ihn anzutaſten , war unſer Wille nicht ,
reichte unſre Kraft nicht , wir wollten uns da-
her eben von der Straſſe ab , tiefer in den
Forſt ziehen , als einige der Unſern die Nach-
richt brachten , daß der Kaiſer dieſe Nacht in
der Burg erwartet , aber dort ganz gewiß
nicht anlangen werde , weil er in einem nahen
Staͤdtchen in ihrer Gegenwart nur mit wenigen
ſeines Gefolgs Nachtherberge genommen , ſei-
ne Reiter und Reiſige aber auf einer andern
Straſſe gen Tirol vorwaͤrts geſandt habe .
Bei dieſem gluͤcklichen Umſtande , fuhren ſie
fort , kann ſchnelle Liſt unſre Rache foͤrdern .
Des Kaiſers Sohn erwartet noch immer den
Vater , dies erfuhren wir izt erſt von einigen
Dienern , welche auf der Straſſe ſpaͤhten , und
bei uns nach ihm forſchten ; wir benuzten die
Gelegenheit , und verſicherten ſie , daß er im
Anzuge begriffen ſey . Kommt , Bruͤder ,
kommt , laßt uns , wenns ganz dunkel iſt ,
nach der Veſte ziehen , man wird ſicher glau-
ben , der Kaiſer nahe , und uns die Thore oͤf-
nen . Wir haben dann volle Gelegenheit , Ra-
che an dem Sichern zu uͤben , und ihn zu uͤber-
zeugen , daß man uns nicht ungeahndet belei-
dige .
Das Wagſtuͤck war groß , aber eben des-
wegen auch Reiz fuͤr alle . Nur uns zweien
( auf ſeinen Gefaͤhrten deutend )
behagte es nicht , aber wir mußten dem Stro-
me folgen . Die Liſt gelang , und die Rache
ward vollendet . Dein Gatte oder Buhle , wel-
cher einſt viele der Unſern ermordet , und unſe-
re Hoͤlen zerſtoͤrt hatte , mußte mit der Ue-
berzeugung ſterben , daß wir Rache an ihm
uͤbten . Auch uͤber dich war Tod beſchloſſen
aber dein koſtbarer Anzug , deine Schoͤnheit ,
blendete das Auge der meiſten , ſie wurden
andern Sinnes . Unſer neuer Hauptmann hat
noch keine Geliebte , ſie beſtimmten dich fuͤr
ihn , ich ſah dein Verlangen nach dem Kinde ,
ich
ich reichte es dir , um dich zu troͤſten . Schicke
dich in dein Schickſal , du warſt es ehe ſchon
gewohnt . Der Hauptmann iſt jung und ſchoͤn ,
er erzaͤhlte uns oft , daß er dich ſchon ehemals
liebte , und ehrte ; dies bewog uns vorzuͤglich
zum Entſchluſſe . Sey daher weiſe , es wird
dir bei uns wohlergehen . — —
Noch begreife ichs immer nicht , wo ich
Muth und Entſchloſſenheit ſammlete , um dieſe
ſchrecklichen Nachrichten mit Standhaftigkeit
anzuhoͤren . Die Gewißheit , daß der ſo innig
geliebte Gatte wuͤrklich ermordet ſei , drohte
mein Herz zu zerreiſſen , und doch verrieth
mein Geſicht dieſe ſchmerzhafte Empfindung
nicht . Ich laͤchelte aus Verzweiflung , aber
die Raͤuber nahmens fuͤr Empfindung der
Freude , und machten es den Uebrigen kund ,
als ſie erwachten . Flucht oder Tod war izt der
einzige Gedanke , welchen meine Seele dachte
und faßte .
