Grundzüge
der
Verfaſſung des Geſellenweſens
der
deutſchen Handwerker
in
alter und neuer Zeit .
Ein Beitrag zur Sittengeſchichte
von
Ch. L. Stock ,
Archivar des Königl. Provinzial-Archivs zu Magdeburg ,
des Thüringiſch-Sächſiſchen und des Altmärkiſchen hiſtoriſchen Vereins
correſpond . Mitgliede .
Magdeburg ,
Creutz’ ſche Buchhandlung .
1844 .
Z ur Einfuͤhrung dieſer kleinen Schrift in’s Publikum
habe ich weiter nichts zu ſagen , als daß hiermit ver-
wandte Aufſaͤtze : die Grundzuͤge der geſellſchaftlichen
Verfaſſung der Meiſter , in den Zeitſchriften :
„ Neues Allgemeines Archiv fuͤr die Geſchichtskunde
des Preußiſchen Staates , von L. v. Ledebur ,
Band I. , “
„ Poͤlitz Jahrbuͤcher der Geſchichte und Politik ,
fortgeſetzt von Profeſſor Buͤlau , Jahrgang
1841 , Band II , 1842 im Octoberheft und
1843 im Aprilheft , “
abgedruckt ſind . Außerdem ſpricht der Gegenſtand fuͤr
ſich ſelbſt und iſt es werth , der Nachwelt aufbewahrt
zu werden , da er der Gegenwart immer mehr entſchwin-
den wird .
Zugleich danke ich den ehrenwerthen Maͤnnern freund-
lichſt , die mir uͤber Gebraͤuche und Gewohnheiten der
Geſellen Mittheilungen gemacht haben , welche ich ver-
gebens in den mir zugaͤnglichen Acten fruͤherer Ver-
waltungsbehoͤrden ſuchte .
Magdeburg , im November 1843 .
Der Verfaſſer .
Ueberſicht des Inhalts .
Seite
Erſter Abſchnitt . Allgemeine Ueberſicht 1
Zweiter Abſchnitt . Uebergang des Lehrlings in den Geſellen-
ſtand 17
Dritter Abſchnitt . Der Geſellen Wanderſchaft 35
Vierter Abſchnitt . Die Zuſammenkünfte der Geſellen-Brüder-
ſchaften 72
Fünfter Abſchnitt . Die Handwerks-Mißbräuche der Geſellen 103
Schlußbetrachtung 114
Erſter Abſchnitt .
Allgemeine Ueberſicht .
S o lange die Handwerker als freie Arbeiter oder in den
Städten nur als Anſiedler ihr Gewerbe trieben , konnte , wenn
ſie ſich auch techniſch von einander unterſchieden , in ihren Werk-
ſtätten zwiſchen Meiſter und Gehülfen nur ein Contractsverhältniß
ohne rechtliche Wirkung für die Zukunft beſtehen . Der Beſitzer
einer Werkſtatt oder eines Arbeitsplatzes fand in ſeinen heran-
wachſenden Söhnen oder fremden Knaben die nöthige Hand-
reichung , wobei dieſe ſein Handwerk bis zu einem Grad von
Vollkommenheit , den nur ihre Willkühr oder ein Gefühl von
Selbſtſtändigkeit beſtimmte , erlernten und dann , wenn ſie die
Mittel dazu beſaßen , daſſelbe für ihre Rechnung trieben . Ein
Stand zwiſchen Lehrling und Meiſter mit auszeichnenden recht-
lichen Befugniſſen und Pflichten , wie wir ihn ſeit Jahrhunderten
unter dem Namen Handwerksgeſell oder ſchlechthin Ge-
ſell kennen , war ſo wenig vorhanden als nothwendig , da der
Titel Meiſter noch keinen politiſchen , ſondern allein Künſt-
lerwerth hatte , und jedem freien Mann unbenommen war auf
alle Weiſe ſich ſeinen Unterhalt zu erwerben , denn die mechani-
ſchen Arbeiter hatten als ſolche noch kein feſtes bürgerliches
Verhältniß in den Städten erlangt . Durch ihr Zuſammentreten
1
in Corporationen mit gildiſchen Rechten , durch ihre politiſche
Erhebung zum dritten Stande in den Städten , Hüllmanns Städteweſen Thl. I. , S. 305 , 318 ꝛc. und Thl. II. ,
S. 245 , 247. — Wilda , das Gildeweſen des Mittelalters , 2. Ab-
ſchnitt , die Handwerksgilden. v. Tzſchoppe und Stenzels Ur-
kundenſammlung , Hamburg , bei Perthes S. 250 . „ Wer in eine
Innung aufgenommen ſein wollte , bezahlte eine beſtimmte Summe
Geldes und mußte Bürgen ſetzen , daß er ein Jahr in der Stadt bei
dem Handwerke bleiben wolle . “ — Dies beſtätiget auch die in eben
dieſem Werke gegebene Handveſte der Stadt Schweidnitz von 1328 ,
es heißt daſelbſt §. 26 : Vorbaz welch Hantwerchmann welches Hant-
wercht her iſt der ſine Innunge gewinnen wil der ſal Burgen ſetzen
und Gewiſſet tun daz her ein gantz Jar blibe in der Stat an ſime
Hantwerke . mit welchen
ſich das Prohibitions-Syſtem als Baſis bürgerlicher Fortdauer
vergeſellſchaftete , wurde eine Sonderung der Arbeiter in den
verſchiedenen Fächern herbeigeführt , und nur auszeichnende Ge-
ſchicklichkeit und lange Einwohnerſchaft in der betreffenden Stadt ,
verbunden mit gutem Ruf , konnten zur Aufnahme in dieſe Ge-
ſellſchaften befähigen .
Es liegt zu fern und iſt nicht nöthig zu erforſchen , ob in
jenen Zeiten in den Städten ſo viele Arbeiter eines Fachs vor-
handen waren , daß bei dem Zuſammentreten der vorzüglichſten
in geſchloſſene Geſellſchaften viel oder wenig Genoſſen zurück
blieben , die nicht mehr frei arbeiten durften , vielmehr in ein
abhängiges Verhältniß zu jenen traten , genug , mit der engen
Verbindung der erſtern , die wir nun Meiſter nennen wollen ,
entſtand ein Unterſchied unter den Handwerkern , der die Grund-
lage einer höhern techniſchen Ausbildung der einzelnen Perſonen
wurde und auf die moraliſche Stellung des Standes ſelbſt
mächtig einwirkte .
Gleich nach jener Uebergangsperiode wurden wie in der
neueſten Zeit mit dem Prädikat Meiſter beſtimmte politiſche
Rechte , aber auch gewerblich-polizeyliche Beſchränkungen verbun-
den ; jene zu erwerben , mußten die übrig gebliebenen und ange-
henden jungen Genoſſen ſich dieſen ſchon früh unterwerfen . Eine
der vorzüglichſten Beſchränkungen , die aus der ſcharfen gewerb-
lichen Trennung der Meiſter-Innungen oder Gilden floß , war die ,
daß man ihnen nur erlaubte , bei Männern ihres Fachs , welche
Mitglieder einer privilegirten Geſellſchaft waren ,
für Lohn zu arbeiten ; ſie durften alſo weder für ihre eigene
Rechnung eine Werkſtatt oder Arbeitsplatz halten , noch bei Leu-
ten außer ihrem Fach ſich um Lohn verdingen . Wenn auf
Seite der Geſellen dieſe Iſolirung läſtig , zuweilen ſogar ſchädlich
erſchien , ſo trat dagegen die Reciprocität ausgleichend ins Mittel ,
denn auch die Meiſter waren verbunden , nur junge Leute ihres
Fachs in den Werkſtuben um Lohn zu beſchäftigen . In dieſem
gegenſeitigen Zwangsverhältniß beruht allein der Rechtsſtand der
Geſellen zur Innung , Gilde oder Handwerk ; es unterſcheidet ſie
zugleich weſentlich von dem gemeinen Geſinde der übrigen bür-
gerlichen Welt , welches nach dem Empfange ſeines Lohns aus
aller Beziehung zu dem Stande ſeines Brodherrn tritt , wenn
dieſer ſeinem ja ähnlich oder gleich war .
Dieſer Rechtsſtand konnte bei der frühern Geſetzgebung nur
von den Geſellſchaften ſelbſt durch angemeſſene Vorſchriften feſt-
gehalten werden . Die Nothwendigkeit wurde gar bald gefühlt !
Hatten ſich die Handwerksmeiſter herausgehoben aus der allge-
meinen Bürgergemeine und wollten ſie ihre Würde als raths-
fähige Corporationen auf die Dauer ſichern , ſo durfte es ihnen
nicht gleichgültig ſein , wie die Gehülfen ihres Fachs , aus denen
ſie ſich ergänzten , lebten ; ja ſie mußten ſich ſicher ſtellen , ſtets
geſchickte und moraliſch gute Leute in ihnen zu finden ; dies
konnte nur durch Vorſchriften geſchehen , welche den Gehülfen
beſtimmte Pflichten gegen die Meiſter auflegten , deren treue Er-
füllung ihnen die Ausſicht öffnete , einſt Mitglied einer Innung
zu werden , mithin ihre Iſolirung aufhob und ſie der Meiſter-
ſchaft näher ſtellte . So entſtanden die Statuten oder Geſellen-
Artikel , anfangs von den Landes- oder Stadt-Behörden nur
geduldet , ſpäter ſelbſt confirmirt , durch ſie aber auch neue Hand-
werksvereine , die Geſellenbrüderſchaft . Ihre Abhängigkeit
von den Corporationen der Meiſter war nur noch daran zu
erkennen , daß ein oder zwei Meiſter , die ſie Geſellenväter nann-
ten , bei ihren Zuſammenkünften den Vorſitz führten . So viel
Gutes in ſittlicher Hinſicht dieſe Statuten bewirkt haben , ſo viel
1*
Unheil für die Meiſter , ja ſelbſt für die ſtädtiſche Verfaſſung , hat
der einzige Umſtand hervorgebracht , daß man dieſen Fremden-
gilden , was ſie eigentlich nur waren , einen eigenen Ge-
richtsſtand in erſter Inſtanz bewilligte ; ja es ſind Spuren
vorhanden , daß die Meiſter in gewiſſen Fällen ſelbſt vor ihnen
ſtehen mußten .
Neben den Statuten befolgten ſie aber auch gewiſſe Ge-
wohnheiten und Gebräuche , auf welche in vielen Geſellenordnun-
gen und in den Statuten der Meiſter Bezug genommen wird ,
ohne ſie wörtlich auszuſprechen ; die Erfahrung hat gelehrt , daß
ſie auf dieſe mehr hielten als auf jene ; denn die wandernden
Geſellen pflegten bei ihrer Ankunft in einer Stadt auf der Her-
berge nicht nach Statuten und Geſetzen zu fragen , ſondern ,
ob Handwerksgewohnheit gehalten werde . Die Seilergeſellen fragten , ob Aelteſt und Jüngſt in der Stadt
ſey ? d. h. ob ſo viel Geſellen ihres Handwerks in Arbeit ſtanden ,
daß ſie Auflage halten und Alt- und Junggeſelllen wählen
konnten . Der Handwerksgewohnheiten waren gar viele und oft von
dem Handwerksbetrieb ſelbſt hergeleitet , daher nur den Mitgliedern
des betreffenden Gewerks bekannt . Die gewöhnlichſten bei allen
beſtanden etwa in folgenden : Das Geſellenmachen , der Gruß , die
Auflage , Auftreiben unredlicher Mitglieder , Feſthalten an gewiſſen
Arbeitsſtunden und Feiertagen , als blauer Montag , Faſtnacht , dritter
Feiertag . Als beſondere kommen vor : das Geſchenk , die Umſchau ,
Einbringen der Fremden , das Geleit zum Thor hinaus ꝛc . Auch
dieſe Gewohnheiten , lediglich in dem Herkommen begründet und
durch Tradition durch ganz Deutſchland verbreitet , ſtellten ſich
zwar in willkührlicher Deutung oder Ausdehnung den Beſchlüſſen
der Innungen , und ſelbſt Landesherrlichen Verordnungen , oft
feindlich gegenüber ; aber dennoch bildeten ſie , vereint mit den
Statuten , ein ſtarkes Band der Ordnung und Sitte , das Tau-
ſende von jungen Leuten mit den verſchiedenſten Verſtandeskräften
und Lebensanſichten zuſammenhielt , ihre oft wilden Leidenſchaf-
ten zügelte und ſie zu guten Bürgern bildete . Was dieſe Tochter-
gilden zu allen Zeiten beſonders ausgezeichnet hat , iſt : Ehrlich-
keit , Treue und Verſchwiegenheit , ein bis zum Irrthum geſtei-
gertes genoſſenſchaftliches Ehrgefühl , eine innige Theilnahme für
ihre Mitglieder durch ganz Deutſchland , ja durch das ganze
civiliſirte Europa In der dritten Ehre der Böttchergeſellen in Magdeburg , welche
ſie beim Ueberreichen des Willkommens an ein neues Mitglied aus-
brachten , hieß es : Mit Gunſt , daß ich mag unſern ehrlichen Will-
kommen von des Krugvaters Tiſch aufheben , ihn an meinen Mund
ſetzen , thuen daraus einen guten Trunk und trinke dem guten Geſellen
zu der vor mir war und nach mir kommen wird , er ſey
aus Reußen oder Preußen , aus Holland oder Braband ,
ſo er hierher kommt , ſoll er Beſcheid thun , das gilt
dir Hans , proſit Hans ! , das Feſthalten an den eben erwähnten Ge-
wohnheiten und Gebräuchen , eine Neigung das fröhliche Jugend-
leben bis zur höchſten Gleichgültigkeit gegen Mangel , Hitze und
Kälte zu ſteigern . Ueberall ſind ſie einheimiſch , wo ſie Hand-
werksgewohnheit finden und einige Cameraden die feſt an ihr
halten . Als conſtituirte Corporationen hatten ſie Beamtete ,
führten öffentliche Siegel , unter welchen ſie oft die ausgedehnte-
ſten Verbindungen unterhielten , und vermöge der ihnen geſtatte-
ten Gerichtsbarkeit in erſter Inſtanz In dem Generalprivilegio des Tiſchler-Handwerks für die Altmark
von 1563 , erneuert durch den Churfürſten Friedrich Wilhelm 1645 ,
heißt es : Item , ſo ein Meiſter etwas unredlichs oder unleidlichs von
einem Geſellen vermerkt , ſoll er ihn vor beklagen vor den Geſellen
und ſo es die Geſellen nicht ſtrafen wollten oder nicht entrichten könn-
ten , darf man doch nicht das ganze Handwerk verboten laſſen . ( Prov.-
Archiv in Magdeburg . ) die Symbole volksthüm-
lich richterlicher Gewalt , Hammer und Stab . Gleich den Mei-
ſtern unterhielten ſie Ehrengeräthe , nehmlich Lade , In den Staaten , wo man die Geſellen-Brüderſchaften nur duldete ,
durften ſie keine Lade führen , ſondern mußten ihre Geſellſchaftskaſſe
in einer Büchſe verwahrt in die Meiſterlade legen , z. B. die Schuh-
machergeſellen in Münſter ; im V ten Artikel ihres Statuts von 1553
heißt es : Item eth ſollen de Schoknechte eine Büſſe hebben dar ſe
düſſe vorgeſchrevne pennige vnd brocke inſammeln . Das ſal de Büſſe
ſyn by den Lechtvaders Lechtvader , Lechtſcheffer oder Schaffer , Geſellenvater , Alt-
geſell , von Einlegen ; ſie hatten auf das richtige Einlegen der
Geſellenbeiträge zu halten . und de ſlottel by den Lechtſchaffers . Auch
die Tiſchlergeſellen in Magdeburg durften am Ende des vorigen Jahr-
hunderts keine Lade , ſondern nur eine Büchſe zu ihren Beiträgen hal-
ten ; man ſieht daraus , welches Gewicht die Behörden , einverſtanden
mit den Meiſtern , auf die Führung einer Handwerkslade legten .
( Prov.-Archiv in Münſter . ) Willkom-
men , Jungfernkannen und Fahnen zu Feſtzügen , und in dieſem
Augenblick ſehen wir noch öffentliche Schilder an den Häuſern ,
wo ſie ihre Herbergen haben , ſelbſt da , wo ihre Verbrüderung
nicht mehr geduldet wird ; ſie unterſtützten ihre kranken und rei-
ſenden Genoſſen und ſorgten für ehrliche Beſtattung der verſtor-
benen Mitglieder .
II.
Beamtete .
Sie kommen unter mancherlei Namen vor , Schaffer , La-
dengeſell , Ordengeſell , Ordenjünger , Altführer , Jüngſtführer ,
Schaugeſell , Knappmeiſter , Altgeſell , Junggeſell . Ihre Zahl
richtete ſich nach der Stärke der Geſellſchaft . Jedenfalls findet
man auch bei der kleinſten Brüderſchaft zwei Beamtete , nehm-
lich einen Alt- und Junggeſellen ; zahlreiche Geſellſchaften , z. B.
Schuhmacher und Schneider , hielten noch beſondere Boten .
Wo zwei oder mehrere Altgeſellen im Amt ſtanden , hieß der
ältere Worthalter , der zweite Ladengeſell auch Schaffer oder
Rechnungsführer . Die Altgeſellen waren zwar nicht eigentlich
Vorgeſetzte der Brüderſchaft , die Mitglieder waren ihnen aber
überall Achtung und bei den Zuſammenkünften Gehorſam ſchul-
dig . Ihre Wahl wurde durch Stimmenſammlung bewirkt , ſie
fiel gewöhnlich auf gewanderte Geſellen , beſonders ſolche , die
eine längere Zeit in der Stadt arbeiteten und in moraliſcher
Hinſicht guten Ruf hatten . Das Amt des Junggeſellen ruhete
wie bei den Meiſtern das Jungmeiſteramt , auf den jüngſten Ge-
noſſen , alſo in der Regel auf den Ausgelernten ; waren dergleichen
nicht vorhanden , ſo traf es den zuletzt eingewanderten fremden
Geſellen , jedoch mußte er erſt wirkliches Mitglied der Brüder-
ſchaft geworden ſeyn . Die Altgeſellen und Rechnungsführer
hatten zunächſt für die Erhaltung des Verbandes zu ſorgen , zu
dem Ende die Geldbeiträge ( Auflagegelder ) bei den Zuſammen-
künften einzufordern und in das Rechnungsbuch einzutragen , die
Gelder ſtatutenmäßig oder nach gemeinſamem Beſchluß der Brü-
derſchaft zu verwenden und darüber Rechnung zu führen , die
jedoch immer ſehr einfach und nur ſummariſch verlangt wurde ,
jedoch waren ſie ſowohl der Brüderſchaft als der Meiſterſchaft
dafür verantwortlich . Sie hatten für die Unterbringung der
Kranken zu ſorgen , wenn dieſe nicht in den Wohnungen der
Meiſter verpflegt werden konnten ; jeden Sonntag mußten ſie ſich
nach ihrem Zuſtand erkundigen und die etwa nöthigen Vorſchüſſe
zu ihrer Verpflegung , mit Vorwiſſen des Geſellenvaters oder Bei-
ſitzers , aus der Lade entnehmen . Die Altgeſellen nahmen ſich
der auf irgend eine Art bedrängten Mitglieder an , ſprachen für
ſie und waren befugt , kleine Streitigkeiten zwiſchen Meiſter und
Geſellen , oder dieſen unter ſich , beſonders auf den Herbergen
auszugleichen . In dieſer ſchiedsmänniſchen Eigenſchaft gewähr-
ten ſie in den Zeiten , wo die niedere Polizey faſt gänzlich in
den Händen der Corporationen lag , den fremden Geſellen einen
kräftigen Anhalt ; in Streit- und Straffällen entſchied die ganze
Geſellſchaft und die Altgeſellen waren nur das Organ derſelben .
Es gehörte zur Uebernahme dieſes Amts allerdings ein guter ,
durch Erfahrung gebildeter Verſtand , rechtſchaffener und feſter
Charakter , vorzügliche Geſchicklichkeit im Handwerk , damit der
Inhaber nicht leicht von andern , beſonders ſeinen Mitarbeitern
in der Werkſtatt , überſehen werden konnte . Zu beklagen iſt
freilich , daß in neuerer Zeit die Wahl nicht immer in dieſem
Sinne ausfiel , vielmehr wählten die jungen Leute gewöhnlich
ſolche Geſellen , welche nach ihrer Meinung recht kräftig auf
Handwerksgewohnheit hielten , aber oft arge Rabuliſten waren ,
dies iſt eine der vorzüglichſten Schattenſeiten des Geſellenver-
bandes . Die Dauer dieſes Amtes war in der Regel von einer
Zuſammenkunft ( Auflage ) zur andern feſtgeſetzt ; es finden ſich
aber Vorſchriften , wonach ein Vierteljahr , auch ein halbes Jahr
beſtimmt wird , auch ſollte es unentgeltlich verwaltet werden ,
indeß kommen bei einigen Gewerken doch Renumerationen vor ,
z. B. Befreiung von den gewöhnlichen Geſellenbeiträgen , freie
Zeche am Tage der Auflage ꝛc . Zu ihren Pflichten gehörte fer-
ner , daß ſie ſich am Sonntage wenigſtens einige Stunden auf
der Herberge aufhielten , auch ſollten ſie an dieſem Tage bei dem
Geſellenvater Rückfrage halten , ob er etwas die Geſellſchaft Be-
treffendes zu beſorgen habe . Zu den Gewohnheiten gehörte , daß
ſie den Schlüſſel zur Lade nicht mit ſich aus der Stadt nehmen ,
ſondern in der Wohnung ihres Meiſters laſſen oder bei dem
Geſellenbeiſitzer niederlegen ſollten . Wollten ſie vor dem Eintritt
eines Auflagetermins die Stadt verlaſſen , um ihre Wanderung
fortzuſetzen : ſo legten ſie ihr Amt in die Hände des Geſellen-
beiſitzers nieder , welcher mit Genehmigung des Obermeiſters
ſofort einen andern bis zur nächſten Zuſammenkunft der Geſell-
ſchaft ernannte , wo es dieſer überlaſſen blieb , ihn im Amte zu
laſſen oder einen andern zu wählen : das Rechnungsweſen hatte
der Abgehende inzwiſchen mit dem Beiſitzer zu berichtigen .
Der Junggeſell war der Diener der Geſellſchaft in Amts-
ſachen und in dieſer Beziehung dem Altgeſellen untergeben . Bei
einigen ſtand er während der Auflage neben dem Altgeſellen am
Tiſch , bei andern an der Thür , bei allen nahm er in der Ord-
nung den letzten Platz ein . Wo kein Bote gehalten wurde ,
mußte er auf Befehl des Altgeſellen die Brüderſchaft zu den
Verſammlungen fordern Einige Brüderſchaften riefen ihre Mitglieder durch gewiſſe Symbole
zuſammen , z. B. die Schmiede ſchickten einen Nagel oder Hammer ,
die Schuhmacher den Ladenſchlüſſel von einer Werkſtatt zur andern .
Vergl . Grimms Rechtsalterthümer S. 162 , Art. Hammer . ( verboten ) , bei der Auflage die Ge-
ſellenlade auf den Tiſch ſetzen , die Auflagegelder von den Mit-
gliedern einſammeln , wenn es nicht gebräuchlich war , daß dieſe
ſelbſt ſolche auf den Tiſch legten , wie z. B. die Hufſchmiede .
Sollten Streitigkeiten unterſucht werden und die Partheien ab-
treten , öffnete ihnen der Junggeſell die Thür , und rief ſie nach
gefaßtem Beſchluß wieder herein ; bei einigen , z. B. den Seiler-
geſellen , hatte der Junggeſell auch einen Schlüſſel zur Geſel-
lenlade .
Es gab noch ein Amt , welches der Reihe nach einen jeden
Geſellen treffen konnte , bei einigen aber , z. B. den Böttchern
in Magdeburg , mit dem Altgeſellenamt verbunden war . Es iſt
das Ordenamt , verderbt Oerten , Irten , ſogar Erdenamt
genannt . Wir finden es beſonders bei den Handwerken , wo die
Umſchau der Geſellen eingeführt iſt , daher heißen ſie auch
Schaugeſellen . Sie hatten für die Unterbringung der ein-
wandernden Geſellen zu ſorgen , mußten ſie bewirthen , wo Ge-
ſchenke eingeführt waren , und ihnen den Gruß abfordern . Stan-
den bei dem betreffenden Gewerk einmal gar keine Geſellen in
Arbeit , ſo fiel es dem jüngſten Meiſter anheim , welcher dann
auch Ordenmeiſter genannt wurde . Bei dem Abſchnitt von der
Wanderſchaft wird mehr davon vorkommen .
III.
Allgemeine Pflichten und Sittengeſetze
der Geſellen .
a . Gegen die Brüderſchaft .
Jedes Mitglied derſelben war verbunden , zur Beſtreitung
ihrer gemeinſamen Bedürfniſſe beizutragen ; dahin gehörten : die
Herbergsmiethe oder die Erhaltung des Hauſes dazu , wenn die
Geſellſchaft eins beſaß . Die Pflege der Kranken , Ausgaben für
Lichte und gemeinſchaftliches Eſſen bei ihren Zuſammenkünften ,
Erhaltung der Ehrengeräthe , als : Willkommen , Schenkkannen
und anderer derſelben gehörigen Utenſilien , Unterſtützung der Rei-
ſenden . Dieſe Beiträge wurden unter dem ſchon gedachten
Namen Auflage , auch Zeitgeld , bei den Schuhmachern in
Münſter Stuhl- oder Stättegeld , entrichtet . Außerdem hatten
die einwandernden Geſellen , wenn ſie in der Stadt Arbeit erhiel-
ten , bei der erſten Zuſammenkunft oder Auflage der Brüder-
ſchaft eine Gebühr zu entrichten , welche man Einſchreibe-
geld , auch Ordengroſchen nannte ; auch hatten die ausgelernten
Lehrlinge bei ihrer Aufnahme in die Brüderſchaft einige Gebühren
zu zahlen . Aus dieſen Einnahmen , wozu in neuerer Zeit etwa
einkommende Strafgelder kamen , In der früheſten Zeit beſtanden dergleichen Strafen in Bier oder
Wachs . bildete ſich die Geſellen-
kaſſe . War die Brüderſchaft anhaltend ſchwach , gleichwohl
kranke Mitglieder vorhanden , ſo traten die Meiſter hülflich
hinzu . Die Statuten bewilligten eigentlich nur Vorſchüſſe , welche die Wie-
dergeneſenen erſtatten ſollten ; befanden ſie ſich dazu außer Stande ,
beſonders wenn ſie aus Mangel an Arbeit reiſen mußten , ſo wurden
ſie ihnen erlaſſen . Starb der Kranke unter der Pflege der Geſell-
ſchaft : ſo fiel ſeine Verlaſſenſchaft an Kleidern , Geld ꝛc. dieſer an-
heim , wenn ſeine Verwandten ſie durch Erſtattung der Verpflegungs-
koſten nicht auslöſ’ten . Die Verſtorbenen wurden von der geſammten Brü-
derſchaft zur Erde beſtattet ; zu dem Ende unterhielten in großen
Städten die Zimmergeſellen , Maurer , die Tuchmacher , Schuh-
macher , Schneider ꝛc. eigenes Leichengeräthe . Ihr öffentliches
Betragen ſollte anſtändig ſeyn , zu dem Ende durfte keiner un-
ſauber gekleidet auf der Straße erſcheinen , Und wie er ſich in Allem der Ehrbarkeit befleißigen ſoll , ſagen die
Raſchmacher in Quedlinburg , alſo ſoll er auch nicht mit unbedecktem
Haupt und entblößten Füßen über die Straße gehen oder mit Knaben
und Jungen ſpielen ꝛc . ( Prov.-A. in Magdeb. ) Auch den Bäckerge-
ſellen in Erfurt wurde verboten , auf der Straße baarſchenkelig
zu erſcheinen . Die Glaſer in Magdeburg verboten in der Vorſage
dem neuen Geſellen , aus der Taſche zu naſchen ꝛc . Trunkenheit ver-
meiden , nicht mit verdächtigen Frauenzimmern umgehen oder ſie
auf die Herberge bringen , bei der Abreiſe aus der Stadt keine
Schulden hinterlaſſen , widrigenfalls wurde ihnen nachgeſchrieben
und ſie ſo lange verfolgt , bis ſie ſolche berichtiget hatten ; ſich
gegenſeitig nicht verläumden , überhaupt offen und redlich mit
einander umgehen ; von dem , was bei der Auflage vorkam , nicht
gegen Fremde ſprechen , endlich die Gewohnheiten und Gebräuche
fortpflanzen , Handwerksgewohnheit ſtärken und nicht
ſchwächen , ſagten die Maurer und Seiler . Der Verdacht ,
noch mehr aber eine bekannt gewordene ſchlechte Handlung ,
Diebſtahl , abſichtlicher Betrug u. dgl. ſchloß den Betheiligten
bis nach erfolgter Entſcheidung , von der Brüderſchaft in jeder
Stadt aus ; ungünſtige vollſtreckte obrigkeitliche Urtheile hatten
für ſie dieſelben harten Folgen wie bei den Meiſterſchaften , wo
ein erwieſener und beſtrafter Diebſtahl oder dem ähnliches Ver-
brechen den Verluſt der Innung oder Gilde nach ſich zog .
b . Pflichten gegen die Innung , Gilde oder das
Handwerk und die Stadt , in welcher ſie
arbeiteten .
Die genaue Verbindung der Handwerks-Statuten mit den
Polizeygeſetzen der Stadtbehörden , verpflichtete auch die Geſellen
zum Gehorſam gegen dieſe , ſo weit ſolche auf ihr Handwerk
Bezug hatten . Dahin gehört zunächſt , daß ſie weder in der
Stadt noch im Bereich ihres Weichbildes oder auf nahen Dörfern
bei einem unzünftigen Manne ( Pfuſcher ) arbeiteten ; die Glaſer-
geſellen ſollten ſie meiden , ſo weit ſie ein weißes Pferd im
flachen Felde ſehen konnten ; nur die höchſte Noth oder
Unwiſſenheit entſchuldigte einen vierzehntägigen Aufenthalt bei
ſolchen Leuten ; noch weniger durften ſie für eigene Rechnung
heimlich arbeiten . Ferner ſollten ſie ſich durch das Verſprechen
eines höhern Wochenlohns nicht aus einer Werkſtatt in die an-
dere locken laſſen , damit nicht Mißtrauen und Unfriede unter
den Meiſtern erregt werden möchte ; wollte einer ſeinen Meiſter
verlaſſen , ſo ſollte er ſeine Mitarbeiter nicht zur Theilnahme
überreden . Oeffentlich durften die Geſellen davon ſprechen , daß ſie reiſen wollten ,
und dann mußten ſie Wort halten oder Strafe bezahlen . ( Adrian
Beyer von der Wanderſchaft . ) Wer unter ihnen von dem Obermeiſter zum Vor-
ſteher oder Mitarbeiter in der Werkſtatt einer Wittwe erwählt
wurde , mußte bei dieſer ſofort eintreten oder die Stadt verlaſſen .
Bei Leichenbegängniſſen der Meiſter folgten ſämmtliche Geſellen ;
verſtorbene Kinder der Meiſter , Lehrburſchen , bei vielen auch
deren Dienſtmädchen , trugen ſie zu Grabe . Stürbe aber dem Meiſter oder der Meiſterinn ein Sohn oder Tochter ,
ſo ſollen die Geſellen die Leiche auch zu Grabe tragen , ſo viel derer
dazu nöthig ſeyn , bei Strafe 4 ggr . Stürbe auch einem Meiſter ein
Geſelle , Magd , Lehrjunge oder Lohnjunge , ſo ſoll die Leiche von den
4 jüngſten Geſellen und zwo Lohn- oder Lehrjungen zu Grabe getra-
gen werden . ( Art. 39 der Seilerordnung im Fürſtenth . Halberſt . von
1603 . ) In Bezug auf
die Stadt waren gewiſſe Verpflichtungen der Geſellen eine Folge
der Stellung der Gewerke zu derſelben und die Behörden mach-
ten im Unterlaſſungsfall dieſe dafür verantwortlich . Die ge-
wöhnlichſten beſtanden in Hülfsleiſtungen bei Feuers- und Waſ-
ſersnoth . Die Raſchmachergeſellen in Quedlinburg mußten , ſobald ſie in Arbeit
traten , dem Obermeiſter angeloben , bei entſtehender Feuersgefahr der
Bürgerſchaft zu Hülfe zu eilen . ( Quedl . Innungs-S. im Magdeb.
Prov.-Archiv Nr. 24 . ) Daß Maurer , Zimmerleute und Schloſſer bei
Feuersgefahr Hülfe leiſteten , iſt in jeder Stadt bekannt . Eine ſeltene Erſcheinung in der ſtädtiſchen Polizey
möchte ſeyn , daß die Handwerksgeſellen von den Magiſträten
unmittelbar in Pflichten genommen wurden , ſie kommt 1568 in
Erfurt bei den Fleiſchern vor , wo die Geſellen derſelben darauf
ſehen ſollten , daß nur geſundes Schlachtvieh zur Stadt gebracht
würde . Die Verordnung war inſofern zweckmäßig , als die Ge-
ſellen gewöhnlich das Vieh einkauften und bei wohlhabenden
Meiſtern ſich ausſchließlich mit dem Schlachten deſſelben be-
ſchäftigten ; ſie wurden daher zu mehr Aufmerkſamkeit und Of-
fenheit angeregt ; auffallend für ihre Stellung iſt aber in ihrem
Eide , daß ſie auch das Fleiſch auf den Bänken der Meiſter be-
ſehen ſollten und dafür ſogar Gebühren nehmen durften , ſie
wurden dadurch offenbar ſtädtiſche Polizeybeamtete . Eid der Fleiſchergeſellen in Erfurt von 1568 : „ Der Fleiſchhauer
Knechte ſollen die Schweine getrewlich vndt vleißig beſehen dem Ar-
men Als dem Reichen , Vndt von einem Schwein nicht mehr denn
Vier Pfennig fordern auf dem Markte vnd nehmen vndt wo findichte
darunter befunden , Sollen Sie wie vor Alters Zeichnen vnd die Leute
darfür warnen , Auch gute achtung vndt aufſehen haben , Wann wan-
delbare oder angebrochene Schaffe oder ander ander Vihe hergetrieben
würde das Sie ſolchs warnen vnd allen Verkauf ohne Verziehen einem
Rathe vermelden . Item das Sie alle tag mit den Schetzern vnd
Achtmannen vor der Heimiſchen vnd fremden fleiſchbenke gehen ſollen
vndt alles fleiſch beſichtigen eher es aufgehawen wirdt . Dem Armen
als dem Reichen vndt dem Reichen als dem Armen , Vndt wo ſolche
wandelbar befunden Das es vermöge dieſer Ordnung geſtraft werde
vnd das nicht laſſen weder vmb leidt , gifft , gabe , gunſt , freundtſchafft ,
feindtſchafft noch keiner andern ſachen willen . Alles trewlich vnd
vngefehrlich . “ ( Urkundenbuch im Prov.-Archiv in Magdeb. )
c. Pflichten gegen die Meiſter als Brodherrn ,
Betragen im Hauſe und in der Werkſtatt
derſelben .