Biogr. d. W. 4r Bd. S
Um beides nach Gefallen auszuuͤben , muß-
te ich wenigſtens einige Freiheit genuͤſſen , um
dieſe zu genuͤſſen , wandte ich alle Mittel an ,
die Raͤuber zu uͤberzeugen , daß ich gerne in
ihrer Mitte zoͤge , mich willig dem beſtimmten
Schickſale fuͤgen wuͤrde . Meine Liſt gelang , ſie
bewachten mich nicht mehr ſo ſorgfaͤltig , achte-
ten mich verwahrt genug , wenn ſie ſich rings
um mich lagerten und ruhig ſchliefen . Der
Zug ging ſtets durch Einoͤden und Waͤlder ,
ging langſam , weil die Roſſe ſchwer mit Beute
beladen waren . Ich konnte oft entfliehen , aber
ich wagte die Flucht nicht , weil ich den Hun-
gertod ahndete , ihn um deinetwillen nur fuͤrch-
tete .
Nach einer weiten Reiſe lagerten wir uns
im Thale eines Forſtes , ich ſtaunte , ich konnte
kaum Thraͤnen der wehmuͤthigen Freude ver-
bergen , als ich hinter den Felſen die Kapelle
erblickte , in welcher ich ſo oft betete . Mein
Herz ſchlug aͤngſtlich und hoffend , wie mein
Auge endlich gar den Wartthurm der vaͤterli-
chen Veſte gewahrte . Ich verſtellte mich mehr
als je , ſuchte zuerſt mein Lager , und ruhte ,
wie die Raͤuber noch tranken . Ich hoͤrte es
deutlich , wie ſie ſich wunderten , daß ich die Ge-
gend nicht erkannt hatte , und frohlockte inge-
heim , als ſie ſich treuherzig verſicherten , daß
ich willig in den Armen ihres Hauptmanns ru-
hen , gerne in ihren Hoͤhlen wohnen wuͤrde .
Die gewiſſe Hofnung , ſchon am andern Tage
in ihren Hoͤhlen einzutreffen , ihre Weiber wie-
der zu umarmen , machte ſie ungewoͤhnlich hei-
ter , ſie tranken viel und ruhten feſt , wie ich
meine Flucht mit dir wagte und gluͤcklich vollen-
dete .
Nun folgten viele Lehren und mancherlei
Auftraͤge , welche die Mutter ans Herz ihrer
Tochter legte . Sollte , ſprach ſie , Otto von
Farwangen noch hienieden wallen , und du ihn
einſt finden , ſo verkuͤndige ihm meine volle
Verzeihung . Er hat mich einſt graͤnzenlos un-
gluͤcklich gemacht , aber ihm verdanke ichs doch ,
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daß ich durch vier Jahre unbeſchreiblich gluͤck-
lich im Arme meines Gatten lebte , ich will da-
her nicht mit ihm hadern , und nicht ſeine An-
klaͤgerin bei Gott werden . Ruͤckerinnerung an
den ungluͤcklichen , unſchuldigen Sohn , den ich
mit ihm gebahr , quaͤlt noch immer mein muͤt-
terliches Herz . Ich konnte es nie erforſchen :
Ob er noch , und wie er lebe ? Dein ſei izt die
Pflicht , dies Nachforſchen fortzuſetzen , ihn
reichlich zu unterſtuͤtzen , der Mutter Haabe
mit ihm zu theilen , wenn du ihn arm , ihn
als Bruder zu lieben , wenn du ihn reich und
wohlhabend findeſt .
Oft wollte ich mich dem Kaiſer nahen , und
ihm entdecken , daß ich die Leidende ſei , welche
ſein ermordeter Liebling einſt ſo gluͤcklich mach-
te , aber immer zitterte ich zuruͤck , wenn ich
dieſen Schritt wagen wollte , der dann nur erſt
zur Nothwendigkeit wird , wenn man Zweifel
wider deine edle Geburt erregen ſollte . Voll-
bringe du dies Vorhaben , wenn deine Mutter
ſtarb , ehe ſies vollbrachte , nahe dich mit dei-
nem kuͤnftigen Gatten ſeinem Throne , beweiſe
ihm , daß du ſeine rechtmaͤſſige Enkelin ſeiſt , und
er wird dirs und deinen Kindern wahrſcheinlich
mit groſſen Wohlthaten lohnen . “
Lange ſaſſen die Ungluͤcklichen noch ſtumm
und trauernd , als der Moͤnch ſchon mit ſeiner
Vorleſung geendet hatte . Jeder hofte Stof
zur Ueberlegung in Fuͤlle . Hugo ſuchte noch
immer und emſig Rettung aus dem ſchrecklichen
Abgrunde , in welchen er ſich geſtuͤrzt fand .