Bei den meiſten Handwerken , auch denen , welche ſich den
Künſten nähern , wurden die Geſellen ( Maurer , Zimmerleute und
Buchdrucker ausgenommen ) mit dem Tage , da ſie bei einem Meiſter
in Arbeit traten , Haus- und Tiſchgenoſſen deſſelben , denn der faſt
allgemein gewordene Gebrauch der Handwerksgeſellen , in Speiſe-
häuſern zu eſſen und ſogenannte Schlafſtellen zu miethen , iſt eine
neuere Einrichtung , durch Einſchränkung der Meiſter auf enge
Wohnungen und einfachere Nahrungsmittel , als ſie den Geſellen
bieten mögen , herbeigeführt . Wenn wir uns nun in den wohl-
eingerichteten Haushalt einer guten Bürgerfamilie verſetzen , die
mit mehrern Kindern verſchiedenen Alters und Geſchlechts ge-
ſegnet iſt ; wenn wir uns ferner den erfahrnen geſchickten Meiſter
in ſeiner mit Werzeug Werkzeug gut ausgeſtatteten Werkſtatt denken , mit
einem Vorrath von Material und von ſeinen Kunden ihm an-
vertrauten Stoffen verſehen : ſo müſſen wir geſtehen , daß ein
nicht geringes Vertrauen dazu gehört , mit jungen oft leichtſin-
nigen Leuten , welche ihr Schickſal in der Welt umherführt , deren
Eigenthümlichkeiten des Charakters man ſo wenig kennt als ihr
Herkommen und bisheriges Betragen , in ein ſo nahes perſönli-
ches Verhältniß zu treten . Zwar kommt die Familie auch mit
dem gewöhnlichen Geſinde in Berührung , aber ſie iſt durchaus
verſchieden von dem Umgang mit dem Geſellen . Knechte und
Tagelöhner , ſelbſt Mägde kommen nur ſelten ins Wohnzimmer
der Herrſchaft ; aber unmittelbar neben dem Meiſter ſteht der
fremde Geſell den ganzen Tag . Seiner Treue und Geſchicklich-
keit muß er koſtbares Material anvertrauen , dem Einfluß ſeiner
Sitten ſeine Familie ausſetzen . Dieſes eigenthümliche Verhältniß
machte auch ſpecielle Verordnungen , beſonders Sittengeſetze noth-
wendig , dieſe finden wir zum Theil in den Statuten , zum Theil
auch in den Gewohnheiten , in der weiten Ausdehnung des Be-
griffs von Handwerks-Redlichkeit . Dem Untreuen folgte
der Verruf in wandernder Tradition in alle Länder . Wir wer-
den bei der Auflage das furchtbare Regiſter , das ſchwarze
Buch kennen lernen , da hinein wurde ſein Name geſchrieben
und bei jeder Zuſammenkunft öffentlich als unredlich genannt ,
bis ihn einer der reiſenden Geſellen irgendwo antraf und ihn
ſcheltend auftrieb , wo ihn denn die betreffende Brüderſchaft zwang ,
ſein Vergehen abzubüßen und ſo lange bis er dies nachgewieſen
hatte , von ihrer Gemeinſchaft ausſchloß ; war die Sache wichtig
genug , ſo wurde ſie dem Handwerk oder der Obrigkeit zur wei-
tern Verfolgung angezeigt . Ihre Statuten wieſen ſie an , im
Hauſe des Meiſters ruhig und beſcheiden zu leben und Alles
zu vermeiden was den Frieden der Familie ſtören konnte ; zu
dem Ende keine leichtfertigen Reden führen , in der Werkſtatt nicht
fluchen oder leichtſinnig ſchwören , des Meiſters Koſt , Werk-
zeug , Bett und Bettgewand nicht verachten , Ordnung für die Kürſchnergeſellen in Erfurt 1591 : Art. 6. Welch
geſelle in Seines oder eines andern Meiſters Hauſe Sich gegenn der
Meiſterinn oder Magdt , mit vnhöflichen Worten die man für Züchtigen
Frawen oder Jungfrawen nicht zu redenn pflegt , ſich vernehmen liß ,
ſoll zur ſtraf ein Wochenlohnn verfallen ſein .
Art. 19. Welch geſelle auf der Herberge oder in des Meiſters
Hauſe , mit fluchen oder ſchwehrenn Gott leſtern wurde , ſoll ſo oft er
daß thutt einen Wochenlohn verfallen ſeinn , doch ohne Abbruch E. E.
Hw. Raths gerechtigkeitt vnd ſtraffe .
Statut der Schneider-Innung zu Magdeburg von 1655 , Art. 44 :
Wenn ein Geſell bey einem Meiſter oder Meiſterinn ſich freventlich
oder muthwillig verhielte , ihre Speiſe Koſt und Arbeit ohne Urſach
verachtete , der ſoll in einem halben Jahre alldar nicht arbeiten .
Die Schuhmacher und Gerber daſelbſt : Wenn ein Geſell wäre
der dem Meiſter die Koſt oder das Eſſen möchte verachten und er über-
wieſen wäre daß er Schuld hätte ſo ſoll der Geſelle ein Jahr aus der
Stadt wandern . die in
den Statuten oder durch Herkommen feſtgeſetzten Arbeitsſtunden
halten . Die Kürſchner in Erfurt ſagten : wenn ein Geſell
des Morgens um 7 Uhr nicht in des Meiſters Werk-
ſtatt iſt , ſoll er die ganze Woche verfeyert haben ,
d. h. keinen Lohn bekommen . Urkundenbuch im Prov.-Archiv zu Magdeburg . Noch ſtrenger waren
die Geſetze für die Schneidergeſellen in den kleinen Amtsſtädten
des Erzſtifts Magdeburg von 1593 , Erzſt . Innungs-Sachen Nr. 6. desgleichen ſoll auch
ein junger Geſell , ſo er ſich des Montags verfeyert ,
alſo daß er früh vor 7 Schlägen ohne ehrhafte Ver-
hinderung nicht in des Meiſters Werkſtatt iſt , der
ſoll in einem Jahr weder zu Egeln , Hadtmersle-
ben , Wanzleben noch auf den Dörfern arbeiten .
Die Geſellen waren zwar verbunden , alle Aufträge ihrer Meiſter
auszuführen , aber in ihren Gewohnheiten lag , daß dieſe immer in
den Grenzen ihres Fachs bleiben ſollten , ſie vermieden daher alle
übrigen häuslichen Verrichtungen und mochten es wohl hin und
wieder zu genau damit nehmen ; wo aber Beſcheidenheit und
richtige Anſicht von wahrer Ehre mit einem längern Aufenthalt
in der Familie ſich verband , da ſchwand auch alle bizarre Hand-
werksgewohnheit , und es bildete ſich jenes ſchöne patriarchaliſche
Verhältniß zwiſchen der Familie und dem Geſellen , von dem wir
ſo viel in Kinderſchriften und ſelbſt in Romanen gehört haben .
Die Geſellen bei den wirklichen Innungen , z. B.
den Schuhmachern , Fleiſchern , Maurern , Zimmerleuten ꝛc. blie-
ben bei ihren Meiſtern eine beſtimmte Zeit , nehmlich von einem
Wand erziel bis zum andern , welches gewöhnlich ein hal-
bes Jahr umfaßte ; der Meiſter war verbunden , den Geſellen ,
wenn er ihm nach den erſten 14 Probetagen gefiel , eben ſo lange
zu behalten oder bei ausgehender Arbeit ihn bei einem andern
Meiſter unterzubringen . Bei den übrigen war es ſtatutariſcher
Gebrauch , daß man ſich 14 Tage vorher den Dienſt aufſagte ,
was indeß vielleicht ſchon im ganzen verfloſſenen Jahrhundert
nicht mehr gehalten worden iſt , weil man ſich gegenſeitig nicht
mehr in dem Grade achtete , als in frühern Zeiten ; vielmehr
konnte der Geſell jeden Sonntag abgehen oder verabſchiedet wer-
den . So wie übrigens das ganze Betragen der Geſellen durch
Statuten und Handwerksgewohnheiten geordnet wurde und da-
durch einen ganz eigenthümlichen Typus bekam : ſo war auch
das Aufſagen des Dienſtes ihrer Seites an beſtimmte Förmlich-
keiten gebunden , welche ſie , die Buchbinder und einige andere
etwa ausgenommen , bis in die neueſte Zeit beibehalten haben ;
gewöhnlich geſchah es am Sonntage nach dem Mittageſſen . In
der Vorſage der Schmiede aus dem letzten Jahrhundert heißt
es : Mein Schmied , wenn du wirſt von deinem Mei-
ſter Abſchied nehmen , ſo ſiehe her und nim einen
feinen Abſchied , nicht wie die Katze vom Tauben-
ſchlag , ſondern des Sonntags wenn du gegeſſen
haſt und du deinen Lohn bekommen haſt , ſo ſprich :
Mit Gunſt , Meiſter , ich thue mich bedanken daß Sie Früher ſagten ſie wohl Er , wie die Meiſter ſie mit Du anredeten .
mich ſo lange in Arbeit gefördert haben , es ſtehet
heute oder morgen gegen die Ihrigen wieder zu
verſchulden . Die Maurer : Meiſter , ich bedanke mich
für Ihre gute Beförderung und richtige Bezahlung ,
die Sie mir bisher gegeben haben und verhoffe , daß
ich mich werde ſo verhalten haben , wie es einem
rechtſchaffenen Maurer zukommt , was ich mir auch
ferner , wo ich hinzukommen gedenke , angelegen
ſeyn laſſen werde , keinem Meiſter etwas entwenden ,
auch einem Pfuſcher nichts zubringen , wie es ehr-
bar und zünftig iſt , alſo mit Gunſt . Schriftliche Privatmittheilungen . Die Meiſter
ſagten bei Entlaſſung der Geſellen : Geſellſchaft , ich be-
danke mich Seiner ( Deiner , Ihrer ) Arbeit , wobei ſie
ihnen einen Entlaſſungsſchein gaben , auf deſſen Vorzeigung ihnen
der Obermeiſter die bis dahin in der Innungslade aufbewahrten
Legitimationspapiere aushändigte . Den Zuſtand zwiſchen dem
Aufſagen der Arbeit und der wirklichen Abreiſe aus der Stadt ,
oder dem Eintritt in eine andere Werkſtatt in derſelben , nannten
ſie in früherer Zeit Wanderfertig , Wandermüßig ,
Fremdwerden .
Zweiter Abſchnitt .
Der Uebergang des Lehrlings in den Ge-
ſellenſtand .
a . Rückblick auf den Stand des Lehrlings .
D ie Begriffe von Gilde- und Zunftfähigkeit als ſtädtiſche
Ehrenſache gründeten ſich zunächſt auf einen perſönlich freien
Stand , welchem Grundeigenthum oder ſonſtige Wohlhabenheit
die nöthige Kraft verliehen , vor den übrigen Städtebewohnern
ſich geltend zu machen . Wollten die Handwerker , nachdem ſie
in Corporationen zuſammengetreten waren , ihren Inſtituten als
den jüngſten Kindern ſtädtiſcher Verfaſſung und ohne localen
Beſitzſtand , den errungenen Einfluß und Antheil am Stadtre-
giment ſichern , ihren höhern Rang vor der Gemeine erhalten , Die Bürgerſchaft iſt getheilt in die Innungen und in die unverin-
nungte Gemeinde . Der Innungen ſind 6 , Krahmer , Futterer , Bäcker ,
Fleiſcher , Schuſter , Schmiede . Aus jeder Innung iſt einer , nehmlich
der Obermeiſter , den ſie wählen und an Rath bringen , zum Rath
geſetzt . Die Gemeine iſt getheilt in vier Viertel , aus jedem Viertel
ſind zwei als Gemeinmeiſter , ſo auch von den Vierteln gewählt und
dem Rath präſentirt werden , zum Rath geordnet . ( A. im Prov.-
Archiv zu Magdeburg , Stadt Halle Nr. 30 . )
ſo war es ihre Pflicht , ihre Verbindung auch individuell ſo vor-
wurfsfrei als möglich zu erhalten . Daher verdenken wir es
ihnen nicht , wenn ſie ſchon bei der Aufnahme ihrer jüngſten
Genoſſen , der Lehrlinge , mit vieler Vorſicht verfuhren und
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beſonders im Geiſt der ältern und vornehmern Gilden , denen ſie
ſich auf alle Weiſe zu nähern ſuchten , eine freie eheliche Geburt
und Abſtammung auf vier Ahnen zurück , zum erſten Erforderniß
machten . Nächſt dieſem hatte das Gewerbe der Eltern und ihr
moraliſcher Ruf großen Einfluß auf ihre Aufnahme . Alle nach
der eingetretenen Sonderung ſtädtiſcher Gewerbe , und nach den
Begriffen des Jahrhunderts , geringfügige Beſchäftigungen , alle
niedern beſonders ſtädtiſche Bedienungen , Zöllner , Rathsdiener ,
Frohnvögte , Schäfer , Hirten , Bader , Livrebediente ꝛc. ſchloſſen
von der Erlernung eines zur Gilde oder Innung erhobenen
Handwerks aus . Daß der Knabe dieſe Eigenſchaften beſaß ,
wurde in einer Urkunde beſtätiget , die noch in neuerer Zeit , unter
dem Namen Geburtsbrief , bekannt geblieben iſt . Nach dem
Reichsgeſetz von 1731 ſollte allen Knaben ohne Unterſchied der
Abkunft , der Eintritt in eine Innung oder Handwerk geſtattet
werden , daher faßte man auch in den Königlich Preußiſchen
Staaten alle bisherigen Anforderungen der Corporationen in der
Erklärung zuſammen : der Knabe ſey von ſolchen Eltern
geboren , die aller Innungen , Zünfte und ehrbaren
Geſellſchaften fähig wären . Bei außer der Ehe gebore-
nen vertrat die landesherrliche Legitimation die Stelle des Ge-
burtsbriefes . Man kann jenes Geſetz ein wahres Wagſtück poli-
zeylicher Geſetzgebung nennen , deſſen guter Erfolg ihm nicht
allein , ſondern dem bald darauf kräftig aufblühenden Schulun-
terricht zuzuſchreiben iſt . Verweilen wir nun einige Augenblicke
bei dem Zuſtande des Lehrlings während einer gemäßigten Zunft-
verfaſſung .
Mit dem Eintritt in die Werkſtatt beginnt für ihn ein
zweiter Schul-Curſus , wenn er ja ſchon einen durchgemacht hat .
In der Schule wurden nur ſeine Geiſtesfähigkeiten in Anſpruch
genommen , während ſeine Körperkräfte der langſamen Entwicke-
lung der Natur überlaſſen blieben . Er mußte ſeinen Lehrern
gehorchen , aber nur in einigen Tagesſtunden , alle übrigen ver-
lebte er unter der duldenden Nachſicht ſeiner Eltern . Der ernſte
Meiſter nimmt ihn dagegen ganz in Anſpruch , er verlangt unbe-
dingten Gehorſam ; am frühen Morgen muß er der Erſte in der
Werkſtatt ſeyn , und darf ſie am ſpäten Abend erſt dann verlaſ-
ſen , wenn alle Geräthe und Inſtrumente an ihren Ort gebracht
ſind . Eine ſtrenge Subordination iſt ſeine beſtändige Aufſeherinn ,
jeder Fehler wird gerügt ; ſelbſt außer dem Hauſe des Meiſters
war noch am Ende des letzten Jahrhunderts ſein Wille in Be-
zug auf Aufwand und Sitte beſchränkt ; nicht ſowohl durch
buchſtäbliche Vorſchriften , als durch alte in chriſtlicher Moral
begründete Gewohnheiten . Ueberall wo die Lehrburſchen mit
einem Meiſter oder Geſellen ihres Handwerks zuſammentrafen ,
mußten ſie denſelben Ehrerbietung bezeigen . An öffentliche Ver-
gnügungsorte durften ſie nur in Begleitung ihrer Angehörigen
gehen . Allen auszeichnenden Aufwand , wohin der früher ge-
bräuchliche Haarpuder und der Stock als Zierden gehörten ,
mußten ſie vermeiden . Die Statuten verpflichteten ſie auch zum
Gehorſam gegen die Meiſterinn und Geſellen , und wenn erſtere
auf ihre Ausbildung für häusliche Ordnung , Reinlichkeit , ruhiges ,
ſittiges Betragen im Hauſe wirkte , ſo waren es oft geſchickte
Geſellen , die ſie unterrichteten , beſonders in großen Werkſtätten ,
wo der Meiſter mit ihrer Unterweiſung ſich nicht immer befaſſen
konnte . Vorſichtige Eltern wählten daher immer ſolche Lehrmei-
ſter für ihre Söhne , die nicht allein den Ruf der Geſchicklichkeit
hatten , ſtets Geſellen beſchäftigten , ſondern auch einen ſoliden
Haushalt führten ; deren Frauen als rechtſchaffene gutmüthige
Hausmütter bekannt waren . Wie manche ungezogene Knaben
und nach dem Erſcheinen des erwähnten Reichsgeſetzes , die Söhne
geringer Handarbeiter , die zunächſt viel üble Gewohnheiten mit
ſich ins Haus brachten , ſind durch die würdigen Gattinnen ihrer
Lehrmeiſter zur Ordnung und zu anſtändig bürgerlichem Betragen
geleitet worden , während Meiſter und Geſellen ſie im Handwerk
unterwieſen . Aus ſolchen Häuſern gingen dann kräftige junge
Männer hervor , welche an Gehorſam und ausdauernde Thätig-
keit gewöhnt , zu der Hoffnung berechtigten , daß ſie in ihrem Ge-
ſellenſtande ihre Fähigkeiten weiter ausbilden und dereinſt tüch-
tige Meiſter werden würden .
Nach abgelaufenen Lehrjahren ſtellte der Meiſter den bishe-
rigen Lehrling der Innung oder dem Handwerk vor und erklärte :
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er habe ſeine Lehrjahre redlich ausgehalten , das
Handwerk wohl begriffen und ſich dabei verhal-
ten , wie es einem ehrlichen Jungen wohl anſtehe .
Darauf ſprach ihn der Obermeiſter im Namen des Gewerks von
dem Stande eines Jungen und ſeinen Verpflichtungen gegen
den Lehrmeiſter los und erklärte ihn , nach der Obſervanz des
Gewerks , zum Jünger oder Geſellen , jedoch mit dem ſtillen
Vorbehalt etwaiger Erinnerungen der Geſellen-Brüderſchaft . Er
ermahnte ihn zur Tugend , zum Fleiß und zur Treue gegen ſeine
künftigen Brodherrn , zugleich wies er ihn an , ſich den Statuten
gemäß in Bezug auf die Handwerksgewohnheit zu betragen ;
welches der Ausgelernte mittelſt Handſchlags zu thun verſprach .
Hin und wieder kommen auch Probearbeiten der Lehrlinge vor ,
auch Beſtimmungen , welches Product ihres Fachs die Ausge-
lernten anzufertigen verſtehen ſollten , wenn ſie auf Geſellenlohn
Anſpruch machen wollten , jedoch nicht allgemein , was den Ge-
werken zum Vorwurf gereicht . Da der Handwerksgewohnheiten
ſo viele waren , ſo unterrichtete in alter Zeit der Lehrmeiſter den
abgehenden Lehrling über die , die zu den äußern Gebräuchen
gehörten , z. B. über den erſten Eintritt bei verſammelter Innung ,
bei den geſchwornen Gewerken über den Gruß , den er als tiefes Ge-
heimniß bewahren mußte , In dem Statut der Maurer im Fürſtenthum Halberſtadt von 1695
heißt es deshalb : Es ſoll ein Meiſter , wenn er einen Diener Hand-
werksgewohnheit nach ausgewieſen , ſo hoch vermahnen , daß derſelbe ,
was ihn an Worten anvertraut iſt , bei ſeiner Seelen Seligkeit im
Herzen zu behalten und keinem Menſchen außer redlichen Maurern zu
offenbaren bei Verluſt ſeines Handwerks . ( Prov.-Archiv Halberſt .
Innungs-S. Nr. 12 , Vol. V. ) alle übrigen lehrte ihn der Altgeſell
oder irgend ein gereiſter Geſell aus der Brüderſchaft . Die In-
nung fertigte ihm darauf eine Urkunde über ſeine abgehaltenen
Lehrjahre aus , die unter dem Namen Lehrbrief bekannt iſt ;
dafür und für das Losſprechen hatte er einige Gebühren an die
Innung , an manchen Orten auch an öffentliche Inſtitute zu
entrichten .
b . Aufnahme des Ausgelernten in die Brüder-
ſchaft der Geſellen .
Das bisherige Thun und Treiben des Lehrlings erregte noch
kein öffentliches Intereſſe ; bei irgend glücklichen Gemüthsanlagen
und Talent floß ihm ſein Leben in knabenhafter Sorgloſigkeit
dahin ; aber mit der Urkunde des Lehrmeiſters in den Händen
wird es anders . Eine weit verzweigte Brüderſchaft , eine ewig
wandernde , ſich ewig ergänzende Republik nimmt ihn auf als ihren
Genoſſen ; eine Geſellſchaft , welche als Geſammtmaſſe in der
älteſten wie in der neueſten Zeit , ja in dieſem Augenblick noch ,
die Aufmerkſamkeit des Publikums und der Staatsbehörden ſo
ſehr in Anſpruch nimmt , während diejenigen unter ihnen die
achtbarſten und glücklichſten zu nennen ſind , welche allen öffent-
lichen Antheil , der nicht eine Folge künſtleriſcher Auszeichnung
iſt , verſtändig von ſich abzuhalten wiſſen . Seine Eltern , oder
wer ſonſt bisher für ſeine Bedürfniſſe ſorgte , erklären nach der
letzten Ausſtattung gewöhnlich : man könne nun nichts weiter für
ihn thun , und ſo wird ihm eine gewiſſe Selbſtſtändigkeit ange-
deutet , die er nun auf ſeine Gefahr behaupten ſoll . Daher iſt
dieſer zweite Schritt im zünftigen Berufsleben wichtiger , als die
harmloſe Jugend einſieht ! denn Jetzt beginnen für ſie die Lehr-
jahre des praktiſchen Weltlebens , von deren kluger
Benutzung , nach Anleitung ihrer Berufsſtellung , ihr künftiges
moraliſches Daſein abhängt . Das fühlten die alten Meiſter
und Väter der Innungen und Gilden tief , und in Ermangelung
einer zweckmäßigen Literatur , führten ſie beſondere Gebräuche
ein , wodurch den jungen Geſellen ihr neues Verhältniß verſinn-
licht , das was ſie entehren und unglücklich machen konnte , vor-
gehalten , ſo wie das Ziel einer guten Aufführung und eines
zweckmäßigen gewerblichen Strebens in der Ferne gezeigt wurde .
Den Ernſt wußten ſie in Scherz zu hüllen , aber ihm durch allge-
meine Verbreitung eine feſte Baſis zu geben , ſo daß er nie ganz
verloren ging , ſelbſt dann nicht , als die Gebräuche durch tau-
ſendfältige Tradition und willkührliche Zuſätze verunſtaltet , zuletzt
ans Abſurde ſtreiften . Wir dürfen es nicht verſchmähen , uns
einige Augenblicke von einigen dieſer Gebräuche zu unterhalten Ich habe mir die vollſtändigen Handwerksgebräuche der Geſellen meh-
rerer Handwerke von alten Meiſtern und gereiſten Geſellen zu ver-
ſchaffen geſucht und würde ſie gehörig geordnet abdrucken laſſen , wenn
ſie nicht gar zu weitläufig und vielfältig übereinſtimmend wären , hier
aber nur eine gedrängte Ueberſicht Platz finden kann. D. V .
und wollen mit den Maurern anfangen , wiewohl das , was der
Verfaſſer nach vielem Fragen und Forſchen von ihnen hat erhal-
ten können , nur Stückwerk iſt .
Der Lehrmeiſter ſtellte den bisherigen Diener oder Lehrling
dem verſammelten Handwerk gewöhnlich mit folgender Anrede
vor :
Mit Gunſt und Erlaubniß ehrſames Handwerk , Meiſter
und Geſellen . Unter den Geſellen werden nur die Altgeſellen als Deputirte der
Brüderſchaft verſtanden .
Das Handwerk :
Gunſt genug !
Der Lehrmeiſter :
Einem ehrſamen Handwerk , Meiſter und Geſellen wollte
ich nach Handwerksgebrauch und Gewohnheit und meiner
Schuldigkeit melden , daß der bei dem ehrſamen Hand-
werke vor drei Jahren als Lehrling eingeſchriebene N.
ſeine Lehrjahre ehrlich und treu ausgeſtanden und nun
wünſcht als Geſelle aufgenommen zu werden .
Hierauf trat der Lehrling mit folgenden Worten ein :
Mit Gunſt und Verlaub , daß ich meinen ehrlichen Ein-
tritt nehmen mag vor ehrbaren Meiſtern , ehrbaren Altge-
ſellen , ehrbaren Caſſenſchreibern , ſo wie ſie hier vor offener
Lade verſammelt ſind , alſo mit Gunſt !
Hatte das Gewerk nichts gegen ihn zu erinnern , ſo erfolgte
ſeine Freiſprechung oder Ausweiſung , im andern Fall wurden
ihm ſeine Fehler zuvor ernſtlich verwieſen . Darauf trank der
Obermeiſter aus dem Willkommen die Geſundheit des neuen
Geſellen , nach ihm der Altgeſell , dann trank der junge Geſell
indem er ſich zugleich für die ihm erwieſene Ehre bedankte .
Dieſem Danke ging immer ein dreimaliges Bitten vorher , auch
durfte der Willkommen nicht mit bloßen Händen , ſondern mußte
mit einem ſaubern Tuch angefaßt werden . Nun wohnte der
neue Geſell der Auflage oder Zuſammenkunft der Geſellen zum
erſten Mal bei , wo ihm die Brüderſchaft in folgenden Verſen
zugebracht wurde :
Feſte Dinge dieſer Erden
Müſſen unverändert ſeyn ,
Willſt Du jetzt mein Bruder werden ,
Es geſcheh’ bei Bier und Wein ,
So mußt Du mit Mund und Hand
Ewig halten Bruderſtand .
Sonn’ und Mond die ſtehen ewig ,
Erſte iſt ganz unbeweglich ,
Alſo wirſt auch Du mir ſeyn
Ewig bleiben Bruder mein .
Eine allgemeine Fröhlichkeit herrſchte , Fahnen wurden ge-
ſchwenkt , Muſik und Tanz beſchloſſen das Feſt . Es wurde dem neuen Geſellen auch der Gruß gelehrt , der bei der
Wanderſchaft vorkommen wird .
Das Geſellenmachen der Tiſchler .
Dieſe , die Buchdrucker , Schloſſer , Böttcher und Seiler
gingen ziemlich unſanft mit den Ausgelernten um , ſie reinigten
ſie gleichſam ſymboliſch von allen in der Lehre noch nicht abge-
legten oder angenommenen Unarten und belegten ſie bis dahin
mit häßlichen Namen ; die dabei vorkommenden Manipulationen
nannten ſie Hobeln , die Buchdrucker : Deponiren , Schloſſer :
Bartbeißen , Böttcher : Schleifen , Seiler : Jünger- oder
Geſellenmachen ꝛc . Die Tiſchler wählten zu dem Geſchäft
im Zeichnen geübte Geſellen , die zugleich geſchickt waren , eine
lange Rede , die ſie Hobelpredigt nannten , zu halten , worin das
Alter und die Vortheile der Tiſchlerkunſt mit beſonderer Rückſicht
auf das Bauweſen entwickelt wurden . Ein anderer Geſell aſſi-
ſtirte ihm , ſpielte aber nur die luſtige Perſon , auch wurden zwei
Zeugen oder Pathen für die Ausgelernten gewählt . Die Inſtru-
mente beſtanden in einem Hobel , Richtſcheid , großem hölzernen
Zirkel und Winkelmaaß . Richtſcheid und Hobel waren hohl
und mit Erbſen oder andern Dingen gefüllt , damit ſie beim
Gebrauch Geräuſch machten ; es war gewöhnlich Muſik bei dem
Feſte , auch wurden nicht wenig Gäſte dazu geladen . Nach-
dem die Handwerkslade aufgetragen und die Auflage mit den
gewöhnlichen Förmlichkeiten eröffnet war , trat der Hobelgeſell ,
die Muſik voran , den großen hölzernen Zirkel , auf deſſen Spitzen
eine Citrone oder Apfelſine , und ein Blumenſtrauß ſteckten , im
Arm tragend herein ; ihm folgten die Ausgelernten mit Blumen
geſchmückt unter dem Richtſcheid gehend , welches die beiden
Zeugen über ihnen trugen , der Gehülfe , ſeine Thorheiten mit den
Lehrlingen treibend , neben her . Nachdem ſie ſich mit dem Ge-
ſicht gegen die Lade gerichtet hatten , redete erſterer die Geſell-
ſchaft nach erbetener Erlaubniß in Verſen an , worin er fragte , ob
Jemand gegen ihn , ſeine Gehülfen oder die Ausgelernten etwas
zu erinnern habe . Nach erfolgter günſtiger Antwort wurden
dieſe unter dem Richtſcheid ſo geſtellt , daß ihre Arme gleich
Statuen auf die Hüften geſtützt ein gleichſeitiges Dreieck bilde-
ten , die Füße mit den Ferſen feſt aneinander , ſo daß das Win-
kelmaaß genau dazwiſchen paßte , während dem ſpielten die Mu-
ſiker . Der Hobelgeſell gebot nun Schweigen und fing ſeine
Predigt an , von der wir des gedrängten Raumes wegen nur
Auszüge geben dürfen .
Als ich geſtern ging ſpazieren ,
Mit einer Jungfer zu carreſſiren ,
Da kam zu mir das grobe Holz , Der Ausgelernte .
Ganz aufgeblaſen und ganz ſtolz ,
Es ſtellt’ ſich gleichſam in die Thür
Und bracht’ mir dieſe Rede für :
Die Lehrzeit , ſagt’ es , hat ein End’ ,
Doch bin ich damit nicht content
Daß man mich einen Kuhſchlüſſel nennt , Das iſt der Eckelname , mit dem ſie die Ausgelernten ſo lange belegten ,
bis ſie die Hobelung ausgehalten hatten .
Denn wenn ich eine Jungfer um einen Kuß will fragen ,
So wird ſie höhniſch zu mir ſagen :
Geh hin und laß erſt hobeln dich ,
Dann komm , dann biſt du recht für mich .
— Den Namen möcht’ ich werden los . —
Da merkt’ ich gleich , was ihn verdroß ,
Und gab ihm darauf den Beſcheid :
Erwarte nur die rechte Zeit ;
Und weiter ſprach ich von den Sachen ,
Laß dich zum ehrlichen Geſellen machen .
Ich ſelbſt will dazu behülflich ſeyn ,
Zum Ehrenſtand
Mit meiner Hand .
Dieſes iſt der Eingang ſeiner Predigt , die er nun in drei
Theilen vorträgt . Der erſte handelt von der Erfindung der Tiſch-
lerkunſt , wobei der Baukunſt im Allgemeinen gedacht wird , und
enthält in Verſen aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts inter-
eſſante Stellen , die ſich auf den Vitruv baſiren . Der zweite
erzählt die Wanderſchaft eines lockern Tiſchlergeſellen höchſt ergötz-
lich . Der Dichter läßt den Burſchen halb Europa , und Deutſch-
land vom Belt bis zum Rhein flüchtig durchlaufen . Bei neun-
zehn Meiſtern in einem Vierteljahr verſucht er ſein Glück , aber
bei keinem will es ihm gefallen ; ſo viel er geſehen und gehört
hat , ſo wenig Heil hat es ihm gebracht . Aus dem Oeſterreichi-
ſchen klagt er endlich ſeinem Vater :
Mich hat die böſe Welt betrogen
Und mir die Kleidung ausgezogen ,
Die Räuber haben mich erwiſcht
Und mein ſchönes Geld gefiſcht .
Ich liebe nicht die Schwelgereyen ,
Das Frauenzimmer thu’ ich ſcheuen ,
Den Teufeleien bin ich feind ,
Von allen Spielen gar kein Freund ,
Das Einz’ge , was mich kann erquicken
Iſt , mir etwas an Geld zu ſchicken ꝛc .
Der dritte Theil der Rede iſt an den jungen Geſellen
gerichtet , welchem er zunächſt den während der Lehrjahre bewie-
ſenen Hochmuth verweiſ’t .
Alſo mit Gunſt :
Kuhſchlüſſel , wie wird es jetzt ausſehn ?
Mein dritter Satz wird Euch angehn .
Ihr gingt ja ſo ſtolzlich auf der Gaſſen ,
Als thätet Ihr Euch was dünken laſſen ,
Und habt Euch ſo viel gebildet ein ,
Als thätet Ihr ſchon Meiſter ſeyn ?
Man ſpürte Euern ſtolzen Muth ,
Ihr rührtet weder Mütz’ noch Hut ,
Vor Meiſter und Geſellen nicht ,
Das ſag ich Euch in’s Angeſicht ꝛc.
Aber jetzt will ich Euch anſeh’n ,
Der ſtolze Muth ſoll Euch vergeh ’n ꝛc .
Nach einigen eben nicht feinen Drohungen , wie er bei der
Hobelung mit ihm verfahren werde , tröſtet er ihn wieder aus
Rückſicht ſo vieler zarten Jungfrauen , die eben gegenwärtig wä-
ren , und giebt ihm dann manche gute Lehren , von denen wir
folgende ausheben :
Es iſt ein Kleeblatt in der Welt ,
Das hat ſchon manchen Held gefällt ,
Das erſte Blatt iſt leicht zu kennen ,
Die Liebe pflegt man es zu nennen .
Ein junger Menſch thut wohl daran ,
Wenn er entfliehet dieſer Bahn ,
Denn wer die Jungfern wird ſehr lieben ,
Der wird ſich öfters ſelbſt betrüben ,
Muß ſich auch zu ſeinem Schaden
In dem Meer der Thränen baden .
Das zweite Blatt wird ſehr erhoben
Von denen , die den Bacchus loben ,
Die Witterung kommt aus dem Faß ,
Drum iſt daſſelb’ beſtändig naß .
Das dritte Blatt pflegt ſehr zu hitzen ,
Weil darauf lauter Spieler ſitzen .
Sie ſpielen nach dem Alphabet ,
Nachdem ſich die Fortuna dreh’t .
Daraus entſpringet großer Schaden ,
Dawider die Vernunft thut rathen .
Nun mögt Ihr folgen meinem Rath ,
Flieht dieſes Kleeblatt früh und ſpat ,
Und weil zuviel Branntwein und Bier
Zu krummen Gängen leicht verführt ,
So nehmt vor dieſen Euch wohl in Acht ,
Daß Ihr niemals dergleichen Gänge macht .
Denn es iſt Schande für Jedermann ,
Wenn ein Gerader nicht grad gehen kann ;
Es benimmt ihm ſeine Ehr’
Und macht dazu den Beutel leer .
Auch hütet Euch vor den Geſpenſtern ,
Die umher ſchleichen an den Fenſtern ;
Ich ſelbſten kenne ſie zwar nicht ,
Denn es ſchau’t eine Jungfrau mir in’s Geſicht ,
Ich will ſie Euch auch nicht entdecken ,
Damit ich keine mög erſchrecken .
Der Hochmuth iſt ein böſes Ding ,
Ich auch bei ihm in die Schule ging ,
Ich kann Euch auch die Stapfen zeigen ,
Wie man denſelben kann erreichen ꝛc .
Nach Beendigung der Rede mußte der Ausgelernte ſich auf
eine Bank legen und alle die Bewegungen figürlich mit ſich
vornehmen laſſen , als wenn er ein Stück Holz wäre ; wobei der
Gehülfe , als luſtige Perſon , ſich manche Schwänke erlauben
durfte . Nach dieſer unſanften Bearbeitung ſtellte er ſich neben
den Hobelgeſellen , welcher nun in Bezug auf ſeine Geſchicklich-
keit , die ihn befähigte , die eben vorgeweſene Hobelung zu ver-
richten , ſich rechtfertigte . Er entwarf zu dem Ende auf einem
Reißbrett aus freier Hand ein halbes Portal , gewöhnlich mit
einer corinthiſchen Säule , und erläuterte die Zeichnung nach den
Geſetzen der Kunſt , wobei er ſich das Anſehn gab , als unter-
wieſe er den jungen Geſellen . Hatte dieſer bisher manche Unbill
von ihm zu dulden , ſo mußte er ſich nun ſelbſt der Cenſur der
ganzen Geſellſchaft ausſetzen , und für jeden Fehler in der Zeich-
nung oder Erklärung Strafe bezahlen ; auch hatte er von den
Gebühren , welche die jungen Geſellen an ihn entrichteten , die
erforderlichen Getränke für die anweſenden Gäſte anzuſchaffen .
Hiſtoriſch merkwürdig iſt noch Folgendes dabei :
Nach der Handlung ſtellte man den neuen Geſellen wieder
unter das Richtſcheid ; der Hobelgeſell ergriff es aber und hielt
es ihm unters Kinn indem er fragte : wie heißt Du ?
„ Martin . “
Bis jetzt hießeſt Du Martin unter der Bank , jetzt heißt
Du Martin auf der Bank ; dabei gab er ihm einen leich-
ten Backenſtreich und ſagte : das leide nur von mir , hin-
fort von keinem andern . Offenbar ein Inveſtiturzeichen , z. B. bei Belehnungen ; auch bei der
Firmelung giebt der Biſchof den Confirmanden einen Backenſtreich ; die
Worte des Geſellen paſſen freilich nicht dazu .
Ferner nahmen die jungen Geſellen dabei ein Zeichen an ,
das ſie auf der Wanderſchaft auf Erfordern der Brüderſchaft
vorzeigten ; auch mußten ſie die Namen des Hobelgeſellen und
der beiden Zeugen genau merken , damit ſie ſolche auf Verlangen
angeben und als wirkliche oder ſogenannte gemachte Geſellen
ſich legitimiren konnten , denn mehr als Reiſepaß und Kund-
ſchaft galten ihnen der Gruß und dieſes ſinnliche Zeichen .
Auch die Steinmetzgeſellen führten dergleichen Zeichen , welche
ſie auf ihren Reiſen und Zuſprachen in den Bauhütten oder Lo-
gen , auf ein Stück Stein mit der Bicke eingruben ; die an großen
Werken arbeitenden Geſellen gruben ſolche Zeichen in die von
ihnen bearbeiteten Werkſtücke . Ein itzlicher wandergeſell ſol bithen um eine bicke , darnach um ein
Stück Steins , darnach um gezeugk , das ſol man jm williglichen leihen
— um nehmlich ſein Geſellenzeichen darauf einzuhauen . — ( Stieglitz ,
Wenn in dem figürlichen Hobeln der Tiſchlergeſellen doch
eine ſittliche Bedeutung liegt , die ſich ſogar als Sprichwort in
unſere Sprache gedrängt und im Sächſiſchen lange erhalten hat :
ſo iſt im Gegentheil ein Gebrauch der Schloſſer , das ſogenannte
Bartbeißen , ſinnlos und kann der Geſundheit der jungen Leute
leicht gefährlich werden . Es geht dabei ſo zu :
Nach den gewöhnlichen Bitten und Höflichkeiten fragte der
Altgeſell den neuen Jünger , Dieſe Eigenſchaft erhielten die Ausgelernten zunächſt bei ihnen , wirk-
liche Geſellen konnten ſie erſt auf der Wanderſchaft und nach dem
Beſuch mehrer großen Städte werden . ob er dem Schlüſſel den Bart
abbeißen oder ſich mit Geſellen und Jüngern vergleichen wolle ?
Er wählte natürlich das letzte und bot nun eine Summe Geld
zum Vergnügen der Geſellſchaft . Darauf drehete ihm der Alt-
geſell das Bartende eines Schlüſſels dreimal im Munde herum ,
wobei er ſagte :
Alſo mit Gunſt für den Herrn Ladenmeiſter ,
Alſo mit Gunſt für den Altgeſellen ,
Alſo mit Gunſt für die ganze Geſellſchaft .
Wem fällt hierbei nicht ein , daß eine etwaige Unzufrieden-
heit des Altgeſellen mit der bisherigen Aufführung oder dem ge-
botenen Geſchenk des jungen Geſellen leicht Einfluß auf die Art
des Umdrehens des Schlüſſels haben konnte ? —
Bedeutend dagegen ſind folgende Gebräuche derſelben :
Wenn der junge Mann als neues Mitglied der Brüderſchaft ſei-
nen Beitrag zur Lade ( Auflagegeld ) zahlte , gab ihm der Altgeſell
dieſen mit den Worten zurück : „ diesmal wird ſie ihm
( nehmlich die Auflage ) zurückgegeben , hüte er ſich aber ,
daß ſie ihm nicht zum zweiten Male zurückgegeben
wird , ſonſt ſteht es nicht gut um ſeinen ehrlichen
Namen . “ Wenn nehmlich ein Geſell ein Verbrechen beging ,
wurde er aus der Brüderſchaft gewieſen , welches ſinnbildlich
durch Zurückgabe des Auflagegeldes geſchah . Ferner hielt ihm
die Kirche der heiligen Kunigunde zu Rochlitz . Auch im Innern
der Domthürme zu Magdeburg und vielen andern Theilen der Kirche
ſieht man ſolche Geſellenzeichen ) .
der Altgeſell den Geſellenſtab Dieſen führten nur die Altgeſellen bei der Auflage als Zeichen richter-
licher Würde . vor und lud ihn ein , ihn
anzunehmen ; war er nun ſo unvorſichtig , dies zu thun , ſo wurde
er nicht nur lächerlich gemacht , ſondern mußte auch Strafe zah-
len ; im andern Fall antwortete er auf die Anrede des Altgeſel-
len : „ Mein lieber Junggeſell , ich wünſche viel Glück
zu dieſem Geſellenſtab “ :
Den Stab zu führen bin ich zu ſchlecht ,
Ich will erſt lernen mein Handwerk recht ,
Eine Hand iſt nicht krumm , die andere nicht lahm ,
Doch kann ich den Stab nicht greifen an .
Das Geſellenſprechen der Jünger glich in neuerer Zeit einem
Geſellſchaftsſpiel , im Alterthum mag es ſinnreicher geweſen ſeyn ,
wovon die Mittheilung , die dem Verfaſſer gemacht worden , noch
einige Spuren trägt , deren wir noch im Auszuge gedenken wollen .
— — — Altgeſell . Wie wird mein lieber Junggeſell ſich
verhalten , wenn Meiſter , Geſellen und Jünger nach ihm fragen ?
Jünger . Meiſter , Geſellen und Jünger haben ein Recht ,
nach mir zu fragen , weil ich Hammer , Zange und Steinmeißel
trage .
Altgeſell . Sein Nam’ iſt aller Ehren werth , wir wollen
ihn ſetzen auf ein weißes Pferd . Ein weißes Pferd hatte bei den Alten viel Auszeichnendes , man leſe
hierüber in Grimms Rechts-Alterthümern S. 134 , 256 bis 261 .
Darauf ergreift der Altgeſell den Willkommen , trinkt ihm
zu , reicht ihm die Hand , und der neue Geſell trinkt auf das
Wohl der Geſellſchaft . Dann wird ihm das Geſellenbrod ge-
reicht Ein feines Gebäck , was dazu bereit gehalten wird . , das er annimmt und dabei dem beiſitzenden Meiſter ,
Altgeſellen und der Geſellſchaft dankend zunickt , dann gab man
ihm den Geſellenſtab , den er nun , wenn es ſich fügte , zu führen
berechtigt war . Es mag hierbei zugleich angeführt werden , daß
der Gebrauch , das Geſellenbrod zu reichen , auch bei den Seilern
Statt fand , nur auf eine faſt unanſtändige Weiſe . Nach vie-
lem Hänſeln , das der junge Geſell erdulden mußte , band man
ihm endlich einen von Hanf geflochtenen Zopf an den Kopf
und einen Korb auf den Rücken , gab ihm eine Laterne in die
Hand und hieß ihn das Geſellenbrod ſuchen . Während er ſo
daſtand , fragte der Altgeſell in den gewöhnlichen Formalien die
Geſellſchaft , ob einer oder der andere noch etwas gegen ihn zu
erinnern habe , worauf dieſe dann erwiderte : ſie wiſſe nichts
als Liebes und Gutes von ihm ; nun nahm man ihm den
Korb ab und der Altgeſell redete ihn wie einen einwandernden
Geſellen an : Hui Seiler biſt Du des Handwerks ? Antwort :
ich weiß nicht anders . Dann erſt reichte er ihm das Geſellen-
brod , welches in ein wenig Brod und Salz beſtand . Der Ge-
brauch hat jedenfalls einen tiefern Sinn , der durch öftere Tra-
dition und thörichte Ausübung in neuerer Zeit verunſtaltet iſt .
Zunächſt finden wir darin eine Beſtätigung deſſen , was Wilda
in ſeinem Gildeweſen Seite 300 ſagt , daß die Handwerker , als
ihre politiſchen Verhältniſſe ſich ſchon glücklich geſtaltet hatten ,
ſich dennoch die Armen nannten , denn daß in dem Gebrauch
ein Bild der Dürftigkeit und Demuth liegt , iſt klar ; auch bei
der Umſchau der Schloſſer und Hutmacher werden die Meiſter
arm genannt .
Mit vielem Reden iſt das Geſellenmachen der Hufſchmiede
verbunden , beſonders die Vorſage , welche dem neuen Geſellen
gehalten wird , ſehr lang und mit einigen Ceremonien durchwebt ,
ſie enthält aber manche gute Lehren für einen jungen Menſchen ,
die noch in dieſem Augenblick nicht zwecklos ſeyn würden . Wir
wollen einen Satz ausheben , der , obgleich in neuer Sprache , doch
ſehr alt ſeyn mag .
Der Altgeſell ſpricht zu einem der Zeugen :
Mit Gunſt Schmied , ſchlag eine Hitze mit ; darauf
nimmt dieſer das Wort :
Wenn du vors Thor kommſt , ſo wirf drei Federn auf , Grimms Rechtsalterthümer S. 83 .
die eine wird fliegen rechts , die andere wird fliegen übers Waſ-
ſer , die dritte wird fliegen grad aus ; mein Schmied , welcher wirſt
du nun folgen ? Die erſte könnte dich auf einen Abweg führen
und du könnteſt dich verlaufen , der zweiten , die übers Waſſer
fliegt , folge auch nicht , denn das Waſſer hat keine Balken , folge
der , die gerade aus fliegt . Dann wirſt du kommen an einen
grünen Wald und müde ſeyn , lege dich aber nicht nieder zum
Schlafen , es möchte ein Ungerufener kommen und nähme dir
dein Bündel , mein Schmied , was wollteſt du da machen ! Laufe
immer fort . Dann wirſt du kommen an eine Mühle , ſo wirſt
du denken „ willſt hinein gehen , und um einen Zehrpfennig bit-
ten “ , das thue nicht , die Müller ſind grobe Leute , ſie möchten
dich beſchimpfen und deinen ehrlichen Namen vergeſſen . Dann
wirſt du kommen an einen Teich , in dem werden Fröſche ſitzen
und ſchreien : arg , arg . Ja , wirſt du denken , ich hab es wohl
arg gemacht bei meinem Lehrmeiſter — eine Schüſſel voll Sauer-
kraut und Schweinekopf , daß ich kaum mit einer Wagenſtange
darüber ſpringen konnte , laß dir dabei das Heimweh nicht ein-
fallen . Dann wirſt du kommen an einen Bach , da werden
Enten und Gänſe laufen , da wirſt du ſtarken Appetit kriegen
und meinen , du wollteſt eine todtſchlagen , damit du auf den
Abend einen Braten habeſt ; mein Schmied , das thue nicht , es
möchte einer dazukommen und ſchlüge dir die Haut voll und
vergäße deinen ehrlichen Ramen , du dürfteſt dich nicht mehr
unter ehrlichen Geſellen ſehen laſſen , drum laß einem Jeden das
Seine ; laufe immer fort , laufe ein Loch in die Welt hinein ,
daß man es nicht mit zehn Fuder Heu zuſtopfen kann ꝛc .
Das Geſellenmachen der Glaſer iſt in neuerer Zeit ohne
große Förmlichkeiten geſchehen , es wurden dem jungen Geſellen
vor verſammeltem Handwerk folgende Geſellenartikel vorgeleſen ,
denen er nachzuleben mit einem Handſchlag verſprechen mußte .
I. Sollt Ihr meiden alle Jungen , mit welchen Ihr vor
dieſen converſiret habt , denn ſolches ſtehet einem ehr-
lichen Glaſergeſellen nicht an .
II. Sollt Ihr nicht gehen auf der Gaſſen ohne Mantel ,
Rock , Stock und Degen , oder etwas von Handwerks-
zeug tragen , auch nicht den Mantel ums Maul
ſchlagen und nicht aus der Taſchen naſchen , denn
ſolches ſtehet der Ehrbarkeit nicht wohl an .
III. Sollt Ihr Euch zu keinem öffentlichen Spiel einlaſſen ,
als Würfelſpiel ꝛc. , auch in keinen gemeinen Tanz ,
es ſey denn , daß andere ehrliche Leute oder Hand-
werksgeſellen oder eure Mitgeſellen ſich dabei befinden .
IV. Sollt Ihr Euch halten zu ehrlichen Meiſtern und Ge-
ſellen , denn wenn Ihr mit ehrlichen Leuten umgeht ,
ſo könnt Ihr auch vor ehrlichen Leuten aufſtehen und
werdet von Jedermann lieb und werth gehalten .
V. Seid Ihr ſchuldig und verbunden , wenn Ihr bei
einem Meiſter in Arbeit ſtehet , daß Ihr alle Abend
fein zur rechten Zeit , wenn die Thorglocke läutet , Euch
zu Hauſe einfindet und nicht ohne Wiſſen des Mei-
ſters außen bleibt .
VI. Wenn Ihr nun reiſet , ſo habt Ihr von Meiſter und
Geſellen ein ehrlich Geſchenk zu empfangen , wobei der
Gebrauch iſt , daß , wenn Ihr in eine Stadt kommt ,
den Bündel unter den linken Arm nehmt und alsdann
auf der Herberge einkehrt und nach dem Irdenge-
ſellen Ordengeſell . ſchicket , welcher Euch dann auf Euer Bitten
nach Handwerksgebrauch um Arbeit ſchauen und
( wenn Ihr keine Arbeit erhaltet ) den Bündel vors
Thor tragen wird .
VII. Sollet und müſſet Ihr meiden alle Pfuſcher und
Bönhaſen Ebenfalls Pfuſcher oder unzünftige Glaſer . ſo weit Ihr ein weißes Pferd im flachen
Felde erſehen möget , es wäre denn aus höchſter Noth
und aus Mangel des Geldes geſchehen , ſo iſt’s er-
laubt , 14 Tage bei einem Pfuſcher zu arbeiten .
VIII . Müßt Ihr Euch freundlich und dienſtfertig gegen Eure
Herrſchaft bezeigen , ſo daß Ihr den Lohn von Gott
zu erwarten habt .
Wann Ihr nun dieſen obgemeldeten Punkten wollet nach-
kommen , ſo ſollet Ihr einem jeden unter uns die Hand geben
und mit einem Ja bekräftigen .
3
So Ihr nun ſolches mit Hand und Mund verſprochen
habt , ſo wünſch’ ich Euch von Grund des Herzens , daß Gott
mit ſeinem guten Geiſt in Euch wirke , damit Ihr Euch in Eurem
Geſellenſtande ſo aufführet , daß er Euch in Eurem Meiſterſtande
nach Eurem geführten Wandel Urſach habe zu ſegnen .
Zum Schluß wird noch bemerkt , daß die Uebertreter dieſer
Artikel mit Strafe bedrohet werden .
Dritter Abſchnitt .
Der Geſellen Wanderſchaft .
S ie iſt eine der wichtigſten und folgereichſten Inſtitutionen im
deutſchen Handwerks- und Innungsweſen . Richt allein die
Statuten ſämmtlicher Gewerke , auch die Landesgeſetze aller deut-
ſchen Fürſten , verpflichteten die Geſellen dazu , und nur die Söhne
der Meiſter waren hin und wieder davon entbunden , indem man
meinte , die Weisheit des Vaters vererbe ſich eben ſo gewiß auf
den Sohn , als das Innungs- oder Gilde-Recht ! Ihre Dauer
war auf drei , auch vier Jahre feſtgeſetzt ; die Geſellen wurden
nur dann zur Anfertigung eines Meiſterſtücks gelaſſen , wenn ſie
die vorgeſchriebene Wanderzeit gehörig abſolvirt hatten . Nur
gewanderte Mitglieder der Brüderſchaften konnten Altgeſellen
werden und das ſogenannte Geſellenmachen verrichten . Eine
Zeit ihres Entſtehens möchte ſchwer zu ermitteln ſeyn , da die
älteſten Handwerks-Statuten nichts darüber enthalten ; indeß mag
ſie bei denen zuerſt vorkommen , welche ſich der Kunſt nähern ,
und früher nur an wenigen Orten und auch da nur ſelten per-
manente Beſchäftigung fanden , wohin wir Steinmetze , Maurer ,
die Gold- und Silberarbeiter und ſolche zählen können , welche in
Metallen treiben und gießen . Die Kunſt in Stein zu arbeiten
und das Maurergewerbe , wurden im Mittelalter in geſellſchaft-
lich geſchloſſenen Logen oder Bauhütten erlernt und betrieben ;
von da aus wurden Gehülfen hingeſandt , wo man ihrer bedurfte ,
3*
und ihnen ein Gruß als Erkennungszeichen an die auswärtige
Loge , oder den einzelnen Meiſter , mitgegeben . Stieglitz , die Kirche zu Rochlitz , S. 187 : „ Der Meiſter entbeut euch
ſeinen werthen Gruß . “ Das Zuſam-
mentreten der übrigen Handwerker in Corporationen , das fort-
währende Anlernen junger Leute , deren Zahl mit dem Abgang
der Meiſter nicht immer im richtigen Verhältniß ſtand , die Fort-
ſchritte der National-Induſtrie und dadurch geſteigerte Forderun-
gen an die Handwerker , trieben die Geſellen in die Fremde , um
ihren Unterhalt und zugleich Kenntniſſe und Geſchicklichkeit zu
erwerben , wozu ſie in ihrer Lehrſtadt nicht immer Gelegenheit
hatten ; endlich forderte das Fortbeſtehen der Innungen , deren
Hauptbaſis hinlänglicher Erwerb war , ein ſyſtematiſches Zurück-
halten der Geſellen von der Meiſterſchaft , wodurch andererſeits
das Publikum in ſofern gewann , als die abgehenden Meiſter
durch gehörig ausgebildete Leute erſetzt wurden . So wurde denn
eine freie Neigung zur Noth- und Ehrenſache , und zuletzt zum
Statut erhoben .
Welch eine glückliche Wirkung dieſe Inſtitution aber auf
die gewerbliche Ausbildung der ganzen deutſchen Nation , ja auf
ganz Europa , ſo weit es nur immer zugänglich war , gehabt hat ,
liegt außer aller Berechnung ! Wie die Handlung Land und
Meer durch Austauſch roher Producte gegen Gold oder Erzeug-
niſſe der Kunſt verbindet , ſo waren es deutſche Wandergeſellen ,
die einen ſteten Tauſchverkehr menſchlicher Kräfte und gewerbli-
cher Kenntniſſe in den nächſten wie den entfernteſten Staaten
unterhielten und vermittelten . Und was wollen wir von der
Vergangenheit ſagen , es iſt ja noch ſo ! Dieſelben Bedingungen
beſtehen noch , und zwar dringender in den Ländern , wo die In-
nungen aufgehoben ſind , als in denen , wo ſie ſchattenhaft noch
geduldet werden . Die erſte liegt in den Lehrjahren und den ſie
beherrſchenden Verhältniſſen . Gewöhnlich geht das erſte dem
Lehrling zwiſchen den Geſchäften einer Magd , eines gemeinen
Handarbeiters und eines wirklichen Lehrlings hin und das kann ,
mit ſehr ſeltenen Ausnahmen , auch nicht anders verlangt wer-
den , den Meiſtern fällt dabei nur ſelten etwas zur Laſt . Das
zweite und dritte Jahr mögen hinreichen , den jungen Menſchen
im richtigen Gebrauch des Werkzeuges , Kenntniß des Materials
und zur Anfertigung einzelner Gegenſtände zu befähigen , worin
er im vierten einige Uebung erlangt . Nun iſt er 17 oder 18
Jahre alt geworden , dieſem Alter fehlen aber reife Ueberlegung ,
richtiges Urtheil , geübtes Gedächtniß , dem Körper oft die nöthige
Kraft , um ein Gewerbe ſelbſtſtändig zu betreiben , von dem er
kaum allgemeine Kenntniß erlangt hat .
Die zweite Bedingung liegt in der Speculation der Meiſter .
Es gehört zu den Seltenheiten , wenn ein Lehrmeiſter ſeinen Aus-
gelernten einige Zeit als Geſelle um Lohn beſchäftiget , er beſetzt
vielmehr deſſen Stelle ſofort wieder mit einem Lehrburſchen , deren
er vielleicht ſchon mehrere in der Werkſtatt ſtehen hat . Die
übrigen Meiſter in der Stadt nehmen ihn nicht gern , einmal ,
weil ſie zu ſeiner Geſchicklichkeit kein Vertrauen haben , zweitens
wollen ſie ihm keine Gelegenheit geben , ſich zu vervollkommnen
und für ſeine Rechnung zu arbeiten ; der junge Mann iſt alſo
am Ende ſeiner Lehrzeit brodlos und gezwungen , ſein Heil in
der Fremde zu ſuchen .
In der äußern Stellung der jungen Handwerker nach voll-
brachter Lehrzeit hat ſich alſo nichts geändert , nur durch die
Aufhebung der alten Militairverfaſſung iſt ſie freundlicher ge-
worden , ſie ſind nicht mehr gezwungen , Soldat zu werden und
bei weitem den ſchönſten Theil ihres Lebens zu bleiben oder dem
Vaterlande auf immer zu entſagen . Nachdem ſie die allgemeine
Bürgerpflicht , die nach dem Grade ihrer Ausbildung noch ſehr
erleichtert wird , erfüllt haben , iſt ihnen der freie Gebrauch aller
ihrer Kräfte geſtattet , ſoweit die Vernunft dazu räth . Dage-
gen ſind ihnen durch Auflöſung der Innungen die Unterſtützun-
gen entzogen , welche in frühern Zeiten und während des Beſte-
hens derſelben , bei den meiſten Gewerken ihnen zufloſſen und
ihre Wanderungen erleichterten ; ſie ſind unter dem Namen Ge-
ſchenk bekannt . Wir gedenken hier des Geſchenks und der
geſchenkten Handwerke in ihrer eigentlichen Bedeutung und prak-
tiſchen Anwendung auf die reiſenden Geſellen .
Was hier folgt , mit Einſchluß der Urkunde , iſt zwar ſchon in v.
Ledeburs Archiv abgedruckt , da es jedoch die Geſellenbrüderſchaften
ebenfalls angeht , jene Zeitſchrift auch nicht immer ſogleich zur Hand
ſeyn möchte , ſo wird es als auch hierher gehörig wieder gegeben . Nach der gewöhnlichen Meinung der Bürger iſt ein ge-
ſchenktes Handwerk ein ſolches , wo den reiſenden Geſellen
eine feſtgeſetzte Unterſtützung , ein Geſchenk gereicht wird , bei
welchem dies nicht geſchieht , ein ungeſchenktes . Dieſe Be-
zeichnung iſt aber uneigentlich und verdunkelt die Entſtehung und
neueſte Bedeutung des wirklichen Geſchenks ( Viaticum ) . Alle
frohen Gelage , beſonders die , womit die amtlichen Zuſammen-
künfte der Gilden und Innungen beſchloſſen wurden , nannten ſie
Schenke , Schenke halten . Das ſichtbare Symbol des
gildiſchen oder Innungs-Verbandes und der eröffneten Schenke ,
war ein aufgeſtellter ſchön verzierter Pokal , der Willkommen ,
welcher auch zuweilen das Geſchenk genannt wird . Das Recht
oder die Erlaubniß der Handwerker , unter ſich Corporationen zu
bilden , blieb ſchon an ſich Jahrhunderte hindurch ein Vorzug
großer Städte ; wenn es nun auch denen in kleinern Städten
geſtattet wurde , ſo erhielten ſie damit noch nicht die Erlaubniß ,
ein Geſchenk oder Willkommen zu halten , oder ihre Verbindung
ein geſchenktes Handwerk zu nennen , wodurch ſie ſich den ältern
höher ſtehenden Gilden genähert hätten , vielmehr war dazu die
ausdrückliche Genehmigung der Landesbehörde oder doch des
Stadtmagiſtrats erforderlich . Beweiſe dafür liefern zwei Urkun-
den , nehmlich die Ordnung des Magiſtrats zu Münſter für die
Kleinſchnitzler ( Tiſchler ) vom 9ten März 1607 und die Stiftung
eines Willkommens bei dem Töpfergewerk zu Aſchersleben vom
21ſten Juni 1661 . Als wir Bürgermeiſter und Rath der Stadt Münſter allhie in Weſt-
phalen von den Verweſern des Kleinſchnitzler- oder Tiſchler-Handwerks
zu öfter und vielmahlen angelangt worden , Ihnen ein geſchenktes
Handwerk zu vergönnen , damit ſie mit Ihren benachbarten Meiſtern
und Geſellen , ſowohl Oſt- als Weſtwarts und allen umbliegenden Or-
ten , da Ihre Meiſter und Geſellen Wandlung und Hantierung brau-
chen , Correſpondenz , Fried und Einigkeit haben , auch fromme und
ehrliche Geſellen und Jungen in Zucht haben und deren Lehrjahre
mit denſelben benachbarten übereinſtimmen , ſonſten auch aller Mißver- Jedenfalls war das Vorhandenſeyn des
Geſchenks oder Willkommens ein Zeichen der höchſten Geltung
unter Corporationen gleichen Gewerbes , denn in dem eben
angeführten Statut der Tiſchler geſtehen die Meiſter , daß ſie
wegen Mangel eines geſchenkten Handwerks weder oſt- noch
weſtwärts , noch in der Nachbarſchaft geehrt würden . In dem
ſtand unter denſelben zu Nutz und gemeinen Beſten und deren ſo des
Handwerks vonnöthen hätten verhütet werden möge mit der uns bei-
gethanen Anzeig , daß an den meiſten Oertern allhie in Teutſchland die
Dispoſition unter den Kleinſchnitzler Handwerk daß daſſelbig in Ehren
gehalten werde , alſo ſie die Meiſter allhie auch dahin gern ſehen
ſollten daß deſſelbigen geſchenkten Handwerks auch ſie ſampt ihren
Geſellen und ausgelernten Jungen theilhaftig werden und gleich den
Benachbarten dazu gerathen möchten und ſolches ſonderlich zu dem
Ende , damit die hieſigen Meiſter ſowohl als an andern Orten guter
tüglicher Geſellen , deren ſie eine Zeit heer aus Mangel des geſchenkten
Handwerks nit mächtig ſeyn können , habhaft werden möchten . Dem-
nach ſind Wir Bürgermeiſter ꝛc.
Stiftung eines Willkommens für das Töpfer-Hand-
werk in Aſchersleben . 1661 .
( Nach dem Original im K. Prov.-Archiv zu Magdeburg . )
Wir Bürgermeiſter und Rath der Stadt Aſchersleben hiermit und in
Kraft unſers Briefes thun kund und bekennen daß uns für hieſiger Stadt-
voigtey die ehrſamen Meiſter und Geſellen des Töpferhandwerks unter-
thänig zu vernehmen geben laſſen , welcher Geſtalt Sie ob gewiſſen
Urſachen einen Willkomb nach Handwerksgebrauch geordnet und den-
ſelben ſich zu accomodiren einhellig geſchloſſen , dahero uns fürters un-
terthänig erſuchet und gebeten , daß wir denſelben zu mehrer beſtändiger
Folge und Obſervanz confirmiren und beſtätigen wollten , und lauten
die Punkte und Artikel worauf ſelbiger beſtehet , wie nachgeſetzet :
1. Zum Erſten ſoll das Geſchenke des Jahres dreymal gehalten
werden , als Oſtern , Johanni und Martini , jedoch kann ſolches
auch wohl außer dieſen Zeiten , als , wann einem Jungen die
Lehre bekannt würde , oder ein fremder Meiſter anher
käme , zugelaſſen werden .
2. Wenn ein Meiſter oder Geſell auf das Geſchenke kommt , ſoll
ihm vergünſtiget ſeyn , umb den Willkomb dreymal zu bitten ,
alsdann ihm auch derſelbige für dem Handwerke gereicht werden
ſoll , ſo ſoll auch eine Reihekanne gemacht werden , wann nun
aus derſelben dreymal auf der Reihe herumb gedrunken alsdann
ſoll der Willkomb von Meiſter und Geſellen beſehen werden ,
ob der Gaſt mit dem Trunke ein Genügen gethan und beſtehen
( kann ) . Gleichermaßen ſoll der Ehrentrunk auch geſchehen ,
würde aber es ſich nicht alſo befinden , ſoll er dem Handwerk
fünf Groſchen Strafe verfallen ſeyn .
genoſſenſchaftlichen Schutzverhältniß erhielt die Gaſtfreundſchaft ,
ſonſt eine freie Tochter natürlich guter Menſchen , eine höhere ,
politiſche Tendenz , ſie wurde Ehrenſache und das Band weit
verzweigter Verbindungen , denn wenn ein fremder Meiſter aus
der Nähe oder Ferne , beſonders zu Meß- und Jahrmarktszeiten ,
in eine Stadt kam , wo ſein Handwerk ein Geſchenk hielt , ſtand
ihm das Recht zu , daſſelbe zu grüßen , den Willkommen zu for-
3. Würde ein Meiſter oder Geſelle bey Aufſetzung des Willkombs
fluchen , ſchwören , läſtern oder weltliche Lieder ſingen , der ſoll
es dem Handwerke mit 6 Groſchen verbüßen , dem Herrn Stadt-
vogte ſeine Strafe unbenommen .
4. Würde Meiſter oder Geſell er ſey jung oder alt bey dieſem Will-
komb ſich gröblich übertrinken und mit Urlaub zu reden , ſolches
wieder von ſich geben , derſelbe ſoll 5 Groſchen Strafe zu geben
gehalten ſeyn .
5. Soll jedwedern zugelaſſen ſeyn über das Vermögen der Natur
nicht zu bleiben , ſondern ſich hinweg in des Meiſters Haus zu
begeben , bey welchem er arbeitet , würde aber jemandes er ſey
Meiſter oder Geſell den Willkomb anzunehmen ſich verweigern
daß es einer Verachtung ähnlich wäre der ſoll dem Handwerk
6 gute Groſchen Strafe dafür alſo balde zu geben ſchuldig ſeyn .
6. Welcher Meiſter oder Geſelle dieſen Willkomb verletzen würde ,
der ſoll nicht allein den Schaden decken , ſondern auch dem
Handwerk einen halben Thaler verfallen ſeyn .
7. Es ſoll dieſer Willkomb dem Handwerksmeiſter anvertraut wer-
den , würde er aber hieraus ſelber ein Geſpötte treiben oder ihme
ſonſt gebrauchen wenn das Handwerk nicht beyſammen und er
deſſen mit Beſtande könne überzeuget werden , ſoll er ſolches Ver-
brechen dem Handwerke mit einem Thaler zur Strafe verbüßen .
8. Es ſoll auch dieſer Willkomb wann ein Meiſtereſſen gegeben
wird dabey aufgeſetzt werden , jedoch daß ein jedweder ehrbarlich
und ſittſamb ſich bezeuge und verhalte , nicht weniger dann auch
die Meiſterinnen als Meiſtere ſelbſt , widrigenfalls ſonſt nach Be-
finden geſtraft werden .
Wann dann dieſe Artikel zur Erbarkeit und gutem Verhalten ange-
ſehen und alſo nützlichen und ehrlichen befunden werden , als haben
wir ſelbige in Kraft dieſes confirmiren wollen , doch vorbehaltlich die-
ſelbige geſtalten Sachen nach und zwar bey dieſen zerrütteten böſen
und ärgerlichen Zeiten noch zu vermehren oder zu ändern .
Deſſen allen zu mehrer glaubhaftigen Urkunde wir unſer gemeiner
Stadt Inſiegel wiſſentlich hier unter drucken laſſen . So geſchehen den
21. Juni im Jahr Chriſti 1661 .
( L. S. )
Bürgermeiſter und Rath der Stadt Aſchersleben .
dern ( Art. 1 und 2 der Urkunde ) , der ihm nicht verſagt werden
durfte , wenn er nicht etwa geſcholten war . Die Handlung oder
Bewirthung ſelbſt nannten ſie Schenke halten , Beſchen-
ken , Derjenige , dem der Willkommen gereicht wurde , ſaß im
Geſchenk . In einem Auftreibebriefe des Töpfergewerks zu Dresden , vom 25ſten
September 1659 , verklagen die Meiſter einen Geſellen , daß er das
Handwerk beſchimpft habe , während er bei ihnen im Geſchenk geſeſſen
habe ; es wird bei der Auflage weiter davon die Rede ſeyn .
So lange nun die Geſellen noch keine ſelbſtſtändigen Brü-
derſchaften bildeten und an den Feſten der Meiſter unmit-
telbar Theil nahmen , wiederfuhr ihnen , beſonders den Rei-
ſenden , dieſelbe Ehre ; mit der Vermehrung der Innungen und
Handwerke in kleinen Städten verlor ſich jedoch nach und nach
der Zweck des öftern Reiſens der Meiſter nach größern Städten ,
mithin das Anſprechen des Willkommens , was bereits in Ueber-
treibung ausgeartet war . Das Geſchenk oder die Ehrenſchenke
fand nur noch bei den jährlichen Hauptverſammlungen , der
hohen Morgenſprache oder den Quartalverſammlungen , die dann
auch Schenke oder Auflagen hießen , Statt . Die Meiſter ent-
fernten die Geſellen aus ihren Zuſammenkünften und Gelagen ,
wodurch auch bei dieſen , mit wenigen Ausnahmen z. B. den Kupferſchmieden . , der Zweck
des Willkommens , als Zeichen engerer Verbrüderung mit den
Meiſtern , aufhörte , wogegen ſie , wiewohl mißbräuchlich , unter
ſich Willkommen und Ehrenſchenke ſtifteten . Die Meiſter be-
willigten ihnen für die frühere Theilnahme an der Ehrenſchenke
eine Unterſtützung an Gelde , welche dann den Namen Geſchenk
erhielt . Wir müſſen alſo unter dem Geſchenk der alten Gilden
und Innungen ein genoſſenſchaftliches Ehren , zunächſt
nur einen Ehrentrunk im Innungs- oder Gildehauſe , in dem der
neuern Zeit eine ſtatutariſche Unterſtützung der wandernden Ge-
ſellen verſtehen , die Gewerke , wo eine ſolche verabreicht wird ,
ſollten daher Geſchenkgebende genannt werden .
Mit dieſer Erklärung ſtimmen auch die Reichs- und Pro-
vinzialgeſetze überein , wenn ſie das übermäßige Schenken und
Zehren der Handwerksſöhne und Geſellen unterſagen ; Reform . guter Polizey 1530 , Tit. 30 §. 1 , und Reichsabſchied von
1559 , §. 75 . nicht
der Unterſtützung der reiſenden Geſellen , ſondern den Gelagen
wollten ſie wehren , wozu die Ehrenſchenke Anlaß gab .
Wie arg der Mißbrauch dabei getrieben wurde , ſieht man
aus dem ſogenannten guten Willen der Kupferſchmiede , der
dem Verfaſſer von einem zuverläſſigen Manne mitgetheilt worden
iſt , er mag umſomehr hier im Auszuge Platz finden , als er
uns , obgleich in der Sprache des achtzehnten Jahrhunderts , in
das mittelalterlich gildiſche Element verſetzt und mit dem wun-
derlichſten Ritual bekannt macht , welches bei dem ſo ſehr ver-
rufenen Zutrinken auch in bürgerlichen Geſellſchaften beobachtet
wurde .
Schenkgeſell Schenkgeſell iſt hier der Geſelle , welcher den Fremden bewirthet , bei
andern , z. B. bei den Seilern und Töpfern heißt der Fremde ſo , es
iſt aber eine durch die Zeit entſtandene Verwechſelung ; bei den Schmie-
den und andern Innungen war es ein temporäres Amt der Meiſter ,
welche dann Schenker genannt wurden . ( klopft dreimal auf den Tiſch ) . So mit
Gunſt großgünſtige Meiſter und Geſellen , wie auch wohl
erwanderte Kupferknaben . Anweſende bereits in die Brüderſchaft aufgenommene fremde Geſellen .