Kleta ſah nun in vollem Lichte die Urſache ,
warum ihre Mutter bei Hugos Anblick ſo er-
ſchrak , bei ſeiner Anwerbung zuruͤckbebte , und
ihr Erhoͤrung ſeiner Wuͤnſche unter dem ſchreck-
lichſten Fluche verbot . Ruͤckerinnerung an ihr
voriges Leiden , und allzu heftige Gemuͤthsbe-
wegung verhinderten ſie wahrſcheinlich an
ſchneller Entdeckung . Sie wollte erſt wieder
Kraͤfte ſammlen , und beſchied deswegen den
wiedergefundnen Sohn auf den andern Tag ,
an deſſen Morgen neues Schrecken ihr Leben
endete . Kleta bereute izt innig , daß ſie der
Mutter Fluch nicht geachtet hatte . Erfuͤllung
des ſchrecklichen Gebots , rief ſie laut aus , haͤt-
te mich aͤuſſerſt ungluͤcklich , aber doch nicht nam-
los elend gemacht !
Der Moͤnch , deſſen Herz vaͤterliches Ge-
fuͤhl fuͤllte , wuͤnſchte zu helfen und zu retten .
Es ſah als gewiß voraus , daß Trennung ihm
ſeinen wiedergefundnen Sohn rauben und toͤd-
ten wuͤrde , und ſuchte daher ſein Leben durch
wahrſcheinlichen , moͤglichen Troſt zu friſten .
Komm , mein Schmerzensſohn , ſprach er ,
komm , und folge mir , ich will dich zu den
Fuͤſſen des heiligſten Vaters nach Avignon fuͤh-
ren , er allein kann vergeben , und eure fernere
Ehe , wenn er die Umſtaͤnde erwaͤgt , beſtaͤtigen
und billigen . Ihm ward Gewalt , zu loͤſen
und zu binden , er wird mich hoͤren , deinen
Jammer ſehen , und das Verbrechen loͤſen ,
welches auf eurer Ehe ruht , das ihr nicht vor-
ſaͤtzlich uͤbtet , das ihr gerne vernichten wolltet ,
wenns in eurer Macht ſtuͤnde .
Hugo ergriff dieſen Vorſchlag mit heftiger
Begierde , er hofte gluͤcklichen Erfolg , und
troͤſtete ſeine Kleta ſchon im voraus mit dieſer ,
aber Verzweiflung hatte das Herz der Un-
gluͤcklichen ſchon vergiftet , ſein Troſt wuͤrkte
nicht , ſie widerrieth die Reiſe nicht , weil Tren-
nung doch unvermeidlich war , aber ſie verzwei-
felte ganz am gluͤcklichen Erfolge .
Wie Hugo am andern Morgen mit ſeinem
Vater reiſefertig an ihr Lager trat , glaͤnzte
keine Thraͤne in ihrem Auge , es ſtarrte ihn
angſtvoll an , ihre Seele fand keine Worte , den
Schmerz auszudruͤcken , der ihr Herz preßte .
Sie gelobte nur dem Gatten und Bruder
durch Minen , daß ſie nicht Hand an ſich legen ,
nicht an Gottes Barmherzigkeit verzweifeln ,
und ſeine Ruͤckkehr in Geduld abwarten wolle .