Bei den Schmieden , auch den Müllern , Knappen . Weil mir der liebe Gott
hat einen fremden Rummelsmann beſcheret , alſo habe ich
Euch durch den Jungen zum Guten Willen bitten laſ-
ſen ; iſt einer oder der andere noch nicht gebeten , ſo will
ich ihn noch gebeten haben ; ich bitte , Sie wollen mir
meinen Rummelsmann helfen luſtig machen oder 24 Mal
helfen zutrinken , meiner dabey auch nicht vergeſſen , kann
ich es heute oder morgen wieder verſchulden , ſoll es ge-
ſchehen , und dabey will ich auch verboten haben Hader ,
Zank , unnützes Geſchwätze , Würfel- und Kartenſpiel , und
was ſich bey dem Guten Willen nicht geziemt , wer
unter dieſen Stücken der Verbrecher ſeyn wird , der ſoll ſeine
Strafe nicht wiſſen und ſchuldig ſeyn , dieſen ganzen Guten
Willen zu bezahlen , und dieſer Gute Wille ſoll währen
bis Morgens um 4 Uhr , ſo lange der Groſchen unter dem
Teller liegt .
Rummelsmann . So mit Gunſt ihr günſtige Geſellen , wie
auch wohl erwanderte Kupferknaben , ich bitte , Sie wollen
mich mit dem Trunk verſchonen , weil ich das Bier nicht
gewohnt bin .
Alle Meiſter und Geſellen . Setze Dich nieder , es wird
Dir nicht zu viel geſchehen .
Darauf trinkt der Fremde allen Geſellen zu , ſteht auf und
bedankt ſich dreimal bei dem Schenkgeſellen :
So mit Gunſt Kupferknabe , ich bedanke mich ganz
freundlich , zum erſten Mal , zum andern Mal und zum
dritten Mal ; ich bitte , wenn Du mir wolleſt den ehr-
lichen Willkommen vorſtellen , nach Handwerksge-
wohnheit und Gebrauch .
Schenkgeſell . So mit Gunſt Kupferknabe , ſetze Dich nie-
der und trinke , es wird Dir widerfahren nach Handwerks-
gewohnheit und Gebrauch .
Hierauf bittet er einen aus der Geſellſchaft , den Fremden in
Acht zu nehmen ( zu unterhalten ) und ſpricht zu einem andern :
So mit Gunſt Kupferknabe , ich wollte Dich gebeten
haben , wenn Du mir wollteſt den ehrlichen Willkom-
men helfen zurecht machen ( füllen helfen ) .
Beide . So mit Gunſt , daß ich mag einen Abtritt nehmen .
Wenn ſie wieder herein kommen , ſetzt der Gehülfe den
Daumen auf den Tiſch und ſpricht : So mit Gunſt ſetz’ ich
mich wieder nieder .
Schenkgeſell . Trägt den ehrlichen Willkommen und den
ehrlichen Umläufer ; ehe er beide auf die Tafel ſetzt ,
ſpricht er : So mit Gunſt ihr günſtigen Geſellen , iſt auch
reiner Tiſch ? Wenn etwa einer oder der andere geſcholten
iſt , der kann einen Abtritt nehmen . ( Wenn ſich keiner
meldet : ) So mit Gunſt , daß ich mag den ehrlichen Will-
kommen nebſt dem ehrlichen Umläufer auf den Tiſch ſetzen .
Zu dem Fremden : Haſt auch Du reinen Tiſch ?
Fremder . So mit Gunſt ja !
Schenkgeſell . So mit Gunſt mein lieber Kupferknabe ,
weil es allhier ein löblicher Gebrauch iſt , daß man einem
fremden Rummelsmann den ehrlichen Guten Willen
hält und den ehrlichen Willkommen vorſtellt , nach Hand-
werksgewohnheit und Gebrauch , alſo will ich Dir denſelben
vorgeſtellt haben , wofern Du ihn von mir und andern
rechtſchaffenen Kupferknaben vor gut annehmen wirſt .
Rummelsmann . So mit Gunſt , gar gern !
Schenkgeſell . So mit Gunſt , ſo will ich Dir auch ſagen ,
wie Du Dich zu verhalten bey dieſem guten ehrlichen
Willen . Dieſen ehrlichen Willkommen ſollſt Du auf drei
ſchmale Züge austrinken , ehe der ehrliche Umläufer drei
Mal um den Tiſch gehet Während er alſo den Willkommen leerte , trank die Geſellſchaft drei-
mal aus einem andern Pokal , welcher Umläufer hieß . , ſoferne Du demſelben nicht
wirſt nachkommen , ſo ſollſt Du ihn morgen frühe nüchtern
im Bette vor dein eigen Geld austrinken , Tiſch , Bank ,
Kachel und Ofen nicht dabey begießen , ſie werden davon
wenig genießen , es ſoll Dir auch nicht geſtattet werden .
Dabey ſollſt Du Macht haben , drei ehrliche Jungfern dar-
aus zu verſchenken d. h. den Willkommen zubringen , ihre Geſundheit trinken . , als nehmlich bey dem Tiſch ver-
ſammelt ſeyn . Zum Andern ſollſt Du ein friſch Liedlein
ſingen , das 24 Mal um den Tiſch ſoll klingen . Zum
Dritten wirſt Du dich wiſſen zu bedanken , nach Hand-
werksgebrauch und Gewohnheit .
Rummelsmann . So mit Gunſt Kupferknabe , weil mir
ein ehrlicher Willkommen iſt vorgeſtellt worden und dabey
angemeldet , wie ich mich dabei verhalten ſoll , nehmlich ſoll
Macht haben , drei ehrliche Jungfern zu verſchenken , wie
ſie bey dem Tiſch verſammelt ſeyn , alſo will ich Dich vor
die erſte ehrliche Jungfer angeſehen haben . In Ermangelung hübſcher Mädchen . — Gewiß hatte man den Kupfer-
ſchmiedegeſellen verboten , Mädchen auf ihren guten Willen zu bitten ,
wie es bei den Schloſſern in Halberſtadt der Fall war . Aber ſelbſt
im Namen wurde noch die alte Sitte fortgepflanzt . Ich bitte Du
wolleſt mir aus dieſem ehrlichen Willkommen den erſten ehr-
lichen Jungferntrunk beſcheiden thun , nach meinem Begehren ,
nach deinem Vermögen , kann ich es heute oder morgen
gegen Dich oder andere rechtſchaffenen Kupferknaben wie-
der verſchulden , ſoll es gern geſchehen .
Schenkgeſell . So mit Gunſt , weil Du mich vor die erſte
ehrliche Jungfer anſieheſt , ſo will ich Dir aus dieſem ehr-
lichen Willkommen den erſten ehrlichen Jungferntrunk be-
ſcheiden thun , nach Deinem Begehren , nach meinem Ver-
mögen , alſo mit Gunſt hebe den Deckel ab .
Rummelsmann . So mit Gunſt , daß ich mag den Deckel
abnehmen von dieſem ehrlichen Willkommen .
Schenkgeſell . So mit Gunſt ja , wenn ich ihn gar aus-
trinke , ſo mit Gunſt laß mir einen kleinen Kupferknaben
( trinkt ) . So mit Gunſt Kupferknabe , ich ſage Dir
freundlich Dank , daß Du mich vor die erſte ehrliche
Jungfer angeſehen haſt , ich verhoffe und traue , ich werde
Dir aus dieſem ehrlichen Willkommen den erſten ehrlichen
Jungferntrunk beſcheiden gethan haben , nach Deinem Be-
gehren , nach meinem Vermögen .
Rummelsmann . So mit Gunſt Kupferknabe , ich thue
mich ganz freundlich bedanken , daß Du mir aus dieſem
ehrlichen Willkommen den erſten ehrlichen Jungferntrunk
gethan haft , nach meinem Begehren , nach Deinem Ver-
mögen , kann ich es heute oder morgen gegen Dich oder
andere rechtſchaffene Kupferknaben wieder verſchulden , will
ich es gern thun . Hilf Gott von Hamburg ! ( trinkt . )
Segne mir Gott die Stadt N. Nehmlich wo er ſich eben befindet .
Reicht nun den Willkommen der zweyten und dritten Jungfer
und ſpricht dieſelben Worte wie bey der erſten , dann ſteht er auf
und ſpricht zum Schenkgeſellen :
So mit Gunſt Kupferknabe , ich bitte , wenn Du mir
wolleſt den ehrlichen Willkommen beſchauen nebſt dem
ehrlichen Umläufer , ich verhoffe ich werde meiner Sachen
ein Genüge gethan haben .
Schenkgeſell . So mit Gunſt , daß ich mag den ehrlichen
Willkommen beſchauen , ſo mit Gunſt ich kann es verant-
worten .
Rummelsmann . So mit Gunſt ihr günſtigen Geſellen ,
wie auch wohl erwanderte Kupferknaben , es iſt mir auch
befohlen worden , daß ich ſoll ein friſch Liedlein ſingen ,
alſo will ich es ſingen , ſo gut ich es kann und gelernt habe
( ſingt ) , ſodann ſagt er : ſo mit Gunſt ihr günſtigen Ge-
ſellen , wie auch wohl erwanderte Kupferknaben , ich bitte ,
Sie wollen mit einem ſchlechten Liedlein vorlieb nehmen .
Dann ſteht er auf und ſpricht den Dank . So mit Gunſt
Kupferknabe , ich thue mich ganz freundlich bedanken Dei-
ner Ehre und Treue , Deines ehrlichen Geſchenks , Dei-
nes ehrlichen guten Willens , Deines ehrlichen Will-
kommens , der mir von Dir iſt widerfahren , kommſt Du
heute oder morgen wieder zu mir , es ſey gleich bey
Wein oder Bier , zu Wege oder Stege , zu Waſſer oder
zu Lande , wo uns der liebe Gott zuſammenſendet , kann
ich Dir es nicht verbeſſern , ich verhoffe und traue ich
werde Dirs auch nicht verringern ; ich bitte , Du wolleſt
mir nichts vor ungut halten .
Schenkgeſell . Nichts überall mein lieber Kupferknabe , es
iſt Dir von mir ein ſchlechter Guter Wille widerfah-
ren , ich verhoffe und traue , es wird Dir nichts arges wi-
derfahren ſeyn , nimm den guten Willen für die That , du
ſieheſt wohl , das Kloſter iſt arm , der Brüder ſind
viel , der Abt trinkt ſelber gern ; ich ſage Dir auch
Dank , daß Du den ehrlichen Willkommen haſt ausgetrun-
ken , nach Handwerksgebrauch und Gewohnheit . Ich ſage
Dir auch Dank für Dein friſch Liedlein , daß Du geſungen
haſt ; ich ſage Dir auch Dank , daß Du haſt helfen Hand-
werksgewohnheit ſtärken und nicht ſchwächen ; ſetze Dich
nieder , iß und trink , laß Dir meine Weiſe wohl gefallen ,
Deine gefällt mir auch ſehr wohl , und mache Dich fein
luſtig , ſinge noch ein friſch Liedlein , daß noch 24 Mal
länger iſt als das vorige .
Das Geſchenk der Meiſter , als Unterſtützung , wurde den
reiſenden Geſellen auf verſchiedene Weiſe zu Theil , auch hatte der
größere oder geringere Betrieb des betreffenden Handwerks viel Ein-
fluß auf die Höhe deſſelben . Die Buchbinder , in großen Städten ,
zahlten für ſie ein beſtimmtes Geldquantum auf der Herberge , wo-
für ſie bei gehöriger Wirthlichkeit einen auch wohl zwei Tage leben
konnten . Die Fleiſcher und Bäcker reichten ihnen eine beliebige
Gabe , die ſie Zehrpfennig nannten , und von den Reiſenden von
den Meiſtern perſönlich eingeholt wurde . Auch die Schmiedegeſellen holten ſich das Geſchenk und gingen von
einer Werkſtatt zur andern . Bei den Seilern
und Steinmetzen war es von der Tageszeit abhängig , wann der
Fremde ankam ; erſtere bekamen Geld , wenn ſie des Vormittags
ankamen , und gingen weiter , nach vier Uhr Nachmittags mußte
man ihnen Abendeſſen und Nachtlager reichen . Den Steinmetzen
wurde in alter Zeit ein übliches Tagelohn als Geſchenk verab-
reicht , wenn ſie noch vor dem Schluß der Hütte ankamen . Kompt ein wandergeſell Ee man ruhe anſchlegt , der verdient das taglon .
( Stieglitz , Kirche der heiligen Kunigunde . )
Ehe die Herbergen in Gaſthäuſer verlegt wurden , bewirtheten ſie
die Meiſter nach der Reihefolge , was ſie Umzech nannten ,
z. B. Böttcher und Seiler Wenn ein Geſelle des Böttcher-Handwerks wandern komt und bittet
um Herberge , ſoll es ihm nicht verſaget , ſondern nach Gewohnheit
ein Lager , Eſſen und Trinken gegeben werden , bey Strafe eines
Mfl . Welchem Geſellen aber alſo Handwerksgewohnheit erzeiget
würde , der ſoll ſich gegen den Meiſter , ſo ihn beherberget hat , und
alle die Seinigen , züchtig , ehrlich , mit keuſchem Mund und reiner
Hand verhalten , und wo der Meiſter ſeiner alſobald zur Arbeit be-
gehrte , demſelben vor andern arbeiten , bedürfte aber der Meiſter ſeiner
nicht , ſo ſoll er durch einen Geſellen oder Lehrjungen , oder jüngſten
Meiſter , um Arbeit umſchicken laſſen , welcher Geſelle aber ſich hiewider
hielte , der ſoll nicht gelitten , ſondern ihm nachgeſchrieben werden , biß
er ſich auf ſeine Koſten verantwortet hat . Art. 9 der Böttcher In-
nungs-Artikel zu Wernigerode von 1682 . ( Prov.-Archiv . ) ; dies erinnert an die frühere
innige Verbrüderung der Innungen in ganz Deutſchland , in der-
ſelben hat auch der Gebrauch ſeine Wurzel , wonach die Geſellen
ihren Herbergswirth und deſſen Frau und Kinder Vater , Mutter ,
Bruder und Schweſter nennen . Die reiſenden Geſellen waren
entweder wirkliche oder durch Lehrjahre und den Geſellenſpruch
doch Adoptivſöhne der betreffenden Innung oder Gilde , ſie hatten
daher nach dieſem Verhältniß überall auf ihren Reiſen , wo ſie
als Gehülfen die abweſenden Söhne der Meiſter oft vertraten ,
ſich des augenblicklichen Schutzes derſelben gegen Mangel zu
erfreuen , beſonders aber einen Anſpruch auf die Theilnahme der
Söhne ſelbſt , die unter ſich , nach der geſellſchaftlichen Trennung
von den Vätern , eigene oder Fremdengilden Die Geſellen-Brüderſchaften . bildeten . Hierzu
kommt — im Scherz oder Ernſt — eine Nachahmung der
Hausordnung der Klöſter , ſo weit dieſe die Bewirthung der
Fremden oder reiſenden Brüder betraf ; der Bruder Kellner ,
Speiſemeiſter oder Guardian , hatten ſie zu beſorgen . An Stelle
dieſer finden wir bei den Handwerkern Schenkgeſellen , Or-
dengeſell , bei den Meiſtern Schenken , oder Ordenmeiſter ,
und die ſeltſame Entſchuldigung : das Kloſter iſt arm , der
Brüder ſind viel , und der Abt trinkt ſelber gern . Kupferſchmiede , Seiler u. a. m .
Der Sohn eines Meiſters , oder ein in Arbeit ſtehender Geſell ,
führte den Reiſenden bei ihm ein und , vermöge des zwiſchen
ihnen beſtehenden genoſſenſchaftlich-brüderlichen Verbandes , be-
trachtete man den Fremden für dieſen Abend als Mitglied der
Familie und es war ihm erlaubt , Herr Vater , Frau Mutter , zu
ſagen . — Eine Sitte , ſobald ſie erſt ein Jahrhundert beſteht und
gewiſſe Vortheile mit ſich verbindet , wird national , und ſelbſt
dann noch im Namen fortgeführt , wenn dieſe längſt aufgehört
haben . So ging es mit dieſem Gebrauch . Als die Reiſenden
zahlreicher wurden , die Gewerke von der Gildewürdigkeit leich-
tern Anſichten nachgeben mußten , wurde die Bewirthung den
Meiſtern läſtig und man ſorgte für öffentliche Herbergen , wo die
Geſellen für Rechnung der Meiſter ein augenblickliches Unter-
kommen fanden . Hier übertrugen ſie die gildiſche Vertraulichkeit
auf den Wirth und ſeine Familie , in Ermangelung von Kindern ,
mißbräuchlich auf Knechte und Mägde des Hauſes . Für dieſe
Anſicht ſpricht auch das Ceremoniell der Seiler bei der Umſchau
und Auflage , wo ſie ſagen : „ Mit Gunſt , daß ich meinen
Hut oder Filz darf auf des Herrn Vaters Tiſch
legen “ ; auch die Anrede der Schloſſer an den Meiſter bei der
Umſchau : „ Es iſt ein fremder Schloſſer zugereiſ’t
kommen , nicht in des Meiſters , ſondern in des Herrn
Vaters Haus . “ Auch der Gebrauch , die Geſellen nicht nach
ihren Familiennamen , ſondern dem Namen der Stadt zu nen-
nen , wo ſie ihr Handwerk erlernt haben z. B. Hamburger , Berliner , Wiener ꝛc . , iſt ſehr alt und
originirt aus dem dreizehnten und zwölften Jahrhundert , wo
bürgerliche Perſonen , beſonders Handwerker , noch keine Familien-
namen führten , und man wird zu der Annahme verſucht , daß
die Meiſter ſelbſt , nachdem ihre bürgerlichen Verhältniſſe ſich
würdiger geſtaltet hatten , durch dieſen Gebrauch die fremden
Geſellen von ihren Söhnen unterſcheiden und den höhern
Standpunkt der vollen Gildſchaft , zu der ſie nur als Meiſter
gelangen konnten , fühlen laſſen wollten .
Bisher haben wir nur von dem Geſchenk und der Ehren-
ſchenke der Meiſter geſprochen , beydes finden wir auch bei
den Geſellen-Brüderſchaften , beſonders bei den Gewerken , wo die
Umſchau eingeführt war . Die Ehrenſchenke der Böttcher , bei
den Seilern Eingeſchenk auch großes Geſchenk genannt ,
wurde ihnen bei der erſten Zuſammenkunft , welcher ſie beiwohn-
ten , gereicht ; das Geſchenk , als Unterſtützung , aber durch
den umſchauenden Geſellen zu Theil , und wir können , indem
wir von der Umſchau und den übrigen Arten , wie die reiſenden
Geſellen ein Unterkommen fanden , ſprechen , auch deſſelben ge-
denken ; bemerkenswerth für die äußere ſittliche Volksbildung ſind
auch hier die dabei vorkommenden Gebräuche und Gewohnheiten ,
die bisher nur angedeutet werden konnten , worauf die Brüder-
ſchaften mit großer Strenge hielten . Bei einigen nahmen ſie
ſchon vor den Thoren der Stadt , in welche ſie einwanderten ,
ihren Anfang ; alle waren verpflichtet , ſich vorher in einen an-
ſtändigern reinlichern Zuſtand zu ſetzen , als ſie es ſonſt wohl
4
auf der Reiſe für nöthig hielten . Die Böttcher mußten ihr
Schurzleder auf das Bündel ſchnallen , ſo daß der ſogenannte
Kreuzriemen über ihrem Kopfe zu ſehen war . Die Zimmerleute
ſollten im Rock und mit vorgebundenem Schurzfell einwandern ,
Schloſſer und Schmiede einen Hammer in der Hand tragen .
Einige waren gehalten , vor der Stadt ihre Reiſebündel oder
Felleiſen auf die linke Schulter zu nehmen , die Glaſer unterm
linken Arm . Vorſage Art. VI . In der Stadt ſelbſt war es vielen nicht erlaubt ,
bei einem Meiſter ihres Handwerks einzuſprechen , vielmehr durften
ſie nur nach ihrer Herberge fragen und da einkehren . Aber auch
hier war mancherlei zu beobachten ; die Schmiede und Schuh-
macher legten ihre Felleiſen nicht auf die Bank , ſondern unter
dieſe . In kleinen Städten und Flecken war es erlaubt , ſelbſt
einen Meiſter zu ſuchen , in großen Städten beſtanden in der
Regel zwei Haupteinrichtungen , die Umſchau und das Zu-
ſchicken .
Das Umſchauen oder Umſchicken , auch Umwarten genannt ,
verrichteten die in Arbeit ſtehenden Geſellen nach der Reihefolge , wie
ſie bei den Meiſtern in Arbeit getreten waren ; Diejenigen , welche
die Ordnung traf , wurden Ordengeſellen , Ordenjünger
oder Umſchaugeſellen genannt . Bei einigen Gewerken , z. B.
den Böttchern und Seilern , verrichteten es die Altgeſellen , waren
gar keine Geſellen vorhanden , die jüngſten Meiſter . Das Ge-
ſchäft beſteht in der Anfrage bei den Meiſtern , ob ſie für einen
eingewanderten Geſellen oder Jünger Arbeit haben . Es mußte
in hergebrachter Form und bei dem Meiſter zuerſt geſchehen ,
an welchem die Reihe war , einem Fremden Arbeit zu geben ,
jedoch finden ſich auch hierin bei einigen andere Einrichtungen ,
z. B. den Schloſſern , wo der Fremde einen Meiſter nennen
durfte , bei dem er gern arbeiten wollte . Mit der Umſchau war
immer eine Bewirthung der Geſellen verbunden , ſie wurde ent-
weder auf Koſten der Geſellen-Brüderſchaft Bei den Böttchern in Magdeburg , aber nur ganz einfach , Abendeſſen
und Nachtlager erhielt er bei dem Meiſter , an welchem die Reihe der
Bewirthung war . oder des um-
ſchauenden Geſellen ausgerichtet . Im erſten Fall war dieſer an
eine beſtimmte Summe gebunden , im zweiten blieb ſeiner Gaſt-
freundlichkeit überlaſſen , wie er den Fremden bewirthen wollte ,
z. B. bei den Buchbindern . Hatte der Umſchaugeſell ein Un-
terkommen für den Wandergeſellen gefunden , ſo brachte er ihn
ein , d. h. er führte ihn dem betreffenden Meiſter zu , welches
ebenfalls in hergebrachter fröhlicher Form oder Gewohnheit ge-
ſchah . Die Schloſſermeiſter hatten ſodann an den Umſchauge-
ſellen ein feſtgeſetztes Einführgeld zu entrichten , deſſen Höhe
von dem Range des Gehülfen , auch wohl von der Größe der
Stadt , abhängig war ; für einen wirklichen oder gemachten Ge-
ſellen zahlten ſie nehmlich mehr , als für einen Jünger , auch der
eingebrachte Geſell hatte bei ihnen eine Kleinigkeit an den Um-
ſchauer zu bezahlen , wodurch dann deſſen Koſten einigermaßen
gedeckt wurden . Vergl. die Gebräuche bei der Umſchau . Einige Gewerke hatten gewiſſe Tage in der
Woche zum Umſchauen beſtimmt , andere ließen es jeden Tag
verrichten , damit die Fremden nicht aufgehalten wurden . Die
Umſchau zu verlangen ſtand auch den Geſellen dreimal zu , welche
in der Stadt in Arbeit ſtanden und am Sonntage von ihren
Meiſtern entlaſſen wurden , aber nicht denen , welche freiwillig
ihre Entlaſſung forderten , jedoch konnten die Meiſter ihre Ein-
willigung dazu geben ; ſolchen Geſellen wurde aber das übliche
Geſchenk der Meiſter und Geſellen nicht gereicht .
Noch mag erwähnt werden , daß bis 1806 die umſchauenden
Böttchergeſellen in Magdeburg blaue Mäntel , den Kragen mit
goldenen Treſſen beſetzt , trugen , die Seilergeſellen hielten ein
Herz , wodurch ein Pfeil geſteckt war , in der Hand .
Wir gedenken noch einer entſchädigenden Einrichtung , die
bei den Buchbindern Statt fand . Hier war jeder fremde in
Arbeit tretende Geſell gehalten , nach den 14 Probetagen , wenn
er bei ſeinem Meiſter blieb , den zunächſt einwandernden Geſellen
umzuſchauen und zu bewirthen , was man für die 14 Tage
4*
nannte ; er vergalt alſo dadurch die Wohlthat der Brüderſchaft
ſogleich wieder .
Der Umſchau ſteht entgegen das Zuſchicken . Es war
bei den Schneidern und Schuhmachern gebräuchlich , in der
neueſten Zeit ſollen es auch die Tiſchler angenommen haben .
Es verhält ſich ſo damit : Die Meiſter , welche Geſellen zu ha-
ben wünſchen , zeigen es auf der Herberge an , und der Wirth iſt
ſchuldig , den Meiſter , welcher ſich zuerſt bei ihm gemeldet hat ,
und ſo fort nach der Ordnung zu benachrichtigen , wenn reiſende
Geſellen ankommen , oder , nach genommener Abrede , ſogleich ihm
zuzuſchicken . Auch Zuführen wurde es genannt , welches
bei den Schuhmachern ein armer Meiſter als Handwerksbote
verrichtete , und dafür einige Groſchen von den Geſellen erhielt .
Die Geſellen der Hufſchmiede holten ſich das Geſchenk ſelbſt
und baten zugleich um Arbeit .
Unter allen Arten , wie die wandernden Geſellen ein Unter-
kommen erhielten , war die Umſchau die beſte , wenn ſie auch mit
einigen Ausgaben und Zeitverſäumniß verknüpft war . Höchſt
ſchädlich für ſie iſt dagegen die Verfaſſung , wo ſie ſich ſelbſt
Arbeit ſuchen müſſen , beſonders in großen Städten . Sie bringt
ſie um die wenigen Groſchen Reiſegeld , die ſie vielleicht noch
beſitzen , ſie zwingt die notoriſch armen zum Betteln oder Fech-
ten , wie ſie es nennen , entmuthigt und verſchlechtert ſie , die be-
reits zum Betteln geneigten finden darin eine gar nicht zu
hindernde Gelegenheit dazu und ihrem Trieb zum Nichtsthun zu
folgen . Sie können in einer großen Stadt mehrere Tage , unter
dem Vorwand , einen Meiſter zu ſuchen , umherſchleichen und
betteln . Dieſe Befürchtungen beſeitigte aber die Umſchau nicht
allein , ſie übte noch eine andere bedeutende moraliſche Kraft auf
die jungen Leute , nehmlich die Gewöhnung an Gaſtfreundſchaft ,
an thätige Theilnahme an dem Schickſal eines leidenden Bru-
ders . Der arme Handwerksburſche , wenn er ſich ſelbſt ein Un-
terkommen in einer großen Stadt ſuchen muß , läuft einſam in
den Straßen umher , ohne beſondere oder wohl gar unangenehme
Theilnahme zu erregen ; der , welcher vom Zuſchicken abhängt , iſt
der Willkühr des Handwerksboten oder des Herbergswirths hin-
gegeben , wogegen der , welcher umgeſchau’t wird , ſich feſt auf
die Unpartheiligkeit ſeines Cameraden verlaſſen kann , denn die-
ſer wird den Meiſtern dafür verantwortlich , wenn er einen über-
geht , und die Geſellen-Brüderſchaft würde es ihm nie vergeben ,
die einzelnen es überall entgelten laſſen , wo ſie ihn fänden . Der
Umſchaugeſell ſieht ferner den Fremden zunächſt allein , iſt dieſer
entblößt von Gelde , übel beſtellt in Kleidung , ſo kann er ſich
ihm offen anvertrauen und bitten , alles Mögliche anzuwenden ,
ihm Arbeit zu verſchaffen ; der gutherzige Umſchauer ſucht nun
nicht allein den einen oder andern Meiſter bei bemerkter Neigung ,
dem Wandergeſellen Arbeit zu geben , durch Bitten vollends dazu
zu bewegen , ohne daß er ihm eben ſeine äußere üble Lage erzählt , die
ihn bei dem perſönlichen Beſuch des Fremden vielleicht abſchrek-
ken möchte ; im unglücklichſten Fall ſammelt er bei ſeinem Um-
gang von den Geſellen eine Unterſtützung für ihn oder ſpricht
die Meiſterlade an , und dies war früher nie ohne Erfolg . Es
geſchah unbemerkt , ohne Mitwirkung einer öffentlichen Behörde ;
die ſtädtiſche Armenkaſſe wurde nicht in Anſpruch genommen ,
das Ehrgefühl des jungen Mannes geſchont , und er behielt
Muth , ſich aufrecht zu erhalten . Man wird freilich einwenden , daß
andererſeits dadurch auch dem Leichtſinn , der Faulheit , feſte Brücken
gebaut wurden , dergleichen Fälle ſollen aber bei den Geſchenk
gebenden Handwerken und wo die Umſchau eingeführt war ,
höchſt ſelten vorgekommen ſeyn . Nur einmal hatte ein junger
geſunder Geſell ſich dieſes Auskunftmittels zu erfreuen ; die ,
welche vom Nichtsthun Profeſſion machten , dabei gewöhnlich alt
wurden , gehören dahin nicht , für ſie hatten die Geſellen auch
nicht das lebhafte Intereſſe und belegten ſie nicht ſelten mit
Spottnamen , und iſt es denn nicht beſſer , eine ehrbare Corpora-
tion ſucht nach Kräften auch ihren übelgearteten Mitgliedern
fortzuhelfen , als wenn ſie von allen Handwerken zu einer Ge-
ſammtmaſſe anwachſen und den ſtädtiſchen Armen-Anſtalten
anheim fallen ?
Gebraͤuche und Gewohnheiten einiger Hand-
werke bei der Umſchau , und dem Verſuch , auf
ihren Wanderungen Arbeit zu erhalten .
Gruß der Steinmetzgeſellen . Aus Stieglitz Geſchichte der Kirche der heiligen Kunigunde zu Rochlitz ;
ihren Gruß aus neuerer Zeit hat der Verfaſſer nicht erfahren können ,
der hier mitgetheilte iſt aus dem funfzehnten Jahrhundert .
Das iſt ein Gruß , wie ein Itzlicher geſelle grüßen ſoll , wenn
er von erſten zu der Hütten eingehet , ſo ſoll er alſo ſprechen :
» Gott grüße euch , Gott weyſe euch , gott lone euch , euch Oeber-
meiſter erwiederung , Pallier und euch hübſchen geſellen « ,
ſo ſol In der meiſter oder pallier danken , das er ſieht , welcher
der oberſt iſt in der Hütten .
Da ſoll der geſelle an denſelbigen anheben und ſoll ſprechen ,
der Meiſter und nennt In bey namen , der enpeut euch ſeinen
werden gruß , ſo ſol der geſelle umbher gehen von einem zu dem
andern , Itzlichen freundlich zu grüßen als er den oberſten ge-
grüßet hat .
So ſint Ime alle meiſter und pallirer und geſellen erberg-
lichen ſchenken herberglich , wirthlich oder ehrbarlich ? wie die vorgeſchrieben ſtücke von des gruſſes
und geſchenks wegen , nicht den ſoll man nicht vor gut halten ,
er ſey den gebuſt um ein pfundt wachs XXIIII ₰ .
Ein Itzlicher Geſelle wen er gedanket wil er förderung ha-
ben , ſo ſol er den meiſter darumb bethen ſo ſol In der meiſter
fördern auff das nechſte lohn und nit verſagen auff das der
geſelle Zerunge verdient , hette der meiſter nicht mehr den das er
allein ſtunde der meiſter erledig gan und anfordern . Hiernach ſollte der Meiſter ſelbſt mit Verluſt den Reiſenden Arbeit
geben .
Ein Itzlicher wandergeſell ſol bithen um eine bücke , darnach
um ein ſtück ſteins , darauf darnach um gezeugk , das ſol man
In willigliche leihen . Um nehmlich ſein Zeichen , was er beim Geſellenſprechen angenommen
hatte , einzugraben .
Ein Itzlicher wandergeſell ſol die andern geſellen alle bithen
und kein ſol es verhören , ſie ſollen alle helfen , Helfet mir auf
oder In , das euch Gott helfe , wen ſie geholfen haben ſo ſol er
ſein Hut abethun und ſol In danken und ſprechen , Gott danke
dem meiſter und pallierer und den Erbaren geſellen .
Gruß und Examen der Maurer .
Sie unterſcheiden , wie die Seiler , den kleinen und großen
Gruß , ohne eben dieſen Namen zu brauchen ; letzterer , mit dem
zugleich das Examen wegen des wirklich erlangten Geſellenſtan-
des verbunden war , wurde wahrſcheinlich bei der erſten Auflage ,
welcher der fremde Geſell beiwohnte , geſprochen , der kleine aber
bei dem Meiſter , welchen er um Arbeit ( Beförderung ) anſprach ;
wir machen mit dieſem den Anfang :
Mit Gunſt und Erlaubniß ! Ehrbarer günſtiger Mei-
ſter ! Ich ſoll Sie ( Ihn ? ) grüßen von den Meiſtern
des ganzen ehrſamen Handwerk der Maurer der Stadt
N. N. , die in der Ehrbarkeit leben , ſich der Ehrbarkeit
befleißigen , der Ehrbarkeit gebrauchen , in der Ehrbar-
keit ſterben . Die Magdeburger ſetzten noch hinzu : die da zünftig ſeyn , das Hand-
werk nicht verſchwächen ſondern verſtärken nach Handswerksgebrauch
und Gewohnheit , Gott ehre das ehrbare Handwerk ! Ich habe gehört , daß der ehrbare gün-
ſtige Meiſter für mich ehrbaren Geſellen ehrbare Be-
förderung hätte , ſo wollte ich Sie angeſprochen haben
auf acht oder vierzehn Tage , nach Ihrer und meiner
Beliebung , nach Handwerksgebrauch und Gewohnheit ,
ſo lange es Ihnen und mir gefällt .
Hatte nun der Meiſter Arbeit für ihn , ſo ſchickte er ihn zum
Polirer , der ihn bei dem Bau anſtellte . Seiner erſten Arbeit
ging aber noch eine Ceremonie vorher , nehmlich der Anſchlag .
Der Geſelle ſpricht :
Mit Gunſt und Verlaub ! Ich ſoll die ehrbare Geſell-
ſchaft von den ehrbaren Meiſtern und der ehrbaren Ge-
ſellſchaft in der Stadt N. N. freundlich grüßen .
Polirer und arbeitende Geſellen . Gunſt genug , wir
danken Meiſter und Geſellen .
Fremder . Mit Gunſt , daß ich bei der ehrbaren Geſellen
Anſchlag an- und vortreten mag . Mit Gunſt , daß ich
mit meinem Fuß auf des ehrbaren Meiſters ehrbare Be-
förderung mag niedertreten .
Mit Gunſt , daß ich meinen Hammer und Kelle auf des
Meiſters ehrbare Beförderung mag auftragen .
Mit Gunſt , daß ich auf des Meiſters ehrbarer Beförderung
bei der ehrbaren Geſellſchaft meinen Hammer und Kelle
mag niederlegen .
Mit Gunſt , daß ich auf des Meiſters ehrbarer Beförderung
bei der ehrbaren Geſellſchaft meinen Hammer und Kelle
mag wieder aufnehmen und mit anſchlagen .
Mit Gunſt , daß ich mit der ehrbaren Geſellſchaft acht
oder vierzehn Tage mag arbeiten , einen ehrlichen Thaler
verdienen und wieder verzehren , auf des Meiſters ehrbare
Beförderung , ohne der ehrbaren Geſellſchaft Schaden ,
nach Handwerksgebrauch und Gewohnheit , alſo mit
Gunſt , ich bitte um ehrbare Anweiſung . ( Nun weiſ’t
ihm der Polir ſeinen Platz an . )
Gruß und Examen bei der erſten Auflage .
Der Fremde , bei dem Eintreten in die Stube des verſam-
melten Handwerks :
Mit Gunſt , daß ich meinen ehrlichen Eintritt nehmen mag
vor ehrbare Meiſter , ehrbare Altgeſellen , ehrbare Kaſſen-
geſellen , wie ſie hier vor offener Lade und Büchſe verſammelt
ſind . Mit Gunſt , das ehrbare Handwerk der Maurer in
der Stadt N. N. läßt das ehrbare Handwerk und Alle , die
ihm zugethan und gemäß ſind , ganz freundlich grüßen .
Altgeſell . Mit Gunſt , was iſt ſein Begehr ?
Fremder Geſell . Mein Begehr iſt , daß Sie meinen ehr-
lichen Namen in das ehrbare Brüderſchaftsbuch einſchrei-
ben , wo andere ehrbare Geſellen mit ihren ehrlichen
Namen geſchrieben ſtehen , alſo mit Gunſt !
Zwei Altgeſellen treten vor :
Mit Gunſt und Erlaubniß !
Gott ehre dieſen Plan
Und Alle , die hier um uns ſtahn .
Legen zwei Maßſtäbe ╳ übereinander .
Ehrbare Geſellſchaft , biſt Du ein Briefer oder ein
Grüßer ? Briefer nannten ſie die reiſenden Geſellen , die auf eine Kundſchaft
oder Paß wanderten , ohne den Gruß gelernt zu haben , eine Folge der
Geſetze , die alle Gebräuche der Handwerker unterſagten .
Fremder . Ich bin ein Grüßer .
Durch Schnee und Eis bin ich gereiſ’t ,
Willſt Du auch wiſſen wie mein Name heißt ?
Altgeſell . Wer hat Dich ausgeſandt ?
Fremder . Mein ehrbarer Lehrmeiſter , ehrbare Bürgen Es wurden nehmlich bei dem Antritt ſeiner Lehre Bürgen ſeiner Treue
geſtellt .
und ein ganzes ehrbares Handwerk der Maurer zu N. N.
Altgeſell . Worauf ?
Fremder . Auf ehrbare Beförderung , Zucht und Ehrbarkeit .
Altgeſell . Was iſt Zucht und Ehrbarkeit ?
Fremder . Handwerksgebrauch und Gewohnheit .
Altgeſell . Wann fängt ſelbige an ?
Fremder . Sobald ich meine Lehrjahre ehrlich und treu aus-
geſtanden .
Altgeſell . Wann endigt ſich ſelbige ?
Fremder . Wenn mir der Tod das Herz abbricht !
Altgeſell . Woran erkennt man den Maurer ?
Fremder . An der Ehrbarkeit .
Altgeſell . Was biſt Du für ein Maurer ?
Fremder . Ein Mundmaurer . Nehmlich einer der auf den Gruß reiſete .
Altgeſell . Woran erkennt man das ?
Fremder . An meinem ehrbaren Gruß und Mundſprache .
Altgeſell . Wo iſt das ehrbare Handwerk der Maurer in
Deutſchland aufgerichtet worden ?
Fremder . Zu Magdeburg auf dem Dom .
Altgeſell . Unter was für einem Monarchen ?
Fremder . Unter Kaiſer Karl dem Zweiten , von der Chriſt-
lichen Religion an , der Fünfte , im Jahre 876 .
Altgeſell . Wie lange hat dieſer Kaiſer regiert ?
Fremder . Drei Jahre .
Dieſe ſechs Fragen und Antworten ſind durch mündliche
Tradition ſo entſtellt , daß ſie einer näheren Erörterung und wo
möglich einer Aufklärung bedürfen .
Kaiſer Karl II. regierte 875 bis 877 . Der Bau des erſten
Doms zu Magdeburg begann aber 963 unter Otto I. , der des
zweiten oder jetzigen etwa 1207 unter Otto IV. , iſt aber nur
langſam fortgeſchritten und kann leicht unter Karl IV. , 1346
bis 1378 , zur Errichtung einer Maurer- und Steinmetzhütte
( Loge ) in Magdeburg Gelegenheit gegeben haben . Hierauf führt
Stieglitz in ſeiner Beſchreibung der Kirche d. h. Kunigunde zu
Rochlitz , S. 15 , wo er ſagt : » die ſächſiſchen Steinmetze wollten
ſchon vom Kaiſer Karl IV. Freiheitsbriefe erhalten haben « , warum
alſo nicht auch die Maurer , welche ſchon lange mit den Stein-
metzen gemeinſchaftlich an Kirchengebäuden gearbeitet hatten ?
Vielleicht trägt folgende Einleitung in die Statuten der ver-
einigt geweſenen Maurer und Steinmetze in Magdeburg etwas
dazu bei .
Nachdem männiglich kund und offenbar daß alle Stände
hoch und ſied , Niedere . ſich unſers löblichen und kunſtreichen Hand-
werks der Steinmetzen und Mäurer in viel Wege gebrauchen
und große Koſtung auf die Gebäude gewandt wird und unſer
Handwerk in dieſer löblichen Altſtadt Magdeburg ſamt deren
Vorſtädten Neuſtadt und Sudenburg bisher durch viel Unord-
nungen und manche Störerey und eigen Geſuch etzlicher leicht-
fertiger und unverſtändiger Leute in Abfall kommen und uns
auf alle Weiſe ſchädlich und nachtheilig vorgefallen , als haben
wir ſolches mit getreuen Fleiß bewogen und in guter Eintracht
eine kurze Ordnunge artikulsweiſe begriffen , welche Ordnunge
das Hütten- oder Bruderbuch genannt . Erſtlich vom
hochlöblichen römiſchen Könige Maximiliano hochlöblichſter Ge-
dächtniß publiciret , confirmiret und hernach auch als Gotha oder
das Haus Grimmenſtein gebauet von der ganzen Chur ſamt
andern Fürſten Herrn und Städten , inſonderheit Herzog Johann
Friedrich des heiligen römiſchen Reichs Erzmarſchall und Chur-
fürſten und Johann Ernſt , Gebrüdere Herzoge zu Sachſen Land-
grafen in Thüringen Markgrafen zu Meißen anderweit renoviret ,
auch ſtet feſt und treulich gehalten iſt , williglich angenom-
men und beſtätiget worden , welches Hütten- oder Bruder-
buch beym Handwerke der Steinmetzen und Mäurer zu Witten-
berg in Depoſito zu befinden , darauf wir uns ganz und gar
berufen , auch unſer Artikul Abſchrift um die Gebühr Anno 1536
daraus bekommen und in dieſe nachfolgende Ordnung verfaßt
und beharrlichen darüber zu halten angelobt haben ꝛc . Die Abſchrift dieſer Statuten findet ſich in einem Copialbuche im
Prov.-Archive zu Magdeb. , unter dem Namen des rothen Buches
der Möllenvogtey . Jahr und Tag iſt nicht angegeben , ſie fällt
aber der Schrift nach in den Anfang des ſiebenzehnten Jahrhunderts .
Die Orthographie iſt ſchwankend und daher nicht beibehalten .
Am Schloſſe Grimmenſtein iſt gebauet worden 1380 , 1478
— im letztern Jahre war Maximilian ſchon römiſcher König —
ferner 1530 bis 1541 und 1552 , in dieſem Jahre ließ Johann
Friedrich , nach ſeiner Rückkehr aus der Kaiſerlichen Gefangen-
ſchaft , die Feſtungswerke , welche 1547 zerſtört worden waren ,
wiederherſtellen . Allgem . hiſtoriſches Lexicon , Leipzig 1730 . Hiernach dürfte die Errichtung des verei-
nigten Maurer- und Steinmetz-Handwerks in den ſächſiſchen
Landen , zu welchem ſich auch die Magdeburger hielten , in die
Regierungszeit Kaiſer Carls V. fallen und es kann wohl geſche-
hen ſeyn , daß die Obermeiſter beider Gewerke ihre Vereinigung
auf einem der Thürme , die in dieſer Zeit erſt vollendet wurden ,
ſymboliſch geſchloſſen haben .
Wir fahren nun fort im Examen :
Altgeſell . Wie hat der erſte Maurer geheißen ?
Fremder . Anton Hieronymus und das Werkzeug hat Wal-
kam erfunden . Wenn unter Anton Hieronimus und Walkam nicht etwa Schutzheilige
der alten Maurer verſtanden werden , wie z. B. bei den Zimmerleuten
in Erfurt , welche den heiligen Joſeph verehrten : ſo ſind beide Namen
korrumpirt . Unter dem erſten iſt vielleicht Huram Abif gemeint ,
1. Buch der Chronika , Cap. 2 , V. 13 , 14 . „ So ſende ich nun
einen weiſen Mann , der Verſtand hat , Huram Abif — der weiß
zu arbeiten am Golde , Silber , Erz , Eiſen , Stein , Holz , Scharla-
ken , geler Seiden , Leinen , Roſinroth und zu graben allerley . “ Wal-
kam iſt vielleicht Thubalkain , 1. Buch Moſe , Cap. 4 , V. 22 . „ Die
Zilla gebar auch , nehmlich den Thubalkain , den Meiſter in Erz
und allerley Eiſenwerk . “ Vielleicht iſt auch Vulkan gemeint .
Altgeſell . Wie viel hat der Maurer Worte ?
Fremder . Sieben .
Altgeſell . Wie lauten dieſe Worte ?
Fremder . Gott grüße die Ehrbarkeit .
Gott grüße die ehrbare Weisheit .
Gott grüße das ehrbare Handwerk der Maurer .
Gott grüße einen ehrbaren Meiſter .
Gott grüße einen ehrbaren Polir .
Gott grüße eine ehrbare Geſellſchaft .
Gott grüße eine ehrbare Beförderung hier und
aller Orten , zu Waſſer und zu Lande . Die Zahl 7 iſt ſonſt eine böſe , hier eine heilige Zahl ! Auch die
Seiler hatten ſieben Artikel , welche die Aufrechthaltung guter Sitten
bezweckten .
Altgeſell . Was iſt Heimlichkeit an ſich ſelbſt ?
Fremder . Erde , Feuer , Luft und Schnee ,
Wodurch ich auf ehrbare Beförderung geh’ .
Altgeſell . Was trägſt Du unter Deinem Hut ?
Fremder . Eine hochlöbliche Weisheit .
Allgeſell . Was trägſt Du unter Deiner Zunge ?
Fremder . Eine hochlöbliche Wahrheit .
Altgeſell . Warum trägſt Du einen Schurz ?
Fremder . Dem ehrbaren Handwerk zu Ehren und mir zum
Vortheil .
Altgeſell . Was iſt die Stärke bei unſerm Handwerk ?
Fremder . Dasjenige , was Waſſer und Feuer nicht verzeh-
ren kann .
Altgeſell . Was iſt das Beſte bei einer Mauer ?
Fremder . Das Waſſer .
Gruß und Umſchau der Schloſſer , Uhr- , Spor- ,
Büchſen- und Windenmacher .
Die reiſenden Geſellen dieſer vereinigten Gewerke durften
in den Orten , wo ſie eine Lade und Handwerksgewohnheit ver-
muthen konnten , nicht perſönlich bei den Meiſtern um Arbeit
anhalten , ſondern mußten ſich auf ihre Herberge begeben . Der
Herbergswirth ( Vater ) ſchickte darauf zu dem Ordenjünger oder
Geſellen und ließ ihm ſagen , es ſei ein fremder Geſell angekom-
men und verlange die Umſchau .
Wenn dieſer ankam , ließ er zunächſt nach Landesgebrauch
Bier oder Wein auf den Tiſch ſtellen , über welchem das Schild
der vereinigten Handwerke hing , dann nahm er die Meiſtertafel
aus einem Schrank , klopfte damit dreimal auf und ſprach :
Alſo mit Gunſt ! Sind fremde Schloſſer , Uhr- , Spor- ,
Büchſen- und Windenmacher vorhanden , ſo ſetzen ſie
ſich an dieſen Tiſch , es ſoll ihnen Handwerksgebrauch
und Gewohnheit erwieſen werden , wie mir und andern
rechtſchaffenen Geſellen und Jüngern iſt erwieſen wor-
den , alſo mit Gunſt zum erſten , zweiten und dritten
Mal , was Fremde ſind , herbei !
Der Wandergeſell , welcher bis dahin an einem andern Tiſch
geſeſſen , ſetzte ſich nun zur Rechten des Ordengeſellen , dieſer
reichte ihm die Hand , beide ſtanden auf und erſterer fragte :
Mit Gunſt Fremder , Schloſſer ?
Fremder . Stück davon . Nehmlich eines von den vereinigten Gewerken .
Ordengeſell . Willkommen wegen des Handwerks .
Fremder . Schönen Dank ! Meiſter , Geſellen und Jünger aus
N. und überall wo ich herkomme , laſſen freundlich grüßen .
Ordengeſell . Meiſter , Geſellen und Jünger ſollen bedankt
ſein .
Nun ſetzten ſich beide und der Ordengeſell trank dem Frem-
den zu und das Geſpräch wurde fortgeſetzt .
Ordengeſell . Mit Gunſt Fremder , was iſt ſein Begehr ,
weshalb er nach mir geſchickt hat ? — Er hat zwar nicht
nach mir geſchickt , ich bin von mir ſelbſt gekommen . Andeutung von Dienſtfertigkeit .
Fremder . Mein Begehr iſt , daß mir Handwerksgebrauch
und Gewohnheit möge bewieſen werden , es ſtehet wieder
zu verſchulden hier oder anderswo .
Ordengeſell . Handwerkgebrauch und Gewohnheit ſoll ihm
bewieſen werden , ſo viel ich davon gelernt habe und was
ich nicht weiß , hoffe ich von ihm oder einem andern
rechtſchaffenen Geſellen oder Jünger noch zu lernen .
Fremder . Von mir wird er nicht viel lernen , das Land
auf und nieder laufen , Kleider und Schuh zerreißen , dem
Herrn Vater Bier oder Wein austrinken , einmal viel ein
andermal wenig , nachdem es der Beutel vermag .
Ordengeſell . Mit Gunſt Fremder , das können wir hier
auch . Mit Gunſt , worauf ſchickt er denn ? auf Schloß- ,
Uhr- , Spor- , Büchſen- oder Windenmacher ?
Fremder . Schloß- ( Uhr- oder die übrigen ) .
Ordengeſell . Geſellen oder Jünger Weiſe ?
Fremder . Geſellen ( Jüngerweis ) .
Ordengeſell . Auf Stückwerk oder Wochenlohn ?
Fremder . Wochenlohn ( Stückwerk ) .
Ordengeſell . Meiſters Sohn oder Gelernter ? Dieſe Frage bezieht ſich auf die Pflicht der Meiſterſöhne , bei ihrer
Rückkehr aus der Fremde ſich bei ihrem Vater , wenn er noch lebte ,
oder bei einem andern Meiſter , in gehöriger Form einführen zu laſſen ,
damit man immer wiſſen konnte , wie viel Geſellen in Arbeit ſtanden .
Fremder . Gelernter ( Meiſters Sohn ) .
Jetzt legte der Ordengeſell ihm die Meiſtertafel vor und
fragte weiter :
Alſo mit Gunſt Fremder , hat er etwa hier einen bekann-
ten Meiſter oder von einem ſagen hören , bei welchem er
einſchicken möchte , oder will er vom älteſten bis zum
jüngſten ſchicken ?
Wußte nun der Fremde einen Meiſter , in deſſen Werkſtatt
er beſonders gern arbeiten mochte , ſo nannte er ihn , im andern
Fall antwortete er : wo es Arbeit giebt .
Ordengeſell . Mit Gunſt Fremder , zeige er mir ſeine
Kundſchaft .
Der Fremde reichte ſie ihm , beide ſtanden auf und der Or-
dengeſell fuhr fort :
Alſo mit Gunſt Fremder , laß Er ſich die Zeit nicht lang
dauern , habe ich etwas vergeſſen , ſo ſchreibe Er es unter
den Tiſch , wenn ich wiederkomme , ſtehe es auf dem Tiſch ,
damit ich es mit einer Kanne Bier ( Wein ) auslöſchen
kann , mit Gunſt Fremder , ſei Er bedeckt mit dem Hut
und nicht mit dem Tiſchblatt . Vielleicht eine etwas derbe Warnung , nicht zuviel zu trinken ?
Nun verließ er den Fremden und verrichtete die Umſchau ;
er war gehalten , bei dem Meiſter zuerſt anzufragen , welchen der
Fremde ihm genannt hatte , ſodann der Reihe nach bei allen
übrigen . Seine Anrede bei den Meiſtern lautete ſo :
Glück zu Meiſter ! Es iſt ein fremder Schloſſer ( Uhrma-
cher ꝛc. ) zugereiſ’t kommen , nicht in eines Meiſters ſon-
dern in des Herrn Vaters Haus ; er begehret auf vierzehn
Tage Arbeit , will ihm der Meiſter Arbeit geben , wird es
mir lieb ſein , dem Fremden aber noch viel lieber . Wie lange hält ſich doch eine Sitte , wenn ſie durch eine Art Geſetzes-
kraft eingeführt wird ! Obige Anrede wurde mir vor etwa zehn Jah-
ren von einem gereiſ’ten Meiſter in Magdeburg , einem gebornen Han-
noveraner , mitgetheilt ; nun höre man was die Schloſſer in Halberſtadt
1652 ihren Geſellen , als alten Gebrauch , vorſchreiben . ( Prov.-
Archiv zu Magdeburg . ) Zuerſt ſagen ſie , die Geſellen ſollen nicht wie
die Bauern fragen : „ Meiſter , wollt ihr einen Knecht ha-
ben “ , ſondern , „ daß ein guter Jünger wandern kommen in des Va-
Wollte nun der Meiſter den Geſellen aufnehmen , ſo ant-
wortete er :
Ich ſage ihm auf vierzehn Tage Arbeit zu , wo nicht :
ich danke .
Nach beendigtem Umgang ging der Ordengeſell wieder auf
die Herberge und redete den Fremden ſo an :
Alſo mit Gunſt Fremder , Er möchte wohl gern wiſſen ,
woran Er wäre ? Hier fehlt gewiß die Antwort des Fremden .
Ich bin gegangen
Nach Seinem Verlangen ,
Nach meinem Vermögen ,
So weit das Handwerk redlich geweſen ,
Bin ich eingegangen ;
Wo es nicht redlich geweſen ,
Bin ich vorbei gegangen .
Er hat zwar eingeſchickt bei Meiſter N. N. , der läßt ſich
aber für dies Mal bedanken . Ich bin der Reihe nach
weiter gegangen , die günſtigen Meiſter laſſen ſich alle
bedanken und wünſchen viel Glück in der Fremde .
Iſt der Beutel wohl geſpickt ,
Sind die Schuhe wohl geflickt ,
Häng über die Schulter einen Spieß ,
Ein ſchwarzbraun Mädel an die Seiten ,
So mag mein lieber Junggeſell
Wohl über ein Gräblein ſchreiten .
Alſo mit Gunſt Fremder , Er mag wohl mehr vergeſſen
haben , als ich gelernt habe , übrigens iſt hier der Ge-
brauch In jeder Stadt mochte dies wohl anders ſeyn . , wenn ein Fremder umſchauen läßt und erhält
ters und nicht in des Meiſters Haus , und begehrte nach Handwerks-
gewohnheit vierzehn Tage in ſeiner Werkſtatt zu arbeiten , des Meiſters
Nutz zu ſchaffen und Schaden zu verhüten , könnte er dem guten
Jünger ohne ſeinen Schaden fördern , das wäre ſein und des Jün-
gers Begehr . — Wir hören alſo im achtzehnten Jahrhundert faſt die-
ſelben Worte wie 1652 .
Arbeit , ſo bezahlt er zwei Kannen Bier in des Meiſters
Haus , erhält er keine Arbeit , ſo bekommt er eben ſo viel
zum Thor hinaus , mit Gunſt ſei er bedeckt .
Hatte er ein Unterkommen für ihn gefunden , ſo ſagte er
nach den Worten , der läßt ſich aber für diesmal bedan-
ken : Aber Meiſter N. läßt auf vierzehn Tage Arbeit zuſagen ,
nehm Er mit einem armen Meiſter vorlieb , ich wünſche Glück zu
einem reichen .
Darauf führte er ihn zu dem betreffenden Meiſter und redete
dieſen mit folgenden Worten an :
Glück zu ! Hier bringe ich dem Meiſter einen Geſellen
( Jünger ) , er wird Schaden zu mindern , Nutzen zu för-
dern ſuchen , gebe der Meiſter ihm ſchwarze Feilen und
weißes Brod , ſo wird der Meiſter einen guten Geſellen ,
der Geſell einen guten Meiſter haben .
Nun wünſchte man dem Fremden Glück in die Werkſtatt ,
er war aber für dieſen Abend der Gaſt des Umſchaugeſellen auf
der Herberge . Mündlich iſt mir geſagt worden , daß der Meiſter für einen gemachten
Geſellen 16 Groſchen , für einen Jünger 12 Groſchen Einführgeld
zahlte , was dann beyde Geſellen auf der Herberge verzehrten . Die
mir gegebene ſchriftliche Mittheilung eines gereiſten Meiſters enthält
davon nichts. d. V .
Gruß und Umſchau der Tiſchlergeſellen .
Die reiſenden Geſellen dieſes Handwerks bekamen kein feſt-
geſetztes Geſchenk , ſie hatten im Gegentheil einige Gebühren zu
bezahlen , wenn ſie bei einem Meiſter Arbeit erhielten , jedoch mag
dies nicht überall Gebrauch geweſen ſeyn ; wurden ſie dennoch von
dem Umſchaugeſellen bewirthet , ſo geſchah es aus Gaſtfreund-
ſchaft . Um hierbei Uebertreibungen vorzubeugen , hatten die
Tiſchler in Münſter 1607 verordnet , daß die Umſchaugeſellen nur
5
ein Maaß Kauts mit dem Fremden trinken , und nicht länger
als zwei Stunden bei ihm verweilen ſollten . Kauts , eine Art Broyhan. Art. 15 ihres Statuts : Wann ein
Geſell Arbeit bekommt , ſo ſollen die Scheffere ( Schaffner , ſo hießen
an vielen Orten die Altgeſellen ) , welche für ihn um Arbeit geworben ,
zur Vermeidung aller Unordnung , nur ein Maaß Kauts mit ihm ver-
trinken und alsdann ſich mit dem Geſellen bei den Meiſter verfügen
und ſollen ſie nicht länger denn zwo Stunden Zeit zuzuſchicken haben
bei Strafe eines Wochenlohns . ( Prov.-Archiv in Münſter . )
Wenn der Ordengeſell , Altgeſell oder Schaffner in die Her-
bergsſtube trat , reichte er dem Wandergeſellen die Hand und
redete ihn ſo an :
Alſo mit Gunſt , Geſellſchaft , was iſt ſein Begehr , daß
er zu mir geſchickt hat ? Iſt ſein Begehr die Stadt zu
beſchauen , oder bei einem ehrlichen Meiſter vierzehn Tage
zu arbeiten , ſo kann Er mir ſolches zu verſtehen geben .
Fremder . Alſo mit Gunſt , die Stadt zu beſchauen , das
iſt ſchon geſchehen , und was noch nicht , kann wohl noch
geſchehen . Mit einem ehrlichen Meiſter eine Kanne Bier
zu trinken , bei einem ehrlichen Meiſter vierzehn Tage zu
arbeiten , iſt für diesmal mein Begehr , wenn mir ſolches
widerfahren kann , ſoll es mir lieb ſein , alſo mit Gunſt .
Der Herbergsvater hatte inzwiſchen Bier gebracht , der Or-
dengeſell trank dem Fremden zu und ſprach :
Was mir und andern ehrlichen Geſellen widerfahren iſt ,
ſoll ihm auch widerfahren .
Nun verließ er ihn und verrichtete die Umſchau , nach ſeiner
Zurückkunft ſagte er :
Alſo mit Gunſt Geſellſchaft , ſo bin ich geweſen nach Sei-
nem Begehr , nach meinem Vermögen , vom Aelteſten
bis zum Jüngſten und vom Jüngſten bis zum Aelteſten ,
die Meiſter laſſen ſich ſämmtlich bedanken , doch hat
ſich noch einer bedacht , mit Namen N. N. , der läßt
Ihm auf vierzehn Tage Arbeit zuſagen . Wenn Er will
mit einem ehrlichen Meiſter vorlieb nehmen , ſo wünſche
ich viel Glück in die Werkſtatt , alſo mit Gunſt !
Hatte er kein Unterkommen für ihn gefunden , ſo ſetzte er
nach dem Wort bedanken ſogleich hinzu :
Iſt der Beutel wohl geſpickt ,
Sind die Schuhe wohl geflickt ,
So iſt gut wandern .
Ich wünſche viel Glück in’s Feld ,
Alſo mit Gunſt !
Fremdengruß und Zuſprache der Seilergeſellen .
Der Altgeſell , der bei dieſem Handwerk die Umſchau ver-
richtet , ſpricht :
So mit Gunſt ! Ein fremder Seiler ?
Fremder ( ſteht auf und nähert ſich ihm ) . Ich weiß nicht
anders .
Altgeſell . Hui Seiler !
Fremder . Hui Seiler !
Altgeſell . Biſt Du des Handwerks , mit Verlaub daß ich
frage ?
Fremder . Ich weiß nicht anders .
Altgeſell . So mit Verlaub und Gunſt , meine Geſellſchaft ,
wo haſt Du Dein Handwerk gelernt ?
Fremder . In der hochberühmten Stadt Hamburg ; wo
haſt Du das Deine erlernt ?
Altgeſell . In der Stadt N. N. Sei mir in Gott will-
kommen , von wegen des Handwerks .
Fremder . Ich ſage Dir Dank , meine Geſellſchaft , von we-
gen des Handwerks .
Altgeſell . Woher bei ſo ſtaubigem Wetter ? Man ſagt den ehrlichen Seilergeſellen nach , daß ſie auch bei Regen
und Schneegeſtöber ſo gefragt haben .
Fremder . Immer aus dem Land , das nicht mein iſt , und
komme wieder in eins , woran ich keinen Theil hab’ !
Altgeſell . Ich möchte gern einen Seilergeſellen ſehen , der
ein eigenes Land hätte !
5*
Fremder . Ja die , welche eigene Länder haben , bleiben wohl
zu Hauſe , es ſtehet ihnen auch zu rathen , denn die
Bauern haben böſe Hunde . So mit Gunſt mein Ge-
ſellſchaft , haſt Du das Aelteſt ?
Altgeſell . Ich weiß nicht anders .
Fremder . So wollte ich Dich gebeten haben , Du wolleſt
mir Handwerksgewohnheit widerfahren laſſen und danach
umſchauen , es ſtehet heute oder morgen wieder zu ver-
ſchulden , iſt es nicht hier , ſo iſt es anderswo .
Altgeſell . Warum nicht , es iſt Handwerksgebrauch .
Nun ſetzte ſich der Wandergeſell , und ſprach weiter :
Mit Verlaub und Gunſt , daß ich mag niederſitzen und
meinen Hut oder Filz auf des Vaters Tiſch legen .
Altgeſell . Mit Gunſt , wohin iſt Dein Begehr ?
Fremder . Ich begehre in der Werkſtatt , welche am läng-
ſten leer geſtanden , acht oder vierzehn Tage Arbeit , ſo
lange es mir oder dem Meiſter gefällt .
Altgeſell . Das ſoll Dir widerfahren , iſt es Dir lange
nicht widerfahren , ſo ſoll es Dir heute widerfahren , ver-
zieh nur einen Streich . Glockenſchlag .
Hierauf verließ er den Fremden und ſchau’te um , nach den-
ſelben Regeln , wie es bei andern Handwerken Gebrauch war und
der fremde Geſell ſelbſt angedeutet hatte , nur daß er den Meiſter
nicht nennen durfte , bei dem er vorzüglich gern arbeiten mochte ,
wie es den Schloſſergeſellen erlaubt war . Die Meiſter redete er
ſo an :
Guten Tag Meiſter ! Gott ehre das Handwerk ! Es iſt
ein Fremder angekommen , begehrt acht oder vierzehn Tage
in eines ehrlichen Meiſters Werkſtatt zu arbeiten .
Der Meiſter , wenn er Arbeit für ihn hatte : Ich ſage auf
acht oder vierzehn Tage zu ; im andern Fall : ich danke ,
und wünſche dem Fremden viel Glück auf Wegen und
Stegen , zu Waſſer und zu Lande .
Altgeſell . Meiſter , Sie ( Er ? ) dürfen nicht danken , es iſt
ſo Handwerksgebrauch . Ich ſage Dank von wegen des
Geſellen Ihres Glückwünſchen , Gott behüte Sie Meiſter .
Hatte er ein Unterkommen für ihn gefunden , ſo ſprach er
nach ſeiner Zurückkunft nach mehreren Formeln :
So hab’ ich Dich umgeſchau’t nach Deinem Begehren und
meinem Vermögen , nach Handwerksgewohnheit , nach
Handwerksgebrauch , zum Erſten da Du biſt eingewan-
dert Die Seilergeſellen durften hiernach bei einem Meiſter nach der Her-
berge fragen , und dieſer hatte vor den andern den Vorzug , was bei
mehreren Handwerken verboten war . , darnach vom Aelteſten bis zum Jüngſten , ſo weit
das Handwerk redlich iſt , ſo läßt Dir Meiſter N. auf
acht oder vierzehn Tage Arbeit zuſagen , ſo lange es Dir
und ihm gefällt , und wünſche Dir Glück zum reichen
Meiſter .
Nun führte er ihn zu dem betreffenden Meiſter , der er ſo
anredete :
Nun Meiſter , hier bringe ich den Geſellen , er ſchläft gern
lange , ißt gern frühe Suppe , macht gern klein Tagewerk ,
nimmt gern groß Wochenlohn ; ich wünſche viel Glück
zum fleißigen Geſellen .
Hatte er keine Arbeit für ihn gefunden , ſo ſagte er nach
den Worten , » ſo weit das Handwerk redlich iſt « :
So laſſen Dir die Meiſter auf diesmal großen Dank ſagen
und wünſchen Dir Glück in’s Feld , ſo hab’ ich ſtatt Deiner
gedankt ; desgleichen ich Dir auch Glück wünſche zu
Wege und Stege , zu Waſſer und zu Lande , zu Bier
und zu Wein und bei zarten Jungfräulein , wo alle gute
ehrliche Geſellen und Jünger pflegen bei einander zu ſein .
Grüße mir Meiſter , Geſellen und Jünger , ſo weit das
Handwerk redlich iſt , iſt ’s aber nicht redlich , ſo nimm
Geld und Geldeswerth und hilf es redlich machen , iſt es
aber nicht redlich zu machen , ſo nimm Dein Bündel auf
den Nacken , Deinen Degen an die Seite und laß Schel-
men und Diebe ſitzen , ich wünſche Dir viel Glück in’s Feld !
Der Fremde . Ich ſage Dir Dank ſtatt Meiſter , Geſellen
und Jünger , ich will es fleißig ausrichten .
Altgeſell . So mit Verlaub und Gunſt , mein Geſellſchaft ,
ſo wird Dir verehret — Groſchen ꝛc. und freies Nacht-
lager von den Meiſtern und von mir und meinen Ge-
ſellen und Jüngern , die neben mir in Arbeit ſtehen ,
6 Pfennige zum kleinen Geſchenk , damit Du kannſt einem
ehrlichen Meiſter zuziehen und einen unehrlichen meiden ,
nimm damit vorlieb , das Kloſter iſt arm , der Brü-
der ſind viel , der Abt trinkt ſelbſt gern , ich
wünſche Dir Glück zum kleinen Geſchenk . So mit
Gunſt , der Filz iſt mein !
Nun war zwar das Geſchäft der Umſchau beendiget , beide
Geſellen blieben aber in der Herberge beiſammen und der Altge-
ſelle bewirthete den Fremden in einigen Städten für Rechnung
der in Arbeit ſtehenden Brüderſchaft , in anderen auf eigene
Koſten .
In kleinen Städten , wo keine Innung und Geſellen-Brüder-
ſchaft ( Aelteſt und Jüngſt ) war , gingen die Reiſenden ſelbſt zu
den Meiſtern und baten in vorgeſchriebenen Worten um Arbeit
oder das Geſchenk , kamen ſie Nachmittags um vier Uhr , nur
um Nachtlager , das ihnen dann , ſo wie ein Abendeſſen , gewährt
wurde , in neuerer Zeit ſollen die Meiſter ſie ſtatt deſſen mit
2 Groſchen abgefunden haben .
Meine Leſer würden ermüden über dem monotonen Wort-
krahm und der ewig wiederkehrenden Tautologie , wollte ich noch
von andern Handwerken dergleichen Gebräuche anführen , was
bei dem nächſten Abſchnitt , der Auflage , ohnehin nicht zu
umgehen iſt . Ich brauche wohl nicht auf den Unterſchied hin-
zuweiſen , der zwiſchen dieſem und dem einfach gemüthlichen
Gruß der alten Steinmetze ſich hervorthut ; und welch ein tiefer
Sinn ſpricht uns an in den wenigen Bruchſtücken des Maurer-
grußes ; beide zeugen von hohem Alterthum und von der Würde
der Gewerke , deren die Geſellen ſich bewußt waren , während in
dem der übrigen Handwerker bei aller Neigung zu fröhlicher
Sinnlichkeit , die ſogar durch einige Poeſie gehoben wird , doch
das Gefühl der Armuth ſich ausſpricht , und die Härte , in
welcher von Handwerks-Redlichkeit geſprochen wird , einem an-
widert .
Wir gedenken noch der Umſchau der Buchbindergeſellen .
Sie hatten längſt alles Ceremoniell abgeſchafft , und beobachte-
ten nur die unter geſitteten Leuten üblichen Höflichkeiten und
konnten hierin wohl als Muſter dienen . Sie bewirtheten den
Fremden des Abends in der Herberge , nachdem ſie ihn in das
Fremdenbuch hatten einſchreiben laſſen , außerdem erhielt er , wie
ſchon früher erwähnt , noch eine Unterſtützung von den Meiſtern .
Vierter Abſchnitt .
Die Zuſammenkünfte der Geſellen-Brü-
derſchaften .
S ie wurden mit verſchiedenen Namen bezeichnet , bald Laden-
tag , Eingang , Vierwochengebot , Umfrage , Schenke , Friedenstag ,
Tiſchgeſäß und Auflage . Die letzte Benennung iſt die bekann-
teſte , und wir wollen ſie beibehalten . Ihr Zweck war in alter
Zeit vielſeitiger als im letzten Jahrhundert , er hat ſich jedoch ,
wenn auch nicht immer öffentlich , doch bis 1806 erhalten . Zu-
nächſt ſollten die Rechnungen , welche durch die Pflege kranker
und reiſender Mitglieder entſtanden waren , berichtiget werden ,
wozu Jeder einen feſtgeſetzten Beitrag ( Auflage ) entrichten
mußte . Zweitens ſollte die Brüderſchaft mit den Verordnungen
des Stadt-Magiſtrats oder der Innung , welche auf ihre gewerb-
liche und polizeiliche Stellung Bezug hatten , bekannt gemacht
werden . Drittens ſollte dadurch Zucht , Ordnung und über-
haupt die Ehre der Brüderſchaft , im weitern Sinne die Ehre
des Handwerks , erhalten werden . Zu dem Ende ſollten Miß-
verſtändniſſe der Geſellen unter einander ausgeglichen , Beſchwer-
den der Meiſter und anderer Perſonen , wider einzelne Mitglie-
der und ihre Aufführung , zur Sprache gebracht werden , aber
auch Klagen über die Meiſter und ihre Einrichtungen konnten
von den Geſellen angebracht werden , welche dann von den Ge-
ſellenvätern der Innung vorgetragen wurden . So erſcheint die
Auflage als Polizei- und Sittengericht , als Rügenge-
richt alter und neuer Zeit , nur mit dem merkwürdigen Unter-
ſchied , daß ihre Wirkung , vermöge des ſogenannten ſchwarzen
Buches und des gebräuchlichen Scheltens , ſich über ganze Länder
erſtreckte , während dieſe im Bereich eines Dorfes oder einer
kleinen Stadt blieben . Je nachdem die Brüderſchaft in einer
Stadt zahlreich oder ſchwach war , hielt man ſie monatlich
oder ſechswöchentlich ab . Der Altgeſell zeigte dem Obermeiſter
des Gewerks den Tag der Zuſammenkunft an und bat um Er-
laubniß , die Auflage halten zu dürfen . Ein auch zwei Meiſter ,
welche Geſellenväter genannt wurden , hatten den Vorſitz ; ſie
wurden dazu jedesmal von dem Altgeſellen eingeladen ; der
Junggeſell forderte die Geſellen , wenn dieſe nicht ſymboliſch
davon benachrichtigt wurden , wie ſchon Seite 8 geſagt iſt .