Sie verließ einen halben Monden lang ihr
Gemach nicht , ſprach aͤuſſerſt wenig , betete an-
haltend und lange . Oft fand man ſie haͤnde-
ringend und weinend . Der Mutter Fluch
druͤckt mich ſchwer ! antwortete ſie dann immer ,
wenn ihre treue Waͤrterin nach der Urſache die-
ſer Thraͤnen forſchte . Einſt aͤuſſerte ſie hefti-
ges Verlangen , in der Kapelle zu beten , aus
welcher man ihre Mutter geraubt hatte . Der
Vogt , dem ſtrenge Obhut uͤber ſie geboten
war , begleitete ſie mit vielen Reiſigen dahin ,
ſie betete lange , und ging ruhig und heiter von
dannen . In der folgenden Nacht entſtand
ſchrecklicher Gewitterſturm ; ein heftiges Erd-
beben begleitete ihn , drohte die Veſte einzu-
ſtuͤrzen , und durch die Waſſerfluthen , welche
ſich in Stroͤmen vom Himmel herab waͤlzten ,
alle lebende Geſchoͤpfe zu erſaͤufen . Auch der
Muthvollſte bebte , aber unter allen am meiſten
Kleta ; jeder Blitz warf ſie auf ihr Lager zu-
ruͤck . Gottes Gericht iſt ſchrecklich , rief ſie im-
mer , die Wuͤrkung des muͤtterlichen Fluchs ver-
heerend ; ich muͤhe mich vergebens , ich kann ſie
nicht wegbeten !
Schon am Morgen verlangte ſie wieder
nach der Kapelle , man erfuͤllte ihr Gebot , und
leitete ſie durch Umwege dahin , weil Erdbeben
und Waſſerſtroͤme den gewoͤhnlichen Pfad ver-
nichtet hatten . Wie der Zug dort anlangte ,
ſah man erſt , daß das Erdbeben auch ſeine
Macht an der Kapelle bewieſen habe ; ſie ſtand
auf einer Felſenſpitze , die ihren Schatten von
der ſenkrechten Hoͤhe herab ins tiefe Thal warf ,
von der andern Seite aber gemaͤchlich beſtiegen
werden konnte , weil des Felſens breiter Ruͤk-
ken ſich hier nur langſam erhob . Das Erdbe-
ben hatte die Grundveſte der Kapelle erſchuͤt-
tert , und der wuͤthende Sturm ſie ins Thal
hinab geſchleudert . Die Felſenſpitze , die man
wahrſcheinlich einſt durchgehauen hatte , theilte
ſich izt in zwei gleiche Theile , und bildete eine
Hoͤhlung , welche eine gereizte Einbildungskraft
fuͤr ein abſichtlich gemachtes Lager halten konn-
te . Kleta ſtarrte lange nach dieſer Oefnung
hin , endlich ſprang ſie raſch hinzu , und legte
ſich darein . Der Mutter Fluch , ſchrie ſie mit
wildem Gelaͤchter , iſt nun erfuͤllt ! Mein Braut-
bette hat ſich in Stein verwandelt , bald wer-
den Schwefelflammen uͤber mich empor lodern !
Betet , betet , daß ich gluͤcklich ende !
Keine Worte des Troſtes fanden Eingang
in ihrem Herzen , keine Vorſtellung vermochte
ſie , den Ort zu verlaſſen . Man mußte Gewalt
brauchen , und reizte ſie dadurch zur aͤchten Ra-
ſerei des Wahnſinns , die nur dann endete ,
wenn man ihr verſprach , ſie bald wieder in ihr
Brautbette zu fuͤhren . Sie ſprach nur von
dieſem , alle ihre Ideen und Gedanken beſchaͤf-
tigten ſich einzig damit , man mußte ſie jeden
Tag dahin leiten , wenn man nicht toͤdliche Ra-
ſerei in ihrem Herzen erregen wollte . Sie ver-
gaß bald ganz ihres Hugos , gedachte ſeiner nie
mehr , und ſchien auch alle andere Begebenhei-
ten ihres Lebens vergeſſen zu haben .