Sie wurde auf der Herberge , bei einigen auch in der Wohnung
eines der Geſellenväter , bei verſchloſſenen Thüren gehalten , z. B.
bei den Hutmachern . Kein Mitglied durfte ohne hinlänglichen
Grund fehlen oder zu ſpät kommen , beides wurde beſtraft . Die
Symbole der eröffneten Auflage waren die auf die Tafel geſtellte
offene Geſellenlade , der aufgeſtellte Willkommen und die auf-
liegenden Geſellen-Artikel . Nachdem der Altgeſell durch Auf-
klopfen mit dem Hammer oder Ladenſchlüſſel Ruhe geboten
hatte , hielt er eine kurze , in vorgeſchriebener oder herkömmlicher
Form abgefaßte Rede , die von der Eröffnungs-Rede eines In-
nungs-Obermeiſters an das verſammelte Handwerk beſonders
darin ſich unterſchied , daß die Auflage der Geſellen nicht als
gehegt , wie die Morgenſprachen der Meiſter bezeichnet wur-
den . Unſere Innung , ſagten die Schmiede in Magdeburg , hält des Jahres
drei hoch gehegte Morgenſprachen . ( Pölitz Jahrbücher 1843 . Aprilheft . ) Die Junggeſellen , bei einigen die Strafbüchſen in den
Händen , ſtanden neben dem Altgeſellen oder an der Thür , alle
übrigen Geſellen mußten anſtändig ſitzen , kein Arm durfte auf
dem Tiſche , die Füße nicht übereinander liegen , die Röcke zuge-
knöpft , in alter Zeit mußten ſie in Mänteln erſcheinen . Keiner
durfte ein Meſſer oder andere Waffe bei ſich haben , ſie mußten
vorher abgegeben werden , keine unruhige , oder unanſtändige Ge-
behrden durften geſehen , noch weniger dergleichen Worte gehört
werden , ſie zogen feſtgeſetzte oder willkührliche Strafen nach ſich .
Den Ernſt milderte Scherz , nach dem Grade ihrer Bildung ,
dem Jugendleben angemeſſen , damit Niemand als eigentlich
Untergeordneter erſchien . Niemand durfte , ohne vorher erbetene
Erlaubniß , etwas vorbringen ; zu dem Ende wurden drei Um-
fragen gehalten . In einigen Statuten werden die Geſellen auf-
gefordert , vor jeder Auflage die Schulden zu bezahlen , welche
ſie unter ſich oder bei anderen Perſonen gemacht haben , » da-
mit Fried und Einigkeit erhalten werde « .
Hier vor offener Lade ließen ſich die Geſellen von ihren Alt-
geſellen oder den Geſellenvätern viel ſagen , von ihnen nahmen ſie
lieber und bereitwilliger Verordnungen der öffentlichen Behörden
entgegen , als von den Boten derſelben .
Folgende Gegenſtände konnten gleichſam in erſter Inſtanz
vor die Brüderſchaft gebracht werden : Klagen der Meiſter über
Zeitverſäumniß , zweideutiges Betragen im Hauſe oder in der
Werkſtatt , Trunkenheit , nächtliches Ausbleiben , Verbalinjurien ,
verletzte Förmlichkeit oder Nachläſſigkeit bei der Umſchau , Ge-
ſchwätzigkeit in Bezug auf die Vorgänge in des Meiſters Hauſe
oder Werkſtatt , bei der Auflage , Herabſetzen der häuslichen Ein-
richtung der Meiſter , Untreue , Betrug , leichtſinniges Verſchul-
den , Verführen der Mädchen , Umgang mit berüchtigten Frauen ,
auch geringen nicht gildewürdigen Perſonen , alles mit Vorbehalt
der Innungsrechte oder richterlichen Unterſuchung in zweifelhaf-
ten und ſchwer gravirenden Fällen , wo dann der Beſchuldigte
gewöhnlich ſo lange von der Brüderſchaft ausgeſchloſſen wurde ,
bis er gehörig gerechtfertigt erſchien . Man erinnere ſich , was bei dem Geſellenſprechen der Schloſſer der
Altgeſell zu dem Ausgelernten ſagte . Die gewöhlichen Strafen
für leichte Vergehen beſtanden in alter Zeit in Wachs zu Kerzen
oder in Bier , in neuerer Zeit in Gelde , welches im Intereſſe der
Brüderſchaft verwendet wurde ; die Strafe durfte die Höhe eines
Wochenlohns erreichen .
Wir gedenken hier des ſogenannten ſchwarzen Buches , oder
der ſchwarzen Tafel . Es war allerdings , im Vergleich ſeiner
Wirkung mit den oft ſehr geringfügigen Urſachen , ein gefährli-
ches Regiſter . Nicht allein öffentliche geſetzwidrige Handlun-
gen der Geſellen und Meiſter , auch Mißverſtändniſſe der Meiſter
und Geſellen untereinander , wurden , wenn der einſeitig für
ſchuldig erkannte Theil vor ſeiner Rechtfertigung ſich aus der
Stadt entfernt hatte , mithin perſönlich nicht ſofort zu erreichen
war , in dieſes Buch eingetragen , und bei jeder Auflage abgeleſen .
Hatte er ſich heimlich vom Orte entfernt , ſo wurde ihm nach-
geſchrieben und jedes gleiche Gewerk aufgefordert , ihn zur Ver-
antwortung zu ziehen , dergleichen Schreiben nannte man Auf-
treibebriefe Im Prov .-Archiv zu Magdeburg wird noch ein ſolcher Brief des
Töpferhandwerkes in Dresden vom 25. September 1659 aufbewahrt ,
aus welchem hier ein Auszug folgen mag : „ Unſere freundliche Dienſte
jederzeit zuvor . Ehrbare und namhafte , inſonders günſtige und geehrte
liebe Mitmeiſter und Geſellen . Denſelben geben wir Meiſter und
Geſellen des löblichen Handwerks der Töpfer zu Dresden hiermit de-
müthigſt zu erkennen was geſtalt ſich unterſchiedene Meiſter und Ge-
ſellen nicht nach Handwerksgewohnheit und Gebrauch verhalten haben ,
derowegen denn unſer aller freundliches Erſuchen und Bitten daß man
ſolche Meiſter und Geſellen bei ehrlichen Zünften und Handwerken
nicht ehe ehren noch fördern wolle , bis daß ſie ſich ihrer gethanen
Verbrechung halber , an gewiſſen Orten und Enden wo es hingehörig ,
recht billiger Maßen verglichen und vertragen , und deswegen gründ-
liche und glaubwürdige Zeugniß , Schrift und Kundſchaft vorzulegen
haben . Da den deſſen aller Tauf- und Zunahmen ſind . Als —
Erſten werden eingeſchrieben die Meiſter zum großen Hayn wegen
ihrer alten Händel ꝛc. und ſoll bis ſie ihre Sache ausgeführt kein
Geſelle bei ihnen arbeiten oder da ſolches geſchehen möge , nebenſt
die Meiſter mit angeſetzet werden . Starke ein Meiſter zu Naudorf
von wegen der Meiſter zu Gr. Hayn . Nun folgen die Geſellen .
Balthaſar Voigt von der Freyſtadt , weder Stunde noch halbe Stunde
zu fördern . Kaspar Kaßler desgleichen ꝛc . “ Hierauf werden 359
Namen von Geſellen aufgeführt und die Städte , wo ſie ſich vergangen
haben , dieſe waren : Meißen , Torgau , — hier wird einer genannt ,
„ welcher daſelbſt im Geſchenk geſeſſen und das Hand-
werk ſchimpfiret “ , — Schmiedeberg , Raguna , Deſſau , Zerbſt ,
Magdeburg , Haldensleben , Helmſtedt , Braunſchweig , Peina , Hildes-
heim , Goslar und Salzliebenhalle . Die Töpfer in dieſen Städten
hatten alſo die Namen der von ihnen geſcholtenen Geſellen an das
Gewerk zu Dresden , wo vielleicht ihre Hauptlade war , eingeſandt .
Bei mehreren Namen iſt bemerkt , daß ſie ſich mit dem Handwerk ver-
tragen haben . Das Schreiben ſchließt ſo : „ Wann wir denn , gün- ; außerdem ſchrieb man ſeinen Namen und
Vergehen auch in die Kundſchaften der reiſenden Geſellen . So
war er verrufen und verfehmt , bis er vor einer Meiſter- und
Geſellen-Lade ſein Vergehen abgebüßt hatte , worüber ihm dann
ein Schein gegeben und das ausſchreibende Gewerk davon be-
nachrichtigt wurde , um ſeinen Namen im ſchwarzen Buch zu
löſchen . Den Mißbrauch abgerechnet , daß auch geringfügige
Sachen , oft nur ein verletzter oder verſäumter Handwerksge-
brauch , dieſe Verfolgung veranlaſſen konnten , hatte dieſe Einrich-
tung doch ihr Gutes ; erſtlich wurden dadurch Hunderte von
jungen Leuten von einem vorgefallenen Vergehen unterrichtet ,
ohne daß öffentliche Behörden damit behelliget wurden , dann
aber wurde ein ſolcher Geſell immer noch geſchont , ſeine böſe
Handlung wurde nicht öffentlich bekannt , wie durch Steckbriefe ,
ſie blieb vielmehr ſo lange als möglich im Bereich des Hand-
werks , dem er angehörte , wo jedes Mitglied zur Verſchwiegenheit
über das , was bei der Lade vorkam , verpflichtet war , an ſeiner
Beſſerung hinderte ihn alſo doch nicht öffentlich erlittene Schande .
Wenn alle ſtatutariſche Angelegenheiten beſeitigt waren , ver-
glich man den Caſſenbeſtand mit den augenblicklichen amtlichen
Bedürfniſſen , und wenn dieſe es erlaubten , wurde eine Summe
zum gemeinſchaſtlichen gemeinſchaftlichen Vergnügen für dieſen Tag daraus ent-
nommen , was jedoch immer von der Einſicht der vorſitzenden
Meiſter abhing , denn dieſe wurden der Innung verantwortlich ,
wenn die Geſellenkaſſe dadurch zu ſchwach wurde , die Koſten für
Krankenpflege der Geſellen zu beſtreiten . Jedenfalls blieb die Ge-
ſellſchaft einen Nachmittag beiſammen und lebte ſo fröhlich und
gut , als der Beitrag der Lade und ihre eigenen Zuſchüſſe
geſtatteten . Auch bei dieſem gemeinſchaftlichen Vergnügen durf-
ſtige und geehrte gute Freunde , hierbei merklich verſpüren und befinden
daß unſer aller Wohl an Handwerksgewohnheit , durch ſolche Unord-
nung und vielfältige Verbrechungen zum Heftigſten geſchwächet und
die Meiſterſchaft lädiret und in Untergang gebracht wird , alſo bitten
wir dienſtliches Fleißes , Ihr wollet vorher angeſetzte Meiſter und Ge-
ſellen weder ehren noch fördern auch denſelben keine Handwerksgewohn-
heit wiederfahren laſſen , bis ſo lange ſie von den Orten und Stellen
da ſie eingeſchrieben worden ſind , richtigen Schein und Vertrag ſchrift-
lich vorzulegen haben und bringen ꝛc . Signatum Dresden den 25.
Sept. 1659 . Wir Meiſter und Geſellen alt und jung daſelbſt . “
ten , ſo lange die Altgeſellen zugegen waren , keine Ungebührlich-
keiten vorgehen ; wer mehr Bier verſchüttete , als man auf der
Tafel mit der Hand und am Boden mit einem Fuß bedecken
konnte , verfiel in Strafe . Alles Fluchen , Schwören und
Schimpfen war bei Strafe verboten .
Der Auflage , und wie die Zuſammenkünfte der Geſellen ſonſt
heißen mögen , ſteht das Hüttenrecht der Steinmetze , vielleicht
auch der alten Maurer , zur Seite , nur mit dem Unterſchiede , daß
ein jeder Meiſter es mit ſeinen Geſellen hielt . Doctor Stieglitz
giebt uns in der mehrerwähnten Schrift über die Kirche zu Rochlitz ,
einen klaren Begriff davon , es heißt daſelbſt , Seite 41 §. 28 :
Was die kleinen Gerichte betrifft , ſo iſt vorgeſchrieben , daß
ein Meiſter ein gemeines Recht halten kann in ſeiner
Hütte über ſeine eigenen Geſellen und da ſoll er recht
richten , nicht nach Haß , nach Freundſchaft oder Feind-
ſchaft , bei ſeinem Eide .
Meiſter und Geſellen können ſich untereinander ſelbſt bußen ,
die Geſellen aber dürfen keinen Meiſter bußen , ſie kön-
nen jedoch von ihm ziehen und andern Geſellen bei ihm
zu ſtehen verbieten , biß er gebußet worden . Alſo auch bei ihnen galt der Verruf oder das Schelten .
Galt es den guten Ruf eines Geſellen , ſo durfte ein Mei-
ſter nicht entſcheiden , vielmehr mußte die Sache vor mehrere
Meiſter gebracht werden . Aehnlich dieſem Grundſatz wurde noch
bis 1806 verfahren ; was bei dem Hüttenrecht nicht entſchieden
werden konnte , wurde dem Handwerk vorgetragen , welches jähr-
lich ein oder zweimal zuſammenkam .
Gebraͤuche und Gewohnheiten einiger Bruͤ-
derſchaften bei der Auflage .
I. Hufſchmiede .
Wenn die Brüderſchaft beiſammen war , klopfte der Altgeſell
mit einem Hammer dreimal auf und ſprach :
Mit Gunſt , ihr Geſellen , ſeid ſtill ! Es ſind heute ſechs
Wochen , daß wir zuletzt Auflage gehalten haben , es
mag gleich kürzer oder länger ſeyn , ſo iſt hier In Magdeburg , im achtzehnten Jahrhundert . Hand-
werksgebrauch und Gewohnheit , daß wir nicht nach
fünf , ſondern nach ſechs Wochen auf der Herberge zu-
ſammenkommen , Umfrage und Auflage zu halten .
Mit Gunſt zum erſten Mal bei der Buße ! Der Knapp-
meiſter wird dem ehrbaren Handwerk und mir zum
Gefallen die Lade auftragen , nach Handwerksgebrauch
und Gewohnheit . Hier wird alſo der jüngſte Geſelle Knappmeiſter genannt , auch wird
nicht von Geſellen , ſondern von dem Handwerk geſprochen ; eine doppelte
bedeutende Abweichung . Unter Knappen werden Geſellen gemeint , das
iſt richtig , aber warum nennt der Altgeſell den Junggeſellen Meiſter ?
In der älteſten Zeit der Innungen waren Meiſter und Geſellen bei
den Morgenſprachen und Gedingen zuſammen , vielleicht hatte da der
Altgeſell , der dann Knappmeiſter hieß , die Handwerkslade aufzutragen ,
nach erfolgter Trennung behielten die Geſellen die oft gehörte Benen-
nung bei und übertrugen ſie auf den Junggeſellen .
Knappmeiſter . Mit Gunſt , daß ich mag von meinem
Sitz abſchreiten , fortſchreiten , über des Herrn Vaters
und der Frau Mutter Stube ſchreiten und vor günſtiger
Meiſter und Geſellen Tiſch treten .
Altgeſell . Es ſei Dir wohl vergönnt .
Knappmeiſter . Mit Gunſt , daß ich mag die Geſellenlade
auf günſtiger Meiſter und Geſellen Tiſch ſetzen , mit
Gunſt habe ich angefaßt , mit Gunſt laß ich ab .
Altgeſell . Du haſt Deinen Abtritt .
Knappmeiſter ( wendet ſich um ) . Mit Gunſt , daß ich mag
abſchreiten , fortſchreiten , an meinen Ort und Stelle
ſchreiten ( ſetzt ſich ) .
Altgeſell . Mit Gunſt bin ich niedergeſeſſen , mit Gunſt ,
daß ich mag aufſtehen , mit Gunſt , daß ich mag den
Schlüſſel in günſtiger Meiſter und Geſellen Lade Schloß
ſtecken , dreimal rechts , dreimal links herumdrehen , auf-
ſchließen , herausräumen alles was günſtige Meiſter und
Geſellen zum Auflegen und Einſchreiben von Nöthen
haben . Mit Gunſt zum erſtenmal bei der Buße ( nimmt
die in der Lade befindlichen Bücher , Dinte , Feder und
Kreide heraus ) .
Mit Gunſt zum zweiten und dritten Mal , daß ich mag
den Geſellenkreis ziehen .
Nun zeichnet er mit Kreide in dieſer Form einen Kreis
auf den Tiſch , der äußere bleibt offen , dann legt
er den Daumen und Mittelfinger der rechten Hand
an beide Enden der Oeffnung und fährt fort :
Mit Gunſt , ſo habe ich den Geſellenkreis
gezeichnet , er ſei ſo rund oder groß , ich überſpanne ihn Alſo ein Symbol der Herrſchaft über die Geſellen . ,
ſchreibe die Geſellen hinein , die hier in Arbeit ſtehen ,
ich ſchreibe hinein zu viel oder zu wenig , ſo kommt wohl
ein reicher Kaufmann und bezahlt die Strafe und
Buße für mich Wieder eine Andeutung von Armuth . ( klopft mit dem Hammer auf ) .
Mit Gunſt , ſo habe ich Kraft und Macht und ziehe den
Geſellenkreis zu .
Nun ſchließt er die Oeffnung im Geſellenkreiſe und fährt
fort :
Mit Gunſt ihr Geſellen , ſeid ſtill bei der Buße , zum
erſten , zweiten und dritten Mal ! Ich habe euch einge-
zeichnet , iſt einer oder der andere vergeſſen worden , der
melde ſich bald . Mit Gunſt ihr Geſellen , macht euch
bereit zum Auflegen .
Alle Geſellen , indem ſie in ihre Taſchen greifen . Mit
Gunſt , daß ich mag in meine Taſche ſteigen .
Steig’ ich tief ein ,
Steig ’ ich tief heraus ;
Hab’ ich viel drein ,
Bring’ ich viel heraus .
Altgeſell , ruft nun die Werkſtatt auf , deren Geſellen die
Auflage zuerſt zahlen ſollen :
Mit Gunſt , das Auflegen aus Meiſter Walthers Werk-
ſtatt !
Jüngſter Geſell aus derſelben . Mit Gunſt bin ich nie-
dergeſeſſen , mit Gunſt , daß ich mag aufſtehen , abſchrei-
ten , fortſchreiten , über des Herrn Vaters und der Frau
Mutter Stube ſchreiten , vor günſtiger Meiſter und Ge-
ſellen Tiſch treten .
Altgeſell . Es ſei Dir vergönnt .
Geſell , hält ſein Auflagegeld zwiſchen zwei Fingern , legt es
auf den Tiſch , hält den Daumen darauf und ſpricht :
Mit Gunſt , daß ich mag auflegen für mich und meine
Nebengeſellen Nehmlich für die , welche mit ihm in derſelben Werkſtatt arbeiten . , für mich und meines Meiſters Werk-
ſtatt ; iſt mein Geld nicht gut , ſo bin ich gut Verwahrung wegen der früher vielfältig curſirenden geringhaltigen
Münzſorten . , habe
ich etwas nicht recht gemacht , werde ich es noch recht
machen ; mit Gunſt hab’ ich angefaßt , mit Gunſt laß
ich ab .
Altgeſell . Mit Gunſt , nimm Deinen Abtritt .
Geſell . Mit Gunſt , daß ich mag abſchreiten , fortſchreiten ꝛc .
Mit Gunſt ſetz’ ich mich nieder .
Altgeſell , nimmt das Geld und ſpricht : Mit Gunſt , daß
ich mag die Auflage dieſes ehrlichen Geſellen in den
mittlern Geſellenkreis heben und legen , mit Gunſt hab’
ich angefaßt , mit Gunſt laß ich ab .
Auf dieſe Weiſe wurde nun fortgefahren , bis ſämmtliche
Geſellen ihre Beiträge entrichtet hatten , dann nahm der Altgeſell
die Kreide und ſprach : Mit Gunſt , daß ich mag die Kreide ver-
ſchreiben ; zog damit einen Kreis und legte ſie hinein . Wahrſcheinlich ein ſinnliches Zeichen , deſſen Zweck freilich nicht klar
wird , vielleicht mußte im Alterthum das Stück Kreide nach dem Ge-
brauch vernichtet werden , um den Verdacht doppelten Anſchreibens zu
vermeiden . Dann
forderte er gleichſam zum Ueberfluß Diejenigen nochmals auf ,
die Auflage zu zahlen , welche es etwa noch nicht gethan hatten ,
wobei er zugleich anzeigte , daß nach Ablauf von ſechs Wochen
wieder Auflegen gehalten werden ſolle . Wenn Geſellen vorhan-
den waren , welche einer Auflage in der betreffenden Stadt noch
nicht beigewohnt hatten , ſo wurden ſie nun aufgerufen ; zu dem
Ende fragte der Altgeſell :
Mit Gunſt ! Iſt etwa ein guter fremder Schmied hier ,
der noch nicht in dieſer Stadt gearbeitet hat , der trete
vor und gebe ſeinen ehrlichen Namen zu erkennen und
laſſe ſich einſchreiben .
Fremder Geſell . Mit Gunſt bin ich niedergeſeſſen , mit
Gunſt , daß ich mag aufſtehen , abſchreiten , fortſchreiten
und vor günſtiger Meiſter und Geſellen Tiſch treten .
Altgeſell . Es ſey Dir wohl vergönnt .
Fremder Geſell . Mit Gunſt , was iſt der günſtigen Mei-
ſter und Geſellen Begehr ?
Altgeſell . Es iſt nicht allein günſtiger Meiſter und Ge-
ſellen Begehr , ſondern Handwerksgebrauch und Gewohn-
heit , wenn ein Geſell acht oder vierzehn Tage in einer
Stadt gearbeitet hat , daß er ſich einſchreiben läßt ; iſt
das dein Wille ( indem er ihm den Hammer vorhält ) ,
ſo gelobe an . Symboliſches Gelöbniß der Treue und des Gehorſams . Auch der
Stab des Richters wurde von Bittenden und Gelobenden berührt .
( Grimm a. a. O. S. 135 . )
Fremder Geſell ( berührt den Hammer ) .
Altgeſell . Grüß Dich Gott , mein Schmied !
Fremder . Dank Dir Gott , mein Schmied !
Altgeſell . Mein Schmied , wo ſtreich’ſt Du her ,
Daß Deine Schuh ’ ſo ſtaubig ,
Dein Haar ſo krauſig ,
Dein Bart auf beiden Seiten
Gleich einem Schwerd herausgeſpitzt ?
Haſt einen feinen meiſterlichen Bart ,
Und eine feine meiſterliche Art ;
Mein Schmied , biſt Du ſchon Meiſter geweſen ,
Oder gedenk’ſt es noch zu werden ?
6
Fremder . Mein Schmied , ich ſtreich über ’s Land ,
Wie der Krebs übern Sand ,
Wie der Fiſch über’s Meer ,
Daß ich als Hufſchmied
Mich ehrlich ernähr ’ .
Bin noch nicht Meiſter geweſen , denk es aber
noch mit der Zeit zu werden , iſt es nicht
hier , ſo iſt es anderswo , eine Meile vom
Ringe , wo die Hunde über die Zäune ſprin-
gen , daß die Zäune krachen , da iſt gut
Meiſter ſein . Alſo in einem Dorfe ? Hierin ſcheint etwas Hoffnungsloſes zu liegen ,
jemals in einer Stadt Meiſter werden zu können ; vielleicht wegen zu
großer Forderungen der Innungen oder Gilden , gleichwohl waren die
Dorfſchmieden meiſtens in Erbenzins oder Erbpacht ausgethan , alſo
Familienſtücke .
Altgeſell . Mein Schmied , wie nennſt Du Dich , wenn Du
auf der Geſellen Herberge kommſt , die Geſellenlade
offen , Geld , Bücher , Büchſe , Brief und Siegel drinnen
und außen liegen ſieh’ſt , Meiſter und Geſellen , jung und
alt , darum ſitzen und halten eine feine züchtige Umfrage ,
gleich wie hier geſchieht ?
Fremder . Silbernagel das edle Blut ,
Dem Eſſen und Trinken wohl thut ,
Eſſen und Trinken hat mich ernährt ,
Darüber hab’ ich manchen Pfennig verzehrt .
Ich habe verzehrt meines Vaters Gut ,
Bis auf einen alten Filzhut ,
Der liegt unter des Vaters Der Herbergswirth . Dache ,
Wenn ich daran denke , muß ich lachen ;
Er ſei ſo gut oder ſo böſe ,
Ich mag ihn niemals wieder löſen ,
Willſt Du mein Schmied ihn löſen , ſo will ich
Dir drei Heller als Beiſteuer geben .
Altgeſell . Mein Schmied , ich bedanke mich Deines alten
Filzhut’s , ich habe ſelbſt einen , der iſt auch nicht gut ,
aber Silbernagel iſt ein feiner ehrlicher Name , den wol-
len wir hier behalten , der iſt behaltenswerth . Mein
Schmied , wo haſt Du ihn errungen , haſt Du ihn er-
ſungen oder erſprungen , oder bei ſchönen Jungfern be-
kommen ?
Fremder . Mein Schmied , ich konnte wohl ſingen , ich
konnte wohl ſpringen , ich konnte wohl mit ſchönen
Jungfern umgehen , es wollte aber alles nichts helfen .
Ich mußte rennen und laufen ,
Für ’s Wochenlohn ihn erkaufen ,
Das Wochenlohn wollte auch nicht recken ,
Ich mußte noch das Trinkgeld dran ſtrecken .
Altgeſell . Mein Schmied , in welchem Lande , in welcher
Stadt ſind Dir alle dieſe Wohlthaten widerfahren ?
Fremder . In der Königlichen Reſidenz N. N. , wo man
mehr Gerſte zu Bier mälzt , als man hier Gold und
Silber ſchmelzt .
Altgeſell . Mein Schmied , kannſt Du mir nicht drei
Glaubwürdige nennen , damit ich Deinen Namen kann
recht erkennen ?
Fremder . Mein Schmied , ich will ſie alle nennen ,
Wenn Du ſie nur willſt anerkennen ,
Peter Triffs-Eiſen , fix vor dem Stock , und Raſch mit
dem Balg . — Haſt Du an den dreien nicht genug , ſo
bin ich Conrad Silbernagel der Vierte und andere ehr-
liche Geſellen mehr , die ich nicht alle herzählen kann .
Altgeſell . Mein Schmied , war es Dir nicht leid , daß
ihrer ſo viel waren ?
Fremder . Mein Schmied , es war mir nicht leid , daß ihrer
ſo viele waren , es war mir nur leid , daß Du und
Deine Mitgeſellen nicht auch dabei waren , daß die
Stube oben nicht ſo voll als unten war , wir hätten uns
zum Fenſter hinaus und zum Ofen wieder hinein ge-
trunken , aber Dein Kopf hätte immer der erſte ſein
müſſen .
6*
Altgeſell . Mein Schmied , was wäre Dir mit meines
Kopfes Schaden gedient geweſen ? wäre es nicht beſſer
geweſen , wir hätten geſeſſen zu Köln am Rhein , und
hätten einer dem andern zugetrunken 24 Kannen Bier
oder Wein ? Indeß ſcheide ich von Dir und Du von
mir , und wollen einander nichts fragen mehr .
Du wirſt nun ſo gut ſein und zwei Groſchen Einſchreibe-
geld und ſechs Pfennige in die Armenbüchſe geben .
Fremder , giebt das Geld .
Altgeſell . Mit Gunſt , daß ich mag dieſes ehrlichen Bur-
ſchen Einſchreibegeld in den Geſellenkreis heben und
legen , mit Gunſt hab’ ich angefaßt , mit Gunſt laß ich
ab . ( Zu dem Fremden : ) Mit Gunſt , Du haſt Deinen
Abtritt .
Fremder Geſell , wendet ſich und ſpricht : Mit Gunſt ,
Abſchreiten , Fortſchreiten ꝛc. und ſetzt ſich an ſein Platz .
Der Altgeſell trug nun ſeinen Namen in das Geſellenbuch ,
und er war durch dieſen Act in die Brüderſchaft aufgenommen .
Noch dreimal forderte nun der Altgeſell die Geſellen auf , ihre Bei-
träge zu berichtigen und etwaige Beſchwerden vorzutragen ; mel-
dete ſich keiner , ſo ſprach er :
Mit Gunſt , wenn Niemand etwas weiß , ſo weiß ich etwas :
wollen Geld zählen , Bier zappen , wo die ſchönen Mäd-
chen mit den Krügen klappen . —
Er zählte nun die eingegangenen Gelder , zeigte die Summe
an , welche dann in das Rechnungs-Buch eingetragen wurde ,
und fragte ſcherzhaft die Geſellen , was ſie mit dem vielen
Gelde machen wollten , ob ſie es in’s Hospital ſchicken oder ver-
zehren wollten , worauf alle antworteten : in Ruhe und Friede
verzehren . Hierbei muß jedoch bemerkt werden , daß zuvor für
die Kranken , und was ſonſt der Geſellſchaft zu bezahlen oblag ,
zurückgelegt wurde , denn nur ein kleiner Theil der Auflegegelder
durfte zum Vergnügen verwendet werden .
Wenn alle Angelegenheiten beſeitigt waren , ſprach der Alt-
geſell weiter :
Mit Gunſt , daß ich mag einräumen Alles , was günſtige
Meiſter und Geſellen zum Einſchreiben und Auflegen
gebraucht haben , zum erſten , zweiten und dritten Mal
bei der Buße . Mit Gunſt , daß ich mag den Geſellen-
kreis auslöſchen . Mit Gunſt , ihr Geſellen , ich danke
euch , daß ihr fromme und beſcheidene Söhne geweſen ,
ich hoffe , ihr werdet es bleiben in den nächſten ſechs
Wochen . So wie ich unſerer Geſellen-Lade Schloß
ſchließe , ſoll ein Jeder ſeinen Mund ſchließen . Andeutung zur Verſchwiegenheit . Mit
Gunſt , aus Kraft und Macht ſchließe ich zu . Der
Knappmeiſter wird die Lade abtragen .
Knappmeiſter . Mit Gunſt , daß ich mag die Lade abtra-
gen , nach Handwerksgebrauch .
Altgeſell . Mit Gunſt ſtecke ich mein Schwerd in die
Scheide . Dies deutet auf ein ehemaliges Richteramt . Der Schmiede-Obermei-
ſter in Erfurt wurde mit Heiligen und Stab beliehen , vielleicht ſtanden
den Obermeiſtern bei feierlichen Gelegenheiten zwei Altgeſellen mit
entblößten Wehren zur Seite . Saß doch , nach einer mir gewordenen
ſchriftlichen Mittheilung , der Maurer-Obermeiſter bei dem Dombau zu
Straßburg , 1275 , unter einem Baldachin , wenn er Gericht hielt . Mit Gunſt , Ihr Burſche , bedeckt eure
Häupter ; mit Gunſt , daß ich mein Haupt bedecke .
II. Vereinigte Gewerke der Schloſſer , Uhr- ,
Spor- , Büchſen- und Windenmacher .
Wenn alle Geſellen um die beſtimmte Stunde beiſammen
waren , klopfte der Altgeſell mit einem Schlüſſel dreimal auf den
Tiſch und ſprach :
Alſo mit Gunſt ! Was Schloſſer , Uhr- , Spor- , Büchſen-
und Windenmacher ſind , welche nach Handwerksge-
brauch in Arbeit ſtehen , wollen ſo gut ſein , und ſich
zum Gebot verfügen .
Hierauf begab ſich die ganze Geſellſchaft in ein beſonderes
Zimmer , wo an einer Tafel der Obermeiſter nebſt zwei andern
Meiſtern ſaßen , neben dieſe ſetzten ſich die Altgeſellen ; auf der
Tafel ſtand die Geſellen-Lade noch uneröffnet , die übrigen Ge-
ſellen ſtanden im Kreiſe um die Tafel , alle reinlich gekleidet ; der
Altgeſell klopfte wieder dreimal auf und redete die Geſellen an :
Alſo mit Gunſt ! Geſellen und Jünger ſollen bedankt ſein ,
daß ſie auf Befehl des Herrn Ladenmeiſters und des
Altgeſellen auf des Ordenjüngers Bei ihnen der Junggeſell . Vorbot erſchienen
ſind . Sind zwei Ordenjünger vorhanden , ſo trete der
eine an die Thür , der andere vor den Tiſch , und fordere
das verborgene Gewehr ab . Auch bei den Tiſchlern wurde das verborgene Gewehr abgefordert . Alſo mit Gunſt , es ſoll
die Lade geöffnet werden .
Nun ſchloß er die Lade auf und gab jedem der Ordenjün-
ger eine Büchſe , welche dieſe denen vorhielten und eine beſtimmte
Summe als Strafe forderten , welche unruhig waren , plauderten
oder gar unanſtändig ſich betrugen ; daher wurden ſie auch Straf-
büchſen genannt . Nach völlig hergeſtellter Ruhe klopfte der
Altgeſell wieder dreimal auf und hielt folgende Rede :
Alſo mit Gunſt ! Geſellen und Jünger ſollen wiſſen , war-
um wir heute , und gewöhnlich nach vier Wochen , zu-
ſammenkommen ; es geſchieht zur Erhaltung Friedens und
Einigkeit unter uns , und Erhaltung unſerer Herberge .
Sodann ſollen wir
I. Gott lieben und ſeine Gebote halten .
II. Sollen wir den Herrn Vater , die Frau Mutter und
das ganze Hausgeſinde in Ehren halten .
III. Wenn heute oder während der letztvergangenen 4 Wo-
chen Fremde zugereiſt und in Arbeit gekommen ſind , ſo
treten ſie vor den Tiſch , und ſagen ihren ehrlichen Tauf-
und Zunamen Warum nicht Familiennamen ? ſo ſchwer gewöhnten ſich die Hand-
werker , beſonders die Geſellen , an forterbende Namen ! , ſie bringen auch zwei Groſchen Ein-
ſchreibegeld mit , ein gemachter Geſell vier Groſchen . Man erinnere ſich , was bei dem Geſellenſprechen und der Umſchau
vorgekommen iſt .
Geſellen vor und Jünger nach , damit man weiß , was
Geſellen oder Jünger ſind .
IV. Soll die Meiſtertafel verleſen werden , ein Jeder gebe
Acht , wenn der Name ſeines Meiſters genannt wird ,
und bringe dann zwei Groſchen Auflage , ein gemachter
Geſell noch einmal ſo viel ; Geſellen vor und Jünger
nach , damit man weiß , was Geſellen und Jünger ſind .
V. Soll das Schuldbuch verleſen werden , iſt einer oder
der andere darin begriffen , der zahle ab , nachdem er
ſchuldig iſt , auf daß die Lade zu dem Ihrigen und
der Herr Vater zu dem Seinigen komme , ſo kann
man künftig wieder borgen . Wir ſehen aus dieſem Artikel , daß es den Geſellen erlaubt war , in
augenblicklicher Noth die Geſellenlade um einen Vorſchuß anzuſpre-
chen , ein großer Vorzug der Innungs-Verfaſſung vor der Gewerbe-
Freiheit .