Nach fuͤnf Monden kehrte Hugo mit ſeinem
Vater zuruͤck . Freude und Wonne glaͤnzte in
ſeinem Geſichte , der Pabſt hatte ſein Flehen er-
hoͤrt , ihm fernere Ehe mit ſeiner Stiefſchweſter
geſtattet , wenn er dagegen eine Kirche baue ,
und eines ſeiner Kinder dem Herrn widme .
Freude und Wonne wandelte ſich aber bald in
Leid und Jammer , als er ſich uͤberzeugte , daß
ſeine Kleta ihn nicht mehr kenne , und ein Raub
des Wahnſinnes geworden ſey . Er hofte ver-
gebens daß ſeine Gegenwart , die Verſicherung
ihres Gluͤcks ſie heilen wuͤrde , ſie ſchien ſeine
Troſtgruͤnde nicht zu hoͤren , und war nie zu be-
wegen , ihm nur die Hand zum Willkomm zu
reichen . Sie eilte , wie ehe und zuvor , jeden
Tag wenigſtens einmal nach ihrem Brautbette ,
und duͤnkte ſich nur dann gluͤcklich , wenn ſie ei-
nige Stunden darinne ruhen konnte .
Hugo war immer ihr Begleiter , einſt
folgte er ihr auch dahin , und ſah traurend
zu , wie die arme Wahnſinnige , voll Ver-
gnuͤgen nach ihrem ſteinernen Brautbette
ſprang , aber auch voll Angſt den Ausbruch
der Schwefelflammen erwartete . Er nahte
ſich ihr troͤſtend , ſie ſchien diesmal ſeine
Worte zu hoͤren , und blickte ihn laͤchelnd an .
Mit einem Ausbruch der Freude rief ſie end-
lich aus : Biſt du nicht Hugo ? Nicht mein
Braͤutigam ? O ſo komm ! lagere dich hie-
her ! Das Brautbette iſt ſchon bereit ! — —
Wie ſie dieſe Worte ausgeſprochen hatte ,
wollte ſie den Erwarteten Platz machen , draͤng-
te ſich mit ihrem Koͤrper allzu weit vorwaͤrts ,
und ſtuͤrzte durch die Oefnung des Felſens
ins tiefe Thal hinab . Ihr Koͤrper lag zer-
ſchmettert am Boden , ſie hatte ſchrecklich
und grauſam geendet . Hugo wuͤrde Nach-
folger geworden ſein , wenn ſeine Getreuen
ihn nicht abgehalten haͤtten , er folgte bald
nachher ſeinem Vater ins Kloſter , weihte
ſich und ſein Haabe dem Herrn , und ſtarb
freudig , um von dieſem den Lohn ſeines
namloſen Jammers zu erhalten .
Wahrſcheinlich ſprach er vorher noch ein-
mal mit dem Kaiſer , und entdeckte ihm ,
daß die Raͤuber , welche einſt ſeinen Sohn
mordeten , noch in Boͤhmens Forſten niſte-
ten ; denn jener durchzog bald nachher in
Geſellſchaft des Konigs Johann die ganze
Gegend , fand die Raͤuber , ließ Feuer in
ihre Hoͤhlen werfen , und verbrannte alles ,
was lebte . Noch ſieht man dieſe Hoͤhlen ,
deren Waͤnde ganz ſchwarz gefaͤrbt , und hie
und da ganz ausgebrannt ſind .
Kleta ward an der Staͤtte , wo ſie en-
dete , begraben , Ein gothiſcher Leichenſtein
bezeichnete lange ihr Grab , izt iſt keine Spur
mehr davon vorhanden . Nahe dabei ent-
ſpringt aber ein Brunnen , welchen man all-
gemein das Fluchbruͤnnlein nennt , deſſen
Waſſer niemand trinkt , weil es Ausſatz ver-
urſacht , und ſtark nach Schwefel ſchmeckt .
Wenns daͤmmert , ſolls dort , nach Verſiche-
rung aller alten Muͤtterchen , nicht ſicher zu
wandeln ſein , und haͤufige Irrwiſche den
Wanderer irre fuͤhren .