VI. Iſt einer vorhanden , der noch nicht bei Handwerksge-
brauch und Gewohnheit geweſen iſt , der trete vor den
Tiſch und beiße dem Schlüſſel in den Bart und ſtelle
ſich bei Geſellen und Jünger ein , ſo ſoll er ſo gut ſein
als unſer einer . In dieſem Satz liegt eine gewiſſe Furcht vor dem Geſetz , welches
alle bedeutendere Ausgaben und alle Gebräuche bei dem Geſellenſpre-
chen verbot , daher ſagt der Altgeſell , man ſoll ſich einſtellen , nehmlich
mit einem Geſchenk für die Geſellſchaft .
VII. Soll der Artikelsbrief vorgeleſen werden , es ſchweige
wer ihn gehört , und laſſe ihn den hören , der ihn noch
nicht gehört hat , damit er wiſſe , ſich vor Schaden zu
hüten .
Zum VIII. ſollen drei ehrliche Umfragen gehalten werden ,
wenn einer wider den andern etwas Ungebührliches
weiß , ſo ſoll er es melden und nicht verſchweigen , ſonſt
wird der Schaden in ſeinen eigenen Beutel ſteigen ; es
thue der Ordenjünger einer die erſte Frage .
Ordenjünger . Alſo mit Gunſt ! Herr Lademeiſter , Alt-
geſelle , ſämmtliche Geſellen und Jünger , ich thue die
erſte Umfrage .
Hatte nun einer der Geſellen oder der beiſitzende Meiſter
im Namen des Gewerks oder eines Meiſters , oder der Altgeſell ,
etwas anzubringen , ſo trat er vor den Tiſch und trug , nach der
gewöhnlichen Bitte , ſeine Beſchwerde vor ; es wurde debattirt
und nach Maaßgabe der Statuten und Mehrheit der Stimmen
entſchieden ; während das Urtheil gefunden wurde , mußten die
Betheiligten aus dem Zimmer gehen . Nach Beſeitigung des
Vorgetragenen ſprach der Altgeſell wieder :
Alſo mit Gunſt ! Die erſte Umfrage iſt vorüber , hat einer
oder der andere etwas vergeſſen , ſo kann er es in der
zweiten melden , es thue der Ordenjünger die zweite
Umfrage .
Ordenjünger . Alſo mit Gunſt ! Herr Lademeiſter , Alt-
geſell , ſämmtliche Geſellen und Jünger , ich thue die
zweite Umfrage .
Eben ſo wurde die dritte Umfrage ausgerufen , was jedoch
nicht geſchah , wenn zwiſchen den beiden erſten nichts vorgebracht
war , hernach war es nicht mehr erlaubt , etwas vorzubringen .
Inzwiſchen nahm der Altgeſell das ſchwarze Buch aus der Lade
und fuhr fort :
Zum IX. ſoll das ſchwarze Buch verleſen werden ; iſt
einer von Geſellen und Jüngern darin begriffen , der
ſtecke den Kopf zum Fenſter hinaus , die Füße
unter den Tiſch , bis das Schwarze vorüber
iſt , vielleicht kann man ihm von dem Schwarzen aufs
Weiße helfen , wenn er Geld oder Geldeswerth hat .
Iſt er mit Tode abgegangen , ſo ſchenken wir ihm den
ehrlichen Namen in’s kühle Grab .
Befand ſich nun einer in der Geſellſchaft , deſſen Name ge-
nannt wurde , und durch einen Schein oder Zeugen nicht nach-
weiſen konnte , daß er das ihm angeſchuldigte Vergehen bereits
abgebüßt hatte , der ſteckte wirklich den Kopf zum Fenſter hin-
aus . Darauf machte der Altgeſell die Brüderſchaft mit ſeinem
Vergehen bekannt , worauf gegen ihn eine Strafe , oder was ſonſt
nach den Statuten erforderlich war , erkannt wurde ; war das
Vergehen von der Art , daß es ihn von der Brüderſchaft ausſchloß ,
alſo ein ehrenrühriges , ſo gab man ihm ſein Auflagegeld zurück ,
und er mußte ſich entfernen Man ſehe , was dem losgeſprochenen Lehrling geſagt wurde . und ſein Recht weiter ſuchen ,
was ihm unbenommen blieb . Nach dieſem fuhr der Altgeſelle fort :
Zum X. , iſt einer vorhanden , welcher Luſt hat ſeinen
Stand zu verändern Nehmlich ſich vom Jünger zum Geſellen ſprechen laſſen . , der trete hervor , er kann hier
ſo gut dazu kommen als anders wo .
Hierauf ging nun das vor , was bei dem Geſellenſprechen
bereits geſagt iſt .
Zum XI. ſoll das reiche Amt vergeben werden , damit der
Nutzen oder Schaden nicht in einer Werkſtatt bleibe Das Altgeſellenamt , womit im Grunde nur Mühe und gelegentlich
herber Verdruß verbunden war . .
Zum XII. , habe ich etwas vergeſſen , ſo trete einer vor ,
und rufe es ſtatt meiner aus .
Meldete ſich Niemand , ſo ſagte er : Alſo mit Gunſt , ſchwei-
gen Sie , ſo ſchweige ich auch .
Alle dieſe Artikel wurden in angemeſſenen Zwiſchenräumen
geſprochen , auch wurden dazwiſchen die Beiträge der Geſellen
geſammelt und in das Rechnungsbuch eingetragen , dieſes auch
gehörig berichtiget . Wollte der Altgeſell ſein Amt niederlegen , ſo
fuhr er fort :
Alſo mit Gunſt ! Geſellen und Jüngern wird bewußt ſein ,
daß ich vor vier ( oder mehr ) Wochen zu einem un-
ſchuldigen Altgeſellen erwählt worden bin . Habe
ich der Lade zu viel oder zu wenig gethan , ſo will ich
Rede und Antwort darüber geben , kann ich damit nicht
beſtehen , ſo will ich die gebührliche Strafe erlegen , alſo
mit Gunſt ! Ich lege mein Amt nieder , Geſellen und
Jünger mögen einen andern wählen , welcher der Lade
mehr Nutzen ſchafft als ich geſchafft habe .
Darauf wählte die Brüderſchaft einen andern Altgeſellen ,
oder drückte durch allgemeines Schweigen den Wunſch aus , der
bisherige möge noch im Amte bleiben . War er es zufrieden , ſo
ſprach er :
Schweigen Sie , ſo ſchweige ich auch ; Alſo mit Gunſt ,
ich nehme mein Amt wieder auf ,
womit denn die Auflage oder das Vierwochengebot geſchloſſen war .
Wie bei andern Gewerken , blieb auch hier die Geſellſchaft bei-
ſammen und lebte ſo fröhlich als möglich .
III. Auflage der Seilergeſellen .
Wenn die Brüderſchaft in der gewöhnlichen Gaſtſtube der
Herberge beiſammen war , redete ſie der Altgeſell ſo an :
So mit Verlaub und Gunſt Dieſe Bitte wird faſt bei jeder Anrede wiederholt , daher kann ſie wohl
künftig nur angedeutet werden . , was ehrliche Seilergeſellen
ſind , die wollen mir folgen .
Hierauf gingen ſie ſämmtlich , der Altgeſell voran , in ein
anderes Zimmer , welches ſie hinter ſich verſchloſſen ; bei dem
Eintreten ſprachen Alle :
S. m. V. u. G. , daß ich eintreten mag in eines ehrlichen
Herbergsvaters Stube .
Altgeſell . Gunſt genug , Gott geb’ uns Allen beſſer Glück !
Geſellen . Dank Dir Gott willkommen !
Altgeſell . Dank Euch Gott um und um ,
So komm’ ich bald herum .
Nun trat er an das obere Ende der Tafel , auf welcher die
Geſellen-Lade ſtand , und fuhr fort — der vorſitzende Meiſter oder
Geſellenvater hatte ſchon Platz genommen — :
S. m. V. u. G. , daß ich mag niederſitzen und meinen
Hut oder Filz auf des Herrn Vaters Tiſch legen . Iſt
etwa ein fremder Geſell oder Jünger eingewandert kom-
men , den ich noch nicht empfangen habe von wegen des
Handwerks , der ſei mir in Gott willkommen !
Alle Geſellen . Desgleichen mir auch !
Jetzt ſetzten ſie ſich um die Tafel , nach der Ordnung , wie
ſie in der Stadt Arbeit bekommen hatten , der Junggeſell ſtand
neben dem Altgeſellen . Dieſer bat um Erlaubniß , die Lade öff-
nen zu dürfen , ſagte aber dabei :
So hält Handwerksgewohnheit , daß das Jüngſt das Ael-
teſt verſchließt .
Hierauf ſchloß der Junggeſell ein Schloß auf , das andere
der Altgeſell , beide ſprachen :
S. m. V. u. G. , ziehe ich den Schlüſſel heraus .
Nun wurden aus der Lade der Willkommen , die Schenk-
kanne , die Geſellenartikel , die Geldbüchſe und das Rechnungsbuch ,
herausgenommen , und der Altgeſell ſprach den großen Gruß :
Grüße mir Gott alle gute ehrliche Meiſter , Geſellen und
Jünger , wie uns der liebe Gott allhier bei dieſer freund-
lichen Umfrage , bei offener Lade , bei ſtehender Büchſe ,
löblichen Artikelsbriefen und Einſchreibebuch , Aelteſt und
Jüngſt , löblichem Willkommen und Schenkkännel , in
löblicher Vierwochen-Zuſammenkunft miteinander ver-
ſammelt hat , Gott gebe uns Allen beſſer Glück !
Alle Geſellen . Dank Dir Gott willkommen !
Altgeſell . Dank Euch Gott um und um , ſo komme ich
bald herum . So mit Verlaub und Gunſt , wir wollen
nichts Neues auf und nichts Altes abbringen , wir wol-
len unter uns eine freundliche Umfrage herumgehen laſ-
ſen ; doch iſt mein Wille der geringſte , aller guten ehrli-
chen Geſellen ihrer der beſte .
Geſellen . Was Handwerksgewohnheit in ſich hält und aus-
weiſet , will ich helfen ſtärken und nicht ſchwächen , es iſt
vorhin ſchon ſchwach genug .
Altgeſell . S. m. V. u. G. , Ihr günſtigen Geſellen , wenn
Euer Wille und Meinung wäre wie der meine , ſo wollten
wir unter uns die Büchſenpfennige zufrieden ſtellen Geſellenbeiträge entrichten . ;
doch mein Wille der geringſte , aller guten ehrlichen Ge-
ſellen der beſte . Thu’t ſo wohl und ziehet die Beutel ;
ich bitte , laßt die Riemen nicht brechen , es wird den
meinen auch betreffen . So iſt’s auch Gebrauch , daß die
zuletzt in Arbeit gekommenen die Büchſenpfennige zuerſt
auflegen .
Nun wurde das übliche Auflagegeld entrichtet , ſodann bat
der Altgeſell mit den gewöhnlichen Bitten um Erlaubniß , eine
freundliche Umfrage halten zu dürfen , was dann die Ge-
ſellſchaft in hergebrachter Form genehmigte ; darauf wendete er
ſich an den zuletzt eingewanderten Geſellen , der bis jetzt bey-
ſitzen der Schenkgeſell genannt wurde , weil er das große
Eingeſchenk , oder den Ehrentrunk , noch nicht empfangen hatte ,
und redete ihn ſo an :
So mit V. u. G. meine Geſellſchaft , ſo komme ich zu
Dir , und frage Dich , wie ein Altgeſelle Macht hat einen
ehrlichen Geſellen zu fragen , ob Du auf die Meiſter ,
auf mich oder andere ehrliche Geſellen und Jünger
etwas weißt ? Du wolleſt ſo wohl thun und es melden
oder zu verſtehen geben , damit Friede und Einigkeit unter
uns erhalten werde .
Der Geſelle , indem er aufſteht : Gar gern , denn es iſt
Handwerksgebrauch .
Hatte er nun etwas Nachtheiliges von Meiſter oder Geſellen
zu ſagen , ſo mußte er es jetzt thun , vorher aber den großen
Gruß ſprechen ; wußte er nichts , ſo ſprach er :
So mit V. u. G. mein Altgeſell , weil Du mich frageſt
nach Handwerksgebrauch , ſo iſt’s billig und recht , daß
ich Dir Rede und Antwort gebe . So weiß ich auf
Dich und alle ehrliche Meiſter und Geſellen nichts als
Liebes und Gutes . Weiß einer oder der andere etwas
auf mich , ſo mag er es melden , verſchweigt er es aus
Liebe , ſo habe ich ihm zu danken , doch ſoll der Dank
nicht zu groß ſein , es mag ein Jeder reden , was er
verantworten kann . Wenn ich nach Handwerksgebrauch
mich nicht rechtfertigen kann , ſo will ich die gebührende
Strafe leiden , welche Du und alle ehrliche Meiſter und
Geſellen erkennen werden . So mit Gunſt hab’ ich aus-
geredet , aber noch nicht gar , ſo hätte ich noch einige
Worte vorzubringen , ich bitte , Ihr wollet mir es nicht
übel nehmen .
Sämmtliche Geſellen . Nichts überall , rede was von
Nöthen iſt .
Der Geſell ſagt wieder den großen Gruß , und dann :
Ihr werdet Euch gutermaßen zu erinnern wiſſen , daß ich
vor vierzehn Tagen bin eingewandert kommen , ſo iſt mir
ein freundlicher Gruß befohlen worden , ich ſoll ein ehr-
ſames Handwerk , Meiſter , Geſellen und Jünger ganz
freundlich grüßen , ſo hab’ ich ſtatt Eurer gedankt .
Alle Geſellen . Wir ſagen Dir Dank anſtatt Meiſter , Ge-
ſellen und Jünger .
Der Geſell . Ihr dürft nicht danken , es iſt Handwerksge-
brauch .
Nun bat er in einer ziemlich langen Rede um das große
hochlöbliche Eingeſchenk .
Der Altgeſell trug dann ſeinen Wunſch der Geſellſchaft
vor , und wiederholte dabei dieſelben Worte des Schenkgeſellen ,
als wäre ſie nicht dabei geweſen , darauf erwiderte dieſe dann :
So mit Gunſt , was einem andern widerfahren iſt , ſoll
ihm auch widerfahren .
Der Altgeſell verſprach ihm nun das Geſchenk oder den
Ehrentrunk nach beendigter Umfrage . Hierauf fragte er noch
zweimal , ob einer noch etwas vorzutragen habe ; meldete ſich
Niemand , ſo begann der Akt der Ueberreichung des großen Ein-
geſchenks mit dem Examen des Schenkgeſellen .
Altgeſell , ſpricht den großen Gruß , ſodann :
So mit V. u. G. Ihr gunſthaftigen Geſellen , Ihr werdet
Euch zu erinnern wiſſen , daß wir heute ein hochlöbliches
Eingeſchenk haben , das Eingeſchenk iſt mir lieb , der bei-
ſitzende Schenkgeſelle noch hundertmal lieber , wenn ihrer
gleich drei- bis vierhundert wären , ſo möcht’ ich ſie gern
beiſammen ſehen , hab’ ich ihn nicht empfangen , ſo will
ich ihn noch empfangen , ſei mir auch in Gott willkom-
men mein Schenkgeſell .
Schenkgeſell . Dank Dir Gott , willkommen ! Dank Euch
Gott um und um , ſo komme ich bald herum . So mit
Gunſt habe ich ausgeredet , Du magſt mich weiter
fragen . Der Altgeſell hatte ihn nämlich nochmals gefragt , ob er von Meiſter
und Geſellen etwas Böſes wiſſe , und was ihm von entfernten Ge-
werken befohlen ſei .
Altgeſell . So mit Gunſt meine Geſellſchaft , ſo komme ich
zu Dir und frage Dich weiter , in welcher Stadt Du
Dein Handwerk gelernt haſt , Du wolleſt ſo wohl thun
und es melden oder zu verſtehen geben , damit Friede
und Einigkeit unter uns erhalten werde .
Schenkgeſell . Gar gern , denn es iſt Handwerksgebrauch ,
ſo mit V. u. G. , daß ich mag reden und ſtill ſitzen ,
Gott gebe Euch Allen beſſer Glück !
Alle Geſellen . Dank Dir Gott willkommen !
Nun ſagte der Schenkgeſell , wo er das Handwerk gelernt
hatte , wobei nur dieſe Stelle merkwürdig iſt :
Drei Jahre lang und vier Wochen , vierzehn Tage vor und
vierzehn Tage hernach , wie es zur ſelbigen Zeit einem
Meiſters Sohn oder Lehrjungen wohl angeſtanden .
Was eigentlich der Sinn dieſer Berechnung ſein mag ,
möchte ſchwer zu errathen ſein . Wenn es nicht , wie ſo Vieles
in den Reden der Geſellen , bloßer Wortkram iſt , ſo werden die
vier Probewochen gemeint , die jeder Lehrling vor ſeinem Auf-
dingen zu beſtehen hatte und hier noch einmal getheilt werden .
Hierauf fragt ihn der Altgeſell weiter , wo er ſeinen Lehr-
braten verſchenkt und den Jüngernamen angenommen ,
und wo er ſeinen Jüngernamen verſchenkt und den Geſel-
lennamen angenommen habe Nämlich wo er nach abſolvirten Lehrjahren Jünger und ſpäter wirk-
licher Geſell geworden ſei , alſo dieſelbe Einrichtung wie bei den
Schloſſern . , und welche drei Geſellen
bei dem erſten Akt und welche vier Geſellen bei dem zweiten
gegenwärtig geweſen . Dieſe Zahlen ſind nicht ohne Bedeutung ,
ſie beziehen ſich vielmehr auf die hernach folgenden ſieben Artikel .
Mit öfterm Wiederholen der gewöhnlichen Bittformel und faſt
derſelben Worte des Altgeſellen , nannte der Schenkgeſell endlich
die Orte und Geſellen , der Altgeſell wendete ſich dann wieder
an die Brüderſchaft :
So mit V. u. G. Ihr gunſthaftigen Meiſter und Geſel-
len , ſo habt Ihr gehört und vernommen , daß ich den
Geſellen habe ausgefragt , zum Erſten , um Handwerksge-
brauch und Gewohnheit , ob er auf mich oder andere
ehrliche Meiſter , Geſellen und Jünger etwas weiß , ſo
weiß er nichts als Liebes und Gutes ; zum Andern , habe
ich ihn gefragt , wo er ſein Handwerk gelernt , ſo hat er
auch ſo wohl gethan und hat die Stadt mit Namen
genannt . Zum Dritten , habe ich ihn auch gefragt , wo
er ſeinen Lehrbraten verſchenkt und den Jüngernamen
an ſich genommen , was für drei Geſellen dabei geweſen
und wo er ſeinen Jüngernamen verſchenkt , und welche
vier Geſellen dabei geweſen , ſo hat er ſo wohl gethan
und hat die Städte und die ſieben Geſellen mit Namen
genannt ; weiß einer oder der andere etwas Unrechtes
auf ihn oder auf ſeinen Lehrmeiſter , oder auf die ſieben
Geſellen , ſo mag er es melden , damit Friede und Einig-
keit unter uns möge erhalten werden , und der Schenk-
geſell in ſeinem Geſchenk unverhindert bleiben möge , ich
für meine Perſon weiß nichts als Liebes und Gutes .
Alle . So mit Gunſt wir auch .
Nun werden dem Schenkgeſellen folgende ſieben Artikel
vorgeleſen :
1 ) So mit Gunſt , mein Schenkgeſell , wenn Du aufſteheſt
und hinaus geheſt und ſagſt nicht mit Verlaub und
Gunſt ,
2 ) wenn Du länger draußen bleibeſt als eine halbe
Stunde ,
3 ) wenn Du wieder herein geheſt und ſageſt nicht : ſo mit
Gunſt bin ich hinausgegangen , ſo mit Gunſt geh’ ich
wieder herein , und bringeſt nicht den ganzen großen
Gruß vor ;
4 ) ſo darfſt Du auch keiner unzüchtigen Manns- oder
Weibsperſon aus der hochlöblichen Schenkkanne zu Trin-
ken geben , die des Handwerks nicht gemäßig iſt ;
5 ) ſo darfſt Du auch weder Würfel- noch Kartenſpiel bei
einer freundlichen Umfrage hervorbringen , auch weder
Hader noch Zank bei dem hochlöblichen Eingeſchenk an-
richten ;
6 ) ſo darfſt Du auch nicht mehr Bier oder Wein ver-
ſchütten , als Du mit der Hand bedecken kannſt , oder
mußt den Mantel zum Gehülfen haben ;
7 ) ſo darfſt Du auch nicht mehr Bier oder Wein zu Dir
nehmen , als Deine Natur vertragen kann , wirfſt Du
aber über 7 und triffſt 11 , ſo haſt Du alle ſieben Artikel
verbrochen ; wirſt Du aber vor den Tiſch treten und um
Gnade bitten , ſo wird Dir einer aus Gnaden geſchenkt
werden , mit den andern ſechſen weiß man ſchon wohin ,
in das Hospital , wo die alten Weiber vor dem Zapfen
ſitzen und die jungen Mädchen am ſchönſten ſind . So
mit Gunſt , mein Schenkgeſell , willſt Du nun ſolche
Handwerksgewohnheit helfen ſtärken und nicht ſchwächen ,
wie es der Gebrauch von Alters her geweſen iſt , nichts
Neues auf und nichts Altes abbringen , ſo will ich Dir
das hochlöbliche Eingeſchenk darauf zubringen ?
Schenkgeſell . So mit Gunſt , mein Altgeſell , was Hand-
werksgewohnheit in ſich hält und ausweiſet , will ich
helfen ſtärken und nicht ſchwächen , es iſt vorhin ſchwach
genug .
Nach manchen Reden und Bitten um Erlaubniß , überreichte
endlich der Altgeſell dem Schenkgeſellen den Pokal oder die
Schenkkanne , und ſprach :
So mit Gunſt , mein Schenkgeſell , nimm hin die Kanne
mit ſchwarzbraunem Bier , die wird Dir verehrt von
mir und allen guten ehrlichen Geſellen und Jüngern ,
die allhier in Arbeit ſtehen . Nimm alſo damit vorlieb ,
das Kloſter iſt arm , der Brüder ſind viel , der
Abt trinkt ſelber gern ; haſt Du nicht Bier oder
Wein , ſchlag mit der Kanne auf den Tiſch , triff nur
mich und meine Geſellen nicht , trink zu wer Dir lieb
iſt , nur mir und meinen Geſellen nicht , aber es gilt Dir
und Deiner Mutter Sohn !
Nachdem der Schenkgeſell den großen Gruß geſprochen ,
erſuchte er die Geſellen , im Fall das Eingeſchenk ihm zu ſtark
ſein möchte , ihm zu helfen ; worauf er in drei Zügen den Pokal
oder die Schenkkanne austrank . Darauf wurde ſie wieder gefüllt
und er trank nun auf das Wohl des Altgeſellen und der ganzen
Brüderſchaft , wobei man ihm Glück wünſchte . Er dankte ihnen ,
bat aber noch nach Handwerksgebrauch mit vielen Ceremonieen
um das hochlöbliche Aufgeſchenk ; ehe ihm daſſelbe bewil-
ligt wurde , mußte er erſt die drei verborgenen Artikel beantwor-
ten , nämlich :
1 ) In welcher Stadt ihm zuletzt Handwerksgewohnheit wi-
derfahren ſei ?
2 ) Ob er mit dieſer Handwerksgewohnheit zufrieden ſei ?
3 ) Ob er weiter Handwerksgewohnheit verlange . So unerheblich dieſe drei Fragen ſcheinen , ſo deuten ſie doch auf das
Schelten des Handwerks und ſeine Wirkung .
Auf dem erſten Artikel antwortete er : » von Dir und Deinen
Geſellen . «
Die Antwort auf den zweiten und dritten war : Ja , wenn
mir das hochlöbliche Aufgeſchenk gereicht wird , dann will ich
Handwerksgewohnheit fördern und nicht ſchwächen , ſie iſt ſchon
ſchwach genug .
Der Altgeſell fragte nun die Geſellſchaft , ob ſie mit dieſer
Erklärung zufrieden ſei und dem Schenkgeſellen das Aufgeſchenk
bewillige , was dieſe dann zugab . Darauf wurde die Schenk-
kanne wieder gefüllt und der Schenkgeſell und Altgeſell tranken
ſich gegenſeitig zu . Zwiſchen allen dieſen Fragen und Antwor-
ten wurde immer der große oder kleine Gruß geſprochen . Nach
beendigtem vielen Reden und Trinken , fragte der Altgeſell den
Schenkgeſellen , ob er bei dieſem Geſchenk etwas geſehen habe ,
7
was der Ehre und Tugend nicht anſtändig ſei ? wor-
auf dieſer erwiderte :
So mit V. u. G. , mein Altgeſell , weil Du mich fragſt ,
was ich bei dieſem hochlöblichen Ein- und Aufgeſchenk
geſehen habe , ſo habe ich nichts geſehen , als was der
Ehre und Tugend wohl anſtehen mag . So mit Gunſt
hab’ ich geſehen eine Stube mit vier Winkeln , einen
Tiſch mit vier Spitzen , darum alle gute ehrliche Meiſter
und Geſellen ſitzen , Jünger davor ſtehen . So mit
Gunſt hab’ ich auch geſehen , allerhand Farben-Lieberei ,
ſchwarz , gelb , grün , blau , roth und allerlei Farben , daß
ich ſie nicht alle zählen kann . So mit Gunſt hab’ ich
auch geſehen einen hochlöblichen Willkommen und
Schenkkännel , mit Bier , daraus hab’ ich getrunken , ein-
mal oder vier , hätte ich mehr getrunken , ſo würde es
mein Schade nicht geweſen ſein . So mit Gunſt hab’
ich auch geſehen eine offene Lade , beiſtehende Büchſe ,
in- und ausliegende Büchſenpfennige , hochlöbliche Arti-
kelsbriefe und Einſchreibebuch , hochlöbliches Aelteſt und
Jüngſt , hochlöbliches Ein- und Aufgeſchenk .
Der Altgeſell gedenkt in dieſer Rede vielfarbiger Kleidung ,
womit , einfach genommen , die gewöhnlichen Kleider der Geſellen
gemeint ſein könnten , dem iſt aber nicht ſo , vielmehr bezeichnet
er damit die phantaſtiſchen Anzüge , welche der Altgeſell und
einige andere Geſellen an ſolchen Tagen , oder bei einem Einge-
ſchenk , Jünger- oder Geſellenmachen trugen ; in der dem Ver-
faſſer vorliegenden Handwerksgewohnheit kommt unter andern
die Frage des Altgeſellen vor : Iſt einer oder der andere da ,
der Luſt hat überzuſpringen Nämlich über die Geſellenlade , was der Jünger thun mußte ; vielleicht
legte der Altgeſell , das Ueberſpringen zu erſchweren , noch ſeinen Hut
mit einer Feder darauf . , der darf meinen Hut , Fe-
der und Lieberei nicht ſchonen .
Ferner antwortete ein zum Geſellen geſprochener Jünger ,
nach vielen mit ihm getriebenen Thorheiten , auf die Frage des
Altgeſellen , was er bei dem hochlöblichen Geſellenma-
chen geſehen habe , unter anderm : ſo hab’ ich auch ge-
ſehen Geſellen , Kranzgeſellen , Bandgeſellen und
allerhand Farben-Lieberei ꝛc .
Es gab noch eine Art Geſchenk bei den Seilern , welches ſie
Gaſtgeſchenk nannten ; es wurde wahrſcheinlich den Geſellen
gereicht , welche in einer benachbarten kleinen Stadt , wo ſie keine
Lade , oder wie ſie ſagten , Aelteſt und Jüngſt hatten , arbeiteten
und um ſich nicht zu iſoliren , zu der nächſten Brüderſchaft hiel-
ten , und daher ihrer Auflage beiwohnten ; ſolchen Geſellen wurde
auch der ſogenannte Schenkgroſchen gereicht , den ſie nach ge-
ſprochenem großen Gruß wieder zurückgaben , wenn ſie das Gaſt-
geſchenk in Natura empfangen hatten .
Waren alle Angelegenheiten , wie ſie bei der Auflage in
ihren ſchwerfälligen Formen vorkamen , beſeitiget , ſo hielt der
Altgeſell noch einmal Umfrage , ob die Brüderſchaft noch etwas
zu erinnern habe , dann verſchenkte er ſein Amt , das heißt er
wählte ſelbſt einen aus der Brüderſchaft zu ſeinem Nachfolger ;
nach deſſen Annahme übergab er ihm die Lade mit allen hinein-
gehörenden Stücken , wünſchte ihm Glück dazu und trat zurück ;
eben ſo verfuhr der Junggeſell , er übergab dem jüngſten , oder
dem zuletzt eingewanderten Geſellen , ſeine Schlüſſel zur Lade .
Der neue Altgeſell hielt nun , nach vorher geſprochenem
Gruß , noch eine Umfrage ; meldete ſich Niemand mit einer Be-
ſchwerde oder Erinnerung , ſo verſchloß er die Lade , nach ihm
der Junggeſell , nahm ſeinen Hut und ſagte :
So mit V. u. G. , der Filz iſt mein .
IV. Gebräuche der Böttchergeſellen in Magde-
burg bei der Auflage bis 1806 .
Die Auflage der Böttchergeſellen wurde eben ſo gehalten ,
nur mit großer Beſchränkung des Wortkrams , wie wir ihn bei
den Seilern gehört haben . Derſelbe Zweck waltete vor , daher
ähnliche Fragen und Antworten , aber ohne die barbariſche Härte
und ermüdende Wiederholung , wie bei manchen anderen Brü-
7*
derſchaften . Wir können füglich auf ſpezielle Mittheilung ver-
zichten , und nur von der Ehrenſchenke oder dem Willkommen
ſprechen , die bei dieſer Gelegenheit den zum Geſellen geſprochenen
Lehrlingen und den zugewanderten Geſellen gereicht wurde .
Nach der erſten Umfrage des Altgeſellen , ob einer oder der
andere etwas zu klagen oder zu erinnern habe , wurde die ſoge-
genannte Willkommenfrage von ihm gethan , ſie lautete ſo :
Mit Gunſt ehrbare ( oder günſtige ) Meiſter und Geſellen .
Es iſt hier in der Kauf- und Handelsſtadt Magdeburg
der Gebrauch , wenn ein fremder Geſell zugereiſ’t , oder
ein Burſche aus der Lehre gekommen iſt , daß wir ihnen
unſer Geſellengeſchenk und Willkommen präſentiren , da-
mit ſie nicht ſagen dürfen : in der Stadt Magdeburg
haben die Böttcher auch einen Willkommen , aber
Zum Riegel ,
Zum Spriegel ,
Zum Prunk und Prank ,
Wohl auf dem Tiſch ,
Wohl unter der Bank . Auch Poeſie , und der Takt , nach welchem die Böttcher um die Tonne
wandern , wenn ſie Reife umlegen .
Nein , das wollen wir nicht gelitten haben , ich will ihn
nicht bringen , mit lieblichen Dingen , nicht mit Waſſer oder
Wein , ſondern mit einem Trunk Magdeburger Broyhan ,
ſo gut wir ihn für unſer ehrliches Geſellengeld haben
können . Ich will ihn bringen mit ſechs Ehren , drei
vor und drei nach dem Trunk ; was ich nicht kann mit
dem Munde ehren , das will ich mit dem Beutel ehren ,
desgleichen ſoll auch der Fremde thun . Ich will auch
Macht haben , zwei zu küren , einer ſoll auf meine
Worte , der andere auf des Fremden Worte achten .
Willkommens Gnade ſoll er haben , Willkommens Ge-
rechtigkeit kann ihm auch widerfahren . Mit Gunſt , iſt
etwa einer oder der andere , der das Geſellengeſchenk und
den Willkommen begehrt , der ſtehe auf und trete vor des
Krugvaters Tiſch , alſo mit Gunſt .
Waren nun fremde Geſellen vorhanden , wozu auch die eben
losgeſprochenen Lehrburſchen gezählt wurden , ſo traten ſie vor .
Der Altgeſell wählte zwei aus der Brüderſchaft , welche den
Willkommen und das Jungfern-Kännchen bekleideten ,
nämlich die gewöhnlich zierlich gearbeiteten und mit Bändern und
Denkmünzen geſchmückten Deckel oder Kronen auf dieſe Gefäße
ſetzten , dann fragte er die fremden Geſellen , wo ſie zuletzt gearbeitet
hätten und ob ſie auf Meiſter und Geſellen etwas wüßten , oder
von auswärtigen Geſellſchaften ihnen anzuzeigen befohlen ſei ?
Fielen die Antworten befriedigend aus , ſo reichte er ihnen den
Willkommen und es wurden nun die ſechs Ehren getrunken .
Altgeſell .
1 ) Mit Gunſt und Erlaubniß , daß ich mag meine Hand
an unſere ehrliche Geſellenſchenke und Willkommen legen
und nach mir ziehen .
2 ) Mit Gunſt und Erlaubniß , daß ich mag die Ehrenkrone
von unſern ehrlichen Willkommen und Geſellenſchenke
abheben , und hier vor mich auf des Krugvaters Tiſch
niederſetzen .
3 ) Mit Gunſt und Erlaubniß , daß ich mag unſern ehrli-
chen Willkommen von des Krugvaters Tiſch aufheben ,
ſetzen ihn an meinen Mund , thun daraus einen guten
Trunk und trinke dem ehrlichen Geſellen zu , der vor mir
war und nach mir kommen wird . Er ſei aus Reu-
ßen oder Preußen , aus Holland oder Bra-
bant , ſo er hierher kommt , ſoll er Beſcheid thun , das
gilt Dir Hans ; proſit Hans ! ( Trinkt und reicht dem
Geſellen den Willkommen . ) Proſit Geſellſchaft , aus
unſerer ehrlichen Geſellenſchenke und Jungfernkanne !
Der fremde Geſell ſprach dieſelben Worte , trank dann
und reichte den Willkommen dem Altgeſellen zurück ; dieſer fuhr
fort :
4 ) Mit Gunſt und Erlaubniß , daß ich mag unſern ehrli-
chen Willkommen auf des Krugvaters Tiſch niederſetzen .
5 ) Mit Gunſt , daß ich die Ehrenkrone mag aufheben .
6 ) Mit Gunſt , daß ich ſie mag auf unſern ehrlichen
Willkommen und Schenke ſetzen und meine Hand ab-
ziehen , alſo mit Gunſt !
Dieſes wären alſo die ſechs Ehren ; die dritte iſt allein in-
tereſſant und ſinnig , ſie drückt die allgemeine brüderliche Theil-
nahme der Geſellen unter einander durch alle Länder aus . Wie
wohl mußte dem jungen Mann werden , der mit reinem Gewiſſen
dieſen Gebrauch fordern konnte , und wie traurig mochte der da-
ſtehen , dem die Anzeige irgend einer Schuld vorausgeeilt war ,
und ihn als unredlich bezeichnet hatte !
Der Altgeſell fragte darauf den Fremden , oder den neuen
Geſellen , » Wie befindeſt Du Dich auf dieſen Trunk , Willkom-
mens Gnade oder Willkommens Gerechtigkeit ? « worauf dieſe
antworteten : » Willkommens Gerechtigkeit « Dieſe Ausdrücke ſind , wie ſo manche andere in den Handwerksge-
wohnheiten , dunkel ; wahrſcheinlich wird damit der Unterſchied ange-
deutet , der zwiſchen einem ſchuldloſen Geſellen und einem geſcholtenen ,
welcher nach abgebüßter Strafe durch Darreichung des Willkommens
wieder in die Brüderſchaft aufgenommen wurde , ſtatt fand ; ihm wurde
der Ehrentrunk aus Gnade , dem andern aber aus Gerechtigkeit , oder
Gebühr , zu Theil . ; dann trank die
ganze Geſellſchaft ihre Geſundheit . Die Geſellen hatten für dieſe
Ehre vier Groſchen an die Geſellenkaſſe zu zahlen .
Fünfter Abſchnitt .
Die Handwerksmißbräuche der Geſellen .
A lle polizeilichen Inſtitutionen , auch die religiöſen , haben zu
allen Zeiten das Unglück gehabt , über den Formen , in welchen
ſie in’s Leben traten und in Wirkſamkeit erhalten werden ſollten ,
verdunkelt und endlich gar vergeſſen zu werden , wenn dieſe im-
mer dieſelben blieben und überall unter allen Umſtänden gleiche
Wirkung hervorbringen ſollten . Dieſes Schickſal traf auch die
geſellſchaftliche Verfaſſung , die Gebräuche und Gewohnheiten der
Geſellen . Von ihnen ſelbſt wurden ihre Rechte oft zu weit aus-
gedehnt , ihre Gebräuche und Gewohnheiten durch ſchiefe Ausle-
gung und willkührliche Zuſätze verderbt , für die Ruhe der Mei-
ſter und ihrer Mitgeſellen ſtörend , und gelegentlich läſtig für das
ganze Publikum ; und doch hatten dieſe Gewohnheiten den gan-
zen Handwerksſtand ſo durchdrungen , daß ein zünftiger Meiſter
oder Geſell ohne Verehrung derſelben , gar nicht gedacht werden
konnte , und ein faſt dreihundertjähriger , bald ſtiller bald öffent-
licher Kampf der polizeilichen Geſetzgebung dazu gehörte , ſie , wo
nicht zu vernichten , doch unſchädlich zu machen . Die vorzüg-
lichſten Mißbräuche , welche in alter und neuer Zeit faſt bey allen
Geſellen-Brüderſchaften vorgekommen ſind , beſtehen in folgenden :
1 ) Uebertreibung der Förmlichkeiten bei dem ſogenannten
Geſellenmachen .
2 ) Bizarrerie bei der Abhörung des Wandergrußes .
3 ) Zeitverſäumniß , koſtſpielige Bewirthung der Wanderge-
ſellen bei der Umſchau und unbeſcheidene Forderungen
derſelben .
4 ) Grenzenloſe Ausdehnung ihres Sittengerichts , des damit
verbundenen Verrufs oder Scheltens der Meiſter und
Geſellen , oft ganzer Gewerke .
5 ) Unduldſamkeit gegen beweibte Geſellen , und ſolche , die
ſich in Fabriken verdingt hatten , desgleichen gegen die
im Dienſt ſtehenden Soldaten .
6 ) Willkührliche Feier gewiſſer Tage und Feſte , Faſtnacht ,
dritter Feiertag , blauer Montag .
Die drei erſten Arten ſind für uns weniger bedeutend , weil
ihre Folgen nicht das geſammte Publikum berührten und durch
Wachſamkeit der Innungs-Obern beſchränkt oder ganz vermieden
werden konnten . Allerdings ſind bei dem Geſellenſprechen der
Böttcher , Hutmacher , Tiſchler , Seiler , Schloſſer und ſelbſt bei
den Buchdruckern Geßners Anfangsgründe der Buchdruckerkunſt , Leipzig , bei dem
Verfaſſer 1743 . , Härten vorgekommen , ſie trafen aber ge-
wöhnlich nur ſolche Burſchen , welche ſich in den Lehrjahren
übel , beſonders durch Unhöflichkeit und Ungehorſam , ausgezeichnet
hatten , und es liegt ſehr nahe , daß die unzufriedenen Meiſter
ſelbſt Veranlaſſung zu einer Correction bei dieſer Gelegenheit
gegeben haben ; wir wollen ſie aber dennoch nicht entſchuldigen ,
da der Zweck der dabei vorkommenden Gebräuche dazu dienen
ſollte , die Feſtlichkeit des Tages und die Freude der jungen Ge-
ſellen über ihren neuen Stand zu erhöhen , aber nicht ihnen
ſchädlich zu werden , was gar nicht zu vermeiden war , wenn die
Gebräuche wörtlich befolgt wurden .
Die Strenge bei Abhörung des Wandergrußes , wie ſie das
Reichspatent vom 31. Auguſt 1731 , Artikel IX. , beſchreibt Ingleichen ſo halten ſie auch auf ihren Handwerksgrüßen , läppiſche
Redensart und andere dergleichen ungereimte Dinge ſo ſcharf , daß Der-
jenige , welcher etwa in Ablegung oder Erzählung derſelben nur ein
Wort oder Jota fehlet , ſich alſobald einer gewiſſen Geldſtrafe unter-
geben , weiter wandern oder wohl öfters den Weg zurück laufen und
von dem Ort , wo er hergekommen , den Gruß anders holen muß . ,
iſt ſehr hart und in dem Grade in der letzten Hälfte des acht-
zehnten Jahrhunderts gewiß nicht vorgekommen .
Was die übertriebenen Forderungen der Wandergeſellen an
die Umſchaugeſellen anlangt , ſo wird zugegeben , daß hin und
wieder alternde Geſellen die jüngern , beſonders an Sonntagen ,
ungebührlich in Anſpruch nahmen ; man konnte indeß von der
fortſchreitenden Bildung der Handwerker und von der Aufmerk-
ſamkeit ihrer Obern hoffen , daß dieſe Beſchwerde mit der Zeit
ganz aufgehört haben würde , auch beſtanden ſchon , je nach der
Größe der Städte , einſchränkende Vorſchriften .
Am wichtigſten und gefährlichſten war das Schelten oder
der Verruf der Geſellen unter ſich , einzelner Meiſter , oder ganzer
Gewerke . Es war eine uſurpirte Nachahmung der ſtatutariſchen
und Gewohnheits-Rechte der Innungen und Handwerke . Dieſe
bedienten ſich deſſelben als Executionsmittel wider ungehorſame
und unredliche Meiſter und Geſellen ; unverantwortlich war es
daher von ihnen , auch ihren Gehülfen daſſelbe Recht einzuräumen
und ſich dadurch von dem ſchwachen Verſtande der Jugend und
ihren Leidenſchaften abhängig zu machen . Wir können dieſe
ſchädliche Gewohnheit in zwei Klaſſen theilen ; die erſte blieb ,
wenn nicht außerordentliche Fälle hinzutraten , in den Grenzen
einer Hausangelegenheit der Meiſter , indem ſie ihre Wirkung
nur auf eine Werkſtatt äußerte . Sie konnte nämlich durch
Unzufriedenheit des Meiſters mit ſeinen Geſellen , über ihre Me-
thode zu arbeiten , zu ſpätes Aufſtehen , unvorſichtigen Gebrauch
oder Verdacht abſichtlichen Mißbrauchs der Materialien , ent-
ſtehen , und ſich bis zu einem unbewachten Ausdruck , z. B.
dumm , faul , ſchlecht ꝛc . ſteigern ; von Seiten der Geſellen konnte
Unzufriedenheit über zu geringe Speiſen , unreines Bettzeug und
ſonſtiges Leinengeräthe Daher das an ſ. O. vorgekommene Reſervat der Meiſter , daß die
Geſellen Bett und Bettgewand nicht verachten ſollen . , unregelmäßige Zahlung des Wochen-
lohns , entſtehen . Konnte der Meiſter die daraus entſtehenden
Händel nicht auf der Stelle beilegen , ſo gingen die Geſellen , es
betraf einen oder alle in der Werkſtatt , wo nicht ſofort , doch
den nächſten Sonntag von ihm und verboten allen übrigen in
der Stadt , bei ihm zu arbeiten , bis die Sache bei der Innung
unterſucht und ausgeglichen war . Zu dieſer Klaſſe gehört auch ,
wenn ein Meiſter von der Innung ſelbſt geſcholten wurde , in
dieſem Fall durften die Geſellen nur mit Erlaubniß des Ober-
meiſters bei ihm bleiben .
Die zweite Klaſſe ereignete ſich , wenn die Meiſter einen
gemeinſamen Beſchluß über eine vorzunehmende Veränderung in
den Verhältniſſen der Geſellen zu ihnen , gefaßt hatten , mit dem
dieſe nicht einverſtanden waren und der auf ihre Vorſtellung nicht
zurückgenommen wurde . Dahin gehören : Vermehrung der Ar-
beitsſtunden , Herabſetzung des Lohns , Verlegung der Auflage-
termine , Beſchränkung des Gebrauchs des Brüderſchaftsſiegels ,
und der Feier gewiſſer Tage , dritter Feiertag , blauer Montag ,
verſagtes Gehör bei der Innung oder Abweiſung ꝛc . Jede dieſer
Vorfallenheiten war geeignet , einen allgemeinen Aufſtand unter
ihnen hervorzurufen , beſonders wenn die Altgeſellen gegen die
Anordnung der Meiſter eingenommen waren . Konnte man ſich
nicht einigen , ſo zogen die Geſellen in Maſſe aus der Stadt ,
erließen aber vorher Laufſchreiben an die Brüderſchaften ihres
Handwerks in den nächſten und entfernteſten Städten , worin ſie
dieſen unterſagten , ſo lange in der betreffenden Stadt zu arbei-
ten , bis die Meiſter ihren Beſchluß würden zurückgenommen
haben . Ein ſolcher Aufſtand oder Verruf nahm mehr oder we-
niger einen politiſchen Charakter an , er verletzte die Privilegien
der betreffenden Innung in allen Staaten , die Landeshoheit der
Fürſten , und ſtörte den Frieden vieler Hundert Familien , denn
auch die eingebornen Geſellen der betreffenden Stadt mußten
der größern Maſſe folgen , wenn ſie ſich nicht der Verachtung
und Rache derſelben auf ihrer künftigen Wanderſchaft ausſetzen
wollten . Ein ſolcher Aufſtand wurde noch bedenklicher , wenn
die Orts-Obrigkeit Veranlaſſung dazu gegeben hatte , und die
Meiſter ſich der Geſellen nicht annahmen . Dieſer Fall ereignete
ſich 1725 unter den Schuhmachern in Augsburg . Die Hand-
werksgeſellen mögen hin und wieder in ähnliche Verirrungen ge-
fallen ſein , aber keine hat der Innungsverfaſſung ſo ſehr geſcha-
det , als dieſe , denn ſie iſt unbezweifelt die nächſte Veranlaſſung
zu dem Reichsgeſetz von 1731 , wodurch ſie tief erſchüttert wurde ,
es ſei alſo erlaubt , einige Augenblicke dabei zu verweilen .
Bei Gelegenheit eines Streits der Schuhmachergeſellen in
Würzburg 1724 Europäiſche Staats-Canzlei , Band 49 , S. 554 . , von dem die dortige Regierung dem Ma-
giſtrat in Augsburg Mittheilung machte , entdeckte das Hand-
werksgericht Eine Deputation des Magiſtrats . , daß das Brüderſchaftsſiegel der Geſellen nicht
in ihrer Lade verſchloſſen , ſondern in den Händen der Altgeſellen
war und die Brüderſchaft ohne Vorwiſſen der vorſitzenden Mei-
ſter mit auswärtigen Geſellſchaften correſpondire . Das Gericht
fand ſich dadurch veranlaßt , den Geſellenartikeln die nöthigen
Verbote inſeriren zu laſſen , und forderte zu dem Ende dieſe Ur-
kunde von ihnen . Nach mancher Weigerung lieferten ſie die
Altgeſellen zwar aus , riſſen aber ſpäter die eingetragenen Sätze
wieder heraus , ſämmtliche Geſellen verließen ihre Werkſtätten
und lagerten ſich auf ihre Herbergen . Sie theilten ſich in Augsburg nach dem Glaubensbekenntniß in zwei
Brüderſchaften , und hatten zwei Laden und Herbergen . Der Magiſtrat ließ
hierauf beide Häuſer militairiſch umſtellen , bemächtigte ſich der
Altgeſellen und hatte in der Ueberzeugung , daß man dieſe Geißeln
nicht verlaſſen werde , den Sturm auf einige Augenblicke glücklich
beſchworen ; beide Brüderſchaften ſchienen zur Nachgiebigkeit
bereit und nach einigem Capituliren ließen ſie geſchehen , daß
man die Geſellenladen auf das Rathhaus ſchaffte , von den Alt-
geſellen öffnen und die neuen Verordnungen den Geſellenartikeln
beifügte . Dieſes ſcheinbare Fügen , die Klagen der Meiſter , bei
dem nahen Oſterfeſte » die Geſellen nicht entrathen zu
können , und die Furcht des Magiſtrats vor der Ge-
fahr , ſo ſich bei der Gefangennehmung einer ſo
großen Anzahl der Purſchen hätte begeben können « ,
beſtimmte ihn , ſämmtliche Rebellen freyzugeben , nachdem ſie an
Eidesſtatt und bei Verluſt ihres ehrlichen Namens angelobt hat-
ten , zu ihren Meiſtern in Arbeit zu gehen und die weitern Be-
ſchlüſſe abzuwarten ; auch ließ der Magiſtrat die Geſellenladen
und Bücher wieder auf die Herbergen ſchaffen . Die Geſellen
gingen nun zwar vor der Hand wieder zu ihren Meiſtern , ver-
weigerten aber die gewöhnliche Auflage zu halten und die Auf-
lagegelder zu entrichten , bis der Rath die neuen Verordnungen
zurückgenommen haben würde . Dieſer an ſeinem Theil , hatte in
Erwägung , daß der Frevel und Trotz der Geſellen nicht unge-
ahndet hingehen könne , ihnen eine Strafe von 1½ Gulden für
den Mann zuerkannt , ſie warteten jedoch das Erkenntniß nicht
ab , ſondern zogen , 132 an der Zahl , aus der Stadt , in das
nahe liegende Baierſche Städtchen Friedberg . Hier lagen ſie
an zwölf Wochen , während dem der Magiſtrat zu Augsburg
vergebens mit ihnen unterhandelte , bis Geldnoth ſie entzweiete
und zur Beſinnung brachte . Sie hatten in dieſer Zeit 3132
Gulden Schulden gemacht , und es handelte ſich endlich nicht ſo
ernſtlich um ihre Rückkehr nach Augsburg , als um Herbeiſchaf-
fung dieſer Summe , welche ſie noch dazu von dem Magiſtrat
forderten . Jetzt , wahrſcheinlich auf Anrufen der Einwohner zu
Friedberg , nahm die Landesregierung thätigen Antheil an dem
Handel ; ſie ſchickte eine Commiſſion dahin , ließ mehrere , beſon-
ders die Altgeſellen , einſperren , bis die ganze Brüderſchaft ſich
mittelſt ausgeſtellter und beſchworner Obligation verbindlich
machte , die aufgelaufene Schuld binnen drei Jahren zu bezah-
len ; worauf man ſie ungehindert ziehen ließ . Eine kleine An-
zahl , vielleicht nur Eingeborner , kehrte zwar nach Augsburg
zurück , die Mehrzahl zerſtreute ſich jedoch und 1728 war die
Sache noch nicht völlig ausgeglichen ; die Meiſter , auf welche
endlich die Geſellen alle Schuld wälzten , baten noch in dieſem
Jahre den Magiſtrat um Abhülfe und verſicherten , daß kein
fremder Geſell bei ihnen arbeiten wolle .
Nach den Regeln der damals noch ziemlich feſten deutſchen
Innungsverfaſſung , erkennen wir zwei Fehler , welche dieſen Auf-
ſtand herbeiführten ; einmal , daß die Geſchwornen oder Geſellen-
beiſitzer zugegeben hatten , daß die Altgeſellen das Brüderſchafts-
ſiegel in den Händen behielten , was bei gehöriger Aufmerkſamkeit
nicht geſchehen konnte ; zweitens , daß der Magiſtrat , oder das
Handwerksgericht , ſeine Verordnung nicht an die Innung , als
die nächſte Behörde der Geſellen , vielmehr unmittelbar an dieſe
richtete , welche aber , vermöge ihrer Statuten , nur von dieſer
Befehle anzunehmen hatte ; es wird auch wahrſcheinlich , daß
die Meiſter , in der Meinung , die Geſellen würden es ſo weit
nicht treiben , dieſe anfangs unterſtützten , um ihre Empfindlichkeit
darüber , daß ſie übergangen waren , an den Tag zu legen .
Wie tief dieſer unglückſelige Gebrauch bei den Geſellen-Brü-
derſchaften Wurzel geſchlagen hatte , und in welcher läſtigen Ab-
hängigkeit die Meiſter dadurch erhalten wurden , ſehen wir noch
im Jahre 1799 , wo die Schloſſergeſellen in Frankfurt a. M.
ſämmtlich aus der Stadt zogen , weil man ihnen das gewöhn-
liche Frühſtück nicht um einen Kreuzer erhöhen wollte . Prrov .-Archiv in Magdeburg . Vor-
her hatten ſie , wie in der älteſten Zeit , Abmahnungs- und Droh-
briefe an die Brüderſchaften in Caſſel , Berlin , Hamburg , Copen-
hagen u. m. a. Orten erlaſſen , worin ſie die Geſellen für
unredlich erklärten , welche in Frankfurt Arbeit nehmen
würden .
Minder nachtheilig für die Meiſter und das betreffende Pu-
blikum war zwar das einſeitige Schelten der Geſellen unter ſich ,
aber doch höchſt gefährlich für die Ruhe , ja ſogar für die perſön-
liche Sicherheit der einzelnen Genoſſen , die es betraf . Dieſer
Verruf konnte eintreten , wenn ein Geſell die Anſichten ſeines un-
zufriedenen Mitarbeiters in der Werkſtatt , bei deſſen perſönlichem
Zwiſt auf der Herberge , oder ſonſt wo , nicht theilen wollte ,
wie das ſo oft im Leben und in allen Ständen vorkommen
kann ; im Trunk , beſonders bei der Schenke zum Thor hinaus ,
auch wenn einer von einem allgemeinen Aufſtande ſich ausſchloß ,
oder heimlich bei einem geſcholtenen Meiſter arbeitete , wenn er
einen Wandergeſellen angeblich nicht gut bewirthet hatte , endlich
bei dem Tanz , wenn einer das Mädchen des andern verachtete ,
oder vorzugsweiſe mit ihm tanzen wollte ; kurz , nach allen ähn-
lichen Vorfällen , wie ſie jungen Leuten in allen Ständen begeg-
nen und Zweikampf oder Prozeſſe herbeiführen können . Ge-
wöhnlich erklärten ſie ſich gegenſeitig für ſchlecht , und nun durfte
keiner meben dem Geſcholtenen arbeiten , bis ſeine Händel ausge-
glichen waren , was denn wohl durch verſtändige Altgeſellen ge-
ſchah . Die Sache wurde jedoch ſchlimmer , wenn die ſtreitenden
Geſellem in aufgeregter Leidenſchaft die Stadt in verſchiedenen
Richtumgen verließen und ihre Anſichten und den Verruf in meh-
rere Sttädte und Länder trugen .
Dem Verruf ähnlich und unter Umſtänden recht drückend ,
konnte wie Unduldſamkeit gegen beweibte Geſellen werden Naich Lambrechts Cameral-Wiſſenſchaft , Berlin 1797 , Seite 143 ,
verrlangten die Geſellen , daß die beweibten den letzten Stuhl oder
Pllatz in der Werkſtatt einnehmen ſollten . ; ſie
originirtt unbezweifelt aus den ſtrengen Keuſchheitsgeſetzen der In-
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nungen , wozu ſich ſpäter ein ſehr zu entſchuldigender Eigennutz oder
Sorge für das Unterkommen der Geſellen verband . Nach jenen
ſehr bekannten Geſetzen betrachteten die Geſellen den Eheſtand
eines ihrer Mitarbeiter als Folge der Uebertretung deſſelben , und
in politiſcher Hinſicht als Hinderniß ihres Fortkommens und
Beſchränkung ihrer Freiheit . Dieſe Freiheit , obgleich dem Wort
nach ſich nicht klar bewußt , ſollte jeder Einzelne der geſammten
weit verzweigten Brüderſchaft bewahren Handwerksgewohnheit ſtärken und nicht ſchwächen . , ſie hielten ſie gefährdet ,
wenn einer ſich in Verhältniſſe verſetzte , welche ſeinen Willen
und unbedingte Theilnahme an dem Gemeinwohl der Brüder-
ſchaft beſchränken konnten . Dies war nun freilich der Fall bei
den verehelichten Genoſſen , deren ganze Subſiſtenz in den Hän-
den der Meiſter lag und einer weitern Ausführung nicht bedarf .
Diejenigen , welche für Stücklohn arbeiteten , hegten den Ver-
dacht , daß man jenen vortheilhaftere Bedingungen zugeſtehe , oder
ſolche Gegenſtände zutheile , welche beſonders gut förderten ; die
Wandergeſellen , daß ihnen ihr Unterkommen erſchwert werde , in-
dem die verehelichten die Stadt nicht mehr verließen . Der nächſte
Druck , den dieſe Unduldſamkeit erzeugte , war , daß die Brüder-
ſchaft ihnen keinen Antheil an der Krankenkaſſe zugeſtehen , andere
ſie gar nicht neben ſich in der Werkſtatt dulden wollten , z. B.
die Schloſſer in Magdeburg . Die Sache von rein menſchlicher
Anſicht genommen , machten die Geſellen ſich einer Härte ſchul-
dig , die leicht die nachtheiligſten Folgen auf das Gemüth eines
ſolchen Ehemanns haben konnte , aber ſie führt gleichwohl zu ſehr
ernſten Betrachtuugen über die ehelichen Verbindungen der
Handwerksgehülfen , die Bauhandwerker allenfalls ausgenommen ,
ohne Rückſicht auf Zünfte oder Gewerbefreiheit .
Die Ehe bleibt an ſich , bei allen äußern Vortheilen , welche
unſere Stellung in der Geſellſchaft uns verſpricht , ſelbſt bei hin-
länglichem Capitalbeſitz , der die Verbindung begünſtiget , ein mo-
raliſches Wagſtück ; wo aber die bürgerliche Stellung des Ehe-
mannes und ſein Erwerb nur auf auflöslichen Contracten und
auf geringem Lohn baſirt , was bei den Handwerksgehülfen ganz
beſonders der Fall iſt , da wird ſie gewöhnlich das erſte Glied
einer langen Kette moraliſcher und phyſiſcher Leiden . Immer
wiederkehrende Noth , unaufhörliche Sorgen , drücken dann auch
das beſte Herz nieder , es verkümmert oder verwildert unter zu-
nehmenden Drangſalen und bei der immer mehr ſchwindenden
Hoffnung , jemals ſelbſtſtändig ſich bewegen zu können . Da iſt
es denn nicht zu verwundern , wenn ein leidenſchaftlicher Mann
ſein ganzes Unglück in der Ehe findet und in ſchlecht bewachter
Stimmung ſeinen Unmuth an der armen Frau ausläßt , die
doch nur das Opfer ſeiner Unbeſonnenheit wurde !
Ein ſolches Elend von den Innungen und Städten möglichſt
entfernt zu halten , war die Unduldſamkeit der Geſellen wohl
geeignet , wenn gleich geſetzlich nicht zu rechtfertigen .
Die Unduldſamkeit gegen ſolche Genoſſen , welche eine Zeit
in Fabriken und Manufakturen gearbeitet , oder Livré getragen
hatten , war eine Folge der ſtrengen Abgeſchloſſenheit jedes Ge-
werks , des Verbots aller Pfuſcherei und was dieſer Vorſchub
leiſten konnte , ſo wie des Strebens der Innungen , jene nicht
aufkommen zu laſſen ; indeß wurde von Seite der Geſellen we-
niger darauf gehalten , auch haben ſie manchen Gewinn aus der
Technik der Fabriken in ihre Meiſterſchaft mit hinüber ge-
nommen .
Die Feier abgeſchaffter Feſttage , beſonders der dritte Feier-
tag an hohen Feſten , gab ebenfalls zu manchen Klagen Veran-
laſſung , ſie findet aber bei einigen Handwerken , z. B. den
Schuhmachern und Schneidern , billige Entſchuldigung , indem
bei ihnen die Geſellen in den Wochen vor hohen Feſten , oft
jeden Sonnabend halbe Nächte , den ganzen erſten Feſttag und
den halben Sonntag arbeiten müſſen , damit die Meiſter ihre
Kunden befriedigen können ; man konnte ihnen daher wohl einige
Erholungsſtunden nach den Feſten und Sonntagen gönnen .
Wir kommen hier auf den ſo ſehr verrufenen blauen
Montag ; ſein Entſtehen iſt , wie alle öffentliche Feſte , kirchlich .
Es war der Montag nach dem Sonntage Eſtomihi , alſo vor
dem Anfang der Faſten . In Erfurt feierten mehrere Handwerke , u. a. die Schuhmacher , den
Montag nach Jacobi als grünen Montag . Es war der Feſttag
ihres Schutzheiligen ; auch der Schmiede-Obermeiſter wurde an dieſem
Tage feierlich mit der Innung beliehen . Sie ſchmückten an dieſem
Tage ihre Häuſer und Läden mit grünen Zweigen , welche ihnen aus
Herrſchaftlichen Forſten geliefert wurden . ( Erhards Geſchichte von
Erfurt , S. 306 . ) Man zierte an dieſem Tage , be-
ſonders im ſüdlichen Deutſchland , das Innere der Kirche mit
blauen Gewändern , lebte nach vollbrachtem Gottesdienſt , in der
Ausſicht auf die beſchränkende Faſtenzeit , noch ſo luſtig als
möglich , und fing eigentlich damit ſchon die Feier der Faſtnacht
an . Man nannte ihn auch den gailen Montag , ſowie den
darauf folgenden Dienstag , Narrenkirchweihtag Zinkernagel , Handbuch für Archivare , S. 258 . , welche
Bezeichnung den Zweck der Feier hinlänglich andeutet . Nach
der Reformation verlor ſich zwar der Name , die Geſellen woll-
ten aber den Tag unter der Zahl der Feſte nicht miſſen und
man bewilligte ihnen dafür mehrere freie oder gute Mon-
tage im Jahre ; die Bezeichnung blau , übertrugen ſie ſpäter
ſprichwörtlich auf jeden Tag in der Woche , an welchem ſie nicht
arbeiten wollten . Zu den Kämpfen gegen den blauen Montag können wir noch den
Vorſchlag im Handbuche für den geſitteten Bürgerſtand , Berlin bei
Schüne , Abſchn. 14 , zählen , den Geſellen nämlich zu ihrer Erholung
einen blauen Mittwoch zu bewilligen — dadurch würde aber der
halbe Donnerstag auch blau geworden ſein !
Einige Brüderſchaften machten am Faſtnachtstage gewiſſe
Obſervanzen geltend , z. B. die Hufſchmiede , welche von den
Meiſtern und deren gewöhnlichen Kunden , Wurſt oder Geld
einſammelten , die Fleiſcher ſchmückten einen fetten Ochſen mit
Blumen und Bändern , und zogen damit durch die Straßen .
Einige Feſte ſind uns kaum noch dem Namen nach bekannt ,
z. B. der Lucastag der Glaſer , welcher im nördlichen Deutſch-
land unter dem Namen großer und kleiner Lucas gefeiert wurde ;
der Hofzug der Zimmerleute in Halle , welcher noch in den Re-
gierungsjahren des letzten geiſtlichen Adminiſtrators des Erzſtifts
Magdeburg vorkommt , der Joſephstag in Erfurt , den die dorti-
gen Zimmerleute feierten , der Reiftag der Böttcher , in München
vor Anfang der Faſtenzeit , in Halle in der Pfingſtwoche gehal-
ten , er ſoll den Geſellen bedeutende Koſten verurſacht haben . Dem Verfaſſer iſt darüber Folgendes von dem Stadtverordneten Herrn
Böttchermeiſter Balck in Magdeburg mitgetheilt worden : „ Der
Reiftag wird noch , aber höchſt ſelten , namentlich in München , nach
ſieben Jahren einmal gehalten . Sein Entſtehen fällt in eine ſehr alte
Zeit , wo in Deutſchland eine Peſt große Verheerungen angerichtet
haben ſoll . Nach dieſer Schreckenszeit ſollen die Böttchergeſellen die
Erſten geweſen ſein , welche durch ihre Arbeiten und Tanzen um ihre
Tonnen und Schwingen der Reife die eingeſchüchterten Einwohner wieder
aus ihren Wohnungen gelockt haben . In München treten gewöhnlich
12 bis 20 Geſellen zuſammen , und gehen deshalb ſchon zwei oft drei
Monate vorher aus der Arbeit , um den Tanz einzuüben . Die Zeit
der Ausführung beginnt gewöhnlich am heiligen Dreikönigstage und
dauert bis zur Faſtnacht . Die Tänzer ſind mit einer rothen Tuch-
jacke , ſchwarzer Sammthoſe , weißen Strümpfen und ſchwarzen Schu-
hen bekleidet , als Kopfbedeckung tragen ſie eine runde Mütze von grü-
Dergleichen Feſte gaben dem Volksleben in den Städten
ein heiteres Anſehen , wenn ſie von Uebertreibung frei blieben ,
was jedoch bei der großen Verſchiedenheit der Bildung und Nei-
gung der jungen Leute nicht zu vermeiden war .
Man hat im letzten Jahrhundert bei mehreren Gelegenhei-
ten Berechnungen der Verluſte angeſtellt , welche durch die Ver-
ſäumniß am Montage für den Handwerksſtand und das ganze
Publikum entſtehen und große Capitalſummen als Reſultat der-
ſelben herausgeſtellt Krünitz Encyclopädie , Thl. 21 , S. 540 . , deren Werth jedoch nur in einem künſtlichen
Calcül und nicht im praktiſchen Leben liegt . Wenn die Hand-
werker nur immer Arbeit genug haben , ſo können ſie die Ver-
ſäumniß einiger Stunden am Montage im Laufe der Woche
durch angeſtrengtere Thätigkeit wohl wieder gut machen , bleibt
ihnen doch in ihrem glücklichſten Zuſtande beinahe gar keine
Zeit zur Erholung , da ſie , wie ſchon gedacht , oft genug halbe
Nächte und die Sonntage arbeiten müſſen , um ihren Kunden
gefällig zu ſein ; ſie iſt alſo nur ein ſcheinbares Uebel , das Zeit
und indirecte Mittel ſicherer beſeitigen , als ſtrenge Verbote . Der
eigentliche Mißbrauch , den die Geſellen davon machten , beſtand
in gegenſeitigen Ueberredungen zum abſoluten Ausgehen , denen
Böswillige auch wohl Drohungen hinzufügten , wodurch ſie ihre
genoſſenſchaftliche Freiheit angriffen , auf welche ſie doch ſo ſehr
hielten , und heftige Streitigkeiten herbeizogen .
nem Sammet mit blauen und weißen Federn . Zwei von ihnen ſind
phantaſtiſch gekleidet und begleiten ſie als luſtige Perſonen . Ihr
geordneter Zug , bei welchem Jeder einen bunten Reif trägt , geht des
Vormittags von der Herberge aus in die Straßen wo Große und
Reiche wohnen , dort tanzen ſie vor den Häuſern in verſchiedenen
Stellungen und Gruppirungen , ſchwenken mit Wein gefüllte Gläſer
in den Reifen in künſtlichen Touren und Zügen , trinken die Geſund-
heit der Herrſchaften , die ſie dann gewöhnlich reichlich beſchenken , wo-
durch ihre bedeutenden Auslagen gedeckt werden . “
Schlußbetrachtung .
A ndere Zeiten andere Sitten ! Der Handwerksſtand hat Jahr-
hunderte lang an den ſeinigen feſtgehalten und nur das allge-
meine Schickſal der deutſchen Reichsverfaſſung konnte auflöſende
Spaltungen in ſeinen abgeſchloſſenen Verhältniſſen hervorbringen .
Die gewaltſame Aufhebung aller Corporationen in den Theilen
unſeres Vaterlandes , die dem franzöſiſchen Reich eine kurze Zeit
unterworfen wurden , ferner in den Fürſtenthümern , die das Kö-
nigreich Weſtphalen bildeten , fand auch in den übrigen Staaten ,
wenn auch nicht unbedingte , doch theilweiſe Nachahmung ; ſeit-
dem und bis dieſen Augenblick wird im höhern Publiko die An-
ſicht feſtgehalten : die Verfaſſung der Gilden , Innungen und
Handwerke habe ſich längſt überlebt , ſie paſſe nicht mehr für den
Standpunkt der Nation überhaupt , ſelbſt nicht mehr für den
Handwerksſtand , der eine bedeutende Stufe ſittlicher Cultur
erſtiegen habe und ſich vollkommen frei bewegen müſſe . Des
Verfaſſers Abſicht und Beruf iſt es nicht , hierüber eine Meinung
zu äußern , er erlaubt ſich nur noch auf die Ungleichheit der Er-
ziehung der Jugend hinzuweiſen , welcher die Handwerke zu-
gänglich ſind , und dabei auf eine einflußreiche hiſtoriſche Epoche
der Innungen aufmerkſam zu machen . Es iſt nehmlich ein
bekannter und in gegenwärtiger Schrift wieder berührter Zug
der Innungen und Gilden , daß ſie in den frühern Jahrhunderten
ſich von der niedern Volksklaſſe möglichſt frei hielten , bis die
Reichsgeſetze im ſechszehnten Jahrhundert Polizeiordnung von 1548 , Tit. 37 , und von 1577 , Tit. 38 . ſie auch dieſer öff-
neten . Welche Mittel hatten nun die Corporationen , bei dem
dürftigen Schulunterricht jener Zeit , zu verhüten , daß ihr Stand
dadurch nicht in moraliſchen Nachtheil gerieth , und zu bewirken ,
daß die Aufgedrungenen ihren Söhnen ähnlich wurden ? Die
techniſche Ausbildung bewirkte dieſe Verbeſſerung und beſeitigte
die angedeutete Gefahr nicht , ſie blieb , einſeitig gedacht , ohne
Einfluß auf äußere und innere Ordnung ihres Lebens ; hier
kamen ihnen ihre Statuten und Gewohnheiten allein zu Hülfe ,
ja es wird höchſt wahrſcheinlich , daß die wunderlichen Gebräuche
und Unnamen , die bei dem ſogenannten Jünger- und Geſellen-
machen vorkommen , erſt nach jenen Geſetzen entſtanden ſind ;
denn es liegt eine gar nicht zu verkennende Anſpielung auf eine
ganz geringe Abkunft des Lehrlings darin , welche die Innungs-
verwandten früherer Zeit ſchwerlich würden geduldet haben .
Der junge Menſch wurde nach abſolvirter Lehrzeit zwar
freigeſprochen von der unmittelbaren Aufſicht ſeines Meiſters ,
von ſeinen Mitgeſellen und den Innungen aber fortwährend über-
wacht ; auch dieſe Aufſicht war in ihren Geſellenartikeln und
Gewohnheiten begründet . Obgleich dem Knabenalter entwachſen ,
wurde er dennoch , bald durch Vortheile bald durch Nachtheile ,
in ſpielenden , uns freilich zum Theil abſurd vorkommenden For-
men , fortwährend an Pünktlichkeit , Treue , Beſtändigkeit und Feſt-
halten an beſtehenden Verfaſſungen , gewöhnt ; ſie lehrten ihn nach
eingeführter Ordnung ſprechen , und zur rechten Zeit ſchweigen .
Ihre Gebräuche dienten ihrer Phantaſie , wie den Kindern ein
Spielzeug , zum Zeitvertreib ; durch ihre Beobachtung bei den
Zuſammenkünften , durch Abhörung ihres Grußes , wurden ſie
abgehalten von andern ihrer Stellung fremden Ideen , und es iſt
kaum zu bezweifeln , daß die darin herrſchende Monotonie und
Tautologie , viel zur Erhaltung der Einfachheit und Feſtigkeit in
Rede und Handlung der Handwerker beigetragen haben .
Der Geſellenſtand der Handwerker wird immer die Vor-
ſchule dieſer Bürgerklaſſe bleiben ; was die Innungen ſeit
Jahrhunderten darin geleiſtet haben , kann nicht dankbar genug
erkannt werden ; doch iſt es abgeſchloſſen mit ihrer Auflöſung , und
Geſellenverbindungen können für die Meiſter , ohne Innung , nicht
wünſchenswerth ſein , ja unter Umſtänden ſogar gefährlich für
ſie werden ; ihre ehemalige Sorgfalt iſt den Volks- und Bürger-
ſchulen , ſpäter den Polizeibehörden übertragen ; möge es dieſen
gelingen , die ſchwere Aufgabe dauernd zu löſen !
Druck : Faber ’ſ che Buchdruckerei .